«Gender und Diversity an Hochschulen: Praxisbeispiele aus Deutschland, Grossbritannien und Norwegen und Empfehlungen zur Umsetzung» Ein vom Bundesamt für Berufsbildung und Technologie BBT gefördertes Projekt der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW in Kooperation mit weiteren Hochschulen © http://www.vectorstock.com/free-vectors Mit Beiträgen von den Projektpartnerinnen und -partnern: Nathalie Amstutz, Hochschule für Wirtschaft FHNW Neşe Çetinkaya, Empa Materials Science & Technology Eylem Copur, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW Monique Eckmann, Haute école de travail social HES-SO / Genève Agnes Földhazi, Haute école de travail social HES-SO / Genève Marlies W. Fröse, Hochschule Luzern, Soziale Arbeit HSLU Julika Funk, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW Elke-Nicole Kappus, Pädagogische Hochschule Zentralschweiz PHZ Luzern Christine Lüthi, Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW Kurt Pärli, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW Nadine Wantz, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW Herausgegeben von: Ursula Meyerhofer, Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW Michael Jeive, Hochschule für Wirtschaft FHNW Brugg/Olten 2012 «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 2 von 245 Projektteam Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW, Ursula Meyerhofer (Projektleitung) Stab Direktionspräsidium ursula.meyerhofer@fhnw.ch Christine Lüthi christine.luethi@fhnw.ch Hochschule für Wirtschaft, FHNW Michael Jeive (Projektleitung) michael.jeive@fhnw.ch Nathalie Amstutz nathalie.amstutz@fhnw.ch Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW Eylem Copur eylem.copur@zhaw.ch Julika Funk julika.funk@zhaw.ch Kurt Pärli kurt.paerli@zhaw.ch Nadine Wantz nadine.wantz@zhaw.ch Haute école de travail social HES-SO / Genève Monique Eckmann monique.eckmann@hesge.ch Agnes Földhazi agnes.foldhazi@hesge.ch Pädagogische Hochschule Zentralschweiz PHZ Luzern Elke-Nicole Kappus elke-nicole.kappus@phz.ch Hochschule Luzern, Soziale Arbeit HSLU Marlies W. Fröse marlies.froese@hslu.ch Empa Materials Science & Technology Neşe Çetinkaya nese.cetinkaya@empa.ch «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 3 von 245 Praxispartnerinnen und -partner Abteilung Gleichstellung Kanton Bern Abteilung Gleichstellung Kanton Zürich Bureau cantonal d’égalité entre femmes et hommes, Genève Bureau de l’intégration des étrangers, Canton de Genève Eidgenössisches Hochschulinstitut für Berufsbildung EHB Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement EVD, Generalsekretariat GS-EVD EQuality − Agentur für Gender Mainstreaming Fachhochschule Bern Fachstelle Gleichstellung Basel-Land Fachstelle Gleichstellung Basel-Stadt Fachstelle UND Novartis Office des Droits humains, Canton de Genève Organisationsberatung Gudrun Sander Pädagogische Hochschule Bern Pink-Cross Responsable des questions de diversité, Ville de Genève Responsable d’égalité entre hommes et femmes, Ville de Genève Swiss Re Universität Freiburg, Dienststelle für Gleichstellung Universität Luzern, Fachstelle für Chancengleichheit Zürcher Hochschule der Künste ZHdK «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 4 von 245 Inhalt Einleitung 5 Teil I: Grundlagen 9 1. Die rechtliche Verankerung von «Diversity» an schweizerischen Fachhochschulen (Kurt Pärli, Nadine Wantz) 10 2. Wie kategorisch sind die Kategorien? – Geschlecht et cetera (Nathalie Amstutz) 37 3. Zu den einzelnen Dimensionen von Diversity 47 3.1. Herkunft: inländisch, ausländisch oder beides? (Neşe Çetinkaya) 47 3.2. Kulturelle Vielfalt benennen – das Vokabular zur Beschreibung «moderner Heterogenität» in der Schweiz (Elke-Nicole Kappus) 55 3.3. Bildungsnähe und Bildungsferne oder doch Schicht und Klasse? (Marlies W. Fröse) 61 3.4. Menschen mit Behinderung den Zugang zu Hochschulen ermöglichen (Christine Lüthi) 69 3.5. «Junior» et «Sénior»: la construction sociale de l‘âge (Monique Eckmann, Agnes Földhazi) 74 3.6. Sexuelle Identität: ein Thema für Hochschulen? (Julika Funk) 81 3.7. Genre et diversité: aperçu sur le débat en France (Monique Eckmann, Agnes Földhàzi) 92 Teil II: Einblicke 96 4. Diversity im europäischen Kontext und ein Blick in die USA 97 4.1. Deutschland: Diversity für Exzellenz (Marlies W. Fröse, Elke-Nicole Kappus, Julika Funk, Malgorzata Zöhner) 97 4.2. Grossbritannien: Beyond Diversity, Equality? Diversity Management in UK Tertiary Education (Neşe Çetinkaya, Michael Jeive) 141 4.3. Norwegen: Diversity Management in Higher Education in Norway (Agnes Földhazi with contributions of Eylem Copur and Monique Eckmann) 183 4.4. USA: Diversity and Gender Policies at Kean University (Monique Eckmann) 199 Teil III: Schlussfolgerungen 214 5. Ausgewählte Befunde aus der Studie und Umsetzungsempfehlungen zu Diversity (Ursula Meyerhofer, Michael Jeive) 215 Literatur (zusätzlich zu der in den Texten bereits zitierten) 224 Autoren-/Autorinnenporträts 229 Ausgewählte Policies als Beispiele 232 «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 5 von 245 Einleitung Dank Die Ereignisse haben die Rechtzeitigkeit dieses Projektes bestätigt: es wurde im Jahr 2010 mit dem Ziel ins Leben gerufen, Auswirkungen des Rufes nach Diversity (dt. Vielfalt) auf die bestehenden Geschlechter-Gleichstellungspolitiken zu prüfen. In der Folge haben während der Projektdauer (März 2010 bis Oktober 2011) drei der beteiligten Fachhochschulen eine Diversity-Politik erarbeitet und ver- abschiedet (s. Anhang). Weitere Hochschulen haben angefangen, Politiken zu formulieren, etliche Tagungen in der Schweiz und in Deutschland fanden statt. Die Erarbeitung unterschiedlicher Aspekte und Bezüge von Diversity konnte somit im Rahmen dieses Projektes als direkter Wissenstransfer über die Projektbeteiligten in die Hochschulen zurück fliessen. Das Projektteam dankt dem BBT für die Förderung des Projektes «Gender und Diversity als Heraus- forderung: Ein neuer Gleichstellungs-Ansatz für Hochschulen und Gleichstellungsbeauftragte?» (März 2010 bis Oktober 2011). Die Projektleitung dankt den Partnerinnen und Partnern im Projekt für die Mitarbeit, die von hoher Verantwortlichkeit geprägt war. Erst der Beitrag so zahlreicher Beteiligter – und dazu gehören auch die Praxispartnerinnen und -partner – ermöglichte schlussendlich eine Präsentation der Projektergeb- nisse, wie sie hier vorgenommen wird. Weiter möchten wir uns bei den Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern in der Schweiz und bei den Interview-Partnerinnen und -partnern aus den verschiedenen Hochschulen in den im Rahmen des Projektes besuchten Ländern für ihre grosszügige Bereitschaft bedanken, sich uns zum Gespräch zur Verfügung zu stellen. Dem BBT möchten wir überdies für die zusätzliche Finanzierung der Übersetzung des Beitrages zu den rechtlichen Rahmenbedingungen danken, der so vor Beendigung des Projektes bereits interes- sierten Kreisen zur Verfügung gestellt werden konnte. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 6 von 245 Diversity als Herausforderung: eine Einleitung Diversity-Management ist im englischsprachigen Raum schon lange bekannt und wird selbstverständ- licher praktiziert als dies bis jetzt im deutschsprachigen Raum der Fall ist. Diversity als Postulat speist sich aus zwei Denkrichtungen: als Potentialausschöpfung und als Gleichheitsanspruch. Je nach kulturellem bzw. nationalem Zusammenhang wird mit Diversity als zivilrechtlicher Gerechtig- keitsbewegung argumentiert, welche ihre Ursprünge in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung hat, welche wiederum die Gleichberechtigungsbewegung beeinflusste. Die amerikanische Gesetzge- bung reagierte auf diese Zivilbewegungen 1964 mit dem Civil Rights Act. Der historisch erste Diversi- ty-Ansatz „Fairness & Antidiscrimination“ hatte den Hauptfokus Antirassismus. Der Antirassismus-Ansatz wurde schliesslich zum „Access & Legitimacy-Ansatz“, der auf die Siche- rung von Marktanteilen, Imagegewinn für Unternehmen und allgemein Wirtschaftlichkeit fokussiert war. Dieser Aspekt wird eher als „marktorientierte“ Legitimation von Diversity aufgefasst. Als Synthese lässt sich der „Learning & Effectiveness-Ansatz“ nachverfolgen, der sowohl Antidiskrimi- nierung zum Ziel hat wie auch die Nutzung von Vielfalt in Organisationen. Diese wird oft von beglei- tenden Trainings für die Belegschaft oder die Kader sekundiert. In der Privatwirtschaft gilt „Diversity“ als Überbegriff für strategische und personalpolitische Massnah- men, die verschiedene Gruppen in die Unternehmenskultur integrieren. Seit ein paar Jahren gilt die Berücksichtigung von „Diversity“ auch bei öffentlich-rechtlichen Institutionen wie Hochschulen und Verwaltungen als ein neues Leitmotiv. Der Begriff ist modern und vielversprechend; er ist jedoch in der Theorie wie in der Praxis auch umstritten, weil er im Verdacht steht, das rechtliche Gebot der Gleich- stellung von Mann und Frau durch Markt- wie Management-Orientierung zu unterlaufen. Es stellt sich daher für Akteure und Akteurinnen im Bereich der Gleichstellung der Geschlechter be- rechtigterweise die Frage, in welchem Verhältnis Diversity zum Postulat der Gleichstellung und Chan- cengleichheit der Geschlechter steht. Die Herausforderung ergibt sich dadurch, dass analog der be- reits erfolgten Hinwendung zu Diversity in der Unternehmenswelt der Sog sich auch in der Hochschul- landschaft entwickelte: An Stelle der gesetzlich fundierten Politiken, die bisher spezifisch die Gleich- stellung der Geschlechter förderten, werden nun spätestens bei neu zu besetzenden Beauftragten- Stellen neu Diversityfunktionen geschaffen. Dies zeichnet sich auch in Versuchen ab, Fachstellen für Migration, Integration, Menschen mit Behinderung zu Diversity-Fachstellen zusammenzufassen. Was wir brauchen: einen Blick in die Praxis Im deutschsprachigen Raum haben erste Diversity-Ausrichtungen Gestalt gefunden. 1 Sie reichen von der Umbenennung und -ausrichtung ganzer Stellen in Rektoratsnähe hin zu einzelnen Projekten mit einer konkreten Zielgruppe aus dem Vielfältigkeitsspektrum wie Studierende mit Migrationshinter- grund. Eine weitere dynamische Entwicklung ist vorgegeben, wie beispielsweise die vom Centrum für Hochschulentwicklung CHE ausgeschriebenen Programme und die Vielzahl einschlägiger Publika- 1 www.netzwerk-fgf.nrw.de/fileadmin/media/media-fgf/download/publikationen/Studie-11_Diversity-Studie-2011.pdf «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 7 von 245 tionen zum Ausdruck bringen. 2 Ausgewählte Massnahmen fokussieren etwa auf die Heterogenität der Studierenden und die damit verbundene didaktische Herausforderung. Diversity ist auch in der diszip- linären Vielfalt der Hochschulen verborgen. So befasst man sich schon seit längerem in Disziplinen wie der Sozialen Arbeit, der Betriebswirtschaft oder der Pädagogik sowie zahlreichen anderen mit Aspekten von Diversity. Als weitere Herausforderung stellt sich die Frage nach den Merkmalen von Vielfalt an einer Hochschu- le, welche mit Diversity-Politiken adressiert werden (sollen). Projektziele und die vorliegenden Beiträge Das Projekt zielte darauf, der neuen Begrifflichkeit „Diversity“ nicht einfach das Wort zu reden, son- dern klare Zielvorstellungen und Umsetzungsmassnahmen zu beleuchten und zur Diskussion zu stel- len. Das vom BBT für die Dauer von zwei Jahren (2010 bis 2011) unterstützte Projekt beruhte auf der Ko- operation mehrerer Partnerinstitutionen, so sind im Projekt mehrere Hochschulen beteiligt gewesen: - Empa Materials Science & Technology - die Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW - die Fachhochschule Zürich FHZ mit der Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW - die Haute Ecole Suisse Occidentale HES-SO mit der Haute Ecole de Travail Social, Genève - die Hochschule Luzern HSLU - die Pädagogische Hochschule Zentralschweiz (PHZ) Luzern Die Projektleitung lag bei der Fachhochschule Nordwestschweiz (Ursula Meyerhofer, Michael Jeive). In einem weiteren Kreis waren dem Projekt Partnerinstitutionen überwiegend aus dem öffentlich- rechtlichen Raum beigeordnet wie Gleichstellungsbeauftragte aus Kantonen, aber auch Einzelperso- nen und privatwirtschaftliche Beauftragte (s. Liste am Anfang dieses Berichtes). Diese halfen mit, eine kritische Diskussionskultur während der Erarbeitung der Projektresultate zu führen. Die Vorgehensweise, um zu relevanten Aussagen zu kommen, umfasste zunächst eine Bestandsauf- nahme zur Erfahrung mit Diversity von Experten und Expertinnen. 3 Ein darauf erarbeiteter For- schungsstand (State-of-the-Art) – diese Arbeiten erfolgten noch in der Vorprojektphase – bildete die Basis, einen Leitfaden für die Interviews mit Institutionsangehörigen von Hochschulen in verschiede- nen Ländern zu erstellen. Gleichzeitig wurden darauf basierend von den Teammitgliedern die einzel- nen Kategorien als Teil des Diversity-Diskurses untersucht und dargestellt. Hierbei kam die vielfältige, interdisziplinäre Herkunft des Teams vorteilhaft zum Tragen, welche verschiedene vertiefende Per- spektiven aufzuzeigen ermöglichte. Die hier vorgelegte Dokumentation beginnt mit einer Darstellung der rechtlichen Grundlagen für Diversity insbesondere für (Fach-) Hochschulen unter Einbezug der Rechtsgrundlagen betreffend 2 „Vielfalt als Chance“ und „ungleich besser“ heissen zwei Programmschwerpunkte, mit denen das von der Bertelsmann-Stiftung finanzierte Hochschulmanagement-Centrum Diversity als richtungsweisende Politik den deutschen Hochschulen mit Anreizen nahe bringen will. (http://www.che-consult.de/cms/?getObject=752&getLang=de). 3 Yves de Matteis, Genève (Co-président de Pink Cross; Conseil municipal, Ville de Genève); Doris Angst (Geschäftsführerin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR), Andreas Rieder (Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen EBGB, Bern), Annette Schöpe-Kahlen (Leiterin Human Resources der Hochschule für Heilpäda- gogik HfH Zürich), Brigitte Maier (Leiterin «Diversity & Inclusion» Hoffmann La Roche AG), Winfried Burgener (Leiter Personal u. Organisationsentwicklung POE, Eidg. Volkswirtschaftsdepartement EVD, Bern), Beda Meier (Leiter Kompetenzzentrum Integration, Gleichstellung, Projekte (IGP) Kt. St. Gallen). «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 8 von 245 gesellschaftlicher Vielfalt (Pärli, Wantz). Die sich daran anschliessenden Beiträge zu den Dimensionen von Vielfalt beginnen mit einer Reflektion über die oft als Masterkategorie reklamierte „Strukturkate- gorie“ Geschlecht unter Hinweis auf deren Konstruiertheit. In den Hochschulen hat die Gleichzeitigkeit von Geschlechtergleichstellungspolitik und Geschlechterstudien zu einem wissenschaftlich ausdiffe- renzierten Verhältnis von „Geschlecht“ geführt, das durch jahrelange Forschungsarbeit fest eingeführt ist (Amstutz). Andere Aspekte von Diversity-Studies sind noch weniger etabliert im deutschsprachigen Raum. Der Beitrag von Neşe Çetinkaya faltet die Geschichte der Migration in der Schweiz auf und beleuchtet erste Überlappungen von Kategorien wie sie bei der Bildungs- und regionalen Herkunft feststellbar sind. Elke-Nicole Kappus geht den vielfältigen Begriffsbezeichnungen für Vielfalt nach, welche die Kalamität uneinheitlicher Datenerfassung, wie sie im deutschsprachigen Raum noch vorherrscht, ver- deutlichen. Im Text von Marlies W. Fröse zu Bildungsnähe bzw. -ferne zeigt sich, wie sehr sich einzel- ne Dimensionen im Kontext der Frage nach der Bildungsnähe bzw. sozialen Herkunft überlagern und zu weiteren Diskriminierungen führen. Christine Lüthi zeigt unter Rekurs auf das Konstruktivitätspara- digma der Sozialwissenschaften auf, dass Behinderung sozial definiert und konstruiert wird, wodurch sich wiederum Handlungsbedarf bezüglich dem Antidiskriminierungsgebot ergibt. Julika Funk zeigt aufgrund des englischsprachigen Diskurses die Bedeutung auf, welche sexuelle Zugehörigkeit im Ausbildungsalltag einnimmt und welches Handlungsfeld sich daraus ergeben kann. Agnes Földhazi und Monique Eckmann betonen ebenfalls, dass „Alter“ immer durch die relative Wahrnehmung erst zu dem gemacht wird, was darunter verstanden wird. Der Mittelteil der vorliegenden Publikation ist deren Hauptteil. Ziel war, anhand von Best-Practice in Ländern, die als exemplarisch definiert wurden, Fallbeispiele von umgesetzten Diversity-Politiken auf- zuzeigen und so beispielhaft die Ausgangsbedingungen, Ziele und die Funktionsweise von Diversity- Management an Hochschulen aufzuzeigen. Die detailreichen Studien erlauben Einblicke in Diversity- Management an Hochschulen, wie sie so nirgends zu finden sind. Im deutschsprachigen Raum bietet sich Deutschland an, weil es vergleichbare Hochschulstrukturen hat und hier Diversity – mit Förderprogrammen, wie zu sehen sein wird – als Anreiz zur Profilierung betrachtet wird. Norwegen gilt als Beispiel eines Landes mit hoher Wertigkeit bei der Gleichstellung der Geschlechter – ebenfalls mit staatlicher Förderung. Grossbritannien wiederum ist vom oben be- schriebenen „liberalen“, sich aus Bürgerrechtsbewegungen (oder aus der Kolonialgeschichte, wie zu spekulieren ist) herleitenden Diversity-/Antidiskriminierungspolitiken geprägt. Einblicke in Praxen in den USA runden die hier vorliegende Studie ab. Die Länderstudien wurden von (in alphabetischer Reihenfolge) Neşe Çetinkaya, Eylem Copur, Monique Eckmann, Agnés Földhazi, Marlies W. Fröse, Julika Funk, Michael Jeive, Elke-Nicole Kappus durchgeführt. Den Schlussteil des Projektes bildete das Zusammentragen abschliessender Resultate. Diese sollen in der Schweiz eine aktive Verbreitung erfahren; ein Teil der Nachphase des Projektes ist deshalb das aktive Kommunizieren und die Diffusion des Berichtes. Das Copyright und die Verantwortung für die einzeln ausgewiesenen Texte liegen bei den jeweiligen Autorinnen und Autoren. Ursula Meyerhofer, Michael Jeive, Projektleitung «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 9 von 245 Teil I: Grundlagen «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 10 von 245 1. Die rechtliche Verankerung von «Diversity» an schweizerischen Fachhochschulen (Kurt Pärli, Nadine Wantz) Inhaltsverzeichnis I Einleitung II Die Fachhochschullandschaft der Schweiz III Rechtliche Rahmenbedingungen von «Diversity» an Schweizer Fachhochschulen 1. Schutz der Vielfalt und Individualität im Recht 2. Rechtliche («Diversity»)Grundlagen der Fachhochschulen auf Bundesebene 2.1 Überblick über die massgebenden Erlasse und die grundlegende Kompetenzverteilung 2.2 Das Bundesfachhochschulgesetz, die Fachhochschulverordnung und flankierende Bestimmungen und Bedingungen für Fachhochschulen 2.3 Bedeutung des Bundesgesetzes über die Gleichstellung von Frau und Mann (GlG) 2.4 Bedeutung des Bundesgesetzes über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen (BehiG) 2.5 Ausländerrechtlich relevante Bestimmungen (AuG/FZA) 2.6 Personalrechtliche Vorschriften 3. Rechtliche («Diversity») Grundlagen der Fachhochschulen auf kantonaler Ebene 3.1 Allgemeines 3.2 Die kantonalen Verfassungen und ihr Regelungsgehalt in Bezug auf «Diversity» 3.3 Die Fachhochschulen im Einzelnen IV Fazit: Wenig «Diversity» im Allgemeinen, viele Vorschriften bezüglich Geschlecht und Defizite im Bereich Behinderung Abbildungsverzeichnis Abbildung 1 Ausländerrechtliche Regelungen betreffend Studierende Abbildung 2 Ausländerrechtliche Bestimmungen betreffend Hochschulangestellte Abbildung 3 Diversity-relevante Normen für Fachhochschulen Abbildung 4 Die Diskriminierungsmerkmale in den Rechtsgleichheitsgeboten der Kantonsverfassungen im Überblick «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 11 von 245 I Einleitung Im Zuge der Globalisierung verdichtet, verstetigt und vervielfacht sich das Aufeinandertreffen von Menschen unterschiedlicher Herkunft und somit verschiedener Kulturen, Sprachen, Werten und Le- bensweisen. In der Gesellschaft, in der Politik, in der Wirtschaft und im Recht nimmt die Sensibilisie- rung auf Chancen und Probleme dieser Vielfalt zu. Sozialwissenschaften und Ökonomie diskutieren dieses Phänomen – die Vielfalt und die Heterogenität von Menschen – insbesondere unter den Schlagwörtern „Managing Diversity“, „Leading Diversity“, „Living Diversity“. Besonders intensiv ist die Auseinandersetzung mit Diversity in der Arbeitswelt 4 . Es ist naheliegend, dass die Debatte auch vor den Toren der Bildungsinstitutionen nicht Halt macht. Wie in der Arbeitswelt und im sozialen Leben, nimmt die Vielfalt an Menschen auch in der Fachhoch- schullandschaft zu. Waren Fachhochschulen bisher eher homogene Einrichtungen mit wenig sozialer Diversität – der durchschnittliche Fachhochschulstudent war männlich, weiss und bildungsnah 5 – ist unter ihren Dächern seit ein paar Jahren vermehrt (nebst den schon immer mit dem Menschsein ver- bundenen Unterschiedlichkeiten wie Alter, Geschlecht, körperliche Konstitution etc.) eine Vielfältigkeit in sprachlicher und kultureller Hinsicht anzutreffen. In der Rechtswissenschaft wird die Diversity-Thematik – in der Regel ohne dass auf den entsprechen- den Diskurs in den Sozialwissenschaften Bezug genommen wird – im Rahmen des in den letzten Jahren verstärkten Antidiskriminierungsrechts diskutiert 6 . Die Intensität der Auseinandersetzungen ist je nach konkreter Ausgestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen unterschiedlich. In den EU- Staaten setzen Antidiskriminierungsgesetze (auch) für Hochschulbildungsinstitutionen einen rechtlich verbindlichen Rahmen für Diversity-Ansätze 7 . Vor dem Hintergrund der Rassentrennung wird in den USA der Hochschulzugang für Studierende bisher untervertretener Bevölkerungsgruppen mittels „affirmativ action-Programme“ erleichtert 8 . Im Vergleich dazu ist die Rechtslage in der Schweiz bezüglich Diskriminierungsschutz und Vielfaltsförderung an Hochschulen zumindest auf den ersten Blick unter- entwickelt. Weder kennt die Schweiz einen mit den EU-Anforderungen kompatiblen, auch das Hoch- schulwesen umfassenden Diskriminierungsschutz, noch sind Konzepte mehrheitsfähig, die für unter- repräsentierte gesellschaftliche Gruppen Zugangserleichterungen vorsehen. In einem „diskriminie- rungsrechtsfreien Raum“ bewegen sich indessen schweizerische Hochschulen keineswegs; als 4 Siehe dazu: Universität St. Gallen, Was ist Diversity? (besucht am: 04.02.2010). 5 Siehe dazu: Fachstelle Gender Studies der Zürcher Fachhochschule, Tagungsbericht „Diversity – Strategie für die Fach- hochschulen“, (besucht am: 28.04.2010). 6 Siehe dazu: PÄRLI KURT, Vertragsfreiheit, Gleichbehandlung und Diskriminierung im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis: völker- und verfassungsrechtlicher Rahmen und Bedeutung des Europäischen Gemeinschaftsrechts, Bern 2009, N 24, N 575, N 1245. 7 In der EU verpflichten verschiedene Richtlinien die Mitgliedstaaten zu einem wirksamen Schutz vor Diskriminierung wegen des Geschlechts, der Rasse und ethnischen Herkunft, der Religion und Weltanschauung, des Alters, der sexuellen Orientierung und einer Behinderung. Für alle Diskriminierungsmerkmale gilt der Schutz im Bereich Arbeit und Beschäftigung. Ein umfassender Schutz vor Diskriminierung beim Zugang zur Bildung ist in Vorbereitung. 8 In dem Entscheid „University of California Regents vs. Bakke“, 438 US 265 (1978) hat der Supreme Court der USA die Privi- legierung nicht weisser Studierenden beim Zugang zum Studium zugelassen mit der Begründung „student body diversity is a compelling state interest that can justify the use of race in university admissions“. Trotz anschwellender Kritik an den „affirmative action“ Programmen wurden deren grundsätzliche Zulässigkeit im Verfahren „Grutter v. Bollinger“, 539 US 306 (2003) erneut mit dem Hinweis bestätigt, die Diversität der Studierenden sei ein zwingendes öffentliches Interesse. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 12 von 245 mehrheitlich öffentlich-rechtlich organisierte Institutionen sind sie an die Grundrechte und Diskriminie- rungsverbote der Bundesverfassung und der Kantonsverfassungen gebunden. Die nachfolgenden Ausführungen legen Zeugnis davon ab, ob und inwiefern in den für Fachhochschu- len massgebenden Verfassungs- und Gesetzesbestimmungen auf Bundes- und Kantonsebene aus- drücklich oder implizit Diversity-Potential enthalten ist. Darauf aufbauend werden allfällige interne Fachhochschulreglemente in die Untersuchung einbezogen. II Die Fachhochschullandschaft der Schweiz 9 Fachhochschulregionen 1) Fachhochschule Nordwestschweiz (Aargau, Basel-Stadt, Basel-Land, Solothurn) 2) Fachhochschule Zürich (Zürich) • PHZH • ZHAW • ZHdK • HSZ-T • HWZ 3) Fachhochschule Ostschweiz • HTW Chur • FHS St. Gallen • HSR Rapperswil • NTB Buchs 4) Fachhochschule Zentralschweiz (Luzern, Zug) 5) Scuola Universitaria Professionale della Svizzera Italiana (Tessin) 6) Fachhochschule Bern (Bern) 7) Haute école spécialisée de Suisse occidentale (Freiburg, Genf, Jura, Neuenburg, Waadt, Wallis) 9 Quelle: Bundesverwaltung, Eidgenössisches Departement des Innern EDI, Staatssekretariat für Bildung und Forschung SBF, (besucht am: 28.04.2010). «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 13 von 245 III Rechtliche Rahmenbedingungen von «Diversity» an Schweizer Fachhochschulen 1. Schutz der Vielfalt und Individualität im Recht Dem Recht kommt unter anderem die Aufgabe zu, Lebensbedingungen zu gestalten 10 . Die Rechts- ordnung ist demnach gefordert, Regeln zu entwickeln und durchzusetzen, welche die Vielfalt und Indi- vidualität der Menschen respektieren und fördern. Dabei ist von der grundsätzlichen Gleichheit der Menschen im Sinne eines gleichen Anspruchs auf Freiheit und Würde auszugehen. Diese Prämisse kommt in Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zum Ausdruck: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen“. In einer ganzen Reihe völkerrechtlicher Menschenrechtsverträge bekennt sich die Staatengemein- schaft und mit ihr die Schweiz zum Schutz der kulturellen Identität des Menschen 11 . Die Vielfalt des menschlichen Daseins zu erhalten ist ein globaler Wert. Ein Blick in die schweizerische Bundesverfas- sung 12 zeigt die Bedeutung dieses Wertes in der Schweiz: In der Präambel wird unter anderem festgehalten, dass sich das Schweizervolk und die Kantone „im Willen, in gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung ihrer Vielfalt in der Einheit zu leben“ die danach folgende Verfassung geben. Diese Zeile, die in der juristischen Lehre als Toleranzgebot bezeichnet wird 13 , zeigt auf, dass die Vielfalt als gegeben angesehen wird und das Zusammenleben als Einheit unter Berücksichtigung dieser Vielfalt gestaltet werden soll. Der Zweckartikel (Art. 2 BV) weist in seinem zweiten Absatz – wenn auch spezifiziert 14 – auf die kultu- relle Vielfalt hin, die es zu fördern gilt. Implizit werden mit der kulturellen Vielfalt allerdings „bloss“ die historisch gewachsenen Landeskulturen mit ihren jeweils unterschiedlichen Sprachen verstanden. Trotz dieser „Eingrenzung“ ist auch hier eine bewusste Wertschätzung der Unterschiedlichkeit zu se- hen. Anzufügen ist zudem, dass sich dieses doch eher enge Verständnis der kulturellen Vielfalt in Zukunft ändern kann, denn „das Verfassungsrecht des Bundes geht von einem weiten und in die Zu- kunft offenen Begriff der Kultur aus“ 15 . Diversity-Potential enthält Art. 2 Abs. 3 BV, gibt er doch die Pflicht zur Verwirklichung einer möglichst grossen Chancengleichheit unter den Bürgerinnen und Bürgern vor. Auch wenn der Zweckartikel 10 Siehe dazu: REHBINDER MANFRED, Rechtssoziologie, 7. Auflage, München 2003, S. 117 ff. 11 Art. 29 Abs. 1 lit. c und Art. 30 UN-KRK (20.11.1989); Art. 8 Abs. 1 EMRK und mittelbar auch Art. 9 Abs. 1 EMRK (22.08.2006); für die EU zusätzlich: Art. 5 Abs. 1 Rahmenkonvention des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten (01.11.1995); Art. 22 EU Grundrechtscharta (18.12.2000); BÜCHLER ANDREA, Kulturelle Identität und Familienrecht, Modelle, Chancen und Grenzen familienrechtlicher Pluralität, in: Gunsenheimer Antje (Hrsg.), Grenzen Differenzen Übergänge, Spannungsfelder inter- und transkultureller Kommunikation, Bielefeld 2007, S. 55 – 74, S. 55; siehe auch: PETERS MAYTE, Kulturgüterschutz als Menschenrechtsschutz? Thesen zur EMRK und europäischer Identität, in: Sutter Patrick/Zelger Ulrich (Hrsg.), 30 Jahre EMRK-Beitritt der Schweiz: Erfahrungen und Perspektiven, Bern 2005, S. 59 – 81, S. 59 ff. 12 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BV) vom 18. April 1999, SR 101. 13 Siehe auch: EHRENZELLER BERNHARD, N 25 zur Präambel der BV, in: Ehrenzeller Bernhard/Schweizer Rainer J./Mastronardi Philippe/Vallender Klaus A., Kommentar zur schweizerischen Bundesverfassung, 2. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2008; MAHON PASCAL, N 13 zur Präambel, in: Petit commentaire de la Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999, Zürich/Basel/Genf 2003. 14 Art. 2 Abs. 2 BV: „Sie fördert die gemeinsame Wohlfahrt, die nachhaltige Entwicklung, den inneren Zusammenhalt und die kulturelle Vielfalt des Landes“. 15 SCHWEIZER RAINER J., N 9 zu Art. 69 BV, in: Ehrenzeller Bernhard/Schweizer Rainer J./Mastronardi Philippe/Vallender Klaus A., Kommentar zur schweizerischen Bundesverfassung, 2. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2008. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 14 von 245 keine Anspruchsgrundlage für verfassungsmässige Rechte ist, wird er als richtungsweisend – als Leit- bild – für den Staat verstanden 16 . Einklagbar ist wiederum Art. 8 Abs. 2 BV, der das Diskriminierungsverbot enthält und in dem, nicht ab-schliessend, verschiedenste Merkmale 17 – zugleich eine Spiegelung der menschlichen Vielfalt – aufgezählt werden, aufgrund derer nicht diskriminiert werden darf. Als sogenanntes Abwehrrecht entfaltet das Diskriminierungsverbot unmittelbare Wirkung im Verhältnis Privater zum Staat 18 . Staatliche Institutionen, darunter Hochschulen, dürfen Menschen nicht aufgrund die Persönlichkeit bestimmender Merkmale diskriminieren, d.h. ohne besonderen, sachlichen Recht- fertigungsgrund bei gleichen Sachverhalten in benachteiligender Weise ungleich behandeln 19 . Mit erfasst vom Diskriminierungsverbot ist auch die nicht gerechtfertigte Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte 20 . Anschauliches Beispiel für diese Form der Diskriminierung ist z.B. die Nichtberück- sichtigung behinderungsbedingter Nachteile bei einer Leistungsüberprüfung, obwohl sich der Nachteil mit verhältnismässigem Aufwand seitens der involvierten Bildungsinstitution beseitigen liesse 21 . In Art. 8 Abs. 3 und 4 BV wird das allgemeine Diskriminierungsverbot in Bezug auf das Geschlecht und auf Menschen mit Behinderung konkretisiert. Dem Gesetzgeber wird aufgetragen, in einem Ge- setz für die tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter (Art. 8 Abs. 3 BV) bzw. für die Beseitigung von Benachteiligungen der Behinderten (Art. 8 Abs. 4 BV) zu sorgen 22 . Einen wichtigen Aspekt der Vielfalts- und Diskriminierungsthematik bilden Fragen der Religion und Religionsausübung. Das Diskriminierungsverbot wegen der Religion und Weltanschauung wird ver- fassungsrechtlich flankiert durch den in Art. 15 BV gewährten grundrechtlichen Abwehranspruch auf Religionsfreiheit. Die Bedeutung dieses Grundrechts im (Hoch)schulkontext zeigt exemplarisch der Entscheid des Bundesgerichts vom 1. April 2008 23 . Die zuständige Behörde lehnte das Verschie- bungsgesuch eines Angehörigen der Siebenten-Tages-Adventisten ab, der die Maturitätsprüfung nicht an einem Samstag ablegen wollte, da gemäss den Gepflogenheiten seiner Religionsgemeinschaft an diesem Tag nicht gearbeitet werden darf. Das Bundesgericht kam zum Schluss, selbst wenn die Durchführung einer Maturitätsprüfung an einem Samstag gesetzlich vorgesehen sei 24 und auf einem öffentlichen Interesse beruhen sollte 25 , erweise sich die Verweigerung eines Dispenses gegenüber Schülern, welche einer dem Gebot der Sabbats-Ruhe strikt verpflichteten Religionsgemeinschaft 16 EHRENZELLER BERNHARD, N 15 zu Art. 2 BV, in: Ehrenzeller Bernhard/Schweizer Rainer J./Mastronardi Philippe/Vallender Klaus A., Kommentar zur schweizerischen Bundesverfassung, 2. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2008. 17 Der Verfassungstext beginnt mit dem Anspruch, dass „niemand“ diskriminiert werden darf und fährt fort; „namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Be- hinderung“. 18 PÄRLI (Fn. 6), N 693. 19 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung liegt eine Diskriminierung dann vor, „wenn eine Person rechtsungleich behan- delt wird allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, die historisch und in der gegenwärtigen sozialen Wirklichkeit tendenziell ausgegrenzt oder als minderwertig behandelt wurde“; solche Ungleichheiten stellen vorerst einen Verdacht einer unzulässigen Differenzierung dar und müssen qualifiziert gerechtfertigt werden können (BGE 126 II 377 ff.). 20 Siehe dazu: RIEDER ANDREAS, Form oder Effekt? Art. 8 Abs. 2 BV und die ungleichen Auswirkungen staatlichen Handelns, Bern 2003. Zur Diskriminierung durch (unzulässige) Gleichbehandlung siehe S. 222 ff. 21 Siehe dazu das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Juli 2008 – B-7914/2007 und die Urteilsbesprechung von PÄRLI KURT/PETRIK ANDREAS in der Aktuellen Juristischen Praxis AJP 1/2009, S. 110 ff. 22 Diesen Aufträgen ist der Gesetzgeber zum einen durch das Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann (GlG) vom 24. März 1995, SR 151.1 und zum anderen durch das Bundesgesetz über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen (Behindertengleichstellungsgesetz) vom 13. Dezember 2002, SR 151.3 nachgekommen. 23 BGE 134 I 114 ff. 24 BGE 134 I 114, Erw. 4. 25 BGE 134 I 114, Erw. 5. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 15 von 245 angehörten, als unverhältnismässig. Das gelte sogar dann, wenn ein solcher Dispens für die Schule einen organisatorischen Mehraufwand bedinge, damit die Prüfung zu einem anderen Zeitpunkt nach- geholt werden kann 26 . Der Entscheid zeigt, dass sich die Religionsfreiheit nicht in einem Abwehran- spruch erschöpft. Vielmehr fliesst aus der Religionsfreiheit auch eine Schutzpflicht des Staates. Dar- aus kann der Anspruch auf eine Dispensation aus religiösen Gründen abgeleitet werden 27 . Weiter erwähnenswert ist in der vielsprachigen Schweiz die in Art. 18 BV ebenfalls grundrechtlich geschützte Sprachenfreiheit. Aus dem Verfassungstext („Die Sprachenfreiheit ist gewährleistet“) wer- den verschiedene Ansprüche abgeleitet, die auch im Diversity-Kontext einer Hochschule von Bedeu- tung sind. So stellt die heute in der Wissenschaft zunehmend geforderte Verpflichtung zur Benutzung der englischen Sprache einen Eingriff in die Sprachenfreiheit dar, der gemäss dem „Schrankenpro- gramm“ von Art. 36 BV (Gesetzliche Grundlage, öffentliches Interesse, Verhältnismässigkeit, keine Verletzung des Kerngehaltes) gerechtfertigt werden muss 28 . Aus dem Grundrecht auf Sprachenfreiheit fliesst – flankiert durch den Anspruch auf tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter in Art. 8 Abs. 3 BV – ein Anspruch auf Verwendung einer geschlechtsadäquaten Sprache. Das bedeutet namentlich, dass die soziale Wirklichkeit der Geschlechter im Sprachgebrauch nicht ausgeblendet werden darf 29 . Diese kurze „tour d’horizon“ durch die Bundesverfassung zeigt, dass der Schutz der Verschiedenartig- keit der Menschen sowohl Orientierung, Schranke und Aufgabe jeder staatlichen Tätigkeit bildet und auch für Hochschulen eine nicht verhandelbare Prämisse darstellt. 2. Rechtliche («Diversity») Grundlagen der Fachhochschulen auf Bundesebene 2.1 Überblick über die massgebenden Erlasse und die grundlegende Kompetenzverteilung Die Fachhochschulen haben sowohl bundesrechtliche, wie auch kantonalrechtliche Regelungen zu beachten. Während der Bund die rechtliche Rahmenordnung – einerseits durch die Bundesverfas- sung, andererseits durch das Bundesgesetz über Fachhochschulen (FHSG) 30 und die Fachhoch- schulverordnung (FHSV) 31 – vorgibt, konkretisieren die Kantone anhand eigener, kantonaler Fach- hochschulgesetze bzw. interkantonaler Vereinbarungen den Rahmeninhalt. Zu beachten haben sämt- liche Fachhochschulen das Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann (GlG) 32 , das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) 33 , das Freizügigkeitsabkommen (FZA) 34 und das Auslän- dergesetz (AuG) 35 . 26 BGE 134 I 114, Erw. 6. 27 KELLER HELEN/BÜRLI NICOLE, Religionsfreiheit in der multikulturellen Schulrealität, recht 3/2009, S. 103 ff.; KIENER REGI- NA/KÄLIN WALTER, Grundrechte, Bern 2007, S. 272. 28 KÄGI-DIENER REGULA, N 28 zu Art. 28 BV, in: Ehrenzeller Bernhard/Schweizer Rainer J./Mastronardi Philippe/Vallender Klaus A., Kommentar zur schweizerischen Bundesverfassung, 2. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2008. 29 KÄGI-DIENER (Fn. 28), N 30 zu Art. 28 BV. 30 Bundesgesetz über die Fachhochschulen (Fachhochschulgesetz, FHSG) vom 6. Oktober 1995, SR 414.71. 31 Verordnung über Aufbau und Führung von Fachhochschulen (Fachhochschulverordnung, FHSV) vom 11. September 1996, SR 414.711. 32 Siehe dazu die Ausführungen in der Fn. 22. 33 Siehe dazu die Ausführungen in der Fn. 22. 34 Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA) vom 1. Juni 2002, SR 0.142.112.681. 35 Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG) vom 16. Dezember 2005, SR 142.20. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 16 von 245 2.2 Das Bundesfachhochschulgesetz, die Fachhochschulverordnung und flankierende Bestimmungen und Bedingungen für Fachhochschulen Das Fachhochschulgesetz legt fest, dass die Fachhochschulen die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern zu beachten haben und Benachteiligungen für Menschen mit einer Behinderung zu beseitigen sind 36 . In der Fachhochschulverordnung wird konkretisiert, wie die Massnahmen zur tatsächlichen Gleichstellung von Frau und Mann aussehen können 37 . Nicht konkretisiert wird die Be- seitigung der Nachteile von Menschen mit einer Behinderung. Die Einhaltung der Gleichbehandlungs- und Gleichstellungsvorschriften gehört zudem zum Leistungs- auftrag der Fachhochschulen. So sehen Akkreditierungsbedingungen des Bundesamtes für Berufsbil- dung und Technologie (BBT) vor, dass die Gleichstellung von Frau und Mann durch die Fachhoch- schulen gewährleistet werden muss und Benachteiligungen von Menschen mit (körperlichen) Behin- derungen zu beseitigen sind. Als Beispiel wird im einschlägigen BBT-Dokument festgehalten, dass Schulanlagen rollstuhlgängig auszustatten sind und auch Hör- und Sehbehinderte Zugang zu den Fachhochschulen finden können müssen 38 . Weitere Ausführungen seitens des BBT in Bezug auf die Nachteilsausgleichung für Menschen mit einer Behinderung sind nicht ersichtlich, dies ganz im Ge- genteil zur Umsetzung der Gleichstellung zwischen Frau und Mann. Wie sogleich zu sehen sein wird, präzisieren sowohl das BBT, die Kommission für Technologie und Innovation (KTI) als auch die Konfe- renz der Fachhochschulen, wie die Geschlechtergleichstellung gewährleistet werden soll. Die Rege- lungen für den Nachteilsausgleich für Behinderte erschöpfen sich allerdings nicht in einem behinder- tengerechten Zugang zu den Gebäuden einer Hochschule. Die rechtlichen Verpflichtungen, nament- lich im Bundesgesetz über die Beseitigung von Benachteiligungen Behinderter, gehen weiter (hierzu sogleich Kapitel 2.4) 39 . Hinsichtlich des Gleichstellungsauftrags zwischen Frau und Mann ist der Aktionsplan des BBT zu erwähnen; eine wichtige Vorgabe seitens des Bundes, nach der die sieben öffentlichen Fachhoch- schulen ihr jeweiliges Chancengleichheitskonzept richten. Im Zentrum des Programms steht die Ab- sicht, die Chancengleichheit als Qualitätskriterium in den Strategien der Fachhochschulen zu veran- kern und mittels praxisorientierter Konzepte umzusetzen. Zudem sollen mehr Frauen an den Fach- hochschulen studieren, forschen und lehren. Für die Realisierung dieser Ziele wurde ein Kredit von zehn Millionen Franken zur Verfügung gestellt 40 . Die Fachhochschulkonferenz (KFH) hat Standards für die Gleichstellungsarbeit an den Fachhoch- schulen herausgegeben 41 . Mit den darin enthaltenen Empfehlungen zielt die KFH auf qualitative Gleichstellungsarbeit an den Fachhochschulen mit vergleichbarer Ausrichtung. Ausdrücklich festge- halten wird, dass die Chancengleichheit ein expliziter Teil der Kultur der FH ist. Nebst der Geschlech- 36 Art. 3 Abs. 4 lit. a und b FHSG. 37 Art. 16c bis FHSV. 38 Bundesamt für Berufsbildung und Technologie BBT, die Schweizer Fachhochschulen, Akkreditierung von Fachhochschulen und ihren Studiengängen, Ein Überblick für Gutachterinnen und Gutachter in Akkreditierungsverfahren, S. 11. 39 Bedeutung des Bundesgesetzes über die Beseitigung von Benachteiligungen, S. 9 f. 40 Zum Bundesprogramm Chancengleichheit an Fachhochschulen, siehe: (besucht am: 30.04.2010). 41 Zu den Gleichstellungsstandards der KFH, siehe: (besucht am: 30.04.2010). «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 17 von 245 tergleichstellung wird denn auch „Diversity Management“ aufgegriffen und als Teil der FH-Kultur auf- genommen 42 . Für Fachhochschulen von grosser Bedeutung ist die Förderagentur des Bundes für Innovation (KTI), die insbesondere Forschungsprojekte der Fachhochschulen unterstützt. Sie sieht in Diversity einen Erfolgsschlüssel für Innovation und hat im Jahr 2009 eine Initiative gestartet, um Diversity zu fördern 43 . Schwergewichtig wird die Förderung jedoch auf das Geschlecht gerichtet, namentlich indem die Frauen mehr an Innovation und Unternehmertum beteiligt werden sollen. 2.3 Bedeutung des Bundesgesetzes über die Gleichstellung von Frau und Mann (GlG) Das Gleichstellungsgesetz (GlG) bezweckt nach Art. 1 „die Förderung der tatsächlichen Gleichstellung von Frau und Mann“. Der Schwerpunkt der weiteren Bestimmungen liegt eindeutig in der Förderung der Gleichstellung im Erwerbsleben. Für sämtliche Arbeitsverhältnisse, handle es sich um privat- oder öffentlich-rechtliche Anstellungen, gilt insbesondere das Diskriminierungsverbot in Art. 3 GlG. Nach Art. 3 Abs. 1 GIG dürfen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufgrund ihres Geschlechts weder direkt noch indirekt benachteiligt werden, namentlich nicht unter Berufung auf den Zivilstand, auf die familiäre Situation oder, bei Arbeitnehmerinnen, auf eine Schwangerschaft. Art. 3 Abs. 2 GlG erstreckt das Verbot auf sämtliche Phasen eines Anstellungsverhältnisses, also vom Anstellungsentscheid über den Lohn und die übrigen Anstellungsbedingungen bis hin zur Entlassung. Art. 3 Abs. 3 GlG hält fest, dass angemessene Massnahmen zur Verwirklichung der tatsächlichen Gleichstellung keine Diskrimi- nierung darstellen. Das GlG sieht weiter vor, dass das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann die Gleichstellung der Geschlechter in allen Lebensbereichen zu fördern hat. Für die Diversity-Thematik an Fachhochschulen ist das Gleichstellungsgesetz in erster Linie als ver- bindliche gleichstellungsrechtliche Rahmenordnung für die Anstellung, Beschäftigung und Entlassung von Personal relevant. In diesen Bereichen kam es vereinzelt zu gerichtlichen Auseinandersetzungen um die Verletzung des Gleichstellungsgesetzes durch Fachhochschulen. So machten bspw. Dozen- tinnen einer Fachhochschule geltend, sie seien im Vergleich mit ihren männlichen Kollegen zu Un- recht zu tieferen Löhnen eingestellt und weniger befördert worden und forderten, rückwirkend in eine höhere Lohnklasse eingestuft zu werden. Die Fachhochschule lehnte einen Vergleich vor der Schlich- tungsstelle aus grundsätzlichen Überlegungen ab. Daraufhin gelangten sieben Dozentinnen an das Arbeitsgericht und erreichten einen Vergleich: Sie wurden für die Zukunft höher eingestuft und erhiel- ten rückwirkend zwei Drittel der errechneten Lohndifferenz 44 . Aus der reichhaltigen Rechtsprechung des Bundesgerichts zum verfassungsrechtlichen Diskriminie- rungsverbot aufgrund des Geschlechts und zum Gleichstellungsgesetz ist die Entscheidung des Bun- desgerichts vom 14. März 2005 (Balmelli) herauszugreifen 45 . Das Bundesgericht hatte zum ersten Mal zu einer Quotenregelung im Erwerbsleben Stellung zu beziehen. Im Rahmen des vom Bund finanzier- 42 Gleichstellungsstandards der KFH (Fn. 41), S. 2 und S. 11. 43 Zu den „Diversity“-Aktivitäten der KFH, siehe: (besucht am: 30.04.2010). 44 Datenbank „Entscheide nach Gleichstellungsgesetz“, Entscheid Nr. 39 (mit Verweisen auf das Ergebnis der Verhandlungen vor der Schlichtungsstelle und des Arbeitsgerichts), (besucht am: 30.04.2010). 45 BGE 131 II 361 ff. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 18 von 245 ten Nachwuchsförderungsprogramms schrieb die Universität Freiburg im Jahr 2001 eine Nachwuchs- stelle ausschliesslich für Frauen aus. Hintergrund dieser Ausschreibung bildete die Vorschrift des Bundes, mit Bundesmitteln zu schaffende Nachwuchsdozenturstellen müssten mindestens zu 40 Pro- zent Frauen zukommen. Da die Universität Freiburg das zulässige Männerkontingent von 60 Prozent bereits ausgeschöpft hatte, konnte die Universität Freiburg die Bundesmittel nur beanspruchen, wenn sie die fragliche Stelle mit einer Frau besetzte. Trotz der eindeutigen Ausschreibung bewarb sich Herr Balmelli und seine Bewerbung wurde wegen seines Geschlechts gar nicht erst in Betracht gezogen. Das Bundesgericht bejahte eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Eine Frauenförderungs- massnahme in der vorliegenden Form stellt eine sogenannte starre Quote dar und dafür ist gemäss Bundesgericht eine ausdrückliche Verankerung in einem formellen Gesetz notwendig 46 . Im Gegensatz dazu können flexible Frauenförderungsmassnahmen, einschliesslich flexible Quotenregelungen, auch auf blosse Verordnungen oder Verwaltungsakte gestützt werden. Mit dieser Entscheidung, die in der Lehre zum Teil heftig kritisiert wurde 47 , hat das Bundesgericht den Handlungsspielraum (u.a.) der Hochschulen bei Frauenförderungsmassnahmen klar eingeschränkt. 2.4 Bedeutung des Bundesgesetzes über die Beseitigung von Benachteiligungen von Men- schen mit Behinderungen (BehiG) Das Bundesgesetz über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen (Behindertengleichstellungsgesetz, BehiG) konkretisiert den Verfassungsauftrag nach Art. 8 Abs. 4 BV für jene Bereiche, in denen dem Bund die entsprechende Kompetenz zukommt. Der Bund muss zu- sammen mit den Kantonen für die Beseitigung der Benachteiligungen behinderter Menschen sorgen. Zweck des Gesetzes ist, Benachteiligungen zu verhindern, zu verringern oder zu beseitigen, denen Menschen mit Behinderungen ausgesetzt sind (Art. 1 Abs. 1 BehiG). Das Gesetz setzt weiter Rah- menbedingungen, die es Menschen mit Behinderungen erleichtern sollen, am gesellschaftlichen Le- ben teilzunehmen und insbesondere selbstständig soziale Kontakte zu pflegen, sich aus- und fortzu- bilden und eine Erwerbstätigkeit auszuüben (Art. 1 Abs. 2 BehiG). Alle Akteure (Bund und Kantone) haben bei der Verwirklichung des Gesetzeszweckes den besonderen Bedürfnissen behinderter Frau- en Rechnung zu tragen (Art. 5 BehiG). Das BehiG setzt zwei für Bildungsinstitutionen relevante Akzente. Der eine Schwerpunkt bezieht sich auf den Zugang zum öffentlichen Raum: Gebäude, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind – damit also auch Schulgebäude –, müssen bei Neu- und Umbauten hindernisfrei gestaltet werden. Diese Ver- pflichtungen können mittels Klage betroffener Personen und von Behindertenorganisationen durchge- setzt werden (Art. 3 in Verbindung mit Art. 7 BehiG). Die Beseitigung bereits bestehender baulicher Hindernisse ist nur im Rahmen der Verhältnismässigkeit vorgesehen; es gilt abzuwägen zwischen dem Nutzen, der die Beseitigung der Hindernisse für Menschen mit Behinderungen mit sich bringt und dem wirtschaftlichen Aufwand, der dafür benötigt wird (Art. 11 BehiG). Der zweite für Fachhochschu- len wichtige Bereich des BehiG betrifft die Bildung: Nach Art. 3 lit. f BehiG ist die Aus- und Weiterbil- 46 TOBLER CHRISTA, Quoten zum Dritten: Gesetzliche Grundlagen für Frauenförderungsmassnahmen und Entschädigungen für Diskriminierungen, recht 6/2005, S. 220 ff. 47 FREIVOGEL ELISABETH, N 177 zu Art. 3 Abs. 3 GlG, in: Kaufmann Claudia/Steiger-Sackmann Sabine (Hrsg.), Kommentar zum Gleichstellungsgesetz, Basel 2009; TOBLER CHRISTA (Fn. 46), S. 220 ff.; WEBER-DÜRLER BEATRICE, Auf dem Rechtsweg zur Gleichberechtigung, vom Fall Kempin bis heute, in: VSH-Bulletin Nr. 1, April 2008, S. 1–6, S. 4 f. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 19 von 245 dung vom Geltungsbereich des BehiG erfasst. Eine Benachteiligung bei der Inanspruchnahme von Aus- und Weiterbildung liegt gemäss Art. 2 Abs. 5 lit. a und lit. b BehiG insbesondere dann vor, wenn die Verwendung behindertenspezifischer Hilfsmittel oder der Beizug notwendiger persönlicher Assis- tenz erschwert werden oder wenn die Dauer und die Ausgestaltung des Bildungsangebotes sowie der Prüfungen den spezifischen Anforderungen von Lernenden mit einer Behinderung nicht angepasst sind. Zu beachten ist auch hier der Verhältnismässigkeitsgrundsatz. Ein Blick über die Landesgrenze zeigt, dass an einzelnen deutschen Hochschulen spezielle Leitfäden über den Umgang mit behinder- ten Studierenden vorhanden sind 48 . Diese Dokumente enthalten u.a. Anregungen über die Formulie- rung besonderer Prüfungsbedingungen, Hinweise auf spezifische Unterstützung und auf die Notwen- digkeit besonderer Informatikausstattungen. Die Leitlinien beziehen sich sowohl auf den Zugang zum Studium wie auch auf Prüfungsbedingungen. Im Sinne des Leitfadens der deutschen „Informations- und Beratungsstelle Studium und Behinderung (IBS)“ 49 wird darauf hingewiesen, dass besondere physische und psychische Eigenschaften bereits beim Auswahlverfahren von zukünftigen Studieren- den zu berücksichtigen sind. Das gilt insbesondere bei Studiengängen mit Zulassungsbeschränkun- gen. Oftmals werden Aufnahmebedingungen gestellt – wie beispielsweise das Erreichen einer be- stimmten Durchschnittsnote, Berufs- oder Auslandserfahrung, Praktika – die von Menschen mit einer bestimmten körperlichen oder psychischen Konstitution nicht erbracht werden können 50 . Die Verpflichtungen zur Beseitigung von Benachteiligungen behinderter Personen bei der Aus- und Weiterbildung gelten nur für Bildungsangebote des Bundes. Die Fachhochschulen basieren (auch) auf einer bundesrechtlichen Grundlage 51 . Folglich sind die Vorschriften des BehiG über die Aus- und Wei- terbildung für die Fachhochschulen verbindlich. Spezifisch Fachhochschulen betreffende, auf dem BehiG basierende Gerichtsurteile sind nicht bekannt. Im Bericht der Dachorganisationenkonferenz der privaten Behindertenhilfe DOK des Gleichstellungsrates Egalité Handicap und der Fachstelle Egalité Handicap zum fünfjährigen Bestehen des Behindertengleichstellungsgesetzes werden indes eine Rei- he von Fällen aus dem Hochschulbereich aufgelistet, die zeigen, dass die Hochschulen den Anforde- rungen des BehiG nicht immer gerecht werden 52 . So wurde einem körperbehinderten Studenten der Rechtswissenschaft die notwendige Anpassung der Prüfungsbedingungen ebenso wenig gewährt wie einer Studentin mit chronischen Schmerzen. Auch kam es vor, dass eine Rollstuhlfahrerin mangels geeigneten Raums nicht an einer Vorlesung teilnehmen konnte. Der Bericht der DOK würdigt die Fälle mit der Schlussfolgerung; „Die Fallbeispiele zeigen, dass auch an staatlichen Bildungsinstitutionen die Sensibilität für Gleichstellungsfragen teilweise noch zu wenig vorhanden ist“ 53 . 48 Siehe beispielsweise Universität Rostock, Studieren mit Behinderung und/oder chronischer Erkrankung (https://www.uni- rostock.de/fileadmin/UniHome/Studium/downloads/neuer_Leitfaden_8._Auflage_06.12..pdf) (besucht am: 26.05.2010); Univer- sität Paderborn, Leitfaden für Studierende mit Behinderung (http://dsg.uni- paderborn.de/fileadmin/dsg/Dokumente/leitfaden_fuer_studierende_mit_behinderungen.pdf) (besucht am: 26.05.2010); Fach- hochschule Oldenburg/Ostfriesland/Wilhelmshaven, Leitfaden für behinderte und chronisch kranke Studierende (http://www.studentenwerk-oldenburg.de/behinderte/leitfaden_whv.pdf) (besucht am: 26.05.2010). 49 Leitfaden der Informations- und Beratungsstelle für Studium und Behinderung (IBS) des Deutschen Studentenwerks für Gu- tachter/innen der Akkreditierungsagenturen, Berücksichtigung der Belange von Studierenden mit Behinderung bei Akkreditier- ung von Studiengängen und der Systemakkreditierung, Berlin 2009, (besucht am: 30.04.2010). 50 Siehe dazu den Leitfaden der Informations- und Beratungsstelle für Studium und Behinderung (IBS) (Fn. 40), S. 3. 51 Zu den Rechtsgrundlagen der Fachhochschulen siehe vorne, 2.1. 52 Dachorganisation DOK, Fünf Jahre Behindertengleichstellungsgesetz – Wirkungsanalyse und Forderungen, Bern 2009, S. 88 ff., (besucht am: 03.05.2010). 53 DOK, Bericht (Fn. 52), S. 94. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 20 von 245 Auch wenn bis heute noch keine gegen Fachhochschulen oder Universitäten gerichtete erfolgreiche Klage wegen der Verletzung der Vorschriften des BehiG im Bereich Aus- und Weiterbildung zu ver- zeichnen ist 54 , haben die Hochschulen die entsprechenden Verpflichtungen zur Beseitigung von Be- nachteiligungen behinderter Studierenden ernst zu nehmen. Ausländische Gerichtsurteile zeigen, dass die Missachtung von Vorschriften der Behindertendiskriminierungsgesetze durchaus geahndet und mittels Geldstrafen sanktioniert werden können. In Grossbritannien bspw. gewährte ein Gericht einem Studenten, der auf einen Rollstuhl angewiesen ist, eine Entschädigung von 4’000 britischen Pfund. Die Universität hatte es versäumt dafür zu sorgen, dass der Student wie alle übrigen Studie- renden an der auf einer Bühne stattfindenden Abschlusszeremonie teilnehmen konnte 55 . Der in die- sem Fall relevante Disability Discrimination Act (DDA) sieht wie das BehiG eine Verpflichtung zum Nachteilsausgleich vor. Nach dem DDA zieht die Missachtung dieser Verpflichtung eine Entschädi- gungspflicht nach sich 56 . 2.5 Ausländerrechtlich relevante Bestimmungen (AuG/FZA) Um die Relevanz der ausländerrechtlichen Bestimmungen für Diversity-Fragen an Fachhochschulen genauer betrachten zu können, ist vorerst die rechtliche Ausgangslage für den Umgang mit Auslän- derinnen und Ausländern (insbesondere die Zulassungs- und Aufenthaltsbedingungen) von Seiten der Schweiz darzulegen. Anschliessend werden die Integrationsbedingungen aufgezeigt, die sodann auch bedeutsam für die Auseinandersetzung mit Diversity an Fachhochschulen sind. Durch das je mit der Europäischen Union (EU) und der European Free Trade Association (EFTA) abgeschlossene Freizügigkeitsabkommen unterscheidet sich der Personenverkehr zwischen der Schweiz und EU/EFTA Staaten vom Personenverkehr zwischen der Schweiz und Nicht-EU/EFTA Staaten (sog. Drittstaaten). Staatsangehörige der Ersteren können grundsätzlich frei in die Schweiz einreisen und auch einer Erwerbstätigkeit oder Aus- und Weiterbildung nachgehen. Staatsangehörige von Drittstaaten dagegen haben für die Zulassung bestimmte – strengere – Voraussetzungen zu erfül- len. Die rechtlichen Regelungen für Angehörige der EU/EFTA-Staaten sind im Wesentlichen im Frei- zügigkeitsabkommen (FZA) 57 und dem Protokoll zum FZA 58 verankert. Die Voraussetzungen für Dritt- staatsangehörige sind überwiegend im Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG) 59 und der Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE) 60 geregelt. Gemeinsam sind den FZA-Angehörigen und Drittstaatsangehörigen die Regeln über die Integration in der Schweiz (hierzu nachfolgend mehr). 54 Siehe jedoch die in Fn. 45 erwähnte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. 55 Siehe dazu: (besucht am: 03.05.2010). 56 Disability Discrimination Act DDA 1995, part 3, section 25. 57 Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA) vom 1. Juni 2002, SR 0.142.112.681. 58 Protokoll zum Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit im Hinblick auf die Aufnahme der Republik Bulgarien und Rumäniens als Vertragsparteien infolge ihres Beitritts zur Europäischen Union vom 27. Mai 2008, SR 0.142.112.681.1. 59 Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG) vom 16. Dezember 2005, SR 142.20. 60 Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE) vom 24. Oktober 2007, SR 142.201. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 21 von 245 a) Ausländische Studierende in der Schweiz Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Aufnahme eines Studiums in der Schweiz durch eine Ausländerin/einen Ausländer gestalten sich unter anderem wie folgt: Abbildung 1: Ausländerrechtliche Regelungen betreffend Studierende 61 EU/EFTA-Staaten Nicht-EU/EFTA-Staaten (sog. Drittstaaten) Zulassung und Aufenthalt Zu beachten: Das Diskriminierungsverbot als Schlüsselbestimmung des FZA Art. 2 FZA Drittstaatsangehörige erhalten eine Bewilligung wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Die Zulassung liegt im Ermessen der Behörden. Art. 27 AuG i.V.m. Art. 23 VZAE Angehörige von EU/EFTA-Staaten haben grundsätzlich einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthalts- oder Arbeitsbewilligung 62 . Art. 6 FZA i.V.m. Art. 24 Anhang I FZA Voraussetzungen • Ausreichende finanzielle Mittel, um während dem Studienaufenthalt keine Sozialhilfe in Anspruch nehmen zu müssen • Krankenversicherungsschutz Voraussetzungen • Aufnahme des Studiums • Bedarfsgerechte Unterkunft • Notwendige finanzielle Mittel • Gesicherte Wiederausreise Integration Art. 2 Abs. 2 u. 3 AuG i.V.m. Art. 4 AuG und Art. 54 ff. AuG i.V.m. VIntA 61 Quelle: Eigene Darstellung PÄRLI/WANTZ 2011. 62 Von diesem Grundsatz ausgenommen sind die EU-Staaten Rumänien und Bulgarien. Während einer 7-jährigen Über- gangsfrist (ab 2009) sind die Aufenthaltsbewilligungen für Rumänien und Bulgarien beschränkt (Kontingente, siehe das Proto- koll zum Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit im Hinblick auf die Aufnahme der Republik Bulgarien und Rumäniens als Vertragsparteien infolge ihres Beitritts zur Europäischen Union vom 27. Mai 2008, SR 0.142.112.681.1. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 22 von 245 b) Ausländische Arbeitnehmende in der Schweiz Für Ausländerinnen und Ausländer, die an einer Schweizer Fachhochschule einer Berufstätigkeit nachgehen wollen, sind die folgenden rechtlichen Vorgaben einschlägig: Abbildung 2: Ausländerrechtliche Bestimmungen betreffend Hochschulangestellte 63 EU/EFTA-Staaten Nicht-EU/EFTA-Staaten (sog. Drittstaaten) Zulassung und Aufenthalt Zu beachten: Das Diskriminierungsverbot als Schlüsselbestimmung des FZA Art. 2 FZA Notwendigkeit einer Bewilligung durch die zuständige Behörde am Arbeitsort. Art. 11 – 26 AuG i.V.m. Art. 19 ff. VZAE Angehörige von EU/EFTA-Staaten haben grundsätzlich einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthalts- oder Arbeitsbewilligung 64 . Art. 4 FZA i.V.m. Art. 6 ff. Anhang I FZA insbesondere Art. 9 Anhang I FZA (Gleichbehandlung) Voraussetzungen • Ausweis • Einstellungserklärung / Arbeitsbescheinigung Voraussetzungen • Beachtung u. Einhaltung einer möglichen Begrenzungsmassnahme • Fehlen von, für die Stelle geeigneten, inländischen Arbeitnehmenden oder Ange- hörigen von FZA-Staaten • Einhaltung der orts-, berufs- und branchen- üblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen • Einsatz in Führungsposition, als Spezialis- tin/Spezialist oder als eine andere qualifi- zierte Arbeitskraft 65 • Der Einsatz der ausländischen Person muss dem gesamtwirtschaftlichen Interesse entsprechen • Gesuch des Arbeitgebers Integration Art. 2 Abs. 2 u. 3 AuG i.V.m. Art. 4 AuG und Art. 54 ff. AuG i.V.m. VIntA Zentral für Angehörige von EU/EFTA-Staaten ist der allgemeine Grundsatz der Nichtdiskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit (Art. 2 FZA) 66 . Die FZA-Vertragsstaaten haben sich denn auch – Art. 2 FZA konkretisierend – zur sog. Inländergleichbehandlung verpflichtet; ausländischen Staatsan- gehörigen sind dieselben Lebens-, Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen wie den eigenen inländi- schen Staatsangehörigen zu gewährleisten (Art. 7 lit. a FZA i.V.m. den Anhängen I, II und III FZA). 63 Quelle: Eigene Darstellung PÄRLI/WANTZ 2010. 64 Siehe Fn. 62. 65 Art. 23 Abs. 2 AuG hält zudem fest, dass bei der Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen zusätzlich die berufliche Qualifika- tion, die berufliche und soziale Anpassungsfähigkeit, die Sprachkenntnisse und das Alter eine nachhaltige Integration in den schweizerischen Arbeitsmarkt und das gesellschaftliche Umfeld erwarten lassen können müssen. 66 Art. 2 FZA: „Die Staatsangehörigen einer Vertragspartei, die sich rechtmässig im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei aufhalten, werden bei der Anwendung dieses Abkommens gemäss den Anhängen I, II und III nicht auf Grund ihrer Staatsangehörigkeit diskriminiert.“ «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 23 von 245 So dürfen beispielsweise für die Ausstellung eines Ausländerausweises nicht höhere Gebühren ver- langt werden, als für die Ausstellung einer Identitätskarte 67 . Für Arbeitnehmende ist darüber hinaus in Art. 9 Anhang I FZA das Recht auf Gleichbehandlung bei der Ausübung ihrer Erwerbstätigkeit verankert. Dieses Recht garantiert ihnen insbesondere gleiche Bedingungen beim Lohn, der Kündigung und im Falle von Arbeitslosigkeit 68 . Mit diesem, die allgemei- nen Regeln ergänzenden, Diskriminierungsverbot wird arbeitnehmenden FZA-Staatsangehörigen ein umfassender Schutz vor Diskriminierung in Bezug auf alle mit einer Erwerbstätigkeit verbundenen Bereiche gewährt. Für Angehörige von Drittstaaten (weder CH noch EU/EFTA) gestaltet sich die Ausgangslage für die Zulassung zu einem Studium oder einer Erwerbstätigkeit aufgrund strengerer Voraussetzungen (siehe Tabellen) erheblich schwieriger. Obwohl der Zugang zum Arbeits- und Studienmarkt nicht per se ver- wehrt ist, bilden diese Voraussetzungen eine hohe Eintrittsschranke für nicht EU/EFTA-Angehörige und stellen somit, zumindest was die Herkunft betrifft, ein Hindernis für eine möglichst vielfältige Angestellten- und Studierendenschaft dar. Zu beachten ist, dass im Bundesgesetz über Ausländerinnen und Ausländer (AuG) Bestimmungen zur Integration enthalten sind, die für sämtliche Ausländer/innen Geltung haben (Art. 2 Abs. 2 f. AuG, Art. 4 AuG und Art. 53 ff. AuG i.V.m. der Verordnung über die Integration von Ausländerinnen und Auslän- dern (VIntA). Im Zentrum steht der sog. Integrationsartikel (Art. 4 AuG), der in Absatz 3 festhält, dass die Integration gleichermassen den entsprechenden Willen der Ausländerinnen und Ausländer, wie auch die Offenheit der schweizerischen Bevölkerung voraussetzt. Die Anerkennung und Respektie- rung der Andersartigkeit werden als Bedingungen für eine funktionierende Integration angesehen, die nicht als Assimilation verstanden werden soll. Das Bundesgericht hält diesbezüglich fest, dass sich aus dem Integrationsprinzip „grundsätzlich keine über die gesetzlichen Gebote hinausgehende Assi- milationspflicht ableiten [lässt], die von hier lebenden Ausländern eine umfassende Anpassung an hiesige Gebräuche und Lebensweisen verlangen würde“ 69 . Gewünscht bzw. verlangt von Seiten des Staates wird also die Koexistenz der Unterschiedlichkeit und nicht die Dominanz einer bestimmten Kultur und den mit dieser verbundenen menschlichen Eigenschaften 70 . Dies wiederum ist nur möglich, wenn Ausländerinnen und Ausländern die gleichen Möglichkeiten bei der Entfaltung und Entwicklung ihrer persönlichen und beruflichen Lebensumstände zugestanden werden wie Schweizerinnen und Schweizer. In diesem Sinne wird auch das Ziel der Integration formuliert: „Ziel der Integration ist die chancengleiche Teilhabe der Ausländerinnen und Ausländer an der schweizerischen Gesellschaft.“ 71 67 Siehe dazu: ZIMMERLI CHRISTOPH, Arbeits- und bewilligungsrechtliche Auswirkungen des Personenfreizügigkeitsabkommens, N 21, in: Jusletter 15. August 2005, (Jusletter/Archiv Suche/Chronologie/2005/Jusletter 15. August 2007) (besucht am: 23.08.2010). 68 Siehe dazu: PÄRLI KURT, Bedeutung der EuGH-Rechtsprechung für die arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsansprüche nach dem Personenfreizügigkeitsabkommen, N 6 ff., in: Jusletter 14. August 2006, (Jusletter/Archiv Suche/ Chronologie/2006/Jusletter 14. August 2006) (besucht am: 23.08.2010). 69 BGE 134 II 1, Erw. 4.2 das Urteil BGE 119 Ia 178 ff. bestätigend. 70 Siehe mehr dazu: WYSS MARTIN PHILIPP, Ausländische Personen und Integration, in: Uebersax Peter/Rudin Beat/Yar Thomas Hugi/Geiser Thomas (Hrsg.), Ausländerrecht, Eine umfassende Darstellung der Rechtsstellung von Ausländerinnen und Aus- ländern in der Schweiz – von A(syl) bis Z(ivilrecht), 2. Auflage, Basel 2009, S. 1345–1376, N 26.37, siehe auch: Eidgenössische Kommission für Migrationsfragen EKM, Der Integrationsbegriff im Gesetz, Schweiz 2008, insb. S. 3. 71 Art. 2 Abs. 2 VIntA. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 24 von 245 Erreicht werden soll dies dadurch, dass der Bund, die Kantone und die Gemeinden – und auch die öffentlich-rechtlichen Fachhochschulen – bei der Erfüllung ihrer Aufgaben die Anliegen der Integration berücksichtigen. Dies indem sie unter anderem günstige Rahmenbedingungen für die Chancengleich- heit schaffen (Art. 53 II AuG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 VIntA). Den schweizerischen Fachhochschulen obliegt somit die Aufgabe bei der Ausbildung von Studieren- den und bei der Beschäftigung von Mitarbeitenden einen aktiven Beitrag zu einer funktionierenden Integration zu leisten. Bis heute sind in diese Richtung keine Bestrebungen der Fachhochschulen ersichtlich. 2.6 Personalrechtliche Vorschriften Die menschliche Vielfalt gilt es auch in der Personalpolitik der Fachhochschulen zu berücksichtigen. Zum einen aufgrund der bereits erwähnten kantonal- und bundesrechtlichen Vorgaben, die auch das öffentlich-rechtliche Arbeitsverhältnis beeinflussen (vgl. die Grundrechte, insb. Art. 8 Abs. 2 BV). Zum anderen kann eine vielfältig besetzte Belegschaft die sog. Betriebsblindheit in Bezug auf Diversity- Fragen vermindern und damit die Sensibilisierung und Weiterentwicklung in diesem Bereich fördern 72 . Zudem wird Studierenden und zukünftigen Studierenden signalisiert, dass die betreffende Hochschule der menschlichen Vielfalt offen gegenübersteht. Dies wiederum kann allfälligen Hemmungen bei der Kontaktaufnahme mit der Hochschule entgegenwirken 73 . Es gilt: „Eine vielfältige Belegschaft öffnet Wege für eine vielfältige Studierendenschaft“ Eine umfassende Analyse sämtlicher auf Fachhochschulen anwendbaren Diversity-relevanten perso- nalrechtlichen Bestimmungen gestaltet sich aufgrund des Föderalismus und der mit ihm verbundenen Vielzahl an einzelnen kantonalen rechtlichen Grundlagen als zu aufwändig. Die sogleich folgende Tabelle soll lediglich eine grobe Übersicht über die zugänglichen personalrechtlichen Grundlagen der Fachhochschulen geben. Zu beachten ist, dass für alle Fachhochschulen die beiden bereits themati- sierten Gleichstellungsgesetze für Menschen mit einer Behinderung und für die Gleichstellung zwi- schen Frau und Mann zur Anwendung gelangen. Für die Relevanz der ausländerrechtlichen Bestim- mungen im Personalbereich der Fachhochschulen wird auf Kapitel 2.5 verwiesen. 72 FINKE MERVE, Diversity Management, Förderung und Nutzung personeller Vielfalt in Unternehmen, München/Mering 2005, S. 21. 73 S. dazu auch: SABEG YAZID/CHARLOTIN CHRISTINE, La diversité dans l’entreprise, Comment la réaliser?, Paris 2006, S. 57 f. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 25 von 245 Abbildung 3: Diversity-relevante Normen für Fachhochschulen 74 Fachhochschule bzw. Kanton/Bund Rechtliche Grundlage Diversity relevante Merkmale bzw. in den rechtlichen Grundlagen themati- sierte Eigenschaften des Menschen Bund Bundesgesetz über die Fachhochschulen (Fachhochschulgesetz, FHSG) vom 6. Okto- ber 1995, SR 414.71 • Gleichstellung von Frau und Mann (Art. 3 Abs. 5 lit. a) • Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen (Art. 3 Abs. 5 lit. b) Verordnung über Aufbau und Führung von Fachhochschulen (Fachhochschulver- ordnung, FHSV) vom 11. September 1996, SR 414.711 • Gleichstellung von Frau und Mann (Art. 16) Bundesgesetz betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht) vom 30. März 1911, SR 220 • Schutz der Persönlichkeit (Gesundheit, Wahrung der Sittlichkeit, persönliche Integri- tät) (Art. 328 ff.) Berner Fachhochschule (BFH) Gesetz über die Berner Fachhochschule (FaG) vom 19. Juni 2003, BSG 435.411 • Gleichstellung von Frau und Mann (Art. 14) Trägerkanton: Bern Teilhochschulen: HSB / HTI / HWS / HKB / EHSM / SHL Verordnung über die Berner Fachhochschule (Fachhochschulverordnung, FaV) vom 5. Mai 2004, BSG 436.811 • Gleichstellung von Frau und Mann (Art. 3) Statut der Berner Fachhochschule vom 9. November 2005 (Fachhochschulstatut, FaSt), BSG 436.811.1 • Gleichstellung von Frau und Mann (Art. 7 Abs. 1 lit. f und Art. 30) Personalgesetz (PG) vom 16. September 2004, BSG 153.01 • Gleichstellung von Frau und Mann (Art. 4 lit. f) • Schutz der persönlichen Integrität (Art. 4 lit. g) • Landessprachen (Art. 4 lit. h) • Integration und Beschäftigung von Behinder- ten (Art. 4 lit. k) Personalverordnung (PV) vom 18. Mai 2005, BSG 153.011.1 • Gleichstellung von Frau und Mann (Art. 3) • Integration und Beschäftigung von Behinder- ten (Art. 4) 74 Quelle: Eigene Darstellung PÄRLI/WANTZ 2010. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 26 von 245 Zürcher Fachhochschule (ZFH) Fachhochschulgesetz (FaHG) vom 2. April 2007, OS 414.10 - Trägerkanton: Zürich Teilhochschulen: ZHAW / ZHdK / PHZH Verordnung zum Fachhochschulgesetz vom 8. April 2009, OS 414.101 - Personalverordnung der Zürcher Fach- hochschule (PVF) vom 16. Juli 2008, OS 414.112 • Diskriminierung (allg.) (§ 9) Diskriminierungsreglemente der ZHAW, ZHdK, PHZH Keine Diskriminierung aufgrund von: • Herkunft • Religion • körperliche oder psychische Eigenschaften • Weltanschauung • sexuelle Orientierung Gesetz über das Arbeitsverhältnis des Staatspersonals (Personalgesetz) vom 27. September 1998, OS 177.10 • Chancengleichheit für Frau und Mann (§ 5 lit. h) • Beschäftigung und Integration von Behinder- ten (§ 5 lit. i) • Schutz der Persönlichkeit (Leben, Gesundheit, persönliche Integrität) (§ 39) Personalverordnung vom 16. Dezember 1998, OS 177.11 • (Gleichstellung zwischen Frau und Mann (§19 a)) Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) Gesamtarbeitsvertrag • Gleichstellung von Frau und Mann (Punkt 2.4) • Schutz der Würde und Persönlichkeit (Punkt 2.1 Abs. 1) • Diskriminierung (allg.) (Punkt 2.1 Abs. 2) Trägerkantone: Aargau, Basel-Stadt, Basel-Land, Solothurn Hochschulen: Hochschule für Angewandte Psychologie APS Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik HABG / Hochschule für Gestaltung und Kunst HGK / Hochschule für Life Sciences HLS / Musikhochschulen MHS / Pädagogische Hochschule PH / Hochschule für Soziale Arbeit HSA / Hochschule für Technik HT / Hochschu- le für Wirtschaft HSW «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 27 von 245 Fachhochschule Ostschweiz (FHO) Je nach Arbeitskanton unterschiedliche Rechtsgrundlagen Trägerkantone: Appenzell-Ausserrhoden, Appenzell- Innerrhoden, Fürstentum Liechtenstein, Glarus, Graubünden, St. Gallen, Schwyz, Thurgau, Zürich Teilhochschulen: FHS St. Gallen / NTB Buchs / HSR Rapperswil Vereinbarung über die Fachhochschule Ostschweiz vom 20. September 1999, RB 412.631 - Kanton St. Gallen Staatsverwaltungsgesetz vom 16. Juni 1994, sGS 140.1 • Schutz vor ungerechtfertigten Angriffen (Art. 72 Abs. 3) Verordnung über den Staatsdienst vom 5. März 1996, sGS 143.20 - Kanton Graubünden Gesetz über das Arbeitsverhältnis der Mitarbeitenden des Kantons Graubünden (Personalgesetz, PG) vom 14. Juni 2006, BR 170.400 • Schutz der Persönlichkeit (Art. 46) Personalverordnung (PV) vom 12. Dezem- ber 2006, BR 170.410 • Chancengleichheit (allg.) (Art. 1 Abs. 5) • Schutz der Mitarbeitenden gegen psychi- sche und physische Belästigung am Ar- beitsplatz (Art. 57 Abs. 1) • Diskriminierung (allg.) (Art. 57 Abs. 1) Fachhochschule Zentralschweiz (FHZ) Verordnung zum Personalgesetz vom 24. September 2002 (Personalverordnung), SRL 52 • Chancengleichheit von Frau und Mann (§ 56) • Schutz der Persönlichkeit (§ 51 i.V.m. ArG) Trägerkantone: Luzern, (Zug) 75 Teilhochschulen: Technik und Architektur, Horw / Wirtschaft, Luzern, Zug / Design & Kunst, Luzern (Musik, Luzern / Soziale Arbeit, Luzern) 76 Allgemeine Anstellungsbedingungen Hochschule Luzern (AAB HSLU) vom 3. Februar 2010, Version 8.0 • Diskriminierung (allg.) (Schutz der Persön- lichkeit) (Punkt 2.1) • Gleichstellung (allg.) (Punkt 2.2) 75 Die Mitarbeitenden des Standorts Zug unterstehen dem Luzerner Personalrecht. 76 Die Teilhochschulen Musik und Soziale Arbeit sind als Stiftungen strukturiert und unterstehen eigenem Personalrecht. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 28 von 245 Haute école spécialisée de la Suisse occidentale (HES-SO) Vom Arbeitskanton abhängige Rechtsgrundlagen Trägerkantone: Freiburg, Genf, Jura, Neuenburg, Waadt, Wallis Teilhochschulen: HEAA Arc, La Chaux-de-Fonds, HEG Arc, Neuchâtel-Delémont / EI Arc, Le Locle, Por- rentruy / HEdS Arc, Delémont, Neuchâtel / EIA Fribourg / HEG Fribourg / HEdS Fribourg / HEF Givisiez / EIG Genève / EIL Jussy / HEAD Genève / HEG Genève / HEdS Genève / HETS Genève / HEM Genève / HEVs Sierre, Siders, Visp / HEIG Yverdon-les-Bains / ECAL Lausanne / HECVSanté Lausanne / HEdS La Source Lausanne / EESP Lausanne / CDL- HEM Lausanne / EIC Nyon / EHL Lausanne Kanton Freiburg Gesetz über das Staatspersonal (StPG) vom 17. Oktober 2001, SGF 122.70.1 • Chancengleichheit (allg.) (Art. 4 lit. d) • Gleichstellung von Frau und Mann (Art. 4 lit. d) • Sprache (Art. 4 lit. j) • Eingliederung von behinderten Personen (Art. 4 lit. h) • Schutz der Persönlichkeit (Art. 130 Abs. 1) Reglement für das Staatspersonal vom 17. Dezember 2002 (StPR), SGF 122.70.11 • Gleichstellung von Frau und Mann (Art. 20 Abs. 2) • Sprache (Art. 20 Abs. 2) Kanton Genf Loi générale relative au personnel de l’administration cantonale, du pouvoir judiciaire et des établissements publics médicaux (LPAC) du 4 décembre 1997, RSG B 5 05 Pas de discrimination fondée sur une carac- téristique personnelle comme: • le sexe • l’orientation sexuelle • le handicap ou les particularités physiques • les convictions religieuses ou politiques (Art. 2A) • Protection de la personnalité (Art. 2B Abs. 1) • Égalité entre femmes et hommes (Art. 2C) Règlement relatif à la protection de la personnalité à l’Etat de Genève du 1 er janvier 2009 (RPPers), RSG B 5 05 10 „Le Conseil d’Etat veille à la protection (…) de toute atteinte à la personnalité“ (Art. 1) «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 29 von 245 Kanton Jura Loi sur le statut des magistrats, fonction- naires et employés de la République et Canton du Jura du 26 octobre 1978, RSJU 173.11 • Schutz der Persönlichkeit (Art. 1 Abs. 5 i.V.m. Art. 328 ff. OR) Directives concernant la violation des droits de la personnalité et en particulier le harcèlement sur le lieu de travail „Tout comportement qui va à l'encontre de la volonté d'une personne et qui est de nature à porter atteinte à sa dignité, à son intégrité physique ou psychique ou qui l’empêche d’exercer sa fonction est interdit.“ (Art. 2) Statut du personnel de l’Haute École Arc „Le personnel (…) a droit au respect de sa personnalité (…).“ (Art. 36) Kanton Waadt Loi sur le personnel de l’Etat de Vaud (LPers-VD) du 12 novembre 2001, RSV 172.31 • Égalité des chances entre femmes et hommes (Art. 5 Abs. 3) Règlement d’application de la loi du 12 novembre 2001 sur le personnel de l’Etat de Vaud du 9 décembre 2002 (RLPers-VD), RSV 172.31.1 - Kanton Wallis Gesetz über das Dienstverhältnis des Personals der Fachhochschule Wallis (FH- Wallis) vom 26. Juni 2000, SGS 417.02 („Jede Bezeichnung der Person, des Status oder der Funktion gilt unterschiedslos für Frau und Mann“) (Art. 3) Scuola Universitaria Professionale della Svizzera Italiana (SUPSI) Regolamento del personale della Scuola Universitaria Professionale della Svizzera Italiana (SUPSI) dal 11 luglio 2008 • Proteggere la personalità (Art. 1.2 Ziff. 2) • Pari Opportunità (Art. 1.2 Ziff. 4) Die Übersicht zeigt auf, dass alle kantonalen Regelungen den Schutz der Persönlichkeit der Arbeit- nehmenden erwähnen. Teilweise sind die Regelungen recht umfassend wie bspw. im Kanton Genf; die entsprechende Regelung hält generell den Schutz der Persönlichkeit fest und verbietet ausdrück- lich die Diskriminierung wegen des Geschlechts, der sexuellen Orientierung, einer Behinderung sowie religiöser oder politscher Überzeugungen. Teilweise ist lediglich ein Schutz vor Diskriminierung auf- grund des Geschlechts verankert (Kanton Waadt). Der Kanton Jura verweist unter anderem auf den arbeitsrechtlichen Persönlichkeitsschutz (Art. 328 OR). Solange es in der Schweiz an einem umfas- senden gesetzlichen Diskriminierungsschutz im Obligationenrecht fehlt, bildet Art. 328 OR den «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 30 von 245 Anknüpfungspunkt, um Diskriminierungen im Arbeitsleben zu bekämpfen 77 . Speziell erwähnenswert sind die Diskriminierungsreglemente der Teilschulen der Zürcher Fachhochschule. Festgehalten werden kann, dass bei den rechtlichen Regelungen bezüglich des Fachhochschulperso- nals eine ähnliche Situation anzutreffen ist wie bei den zuvor analysierten rechtlichen Grundlagen für die Studierenden der einzelnen Fachhochschulen: Die Gleichstellungsfrage zwischen Frau und Mann ist stark verankert, der Umgang mit Menschen mit einer Behinderung wird teilweise aufgegriffen und weitere, die menschliche Vielfalt ausmachende Merkmale, werden fast vollkommen unberücksichtigt gelassen. Allerdings darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass die „Persönlichkeit“, welche bis auf die rechtlichen Regelungen der Kantone Waadt und St. Gallen, in der ein oder anderen Form als Schutzobjekt in den untersuchten personalrechtlichen Vorschriften genannt wird, verschiedenste, für Diversity-relevante, Aspekte des menschlichen Daseins umfasst. 3. Rechtliche („Diversity“) Grundlagen der Fachhochschulen auf kantonaler Ebene 3.1 Allgemeines Über die dargestellten normativen Vorgaben zum Umgang mit Vielfalt und zum Schutz vor Diskriminie- rung auf Bundesebene hinaus, haben alle Fachhochschulen zusätzlich kantonale Vorgaben zu befol- gen. 3.2 Die kantonalen Verfassungen und ihr Regelungsgehalt in Bezug auf «Diversity» Die verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbote und die gesetzlichen Konkretisierungen im Be- hindertengleichstellungsgesetz und im Gesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann stellen eine minimale Vorgabe für das Handeln jeder Fachhochschule bezüglich ihrer Diversity-Politik dar. Ver- bindliche Leitplanken lassen sich überdies aus den Kantonsverfassungen ableiten. Entsprechende Grundrechtsgarantien haben indes nur eine Bedeutung, soweit diese nicht bereits durch den Grund- rechtskatalog der Bundesverfassung gegeben sind. Die nachfolgende Abbildung 4, „Die Diskriminie- rungsmerkmale in den Rechtsgleichheitsgeboten der Kantonsverfassungen im Überblick“, zeigt auf, dass beispielsweise der Kanton Waadt das Aussehen explizit dem Diskriminierungsverbot unterstellt, während dies in der Bundesverfassung nicht ausdrücklich erwähnt wird. 77 Siehe dazu umfassend: PÄRLI KURT, Vertragsfreiheit, Gleichbehandlung und Diskriminierung im privatrechtlichen Arbeitsver- hältnis: völker- und verfassungsrechtlicher Rahmen und Bedeutung des Europäischen Gemeinschaftsrechts, Bern 2009, S. 502–577. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 31 von 245 Abbildung 4: Die Diskriminierungsmerkmale in den Rechtsgleichheitsgeboten der Kantonsverfassungen im Überblick 78 Die Zusammenstellung zeigt, dass vierzehn 79 der siebzehn untersuchten Kantone in ihrer Verfassung die Religionsfreiheit (bzw. Glaubens- und Gewissens- oder Bekenntnis- / Weltanschauungsfreiheit) ausdrücklich festhalten. Zudem äussern sich einzelne Kantone explizit, das heisst über ein allfälliges Diskriminierungsverbot der Verfassung hinaus, zu Menschen mit einer Behinderung. Zu nennen ist diesbezüglich der Kanton Basel-Stadt (einer der Trägerkantone der FHNW), der in § 8 III der Kantons- verfassung explizit festhält, dass der Zugang zu Bauten und Anlagen sowie die Inanspruchnahme von Einrichtungen und Leistungen, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind, soweit wirtschaftlich zumutbar, gewährleistet werden müssen. Auch der Kanton Jura (HES-SO) konstatiert in Art. 36 der Kantonsver- fassung, dass der Staat Sondereinrichtungen unterhält und fördert, in denen Behinderte eine ihnen angemessene Ausbildung erhalten. Ebenfalls die Förderung der Integration von Behinderten anstre- bend hält der Kanton Waadt (HES-SO) in Art. 61 der Kantonsverfassung fest, dass die spezifischen Bedürfnisse behinderter Personen und ihrer Familie durch den Staat und die Gemeinden berücksich- tigt und ihre Selbständigkeit, die soziale, schulische und berufliche Integration, die Beteiligung am gesellschaftlichen Leben sowie die Entfaltung im Familienumfeld gewährleistet werden. Wie der Kan- ton Basel-Stadt hält auch der Kanton Graubünden (FHO) in seiner Verfassung fest, dass Menschen mit einer Behinderung zu integrieren sind und der Kanton und Gemeinden im Rahmen ihrer Möglich- keiten für behindertengerechten Zugang zu öffentlichen Bauten und Anlagen sorgen 80 . Eine ausdrück- 78 Quelle: Eigene Untersuchung PÄRLI/WANTZ, 2010. 79 Kanton Aargau, § 10 KV; Kanton Basel-Land, § 6 II lit. b KV; Kanton Basel-Stadt, § 11 I lit. k KV; Kanton Bern, 14 KV; Kanton Freiburg, Art. 15 KV; Kanton Jura, Art. 8 lit. 3 KV; Kanton Neuenburg, Art. 16 KV; Kanton Solothurn, Art. 10 KV; Kanton St. Gallen, Art. 2 lit. i KV; Kanton Tessin, Art. 8 II lit. b; Kanton Waadt, Art. 16 KV; Kanton Wallis, Art. 2 KV; Kanton Zug, § 3; Kanton Zürich, Art. 11 KV. 80 Art. 86 KV Graubünden. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 32 von 245 liche Äusserung zu Menschen mit einer Behinderung findet man zudem in der Kantonsverfassung des Kantons Zürich, die in Art. 115 darauf hinweist, dass Kanton und Gemeinden für ein Bildungswesen Sorge tragen müssen, das die geistigen, seelischen, sozialen und körperlichen Fähigkeiten des ein- zelnen Menschen berücksichtigt und fördert, seine Verantwortung und seinen Gemeinsinn stärkt und auf seine persönliche und berufliche Entwicklung ausgerichtet ist. Im Weiteren wird in Art. 12 der Kan- tonsverfassung festgehalten, dass die Sprachenfreiheit auch die Gebärdensprache umfasst. 3.3 Die Fachhochschulen im Einzelnen a) Scuola Universitaria Professionale della Svizzera Italiana (SUPSI) Die Scuola Universitaria Professionale della Svizzera Italiana (SUPSI) stützt sich auf das Gesetz über die Fachhochschule der italienischen Schweiz 81 , das in Art. 1 festhält, dass die Gleichstellung von Frau und Mann zu berücksichtigen ist. Weitere – die Diversität kennzeichnende – Attribute des Men- schen werden nicht berücksichtigt bzw. nicht thematisiert. Umgesetzt wird der Auftrag zur Ge- schlechtergleichstellung unter anderem mit einer Anlaufstelle für diesbezügliche Fragen (www.gender.supsi.ch). Auch in einer zugänglichen internen Richtlinie findet man den Hinweis, dass die Chancengleichheit bei der Einstellung von neuen Mitarbeitenden zu beachten ist 82 . Während das Geschlecht an verschiedenen Stellen berücksichtigt wird, finden sich keine Stellung- nahmen oder rechtliche Grundlagen seitens der SUPSI in Bezug auf den Umgang mit anderen, den Menschen prägenden, Merkmalen. b) Fachhochschule Bern (BFH) Das Berner Fachhochschulgesetz, wie auch die Berner Fachhochschulverordnung halten fest, dass Frau und Mann gleichberechtigt sind 83 . Dies wird im Statut der Berner Fachhochschule (BFH) und im Reglement über die Gleichstellung von Frauen und Männern der Berner Fachhochschule nochmals betont und etwas ausführlicher dargestellt 84 . Auch verfügt die BFH über eine Kommission für die Gleichstellung von Frau und Mann 85 die insbesondere für die Beratung der Schulleitung, die Entwick- lung und Umsetzung von Massnahmen zur tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter und die Projektförderung in der Geschlechterforschung und Genderthematik zuständig ist 86 . Jedes Departe- ment der BFH verfügt über eine eigene Ansprechperson bei Genderfragen. Die Berner Fachhochschule befasst sich vom Fachhochschulgesetz bis hin zum Fachhochschulreg- lement ausführlich mit der Gleichstellung der Geschlechter und setzt hiermit ein klares Zeichen, dass sie für die Chancengleichheit zwischen Frau und Mann einsteht und diese auch gewährleistet. Andere Aspekte der menschlichen Vielfalt werden jedoch nicht, oder nur am Rande thematisiert. 81 Legge sull’Università della Svizzera italiana, sulla Scuola universitaria professionale della Svizzera italiana e sugli Instituti di ricerca del 3 ottobre 1995, RL 5.3.1.1. 82 Ziff. 8. der Direttiva 2.A v5 16.03.2010, Procedure e competenze in materia d’assunzione der Scuola universitaria profession- ale della Svizzera italiana. 83 Art. 14 des Gesetzes über die Berner Fachhochschule (FaG) vom 19. Juni 2003, BSG 435.411; Art. 9 der Verordnung über die Berner Fachhochschule (Fachhochschulverordnung, FaV) vom 5. Mai 2004, BSG 436.811. 84 Art. 30 des Statuts der Berner Fachhochschule (Fachhochschulstatut, FaST) vom 9. November 2005, BSG 436.811.1; Reglement über die Gleichstellung von Frauen und Männern der Berner Fachhochschule (GFMR) vom 18. August 2005. 85 Kommission für die Gleichstellung von Frauen und Männern der BFH. 86 Strategische Ausrichtung der Tätigkeiten der Kommission für die Gleichstellung von Frauen und Männern, Schwerpunkt für die Jahre 2009 und 2010, S. 1. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 33 von 245 c) Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) Die Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) wird von vier Kantonen (Basel-Land und Basel-Stadt, Aargau und Solothurn) getragen. Rechtliche Grundlage der FHNW bildet der Staatsvertrag der vier Trägerkantone. In § 11 des Staatsvertrags wird die Gleichstellung der Geschlechter an der FHNW ausdrücklich festgehalten 87 . Auch der Gesamtarbeitsvertrag der FHNW erfasst unter Punkt 2.4 die Förderung der Geschlechtergleichstellung 88 . Wie bei der BFH sind auch bei der FHNW keine Regelungen ersichtlich, die sich mit anderen Merkma- len des Menschen als des Geschlechts befassen. Anzumerken ist jedoch, dass sich die FHNW ge- mäss einer auf der Webseite der FHNW ersichtlichen Information ab dem Jahr 2010 auch dem Aspekt Diversity annehmen will 89 . d) Fachhochschule Ostschweiz (FHO) In den hochschulspezifischen Regelungen fehlen ausdrückliche Vorgaben hinsichtlich des Diskriminie- rungsverbotes, sei dies in Bezug auf das Geschlecht oder anderer Merkmale. Jede Teilschule verfügt jedoch über eine Ansprechperson bei Fragen in Bezug auf die Chancengleichheit zwischen Frau und Mann, die wiederum einer teilschulübergreifenden Koordinationsstelle für Chancengleichheit zugeord- net ist 90 . Die Fachhochschule Ostschweiz (FHO) stellt keine Ausnahme zu den bereits betrachteten Fachhoch- schulen dar. Auch sie setzt sich primär mit der Gleichstellung zwischen Frau und Mann auseinander und lässt andere Diskriminierungsmerkmale aus. Erwähnenswert ist, dass die Fachhochschule über ein Institut für „Gender und Diversity“ (IGD) (www.gender-diversity.ch) verfügt, das sich unter anderem für die Initiierung und Bündelung von Aktivitäten zu Gender und Diversität in Forschung, Lehre und Dienstleistungen einsetzt. e) Fachhochschule Zürich (ZFH) Bei der Zürcher Fachhochschule (ZFH) ist darauf hinzuweisen, dass sich die Organisation der Teil- schulen unterscheidet: Während die drei staatlichen Hochschulen, die ZHAW, die ZHdK und die PHZH, als selbständige öffentlich-rechtliche Anstalten mit eigener Rechtspersönlichkeit organisiert sind, unterstehen die HSZ-T und die HWZ einer privaten Trägerschaft 91 . Die Richtlinie „Chancengleichheit von Frau und Mann an der ZFH“ regelt teilhochschulübergreifend die geschlechterbezogene Chancengleichheit von Studierenden und allen anderen Angehörigen der ZFH 92 . Bei den öffentlich-rechtlichen ZFH-Teilhochschulen (ZHAW, ZHdK und PHZH) wird diese Richtlinie gestärkt durch die teilhochschuleigenen Diskriminierungs-Reglemente, mit denen Diskrimi- nierungen aufgrund des Geschlechts, des Alters, der Herkunft, der Religion, körperlicher oder psychi- scher Eigenschaften, der Weltanschauung oder sexueller Orientierung verboten werden, sofern sie 87 Staatsvertrag zwischen den Kantonen Aargau, Basel-Landschaft, Basel-Stadt und Solothurn über die Fachhochschule Nord- westschweiz (FHNW) vom 27. Oktober 2004/9. November 2004/18./19. Januar 2005, SAR 426.070. 88 Fachhochschule Nordwestschweiz, Gesamtarbeitsvertrag für die Fachhochschule Nordwestschweiz, S. 20. 89 Siehe dazu: (besucht am: 06.04.2010). 90 Siehe dazu: (besucht am: 30.04.2010). 91 Zur ZFH und den rechtlichen Grundlagen im Kanton Zürich, siehe: (besucht am: 30.04.2010). 92 Art. 1 Richtlinie „Chancengleichheit von Frau und Mann an der Zürcher Fachhochschule vom 17. Juni 2004. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 34 von 245 sich nicht durch einen sachlichen Grund rechtfertigen lassen 93 . Dem Diskriminierungsreglement der ZHAW ist das Bekenntnis zu entnehmen, dass keinerlei Diskriminierungen geduldet werden (§ 3 ZHAW-Richtlinie). In § 8 der ZHAW-Richtlinie wird eine Anlaufstelle bezeichnet, die bei Fragen mit Bezug auf Diskriminierung beratend und unterstützend zur Seite steht. Weiter wird in § 9 festgehalten, dass ein Arbeits- und Studienklima geschaffen werden soll, das Diskriminierung entgegenwirkt. Die Departemente der ZHAW verfügen darüber hinaus über eine Stabsstelle „Diversity/Gender“ 94 . Zudem verfügt die ZHAW seit dem 1. Juni 2003 über eine Fachstelle „Gender Studies“, die vom Bundesamt für Berufsbildung und Technologie unterstützt wird. Weiter erwähnt werden kann die ZHAW-interne Gender-Policy, die auf dem Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann, auf dem Fachhochschulgesetz, der Fachhochschulverordnung, dem kantonalen Personalgesetz, der kantona- len Personalverordnung und den Grundwerten der ZHAW beruht 95 . Auch die von privaten Trägern geführte Hochschule für Wirtschaft (HWZ) unterhält eine Kontaktstelle für Chancengleichheit und führte für Dozierende der Hochschule die Weiterbildung „Diversity- und Genderkompetenz in der Lehre“ durch 96 . Dies lässt auf eine Sensibilisierung in Bezug auf Diversity- Fragen schliessen. f) Fachhochschule Zentralschweiz (FHZ) An der Fachhochschule Zentralschweiz (FHZ) ist eine Stabsstelle für die Koordination der Chancen- gleichheit an der Hochschule zuständig 97 . Darüber hinaus führen die Teilschulen Technik & Archi- tektur, Soziale Arbeit und Musik eine Stelle, die sich der Gleichstellung zwischen Frau und Mann im jeweiligen Departement annimmt. Die FHZ, so scheint es, konzentriert sich überwiegend auf die Geschlechtergleichstellung. Stellung- nahmen, Hinweise oder rechtliche Dokumente, die sich anderen Aspekten der sozialen Diversität als dem Geschlecht annehmen sind nicht ersichtlich. g) Haute école spécialisée de la Suisse occidentale (HES-SO) Die Fachhochschule Westschweiz verweist in Bezug auf die rechtlichen Grundlagen ihrer Chancen- gleichheitspolitik auf das Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann, das Bundesge- setz über die Fachhochschulen, Art. 16 der Verordnung über Aufbau und Führung von Fachhochschu- len, das Bundesprogramm Chancengleichheit von Frauen und Männern an den Fachhochschulen und Art. 7 des interkantonalen Konkordats zur Schaffung einer Fachhochschule der Westschweiz 98 . Wie bei den vorhergehend betrachteten Fachhochschulen ist auch an der HES-SO der Fokus auf die Gleichstellung der Geschlechter gelegt. Erwähnenswert ist, dass die Hochschule in der Rollen- und 93 Reglement zum Schutz vor Diskriminierung (Diskriminierungs-Reglement) vom 18. Februar 2009 der ZHdK, (besucht am: 30.04.2010); Weisung zum Schutz vor Diskriminierung, sexueller Belästigung und Mobbing an der Pädagogischen Hochschule Zürich, (besucht am: 30.04.2010); Reglement zum Schutz vor Diskriminierung, sexueller Belästigung und Mobbing der ZHAW, (besucht am: 30.04.2010). 94 ZHAW, „Diversity Gender“, (besucht am 30.04.2010). 95 ZHAW, Gender Policy vom 6. März 2008, (besucht am: 30.04.2010). 96 HWZ, „Gender & Diversity“, (besucht am: 30.04.2010). 97 HSLU, Chancengleichheit an der Hochschule Luzern, (besucht am: 30.04.2010). 98 Hes-so, Égalité des chances, (besucht am: 30.04.2010). «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 35 von 245 Aufgabenbeschreibung der Chancengleichheits-Stelle darauf hinweist, dass „innovative“ Projekte ge- fördert werden sollen, die über die Gleichstellungsthematik „Frauen/Männer“ hinausgehen 99 . Dies lässt erkennen, dass die Fachhochschule auf die Diversity-Thematik sensibilisiert ist. IV Fazit: Wenig „Diversity“ im Allgemeinen, viele Vorschriften bezüglich Geschlecht und Defizite im Bereich Behinderung Weder in den kantonalen Fachhochschulgesetzen, noch in den kantonalen Fachhochschulverordnun- gen oder anderen rechtlichen Grundlagen der Fachhochschulen wird spezifisch die Förderung der Vielfalt in der Studentenschaft erwähnt oder die bereits aufgrund der Bundesverfassung und zum Teil der kantonalen Verfassungen geforderte Nichtdiskriminierung umfassend konkretisiert. Eine Ausnah- me bilden das Berner Fachhochschulgesetz und Fachhochschulverordnung; in beiden wird das Gebot der Gleichstellung von Frau und Mann aufgegriffen 100 . In Bezug auf die Gleichstellung der Geschlech- ter ist zudem zu erwähnen, dass sämtliche Fachhochschulen bzw. Fachhochschulverbände eine Gleichstellungsstelle haben 101 . Somit ist – wenn auch nicht überall auf kantonaler Ebene ausdrücklich gesetzlich verankert – eine Vorgabe für die Geschlechtergleichstellung vorhanden 102 . Andere im Dis- kriminierungs- und Diversity-Diskurs bedeutende Merkmale wie die Rasse oder ethnische Herkunft, eine Behinderung, die Religion und Weltanschauung, das Alter oder die sexuelle Orientierung finden weder Eingang in die gesetzlichen Grundlagen für die Fachhochschulen, noch in die Hochschulregle- mente. Auch bestehen keine spezifischen Förderungsangebote. Zu erwähnen sind immerhin die Re- gelungen dreier Teilschulen der Zürcher Fachhochschule bezüglich Diskriminierungs- und Belästi- gungsverbot 103 . Zudem weisen einige wenige Fachhochschulen oder Fachhochschulverbände darauf hin, dass in Zukunft Anliegen, die mit der gesellschaftlichen Vielfalt zusammenhängen, in den Fokus genommen werden 104 . (Die Hochschule Luzern, die Fachhochschule Nordwestschweiz und die Zür- cher Fachhochschule haben inzwischen Grundlagenpapiere zu Divesity verabschiedet; Anm. d. Hrsg.) Die starke Verankerung von Gleichstellungsaktivitäten im Bereich der Geschlechtergleichstellung bil- det die prominente rechtliche Verankerung des Verbots der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der Forderung nach rechtlicher und tatsächlicher Gleichstellung der Geschlechter ab. Kein ver- gleichbares Bild lässt sich aufgrund der vorliegenden Untersuchung bezüglich des Merkmals Behinde- rung konstatieren. Zwar hat der Gesetzgeber wie beim Merkmal Geschlecht gestützt auf die Verpflich- tung in der Bundesverfassung (Art. 8 Abs. 4 BV) ein Gesetz zur Beseitigung der Benachteiligung be- hinderter Menschen (BehiG) erlassen und wird im Fachhochschulgesetz des Bundes auf diese Ver- 99 Hes-so, Égalité des chances, (besucht am: 30.04.2010). 100 Art. 14 des Gesetzes über die Berner Fachhochschule (FaG) vom 19. Juni 2003, BSG 435.411; Art. 9 der Verordnung über die Berner Fachhochschule (Fachhochschulverordnung, FaV) vom 5. Mai 2004, BSG 436.811. 101 (BFH), (besucht am: 30.04.2010); (FHNW), (besucht am: 30.04.2010); (FHO), (besucht am: 30.04.2010); (FHZ), (besucht am: 30.04.2010), (HES-SO), (besucht am: 30.04.2010); (ZFH), (besucht am: 30.04.2010). 102 Dies entspricht auch der Forderung des BBT und seinem Bundesprogramm Chancengleichheit von Frauen und Männern an den Fachhochschulen, siehe: (besucht am: 30.04.2010). 103 Siehe dazu: Fn. 93. 104 (FHNW), (besucht am: 30.04.2010); (ZFH), (besucht am: 30.04.2010); siehe auch: (HES-SO), (besucht am: 30.04.2010). «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 36 von 245 pflichtung Bezug genommen (Art. 3 Abs. 5 lit. b FHSG). Auch nehmen die Akkreditierungsbedingun- gen die Thematik zumindest hinsichtlich des hindernisfreien Zugangs zu den Bauten auf. Das BehiG fordert jedoch über die Schaffung hindernisfreier Zugänge zu Gebäuden hinaus auch die Beseitigung von Benachteiligungen bei der Inanspruchnahme von Aus- und Weiterbildung. Entsprechende Richtli- nien zur Umsetzung dieser bundesrechtlichen Anforderungen fehlen soweit ersichtlich weitgehend. Die zuständigen Behörden sind hier gefordert, entsprechende Richtlinien zu erarbeiten. Ein Blick nach Deutschland zeigt beispielhaft, wie und in welchen Bereichen die Nachteilsausgleichung geregelt sein sollte und verdeutlicht, dass der hindernisfreie Zugang zu Bauten nur ein kleiner Aspekt der Gleich- stellung zwischen behinderten Menschen und körperlich und psychisch gesunden Menschen ist. Die Defizite im Bereich von Richtlinien zur Beseitigung von Benachteiligungen Behinderter und das Fehlen von Bestimmungen zum Umgang mit Diskriminierungs- und Diversity-Fragen bezüglich Alter, sexueller Orientierung, ethnischer Herkunft und Religion bringen reale Probleme im Alltag der Fach- hochschulen mit sich. Sie werden bspw. mit Anliegen religiöser Minderheiten auf Nichtdurchführung von Prüfungen an bestimmten Wochentagen konfrontiert oder müssen entscheiden, ob behinde- rungsbedingte Anpassungen bei Prüfungen vorgenommen werden können. Die heute ausserhalb des Merkmals Geschlecht weitgehend fehlenden Diskriminierungsschutzrege- lungen und Diversity-Politiken der schweizerischen Fachhochschulen können sich (auch) als Nachteil beim heute überall geforderten und geförderten „going international“ erweisen. Dies, da ausländische Hochschulen, die sich selbst einer aktiven Diskriminierungsschutz- und Diversity-Politik verschrieben haben künftig vermehrt nur mit schweizerischen Partnern zusammenarbeiten wollen, die diesbezüg- lich für Studierende und Arbeitnehmende vergleichbare Bedingungen bieten. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 37 von 245 2. Wie kategorisch sind die Kategorien? – Geschlecht et cetera (Nathalie Amstutz) „Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Ge- schlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltan- schaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung.“ Die Verfassungen oder die Gleichbehandlungsgesetzgebung, in diesem Fall die schweizerische Bun- desverfassung, gelten vielen Diversitypolitiken als Referenz bei der Auswahl der aufgeführten Katego- rien. Diversitypolitiken von Organisationen beziehen sich zum einen auf rechtliche Vorgaben, zugleich wird eine aktive „Bewirtschaftung“ und Wertschätzung von Vielfalt aller Angehörigen der Hochschulen angestrebt, der Studierenden, der Mitarbeitenden und weiteren Partnerinnen und Partner der Instituti- onen. Ziel der Diversitypolitiken ist es, Diskriminierungsgründe in ihrer Verschränkung zu erfassen, dadurch Aspekte der Mehrfachdiskriminierung in den Blick zu bekommen, wie auch die Vielfalt als Ressource zu nutzen. Dieser Anspruch wirft mehrere Fragen auf. Erstens verlangt die Vorstellung, Vielfalt als Chance und Ressource nutzen zu können, eine Präzisierung eben dieser Diversität. Wo ist diese angesiedelt, wer verkörpert welche Diversität? Welche Kategorien werden im Diversitykonzept explizit berücksichtigt und wie wird das begründet? Die Definition der Kategorien ist eine zentrale Herausforderung von Diversitypolitiken, um wirksame Gleichstellungspolitik gestalten zu können und zugleich Stereotypisie- rungen zu vermeiden. Zweitens fördert die Wandlung von Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann in Richtung Diver- sityfachstellen Klärungsbedarf zum Verhältnis der Kategorien zueinander, ihrer Gewichtung, ihrer Verschränkung. Eine allfällige Konkurrenz zwischen den RepräsentantInnen der jeweiligen Gleichstel- lungsbüros erwächst aus berechtigten Sorgen um Ressourcen, Kompetenzen und Repräsentationen. Werden den Beauftragten für die Gleichstellung von Frau und Mann mit gleichen Ressourcen und ohne weiteren Kompetenzaufbau die Zuständigkeit für „alle“ Kategorien übertragen, so ist der Sache nicht gedient. Drittens müssen Diversitypolitiken in Organisationen der Frage begegnen, welche Formen von Diskri- minierungsschutz bzw. Förderung von Vielfalt angestrebt werden. Geht es in erster Linie um den Schutz und die Förderung einzelner Individuen im Falle von Beschwerden oder Klagen oder adressiert die Diversitypolitik auch die strukturelle Ebene und nimmt damit organisationsspezifische Diskriminie- rungsmechanismen in den Blick? Welche Voraussetzungen braucht es dazu? Der Anspruch, die Kategorien in ihrer Verschränkung zu denken und zu analysieren, muss ihre unter- schiedliche Verfasstheit hinsichtlich Recht, aber auch Politik, Forschungstraditionen und Institutionali- sierung im Hochschulkontext berücksichtigen. Aus einer differenzierteren Betrachtung der Kategorien lassen sich Folgerungen für die Umsetzung der Diversitypolitiken, ihre Konzepte und Instrumente ableiten. Im Folgenden werden deshalb zu den unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen hinzu weitere Definitionsfelder der Kategorien reflektiert. Wie lässt sich dieses Vorgehen begründen, steht es doch dem gegenwärtigen Trend, methodisch insbesondere die Verschränkungen der Katego- rien, Intersektionalitäten, weiter zu entwickeln, entgegen? Das Vorgehen will keine neuen Partikularitä- «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 38 von 245 ten schaffen, sondern der Komplexität des Diversityanspruchs eine weitere Reflexionsrunde zugeste- hen. In den folgenden Beiträgen soll der Konstruktionscharakter der Kategorien im Vordergrund ste- hen. Ebenso soll der Kontext, in dem diese Konstruktionen stattfinden, reflektiert werden. Kein Diversitykonzept, welches nicht Kategorien aufzählt, die es berücksichtigen will. Welche Vielfalt wird damit angesprochen? Was ist unter „Kategorien“ zu verstehen? Diversitypolitiken verpflichten sich, keine Unterschiede zu machen hinsichtlich Geschlecht, Alter oder sexueller Identität. Andere nehmen sich vor, Vielfalt zu fördern, Menschen mit Behinderung spezifisch zu adressieren, Interkultu- ralität ausdrücklich zu fördern. Die beiden Zielsetzungen, einerseits keine Unterschiede zu machen oder aber unterschiedliche Le- benssituationen explizit zu berücksichtigen, bedeutet eine methodische Herausforderung, welche die Genderforschung als Dilemma zwischen Gleichstellung und Differenz seit den 70er Jahren reflektiert hat. Intersektionalität, die Forschungsperspektive, die aus feministischer Sicht Mehrfachdiskriminie- rung in den Blick fasst, weist auf die wichtige Befragung des eigenen Standpunktes, des eigenen Er- fahrungshorizontes hin, massgeblich angestossen durch Kimberlé W. Crenshaws „Critical Race theo- ry“ (1989, 1995). Welche Kategorien werden von wem für wen formuliert? Ist die Kategorie Sammel- begriff für ein Bündel geteilter Lebenswirklichkeiten, Merkmal einer Gruppe oder ist die Kategorie Suchbild für die Analyse von Hürden im Zugang zu Ressourcen und Entscheidungskompetenzen im Organisationsgeschehen? Philosophische Definitionen des Kategoriebegriffs nehmen diesen Zwie- spalt vorweg: Kategorie heisst einerseits Grundbegriff (oder Aussage), wenn wir uns im Bereich der Logik bewegen, andererseits bedeutet Kategorie Merkmal, Eigenschaft, wenn wir uns im Bereich der Ontologie oder Metaphysik verorten. Diese nur rudimentäre Gegenüberstellung der Standpunkte zeigt, weshalb der Gebrauch der Kategorien in Diversitykonzepten entscheidend sein kann. Die Frage, ob wir Diversitykategorien als „Merkmale“ bezeichnen, etwas diffuser als "Dimensionen" oder als Analy- sekategorien, deutet zumindest auf zwei Dinge hin: Erstens: Unser Gebrauch und unsere Interpretation der Kategorien hängen von unserem Standpunkt ab: Wer formuliert oder analysiert diese Kategorien und wie werden sie begründet bzw. verortet? Zweitens: Unser Gebrauch der Kategorien als Merkmale oder als Analysekategorien entscheidet dar- über, welche Fragen und welche Antworten wir mit Diversitykonzepten entwickeln, welche Ebenen von Ungleichheitsrelationen in den Blick genommen werden. In kurzen Beiträgen werden deshalb Schlaglichter auf einzelne Kategorien geworfen und Aspekte ihres unterschiedlichen Zustandekommens und ihrer politischen, wissenschaftlichen und institutionel- len Ausgestaltung beleuchtet. Es geht uns in den folgenden Texten nicht um eine abschliessende Definition der Kategorien, sie erarbeiten keine umfassende Darstellung des politischen oder diskursi- ven Gebrauchs der Kategorien. Uns scheint interessant, die unterschiedlichen Kontexte, die an der Ausdifferenzierung der Kategorien mitwirken, in Betracht zu ziehen und zu vergleichen, da sie wesent- lich zum Grad der Verankerung der Gleichstellungspolitiken und zur hochschulspezifischen Institutio- nalisierung beitragen. Teil dieser Faktoren sind beispielsweise die erfassten Daten durch das Bundesamt für Statistik. Das schweizerische Bundesamt für Statistik führt zur Abteilung "Tertiärstufe: Hochschulen" mehrere Indi- katoren auf und erfasst als "zentrale Merkmale der Studierenden" Nationalität, Geschlecht, Bildungs- «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 39 von 245 herkunft (Erstausbildung in der Schweiz oder im Ausland), soziale Herkunft (Bildungsabschluss der Eltern) und Alter. Die Datenerfassung wirkt selbst an der Ausdifferenzierung von Kategorien mit (Luciak 2008), so zeigt sich, dass hier die Kategorie „Herkunft“ (Bundesverfassung) zu „Bildungs- herkunft“ (In-Ausland) bzw. „soziale Herkunft“ (Bildungsabschluss der Eltern) präzisiert wird. (Siehe dazu die Artikel von Marlies W. Fröse und Elke Kappus). Eine zentrale, für Hochschulen besondere Konstellation ist die Präsenz wissenschaftlicher Beschäfti- gung mit Strukturkategorien, Ungleichheitsrelationen, Differenzen, d.h. die Präsenz wissenschaftlicher (Inter)Disziplinen wie den Gender Studies, Cultural Studies, Migration Studies, die eben dieses Zu- standekommen der Kategorien und ihre Verschränkung reflektieren. In den letzten 10 Jahren haben sich weitere interdisziplinäre Forschungsaktivitäten entwickelt wie die „Queer Studies“ oder die „Disability Studies“, für die Konzeptualisierung von Diversitypolitiken zentrale Wissensressourcen. 105 Weiter sind organisationale Aspekte wichtig für die Entwicklung von Diversitypolitiken. Hier besteht ein unterschiedlicher Grad an institutioneller Verankerung des Diskriminierungsschutzes bzw. der aktiven Massnahmen zur Förderung benachteiligter Gruppierungen. Die Tradition von Fachstellen und Beauf- tragten für die Gleichstellung von Frau und Mann entfaltet sowohl gegen Innen wie gegen aussen einen bekannten Diskurs, der mehr oder weniger wirksam zu Massnahmen und Resultaten führt. Die- se Verankerung und Materialisierung von Zuständigkeit und Kompetenz steht im Austausch mit gleichstellungspolitischen Netzwerken und Förderprogrammen. Hier stellt sich die Frage nach den Eingängen der Institutionen für weitere Netzwerke, für den Aufbau von Kompetenzen und die Förde- rung von Programmen für weitere Diskriminierungsgründe. Im Zusammenhang mit der Institutionalisie- rung ist wiederum die Umsetzung der entsprechenden Leistungsaufträge und Überprüfung der Erfül- lung rechtlicher Vorgaben von Bedeutung. Welche Gefässe an Partizipation werden genutzt und wel- che Netzwerke sind dabei aktiv? Welche tatsächlichen Standards werden von der Hochschulpolitik definiert und überprüft und was ist lediglich in „Modernisierungs-Rhetorik“ (Wetterer 2003) eingegan- gen? An der Institutionalisierung von Gleichstellungspolitiken an Hochschulen und an der Konstruktion der Kategorien wirken u.a. folgende sich überschneidende Faktoren mit: - Rechtliche Vorgaben, Bearbeitete Rechtsfälle, Beschwerden - Wissenschaftliche Disziplinen, Studiengänge, Forschungstradition - Institutionalisierungsform der Gleichstellungspolitik, Leistungsauftrag, Kompetenzen von Beauftrag- ten (im Sinne von Befugnissen), finanzielle und zeitliche Ressourcen - Statistiken und Daten - Partizipative Struktur der Institution, Netzwerke - Organisationale Praxis und Organisationsstruktur Die folgenden Beiträge zu den Kategorien greifen einzelne dieser Perspektiven auf, andere Aspekte kommen im Teil II des Berichts, den Praxisbeispielen der interviewten Hochschulen, zur Sprache. 105 Siehe zu Disability Studies Waldschmidt 2003, Wetzel 2004, Hermes 2006, Jent 2011 «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 40 von 245 Gender: Institutionalisierung und Begriffsentwicklung Wie für viele Fachstellen und Beauftragte für Geschlechtergleichstellung entstand auch das vorliegen- de Projekt aus dem Auftrag an Hochschulen, die Förderung der Gleichstellung von Frauen und Män- ner zu ergänzen, bzw. umfassend unter Berücksichtigung weiterer Kategorien zu erweitern. Damit tauchen vier Fragen auf (Klinger 2005): 1. Wird mit dem Einbezug weiterer Kategorien die politische Dimension der Geschlechtergleich- stellung weiterverfolgt oder verliert die Kategorie Geschlecht als eine unter Vielen ihre politi- sche Verortung? 2. Verliert die Kategorie Geschlecht in einer Reihe weiterer Kategorien ihr gesellschaftlich- strukturelles Gewicht und wird diese strukturelle Bedeutung der Kategorie Geschlecht un- kenntlich gemacht? 3. Entsteht durch die Einordnung von Geschlecht in die Reihung weiterer Kategorien die Ten- denz zur Re-Essentialisierung? Fördert der überkomplexe Anspruch von Diversity einen nai- ven Gebrauch der Kategorien als einfache Merkmale, die gerade das Zustandekommen der Kategorien vergisst und sie nicht als Analyseperspektiven einsetzt? 4. Wird der Auftrag, "Diversity" zu betreiben, mit adäquaten Ressourcen wie Zeit, Geld und Kompetenz (im doppelten Sinn von mandatiert und qualifiziert sein) ausgestattet und somit der inhaltlichen und methodischen Komplexität des Auftrags Rechnung getragen? Diese Fragen lassen sich als erste Kriterien einer reflektierten Diversitypolitik formulieren: Sie schliesst erstens an die politische Dimension der Geschlechtergleichstellungspolitik an. Sie berücksichtigt zwei- tens die unterschiedlichen Rahmenbedingungen der Kategorien und deren rechtliche und soziale Ver- fasstheit. Sie ist drittens mit adäquaten Ressourcen ausgestattet. Die Institutionalisierung der Geschlechtergleichstellungspolitik an Hochschulen wurde sowohl von politischen Zielen wie von wissenschaftlicher Forschung vorangetrieben. Dies ist für die Begriffsge- schichte von Gender und die Auseinandersetzung mit Geschlecht im Hochschulkontext zentral. Der schweizerische Bundesrat verabschiedete 1988 die Verordnung zum Aufbau des „Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann“. Die Universität Genf beschäftigt seit 1991 eine Beauf- tragte für Gleichstellung, deren Aktivitäten heute von einem Bureau de l'Egalité mit 360 Stellenprozen- ten bearbeitet werden. An der Universität Zürich besteht eine "Abteilung Gleichstellung" seit 1996, an der Universität Basel das "Ressort Chancengleichheit" seit 1998. Für die Fachhochschulen besteht seit 2000 das Bundesprogramm Chancengleichheit von Frauen und Männern an den Fachhochschu- len, mit dem der Bund die Finanzierung von Gleichstellungsbeauftragten an den FHs unterstützt. Die institutionelle Verankerung der Geschlechtergleichstellungspolitik an den Hochschulen wird gleichzei- tig von der Institutionalisierung der Gender Studies an den Hochschulen begleitet. An den Universitä- ten wurden die Gender Studies als erste 1996 in Genf (Etudes Genre), 1998 in Zürich (Kompetenz- zentrum Gender Studies der Universität Zürich) verankert, weitere später wie beispielsweise 2001 in Basel (Zentrum für Gender Studies der Universität Basel). 106 Die Begriffsentwicklung von Geschlecht und Gender ist als Ergebnis der Verschränkung und gemein- samen Auseinandersetzung von politischen und wissenschaftlichen Überlegungen zu sehen. Der so- 106 Überblick über alle CH-Hochschulen siehe unter www.gendercampus.ch «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 41 von 245 genannte "shift" von 'sex' zu 'gender', im französischen Sprachraum von 'sexe' zu 'genre' der 80er Jahre entwickelte neue Perspektiven sowohl für die Forschung wie für die Gleichstellungspolitik. 107 Statt Geschlecht als männliche und weibliche natürliche Wesenheiten zu verstehen, wird „Gender“ zur Analysekategorie, mit der Mechanismen des "Gendering", der sozialen Konstruktion und Hierarchisie- rung von Geschlecht, beleuchtet werden. Die Analyse fragt nach historischen und gegenwärtigen Ver- läufen, Mustern und Platzhalter der Geschlechterordnung. Ein Beispiel ist die Geschichte der ge- schlechtersegregierenden Berufsbildung durch die gesetzliche Beschränkung von Frauen auf eine Handvoll Berufe im 19. und 20. Jahrhundert. Zur Verdeutlichung des Konstruktionscharakters von „Gender“ wird teilweise als Gegenpol „sex“ als Begriff für eine körperliche, nicht-konstruierte Realität von Geschlecht benutzt. Diese Unterscheidung kann alltagspraktisch vielleicht hilfreich sein, schafft aber wieder einen Gegensatz von „Natur“ und „Kultur“, der mit Gender als Analysekategorie gerade aufgehoben wurde. Dass mit der dekonstruktivistischen Position „der Körper“ keine feste Referenz für gender oder sex bildet, wurde und wird kritisch diskutiert. Insbesondere wird der dekonstruktive An- satz auf seine Konsequenzen für eine politische Position hin befragt. 108 Befürchtet wird durch die De- konstruktion von geschlechtlicher Identität der Verlust von Subjektpositionen und damit von politischen Standpunkten. Die kulturelle Konstruktion von „Natur“, „sex“, „Begehren“ ist allerdings ein unhinter- gehbarer Abschied aus dem heterosexuellen Geschlechterparadies. Dies geht mit dem philosophi- schen sogenannten 'linguistic turn' einher, der die Sprache als unhintergehbares System von Setzun- gen begreift. Das heisst, dass auch „sex“, Körper und Begehren Effekt dieser Diskursivität ist oder Produkt einer kulturellen Leistung. Allerdings besteht hier „nicht nur ein Grund zur Verzweiflung“, wie Butler schreibt (Butler 1992, 209). Gender als Identität, nicht als natürliche Identität, sondern als ge- lebte Identität 109 , bietet durchaus einen Ausgangspunkt für politische Handlungsfähigkeit und Partizi- pation. 110 Suchbild Gender und weiter: Gender Subtext - Doing Gender - Degendering Die gleichzeitige Präsenz und der Austausch der fachlich-inhaltlichen Auseinandersetzung der Wis- senschaftsdisziplin und der Gleichstellungspolitik innerhalb der Hochschulen haben sowohl die Hoch- schul-Gleichstellungspolitik wie auch die Geschlechterforschung und ihre Konzeptualisierungen ge- prägt und befördert. Das Konzept des Gender Mainstreaming ist eng mit den wissenschaftlichen De- batten um Geschlechteridentitäten und Analyseperspektiven verbunden. 1994 in Beijing im Anschluss an die Weltfrauenkonferenz als internationale gleichstellungspolitische Strategie gewählt, setzt Gender Mainstreaming „Geschlecht“ als Analysekategorie ein, um politische, rechtliche und organisationale Mechanismen der Geschlechterkonstruktion und –hierarchisierung sichtbar und gestaltbar zu machen. Im Fokus stehen stereotype Ausgestaltungen, die weibliche und männliche Aufgaben, Rollen und Bedürfnisse reproduzieren. Die EU adoptiert 1999 die Gender Mainstreaming Strategie in den Amsterdamer Verträgen. Die Schweiz verankert in verschiedenen 107 Zur Begriffsentwicklung von „Gender“ siehe Honegger 2001, Gildemeister 2004, Butler 1998 108 Siehe Soiland 2009. Ein weiterer Kritikpunkt könnte die Ausblendung von Sexualität und Begehren aus den meisten Analy- sen genderbezogener Forschungen sein. Tatsächlich bestehen noch kaum methodische Ansätze, die „Begehren“ in arbeits- oder organisationssoziologischen Analysen überhaupt thematisierbar machen. Dieses Manko ist aber nicht der dekon- struktivistischen Position anzulasten. 109 Andrea Maihofer prägt den Begriff von „Geschlecht als Existenzweise“. 110 Siehe zu dieser Herausforderung auch Amstutz 2010 «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 42 von 245 Botschaften des Bundesrates Gender Mainstreaming als Strategie, so auch 2008-2011 in der Bot- schaft zu Bildung, Forschung und Technologie. Der gegenwärtig aktuelle Aktionsplan für Chancen- gleichheit von Frauen und Männer an Fachhochschulen ist ein Umsetzungsinstrument dazu. Teil der institutionellen Verankerung ist die Schaffung von Stellen für Beauftragte für die Gleichstellung von Frauen und Männer. Zur Verankerung der Geschlechtergleichstellungspolitiken an Hochschulen tragen zusätzlich laufende Akkreditierungsprozesse bei. Die Bundesakkreditierung verlangt in den "Richtlinien des EVD für die Akkreditierung von Fachhochschulen und Studiengänge" Standards zur "Erfüllung der tatsächlichen Gleichstellung von Mann und Frau sowie zur Umsetzung der allgemeinen Diskriminierungsverbote". Weitere internationale Akkreditierungsstellen formulieren mehr oder weniger präzise Kriterien und Standards hinsichtlich Geschlechtergleichstellung, der Nicht-Diskriminierung - oder zumindest den Nachweis einer darum bemühten Stelle. Gleichstellungspolitik an Hochschulen hat als wichtige Ressource jene Forschungen, welche sich mit der Analyse von geschlechterspezifischen Ungleichheitsrelationen in Organisationen beschäftigen. Geschlechterspezifische Ungleichheitsrelationen sind keine zufälligen Erscheinungen im Organisati- onsgeschehen, sondern Effekte zahlreicher geschlechterspezifischer Strukturen in Erwerbsarbeit, Ausbildung, Arbeitsmarkt, in der Arbeitsteilung in bezahlte und unbezahlte Arbeit, aber auch in der Beziehungs- und Familiengestaltung. Der Stellenwert der unbezahlten und der bezahlten Arbeit, die Arbeitsteilung und die Reproduktion der Arbeitskraft sind zentrale Ausgangspunkte der Studien, die sich mit der strukturellen Ebene der Hierarchisierungsprozesse von Geschlechtern beschäftigen. Ge- sellschaft und Arbeit sind u.a. der „Strukturkategorie Geschlecht“ entlang organisiert. Anders gesagt ist Geschlecht eine „Kategorie sozialer Ordnung“ 111 . Diese strukturelle Ebene ist in Organisationen wirksam. Die Organisationsforschung spricht für die Bezeichnung dieses Netzes von Ungleichheitsrelationen von "Gender subtext" (Smith 1990, Bendl 2005), der den organisationalen Ordnungen zugrunde liegt. Dabei wurden Instrumente der Organisationsanalyse entwickelt, die das Zustandekommen des Gen- der-Subtext, der horizontalen und vertikalen Geschlechtersegregation, der Ressourcenverteilung und Zugangschancen analysiert (Acker, Wilz, Bendl u.a.). Die Herausforderung der Entwicklung von Gleichstellungspolitiken in Organisationen besteht nicht zuletzt darin, dass mehrere Ebenen adressiert werden müssen und gleichzeitig wirksam sind. Die Komplexität des organisationalen Gefüges kann mit einer Mehrebenenanalyse verdeutlicht werden, wie sie Winker/Degele als Methode konkretisiert haben. Diese differenziert zwischen strukturellen Ungleichheitsrelationen, individuellen Interaktionen und symbolischer Repräsentation, allerdings – und das macht auch die Herausforderung der Analyse aus – reflektiert sie ihren eigenen Modellcharakter. Die Ebenen sind gleichzeitig präsent und wirken in ihrer Verschränkung. 112 Als zweite Analyseperspektive untersucht die Interaktionsebene individuelle und gruppenspezifische Interaktionen und Kommunikationssituationen. Sie bezieht sich eng auf Genderidentität als performati- ver Akt, als kontinuierliche Inszenierung. Ein Analyseinstrument für die individuelle Ebene der Interak- 111 Hirschauer 2011 112 Mit Bezug auf Giddens und Bourdieu wird das Zusammenwirken der in den Modellen getrennten Ebenen von Struktur, Inter- aktion und symbolischer Ebene analysiert (Siehe dazu Winker / Degele 2009). «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 43 von 245 tionen ist der Doing Gender-Ansatz von West/Zimmermann und Fenstermaker: Geschlecht wird konti- nuierlich in Interaktionen inszeniert, wobei diese Inszenierung sowohl auf der Darstellungsebene wie der Erwartungsebene geschieht. Dieser Ansatz beschreibt die stete Reproduktion von Geschlechter- identitäten durch diese Erwartungs- und Darstellungsleistung. Der methodische Ansatz, Gender als Inszenierung und Darstellungsleistung zu analysieren, lässt sich auf weitere Kategorien beziehen und führt zu einem Doing-Difference-Ansatz 113 , bzw. zur Analyse von beispielsweise Doing Age. Es liegt auf der Hand, dass der individuelle Gestaltungs- und Erwartungsraum durch strukturelle Normen geprägt sind, bzw. sich in Auseinandersetzung damit vollziehen. 114 Der „Gender Subtext“ ist auch durch die dritte Ebene der Reproduktion von Ungleichheitsrelationen definiert, der Ebene der „symbolischen Repräsentationen“. Diese ist für die Konzeptualisierung von Gleichstellungspolitiken ebenso zentral, denn sie bezeichnet die Ebene, die über Werte und Sinnhaf- tigkeit einer Gemeinschaft Auskunft gibt. Die symbolischen Repräsentationen sind sowohl Ort der Selbstpositionierung eines kulturellen Kollektivs wie auch Ort der Legitimierung dieser Position. Gleichstellungspolitiken, Diversitypolicies sind unter anderem Teil dieser symbolischen Repräsentatio- nen. Mit der Kategorie „Geschlecht“ ebenso wie der Analyseperspektive „Gender“ ist der Bezug zur Per- spektive „sexuelle Identität“ naheliegend. In der Diskussion um Macht und Geschlecht spielt die Vor- stellung von sexueller Identität und Begehren eine massgebliche Rolle. Die Wirkungsmacht des „Gen- der subtext“ ist deshalb ohne das heterosexuelle Paradigma nicht denkbar (Siehe dazu den Beitrag von Julika Funk). Das Problem der Reproduktion von binären Geschlechterstrukturen entlang hetero- normer Ordnungen hat zur Frage nach einer Öffnung der Forschungsperspektive und der Ebene der politischen Interventionen geführt. Judith Lorber schlägt den Ansatz des „Degendering“ vor, der gera- de diese Reproduktionsketten heteronomer Vorstellungen radikal unterbricht. (Lorber 2005). Die Queer Theory entwerfen dafür neue Ansätze, welche diese binäre Struktur zugunsten vielfältiger Le- bensentwürfe durchschreiten. Mit dem Begriff "Queer" wird gerade die Nicht-Festlegung auf eine Kör- peridentität oder Begehrensstruktur voraussetzen (Hark 2005). „Geschlecht etc.„ Was bedeutet „Queer“ oder „Degendering“ für die Konzipierung von Diversity Politiken? Stehen Diver- sity Politiken mit ihrem Rekurs auf Kategorien im Widerspruch zu diesen Ansätzen, die gerade die Festlegung auf Identitäten durchkreuzen? Werden mit Diversitykonzepten notgedrungen wieder Identi- täten vorausgesetzt, die zu problematischen Stereotypisierungen führen? Wird die strukturelle Ebene der Ungleichheitsrelationen einbezogen, so ist eine dekonstruktive Perspektive fast zwingend. Dies führt auch zum Einbezug weiterer Ungleichheitsrelationen bzw. weiterer Strukturkategorien oder Kate- gorien sozialer Ordnung wie Ethnie und Klasse, die teilweise als zentrale Strukturkategorien nebst Geschlecht gesehen werden. Degele / Winker führen Körper als weitere Kategorie ein. Eine Kontro- verse dreht sich um die Auswahl und Gewichtung der Kategorien, um die Rolle von Geschlecht als „Masterkategorie“, um die Kritik der offenen Reihe von Kategorien, die im unbestimmten etc. endet. 113 Fenstermaker/ West 2001 114 Mit Verweis auf Giddens und Bourdieu wird das Zusammenwirken der in den Modellen getrennten Ebenen von Struktur, Interaktion und symbolischer Ebene analysiert. (Siehe dazu Winker / Degele 2009) «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 44 von 245 Zum einen gilt die Sorge dem Anspruch, die komplexe Forschungsdiskussion zu berücksichtigen, Gleichstellungspolitiken nicht aufgrund neuer Ausgrenzungen und Hierarchien zu entwickeln. Zum anderen besteht ein Bemühen um eine Handhabbarkeit und Wirksamkeit von Gleichstellungspolitiken und die Befürchtung des Verlusts wissenschaftlicher und politischer Rigorosität in überfordernden Diversitykonzepten. Judith Butler äussert sich im Kapitel „Von der Parodie zur Politik“ (1992) zum Status, den Kategorien im politischen Prozess einnehmen können. Das „verlegene usw.“ der Kategorien kann gerade aus Queer-Perspektive eine Chance bedeuten. Durch die horizontale Aufzählung der Adjektive bemühen sich Politiken, einem Subjekt in seiner Vielfalt gerecht zu werden, „ein situiertes Subjekt zu umfassen; doch es gelingt ihnen niemals, vollständig zu sein. Dieses Scheitern ist aber äusserst lehrreich, denn es stellt sich die Frage, welcher Impetus aus dem ‚usw‘ abzuleiten ist (…)“ (210). Butler deutet dieses „et cetera“ als „supplement“, als“ Überschuss, der zwangsläufig jeden Versuch, die Identität ein für allemal zu setzen, begleitet.“ 115 Der Identitätspolitik wird damit „ihre phantasmatische Dimension zu- rückerstattet“ (216). Die Frage nach dem Verbleib politischer Handlungsfähigkeit nach gründlichen Subjektdekonstruktio- nen hat zu weiteren Debatten geführt, die auch für Diversitypolitiken interessant sind. Die Befürchtung, mit der Dekonstruktion der Identitäten zugleich den eigenen politischen Standpunkt zu verabschieden, wurde beispielsweise in Publikationen mit Titel wie „Hand aufs dekonstruierte Herz“ deutlich. Der ein- genommene Standpunkt kann durchaus provisorisch sein, er braucht auch nicht durch Identität als Substanz verbürgt zu werden. Zentral hierzu ist hingegen dass gerade „jene Termini, in denen sich Identität artikuliert, als politisch“ darzustellen sind (Butler 1992, 218). Damit ist eine Aufgabenstellung für Diversitypolitiken formuliert. Das würde heissen, die politische Dimension und Wirksamkeit der Kategorien sichtbar zu machen und entsprechend Massnahmen zu ergreifen. Zu jenen politischen „Termini, in denen sich Identität artikuliert“ gehört beispielsweise der Begriff „Mig- ration“ (siehe dazu den Beitrag von Nese Cetinkaya). Ein Text, der dies reflektiert ist die Veröffentli- chung von Myesser Ildem mit dem Titel „Meine pränatale Migration“. Die Migration der Eltern, die „pränatale Migration“ der Autorin, führt zu einem ganzen Strauss von Annahmen über ihre Identität. Die Autorin ist laufend mit Vorstellungen über die Spezifik ihres kulturellen Standpunktes konfrontiert. Sie schildert ihre Erfahrung einer fortwährenden diskursiven Versetzung in ein Woanders hin, eine Art Repatriierung in eine ihr unterstellte „andere“ kulturelle Ursprünglichkeit. Ähnlich schildert Mark Terkessidis die laufende Konstruktion von „Herkunft“. Die Voraussetzung und Abfragung eines vermuteten Herkunftswissens setzt dieses „Woanders“ voraus, beispielsweise wenn Kinder in der Schule über Gerichte von „zuhause“ oder die Geschichte von der “Heimat“ erzählen sollen. Diesem vermuteten Herkunftswissen (Therkessidis 2010, S. 77ff.) steht auf der anderen Seite ein geteilter Wissensbestand über dieses Wissen gegenüber, der die Wirksamkeit „rassistischen Wis- sens“ entfaltet (ebd., 89). Geteilte Annahmen bilden auch sexistisches Wissen (über Frauen, über Homosexualität). Die Feststellung, dass die Kategorien sozial konstruiert sind, relativiert nicht ihre Wirksamkeit. Es stellt sich daraus aber die Frage der politischen Ausrichtung der Diversitykonzepte: 115 Butler sieht hier einen Ansatz einer neuen feministischen Politiktheorie. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 45 von 245 Wo wird die Wirksamkeit dieser Kategorien verortet? Anerkennung von Differenz heisst hier eher ein Verzicht auf die Identifizierung oder Festlegung von Differenz und die Schaffung von Barrierefreiheit der Institutionen für Individuen, „die sich möglicherweise bestimmten Gruppen zugehörig fühlen oder ihnen zugerechnet werden“. (Therkessidis 2010, 119) Ein weiteres Beispiel für die „Zurückerstattung der phantasmatischen Dimension von Identitätskon- struktionen“ ist die Kampagne von Pro Infirmis Schweiz von 2001 bis 2008 mit dem Slogan „Wir las- sen uns nicht behindern“. Hier wird hürdenfreier Zugang gefordert. Ebenso wird ein politisches „Wir“ formuliert. Die auf den Plakaten abgebildeten Personen sind Porträts von Individuen, das „Wir“ wird allerdings als Mitglied des Netzwerks mit Anspruch auf Barrierefreiheit zu einem politischen „Wir“. Die Artikulation ist als politische Artikulation deutlich gemacht. Insofern macht es Sinn, Kategorien zu be- nennen, ihr Zustandekommen zu reflektieren und sie als Artikulationsort politischen Handlungsbedarfs zu definieren. Literatur Acker, Joan (1990): Hierarchies, Jobs, Bodies: A Theory of Gendered Organizations, in: Gender & Society, Bd. 4, 1990, Nr. 2, S. 139-158. Acker, Joan (2006): Inequality Regime – Gender, Class and Race in Organizations. In: Gender & Society, 20, 441-464. Albrecht, Gary L./Seelman, Katherine D./Bury, Michael (2000) (Hg.): Handbook of Disability Stud- ies. Thousand Oaks, Sage. Bendl, Regine (2005): Organization Theory - Integration and deconstruction of Gender and Transfor- mation of Organization Theory, Frankfurt a.M, New York, Wien. Crenshaw, Kimberlé (1989): Demarginalizing the intersection of Race and Sex: A black feminist cri- tique of Antidiscrimination Doctrine, The University of Chicago Legal Forum, S. 139-167. Crenshaw, Kimberlé (Hsg.) (1995): Critical Race Theory, New Press. 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Begriffe Die Diversitykategorie Herkunft lässt sich im Schweizer Kontext in historisch gewachsene Vielfalt und migrationsbedingte Vielfalt unterteilen. Mit historischer Vielfalt sind die Landesteile – welsche, deut- sche, italienische und romanische Schweiz – mit ihren jeweils unterschiedlichen Sprachen angespro- chen (siehe auch Kurt Pärli/Nadine Wantz sowie Elke-Nicole Kappus in ihren Texten der vorliegenden Publikation). Die migrationsbedingte Vielfalt kann grob in Nationalität, Ethnie, Sprache und Religion unterteilt werden, wobei einerseits die Kategorien ineinandergreifen und andererseits je weiter ausdif- ferenziert werden können. Hauptursachen von Migration sind die Suche nach Arbeit und der Schutz vor Verfolgung. Migration ist der auf Dauer angelegte Wechsel von einzelnen oder mehreren Menschen in eine andere Gesell- schaft oder Region (vgl. Treibel, 1999, S. 21). Es geht darum, neue und bessere Lebensbedingungen zu erschliessen. Menschen sind schon immer migriert, doch erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wur- de die Migrationsforschung als wissenschaftliche Fachdisziplin an der soziologischen Fakultät der Universität Chicago etabliert. Die USA als das grösste Einwanderungsland der Welt war damals mit soziokulturellen und wirtschaftlichen Problemen von Millionen ImmigrantInnen konfrontiert (vgl. Han 2006, S.1). Die interdisziplinäre Migrationsforschung befasste sich seither nacheinander mit Paradig- men wie Assimilation, ethnischem Pluralismus, Feminisierung der Migration, Migration als Funktion steigender Mobilität des Kapitals sowie Kosten-Nutzen-Analysen der Migration (vgl. Han 2006). Während die Zugehörigkeit zu einem Nationalstaat relativ einfach statistisch zu bestimmen ist, handelt es sich bei der Ethnizität um eine „gefühlte und gelebte Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Men- schen“. Die wissenschaftliche Verwendung des Begriffs Ethnizität war noch im 18. und 19. Jahrhun- dert weitgehend auf die Erforschung aussereuropäischer Kulturen beschränkt. Im nationalstaatlichen Diskurs des 19. Jahrhunderts fokussierte sie sich dann auf ethnische Minderheiten innerhalb des nati- onalstaatlichen Territoriums. Seit den 1960er Jahren findet das Konzept von Ethnizität verstärkte Ver- wendung, insbesondere auch in Abgrenzung und Unterscheidung zu Nationalität. In den 1990er Jah- ren wurde Ethnizität vermehrt als eine neue, besondere Form der (Selbst-)Abgrenzung aufgefasst und nicht mehr lediglich als Differenz zur Nationalität. Wurden vormals Nationalstaaten als national und kulturell homogen betrachtet, ist dies heute nicht mehr möglich. Die meisten Nationalstaaten sind so- wohl ethnisch vielfältig, als auch Einwanderungsgesellschaften und zeichnen sich daher durch Vielfalt und Pluralität aus. Der Zusammenhang von Migration und Ethnizität wird damit für die Analyse von Herkunft bedeutsam (vgl. Geisen 2009, 343ff.). „Ein Drittel der Schweizer Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund 116 , ein Viertel ist im Ausland geboren“, stellte Piguet 2006 fest. Die Bezeichnung Migrationserfahrung weitet den Personenkreis aus und schliesst alle Menschen ein, die zu irgendeinem Zeitpunkt an einem für sie fremden Ort ge- 116 Vgl. Text von Elke-Nicole Kappus für Definition von Migrationshintergrund. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 48 von 245 lebt und/oder gearbeitet haben und wissen, wie es ist, die oft ungeschriebenen Normen und Werte noch nicht oder wenig zu kennen. Noch weiter fassen Schunka und Olshausen (2010, S. 9f.) den Be- griff in ihrer Beschreibung, indem sie sowohl den VertreterInnen der Aufnahmegesellschaft, „wenn sie sich Neuankömmlingen gegenüber sehen“ Migrationserfahrung attestieren, als auch den MigrantInnen selbst. 2. Einwanderungspolitiken der Schweiz 117 In der Bundesverfassung ist der Vielfaltsgedanke seit 1848 verankert, dabei spielen die Landesspra- chen, Landesgegenden und Kantone wichtige Rollen. Die Sprachfreiheit, das Gesamtsprachenkon- zept und das Konkordanzprinzip zeugen davon, dass die Schweiz traditionellerweise vielfältig ist und ihre Vielfalt wertschätzt (dazu ausführlich Elke-Nicole Kappus). Zu einem eigentlichen Einwanderungsland entwickelte sich die Schweiz erst nach dem zweiten Welt- krieg. Davor waren die ökonomischen Bedingungen für die breite Bevölkerung so schwierig, dass viele Schweizerinnen und Schweizer in der Hoffnung auf ein sicheres Leben und Wohlstand selbst aus- wanderten − oft nach Übersee. Aufgrund des starken wirtschaftlichen Wachstums warb die Schweiz in den 1950er Jahren mittels eines Rekrutierungsabkommens mit Italien Arbeitskräfte an. Die damalige liberale Zulassungspolitik („laisser-faire“) liess den AusländerInnen-Anteil von 1950 – 1960 von 5,8% auf 9,1% der Gesamtbevölkerung ansteigen. Die Einwanderungspolitik beruhte auf der Einschätzung, dass die ausländischen Arbeitskräfte nicht sesshaft würden, sondern nach einer gewissen Zeit - wenn sie genug verdient hatten - wieder in ihr Heimatland zurückkehren würden. Die Einreisenden erhielten mehrheitlich entweder 9-monatige Saisonnierbewilligungen oder Jahresbewilligungen (Piguet 2006, S. 21 und Mahnig/Piguet 2004, S. 69). Es folgten konjunkturelle Schwankungen, während derer die Einwanderung begrenzt wurde, um die Zahl der ausländischen Bevölkerung zu stabilisieren. Die ge- wünschte Wirkung blieb jedoch aus, da parallel auf Druck der Italienischen Regierung das Recht der Arbeitskräfte auf Familiennachzug eingeführt wurde (Piguet 2006, S. 22 ff.; Mahnig und Piguet 2004, S. 71 f.). Nach der internationalen Ölkrise, verlorenen Arbeitsplätzen und nicht verlängerten Aufenthaltsbewilli- gungen erholte sich die Wirtschaft ab Mitte der 80er Jahre, worauf die zweite Einwanderungswelle folgte. Die neuen, aus dem damaligen Jugoslawien, aus Portugal, Sri Lanka und der Türkei stammen- den EinwanderInnen waren weiterhin mehrheitlich wenig qualifiziert (vgl. Piguet 2006, S. 49 ff.). Die erneute Abschwächung der Konjunktur ab Beginn der 90er Jahre hätte zwar eine Regulierung über Arbeits- und Aufenthaltsbewilligungen erforderlich gemacht, dies funktionierte aber nicht mehr. Denn die Mehrzahl der Ausländerinnen und Ausländer hatte in der Zwischenzweit eine Niederlassungsbe- willigung erhalten und durfte auch ohne Arbeit in der Schweiz bleiben. Es folgte das Drei-Kreise- Modell, mit welchem die Einwanderung aus EU und EFTA-Ländern sowie aus Kanada, USA und ver- schiedenen Ländern Mittel- und Osteuropas bevorzugt und gefördert wurde. Trotz dieser neuen Regu- lierung machten ab 1993 nichterwerbstätige Personen (Familiennachzug, SchülerInnen, Studierende sowie Flüchtlinge) einen grossen Teil der neuen Immigration aus. Das Konzept der Gastarbeiter funk- 117 Vgl. zur Migration in der Schweiz die Ergebnisse des Nationalen Forschungsprogramms „Migration und interkulturelle Beziehungen“ (Wicker, Fibbi und Haug 2004). «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 49 von 245 tionierte ab den 1990er Jahren nicht mehr, denn viele der Gäste blieben, zumindest länger als ur- sprünglich angenommen. Das neu geschaffene Ausländergesetz (AuG) unterscheidet seit 1.1.2008 zwischen EU/EFTA-Staaten und Drittstaaten. Bei dieser grundlegenden Unterscheidung handelt es sich um ein duales System, welches sich bei Arbeits- und Studienaufenthaltsbewilligungen auf die Antragspraxis der Firmen und Institutionen auswirkt. Bei Drittstaaten bestehen einerseits Kontingente, andererseits sind deutlich längere Bewilligungsfristen, als bei EU/EFTA-Staaten einzuhalten. Durch diese gesetzliche Regelung wird die Arbeitsmigration weitgehend auf den Raum der EU/EFTA-Staaten fokussiert. Um ausländer- rechtliche Fragen korrekt beurteilen zu können, ist als Erstes immer zu klären, ob für die einwandern- de Person das Ausländergesetz (AuG) oder das Freizügigkeitsabkommen (FZA) massgeblich ist. Denn für EinwanderInnen aus dem EU/EFTA-Raum gilt primär das FZA und erst in zweiter Linie, wenn dort eine Regelung fehlt, das AuG (vgl. Spescha, Kerland und Bolzli 2010). Ähnliche Entwicklungen lassen sich generell im Europäischen Raum beobachten. Die Globalisierung der Wirtschaft macht es für Nationalstaaten notwendig, auf regionaler Ebene Gemeinschaften zu bil- den. Enge politische und wirtschaftliche Kooperationen, wie die der EU führen dazu, dass die Freizü- gigkeit in Bezug auf die Bewegung von Kapital, Waren, Technologien und Personen innerhalb der Gemeinschaft steigt. Dabei entstehen Migrationssysteme, zwischen welchen die Binnenmigration zunimmt und erleichtert wird. Die globale Welt besteht aus einer Vielfalt von solchen regionalen Blö- cken. Arbeitsmigration hat dabei die Funktion, das „Kapital“ zu mobilisieren und wird über die interes- senorientierte Migrationspolitik der Aufnahmeländer geregelt. Migrationsbewegungen werden in Zu- kunft vermehrt innerhalb der jeweiligen Migrationssysteme stattfinden, solche über die Grenzen hinaus werden die Ausnahme bleiben. So werden lediglich diejenigen hoch qualifizierten ArbeitnehmerInnen, die innerhalb des Migrationssystems nicht zu finden sind, von ausserhalb angeworben werden. „Aus- länderinnen und Ausländer können zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit nur zugelassen werden, wenn nachgewiesen wird, dass keine dafür geeigneten inländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeit- nehmer oder Angehörige von Staaten, mit denen ein Freizügigkeitsabkommen abgeschlossen wurde, gefunden werden können. Als inländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelten: a. Schweize- rinnen und Schweizer; b. Personen mit einer Niederlassungsbewilligung; c. Personen mit einer Auf- enthaltsbewilligung, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt.“ (AuG, Art Art 21, Abs. 1 und 2) Weiter führt das AuG aus, dass bei Zulassung von Ausländerinnen und Ausländern der demografi- schen, sozialen und gesellschaftlichen Entwicklung der Schweiz Rechnung getragen werden soll (AuG, Art 3, Abs. 3). Sind hoch qualifizierte Personen einmal im System, wird ihnen ein Verbleib erleichtert. So können ausländische Studierende gemäss neuer Politik einiger Industrieländer nach erfolgreichem Studienab- schluss im Gastland bleiben, wenn sie eine Beschäftigung finden. Das Deutsche Zuwanderungsge- setz vom 30. Juli 2004 beispielsweise 118 gesteht ausländischen Studierenden nach Abschluss der Studien zwecks Arbeitsplatzsuche eine Aufenthaltsbewilligung bis zu einem Jahr zu (vgl. Han 2006). Für die Schweiz gilt: „Ausländerinnen und Ausländer mit Schweizer Hochschulabschluss können in Abweichung von Absatz 1 zugelassen werden, wenn ihre Erwerbstätigkeit von hohem wissenschaftli- 118 § 16, Abs. 4 «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 50 von 245 chem oder wirtschaftlichem Interesse ist. Sie werden für eine Dauer von sechs Monaten nach dem Abschluss ihrer Aus- oder Weiterbildung in der Schweiz vorläufig zugelassen, um eine entsprechende Erwerbstätigkeit zu finden.“ (AuG, Art. 21, Abs. 3) Wie oben beschrieben, kamen die MigrantInnen nach dem zweiten Weltkrieg zuerst aus Italien, später auch aus weiteren südeuropäischen Ländern, vornehmlich als wenig qualifizierte Arbeitskräfte. Heute stammen die sogenannt „neuen EinwanderInnen“ grösstenteils aus Ländern, mit denen die Schweiz durch das Freizügigkeitsabkommen mit der EU verbunden ist und sie weisen zunehmend höhere Qua- lifikationen auf (vgl. Jahresbericht der EKM 2009). Aufgrund der tiefen Geburtenrate und der demo- graphischen Alterung betrachtet die Eidgenössische Kommission für Migrationsfragen (EKM) Migrati- on als eine der grossen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – für die Schweiz, wie für andere Länder Europas. Die Gemüter würden durch die „Ausländerfrage“ bewegt, so Francis Matthey, Präsi- dent der damaligen EKM, und dabei gehe es vornehmlich um Deutsche Zugewanderte in der Deutschschweiz sowie die Präsenz von Personen muslimischen Glaubens im Zusammenhang mit der Minarettinitiative. Auch wenn die Schweiz nicht Mitglied der EU ist, komme sie nicht umhin, sich mit der Tatsache auseinanderzusetzen, dass sie Teil des europäischen Migrationsraums geworden ist. Das bilaterale Abkommen über den freien Personenverkehr mit der EU wirkt sich direkt auf die Zu- sammensetzung der ausländischen Wohnbevölkerung in der Schweiz aus. Über 60% der Migrations- bevölkerung stammt aus EU/EFTA-Staaten (Spescha et al. 2010). Obwohl mit der Neuen Einwanderung mehrheitlich hochqualifizierte Menschen in die Schweiz migrie- ren, existiert weiterhin eine erhebliche Migrationspopulation, die wenig qualifiziert ist, und weiterhin wandern auch tief qualifizierte Menschen ein. Die Studie Immigration 2030 (Stutz und Hermann 2010) bestätigt diese Entwicklung für den Wirtschaftsraum Zürich. Gemäss der Studie ist der Ausbildungs- grad der jetzt Einwandernden generell höher als der Schweizer Durchschnitt, gegenwärtig besteht die grösste Gruppe der Einwandernden aus Deutschen AkademikerInnen. 3. Institutionen und Integrationsleitbilder Die Eidgenössische Kommission für Migrationsfragen EKM 119 wurde vom Bundesrat am 1. Januar 2008 eingesetzt. Sie ist aus dem Zusammenschluss der früheren Ausländerkommission EKA und der Kommission für Flüchtlingsfragen entstanden. Die EKM ist eine ausserparlamentarische Kommission. Sie berät den Bundesrat und die Verwaltung in Migrationsfragen und veröffentlicht Berichte, Stellung- nahmen und Empfehlungen. Die EKM hat 30 Mitglieder, knapp die Hälfte mit Migrationserfahrung, welche für die Amtsperiode 2008 bis 2011 gewählt sind. Die EKM hat den gesetzlichen Auftrag, sich mit sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen, politischen, demografischen und rechtlichen Fragen zu be- fassen, die sich aus dem Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz ergeben. Zu ihnen gehören auch Asylsuchende, anerkannte Flüchtlinge und vorläufig aufgenommene Personen. 1970 setzte der Bundesrat die damalige „Eidgenössische Konsultativkommission für das Ausländer- problem“ ein, um den Überfremdungsängsten zu begegnen, die mit wirtschaftlichem Aufschwung und dem dazugehörigen Zuzug ausländischer Arbeitskräfte einhergingen. Die Kommission sollte die von 119 Anlässlich der Zusammenführung der Eidgenössischen Ausländerkommission mit der Kommission für Flüchtlingsfragen wurde im Jahresbericht 2007 ein Rückblick auf 37 Jahre EKA gehalten. Die Ausführungen in diesem Kapitel sind mehrheitlich diesem Rückblick und teilweise der Website der EKM entnommen (vgl. auch http://www.ekm.admin.ch/). «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 51 von 245 der Schweiz verfolgte Einwanderungspolitik überprüfen und alle Fragen behandeln, die sich aus der Anwesenheit einer grossen Zahl von AusländerInnen in der Schweiz ergaben. Gründung und Weiter- entwicklung der Institution waren eng mit den ausländerpolitischen Debatten verbunden. Die Kommis- sion wirkte darauf hin, dass die Integration zum staatspolitischen Anliegen und in den staatlichen Strukturen verankert wurde. In den 1990er Jahren, nachdem klar wurde, dass viele ausländische Arbeitnehmende mittel- und lang- fristig in der Schweiz bleiben würden, wurde Integration sowohl in den meisten grösseren Städten, wie auch auf Bundesebene als Querschnittsaufgabe anerkannt. Regelwerke hatten begonnen, sich um Integrationsaufgaben zu kümmern, während bis dahin vor allem kirchliche und karitative Organisatio- nen, sogenannte Parallelinstitutionen, diese Aufgaben punktuell und auf freiwilliger Basis geleitstet hatten. Gegen Ende der 1990er Jahre beauftragten grössere Städte WissenschaftlerInnen, Integrati- onsleitbilder zu erarbeiten. In den darauf folgenden Jahren wurden Delegierte für Integration und Mig- ration ernannt und zu deren Unterstützung beratende Kommissionen gebildet. Aus den Leitbildern wurden Massnahmen erarbeitet und in die Umsetzung geführt. Bereits bestehende Integrationsprojek- te und –produkte, vor allem auch von Parallelinstitutionen, wurden koordiniert und vernetzt. Die Integ- rationsdelegierten leitsteten Öffentlichkeitsarbeit, informierten sowohl Kunden der Integrationsbemü- hungen als auch die Öffentlichkeit. Integration entwickelte sich zu einem Begriff der Migrationsdebatte und wurde zur strategischen Aufgabe von Regelinstitutionen, zumindest in den grösseren Städten mit zum Teil sehr hoher ausländischer Population (vgl. dazu auch D’Amato und Gerber 2005, S. 32, sowie Bianchi 2003, S.7). Seit 2001 setzt der Bund jährlich bis zu 14 Mio. Fördermittel für Integrationsprogramme ein. Die Ver- ordnung über die Integration von Ausländerinnen und Ausländern (VIntA) vom 24. Oktober 2007 regelt den Beitrag und die Pflichten der Ausländerinnen und Ausländer sowie die Aufgaben des Bundes und der Kantone. Ebenfalls sind in dieser Verordnung sind die finanziellen Beiträge zur Förderung der Integration sowie die Aufgaben der EKM geregelt. Integrationsstrukturen sind sowohl auf kommunaler, als auch kantonaler Ebene entstanden. Die Städ- te besassen den Vorteil, die Leitbilder in bestehende Strukturen integrieren zu können. Ihre Integrati- onsbemühungen waren konkreter Natur, da die städtischen Ämter und Stellen per Definition in direk- tem Kontakt zur Bevölkerung stehen. Die Aufgabe der Kantone ist eine andere, denn dort geht es vermehrt um Koordination und Vernetzung sowie um abstrakte Informationsarbeit. Der „Basler Weg des ausgewogenen Förderns + Forderns ab dem ersten Tag“ bestimmt heute weitgehend die Integra- tionsdebatte. Das europaweit diskutierte und mancherorts angewandte Begriffspaar Fördern und For- dern hat ebenso in Positionspapieren von politischen Parteien wie im neuen Ausländergesetz (AuG) Eingang gefunden 120 . Auch ist es nun möglich, Integrationsvereinbarungen mit den Eingewanderten abzuschliessen. Werden die vereinbarten Integrationsleistungen nicht eingehalten, kann der Staat Sanktionen verhängen. 120 Das Ausländergesetz (AuG) regelt seit 1.1.2008 auch Grundsätze der gesamtschweizerischen Integrationspolitik: „Das Ziel der Integrationspolitik ist das Zusammenleben auf der Grundlage der Werte der Bundesverfassung und die Teilhabe der Aus- länderinnen und Ausländer am wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben. Dieses Ziel zu erreichen, setzt sowohl den Willen der Ausländerinnen und Ausländer, sich mit den Verhältnissen in der Schweiz auseinanderzusetzen und eine Landes- sprache zu erlernen, wie auch die Offenheit der schweizerischen Bevölkerung voraus.“ (Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG), Art. 4 2005) «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 52 von 245 4. Diskussion Migration und Herkunft der Menschen werden unterschiedlich wahrgenommen; je nach Betrachtungs- winkel werden Zugewanderte von einem Teil der Gesellschaft als bedrohlich empfunden. Obwohl ein grösserer Teil der Migrationsbevölkerung als „kulturnah“ bezeichnet werden kann – also aus EU/EFTA-Staaten mit mehrheitlich christlicher Tradition –, dominieren lautstarke, negative Meinungen die politische Auseinandersetzung. Die Kategorie der Nationalität ist in der öffentlichen Wahrnehmung auch beeinflusst von Religion. Obwohl gemäss Verfassung der Grundsatz des Säkularismus gilt, nimmt insbesondere die Islamdebatte einen verglichen mit der mengenmässigen Relevanz überpro- portionalen Raum ein. „Das in der Auseinandersetzung um die Minarettinitiative vermittelte Bild der Muslime ist durch überwiegend negative Typisierungen (rund drei Viertel der Fälle) geprägt, die zu- dem mehrheitlich pauschalisierend sind.“ Zu diesem Schluss kommen Ettinger und Imhof (2009, S. 4) in ihrer Analyse zu den zentralen Merkmalen der öffentlichen Debatte über die Minarettinitiative 121 vom Dezember 2009. Pauschalisierend seien die Aussagen deswegen, weil darin kaum unterschieden würde zwischen islamischen Gruppierungen und der muslimischen Minderheit in der Schweiz, son- dern generalisierend vom „Islam“ und den „Muslimen“ die Rede sei. Die Diversitykategorie Herkunft besteht aus mehreren Facetten, Nationalität ist nur eine davon, Migra- tionshintergrund und bildungsferne Schichten sind weitere. Wie im Text von Marlies W. Fröse zu „Bil- dungsfernen Schichten“ ausführlich beschrieben, stellt auch Hamburger (2008, S. 16) fest, dass für die Bildungschancen der Kinder die Position der Eltern in der Einkommens- und Prestigeordnung der Gesellschaft ausschlaggebend ist. Kinder aus bildungsfernen Schichten erfahren selber Bildungsbe- nachteiligungen. Überproportional viele junge Menschen mit Migrationshintergrund aus den „alten“ Herkunftsländern (siehe weiter oben zweite Einwanderungswelle) sind in den bildungsfernen Schich- ten vertreten. Ebenso ist das Augenmerk auf Faktoren wie Geschlecht und Alter zu legen, sowohl bei der Eruierung von Kennzahlen, wie beim Ansprechen von Zielgruppen. Für Hochschulen ist es bedeutsam, die Verflechtung verschiedener Kategorien im Auge zu behalten, wenn sie ihr Zielpublikum adressieren. Spricht die Hochschule Menschen aus bildungsfernen Schich- ten für ein Studium an, steht sie automatisch auch im Dialog mit einem Teil der Gesellschaft mit Migra- tionshintergrund. Die Kategorie der Studierenden mit Migrationshintergrund wiederum ist teilweise verknüpft mit der Kategorie Nationalität. Studierende mit Migrationshintergrund, ob einbürgert oder nicht, haben jedoch einen völlig anderen Hintergrund, als Studierende aus dem Ausland, auch wenn sie die gleiche Nationalität besitzen. An sich gehören sie zur einheimischen Bevölkerung, denn sie leben hier, sind (möglicherweise) hier geboren und aufgewachsen. Sie sind aber besonders stark in der Kategorie bildungsferne Schichten vertreten. Die vom BFS errechneten Szenarien für die Bevölkerungsentwicklung der Schweiz zeichnen Bilder von einer mehr oder weniger schnellen Überalterung und einem Rückgang der erwerbstätigen Bevöl- kerung. Diese Tatsache kommentiert Marc Spescha (2002, S. 54) treffend: „Wo die Gesellschaft schrumpft und altert, muss sie zwangsläufig werden, um nicht schmerzlich zu ergrauen“. Daran anknüpfend ist auch eine der Schlussfolgerungen der Studie Immigration 2030 besonders 121 Die Ergebnisse beruhen auf der systematischen Analyse aller Beiträge zur Minarettdebatte von 15 Leitmedien der deutsch- und französischsprachigen Schweiz von April 2006 bis November 2009. Die Analyse ist Teil eines grösseren Projektes, das die Darstellung der muslimischen Minderheit in der öffentlichen Kommunikation seit 1998 untersucht. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 53 von 245 bedeutsam. Damit die Migration mit Blick auf die Hochqualifizierten nachhaltig gelingen kann, wird eine Bildungspolitik als notwendig erachtet, die es den einheimischen, oder um den Begriff aus dem AuG zu benutzen, „inländischen“ ArbeitnehmerInnen ermöglicht, sich gegen die EinwanderInnen zu behaupten (vgl. Stutz und Hermann 2010). Wenn Hochschulen das Potenzial der Einheimischen ausschöpfen wollen, müssen sie deren struktu- relle Zusammensetzung kennen. Sind sie sich der vielfältigen Differenzierungen bewusst, werden sie sowohl für das Studium, als auch für den Lehrkörper und Mitarbeitendenstab nach „inländisch“ und „international“ unterscheiden und ihre Gewinnungsstrategie entsprechend ausrichten. Ein strategi- sches Diversityziel für Hochschulen könnte sein, vermehrt Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen aus bildungsfernen Schichten für ein Studium zu gewinnen. Beispielsweise könnten sie sich zum Ziel setzen, einen bestimmten Anteil von Studierenden und Dozierenden aus dem „einheimi- schen Markt“ zu rekrutieren. Aus einer solchen Zielsetzung erginge der Auftrag an die Bildungspolitik, konsequent das Ziel der Chancengleichheit für alle einheimischen Schülerinnen und Schüler umzu- setzen und zusammen mit weiteren Diversitykategorien diejenige der Herkunft differenziert zu fördern. Literatur BIANCHI, DORIS, Die Integration der ausländischen Bevölkerung: der Integrationsprozess im Lichte des schweizerischen Verfassungsrechts, Zürich 2003. Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG), vom 16. Dezember 2005 (Stand 1. Dezember 2010), Inkraft getreten 1.1.2008. D’AMATO, GIANNI UND GERBER, BRIGITTA (Hrsg.), Herausforderung Integration. Städtische Migrations- politik in der Schweiz und in Europa, Zürich 2005. Eidgenössische Ausländerkommission (Hrsg.), Jahresbericht 2007, Bern. 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Kulturelle Vielfalt benennen – das Vokabular zur Beschreibung «moderner Heterogenität» in der Schweiz (Elke-Nicole Kappus) Der Verweis auf ethnische, sprachliche, religiöse und nationale Heterogenität nimmt im Diversity Dis- kurs eine wichtige Rolle ein – wobei die unterschiedlichen genannten Facetten häufig unter dem Be- griff der ‚kulturellen Vielfalt’ zusammengefasst und subsumiert werden. In der Folge sollen die Begriff- lichkeiten rund um diese Kategorie der Diversity-Aspekte und ihr Impact für (Fach-) Hochschulen nä- her betrachtet werden. Von ‚historischer Vielfalt’ und ‚moderner Heterogenität’ Die Auseinandersetzung mit kultureller und ethnischer Vielfalt spielt in der Schweiz eine staatstragen- de Rolle: Im viersprachigen Land gehört die Toleranz und Pflege der unterschiedlichen Sprachen und sprachregionsspezifischen Traditionen zum eigentlichen Selbstverständnis: so legt z.B. bereits die Bundesverfassung von 1848 (Art 190) die „drei Amtssprachen in der Schweiz als Nationalsprachen des Bundes“ fest. 1938 wird Rätoromanisch als vierte Nationalsprache anerkannt. Auch religiöse Viel- falt gehört in gewissem Masse bereits zum ‚traditionellen’ schweizerischen Selbstverständnis, wobei die Vielfalt sich aus historischer Sicht mehrheitlich aus der römisch katholischen und reformierten christlichen Religionsgemeinschaften zusammensetzt 122 . Hinsichtlich dieser politischen Anerkennung kultureller Heterogenität unterscheidet sich die Schweiz von zahlreichen anderen europäischen Staa- ten, deren Nationsbildung mehrheitlich auf die Schaffung eines sowohl sprachlich als auch kulturell homogenen Raumes ausgerichtet war. In bestimmtem Sinne könnte man davon ausgehen, dass die- se historische Besonderheit – die politisch verbriefte Wertschätzung kultureller Heterogenität innerhalb der eigenen Nation – gute Voraussetzungen für ein modernes Diversity Management bzw. eine Diver- sity-Politik schafft. Allerdings sollte man dabei nicht vergessen, dass vornehmlich die historische Mehrsprachigkeit einem klaren Territorialprinzip folgt: Es gibt in der mehrsprachigen Schweiz nur we- nige offiziell zweisprachige Kantone – und auch innerhalb dieser Kantone sind nur sehr wenige Städte und Ortschaften offiziell zweisprachig; da die Sprach- und Bildungshoheit in der Schweiz bei den Kan- tonen liegt, wirken diese als Wahrer und Behüter der ‚Kantonssprachen’ (s. Grin 1998) 123 . In diesem Sinne präsentiert sich die durch zunehmende Mobilität entstandene kulturelle und linguistische Vielfalt ‚vor Ort‘ auch in der multikulturellen Schweiz als ein weitgehend neues Phänomen. Im Gegensatz zur historischen kulturellen Vielfalt zeichnet sich die moderne Heterogenität auch in der Schweiz durch eine deutliche Deterritorialisierung aus: Sowohl die ansteigende Binnenmobilität als auch die internationale Migration haben zu einer neuen Form sprachlicher sowie religiöser und ‚anders 122 Für weitere Details zur ‚historischen Diversität’ in Bezug auf Sprache und Religion in der Schweiz s. http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/regionen/thematische_karten/maps/bevoelkerung/s 123 So basiert z.B. auch das Recht auf (öffentliche) Bildung in der Schweiz nicht auf der Mutter- und Herkunftssprache, sondern auf der ‚offiziellen Sprache’ des Wohnkantons (s. Grin 1998: 2ff.). «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 56 von 245 kultureller’ Vielfalt geführt, für deren ‚Management’ die Schweiz (wie andere Länder auch) noch eine neue Form des Umgangs finden muss. 124 Im Zentrum des Diskurses über die ‚neue‘ kulturelle Heterogenität steht die Kategorie der ‚Herkunft’ – in der letztendlich der starke territorial gedachte Bezug von ‚Kultur’, ‚Sprache’, ‚Religion’ und schliess- lich ‚Zugehörigkeit’ ein Echo findet. In der Schweiz konzentriert sich die Wahrnehmung dieser ‚neuen Art’ der Heterogenität vornehmlich auf die Migration der Nachkriegsjahre des 20. Jahrhunderts, ob- gleich Migration auch in den vorangegangenen Jahrhunderten eine massgebliche Rolle in der Ent- wicklung der Schweizer Gesellschaft spielte. Wo Migration als ein weitgehend neues Phänomen wahrgenommen wird, steht der angestammt historische Diskurs der ‚eigenen Multikulturalität’ und Viersprachigkeit dem Sprechen über die ‚fremde’ Kulturenvielfalt 125 , die bisweilen als Bedrohung, bisweilen als Bereicherung der ‚eigenen Kultur’ wahrgenommen wird, erstaunlich unvermittelt gegen- über. Von Ausländern, Migrantinnen und Fremdsprachigen Während in der Nachkriegszeit MigrantInnen mehrheitlich AusländerInnen und meist auch Fremd- sprachige waren, hat sich dieser Tatbestand über die letzten Jahrzehnte hinweg verändert: Da sich der Begriff der Migrantin bzw. des Migranten über den Geburtsort, der Begriff der Ausländerin bzw. des Ausländers über den juristischen Status definiert (unabhängig von der Aufenthaltsdauer, des so- zialen ‚Integrationsgrades’ etc.), verweisen diese Bezeichnungen heute auf zwei distinkte soziale Gruppen: Zahlreiche Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz sind keine Migranten (da sie be- reits in der Schweiz geboren wurden), zahlreiche Migrantinnen und Migranten wiederum sind keine Ausländerinnen bzw. Ausländer, da sie durch Einbürgerung die Schweizer Staatsbürgerschaft erlangt haben. Die begriffliche Konfusion wird noch durch den Begriff der ‚Person mit Migrationshintergrund’ verstärkt, der eine Definition zu Grunde liegt, die sich in den letzten Jahren stets verändert hat 126 . Die ‚neue’ Differenzierung der Schweizerischen Wohnbevölkerung in Personen mit und ohne Migrations- hintergrund zeigt sich zwar seit mehreren Jahren in den Statistiken des Bundesamts für Statistik (s. Grafik 1), den Eingang in das ‚Alltagsvokabular’ oder auch in die Alltagsvorstellungen und -bilder über ‚Herkunft’ und ‚Zugehörigkeit’ haben sie jedoch mehrheitlich (noch) nicht gefunden: Hier erschei- nen ‚MigrantIn‘, ‚AusländerIn‘ und ‚Person mit Migrationshintergrund‘ häufig nach wie vor als Syno- nym. 124 Wie Nese Cetinkaya in ihrem Text in der vorliegenden Publikation aufzeigt, begann in den 80er/90er Jahren die zunehmende Forderung nach einer Schweizer Integrationspolitik, die im Integrationsartikel des neuen Ausländergesetzes seit 2008 (Auslän- dergesetz 2008) auch gesetzlich verankert ist. Mit dem Bericht Schiesser von 2010 liegen auch konkrete Schritte für die weitere Entwicklung der Schweizer Integrationspolitik vor (Bericht zur Weiterentwicklung der Schweizer Integrationspolitik 2010). 125 Zum politischen Diskurs rund um die ‚alte‘ und ‚neue‘ Multikulturalität in der Schweiz siehe auch Kappus 2008: 71ff.) 126 so galt etwa vor einigen Jahren noch als Person mit Migrationshintergrund, wer ein Grosselternteil hatte, der in die Schweiz migriert ist. Heute ist die ‚dritte’ Generation ‚weggefallen’ – Migrationshintergrund wird nur noch jenen Personen zugeschrieben, die entweder selbst migriert sind oder deren Vater und/oder Mutter in die Schweiz migriert ist (s. Bundesamt für Statistik, Migration - Indikatoren: http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/01/07/blank/key/04.html). «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 57 von 245 Grafik 1: http://wwwbfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/01/07/blank/key/04.html (22.7.2011) Weitere Verwirrung schafft der Begriff des ‚Fremdsprachigen’: Hier handelt es sich um Personen, die zu Hause mehrheitlich eine andere als die umgebende ‚offiziell’ Sprache sprechen. ‚Fremdsprachig- keit’ sagt in diesem Sinne nichts über die Deutschkenntnisse (bzw. die Kenntnisse in der offiziellen Umgebungssprache) der Person aus. Fremdsprachig ist auch, wer perfekt zwei- oder mehrsprachig ist. Grafik 2: http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/15/03/key/blank/obligatorische_r/schuelerinnen_und.html Diese Darstellung zeigt die Differenzierung zwischen Fremdsprachigkeit und ‘Ausländerstatus’ in den aktuellen Statistiken. Mehrsprachigkeit’ wird auch hier (noch) nicht erfasst. In diesem Sinne hinkt der heutige alltägliche Sprachgebrauch der Komplexität der Wirklichkeit hinter- her. Dies beeinflusst einerseits die Wahrnehmung der zunehmend plurikulturellen und -sprachlichen Realitäten, andererseits auch die Versuche, diese im Rahmen eines ‚Diversity Managements’ kon- struktiv zu ‚managen’. Bis heute fehlen in der Schweiz flächendeckend präzise Zahlen zu Migrantin- nen und Migranten oder zu Personen mit Migrationshintergrund, da in offiziellen Erhebungen, zumin- dest bis in die jüngste Vergangenheit, meist nur der Status der ‚Ausländerin/des Ausländers’ erhoben wurde. Trotz dieser unklaren Begrifflichkeit werden im Rahmen des ‚Diversity-Managements’ an Hochschulen immer wieder Programme und Massnahmen zur Integration und zur Förderung von Mig- rantInnen und/oder Personen mit ‚Migrationshintergrund’ gefordert (wie z.B. ‚Migranten machen Schu- le‘ in Baden Württemberg) oder Projekte für ausländische Studierende lanciert. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 58 von 245 Von ‚eigenen’ und ‚fremden’ AusländerInnen Eine (weitere) Differenzierung im Bereich der ‚Ausländerinnen und Ausländer‘ lässt sich in den Bil- dungsstatistiken finden. Hier erscheint die Figur der Bildungsin- bzw. BildungsausländerInnen, die in der Folge etwas näher betrachtet werden soll. Als BildungsinländerIn gilt, wer trotz ausländischer Staatsangehörigkeit beim Erwerb der Hochschulzulassung seinen/ihren Wohnsitz in der Schweiz hatte und zumindest einen Teil der schulischen Bildung und Sozialisation in der Schweiz erfahren hat 127 . BildungsausländerIn dagegen ist, wer seine Hochschulzulassung im Ausland erlangt hat und zum Studium in die Schweiz kommt bzw. gekommen ist 128 . Ein hoher Ausländeranteil an Hochschulen kann somit entweder auf einen hohen Anteil von Studierenden aus der (noch nicht eingebürgerten) Migrationsbevölkerung verweisen oder aber auf eine hohe Anziehungskraft der Hochschule für Aus- länderinnen und Ausländer, die zum Studium in die Schweiz kommen 129 . Letztere Kategorie wird in der Bildungsdiskussion unter dem Stichwort der ‚Internationalisierung der Hochschule’ (Wettbewerb um die Besten etc.) thematisiert. Die Rekrutierung von Studierenden aus der ‚eigenen’ Migrationsbe- völkerung steht eher unter dem Schlagwort der ‚Chancengleichheit’. Nicht zuletzt in Folge der Schwei- zerischen Migrationspolitik, die bis in die 80er Jahre schwerpunktmässig MigrantInnen für eher nie- derqualifizierte Arbeiten rekrutierte, stammen Studierende aus der zweiten und dritten Migrationsgene- ration noch immer häufig aus einem sozio-ökonomisch eher benachteiligten Milieu und zählen somit oft zur Gruppe der Bildungsaspirantinnen bzw. Bildungsaufsteiger. Internationale Studierende rekrutie- ren sich dagegen – darauf lassen bereits die hohen Studien- und Lebenskosten in der Schweiz schliessen – wohl eher aus finanziell besser gestellten Schichten und bildungsnahen Milieus. Studierende der Fachhochschulen (ohne PH), nur Studierende auf Stufen Diplom, Bachelor und Master (ohne Weiterbildung bei Jahr, Bildungsherkunft und Hochschule 2010 BFH HES- SO FHNW FHZ SUPSI FHO ZFH Kal FH LRG Andere FH Schweizer und Bildungsinländer 5’216 12’950 5’621 4’516 2’386 3’849 11’992 468 9 0 Bildungsausländer 438 2’815 1’067 343 686 273 888 18 103 0 Grafik 3: STAT-TAB: Die interaktive Statistikdatenbank http://www.pxweb.bfs.admin.ch/Dialog/Saveshow.asp (8.9.2011) Die Rekrutierung und Förderung der beiden genannten ausländischen Gruppen schreibt sich entspre- chend in unterschiedliche gesellschaftliche Auftragslagen der Hochschulen ein: Einerseits geht es um den auch integrations- und gesellschaftspolitischen Auftrag der Regelstrukturen, Chancengleichheit zu fördern und sicher zu stellen (siehe AuG 2008, Bericht Schiesser 2010), andererseits um den bildungs- und wirtschaftspolitischen Auftrag der Eliteförderung durch Internationalisierung. Im Rahmen einer diversity-sensiblen Hochschulpolitik kann man davon ausgehen, dass die beiden genannten Gruppen bezüglich ihrer Bedürfnisse im Bereich sowohl der Rekrutierung als auch der Förderung unterschiedliche Bedürfnisse aufweisen, die es, unter sorgsamer Berücksichtigung intersektionaler Fragen, ‚differenziert’ zu erfassen und zu behandeln gilt. 127 Zur Erinnerung: Da rund ein Fünftel der ausländischen Personen in der Schweiz geboren wurden, handelt es sich bei dieser Personengruppe der ‚Bildungsinländer und –innen nicht notwendiger Weise um Migranten oder Migrantinnen. 128 s. (http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/15/06/data.Document.80560.xls#'Tab5 '!A1). (16.7.2011) 129 Zur Differenzierung zwischen bildungsinländischen und bildungsausländischen Personen mit Migrationshintergrund siehe auch: Bildungsbericht Schweiz 2010, 200ff. http://www.skbf-csre.ch/fileadmin/files/pdf/bildungsmonitoring/epaper- bildungsbericht2010de/page220.html «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 59 von 245 Grafik 4: Studierende und Abschlüsse der universitären Hochschulen mit Verweis auf ‚Bildungsherkunft s. http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/15/06/data.Document.80560.xls#'Tab5 '!A1 (25.8.2011) Am Beispiel der Begrifflichkeiten rund um Herkunft und kulturelle Vielfalt lässt sich somit exemplarisch aufzeigen, dass ‚Diversity Management‘ nicht nur einen sorgfältigen Blick auf die vielfältigen Differen- zaspekte und –kategorien voraussetzt, sondern auch auf das Vokabular, anhand derer gesellschaftli- che Vielfalt kategorisiert und ‚gefasst‘ wird. Eine Diversity Politik, die allen wichtigen Facetten gesell- schaftlich relevanter Differenzkategorien gerecht zu werden versucht, kommt dabei nicht darum her- um, das eigene Vokabular zu schärfen und den aktuellen gesellschaftlichen Realitäten anzupassen. Grafik 5: Rahmen und Hintergründe des Diskurses rund um ein «Management der Vielfalt». «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 60 von 245 Literatur/Quellen AUG 2008 – AUSLÄNDERGESETZ vom Sept. 2006 (in Kraft seit dem 1.1. 2008). Link: (www.bfm.admin.ch/bfm/de/home/dokumentation/rechtsgrundlagen/abgeschl_gesetzgebungsprojekte/ auslaendergesetz.html (20.7.2011)). BERICHT ZUR WEITERENTWICKLUNG DER INTEGRATIONSPOLITIK DES BUNDES. Der „Bericht Schiesser“ vom März 2010. Link: www.bfm.admin.ch/content/dam/data/migration/integration/berichte/ber-br- integrpolitik-d.pdf (15.7.2011). BILDUNGSBERICHT SCHWEIZ 2010. Aarau: SKBF. Link: www.skbf- csre.ch/fileadmin/files/pdf/bildungsmonitoring/epaper-bildungsbericht2010de/page220.html#/2 (8.9.2011). BUNDESVERFASSUNG DER SCHWEIZERISCHEN EIDGENOSSENSCHAFT vom September 1948. Link: www.verfassungen.de/ch/verf48-i.htm (20.7.2011). GRIN, FRANCOIS 1989: Language Policy in Multicultural Switzerland: Overview and recent develop- ments. ECMI Issue Brief. Link: www.ecmi.de/uploads/tx_lfpubdb/brief_2.pdf; 25.7.2011. KAPPUS, ELKE-NICOLE 2008: Zur diskursiven Herstellung von Gleichheit und Ungleichheit. In: Oester, Kathrin, Ursula Fiechter und Elke-Nicole Kappus (Hg.): Schulen in transnationalen Lebenswelten, S. 69 – 117. Zürich: Seismo. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 61 von 245 3.3. Bildungsnähe und Bildungsferne oder doch Schicht und Klasse? (Marlies W. Fröse) Dieser Beitrag wird in seiner Kürze die nachfolgend genannten Aspekte thematisieren, mit dem Ziel - das Ergebnis sei vorweggenommen -, dass die Kategorie „Bildungsferne Schichten“ unter geistes- und sozialwissenschaftlicher Perspektive eher eingrenzt, anstatt Diskussionen zu eröff- nen. Nach Klärung der Ausgangsfrage und der Ausgangslage wird die Definitionsvielfalt dieses Diskurses skizziert, theoretisch zurückgebunden und daraus werden mögliche Gestaltungsemp- fehlungen für Hochschulentwicklungen vorgestellt. 1. Ausgangsfrage und Ausgangslage Die Ausgangsfrage lautet, welche Relevanz hat die Kategorie Bildungsferne Schichten im Kontext von Herkunft und Diversity für die Hochschulen. Und dies auf dem Hintergrund, dass aufgrund seiner Herkunft niemand benachteiligt werden darf, so das Schweizerische Grundgesetz. Im Rahmen der „Big 8“ Diversity-Kategorien ist der Begriff der Herkunft ein bedeutsamer Bestandteil des gesamten Diversity-Konzeptes und der dazugehörenden Diskussionen. Jedoch taucht die Unterkategorie Bildungsferne Schichten – zwar wissenschaftlich in der Geistes- und Erziehungs- wissenschaft eingeführt – als Begriff in diesem Diskurs fast nicht auf, obwohl seit der Durchfüh- rung der PISA-Studien die Begriffe bildungsferne und ebenso bildungsnahe Schichten zuneh- mend in den wissenschaftlichen und bildungspolitischen Diskussionen verwendet werden. Der Ausgangspunkt dafür ist: In einigen europäischen Ländern, vorrangig Deutschland, schneiden Kinder bildungsferner Schichten statistisch belegbar schlechter ab, als Kinder aus akademischen bzw. bildungsnahen Schichten. Die Zahlen zeigen auch in der Schweiz vergleichbare Entwicklungen. Das Bundesamt für Statistik (BfS) weist deutlich auf die soziale Schichtung hin, wie dies in den nachfolgenden beiden Tabel- len, insbesondere zur sozialen Durchlässigkeit bezüglich des Bildungsstands 130 ersichtlich wird: „Der familiäre Hintergrund kann die Bildungskarriere stark beeinflussen. Kinder und Jugendliche mit gebildeten Eltern wachsen in einem privilegierten Umfeld auf, was den Zugriff auf soziokultu- relle Ressourcen anbelangt. Dadurch erhöhen sich ihre Chancen, ebenfalls einen hohen Bil- dungsstand zu erwerben. Vom Bildungssystem wird erwartet, dass es komparative Vor- und Nachteile nivelliert und die Chancengleichheit sowie die Bildungsmobilität der Bevölkerung ge- währleistet. Vorliegender Indikator liefert Hinweise auf die vom Bildungssystem intendierte Ver- mittlung der Chancengleichheit, indem die prozentualen Anteile der intergenerativen sozialen Durchlässigkeit dargelegt werden.“ Dabei weist das Bundesamt für Statistik explizit darauf hin, dass diese Zahlen, bezogen auf die soziale Durchlässigkeit, über die Altersgruppen als ziemlich stabil zu betrachten sind. „Rund die Hälfte der Befragten weist denselben Bildungsstand wie ihre Eltern auf. Etwa 15% erwerben 130 Die nachfolgenden Zahlen und Texte sind vollständig entnommen am 24. 6. 2010: http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de- /index/themen/15/02/key/ind5.indicator.51531.515.html?-open=5,4#4) «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 62 von 245 einen Abschluss auf einer tieferen und rund 30% einen Abschluss auf einer höheren Bildungsstufe als ihre Eltern. Die soziale Durchlässigkeit ist über die Altersgruppen betrachtet ziemlich stabil. Der Anteil Personen mit einem im Vergleich zu den Eltern höheren Bildungsabschluss ist mit steigen- dem Alter leicht höher. Ein Grund dafür ist die zunehmende Aufstiegswahrscheinlichkeit von älteren Personen aufgrund des durchschnittlich tieferen Bildungsstands ihrer Eltern (vgl. mit dem Indikator Bildungsstand der Bevölkerung)“. Verstärkt wird dies durch die Informationen zu der Gruppe der Männer von mindestens 44 Jahren, die die am sozial durchlässigste sei: „Der Anteil Männer mit einem im Vergleich zu den Eltern tieferen Abschluss ist verglichen mit dem der Frauen etwa um die Hälfte tiefer. Die Gruppe der mindestens 44-jährigen Männer ist die sozial durch- lässigste Gruppe. In ihr ist der Anteil derjenigen am kleinsten, die ihren höchsten Abschluss auf derselben Bildungsstufe wie ihre Eltern erworben haben“. Dies belegen auch die Zahlen zur so- zialen Lage der Studierenden in der Schweiz im Jahr 2005: „Die Schichtzugehörigkeit wurde an- hand der höchsten beruflichen Stellung und dem höchsten Bildungsabschluss der Eltern gebildet. Der Index unterteilt sich in vier Gruppen: niedrige, mittlere, gehobene und hohe Schicht. Durch diese Einteilung befinden sich 28% der Studierenden in der hohen, 28% in der gehobenen sozia- len Schicht, 26% und 18% in der niedrigen. Der Anteil Studierender aus hoher sozialer Schicht beträgt an den UH 31% und an den FH 22%. Überdurchschnittliche Anteile aus hoher Schicht weisen an den UH die Fachbereichsgruppen Medizin und Pharmazie, Wirtschaftswissenschaften und Technische Wissenschaften auf. In den Exakten und Naturwissenschaften und in den Geistes- und Sozialwissenschaften beträgt er 26%, respektive 29%. An den Fachhochschulen sind hohe Anteile in den musischen und künstlerischen Fachrichtungen sowie im Fachbereich Wirtschafts- wissenschaften und Dienstleistungen (26% bis 28%) zu verzeichnen. Wenig Studierende mit hoher Schichtzugehörigkeit gibt es in Chemie und life science sowie Technik und IT (je 15%)." Zwei Tabellen sollen dies verdeutlichen: Vergleichbare Zahlen lassen sich auch in Deutschland finden. Deutlich wird, dass die soziale Her- kunftsgruppe – ob niedrig oder hoch – gestaltend für den Zugang zur akademischen Bildung wirkt, und logischerweise dann auch entsprechende auf die Nutzung der sozialen Medien hat. Kinder aus einer sozial hohen Herkunftsgruppe nehmen zu 81% das Studium auf, im Vergleich zu Kin- dern aus der sozial niedrigen Herkunftsgruppe nur 11 Prozent. Dies zeigt sich auch bezogen auf das Bildungsniveau bezüglich der Email-Nutzung. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 63 von 245 2. Definitionsvielfalt und theoretische Rückbindungen Unter bildungsfern wird verstanden: Die betreffende Personengruppe verfügt über keinen oder einen niederen Schulabschluss. Zudem wird davon ausgegangen: Diese Gruppe verfügt über keine grundlegenden Kenntnisse über Lehrinhalte, die für ein späteres Studium an Fachhoch- schulen oder Universitäten erforderlich sein müssten. Der Begriff bildungsfern selbst ist recht um- stritten. Dies ist auch berechtigt, da der Begriff oft auch mit ungebildet gleichgesetzt wird. Korrek- terweise müssten wir von dem Zugang zur akademischen Bildung sprechen, den die Kinder erhal- ten sollen, können und / oder dürfen. In anderen Jahrzehnten wurden stattdessen die Begriffe Arbeiterkinder oder Bildungsbenachteili- gung verwendet. Mit dem letztgenannten Begriff Bildungsbenachteiligung ist gemeint: Eine Grup- pe von Menschen erhält systematisch weniger Zugang zum Bildungssystem bzw. wird davon aus- gegrenzt. Dabei ist die Kategorie Geschlecht ebenso relevant, wie auch die zur Verfügung ste- henden sozialen, finanziellen und / oder kulturellen Ressourcenzugänge, um Bildung zu erwer- ben. Vordergründig ist keine bewusste und / oder vorsätzliche Diskriminierung sichtbar bezie- hungsweise vorhanden. Pierre Bourdieu hat zu der fehlenden Chancengleichheit ausführlich und differenziert pointiert publiziert: Die feinen Unterschiede / Elend der Welt. Der Habitus – dessen Konditionierungsprozess in der Pubertät verlaufe – steuere unbewusst das Leben im Erwachse- nenalter. Und diese Bildungsbenachteiligung führe dann später zur relativen und / oder absoluten Bildungsarmut. Als Ursachen der Bildungsbenachteiligung werden das Geschlecht, der soziale Status, die Sprache, die kognitive Entwicklung angeführt, die ihre Wurzeln im familiären Hinter- grund, in der sozialen Segregation, wie auch in der ungleichen Einkommensverteilung, fehlenden muttersprachlichen Kompetenz, der Rosenthal- und Matthäus-Effekte u.a. m. haben. Etliche For- schungsergebnisse weisen darauf hin, dass das Aufwachsen in Armut zu anderen Entwicklungs- formen führe (Payne 2006). In diesem Zusammenhang wird insbesondere die Kategorie Migrati- onshintergrund benannt, zu denen ausführlich Nese Cetinkaya und Elke Kappus geschrieben haben (siehe dazu die anderen Dokumente in dieser Studie) Der alte klassische Begriff der Arbeiterkinder entstand im Zuge der Industrialisierung, ist heutzu- tage nicht mehr ohne weiteres verwendbar, da es den klassischen Arbeiter als soziologische «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 64 von 245 Kategorie kaum noch gibt, obwohl die Merkmale nach wie vor vorhanden sind (wie Armut, gerin- ges Prestige, soziale Benachteiligung bezogen auf die Gruppen: Erwerbslose, Alleinerziehende, Migrant/innen, Menschen mit Behinderung. Zudem ist wissenschaftlich belegt: Menschen aus bildungsfernen Schichten sind eher mit Minderwertigkeitsgefühlen wie etwa dem doppelt so hohen Risiko für Depressionen, Essstörungen, Hyperaktivität und psychischen Erkrankungen ausgestat- tet. Insbesondere aus den 80er Jahren lassen sich zahlreiche Publikationen zum weitgefassten Thema Arbeiterkinder im Hochschulsystem finden (Bublitz 1982, Schlüter 1993/2005/2006, u.a.). Wir wissen auch, Unterschiede in Herkunft und Milieu haben Auswirkungen auf die Bildungspro- zesse und sind von daher eine entscheidende Einflussgröße (Vahsen/Mane 2010; Volken / Knöp- fel 2004; Kehrli / Knöpfel 2006; Caritas 2010). Wobei auch hier anzumerken ist, der Analphabe- tismus beträgt in Deutschland ungefähr drei Millionen absolut und fünfzehn Millionen mit erhebli- chen Einschränkungen. Die Wahrscheinlichkeit, ob ein Kind studieren wird, hängt von dem Bil- dungsstand der Eltern ab. Laut der aktuellen Studie des Deutschen Studentenwerks nehmen von 100 Kindern 71 Akademikerkinder ein Hochschulstudium auf. Aus nicht-akademischen Haushal- ten beträgt die Zahl lediglich 24, obwohl doppelt so viele die Hochschulreife erreicht haben. Die finanzielle Belastung ist dabei nur einer der Gründe. Die habituelle Sozialisation ist prägend. Die Gießener Doktorandin Katja Urbatsch, ihr Bruder Marc Urbatsch sowie ihr Partner Wolf Dermann und noch zwei Kolleginnen aus dem Gießener Graduiertenzentrum starteten im Mai 2008 das Internetportal www.arbeiterkind.de und sorgten damit bundesweit für Furore. Zahlreichen Stu- dent/innen und Akademiker/innen der ersten Generation boten sich als ehrenamtliche Mentorin- nen und Mentoren an. Begriffe wie Klasse und soziale Schichtung oder auch soziale Ungleichheit tauchen wenn, dann eher in der Organisationssoziologie auf, und hier beispielsweise bei der Verwendung des Begriffes des Unterschicht-Fernsehens (Privatsender). Der Begriff wurde durch das Satiremagazin Titanic 1995 eingeführt. Im gleichen Jahr warnte Medienpsychologe Winterhoff-Spurk vor einer Entwicklung ei- ner „medialen Klassengesellschaft“. Und 2004 beschrieb Nolte in seinem Buch Generation Re- form die neu entstandene Unterschicht, die durch mangelnde Bildung gekennzeichnet sei, ge- meint waren damit auch gut Verdienende. Dieser Begriff wurde jedoch von unterschiedlichen Sei- ten kritisch kommentiert (Norbert Bolz), zudem darin auch die Angst der Mittelschicht vor Verar- mung mit transportiert würde. Was diese Erkenntnisse dann für die Elitenauswahl im Management oder im Hochschulkontext für Studierende wie auch Mitarbeitende im Kontext der Chancengleichheit bedeuten, bleibt eine zu untersuchende Fragestellung. Zudem von Michael Hartmann die These vertreten wird, dass die „Globalisierung der Wirtschaft letztlich zur Verstärkung der Elitebildung im Management führt und die ohnehin schon vorhandene hohe Exklusivität und Selektivität“ (der Männer) eher verstärkt als mildert. Folgt man sogar dieser Argumentation, so ist davon auszugehen, dass zukünftig eine verstärkte Re- maskulinisierung und auch Retaylorisierung, insbesondere auf der Führungs- wie auch auf der mittle- ren Ebene, programmiert ist. Und was heißt das dann im Kontext einer Diversity-Chancengleichheit? Vor dem Hintergrund eines engen Arbeitsmarktes, der zunehmenden Erwerbslosigkeit auch im mittle- ren Segment sowie des seit Jahren begonnenen Umbaus und Abbaus des Sozialstaates ist sogar mit «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 65 von 245 einer Verschärfung einer eher homosozialen Auswahl zu rechnen, zu Lasten der Frauen. Stephan Höying (1998) verwendete dafür den Begriff der interessensgeleiteten Nichtwahrnehmung. Wobei an dieser Stelle aber auch konstatiert werden muss, dass aufgrund des zu erwartenden Fach- und Füh- rungskräfte-Mangels im Kontext der demographischen Entwicklung Frauen, Migrant/innen und viel- leicht auch Menschen aus anderen Bildungsschichten eher Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten könn- ten. Obwohl in der Bildungsforschung der Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildung eingehend beschrieben und erforscht wurde, fiel bei der sehr kurzen Recherche zur vorhandenen Diversity- Literatur auf, dass bei der Herstellung der sozialen Differenzen die Kategorie Herkunft vorwiegend bezogen auf den Migrationshintergrund (nationale Herkunft) im Kontext des Diversity Management gedeutet und verwendet wird und wenige Empfehlungen zur Handhabung der Kategorie „bildungsfer- ne Schichten“ formuliert worden sind. 3. Chancengleichheit an Hochschulen – Diversity: „Bildungsferne“ Schichten Im Jahr 1982 hat das Hochschul-Informationssystem (HIS) die Kategorie der sozialen Herkunft in die Datensätzen aufgenommen. Dieser kann jedoch nur als ein grober Indikator für Sozialerhe- bungen bezeichnet werden. Dort werden vier Herkunftsgruppen benannt: niedrige, mittlere, geho- bene und höchste Herkunft. Eltern von Studierenden, die eine niedrige Herkunft aufweisen, sind dann vorwiegend Beamte des einfachen und mittleren Dienstes (Schaffner, Amtshilfe) sowie An- gestellte mit ausführenden Tätigkeiten (Verkäuferinnen), Facharbeiter sowie unselbständige Handwerker und ungelernte / angelernte Arbeiter. Zu dieser Kategorie müssten dann noch die zweiten / dritten Generationen von Migrant/innen hinzugezählt werden, die aufgrund ihrer Biogra- fie oftmals eine institutionalisierte Diskriminierung im Bildungssystem erfahren haben. Um die Kategorie bildungsferne Schichten im Hochschulkontext zu verstehen, wären Analysen auf mehreren Ebenen erforderlich, so die Daten im Hochschulbereich erfasst worden sind. Wobei angemerkt werden muss, dass nachfolgend auch etliche sensible Daten gemeint sind: • Ebene der Studierenden (im Sinne möglicher Überprüfung): Gibt es gezielte Unter- stützungsprogramme, wie Studienfinanzierungen, Mentor/innenprogramme, Begabungs- förderungsprogramme. • Ebene der Angestellten bezogen auf alle Statusgruppen (Administration / Organisation / Lehre / Forschung): Wie wird das Thema „Bildungsferne“ im organisationalen Kontext (HRM) thema- tisiert? • Zugangsbarrieren für Studierende und Mitarbeitende: Werden Zugangsbarrieren von Studie- renden wie auch Mitarbeitenden im organisationalen Kontext benannt, so vorhanden? Viel- leicht müssten auch andere Gruppen zu diesen Zugangsbarrieren befragt werden, also nicht institutionenintern angelegte Befragungen könnten dafür erforderlich sein. • Forschung und Lehre: Wie wird die Kategorie bildungsferne Schichten in Forschung und Lehre integriert? • Dienstleistung: Die vorab gestellte Frage beträfe ebenfalls die Analyse von Dienstleistungsauf- trägen. Wie wird der habituelle Kontext in Auftragsklärungen thematisiert? «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 66 von 245 Die Erfassung der oben genannten Daten ist zum Teil im organisationalen Kontext einer Instituti- on nicht unproblematisch, da diese Kategorie einen bislang tabuisierten Bereich in der Alltags- kommunikation und insbesondere für das HRM anspricht, zudem Hochschulen für die Förderung der Eliten stehen (Hartmann). Frohnen (2005) geht davon aus, das mit dem Doing Gender Konzept wie auch mit dem Doing Nationality Modell möglicherweise ein weiterführender Ansatz vorhanden sein könnte; dieser stellt den analytischen Begriff der habituellen Mitgliedschaft in den Mittelpunkt. 4. Gestaltungsempfehlungen für Hochschulentwicklungen Ausgehend von dieser Kurzrecherche können folgende Ergebnisse benannt werden. Erstens ist in der klassischen Bildungsforschung der Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildung einge- hend beschrieben und erforscht worden. Zweitens können wir festhalten, dass die vorhandene Diversity-Literatur sich bei der Herstellung der sozialen Differenzen (Kategorie Herkunft) vorwie- gend auf den Migrationshintergrund (nationale Herkunft) bezieht. Der Aspekt der „bildungsfernen“ Schichten taucht im Diversity Konzept im von Gardenswartz/Rowe vielzitierten Rad nur unter dem Aspekt Herkunft auf. In den weiterführenden Diversity-Forschungen wird dieses jedoch nicht an- gemessen thematisiert. Wir können feststellen, dass nur wenige Empfehlungen zur Handhabung der Kategorie „bildungs- ferne Schichten“ bislang formuliert wurden. Vielmehr entstehen eine Vielzahl von Fragen: Was bedeuten diese Erkenntnisse für die Eliteauswahl im Management oder im Hochschulkontext für Studierende, wie auch für Mitarbeitende im Kontext der Chancengleichheit? Und was heißt Diver- sity-Chancengleichheit vor dem Hintergrund eines engen Arbeitsmarktes, der zunehmenden Er- werbslosigkeit auch im mittleren Segment sowie des seit Jahren begonnenen Umbaus und Ab- baus des Sozialstaates und beschleunigter globalisierter weltweiter Entwicklungen? Und welche Relevanz hat dann die Kategorie Bildungsferne Schichten innerhalb organisationaler Hochschul- strukturen mit ihren jeweiligen Zielgruppen? Wir haben zwar in der Statistik die soziale Schichtung in Datensätze aufgenommen, aber diese bleibt nur ein grober Indikator bei Sozialerhebungen. Zudem berührt die Kategorie bildungsferne Schichten einen bislang eher tabuisierten Bereich in Alltagskommunikation und Human Ressource Management von Hochschulen. Wir wissen wenig über mögliche Zugangsbarrieren von Studierenden und Mitarbeitenden aus niedrigen Bildungs- schichten. Ausgehend von diesen Überlegungen scheint folgendes weiterführend in unseren Diskussionen zu sein: Anstatt des Begriffes der bildungsfernen Schichten sollten wir uns unter Umständen doch den alten soziologischen Kategorien wie Schicht oder Klasse zuwenden, da diese komplexer und analytischer sind. Der Begriff verschleiert verschiedenste Aspekte: ob Menschen bildungsfern sind oder nicht, hängt nicht ohne weiteres vom akademischen Zugang ab. Auch ein Bäckermeis- ter kann gut gebildet sein. Damit würden wir einen alten Diskurs aufnehmen, was „richtige“ Bil- dung sei. Und wer diese Bildung definiert. Es verschleiert auch die ökonomischen Bedingtheiten, die die Partizipation, also die aktive Teil- nahme von Menschen an all den Prozessen, verhindern. Die soziale Herkunft ist entscheidend. Von daher könnte der Schicht-Begriff oder auch ein neu bzw. weiter zu entwickelnder Klassen- «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 67 von 245 begriff im Kontext des Habitus-Verständnisses hilfreich sein, der die Komplexität dieser Zusam- menhänge erfassen kann. Dann wird auch sichtbar, wie die Mechanismen der Selektion und Allokation von Bildung aufgrund des vorhandenen extremen Wettbewerbs je nach Herkunft und Schicht gegenwärtig stetig weiter definiert wird. Denn es ist klar: „…, dass der soziale Hintergrund – Deweys habits oder Bourdieus Habitus – bei solchen scheinbar freien Entscheidungen eine ausschlaggebende Rolle spielt, aber er bleibt unsichtbar.“ (Schubert 2009: 37). Die möglichen Gefahren dieser Ausgrenzungen und Neuaufteilungen hat Zygmunt Baumann in seinem Buch über das Leben in der flüchtigen Moderne ausführlich behandelt (2007: 51f.): „Da die Vielstimmigkeit und kulturelle Buntheit des städtischen Umfelds in Zeiten der Globalisierung vermutlich eher zu- als abnehmen wird, werden die wachsenden Spannungen aufgrund der quä- lenden, verwirrenden und irritierenden Unvertrautheit der Umgebung wohl den Wunsch nach wei- terer Segregation wecken.“ Und dies sollte uns nachdenklich machen!!! 5. Literatur Klassiker und ältere Theorien Dahrendorf, Ralf (1957): Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, Stutt- gart. Geiger, Theodor (1972): Die soziale Schichtung des deutschen Volkes, Darmstadt (zuerst 1932) Marx, Karl/Engels, Friedrich (1969): Werke, Bd. 3: “Manifest der Kommunistischen Partei” (zuerst: 1846/1856); Bd. 4: “Der 18te Brumaire des Louis Napoleon” (zuerst: 1852), Berlin. Weber, Max (1956): Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen. Monographien Bude, Heinz (2008): Die Ausgeschlossenen. Das Ende vom Traum einer gerechten Gesellschaft. München: Hanser Verlag. Beck, Ulrich (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt am Main. Berger, Peter A. (1996): Individualisierung. Statusunsicherheit und Erfahrungsvielfalt, Opladen. Bourdieu, Pierre (1982): Die feinen Unterschiede, Frankfurt am Main. Bourdieu, Pierre et.al. (1997): Das Elend der Welt. Konstanz. Caritas (2010): Sozialalmanach. Schwerpunkt: Armut verhindern. Luzern. Frerichs, Petra (1997): Klasse und Geschlecht, Bd.1: Arbeit. Macht. Anerkennung. Interessen, Opla- den. Frohnen, Anja (2005): Diversity in Action. Multinationalität in globalen Unternehmen am Beispiel Ford. Bielefeld. Giddens, Anthony (1979): Die Klassenstruktur fortgeschrittener Gesellschaften, Frankfurt am Main. Heitmeyer, Wilhelm (2010): Deutsche Zustände. Folge 8. Frankfurt am Main (Edition Suhrkamp). Hradil, Stefan (1987): Sozialstrukturanalyse in einer fortgeschrittenen Gesellschaft, Opladen. Kehrli, Christin, und Carlo Knöpfel (2006): Handbuch Armut in der Schweiz. Luzern. Kreckel, Reinhard (1992): Politische Soziologie der sozialen Ungleichheit, Frankfurt am Main. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 68 von 245 Mazumder, Sita, Gabrielle Wanzenried und Nicole Burri (2010): Diversity Management. Erfolg durch Vielfalt. Luzern. Müller, Hans-Peter (1992): Sozialstruktur und Lebensstile, Frankfurt am Main. Schlüter, Anne (2005): „In der Zeit sein…“ Beiträge zur Biographieforschung in der Erwachsenenbil- dung, Verlag Bertelsmann, Bielefeld. Schlüter, Anne (2006): Bildungs- und Karrierewege von Frauen, Verlag Barbara Budrich, Opladen. Schulze, Gerhard (1992): Die Erlebnisgesellschaft, Frankfurt/New York. Vahsen, Friedhelm und Gudrun Mane (2010): Gesellschaftliche Umbrüche und soziale Arbeit. Wiesbaden. Volken, Jeannine Silja und Carlo Knöpfel (2004): Armutsrisiko Nummer eins: geringe Bildung. Luzern. Vester, Michael u.a. (1993): Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel, Köln. Sammelbände Berger, Peter A./Hradil, Stefan (Hg.) 1990: Lebenslagen, Lebensläufe, Lebensstile, Soziale Welt, Sonderband 7, Göttingen. Berger, Peter A./Sopp, Peter (Hg.) 1995: Sozialstruktur und Lebenslauf, Opladen. Berger, Peter A./Vester, Michael (Hg.) 1998: Alte Ungleichheiten – Neue Spaltungen, Opladen. Frerichs, Petra/Steinrücke, Margareta (Hg.) 1993: Soziale Ungleichheit und Geschlechterverhältnis- se, Opladen. Hradil, Stefan (Hg.) 1992: Zwischen Bewußtsein und Sein, Opladen. Huster, Ernst-Ulrich (Hg.) 1997: Reichtum in Deutschland, 2., aktual. und erw. Auflage, Frankfurt am Main/New York. Kreckel, Reinhard (Hg.) 1993: Soziale Ungleichheiten, Soziale Welt, Sonderband 2, Göttingen. Leibfried, Stephan u.a. (1995): Zeit der Armut. Lebensläufe im Sozialstaat. Frankfurt. Leibfried, Stephan/Voges, Wolfgang (Hg.) 1992: Armut im modernen Wohlfahrtsstaat, Sonderheft 32 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Opladen. Mayer, Karl Ulrich (Hg.) 1990: Lebensläufe und sozialer Wandel, Sonderheft 31 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Opladen. Schlüter, Anne (Hg.) 1993: Bildungsmobilität. Studien zur Individualisierung von Arbeitertöchtern in der Moderne. Weinheim. Internationale Sozialstrukturvergleiche Erikson, Robert/Goldthorpe, John H.: Constant Flux. A Study of Class Mobility in Industrial Socie- ties, Oxford 1992 Esping-Andersen, Gösta: Changing Classes. Stratification and Mobility in Post-industrial Societies, London 1993 Hradil, Stefan/Immerfall, Stefan (Hg.): Die westeuropäischen Gesellschaften im Vergleich, Opladen 1997 Wright, Eric Olin: Class Counts. Comparative Studies in Class Analysis, Cambridge 1997 «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 69 von 245 3.4. Menschen mit Behinderung den Zugang zu Hochschulen ermögli- chen (Christine Lüthi) 1. Begriffe (zitiert aus: Pärli, Caplazi, Lichtenauer o.J., s. 9-12) Vom medizinischen zum sozialen Modell von Behinderung Der Behinderungsbegriff hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte stark gewandelt. Ein wichtiger An- triebsfaktor für die Veränderung war die in den späten sechziger Jahren in den USA entstandene Be- hindertenbewegung. Stand früher die medizinische Sichtweise und damit der individuelle Grad der Schädigung einer Person im Vordergrund, so wird derzeit der Fokus eher auf die Beeinträchtigung dieser Person durch ihr soziales Umfeld gerichtet. Damit hat sich in den Sozialwissenschaften ein Verständnis von Behinderung durchgesetzt, welches weithin als das soziale Modell von Behinde- rung bezeichnet wird. Im Gegensatz dazu steht das medizinische Modell – auch als individuumszen- triertes Paradigma bezeichnet – das zwar als überholt gilt, im öffentlichen Verständnis jedoch häufig noch immer die verbreitetste Sichtweise darstellt. Im medizinischen Modell wird Behinderung als ein der Person innewohnendes Problem angesehen, das man mit Hilfe gezielter Massnahmen, wenn nicht beheben, so doch eindämmen kann. In den Sozialwissenschaften und der Behindertensoziologie herrscht heute weitgehend Konsens darüber, dass Behinderung niemals absolut gesehen werden kann, sondern dass sie sich erst in einem bestimmten Kontext manifestiert und somit stets relativ ist. Die verhältnismässig junge Disziplin der Disability Studies, die aus der Behindertenbewegung ent- standen ist, begreift Behinderung betont als soziale Konstruktion und sieht in den ausgrenzenden gesellschaftlichen Bedingungen das konstruierende Element. Eingeschränkter Zugang zu gesell- schaftlicher Teilhabe und massive Vorurteile gegenüber Behinderung bringen nach diesem Ansatz überhaupt erst den Tatbestand der Behinderung hervor. Behinderung wird hier vor allem als soziales und politisches Problem verstanden, nicht als individuelles. Niedergeschlagen hat sich diese veränderte Sichtweise in der neu überarbeiteten Konzeption von Behinderung der WHO, der «International Classification of Functioning, Disabilities and Health» (ICF) von 2001, an deren Ausarbeitung auch Menschen mit einer Behinderung beteiligt waren. Der medizi- nische Akzent der ersten Fassung von 1980 mit dem Namen «International Classification of Impair- ments, Disabilities and Handicaps» (ICIDH), wurde zugunsten eines umfassenderen Verständnis- ses des Phänomens Behinderung aufgegeben, indem versucht wurde, der Mehrdimensionalität von Behinderung gerecht zu werden. Wie schon der Titel zeigt, verabschiedet sich das neue Modell von einer tendenziell negativen und defektorientierten sowie weitgehend personenorientierten Definiti- on von Behinderung. Immerhin muss angefügt werden, dass bereits in der WHO-Konzeption von 1980 Behinderung nicht mehr nur mit einer körperlichen Schädigung gleichgesetzt wurde. Man ging jedoch von einem linearen Modell aus: Eine körperliche Schädigung führt zu einer Beeinträchtigung. Auf- grund einer Beeinträchtigung oder Schädigung können bestimmte Rollen in der Gesellschaft nicht ausgeführt werden, was zu einer Benachteiligung oder einer Behinderung führt. Eine andere Reihen- folge, dass ausgehend von einer sozialen Benachteiligung eine Beeinträchtigung, z. B. eine Lernbe- hinderung entstehen kann, war im Modell nicht vorgesehen. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 70 von 245 Der ICF von 2001 berücksichtigt sowohl die Bedeutung einer physischen oder psychischen Schädi- gung einer Person wie auch die soziale Bedingtheit von Einschränkungen, die sich für den betroffenen Menschen hieraus ergeben. Die WHO nimmt damit eine vermittelnde Stellung ein zwischen Definitio- nen, welche sich eng an medizinischen Kategorien orientieren und Behinderung in erster Linie als objektivierbaren Defekt einer Person betrachten, und Ansätzen, nach denen sie erst in der sozialen Interaktion entsteht. In der neuen WHO Klassifikation wird Behinderung als jede Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit einer Person angesehen, wobei «Funktionsfähigkeit» hier als mehrdimensionaler Begriff gesehen wird, welcher nicht nur (bio-)medizinische, sondern auch soziale Aspekte umfasst. Gemäss ICF ist die Behinderung einer Person in einem bestimmten gesellschaftlichen Kontext einerseits bestimmt durch die Schädigung der Körperfunktionen bzw. -strukturen, anderseits durch die Beeinträchtigung ihrer Partizipation, welche durch Umweltfaktoren und personenbezogene Faktoren beeinflusst wird. Der Begriff Behinderung wird in der neuen WHO Konzeption nicht mehr einfach definiert, sondern es wird versucht, das gesamte Bild zu erfassen, indem mit dem breit gefassten Konzept der Behinderung folgende drei Dimensionen berücksichtigt werden: 1. Dimension des Körpers: Darunter werden Körperfunktionen (physiologische oder psychische Funk- tionen von Körpersystemen) und Körperstrukturen (anatomische Teile des Körpers) gezählt. Beein- trächtigungen auf dieser Dimension heissen «Schädigungen» (engl. «impairments»); 2. Dimension der Aktivität: Das Aktivitätskonzept begründet sich dadurch, dass Handeln, aktiv sein, Aufgaben und Tätigkeiten des täglichen Lebens zu erfüllen, zu den zentralen Eigenschaften des menschlichen Daseins gehören. Beeinträchtigungen auf dieser Dimension werden «Aktivitätsstörun- gen oder Leistungseinschränkungen» genannt; 3. Dimension der Partizipation: Das Partizipationskonzept beinhaltet die Teilnahme/Teilhabe einer Person in einer Lebenssituation bzw. einem Lebensbereich vor dem Hintergrund ihrer körperlichen, geistigen und seelischen Verfassung, ihrer Körperfunktionen und Strukturen, ihrer Aktivitäten und ihrer Kontextfaktoren (Umweltfaktoren und personenbezogene Faktoren) Störungen auf dieser Dimension werden «Beeinträchtigungen der Partizipation» genannt. Die in der WHO Konzeption von 1980 ver- wendete negative Begrifflichkeit «handicap» erfährt mit dem Begriff Partizipation eine klar integrative Zielsetzung. Die neue WHO Definition ermöglicht es, differenziert Lebensbereiche anzugeben, in denen Behinde- rung auftritt, und zu zeigen, welche positiven und negativen Aspekte die Behinderung beeinflussen bzw. welche politischen Massnahmen sich auf welche Bereiche auswirken. Für Vertreter der Disability Studies und der Behindertenbewegung ist jedoch auch der neue ICF nicht durchwegs unproblema- tisch. So wird darauf hingewiesen, dass Behinderung auch hier im Verhältnis zu geltenden Gesund- heitsstandards definiert wird und damit die beiden Pole von Behinderung und Normalität aufrecht- erhalten werden. Dabei wird betont, dass die Übergangszonen zwischen Normalität und Behinderung deutlich erweitert wurden. Auch wird ein grundsätzliches Missbehagen gegenüber der Klassifikation von Menschen geäussert. (Pärli, Caplazi, Lichtenauer o.J., s. 9-12) «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 71 von 245 2. Politik Das Bundesgesetz über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinde- rung schreibt in Art. 1 Abs. 1 und 2 sowie in Art. 2 Abs. 1 vor, wie der Bund und die Kantone für die Beseitigung von Benachteiligungen behinderter Personen sorgen müssen: «Das Gesetz hat zum Zweck, Benachteiligungen zu verhindern, zu verringern oder zu beseitigen, denen Menschen mit Be- hinderungen ausgesetzt sind. Es setzt Rahmenbedingungen, die es Menschen mit Behinderungen erleichtern, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und insbesondere selbstständig soziale Kon- takte zu pflegen, sich aus- und fortzubilden und eine Erwerbstätigkeit auszuüben. In diesem Gesetz bedeutet Mensch mit Behinderungen (Behinderte, Behinderter) eine Person, der es eine voraussicht- lich dauernde körperliche, geistige oder psychische Beeinträchtigung erschwert oder verunmöglicht, alltägliche Verrichtungen vorzunehmen, soziale Kontakte zu pflegen, sich fortzubewegen, sich aus- und fortzubilden oder eine Erwerbstätigkeit auszuüben (BehiG 2002). Für Bildungsinstitutionen setzt das Behindertengesetz zwei relevante Akzente. Zum einen bezieht es sich auf den Zugang zum öffentlichen Raum: Gebäude, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind, müs- sen bei Neu- und Umbauten hindernisfrei gestaltet werden (vgl. BehiG 2002, Art. 3 und 7). Bei der Beseitigung von baulichen Hindernissen gilt es jedoch zwischen dem Nutzen, der die Beseitigung der Hindernisse für Menschen mit Behinderungen mit sich bringt, und dem wirtschaftlichen Aufwand, der dafür benötigt wird, abzuwägen (vgl. BehiG Art. 11). Zum anderen bezieht sich das Behindertengesetz auf die Bildung: Nach Art. 3 lit. f erfasst das Gesetz im Geltungsbereich die Aus- und Weiterbildung. Gemäss Art. 2 Abs. 5 lit. a und lit. b liegt eine Benachteiligung bei der Inanspruchnahme von Aus- und Weiterbildung vor allem dann vor, wenn der Gebrauch behindertenspezifischer Hilfsmittel oder der Beistand notwendiger persönlicher Assistenz erschwert werden oder wenn die Dauer und die Ausge- staltung des Lehrangebotes sowie Prüfungen den besonderen Anforderungen von Lernenden mit Behinderungen nicht angepasst sind. Auch hier ist jedoch der Verhältnismässigkeitsgrundsatz zu be- achten. Das Diskriminierungsverbot ist eine Grundrechtsbestimmung. Es ist in modernen Verfassungen und internationalen Menschenrechtskonventionen enthalten und wendet sich gegen gesellschaftliche Un- gleichbehandlungen. Das Verbot richtet sich insbesondere gegen die Stigmatisierung eines Menschen wegen seiner individuellen Gruppenzugehörigkeit. Staatliche Institutionen, darunter Hochschulen, dürfen Menschen nicht aufgrund persönlicher Merkmale diskriminieren, d.h., nicht ohne besonderen, sachlichen Rechtfertigungsgrund bei gleicher Sachlage in benachteiligender Weise ungleich behan- deln (vgl. Pärli, Wantz 2010). Unter dem Titel «Rechtsgleichheit» beschreibt Art. 8 Abs. 2 BV das allgemeine Diskriminierungsver- bot: «Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Ge- schlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltan- schaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung» (BV 1999). Das Diskriminierungsverbot wird in Art. 8 Abs. 4 BV in Bezug auf Menschen mit Behinderung konkretisiert. Dem Gesetzgeber wird auferlegt, in einem Gesetz für die Beseitigung von Benachteiligungen der Menschen mit Behinderung zu sorgen (vgl. BV 1999). In den Kantonsverfassungen jener Kantone, die mit einer Fachhochschule verbunden sind, werden «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 72 von 245 Diskriminierungsmerkmale stark unterschiedlich erwähnt. Während beispielsweise der Kanton Basel- Stadt in seinem Rechtsgleichheitsgebot unterschiedlichste Eigenschaften des Menschen erwähnt und insbesondere auch eine Behinderung als Diskriminierungsmerkmal festlegt (drei weitere Kantone, Neuenburg (HES-SO), Waadt (HES-SO) und Zürich (ZFH) nehmen die Behinderung als Diskriminie- rungsmerkmal auf), kennt die Verfassung des Kantons Graubünden (FHO) kein ausdrücklich veran- kertes Rechtsgleichheitsgebot, oder es wird wie im Kanton Luzern (FHZ) auf die Grundrechte in der Bundesverfassung verwiesen (vgl. Pärli, Wantz 2010). Das Fachhochschulgesetz legt fest, dass die Fachhochschulen die Benachteiligungen für Menschen mit einer Behinderung zu beseitigen haben (vgl. FHSG 1995). In der Fachhochschulverordnung wird jedoch nicht konkretisiert, wie die Beseitigung der Nachteile von Menschen mit einer Behinderung aussieht (vgl. FHSV 1996). Das Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT) schreibt als Akkreditierungsbedin- gungen vor, dass Benachteiligungen von Menschen mit (körperlichen) Behinderungen zu beseitigen sind. Als Beispiel wird festgehalten, dass Schulanlagen rollstuhlgängig auszustatten sind und auch Hör- und Sehbehinderte Zugang zu den Fachhochschulen finden können müssen. Weitere Ausfüh- rungen macht das BBT in Bezug auf die Nachteilsausgleichung für Menschen mit einer Behinderung nicht (vgl. BBT 2009). 3. Behinderung an Hochschulen in der Schweiz Sind die Hochschulen in der Schweiz zugänglich für Studierende mit Behinderung oder stehen sie bezüglich Hindernisfreiheit noch am Anfang? Diesen Fragen widmete sich eine repräsentative Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW im Jahr 2010 131 . Die Untersuchung hat gezeigt, dass sich die Hochschulen, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, bezüglich der Zu- gänglichkeit für Studierende mit Behinderung noch im Anfangsstadium befinden. Es bestehen noch zahlreiche Hürden an den Hochschulen, die es den Studierenden mit Behinderung erschweren, gleichberechtigt an einer Hochschulausbildung teilzuhaben. Im Folgenden werden die Haupterkennt- nisse der Studie kurz zusammengefasst (vgl. Koby, Pärli 2010): - Ein Grossteil der Hochschulen hat keine Ansprechperson für Studierende mit Behinderung. Ist eine solche Person jedoch bestimmt, wird diese nicht immer klar gegen aussen kommuniziert. - An den meisten Hochschulen werden Nachteilsausgleiche im Curriculum oder in Prüfungen ge- stattet, nachdem diese jeweils individuell abgeklärt worden sind. Vereinfacht werden diese Aus- gleiche nur an einzelnen Hochschulen, indem sie z.B. nur einmal beantragt werden müssen und dann für das ganze Studium gültig sind. - Die Hochschulen der Schweiz arbeiten nur sporadisch zusammen und tauschen sich nur verein- zelt untereinander aus. - Die Hochschulgebäude sind baulich unterschiedlich gut zugänglich. In den wenigsten Hochschu- len werden die Zugänglichkeiten umfassend beschrieben (z.B. Online-Lagepläne mit Einzeich- nung der Aufzüge, WC, Treppen, Parkplätze usw.). 131 Die Untersuchung «Bestandesaufnahme hindernisfreie Hochschule» der ZHAW ist der erste Teil des vom Gleichstellungsrat Egalité Handicap initiierten und von AGILE getragenen Projekts „Zugang zu Hochschulen für Menschen mit Behinderung in der Schweiz; aktuelle Situation und Perspektiven“. Das Projekt wird vom eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Men- schen mit Behinderung (EBGB) finanziell unterstützt. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 73 von 245 - Wenn in einer Hochschulbroschüre das Thema Gleichstellung erwähnt wird, werden Menschen mit Behinderung meist nicht explizit genannt. - Viele Hochschulen wissen nicht, welche Unterstützung ihre Studierenden benötigen. 4. Fazit Gestützt auf die Verpflichtung in der Bundesverfassung (Art. 8 Abs. 4 BV) hat der Gesetzgeber ein Gesetz zur Beseitigung der Benachteiligung behinderter Menschen (BehiG) erlassen. Im Fachhoch- schulgesetz des Bundes wird auf diese Vorschrift Bezug genommen (Art. 3 Abs. 5 lit. b FHSG) und in den Akkreditierungsbedingungen wird die Sachlage zumindest bezüglich hindernisfreiem Zugang zu Bauten aufgenommen. Das Behindertengesetz fordert zudem neben der Schaffung hindernisfreier Zugänge zu Gebäuden auch die Beseitigung von Benachteiligungen bei der Inanspruchnahme von Aus- und Weiterbildung. Entsprechende Richtlinien zur Umsetzung dieser bundesrechtlichen Anforde- rungen fehlen, soweit erkenntlich, weitgehend. 5. Literatur Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT): Die Schweizer Fachhochschulen. Akkredi- tierung von Fachhochschulen und ihren Studiengängen. Oktober 2009. Bundesgesetz über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderung (Behindertengleichstellungsgesetz, BehiG) vom 13. Dezember 2002 (Stand am 13. Juni 2006) => www.admin.ch/ch/d/sr/151_3/index.html (24.2.11). Bundesgesetz über die Fachhochschulen (Fachhochschulgesetz, FHSG) vom 6. Oktober 1995 (Stand 1. Januar 2007) => www.admin.ch/ch/d/sr/c414_71.html (24.2.11). Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BV) vom 18. April 1999 (Stand 1. Januar 2011) => www.admin.ch/ch/d/sr/101/index.html (24.2.11). Geisen Thomas, Lichtenauer Annette, Roulin Christophe, Schielke Georg: Disability Manage- ment in Unternehmen in der Schweiz. Bericht im Rahmen des mehrjährigen Forschungsprogramms zu Invalidität und Behinderung. Forschungsbericht Nr. 03/08. Olten, Juli 2008. Kobi Sylvie und Pärli Kurt: Bestandesaufnahme hindernisfreie Hochschule – Schlussbericht. Eine Kooperation mit dem Institut für Wirtschaftsrecht der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wis- senschaften. November 2010. Pärli Kurt und Wantz Nadine: Die rechtliche Verankerung von Diversity an schweizerischen Fach- hochschulen. September 2010. Pärli Kurt, Caplazi Alexandra und Lichtenauer Annette: Literaturanalyse Integration in die Arbeits- welt durch Gleichstellung (im Auftrag des Eidgenössischen Departements des Inneren, Generalsekre- tariat, Inselgasse 1, 3003 Bern). O.J.. Verordnung über Aufbau und Führung von Fachhochschulen (Fachhochschulverordnung, FHSV) vom 11. September 1996 (Stand am 1. Mai 2009) => www.admin.ch/ch/d/sr/c414_711.html (24.2.11). «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 74 von 245 3.5. «Junior» et «Sénior»: la construction sociale de l‘âge (Monique Eckmann, Agnes Földhazi) Définition Du point de vue des historiens et des sociologues, l’âge, ou plutôt la division entre les âges, est une catégorie socialement construite et non «naturelle». Catégorie arbitraire (Bourdieu, 1980), elle est le fruit d’une construction sociale qui diffère selon les époques, les cultures, mais aussi les classes sociales; elle se construit en fonction de paramètres culturels, d’une différenciation de genre et de données institutionnelles ou légales, telle la majorité civique ou la retraite. De même, la catégorie d’âge a ceci de particulier qu’elle est à la fois universelle et passagère, en ce que chacun-e en traverse chaque stade, cependant personne n’y reste de façon définitive. L’âge est une notion polysémique: il désigne la période écoulée depuis la naissance mais indique aussi l’avancement dans la vie. Couramment on s’en sert comme synonyme de vieillesse, compré- hension souvent utilisée par les sciences sociales. Parallèlement, l’âge est aussi une donnée impor- tante pour décrire les diverses façons de passer de la jeunesse à l’entrée dans la vie adulte. Est-ce un hasard que ce sont principalement les moments d’entrée et de sortie du monde du travail qui mar- quent les trois âges que forment la jeunesse, la vie adulte, et le vieillissement ? Dans le texte qui suit, nous analyserons deux volets de la catégorie «âge» - la jeunesse et la vieil- lesse, problématisés dans des études et institutionnalisés dans des mesures de politique sociale et de mouvements associatifs. En termes de définition politique, rappelons que la catégorie «âge» donne cadre aux états de ci- toyenneté et de responsabilité face à la société. Accès à la majorité civile et pénale; loi sur le travail; interdiction du travail des enfants et limitation du travail des mineurs; obligation de formation, passage à la retraite; mesures de sécurité sociale ou de bourses d’études – autant d’exemples pour illustrer l’importance de ce découpage. Dès lors, pourrait-on dire que l’âge est une catégorie importante dans les politiques éducatives de la Suisse, mais il s’agit d’une catégorie qui n’est que peu questionnée en tant que telle. Elle est toutefois invoquée lorsqu’il s’agit d’élargir, voire de restreindre des droits (exemples: soutien pour femmes doctorantes; retardement de l’âge de la retraite, etc.). Institutionnalisation politique Au niveau national, l’existence de deux fondations atteste l’importance de deux sous-catégories parti- culières de l’âge, la jeunesse et le «grand âge», à travers Pro Juventute et Pro Senectute. Les deux fondations ont été par ailleurs créées à la même époque, au début du 20ème siècle, reflétant ainsi des préoccupations démographiques à l’issue de la première guerre mondiale. Par ailleurs, au niveau cantonal, un réseau de services spécialisés s’occupe de ces deux catégories. De même, les programmes de développement durable prennent en considération les deux catégo- ries. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 75 von 245 Saisie des données Au niveau fédéral (Office fédéral de la statistique), l’âge est une importante catégorie de saisie des données concernant la population. Il sert de principal outil d’analyse, en fonction d’un découpage en groupes d’âge (actuellement 4 groupes), distinguant la catégorie des jeunes (0-19 ans) de celle des personnes âgés (65 ans et plus) et dénotant bien le caractère arbitraire et historiquement fluctuant de ce découpage. Pour étudier l’évolution démographique, ces données sont croisées avec d’autres va- riables, comme le sexe ou la nationalité. Dans la HES-SO, l’âge est une catégorie introduite en 2010 dans les statistiques internes, à la fois concernant les étudiant.e.s et le personnel. Toutefois, contrairement au genre, les résultats d’une répartition en fonction de l’âge ne sont pas signalés sur le site de l’Ecole au moment de la rédaction du présent texte. Institutionnalisation académique Du point de vue organisationnel, l’âge est une catégorie implicitement présente. Les conditions d’admission pour les étudiant.e.s ne comportent pas d’indications sur une limite de l’âge à l’admission; toutefois, d’autres limites d’âge, notamment pour les réductions de tarifs en général (26 ans), indiquent bien l’image de l’étudiant.e type, plutôt jeune. Par ailleurs, concernant le personnel, comme dans toute la Suisse, l’âge de la retraite est fixé à 65 ans pour les membres du personnel des HES. Ceci n’est pas le cas partout dans le monde, les pra- tiques sont bien différents notamment aux Etats-Unis, (cf. papier sur diversité de Monique Eckmann). Du point de vue de l’organisation des disciplines, nous passons d’abord en revue l’émergence de la gérontologie et évoquons ensuite la genèse de la sociologie de la jeunesse. Vieillesse Historiquement, la gérontologie – l’étude multidisciplinaire du vieillissement humain - émergeait au milieu du 20ème siècle aux Etats-Unis. Le vieillissement était compris comme un phénomène collectif susceptible de se transformer en problème social. Les travaux de cette première période étaient con- sacrés à la description de la vieillesse: ses effets négatifs, la fragilisation des réseaux sociaux etc. Ce courant de travaux distinguait entre vieillissement normal et vieillissement pathologique, ce dernier étant déterminé par la manifestation chez le sujet vieillissant d’affections spécifiques comme, par exemple, la maladie d’Alzheimer. Une perspective individualisante marquait cette recherche, caracté- risée par l’évacuation des facteurs sociaux. Ainsi, l’impact du statut social sur la santé et le processus de vieillissement, pourtant mis en évidence par rapport à la morbidité et la mortalité, n’était que peu étudié en profondeur (Grand, Clément, Boquet 2000). Cette absence d’approfondissement est aussi à mettre en lien avec les classifications statistiques d’usage. De facto, la catégorie générique des «re- traités» associe toute personne au-delà de 65 ans. La référence en vigueur est le monde du travail, et cette manière de catégoriser tend à rendre invisible la réalité d’une hiérarchisation sociale, pourtant persistant au-delà de l’âge de la retraite. Toutefois, depuis peu, les statistiques (notamment en Suisse) associent les retraités à la catégorie socioprofessionnelle de leur dernier métier exercé. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 76 von 245 Progressivement, dès les années 1960, les chercheurs en gérontologie ont pris conscience de leur participation dans la construction d’une image négative de la vieillesse à travers de leur contribution à l’âgisme (ageism = «racisme d’âge»), par une «naturalisation de la vieillesse» qui renforce l’illusion d’homogénéité du grand âge. Pour éviter l’âgisme, pour certains, il s’agissait d’accorder davantage d’attention à une présentation plus positive des résultats. Ce courant de recherche visait à définir «comment bien vieillir», à travers des théories essentiellement sociales et psychologiques. Le nou- veau concept central était celui de «bien vieillir» (successful aging, terme utilisé pour la première fois en 1965). Les théories du vieillissement réussi, dans une double approche psychologique et géron- toéconomique, soulignaient la responsabilité de l’individu dans le processus de vieillissement. Mar- quée par un contexte néolibéral, cette perspective était caractérisée par la notion de l’individu acteur de sa propre prévention (Rowe et Kahn 1998). L’avancement en âge ne serait plus nécessairement synonyme de risques de maladie et d’handicap. Cette perspective était fortement critiquée par la suite, notamment par son absence de prise en considération de l’impact des conditions socioéconomiques sur la capacité d’agir des individus. En parallèle, dès les années 1990, un autre courant, celui de anti-aging, considérait le processus bio- logique de vieillissement comme pathologique en soi. Dans une perspective biomédicale (Clark et al. 2003), il s’agissait ici d’éradiquer les symptômes liés à l’âge. «L’individu vieillissant est réduit à sa corporéité, autrement dit à son apparence et à ses organes, et c’est l’altération de ces derniers qu’il s’agit de combattre» (Hummel 2007 : 514). Le programme de cette nouvelle discipline médicale était à réaliser grâce aux évolutions technoscientifiques, notamment en matière de génétique. Progressivement, les chercheurs distinguent deux étapes de vieillesse: le «troisième âge» et le «qua- trième âge». Le premier correspond à une période active, libérée du souci du travail grâce à la re- traite, tandis que le deuxième est synonyme de la dépendance et de la décrépitude. Dès le début du débat sur la place sociale des personnes du «troisième âge» dans les années 1960, la consommation de biens et de services est progressivement perçue comme une forme de participation sociale des personnes âgées. Ainsi, les retraités, disposant de capitaux temporels et financiers, sont les nouvelles cibles de produits qui leurs sont spécifiquement destinés, essentiellement dans le domaine des loisirs. Une marchandisation de la vieillesse s’installe, au sens d’une privatisation et d’une individualisation de l’offre de biens et des services (Hummel 2007). À partir des années 1990, la gérontologie est marquée par une explosion de la production d’études sur la vieillesse, motivée par la prise de conscience des problèmes démographiques. Après des dé- cennies de «myopie» quant à ce phénomène, le vieillissement de la population et son corollaire, l’augmentation du coût de la santé due aux soins que requiert le grand âge se retrouvent sur l’avant- scène des préoccupations. La faible natalité, en parallèle avec l’augmentation du chômage et du nombre des grands vieillards posent de difficultés pour le système de sécurité sociale. En effet, le système de retraite actuel se base sur l’estimation de l’espérance de vie en 1945, 60 ans à l’époque. Ce système n’était pas prévu pour tout le monde, mais visait de donner assez d’argent aux survivants afin qu’ils vieillissent en dignité. La discussion sur la nécessaire réforme du système de sécurité so- ciale influence notamment le débat sur l’allongement du temps de travail. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 77 von 245 De même, la diversité en termes d’origine ethnique émerge depuis le milieu des années 1990 dans les réflexions concernant le vieillissement, en fonction de deux transformations : premièrement, le nombre de personnes migrantes en augmentation dans les institutions de prise en charge, et deuxièmement, par le fait qu’un certain nombre de migrant.e.s dans les pays de destination accueillent des parents âgés qui n’ont pas vécu auparavant dans ces pays. L’intérêt d’un examen croisé entre âge et migra- tion (origine ethnique) met en évidence l’augmentation et l’hétérogénéisation de la population des migrants âgés (Hungerbühler 2007). Leur situation actuelle est le reflet des trajectoires antérieures des travailleurs manuels peu qualifiés (Bolzman et al. 1996). Cette population vieillit prématurément et dispose de ressources faibles face à une situation économique et de santé précaire. Fort de ces cons- tats, il faut noter la nécessité impérative de promouvoir des compétences transculturelles dans les métiers du social et de la santé (Hungerbühler 2007). Par ailleurs, la transformation du marché de travail augmente aussi la présence d’un personnel soignant d’origine migrante dans les établisse- ments de prise en charge des personnes âgées, posant encore un nouveau défi de gestion de la di- versité (Koch-Straube 2007). Jeunesse Ce n’est qu’au milieu du XXe siècle que la catégorie jeunesse fut «découverte», un siècle après celle de l’enfant. L’émergence de cette catégorie est liée à l’allongement de la période de scolarité et de formation, et le retardement de l’entrée dans la vie adulte, qui se faisait jusque dans les années 1960 sous deux modes principaux, celle du «jeune ouvrier» et celle de «l’étudiant bourgeois» (Bourdieu 1980). Or, l’allongement de la scolarité et le moment d’acquisition d’une qualification professionnelle s’étend peu à peu - au-delà des couches privilégiées - d’abord aux couches moyennes, puis à l’ensemble des couches sociales. Parallèlement à l’allongement des études, l’entrée dans le marché du travail se fait de plus en plus tardivement, de même que le départ du foyer parental et la fondation d’un nouveau foyer (Galland 1985). Une différenciation de ces modes d’entrée dans la vie adulte se fait selon le genre - les filles se forment moins longtemps et se marient plus tôt, mais aussi selon la classe sociale - l’entrée dans le monde du travail s’impose bien plus tôt pour les couches précaires que pour les couches privilégiées. Bourdieu problématise la catégorie de jeunesse en affirmant «La jeunesse n’est qu’un mot» (1980). En effet, les jeunes ne forment pas un groupe homogène, et entre les deux pôles formés par la figure du «jeune ouvrier» et celle de «l’étudiant bourgeois» existent une multitude de postures et d’expériences, qui varient en fonction du genre et de la classe sociale. Aussi, du fait de l’allongement de la période de transition pour la majorité des jeunes, émerge une minorité - celle des «jeunes sans qualification» - qui ne se reconnaît plus dans la posture du «jeune ouvrier» d’autrefois, et dont la situa- tion est problématisée et qui se trouve marginalisée et stigmatisée (Eckmann et al, 1994). Depuis les années 80 et 90, une transformation des étapes du cycle de vie menant à l’âge adulte se fait jour: les trois éléments de ce passage que forment la fin de l’école, l’entrée dans le marché du travail et la fondation d’un foyer qui, traditionnellement, coïncidaient plus ou moins, se dissocient peu à peu et se font depuis lors dans le «désordre», et s’espacent sur une dizaine d’années, voire davan- tage (Galland 1985). Cette période au statut intermédiaire flou, qualifiée de jeunesse, est marquée par «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 78 von 245 l’émergence d’une catégorie sociale aux attributs propres, tels une culture jeune et un mode de con- sommation jeune, qui va rapidement devenir une cible de markéting. L’émergence de la «jeunesse» a été accompagnée aussitôt par des initiatives de prises en charge ou d’encadrement par des associations issues de la société civile, tels les scouts, les jeunesses chré- tiennes, catholiques et protestantes, ou les jeunesses ouvrières. Puis, dès les années 60, la problé- matisation des jeunes socialement visibles dans l’espace urbain – avant tout des garçons -, a été le moteur de l’instauration de politiques de prévention de la délinquance juvénile. Ainsi, les autorités genevoises, préoccupées par la présence de «blousons noirs» dans les préaux scolaires, ont décidé dans les années 1960 la création de centres de loisirs pour la jeunesse, et l’instauration de postes d’animateurs socioculturels pour s’en occuper (Felder et Vuille 1979). Depuis, le nombre de dispositifs de prise en charge de la jeunesse, n’a cessé de s’étendre et de for- mer de multiples maillons de prévention où chaque nouveau dispositif de prévention élargit d’autant le dispositif de contrôle social (Lascoumes 1977). Les études de sociologie de la déviance et de la délinquance font légion depuis les années 1960, et mettent notamment en évidence les processus de stigmatisation et de construction de déviance (Goffman 1963, Becker 1963), plus particulièrement l’élaboration d’une altérité jeune comme «nou- velle classe dangereuse». C’est en effet au travers la prise en charge de ces jeunes vu tour à tour comme jeunes dangereux, puis jeunes en danger, ou encore jeunes en difficulté que la jeunesse de- vient objet de l’intervention publique et une affaire d’état et que les politiques de jeunesse visent leur insertion (les travaux sur la «question urbaine» illustrent bien cette évolution, cf. Donzelot 2006). Ces interventions ciblent en particulier les «jeunes issus de l’immigration», ethnicisant de la sorte le phé- nomène de jeunesse. Depuis la fin des années 1990, on assiste à un vif débat entre scientifiques et politiques au sujet de l’ampleur de la délinquance, du racisme et des incivilités à mettre sur le compte des jeunes immigrés. La gauche et les milieux scientifiques, à force de dénoncer la discrimination évidente dont les jeunes immigrés font l’objet, sont accusés de ne pas voir que ces derniers peuvent également être auteurs d’agressions, y compris racistes, ce que dénonce la droite pour justifier des mesures sécuritaires toujours plus répressives à l’égard des migrants, jeunes ou moins jeunes. La recherche scientifique peine souvent à se situer entre ces deux écueils : celui d’une sur-visibilisation des jeunes migrants comme déviants ou délinquants, et celui d’une jeunesse exclusivement victime des processus de stigmatisation (Lapeyronnie 2008), pour déconstruire la dichotomie entre agres- seurs et victimes (Eckmann et al. 2009). Bilan de l’évolution disciplinaire La reconnaissance de la non-pertinence de la variable «âge» donne lieu à une perspective plus ré- cente, s’intéressant au «parcours de vie» (lifecourse studies). Il s’agit de prendre en considération «l’âge social», donc la position dans le parcours de vie. La considération des diversités caractérise ce courant. En effet, le découpage en catégories comme «jeunesse» ou «grand âge» reste difficile, don- nant lieu à des catégories aux frontières flottantes. De plus, l’évolution des concepts de jeunes et de personnes âgées décrites ci-dessus reflètent l’évolution de ces catégories dans les sociétés occiden- tales. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 79 von 245 Actuellement, on assiste à un renouveau du concept de «génération», forgé à l’origine par Karl Mannheim (1928) ; ce dernier, contestant la vision démographique de la «cohorte», la remplace par l’idée de génération qu’il définit par l’appartenance à un «même espace historico-social» et le partage d’une même expérience. Lorsqu’aujourd’hui le concept de génération est repris, il vise notamment à dénoncer la situation de concurrence entre jeunes et vieux, mais se trouve confronté à sa difficile opé- rationnalisation liée au choix d’indicateurs pertinents. Présence de ces disciplines dans l’enseignement supérieur L’institutionnalisation de la recherche sur l’âge et les parcours de vie se reflète, notamment en Ro- mandie, par la création du «Centre Interfacultaire de gérontologie» (CIG), à l’université de Genève, ou encore le «Centre lémanique d’étude des parcours et modes de vie» (PAVIE), centre cogéré par l’université de Genève et de Lausanne. Ces disciplines ont également leur place dans le cursus des Hautes Ecoles, depuis des décennies, à la fois dans les modules de formation de base comme de la formation continue. Quant aux HES et en particulier les Hautes écoles de travail social, la question de la «jeunesse» et de la «vieillesse» sont fortement présentes dans les enseignements et les recherches, puisque nombre de professionnels travaillent dans ces domaines, et que la professionnalisation du travail social est intrinsèquement liée à la professionnalisation de la prise en charge et de la prévention auprès de jeunes. Discussion L’évolution de l’institutionnalisation disciplinaire est reflétée en matière d’enseignement dans les HES. Cependant, remarquons que pour l’heure l’âge n’est pas une catégorie centrale dans les politiques internes d’égalité. A ce titre, on peut noter que l’actuelle exigence de profil professionnel (flexibilité, adaptabilité etc.) serait plutôt compatible avec les jeunes. Le cadre légal concernant le personnel de la HES-SO est cantonal et varie d’un canton à l’autre. Le canton de Genève prévoit notamment pour son personnel des adaptations en fonction de l’âge : par exemple, dès 60 ans, les employé.e.s ont droit à une semaine de vacances en plus. Par contre, au niveau des institutions, actuellement des mesures antidiscriminatoires proactives par rapport à l’âge n’existent pas. Quant aux étudiant.e.s, les politiques varient d’un domaine de formation à l’autre. Dans les Hautes écoles de travail social, par exemple, des cursus de formation à temps partiel et de formation en emploi sont offerts depuis plus de trente ans ; ces cursus permettent à des étudiant.e.s plus âgé.e.s, souvent avec charge de famille et après des trajectoires non linéaires de formation, de revenir aux études, que cela soit à 30, 40 ou 50 ans. Bibliographie Becker, Howard (1963), Outsiders: Studies in the Sociology of Deviance, New York: The Free Press. Bolzman, Claudio, Rosita Fibbi et Marie Vial (1996), «La population âgée immigrée face à la re- traite: problème social et problématiques de recherche», in Wicker, Hans-Rudolph et al. : L’Altérité dans la société : migration, ethnicité, Etat, Seismo, Zurich, pp. 123-142. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 80 von 245 Bourdieu, Pierre (1980) «La jeunesse n’est qu’un mot», in Questions de sociologie. Paris : Minuit. Bytheway, Bill, Johnson, Julia (1990), On defining ageism, Critical Social Policy, Vol. 10, No. 29, 27-39 Clark Adele E., Mamo Laura, Fishman, Jennifer R., Shim, Janet K., Fosket, Jennifer Ruth (2003), «Biomedicalization: Technoscientifique Transformations of Health, Illness and U.S. Biomedicine», American Sociological Review, Vol. 68/2, 161-194. Donzelot, Jacques (2006), Quand la ville se défait. Quelle politique face à la crise des banlieus?, Paris, Seuil. Eckmann, Monique, Claudio Bolzman et Gérard de Rham (1994) Jeunes sans qualifications, tra- jectoires, situations et stratégies. Genève: éditions ies. Felder, Dominique et Michel Vuille (1979) De l'aventure à l'institution: les centres de loisirs genevois. Genève : Service de la recherche sociologique, Cahier No 12. Galland, Olivier (1985) «Formes et transformations de l’entrée dans la vie adulte», in Sociologie du travail, no 1, 32-52. Goffman, Erving (1963), Stigma: Notes on the Management of Spoiled Identity, Englewood Cliffs, New Jersey, Prentice-Hall. Granc, Alain, Clément, Serge, Boquet, Hélène (2000), «Personnes âgées», in : Leclerc, Anette et al. (eds), Les inégalités sociales de santé, Paris, Editions la Découverte/INSERM. Hummel, Cornelia (2002), «Qu’en faut-il faire ?». Réflexions sur la construction sociale des troisième et quatrième âges, Carnets de bord, nr 3, 68-77. Hummel, Cornelia (2007), «Le senior, la science et le marché. Un point de vue sur vieillissement différentiel selon l’origine sociale», in Page J, Burton-Jeangros C, Meyer P (eds), Health and Age, numéro spécial de la Revue suisse de sociologie, Vol 32/3, pp. 511-525. Hungerbühler, Hildegard (2007), «Alter und Migration», in Domenig, Dagmar (ed.), Transkulturelle Kompetenz. Lehrbuch für Pflege-, Gesundheits- und Sozialberufe, Bern, Huber, pp. 395-410. Koch-Straube, Ursula (2007), «MigrantInnen in der Krankenpflege», in Domenig, Dagmar (ed.), Transkulturelle Kompetenz. Lehrbuch für Pflege-, Gesundheits- und Sozialberufe, Bern, Huber, pp. 411-423. Lapeyronnie, Didier (2008), Ghetto urbain, ségrégation, violence, pauvreté en France aujourd'hui, Paris, Robert Laffont. Lascoumes, Pierre (1977). Prévention et contrôle social. Les contradictions du travail social. Genève, Médecine et Hygiène et Paris, Masson Lenoir, Remi (1979), «L’invention du troisième âge», Actes de la recherche en sciences sociales, 26-27. Mannheim, Karl (1928) Das Problem der Generationen, Kölner Viertelsjahreshefte für Soziologie. Rowe, John W, Kahn, Robert L. (1998), Successful Aging, New York, Pantheon Books. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 81 von 245 3.6. Sexuelle Identität: ein Thema für Hochschulen? (Julika Funk) Sexuelle Orientierung / Sexuelle Identität / Gleichgeschlechtliche Lebensweisen / “Lebensform“ / LGBT(IQ) als Diversity-Dimension 1. Begriffliche Definition Die sexuelle Orientierung wird in allen namhaften Antidiskriminierungsrichtlinien als eines der acht klassischen Diskriminierungsmerkmale genannt, in der Schweizer Bundesverfassung Art 8., Abs. 2 wird sie seit 1999 unter dem Begriff „Lebensform“ gefasst. Häufig wird sexuelle Orientierung auch als alternative oder gleichgeschlechtliche Lebensweise diskutiert und seit ein paar Jahren unter dem Sammelbegriff LGBT (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, auch deutsch abgekürzt durch LSBT), gelegentlich noch ergänzt durch IQ (Intersexual, Queer) subsumiert. Queer ist dabei zum Oberbegriff für alle Lebensweisen, geschlechtliche und sexuelle Identitäten geworden, die nicht in das Raster der normativen Heterosexualität passen. Begrifflich zu unterscheiden sind unbedingt Homosexualität als Frage der sexuellen Orientierung, gleichgeschlechtlichen Lebensweise oder des sexuellen Verhaltens, Transsexualität als Frage einer ambivalenten Geschlechtsidentität (dem Geburtsgeschlecht gegen- über) und eines Geschlechtswechsels, sowie Intersexualität als Frage einer angeborenen körperlichen Doppel- oder Mischgeschlechtlichkeit; die jeweilige Fokussierung auf „Sexualität“ meint teils sexuelles Verhalten, teils den Bezug auf das biologische Geschlecht. Im Folgenden wird der Schwerpunkt auf das Thema sexuelle Orientierung gelegt und die Formulierung sexuelle Identität (nicht nur Frage der Neigung oder des sexuellen Verhaltens sondern auch der Lebensweise) benutzt sowie übergreifende Fragen der gesellschaftlichen Akzeptanz unter dem Oberbegriff LGBT. Besonderheiten die beiden anderen Kategorien Transsexualität und Intersexualität betreffend werden genannt wo sinnvoll. 1.1 Historisches Schlaglicht Wie auch immer man es benennt, kaum ein anderes Diskriminierungsthema hat solche tiefgreifenden Umwälzungen in der gesellschaftlichen Entwicklung der westeuropäischen Länder der letzten 150 Jahre erfahren wie LGBT. Erst allmählich wurden von der als normal vorausgesetzten Heterosexuali- tät abweichende sexuelle Aktivitäten und Identitäten von Tabuisierung, Kriminalisierung, Pathologisie- rung und Stigmatisierung als Perversion befreit. Dieser Prozess dauert auch in den westeuropäischen Ländern bis heute an: so führte der ICD-Katalog der WHO Homosexualität noch bis 1992 als Krank- heit. In Deutschland wurde der Strafrechtsparagraph 175, der sexuelle Handlungen zwischen Män- nern unter Strafe stellte und seit dem Reichsstrafgesetzbuch 1871 existierte, obgleich bereits seit längerem für Erwachsene nicht mehr angewandt und mehrfach reformiert, erst offiziell nach der Wie- dervereinigung im Jahr 1994 abgeschafft. In der Schweiz war auf dem Hintergrund neuer psychologi- scher Erkenntnisse 1942 ein in dieser Hinsicht im Europa-Vergleich liberales Strafgesetzbuch einge- führt worden, die völlige strafrechtliche Gleichbehandlung hetero- und homosexuellen Verhaltens kam aber auch erst 1993. In der Schweiz gab es bis in die 60er Jahre hinein eine öffentliche Verfolgung von homosexuellen Männern und gesellschaftliche Ausgrenzung und Unsichtbarkeit auf der Seite «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 82 von 245 homosexueller Frauen. Die in den westeuropäischen Ländern inkl. der Schweiz mittlerweile gefunde- nen Rechtsinstitute der eingetragenen Lebenspartnerschaften stellen keine vollgültige Gleichbehand- lung oder Gleichstellung für gleichgeschlechtliche Paare dar und sind auch nicht mit einer flächende- ckenden gesellschaftlichen Akzeptanz gleichzusetzen. So ist etwa Deutschland erst 2008 von der EU für eine ungenügende Gleichstellung Homosexueller auf Gesetzesebene im AGG und dessen Umset- zung gerügt und zur Nachbesserung aufgefordert worden. Bis heute ist die gesellschaftliche Anerken- nung alternativer gleichgeschlechtlicher Lebensweisen und sexueller Identitäten ein durchaus kontro- verses Thema des öffentlichen Diskurses und sozialer Bewegungen, in Medien und Politik. 2. Rechtlicher Rahmen Bei kaum einem anderen Thema ist die Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz so sehr abhängig von kulturellen und religiösen Hintergründen. Die Gesetzeslage bezüglich LGBT variiert dementsprechend über die ganze Welt verteilt sehr stark: dies reicht von der legalen Anerkennung einer gleichge- schlechtlichen Ehe oder verschiedener Arten legalisierter eingetragener Partnerschaften in vielen westeuropäischen Ländern bis hin zur Todesstrafe auf homosexuelle Aktivitäten oder Identitä- ten/Lebensweisen in einigen Ländern. 132 2.1 Menschenrechtsdiskussion, Antidiskriminierungsgebote In der Menschenrechtsdiskussion spielt das Thema sexueller Identitäten eine zunehmend grössere Rolle. Zwar ist das Problem von Menschrechtsverletzungen an und Verfolgung und Diskriminierung von Homosexuellen bereits seit längerem indirekter Bestandteil von UN-Menschenrechtserklärungen (UN-Charta 1945, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 1948) und im Anschluss daran auch nationaler Verfassungen (in Westeuropa), jedoch gibt es bis heute keine allgemeingültige internationa- le Konvention, die sich mit dem Schutz von LGBT auseinander setzt, auf der nationalen Ebene blieb es in vielen Fällen bei einer blossen Nennung in einer Aufzählung mit anderen Kategorien (wie in der Schweizer Bundesverfassung) und keiner oder mangelhafter spezifischer Ausformulierung in nationa- len Gesetzen. In den letzten Jahren haben namhafte weltübergreifende Menschenrechtsorganisationen auf ver- schiedene Weise das Thema auf die Agenda gesetzt. Grosse Anerkennung unter Fachleuten fand die Erklärung der „Yogyakarta Principles“, die auf einem ExpertInnen-Treffen in Yogyakarta, Indonesien, 2006 entworfen wurden. Die Erklärung enthält die explizite Anwendung der universalen Menschen- rechte auf Menschen jeder sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität, eine umfassende Erklä- rung der Rechte auf Gleichbehandlung und Nicht-Diskriminierung in den Bereichen Recht, körperliche Unversehrtheit, Privatheit, ökonomische und soziale Rechte, Religionsfreiheit und freie Meinungs- äusserung, Bildung und Familie 133 . Auf EU-Ebene verbietet der Artikel 12 des Kapitels „Equality“ der „Charter of Fundamental Rights of the European Union“ auf dem Hintergrund des Lissabonner Vertrags die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und fordert die Staaten auf, in allen Policies und Aktivitäten den Kampf gegen 132 Die Homepage der ILGA gibt hier mithilfe von Landkarten im weltweiten Quervergleich Auskunft, www.ilga.org 133 S. dazu www.yogyakartaprinciples.org. Erläuterungen finden sich im „An Activist’s Guide to The Yogyakarta Principles“, dort auch weitere juristische Artikel zum Thema, www.ypinaction.org «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 83 von 245 Diskriminierung auch in diesem Punkt aufzunehmen. Das Europäische Parlament hat 2009 daraufhin die FRA (European Union Agency for Fundamental Rights) aufgefordert, einen Bericht über die Situa- tion von LGBT in der EU vorzulegen und eine entsprechende Gesetzgebung in allen EU-Ländern zu überprüfen und durchzusetzen. Der „Report on Homophobia, transphobia and discrimination on grounds of sexual orientation“ hat folgende Hauptpunkte herausgestellt: LGBT in den EU-Ländern sind in der Regel zu einem Leben in Unsichtbarkeit und Schweigen gezwungen, sie leiden unter ge- walttätigen Angriffen und werden nicht gleichbehandelt. Der Schutz vor Diskriminierung und die recht- liche Gleichstellung variieren je nach Land innerhalb der EU sehr stark. Folgende Bereiche weisen sehr unterschiedliche sowohl positive als auch negative Trends auf: Versammlung- und Meinungsfrei- heit (z.B. Demonstrationsrecht bei Durchführung von CSDs oder Zugang zu Informationen über Homosexualität an Schulen), Schutz vor Akten der Intoleranz und Gewalt gegen LGBT (Hate speech and hate crime), Ungleichbehandlung und Diskriminierung bes. gegen Transsexuelle, Freizügigkeit und Familienzusammenführung (z.B. mangelnde Anerkennung eingetragener Partnerschaften durch andere EU-Staaten), Anerkennung der Verfolgung von LGBT als Asylgrund, freier Zugang zu Behand- lung, rechtlicher Anerkennung und Gleichbehandlung im sozialen Leben. Die Hauptwiderstände wer- den in einer persistierenden Intoleranz und negativer Einstellung und Haltung gegenüber LGBT gese- hen. Auf dieser Ebene setzen nationale Regierungsprojekte einzelner Länder an, die sich verstärkt für den Schutz sowie mehr Akzeptanz einsetzen. Vorreiterrolle haben hier die Niederlande, Schweden und Grossbritannien. Alle EU-Länder haben diesen Aspekt zumindest auf dem Papier in ihre nationale Antidiskriminierungs-Gesetzgebung integriert. 134 Vom EU-Parlament anerkennt wird seit 2005 am 17. Mai der Internationale Tag gegen Homophobie und Transphobie begangen. 135 Menschenrechtsverletzungen werden überwiegend auch im Hinblick auf Intersexuelle oder Transse- xuelle bzw. Transgender ausgemacht. So wird in der Fachliteratur immer wieder gerügt, dass die ge- schlechtsangleichenden Operationen im Kindesalter an Intersexuellen als Menschenrechtsverletzun- gen gewertet werden könnten. 136 Auch die restriktive Gesetzgebung (im deutschen Transsexuellenge- setz) oder Rechtspraxis (in der Schweiz) im Hinblick auf den Geschlechtswechsel (bes. die Voraus- setzung einer geschlechtsangleichenden Operation) wird inzwischen als menschenunwürdig und dis- kriminierend gewertet. 2.2 Bürgerrechte, Entkriminalisierung, Rechtsinstitute im nationalen Rahmen, öffentliche Fachstellen Die Schweiz hat bisher die allgemeine UN-Antidiskriminierungskonvention, das Protokoll Nr. 12 der „Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms“ nicht ratifiziert, aber die UN „Declaration on Sexual Orientation and Gender Identity“ von 2008 unterzeichnet, in der Menschen- rechtsverletzungen aufgrund der sexuellen Orientierung und des Geschlechts explizit verurteilt werden und Anti-Diskriminierungsmassnahmen gefordert werden. Die rechtliche Situation in der Schweiz 134 Mehr Informationen unter http://www.fra.europa.eu/fraWebsite/research/publications/publications_per_year/pub-lgbt-2010- update_en.htm und http://www.fra.europa.eu/fraWebsite/lgbt-rights/ 135 S. mehr dazu unter http://www.dayagainsthomophobia.org/-IDAHO-english,41 136 1-0-1 [one 'o one] intersex - Das Zwei-Geschlechter-System als Menschenrechtsverletzung, Katalog 2005, hg. von der Neu- en Gesellschaft für Bildende Kunst e.V. (NGBK) Berlin; Für den Schweizer Kontext: Michael Groneberg/ Kathrin Zehnder (Hrsg.): "Intersex", Geschlechtsanpassung zum Wohl des Kindes? Academic Press Fribourg 2008. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 84 von 245 dokumentiert eine Publikation von 2007, in der sehr breit Rechtsfragen zur Homosexualität in der Schweiz abgehandelt werden. 137 Die Hauptthemen sind eine historische Herleitung, das Verfassungs- recht (inkl. Diskriminierungsschutz), Schutz des Privatlebens, nicht eingetragene und eingetragene Lebensgemeinschaften gleichgeschlechtlicher Paare, Elternschaft gleichgeschlechtlicher Paare, Les- ben und Schwule in der Schule, Ausländer- und Flüchtlingsrecht, Arbeits- und Dienstrecht, Sozialver- sicherung, Gesundheit, Steuer und Strafrecht. In der Schweiz war die Einführung des Partnerschaftsgesetzes, über das in einem weltweit einzigar- tigen Vorgang einer direkten Volksabstimmung 2005 mit 58% Ja-Stimmen abgestimmt worden war, ein Meilenstein. Möglich wurde diese Entscheidung u.a. durch 10 Jahre kontinuierliche Arbeit der Inte- ressensverbände in der Schweiz 138 und Vorentscheidungen in einzelnen Kantonen, die zu einer suk- zessiven Einstellungsänderung der Bevölkerung beitrugen. 139 Fortschrittlicher als andere europäische Lösungen ist das Schweizer Gesetz, da es z.B. in Sachen Altersversorgung gleichgeschlechtliche Paare der Ehe oder dem Konkubinat gleichstellt und explizit Ungleichbehandlung im Bereich des Aus- länder-, Vertretungs- und Erbschaftsrechts angeht. Allerdings schliesst das Schweizer Gesetz die Möglichkeit der künstlichen Befruchtung oder der Adoption ausdrücklich aus. Das Partnerschaftsge- setz löst nicht alle rechtlichen Probleme gleichgeschlechtlich lebender Personen. Verbesserungen sind vor allem im Bereich des Ausländer- und Flüchtlingsrecht und beim Diskriminierungsschutz ange- zeigt. 140 Die Ungleichbehandlung mit der Ehe kann jedoch rechtlich nicht auf dem Hintergrund des Verfassungsartikels gerügt werden, die Privilegierung der Ehe ist hier verfassungsrechtlich geschützt mit dem Hinweis auf die Ausrichtung der Ehe auf leibliche Nachkommenschaft. 141 Allerdings ist auch in der Schweiz die Tendenz zu beobachten, die gesetzliche Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft auszuweiten und in diesem Zug für gleichgeschlechtliche Familien mit Kindern auch die kindesrechtlichen Regelungen und die Absicherung der sozialen Elternschaft voranzutreiben. 142 Über den Verfassungsartikel hinaus gibt es in der Schweiz kaum eine konkrete Erwähnung von Ho- mosexualität oder spezifische Regeln in den meisten Rechtsordnungen. Der Diskriminierungsschutz soll hier durch den Persönlichkeitsschutz abgedeckt sein. Umso grösser ist die Bedeutung der Recht- sprechung selbst, die abstrakte Rechtssätze auf die konkreten Problemfelder anwenden muss. Hier ist auch für die Schweiz im Zuge internationaler und bilateraler Verträge die zunehmende internationale Bedeutung von Menschenrechten und auf EU-Ebene von Bedeutung. 143 In EU-Ländern ist das Thema nach 2000 in die jeweiligen nationalen Antidiskriminierungsgesetze integriert worden, wie z.B. dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz in Deutschland und wird nun im Zuge von dessen Umsetzung sukzessive in die Praxis überführt. Wie in allen EU-Ländern gibt es auch in Deutschland eine zentrale Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die diesen Prozess der Um- setzung begleitet. Allerdings herrscht in Deutschland im Unterscheid etwas zu Grossbritannien ein 137 Andreas R. Ziegler, Martin Bertschi, Alexandre Curchod, Nadja Herz, Michel Montini (Hrsg.): Rechte der Lesben und Schwulen in der Schweiz. Eingetragene Partnerschaft, faktische Lebensgemeinschaft, Rechtsfragen zur Homosexualität, Bern: Stämpfli Verlag 2007. 138 S. z.B. die wegweisende Ausstellung dokumentiert in: Katrin Simonett, Fredel Reichen, Madeleine Marti (Hrsg.): Unverschämt – Lesben und Schwule gestern und heute, Ausstellungsdokumentation, Zürich 2003. 139 S. dazu Francois Baur: Historische Entwicklung, in: Ziegler 2007, S. 11f. 140 Ebd. 141 Andreas R. Ziegler: Der verfassungsrechtliche Schutz von Lesben und Schwulen, in: Ziegler 2007, S. 38 142 S. dazu auch http://www.regenbogenfamilien.ch/ und eine nationale Tagung am 9.4.2011 in Bern. 143 A.a.O., s. 18. S. eine Liste der relevanten Entscheide bis 2007 in Ziegler 2007, S.533ff. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 85 von 245 eher reaktiver Umgang mit dem AGG vor, d.h. man wartet auf allfällige Klagen von Betroffenen und setzt nicht in grossem Stil proaktive oder präventive Massnahmen um. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes berät und informiert zur Umsetzung des AGG und nennt „sexuelle Identität“ u.a. als ein Diskriminierungsmerkmal. Insbesondere hat sie 2010 eine Expertise zur „Benachteiligung von Trans*Personen im Arbeitsleben“ veröffentlicht, sowie ein Projekt zum Thema „diskriminierungsfreie Hochschule“ initiiert. 144 In Deutschland gibt es z.T. auch auf kommunaler Ebene sowie in einigen Bundesländern Fachstellen oder Fachbereiche für gleichgeschlechtliche Lebensweise als Bestandteil der öffentlichen Verwaltung, so etwa in Berlin seit 1989 145 oder in München 146 . 147 In der Schweiz gibt es keine vergleichbaren Fachstellen in der öffentlichen Verwaltung. 3. Soziale und politische Bewegungen und Interessensgruppen Einen nicht unerheblichen Anteil an den fortschrittlichen Entwicklungen zum Thema haben soziale Bewegungen, politischer Aktivismus, Selbsthilfe- und Interessensgruppen. Auch in der Schweiz gab die 68er-Revolte den Anstoss für eine politisierte Bewegung, die 1971 mit der HAZ (Homosexuellen Arbeitsgruppe Zürich) in Zürich ihren Anfang nahm, sich zunächst regional in einzelnen Gruppen aus- wirkte und 1973 in den Dachverband HACH mündete, der 1993 von der professionellen und parteilo- sen Organisation Pink Cross abgelöst wurde. 1989 hatte sich bereits auf Seiten der Frauen der Dach- verband der Lesbenorganisationen Deutschschweiz gegründet: LOS. Es bildeten sich zunehmend politische Koalitionen, die sozialen und politischen Bewegungen professionalisierten sich als aner- kannte Interessensvertretungen und ExpertInnen-Gruppen, in Deutschland z.B. der Lesbenring und der LSVD (Lesben- und Schwulen-Verband Deutschland), in der Schweiz eben LOS und Pink Cross. Auf der internationalen Ebene leistet ILGA, die International Lesbian and Gay Association, eine un- schätzbare Arbeit auf politischer und Vernetzungsebene. Die jährlichen Demonstrationen und Para- den im Rahmen des CSDs (Christopher Street Day) zur Erinnerung an den Stonewall-Aufstand in der New Yorker Christopher Street von 1969, der inzwischen in vielen Metropolen (auch in Zürich z.B.) weltweit begangen wird, tragen zur Öffentlichkeit der verschiedensten LGBT-Themen bei. Die aktivis- tischen Gruppen verharren hier nicht in einer Opferhaltung - weltweit wird der CSD inzwischen in Pride umbenannt -, sondern nehmen diesen Tag zum Anlass, selbstbewusst eine eigene Kultur zu präsen- tieren, die Legitimität von LGBT zu feiern, für mehr gesellschaftliche Akzeptanz zu werben und politi- sche Forderungen zu erheben. Die aktuellen politischen Forderungen sind Gleichstellung der eingetragenen Partnerschaft mit der Ehe, Recht auf Adoption von Kindern, Recht auf Elternschaft (auch durch künstliche Befruchtung), aber auch Schutz vor homophober Gewalt und Diskriminierung sowie Anerkennung der Verfolgung von Homosexualität als Asylgrund. 148 144 Näheres unter http://www.antidiskriminierungsstelle.de 145 http://www.berlin.de/lb/ads/gglw/ 146 http://www.muenchen.de/Rathaus/dir/gleichgeschlechtl/37867/index.html 147 Eine Liste der offiziellen Stellen hat der LSVD zusammengetragen unter http://projekte.sozialnetz.de/homosexualitaet/links.html 148 S. zum letzten Punkt http://www.queeramnesty.ch «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 86 von 245 Neben den politischen Forderungen haben sich kulturelle und wirtschaftliche Fragestellungen erge- ben, die aktuell diskutiert werden. So fordern Schwulen- und Lesbengruppen die Anerkennung einer anderen Lebensweise oder Kultur und Schwule und Lesben werden neuerdings als Wirtschaftsfaktor anerkannt. Aus der Perspektive eines Diversity-Management wird das Thema nun auch als HR- Thema identifiziert, am CSD 2010 fand in Zürich eine Tagung zum Thema statt, unter den grossen Unternehmen hat IBM hier eine Vorreiterrolle mit einer expliziten Policy und einem eigenen Netz- werk. 149 In den letzten Jahren haben sich auch in der Schweiz schwullesbische Berufs- und Wirt- schaftsverbände gegründet 150 . 4. Situation von LGBT und Umsetzung von Antidiskriminierungsarbeit an Hochschu- len, Empfehlungen Über die spezielle Situation von LGBT an Hochschulen in der Schweiz gibt es bislang keine Stu- dien. An englischen Hochschulen wird das Thema im Zuge der Umsetzung der Antidiskriminierungs- gesetzgebung offensiver verfolgt, mit eigenen Policies und hochschulübergreifenden Untersuchungen. Besonders das ECU, das Equality Challenge Unit, ein Zusammenschluss zahlreicher Hochschulen zum Thema Equality, hat hier aufschlussreiche Aktivitäten gestartet. So veröffentlichte das ECU 2009 den Bericht „The experiences of lesbian, gay, bisexual and trans staff and students in higher educati- on“: Die wichtigsten Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: Viele Studierende und vor allem viele Mitarbeitende sind nicht out an der Hochschule, viele Studierende sind nicht out in ihren Familien, es gibt Diskriminierungs- und Gewalterfahrung (häufiger verbaler Natur), die Angst vor Dis- kriminierungs- und Gewalterfahrungen führt zu Selbstbeschränkung und Selbstvertrauensverlust, die sich negativ auf den Studienerfolg oder den Erfolg der Tätigkeit an der Hochschule auswirken können, in der Regel gibt es kein Monitoring zum Thema oder wenig erfolgreiche Umfragen, es herrscht ein Mangel an Sensibilität. 151 Der Bericht enthält Abschnitte zu LGBT students' experiences of higher education, LGBT staff experiences of higher education, Teaching, learning and the curriculum, Moni- toring for sexual orientation and trans identity, Representation, consultation, communication and train- ing, Sexual orientation and faith, Making complaints, Implications for HEIs. 2010 folgte dann eine Broschüre mit konkreten Empfehlungen für die Verbesserung der Situation von LGBT an Hochschu- len: “Advancing LGB equality. Improving the experience of lesbian, gay and bisexual staff and stu- dents in higher education”. 152 Nicht an den Fachhochschulen, jedoch an den meisten Schweizer Universitäten haben sich studenti- sche Gruppierungen zusammengetan und treten für das Thema ein. 153 An der Universität Basel wer- den auch explizit Dozierende und Mitarbeitende in die Gruppe mit einbezogen. 154 Ein weiteres Thema an Hochschulen ist die Integration des Themas in Curricula und Forschung. Inter- national ist die Institutionalisierung von Queer Studies, Lesbian and Gay Studies in Lehre und For- schung an Hochschulen unterschiedlich weit fortgeschritten. Im angloamerikanischen Bereich gibt es 149 S. http://www.network.ch/t3/index.php?id=553 150 S. dazu eine Liste unter http://www.voelklinger-bank.de/start.html 151 S. http://www.ecu.ac.uk/publications/lgbt-staff-and-students-in-he 152 S. http://www.ecu.ac.uk/publications/advancing-lgb-equality 153 S. für einen Überblick http://www.myspace.com/swissqueerstudents, eine eigene Webseite http://swissqueerstudents.ch/ ist im Aufbau. 154 S. http://www.queerunibasel.ch «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 87 von 245 einzelne Disziplinen und Institute, die sich speziell den Queer Studies widmen, im deutsch- und fran- zösischsprachigen Bereich eher unter der Ägide der Gender Studies, so auch in der Schweiz an den verschiedenen Graduiertenkollegien zu Gender Studies sowie in der (vorwiegend sozialwissenschaft- lich ausgerichteten) Geschlechterforschung. 4.1 LGBT at Workplace Ausserhalb der Hochschulen ist die englische Organisation “Stonewall” auf dem Gebiet „LGBT at Workplace“ aktiv, bietet Beratung zum Thema an und veröffentlicht ihrerseits Broschüren mit Empfeh- lungen zur Situation von LGBT am Arbeitsplatz. 155 Insbesondere finden sich hier Guides für die The- men Bullying, Monitoring, Career Development, Network Groups, Workplace Discrimination und Busi- ness Case, deren Empfehlungen auch auf Hochschulen als Arbeitgeberinnen übertragbar sind. Catherine Müller und Gudrun Sander haben in ihrem Buch „Mit Diversitykompetenz innovativ führen“ Empfehlungen für Unternehmen auch in diesem Bereich erarbeitet 156 : • Einbindung der LGBT-Perspektive in alle internen Massnahmen zum Diversity-Management, insb. die explizite Aufnahme in die Liste der Merkmale, die einem Schutz gegen Diskriminierung unter- liegen • Förderung einer Organisationskultur, die unterschiedliche Lebensformen als Bereicherung und nicht als Störung oder Gefahr betrachtet • Vorbildliches Verhalten von Führungskräften und Sanktion von Übergriffen • Bewusste Verwendung von Sprache (Personalformulare, Kontakte und Kommunikation) • Vermeidung von Diskriminierungsfallen: unreflektiertes Fragen nach Zivilstand, gewünschte Dis- kretion beachten, oder selbstverständliches Einbeziehen der gleichgeschlechtlichen PartnerInnen bei Anlässen, unangemessene Überbetonung von „Toleranz“ vermeiden (Gefahr der Stigmatisie- rung) • das neue Zivilstandsrecht im Hinblick auf Partnerschaftsgesetz beachten • Homophoben Jargon oder unreflektierte Kommunikation im Auftritt nach aussen vermeiden • Ermöglichung und Unterstützung von Peer Group-Bildung wie z.B. „Pink Molecules“ (lesbisch- schwules Netzwerk für Berufstätige in Medizin, Chemie und Pharma, „Pink Rail“ (Fachgruppe von Pink Cross/LOS für Angestellte bei den öffentlichen Verkehrsunternehmen), Pride@UBS (LGBT- Netzwerk bei der UBS), Queer Officers (Verein der schwulen Offiziere in der Schweizer Armee) 4.2 Konkrete Empfehlungen für Hochschulen und öffentliche Verwaltungen und Good Prac- tice Die erwähnten Empfehlungen des ECU „Advancing LGB equality. Improving the experience of lesbian, gay and bisexual staff and students in higher education” 157 schlagen den Hochschulen folgende Mas- snahmen vor, um Diskriminierung und Benachteiligung vorzubeugen oder zu begegnen: • Homophobie identifizieren und angehen, Beschwerdemöglichkeiten eröffnen und Beschwerden nachgehen 155 S. http://www.stonewall.org.uk/at_work/ 156 S. www.diversity-charta.ch (2007 zur Umsetzung des Partnerschaftsgesetzes in der Arbeitswelt). 157 S. http://www.ecu.ac.uk/publications/advancing-lgb-equality «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 88 von 245 • Sichtbarkeit von LGBT an der Hochschule erhöhen und commitment demonstrieren, hochschulöf- fentliche Sensibilisierungs- und Informationsarbeit zum Thema anbieten • Peer Support entwickeln und unterstützen, interne Netzwerke und Steuerungsgruppen ermögli- chen • Ein Monitoring zum Thema ist möglich und bietet Anhaltspunkte für die Beurteilung einer „diskri- minierungsfreien Hochschulkultur“, es sollte anonym sein und auf einer Vertrauensbasis aufbau- en. Der erste Bericht im Rahmen des Projekts „Diskriminierungsfreie Hochschule“ der deutschen Antidiskriminierungsstelle widmet der sexuellen Identität ebenfalls einen Abschnitt der Recherche und identifiziert drei Good Practice-Beispiele in den USA und GB. „Als besonders fortschrittlich im vorurteilsfreien Umgang mit Homo-, Bi- und Transgender weist sich die Princeton University aus, die in diesem Zusammenhang nach eigenen Angaben unter die Top 20 „Best of the Best“ Universitäten in den USA zählt. In diesem Zusammenhang hat die Hochschule mit dem Princeton University Lesbian, Gay, Bisexual, and Transgender (LGBT) Center ein eigenes Zentrum für Schwule, Lesben, Bi- und Trans*Personen gegründet, das aktiv in den Prozess der Hochschule eingebunden wird. Damit trägt es zu einem diskriminierungsfreien Klima auf dem Campus bei, indem es spezielle Bedürfnisse für diese Gruppe artikuliert und in verschiedenen Maßnahmen aufgreift und diese koordiniert.“ 158 Ausser- dem sind LGBT-Kurse sind fester Bestandteil der Fachrichtung/Disziplin Gender Studies und eines eigenen Post-Doctoral-Fellowships. Die Universität fördert diesen Forschungsstrang aktiv und fungiert als Veranstaltungsort für diverse Veranstaltungen zu diesem Thema. „Die englische Lanchester Uni- versity hat ein eigenes Statement on Sexual Orientation verabschiedet, in dem die Chancengleichheit für Studierende und Beschäftigte in allen Bereichen der Hochschule (Aufnahmeverfahren, Promotion, Work-Life-Balance etc.) ausdrücklich bekräftigt wird. Sie verpflichtet sich dazu, in Fällen von identifi- zierter Benachteiligung zusätzliche Trainings für die Beschäftigten durchzuführen oder disziplinäre Maßnahmen zu ergreifen. Die University of Glasgow hat ebenfalls ein Statement herausgegeben, in dem sie sich explizit zur Schaffung eines diskriminierungsfreien Klimas auf dem Campus bekennt. Neben dem Benachteiligungsverbot aufgrund von sexueller Identität fördert sie aktiv homo-, bi- und trans*-Hochschulgruppen und integriert die LGBT-Thematik in ihre Gleichheits- und Diversity- Trainings. Auch die hochschulinternen Surveys und das Monitoring von Informationen zu Diskriminie- rungen/Benachteiligungen beinhalten Aspekte der sexuellen Identität. Sämtliche Zusatzleistungen für die Beschäftigten sollen gleichberechtigt sowohl gleich- als auch andersgeschlechtlichen Partnern zugutekommen.“ 159 Im Rahmen der durch den deutschen Stifterverband und das CHE geförderten Diversity- Projekte an Hochschulen widmet sich die Evangelische Hochschule Ludwigsburg dem Diversitäts- merkmal der sexuellen Orientierung: „Neben dem Ausbau diversitätsbezogener Lehrangebote, etwa 158 „Diskriminierungsfreie Hochschule. Mit Vielfalt Wissen schaffen. Projekt der Prognos AG im Auftrag der Antidiskriminierungs- stelle des Bundes, Erster Projektbericht 2010/2011“, von Dr. Heidrun Czock, Susanne Heinzelmann, Dominik Donges, http://www.antidiskriminierungsstelle.de 159 Ebd. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 89 von 245 im Bereich der Interkulturellen Mediation sowie der Sexualpädagogik, wird mit Hilfe des Förderbetrags eine Antidiskriminierungshotline von Studierenden für Studierende eingerichtet.“ 160 Das CHE hat ausserdem auf expliziten Wunsch der Partnerhochschulen in das Befragungstool „QUEST“ zu Diversity und Chancengleichheit an Hochschulen Befragungen zum Thema Transgender und sexuelle Orientierung eingefügt, mit der Begründung, dass bisher wenig zu den möglichen Aus- wirkungen auf das Studium bekannt sei: Angaben zum Geschlecht: „Bitte geben Sie Ihr Geschlecht an: Männlich/ Weiblich/ Ich kann mich keinem der beiden Geschlechter eindeutig zuordnen.“ sowie „Sexuelle Orientierung: / Ich fühle mich eher zu Männern hingezogen./ Ich fühle mich eher zu Frauen hingezogen. / Ich fühle mich zu beiden Geschlechtern hingezogen. Ich möchte diese Frage nicht beantworten.“ 161 5. Besondere Herausforderungen für die Umsetzung Eine besondere Herausforderung stellt in diesem Themenbereich die Datenerhebung dar, die ja häu- fig als empirische Grundlage für einen Handlungsbedarf angesehen wird. Das BFS erhebt z.Zt. Daten zum eigenen Zivilstand „Eingetragene Partnerschaft“, beim BFS kann auch eine Übersicht über das Abstimmungsverhalten zum Partnerschaftsgesetz abgerufen werden. Das „Europäische Handbuch für Gleichstellungsdaten“ gibt allgemein und das ECU explizit für Hochschulen Auskunft und Empfehlun- gen für Datenerhebungen in diesem Bereich. Das europäische Handbuch hält fest, dass bisher die EU-Länder kaum Daten zur „sexuellen Ausrichtung“ erfasst haben. Es empfiehlt, dies zur Ermittlung von Diskriminierung zu tun, konstatiert aber auch, dass die Datenabfrage in diesem Bereich im Sinne des Persönlichkeits- und Datenschutzes auf Widerstände stösst. Das ECU hält in seinem Report von 2008 „Mapping Equality Data in the Higher Education Sector“ fest, dass im Bereich “sexuelle Orientie- rung” Lücken in der Datenerhebung geschlossen werden müssten. Hier herrschten die meisten Wi- derstände, eine Datenerhebung müsse mit vertrauensbildenden Massnahmen einhergehen. Wenn solche Datenerhebungen in einzelnen Fällen versucht wurden, dann in der Regel anonym. Das Risiko, dass solche Fragen nicht beantworten werden, ist sehr gross. 162 Für die Umsetzung von Antidiskriminierungs- oder Diskriminierungsschutzmassnahmen stellt die Outing-Problematik eine Herausforderung dar. Eine öffentliche Benennung als homosexuell ist ein Outing, das unerwünschte Folgen haben kann. Zum einen sollte hier immer das Recht auf Schutz der Persönlichkeit und der Privatsphäre der Einzelnen gewahrt bleiben. Ohne Outing entsteht allerdings auch keine Sichtbarkeit für das Thema. Hier ist die Gratwanderung zwischen tolerierender, akzeptie- render oder selbstverständlicher Benennung und einer stigmatisierenden Überbetonung des Merk- mals, die wiederum zu Diskriminierung führen kann, sehr schmal. Ein allgemeines Schweigen zum Thema kann auf Akzeptanz und Selbstverständlichkeit hindeuten, kann aber auch Folge der immer noch andauernden Tabuisierung des Themas sein. Die sexuelle Identität als Diversity-Dimension ist in besonderem Masse betroffen vom Problem der Stigmatisierung und Tabuisierung sowie der Gegens- ätze von privater und öffentlicher Sphäre, von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Die sexuelle Identität 160 S. http://www.stifterverband.info/wissenschaft_und_hochschule/hochschulen_im_wettbewerb/ungleich_besser/index.html; http://www.che-consult.de/cms/?getObject=749&getLang=de 161 S. http://www.che.de/downloads/CHE_AP144_QUEST_Entwicklung_und_Test_des_Fragebogens.pdf 162 S. http://www.ecu.ac.uk/publications/mapping-equality-data-he «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 90 von 245 zu den unsichtbaren Diversity-Merkmalen, die häufig nur auf der unbewussten Ebene registriert wer- den als diffuses „Andersein“ oder mangelnde Passfähigkeit in eine Gruppe oder Kultur. Homosexuelle sind immer noch häufig als anders oder abweichend von der Normalität markiert. 6. Intersektionale Bezüge zu anderen Diversity-Dimensionen Die intersektionalen Bezüge zur Kategorie Geschlecht liegen auf der Hand. Die gesellschaftlichen Bilder und Vorstellungen von Homosexualität sind eng geknüpft an die Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Judith Butler hat bereits in Gender Trouble darauf hingewiesen, dass für die Katego- rie Geschlecht nicht nur zwischen sex, dem biologischen Geschlecht und gender, dem soziokulturel- len Geschlecht unterschieden werden muss, sondern noch eine dritte Kategorie berücksichtigt werden muss, das sexuelle Begehren. 163 In der Vorstellung vom Geschlecht werden diese drei Kategorien immer wieder überblendet und vermischen sich. Die „heterosexuelle Normativität“ bedeutet, dass eine logische Abfolge der Zugehörigkeit zum biologischen und sozialen Geschlecht sowieso der heterose- xuellen Orientierung als normal angenommen wird. Ausserdem ist anzunehmen, das Homo-, Inter- und Transsexualität für Männer und Frauen je unterschiedliche Bedeutungen annehmen und anders behandelt werden. Weitere Bezüge bzw. Interferenzen ergeben sich besonders mit den Diversity-Dimensionen Religion und Interkulturalität. Aufgrund der sehr unterschiedlichen kulturellen und religiösen Haltungen zur Homosexualität kann es in einem interkulturellen oder stark religiös gefärbten Umfeld verstärkt zu Intoleranzen und diskriminierenden Handlungen kommen. Besonders die fundamentalistischen Strö- mungen von Christentum und Islam verurteilen Homosexualität. Das ECU konstatiert in seinem Be- richt entsprechende Probleme in gemischten Studierendengruppen und in Wohnheimen für Studie- rende. In diesem Feld können dann auch Ansprüche verschiedener Merkmalsgruppen kollidieren und sich widersprechen. Allerdings sind die christlichen Kirchen explizit von einigen Bestimmungen des deutschen AGG aus- genommen: sie dürfen bei ihren Mitarbeitenden ein Bekenntnis zum christlichen Glauben und Weltbild verlangen und dementsprechend offen lebende homosexuelle Mitarbeitende entlassen. Literatur Booth, Alison L./Frank, Jeff: Marriage, Partnership and Sexual Orientation: A Study of British Uni- versity Academics and Administrators, Discussion Paper Series, Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit, Institute for the Study of Labor IZA DP No. 3510, May 2008 Degele, Nina: Gender/Queer Studies, Wilhelm Fink Verlag Paderborn 2008 „Diskriminierungsfreie Hochschule. Mit Vielfalt Wissen schaffen. Projekt der Prognos AG im Auf- trag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Erster Projektbericht 2010/2011“, von Dr. Heidrun Czock, Susanne Heinzelmann, Dominik Donges Equality Challenge Unit (ed.): „The experiences of lesbian, gay, bisexual and trans staff and students in higher education“, Research Report 2009 163 Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 91 von 245 Equality Challenge Unit (ed.): “Advancing LGB equality. Improving the experience of lesbian, gay and bisexual staff and students in higher education”, 2010. Equality Challenge Unit (ed.): “Mapping Equality Data in the Higher Education Sector”, Report 2008. Europäische Kommission (Hrsg.): „Europäische Handbuch zu Gleichstellungsdaten“, Brüssel 2007. Fachgruppe Arbeitswelt von LOS und Pink Cross (2003): Queer im Job. Lesben und Schwule in der Arbeitswelt. Jagose, Annmarie: Queer Theory. Eine Einführung, Querverlag: Berlin 2001 Köllen, Thomas: Part of the Whole? Homosexuality in Companies’ Diversity Policies and in Business Research: Focus on Germany, in: The International Journal of Diversity in Organisations, Communi- ties and Nations 7 (5), 2007, S. 315-322. Losert, Anett: Die Diversity-Dimension “Sexuelle Orientierung” in Theorie und Praxis – eine Be- standsaufnahme mit Ausblick, in: Koall, Iris/Bruchhagen, Verena/Höher, Friederike (Hg.): Diversity Outlooks – Managing Diversity zwischen Ethik, Profit und Antidiskriminierung, Hamburg 2007, S. 320-336. Müller, Catherine/Sander, Gudrun: Innovativ führen mit Diversity-Kompetenz. Vielfalt als Chancen, Haupt-Verlag Bern, Stuttgart, Wien 2009 (bes. „LGBT-Diversity-Management (Integration von Angehö- rigen der Lesbian/Gay/Bisexual/Transgender LGBT-Community)“, S. 97-100) Quaestio (Hg.): Queering Demokratie. Sexuelle Politiken, Querverlag: Berlin 2000 Simonett, Katrin/Reichen, Fredel/Marti, Madeleine (Hrsg.): Unverschämt – Lesben und Schwule gestern und heute, Ausstellungsdokumentation, Zürich 2003 Ziegler, Andreas R./Bertschi, Martin/Curchod, Alexandre/Herz, Nadja/Montini, Michel (Hrsg.): Rechte der Lesben und Schwulen in der Schweiz. Eingetragene Partnerschaft, faktische Lebensge- meinschaft, Rechtsfragen zur Homosexualität, Bern: Stämpfli Verlag 2007 «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 92 von 245 3.7. Genre et diversité: aperçu sur le débat en France (Monique Eckmann, Agnes Földhàzi) Puisque la présente recherche aborde avant tout le débat dans les espaces germanophone et anglo- saxon, il nous semblait important d’esquisser l’état du débat en France. Nous sommes toutefois cons- cientes qu’il est difficile de caractériser ce débat en quelques mots, tant la question de la discrimina- tion et des catégories de discrimination prises en compte est ancienne et complexe. La France est porteuse d’une philosophie républicaine postulant que toute différence est synonyme de discrimination. Dans ce contexte républicain, l’existence des minorités ne peut pas être reconnue; ainsi, par exemple, les statistiques ethniques sont bannies, par crainte de racisme. De fait, «d’un côté on exalte l’idéal universaliste, en réaction aux dérives racialistes et quelquefois racistes du commu- nautarisme, et de l’autre, à l’inverse, on dénonce le racisme caché d’un universalisme qui, en pratique, nie les différences, mais aussi les discriminations fondées sur la race» (Fassin 2006a:106). Dès lors, deux débats semblent coexister en France. Le premier, portant directement sur la notion de diversité, est influencé par les politiques de l’Union Européen et concerne avant tout le milieu du travail. Le deu- xième, d’avantage sur l’avant-scène des débats politiques et sociaux, s’articule plus particulièrement autour de deux catégories de diversité, le sexe et la race. Par ailleurs, le contexte du débat sur la diversité est aussi marqué par l’immigration et les effets de la décolonisation. Dans les années d’après-guerre, la main-d’œuvre étrangère qui comblait les emplois en pénurie a été fortement marquée par le genre. En effet, «l’immigration ouvrière en France et en Belgique a été largement masculine mais aussi marquée par la ségrégation horizontale des métiers et des professions» (Cornet, 2009:5). Depuis des années 1980, des mutations au niveau international font ressentir leurs effets, des transformations telles la crise du modèle du salariat et de l’Etat de pro- vidence, le repli des grandes idéologies suite à l’effondrement du système socialiste, ou encore que l’émergence des mouvements tiers-mondistes suite à la décolonisation. Ces changements motivent l’apparition des mouvements identitaires, en France comme ailleurs (Bouamama 2006). Il s’agit en réalité de deux mutations successives, le premier transformant, par l’arrivée des travailleurs immigrés, la catégorie d’une classe sociale en une catégorie ethnique. Puis, progressivement, cette catégorie ethnique se trouve changée en catégorie confessionnelle. Ces mutations sont bien illustrés par le débat de société qui oppose plus particulièrement deux com- posants de la diversité: «sexe» et «race», débat qui se joue autour du port du foulard. En France, à partir de la fin des années 1990, ce débat se centre sur le danger qui menacerait la laïcité par un pro- sélytisme islamique. Ici, le port du foulard est un acte qui se trouve identifié comme un «signe religieux ostentatoire». La position visant l’interdiction du port du foulard est rejointe par de nombreuses fémi- nistes motivées par la crainte que la lutte contre l’oppression des femmes puisse être mise au second plan par rapport à la dénonciation du racisme ou de l’oppression de classe (Bennelli et al. 2006). Ce débat est récupéré par des partis politiques qui instrumentalisent la question des droits des femmes. Certains auteurs montrent en effet que le réel enjeu n’est pas la condition des femmes, mais les rapports de pouvoir qui passent par la construction de l’immigrant comme figure repoussoir, le racisme «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 93 von 245 procédant notamment par la mise en évidence de la domination masculine chez l’Autre (Delphy 2006; Guénif-Soulanas 2006; Jasser 2006). Pour ces voix critiques, il s’agit d’examiner l’imbrication des divers systèmes d’oppression, avec une attention particulière accordée l’intersection entre sexisme et racisme 164 (Dorlin 2009, Fassin 2006b). Notons que, dans ce débat, la notion de la diversité n’apparaît qu’en filigrane. En même temps, une discussion se développe explicitement sur la notion de diversité, sous l’influence de l’Union Européen, plus particulièrement dans le cadre du travail, suite à l’adoption, en 2000, par le Conseil des ministres européen des affaires sociales et de l’emploi, de la directive contre la discrimi- nation dans l’emploi. Cependant le cadre légal français suit une tendance post-moderne, vers une forme de «soft law», c’est-à-dire des normes non contraignantes, basés sur une volonté à les suivre (Lanquetin 2009). Ainsi, le cadre français propose des mesures facultatives, tandis que le cadre com- munautaire fait preuve de la volonté de combattre de manière plus concrète également les situations de discrimination indirecte. Ce cadre européen prévoit le traitement égalitaire des citoyens, indépendamment de leur origine ra- ciale ou ethnique, leur religion et leurs croyances, leur handicap, leur orientation sexuelle ou leur âge. Toutefois, dans la pratique, les entreprises en France se concentrent dans les mesures visant la ges- tion de la diversité à propos de la question de l’origine, en raison de l’histoire démographique évoquée plus haut, mettant de côté notamment le genre comme catégorie à considérer (Laufer 2009). Les méthodes préconisées pour la mise en œuvre des politiques de diversité sont multiples (Lanque- tin 2009). Il s’agit – en théorie - de réaliser un état des lieux en matière de diversité et de discrimina- tions, notamment sur la base des plaintes et des réclamations. De même, il s’agit de définir, mettre en œuvre et assurer le suivi de la politique diversité, notamment par la désignation d’un-e responsable «diversité». Il faut aussi assurer la communication interne, la formation et sensibilisation de l’ensemble du personnel. Dans une approche intégrée, les entreprises concernées devraient prendre en compte la diversité à chaque étape: recrutement, gestion des carrières, formation, partenariats, relations avec les fournisseurs et avec les clients. Un système de monitorage devrait aider à évaluer le processus et chercher son amélioration. Toutefois, dans la pratique, des dilemmes se posent. Il n’est notamment pas aisé de définir où se situerait dans l’hiérarchie la personne chargée de la gestion de diversité: auprès des responsables des ressources humaines, des représentants syndicaux ou encore des chargé-e-s des politiques d’égalité entre hommes et femmes? Un autre dilemme pratique concerne la gestion des discrimina- tions multiples. En effet, les discriminations dites intersectionnelles peuvent recouvrir plusieurs cas de figure: une succession de discrimination; un cumul de critères, ou encore l’interaction des critères (Lanquetin 2009). Actuellement, lors de la prise en charge des discriminations, le «motif déterminant», c’est-à-dire le motif le plus facile à démontrer, est mis en avant, dans une attitude pragmatique. Dès lors, nombreuses situations de discrimination multiple passent inaperçues, ou s’avèrent quasi impossibles à démontrer. 164 Un numéro spécial de la revue Nouvelles Questions Féministes (vol 25, n 1, 2006), est consacré au «cas français», analy- sant le lien entre sexisme et racisme. De manière emblématique, indiquant bien l’influence anglo-saxonne du débat actuel, le numéro s’ouvre avec la traduction d’un article de l’anthropologue nord-américaine Laura Nader, écrit dans une perspective intersectionnelle. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 94 von 245 Par ailleurs, dans le contexte français les politiques de diversité sont aussi critiquées et leurs béné- fices remis en question (Pauwels 2004). Le concept même de diversité serait mal problématisé, car ce terme vague et passepartout recouvre une multitude de réalités. Si les motivations de la mise en œuvre de ces politiques sont d’ordre économique, en période de crise, sous une pression sur le mar- ché de l’emploi, l’enjeu de la diversité peut passer au second plan. Un décalage entre le discours de valorisation de la diversité et les moyens mis en œuvre sur le terrain est aussi révélateur d’ambiguïté. Par ce décalage, ces politiques peuvent rappeler les politiques d’égalité entre femmes et hommes. Selon les critiques, le rajout d’autres marqueurs de diversité à côté de la race et le sexe risquerait de «noyer les problèmes spécifiques, auxquels les femmes et les minorités ethniques continuent d’être confrontés au travail, au sein d’un grand fourre-tout multiculturel et à marginaliser leurs revendica- tions» (Pauwels 2004:115). Le risque serait l’instrumentalisation de la gestion de diversité par les en- treprises afin de lisser les revendications et de maintenir en place une structure profondément inégali- taire. Certaines voix du débat en France indiquent comme possible solution le positionnement du genre non pas en tant qu’une caractéristique parmi d’autres mais comme une dimension qui doit intervenir dans l’analyse de chacun des groupes cibles d’une politique de gestion de la diversité (par exemple des personnes handicapées, d’origine étrangère, plus de 45 ans etc.) (Laufer 2009). Sinon, étant donné que la gestion de la diversité est souvent pensée atour de caractéristiques individuelles mais peu atour d’une analyse en termes de rapports sociaux, les femmes risqueront de se voir déposséder des luttes qui ont fait progresser leurs situations. Bibliographie Benelli, Nathalie, Hertz, Ellen, Delphy, Christine, Hamel, Christelle, Roux, Patricia, Falquet, Jules (2006), «De l’affaire du voile à l’imbrication du sexisme et du racisme», NQF, vol 25, no 1, 4-11. Bouamama, Saïd (2006), «De la Visibilisation à la Suspicion : La fabrique républicaine d’une politisa- tion», in Guénif-Souilamas (dir), La république mise à nu par son immigration, Paris, La Fabrique édi- tions, 196-216. Cornet, Annie (2009), «Le genre et la diversité: les enjeux del’intersectionnalité et transversalité», papier présenté au colloque international La diversité: questions pour les sciences sociales, Université de Strasbourg, 2-3 décembre 2009. Delphy, Christine (2006), «Antisexisme ou antiracisme? Un faux dilemme», NQF, vol 25, no 1, 59-83. Dorlin, Elsa (dir) (2009), Sexe, race, classe, pour une épistémologie de la domination, Paris, Presses universitaires de France. Fassin, Eric (2006a), «Aveugles à la race ou au racisme? 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AUFBEREITUNG DER DATEN, MATERIAL UND AUSWERTUNGSMETHODE 3. ERGEBNISSE 3.1. RECHTLICHE RAHMENBEDINGUNGEN 3.2. STRATEGIE A. Definition und Ziele von Diversity B. Policy und Leitbild zu Diversity C. Zielgruppen von Diversity 3.3. IMPLEMENTIERUNG UND UMSETZUNG VON DIVERSITY AUF HOCHSCHULEBENE A. Strukturelle Handlungsfelder im Diversity Management B. Instrumente von Diversity Management C. Mitwirkung und Partizipation D. Expertise zu Diversity 4. DISKUSSION UND AUSBLICK 5. LITERATURVERZEICHNIS «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 98 von 245 1. Hintergrundinformationen zum Thema Gleichstellung und Diversity an deutschen Hochschulen Das Thema Gleichstellung von Frauen und Männern ist im Vergleich zur Hochschulpraxis in der Schweiz wie folgt an deutschen Hochschulen institutionalisiert: An den deutschen Universitäten gibt es per Landesgesetzgebung, leicht differierend nach Bundesländern, deren Hoheit der Bildungsbereich ist, überall Gleichstellungsbeauftragte. Diese heißen aufgrund ihres unabhängigen Status bewusst Gleichstellungsbeauftragte. Es gibt zwei Funktionen für Gleichstellungsbeauftragte: Die einen sind hauptamtlich und zentral in der Hochschule angesiedelt. Die Anderen sind dezentral den Fachberei- chen zugeordnet. Diese kommen aus dem akademischen Mittelbau beziehungsweise aus dem Pro- fessorium. Und sie sind von ihren sonstigen Aufgaben in Forschung und Lehre zum Teil freigestellt und haben per Gesetz Teilnahme-, Rede- und Antragsrecht in allen wichtigen universitären Gremien der Selbstverwaltung. Sie sind per Gesetz an Berufungskommissionen zu beteiligen (d.i. Findungs- kommissionen zur Besetzung von Professuren), entweder in Form von persönlicher Teilnahme oder per Akteneinsicht und zum Teil mit Vetorecht oder Sondervotum im Senat oder vor den Landesmini- sterien. Sie sind in ihrer Position rechtlich niemandem unterstellt und nur gegenüber der Hochschullei- tung berichtspflichtig. Ausserdem sind sie zuständig für Gleichstellungs- und Frauenfördermassnah- men (zum Beispiel für die Umsetzung von durch Bund und Ländern mitfinanzierten Frauenförderpro- grammen, die Vergabe von spezifischen Förderstipendien für Studienabschluss, Promotion oder Habi- litation oder für Massnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf). In den letzten Jahren haben die Universitäten für diese Arbeiten gezielt operativ tätige Gleichstel- lungsreferate geschaffen, die zum Teil recht unterschiedlich ausgestattet sind: von einer Person bis hin zu mehreren (meist befristeten) Projektstellen. An den Fachhochschulen gibt es ebenfalls die in der Regel zumindest zur Hälfte ehrenamtlich tätigen professoralen Gleichstellungsbeauftragten, aller- dings in der Regel ohne operativ tätige Gleichstellungsreferate, die trotz höherer Lehrbelastungen deutlich weniger finanzielle wie auch strukturelle Ressourcen zur Verfügung gestellt bekommen. Auch sie haben die vom Gesetz angelegte Sonderstellung innerhalb der Fachhochschulen, die Aufgaben im Bereich der Berufungsverfahren und der Umsetzung von Frauenförderprogrammen. Mehr Prominenz hat das Thema Gleichstellung von Frauen und Männern im Zuge neuer Bundespro- gramme und Initiativen von übergreifenden Wissenschafts- und Forschungsinstitutionen bekommen, nach denen Gleichstellung als Qualitätskriterium finanzierungsrelevant geworden ist, wie etwa das 2008 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung neu geschaffene Professorinnenprogramm, an dem sich in einem Wettbewerbsverfahren Fachhochschulen wie auch Universitäten beteiligen konnten. Zu nennen ist des Weiteren die erfolgreiche Exzellenzinitiative, in der für die internationalen Gutachter/innen neben den fachlichen Qualitätskriterien auch die Konzepte und Erfolge zum Thema Gleichstellung ausschlaggebend waren. Ebenfalls bedeutend sind etwa die „forschungsorientierten Gleichstellungsstandards“ der DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft analog SNF), nach denen alle Anträge für Forschungsfinanzierung ein stichhaltiges Gleichstellungskonzept enthalten müssen oder auch Empfehlungen zu Gleichstellung durch den renommierten Wissenschaftsrat (http://www.wissenschaftsrat.de). «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 99 von 245 Im Zuge der neuen Tendenzen zum New Public Management und dem Modell der Entrepreneurial University verändern sich auch diese Strukturen stetig weiter. Zum Teil werden gezielt zum Thema Stabsstellen der Hochschulleitung eingerichtet. Dadurch können einerseits die Top-Down-Prozesse beschleunigt werden. Andererseits stehen die Stabsstellen stärker in den gegebenen Verwaltungshie- rarchien und verfügen nicht mehr über die unabhängige Position der Gleichstellungsbeauftragten. Seit geraumer Zeit gesellt sich nun durch die wachsende Bedeutung der Antidiskriminierungsgesetze der EU und veränderte internationale Anforderungen zu den Fragen nach Chancengleichheit die Diversity-Diskussion. Die Kategorie Behinderung nimmt in Deutschland bereits seit längerem eine bedeutende Rolle ein: Behindertenbeauftragte für die Mitarbeitenden (wissenschaftliches und nicht- wissenschaftliches Personal) sind institutionalisiert und mehrheitlich strukturell gut eingebunden. Zu- dem sind diese vom Gesetzgeber vorgeschrieben und somit Bestandteil der Personal- und Betriebsrä- te beziehungsweise Personalvertretungsstrukturen. Arbeitgeber in Deutschland, öffentliche wie auch private, müssen bei der Einstellung von Arbeitnehmenden eine Behindertenquote von sechs Prozent erfüllen. Ansonsten ist eine -allerdings geringfügige- Strafe zu zahlen. Versorgungsanstalten zahlen (ähnlich der Schweizerischen Invalidenversicherung) Zuschüsse zu Integrationsmassnahmen für Menschen mit Behinderung am Arbeitsplatz. Alle anderen Diversity-Themen sind aus der Antidiskrimi- nierungsperspektive und den Debatten um Chancengleichheit im Bildungsbereich dazugekommen und werden inzwischen vereinzelt von Hochschulen aufgegriffen. Ausserdem haben sich in den Sozialwissenschaften, ausgehend von den Gender Studies, intersektio- nale Perspektiven ergeben, die das Thema Chancengleichheit und Diversity in einem breiteren Sinne beleuchten: „Während intersectionality im politiknahen Bereich einen analytischen Fokus bezeichnet, der auf Formen multipler Diskriminierung und Benachteiligung zielt, steht der Begriff im wissenschaftli- chen Kontext für eine weitergehende Programmatik. In diesem Horizont geht es darum, die Erfor- schung grossrahmiger gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse, historische und kontextspezifische Machtstrukturen, institutionelle Arrangements und Formen der Governance auf einer Mesoebene zu verbinden mit der Analyse von Interaktionen zwischen Individuum und Gruppen sowie individuellen Erfahrungen, einschließlich der damit verbunden symbolischen Prozesse der Repräsentation, Legiti- mation und Sinngebung“ (Knapp 2005: 71). Dieser Ansatz geht davon aus, dass soziale Kategorien sozial konstruiert werden, historisch entstan- den und veränderbar sind, in Interaktion mit anderen Kategorien stehen und eng mit den Verhältnis- sen sozialer Ungleichheit verbunden sind (Bronner 2011: 25). Entsprechend kann eine Gender- Perspektive nicht losgelöst von anderen gesellschaftlich relevanten Differenzkategorien gedacht oder behandelt werden. Zudem haben das Diversity Management wie auch die Diversity Studies in den unterschiedlichen Geistes- und Sozialwissenschaften das Thema fachlich sehr befördert. Gerade das Diversity Ma- nagement ist heutzutage ein bedeutender Faktor der strategischen Unternehmensführung in der glo- balisierten Welt der Wirtschaft geworden. In den letzten Jahren lässt sich der Transfer von Diversity- Konzepten und Strategien sowohl in die öffentliche Verwaltung als auch in die Hochschulen beobach- ten. Besonders erwähnenswert für den Hochschulbereich sind in diesem Zusammenhang etwa die «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 100 von 245 Förderprogramme des CHE (Centrum für Hochschulentwicklung) 165 , des deutschen Stifterverbands 166 sowie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes mit ihrem Programm „Diskriminierungsfreie Hoch- schule“ 167 . Parallel dazu haben die Diversity Studies wie auch Gender Studies umfangreiches Wissen und theoretische Argumentationen aus der Migrations-, der Rassismus- und Antisemitismusforschung für diesen in der Unternehmenspraxis heutzutage selbstverständlichen Diskurs zur Verfügung ge- stellt. 168 Bislang hat aber keine Hochschule ein ausgefeiltes Diversity-Konzept oder Diversity-Programm, das Diversity-Themen gesamthaft aufgreift. Vielmehr tasten sich die Hochschulen langsam über einzelne Pilotprojekte (oft nach dem Vorbild der Umsetzung von Gleichstellungsmassnahmen im Gender- Bereich) an Diversity heran. Erwähnenswert sind an den deutschen Hochschulen auch zahlreiche Bottom-up-Initiativen, wie etwa die bundesweite Initiative www.arbeiterkind.de, die Ermutigungsprojek- te für Studierende aus bildungsfernen Schichten initiiert oder auch Initiativen von Stiftungen, die Ju- gendliche mit Migrationshintergrund fördern und unterstützen (.www.horizonte.ghst.de/ oder http://www.zeit-stiftung.de/home/index.php?id=472) Insbesondere in den vergangenen zwei bis drei Jahren haben Hochschulen eine breite Palette von Experimenten bezogen auf Diversity in die Wege geleitet. Um den Stand der Implementierung von Diversity an drei ausgewählten Hochschulen in Deutschland zu erfassen, und um die Ergebnisse für den Diskussions- und Entwicklungsprozess in der Schweiz übertragen zu können, wurde die nachfol- gende Untersuchung durchgeführt. Nach einer ausführlichen Methodenbeschreibung werden die Ergebnisse präsentiert und diskutiert. 2. Methodenbeschreibung 2.1 Rekrutierung und Beschreibung der Stichprobe Ausgehend von der vorab beschriebenen Forschungsanlage (Phase I – interne Dokumentation) er- folgte die Auswahl der InterviewpartnerInnen zum einen aus dem bereits vorhandenen Datenmaterial mit dem Fokus auf diejenigen Hochschulen, die bereits erste Schritte in der Umsetzung von Diversity- Projekten oder Diversity-Massnahmen gemacht haben (erstes Auswahlkriterium). Fundiert wurde dies durch die vorhandenen wissenschaftlichen Publikationen, die von den ausgewählten Gesprächspart- nerinnen und Expertinnen in den letzten Jahren veröffentlicht worden sind (zweites Auswahlkriterium). Des Weiteren wurden Erkenntnisse des gemeinnützigen Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) verwendet, einer Organisation, gegründet von der Bertelsmann Stiftung und der Hochschulrektoren- konferenz sowie weiterer übergreifender Wissenschaftsorganisationen. Das CHE versteht sich als Reformwerkstatt für das deutsche Hochschulwesen. Dazu gehört auch das CHE Consult, ein Bera- tungs- und Kompetenzzentrum für den Hochschulbereich. Beiden Gesellschaften geht es darum, die Vielfalt in den Hochschulkontext zu integrieren. Dies gilt bezogen auf die Herkunft, Sprache, Prägung 165 http://www.che-consult.de/cms/?getObject=749&getLang=de 166 http://www.stifterverband.info/wissenschaft_und_hochschule/hochschulen_im_wettbewerb/ungleich_besser/index.html 167 http://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/Projekte_ADS/diskriminierungsfreie_hochschule/diskriminierungs- freie_hochschule_node.html. 168 S. Überblick bei Sandra Smykalla/Dagmar Vinz: Intersektionalität zwischen Gender und Diversity. Theorien, Methoden und Politiken der Chancengleichheit, Münster 2011 «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 101 von 245 und Interessenslagen der Hochschulangehörigen. Das CHE geht davon aus, dass Heterogenität be- reichernd, produktiv und spannend ist. Um diesen Prozess zu befördern, unterstützt das CHE strate- gisch ausgewählte Hochschulen, um den Diversity Management Ansatz in den Hochschulen imple- mentieren zu könnten. Des Weiteren haben der deutsche Stifterverband und die Antidiskriminierungs- stelle des Bundes Programme zu Diversity an Hochschulen lanciert (drittes Auswahlkriterium). Insbesondere erfüllten drei nordrheinwestfälische Hochschulen die genannten drei Auswahlkriterien: Die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen (RWTH) hat als Bestandteil ihres in der Exzellenzinitiative erfolgreichen Zukunftskonzepts neben der Gleichstellungs-beauftragten eine Rekto- ratsstabsstelle „Integration Team – Human Resources, Gender and Diversity Management“ etabliert. Zunächst ist dieses auf durch die Exzellenzgelder befristeten Projektstellen angewiesen. Das Integra- tion Team erarbeitet konzeptuell Diversity-Themen in den Handlungsfeldern Organisations- und Per- sonalentwicklung, Work-Life-Balance, Forschung und Lehre/Studium und gibt Anregungen für die Umsetzung an der Universität. 169 Die RWTH Aachen partizipiert ausserdem am Projekt der Antidis- kriminierungsstelle des Bundes „Diskriminierungsfreie Hochschule. Mit Vielfalt Wissen schaffen“. Die Universität Duisburg-Essen hat im Oktober 2008 bundesweit das erste Prorektorat für Diversity Management eingerichtet und damit das Thema explizit auf Hochschulleitungsebene verankert. Diver- sity Management (DiM) bildet neben den Bereichen Forschung. Studium und Lehre sowie Qualitäts- entwicklung und Services einen gleichberechtigen Schwerpunkt in der Hochschulentwicklungsplanung und findet in den Leitlinien der UDE Berücksichtigung. 170 Darüber hinaus wird DiM systematisch in die hochschulischen Strukturen und Prozesse integriert, beispielsweise durch die Einrichtung der Senats- kommission für DiM und die Aufnahme von DiM in die Ziel- und Leistungsvereinbarungen mit den Fakultäten sowie den zentralen Einrichtungen. Das Bekenntnis der UDE zu Diversity wurde Anfang 2009 durch die Unterzeichnung der „Charta der Vielfalt“ dokumentiert und bekräftigt. Die Universität Duisburg-Essen partizipiert ebenfalls am Projekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes „Diskrimi- nierungsfreie Hochschule. Mit Vielfalt Wissen schaffen“. Die Fachhochschule Gelsenkirchen hat sich des Themas Migrationshintergrund in ihrem Projekt „Fachhochschule integrativ“ explizit angenommen. Die FH Gelsenkirchen partizipiert mit diesem Pro- jekt am Programm „Ungleich besser! Verschiedenheit als Chance“ des Stifterverbands. 171 Gerade die beiden letztgenannten Hochschulen sind dadurch aufgefallen, dass sie Diversity auf der strategischen Ebene im Prorektorat (Universität Duisburg-Essen) sowie im Vizepräsidium (Fachhoch- schule Gelsenkirchen) gezielt verankert haben. Wobei an dieser Stelle auch konstatiert werden muss: Die vorliegenden Erfahrungen der drei ausge- wählten Hochschulen aus Nordrhein-Westfalen können nicht ohne weiteres auf den gesamten Diskurs zu Diversity an deutschen Hochschulen übertragen oder generalisiert werden. Jedoch ermöglichen die Ergebnisse einen Einblick in den gegenwärtigen Stand der Diskussionen innerhalb dieser drei Hoch- 169 S. dazu Carmen Leicht-Scholten und Andrea Wolffram: Neue Wege in der Organisationsentwicklung an Hochschulen: Gen- der- und Diversity-Management an der RWTH-Aachen, in: Martina Schraudner: Diversity im Innovationssystem, München/Berlin 2010, S. 79-100. 170 Siehe Hochschulentwicklungsplan 2009 – 2014 der Universität Duisburg-Essen: http://www.uni- due.de/imperia/md/content/webredaktion/2009/hochschulentwicklungsplan_2009-14.pdf 171 S. Marcus Kottmann/Bernd Kriegesmann: Mit FH-INTEGRATIV Talente entfalten- Ein Programm an der FH Gelsenkirchen, in: Dossier „Öffnung der Hochschule. Chancengerechtigkeit, Diversität, Integration“, Heinrich-Böll-Stiftung 2011, S. 52-58. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 102 von 245 schulen, mit exemplarischem Aussagewert zu den Problemlagen der Implementierung von Diversity Management. Ausgehend von der Fragestellung des gesamten Forschungsprojektes wurden – wie die nachfolgende Abbildung 1 zeigt - im ersten Teil der Interviewstudie Gleichstellungs- und Diversity-Verantwortliche der oben genannten Hochschulen zur Implementierung von Diversity an ihren Hochschulen befragt. Insgesamt wurden in diesem Teil der Untersuchung fünf Einzelinterviews, ein Gruppeninterview sowie ein Interview mit einer renommierten Wissenschaftlerin durchgeführt: Für diesen ersten Teil der Befragung stand Interviewmaterial mit neun Gesprächspartnerinnen zur Verfügung. In einem zweiten Teil der Interviewbefragung wurde zusätzlich Prof. Dr. Gertraude Krell, pensionierte Hochschullehrerin von der Freien Universität Berlin als fachliche ausgewiesene Wissenschaftlerin auf dem Gebiet Gender und Diversity in der Betriebswirtschaftslehre interviewt. Dieses Interview unter- schied sich dahingehend von den anderen, dass das operative Geschäft der Implementierung nicht im Vordergrund stand. Vielmehr sollte das Verstehen von Diversity an deutschen Hochschulen ausge- hend von einer mehr als fünfzehnjährigen theoretischen Rückbindung, wie auch ihre praktische Exper- tise aus Hochschulen und zu Wirtschaft thematisiert werden. Von daher wurde im Vergleich zu den anderen geführten Einzel- wie auch Gruppeninterviews das Interview mit Gertraude Krell weitaus offe- ner geführt, um die wissenschaftliche und theoretische Diskussion zu Diversity abzubilden. Ihre Aus- sagen im Vergleich zu den anderen Befragten beziehen sich explizit auf Hochschulen allgemein, auf Unternehmen und auf wissenschaftliche relevante Diskurse und nicht auf Erfahrungswerte über die Implementierung von Diversity an ihrer ehemaligen Wirkungsstätte der Freien Universität Berlin. Von daher kann auch von drei Fallstudien in NRW sowie einem Expertinneninterview gesprochen werden. Standortbestimmung/Reflexion: Interview mit der Diversity-Expertin Prof. emerit. Dr. Gertraude Krell (Freie Universität Berlin) Abbildung 1. Interviewpartnerinnen von der Universität Duisburg-Essen, der RWTH Aachen, der Fachhochschule Gelsenkirchen und der Freien Universität Berlin OI206DB2>:> C<2B96 &LMKK6D $ILI83ELI4N 7AI 94?8IG4E/( OQNQ68O8NE CD+ ?D2676D216 $D62@ #878I8NE4N 7AI K4?8IG4E/ &QNQ68O8NE C2FL+ "G.+ N2BB+ "D2I ;MIB6I R4.8JIPG498NE4N 7AI $2QNCN6, F4NQN.8N CN9 @NE8INQE4LNQ28G $DG5+ CD+ %MD2GI =693MD7 D284:5GE822CN6G;8QC7EIQ6E8 #N!; JM836I $DG5+ CD+ CGD2B &L66 D284:5GE822CN6G;8QC7EIQ6E8 CD+ JI7D6M NGL55DMK '84ECN6 *@NE86IQE4LN "8QO( BCOQN #8GLCI:8G D8N98I QN9 K4?8IG4E/ &QNQ68O8NE) CD+ K67+06>+ E3D2B>2MI6 ;6D/64 GE822?+ D284:5GE822CN6G;8QC7EIQ6E8 CD+F32L+ OLD216 HDMI7B* $DG3MDMK =GI.ML6. GE822?+ D284:5GE822CN6G;8QC7EIQ6E8 !62L ) 76D 'I>6D026/B><726 !62L ( 76D 'I>6D026/B><726 !36GD6>2B836 JI92I7I822 =FI848 !N4?8IG4EPE M8I24N< =D6D026/ Standortbestimmung / Reflexion: Interview mit der Diversity-Expertin Prof. emerit. Dr. Gertraude Krell (Freie Universität Berlin) «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 103 von 245 2.2 Erhebungsmethode: Befragung von Expertinnen Für die Befragungen wurde die Form eines leitfadengestützten Experteninterviews angewendet (Meu- ser/Nagel 1991; Liebold/Trinczek 2002). Fragefelder dieser halbstrukturierten Interviews waren über- wiegend die Diversity-Strategien sowie die Umsetzung von Diversity. Der Interviewleitfaden (siehe Anhang 2) enthielt in Bezug auf die Fragefelder folgende Aspekte: • Strategie: rechtlicher Rahmen, Definition Diversity, Leitbild, Policy, Zielsetzung der Organisation, Adressat/innen, Dimensionen von Diversity • Umsetzung: Handlungsfelder, Instrumente, Referenzprojekte, Partizipation Dieser Leitfaden wurde in der zweiten Projektphase des gesamtschweizerischen Forschungsprojektes weiterentwickelt und für die Leitfadeninterviews der jeweiligen Länderbesuche (On-Site-Visits) ange- passt. Die Ergebnisse der anderen Länderreisen (Norwegen und Großbritannien) werden in der vor- liegenden Studie nicht rezipiert. 2.3 Ablauf der Untersuchung Die Vorbereitung der Länderreise fand im Oktober und November 2010 statt. Die Vereinbarung der Interviewtermine gestaltete sich als sehr positiv, offen und zugewandt. Die Interviews wurden in der zweiten Woche im Dezember 2010 sowie im Februar 2011 realisiert. Die Interviewpartnerinnen wur- den über den Ablauf des Interviews am Anfang instruiert. Sie wurden auch über die grobe thematische Gliederung des Interviews in Kenntnis gesetzt. Insgesamt waren alle Interviewpartnerinnen mit der Tonaufnahme einverstanden. Eine Anonymisierung war nicht erforderlich. 2.4 Aufbereitung der Daten, Material und Auswertungsmethode Um mehrere Facetten des Diversity Managements an deutschen Hochschulen zu untersuchen, wur- den die mit Hilfe der Leitfadeninterviews gewonnenen Daten aufbereitet und ausgewertet. Mit Blick auf das Ziel dieser Studie, ein möglichst realitätsgetreues, aber zugleich strukturiertes Abbild der Prob- lemwahrnehmung und der Implementierung von Diversity an den befragten deutschen Hochschulen zu erhalten, erfolgte die Analyse der gewonnenen Daten mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2008). Für die qualitative Inhaltsanalyse wurde das Material der drei ausgewählten nordrheinwestfälischen Hochschulen (Fallstudien) in Form von vollständigen wörtlichen Transkriptionen verwendet. In dieser Arbeit wurde eine Transkriptionstechnik verwenden, bei der die verbalen Daten in normales Schrift- deutsch übertragen werden. Dabei fanden Dialekte bzw. Dialektfärbungen keine Berücksichtigung. Ferner wurde auf die Erfassung von Interjektionen und Verzögerungslauten verzichtet. Die Äußerun- gen der Expertinnen wurden grammatikalisch und sprachlich in der ersten Phase der Transkription nicht korrigiert. Nach Rücksprache mit den Befragten konnten zu einem späteren Zeitpunkt Korrektu- ren vorgenommen werden. Der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2008:54) liegt ein allgemeines inhaltsanalytisches Ab- laufmodell zugrunde mit folgenden Arbeitsschritten: «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 104 von 245 Abbildung 2. Inhaltsanalytisches Ablaufmodell nach Mayring [2008: 54]. Die in dieser Studie gesammelten Daten wurden einer inhaltlich strukturierenden Analyse unterzogen. Von zentraler Bedeutung für die Inhaltsanalyse ist die Entwicklung eines Kategoriensystems. „Diese Kategorien werden in einem Wechselverhältnis zwischen der Theorie (der Fragestellung) und dem konkreten Material entwickelt, durch Konstruktions- und Zuordnungsregeln definiert und während der Analyse überarbeitet und rücküberprüft“ (Mayring 2008: 53). Dieses Kategoriensystem besteht aus mehreren Kodiereinheiten. Das Anlegen von Kategorien an das Material bzw. das Ermitteln von Kate- gorien aus dem Material erfolgte durch Betrachtung des Interviewmaterials. Diese wurden einerseits deduktiv in Anlehnung an den Interviewleitfaden entwickelt. Andererseits wurden sie induktiv ergänzt. Es wurden auf diese Weise insgesamt drei Kategorien gebildet. Eine Übersicht über die drei Hauptka- tegorien mit den dazugehörigen Kodierungen bietet die Abbildung 3. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 105 von 245 Abbildung 3. Inhaltsanalyse auf der Kategorienebene – eine Übersicht über die drei in der Auswertung berücksichtigten Kategorien [eigene Darstellung]. Die Kategorisierung der Transkriptionen erfolgte computergestützt mit Hilfe von Atlas.ti . Es wurden alle Informationen zu den gewonnenen Kategorien extrahiert und paraphrasiert. Das auf diese Weise reduzierte Material wurde weiter zusammengefasst und anschließend analysiert. 3. Ergebnisse Im Verlauf der Auswertung wurde eine systematische Analyse der fokussierten Thematik auf drei Ebenen angestrebt. Im ersten Schritt wurden ausgehend von der Fragestellung alle Aspekte von Diversity kodiert, extrahiert und zusammengetragen. Ziel der Extraktion war es, einen ersten Überblick über die Diversity-Praxis an den drei ausgewählten Hochschulen in Deutschland zu erhalten. Das gesamte aufgearbeitete Material wurde in einer Extraktionstabelle zusammengetragen. Die inhalts- analytische Auswertung erfolgte in den folgenden drei Schritten (siehe Abbildung 4), wobei der erste Schritt nur einer Gesamtübersicht diente und die Schritte 2 und 3 den Kern der Auswertung darstell- ten. Für die Präsentation haben wir uns für eine kategorienbezogene Analyse entschieden. SCHRITT I Analyse auf der Kodeebene Eine Übersicht über alle Kodierungen pro Transkription SCHRITT II Analyse auf der Kategorieebene Analyse der für die Fragestellung relevanten Kategorien SCHRITT III Diffusion der einzelnen Analyse- schritte: Stand der Umsetzung und problem- lagen der Implementierung Abbildung 4. Die drei Ebenen der inhaltsanalytischen Auswertung [eigene Darstellung]. Demzufolge erfolgte die Inhaltsanalyse von der Kodeebene über die Kategorienebene bis hin zur Ana- lyse von Fortschritten und Herausforderungen der gegenwärtigen Diversity-Praxis sowie der Identifi- zierung von Desideraten. Diese Vorgehensweise ermöglichte eine schrittweise Annäherung an die Fragestellung. Der Zusammenschluss der einzelnen Analyseschritte ermöglichte anschließend die Beantwortung der Fragestellung zum Stand der Implementierung von Diversity an ausgewählten deut- «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 106 von 245 schen Hochschulen und führte zu neuen Hypothesen. In den folgenden Ausführungen werden die Zitate den jeweiligen Interviewpartnerinnen zugeordnet, d.h. die Zitate werden mit genauen Quellen- angaben auf Personenebene versehen. Im Rahmen der Inhaltsanalyse wurden in Anlehnung an den Leitfaden vier Hauptkategorien gebildet (siehe Abbildung 3), die die Hauptfragestellungen und Aspekte einer Diversity-Strategie und deren Umsetzung an den Hochschulen darstellen. Diese vier Hauptaspekte erlaubten es, aufzuzeigen, ob und in welcher Form Diversity eine Rolle an den Hochschulen spielt und, falls ja, wie an den Hoch- schulen zum Untersuchungszeitpunkt mit vorhandener Vielfalt umgegangen wird, ob und wie Mass- nahmen zur Förderung von Chancengleichheit und Diskriminierungsschutz sowie Diversity Manage- ment umgesetzt wurden. Im Folgenden wird jeder der vier Hauptaspekte mit den dazugehörigen Un- teraspekten einzeln dargestellt und die jeweiligen Ergebnisse vorgestellt. 3.1 Rechtliche Rahmenbedingungen Im Rahmen der vorliegenden Studie wurde der Frage nach der rechtlichen Verankerung von Diversity nachgegangen. Verbunden war dies mit dem Ziel, die Wahrnehmung und Bewertung rechtlicher Rah- menbedingungen in Bezug auf Diversity an den drei ausgewählten Hochschulen NRWs aufzuzeigen sowie deren Bedeutung für die Praxis der Umsetzung. Rechtliche Rahmenbedingungen haben Aus- wirkungen auf übergreifende Strategien und auf Umsetzungsmöglichkeiten und betreffen alle Hoch- schulen. Deutlich wurde: Speziell bezogen auf Diversity existiert in Deutschland ausgehend von den Antidiskriminierungsrichtlinien der EU das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG, 2006 verab- schiedet), jedoch keine spezifischen gesetzlichen Vorgaben für Hochschulen, weshalb sich die Inter- viewpartnerinnen hauptsächlich auf die existierenden gesetzlichen Regelungen für die Gleichstellung beziehen. In den Interviews wurde am häufigsten das Landesgleichstellungsgesetz 172 von NRW genannt. Zu- sätzlich wurde dann aber auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) auf Bundesebene erwähnt. Zudem wurde einmal der dritte Artikel des Deutschen Grundgesetzes (zur Gleichberechti- gung von Frauen und Männern sowie einem Diskriminierungsschutzparagraphen im Hinblick auf wei- tere Merkmale) genannt. Insgesamt entstand bezüglich der gesetzlichen Rahmenbedingungen das Bild, dass gute Landes- gleichstellungsgesetze einerseits die Arbeit der Gleichstellungsbeauftragten erleichtern können und als gute Arbeitsgrundlage gesehen werden. Andererseits spielen bei der Umsetzung auch andere Faktoren eine wichtige Rolle wie die Hierarchie beziehungsweise die institutionelle Verankerung und Unterstützung sowohl durch die Hochschulleitung als auch durch die beteiligten Akteurinnen und Ak- teure. Christiane Herweg von der RWTH Aachen wies auf mögliche Umsetzungsschwierigkeiten hin: Wir haben seit 1999 dieses wirklich ungewöhnlich sehr gute Landesgleichstellungsgesetz in Nordrhein-Westfalen. Sie kennen es. Aber es konnte in Aachen nur ansatzweise umgesetzt werden wegen mangelnder Unterstützung der Gleichstellungsbeauftragten durch die Hoch- schule. In vielen Bereichen spielte auch eine Rolle, dass es gar nicht möglich war, die Gremi- en, die an diesen Umsetzungen arbeiten, nur annähernd mit Frauen zu besetzen. Das ist heu- 172 Das sind Gleichstellungsgesetze, die auf der Ebene des Bundeslands (in der Schweiz vergleichbar Kanton) existieren und voneinander abweichen können. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 107 von 245 te deutlich besser geworden, von Geschlechteregalität an unserer männerdominierten Hoch- schule natürlich noch weit entfernt (Gruppeninterview RWTH Aachen, Christiane Herweg, S. 6). Auch Katrin Hansen von der Fachhochschule Gelsenkirchen bezweifelte, dass allein Gesetze die Her- ausforderungen rund um Gleichstellung und Diversity lösen können, sie sind jedoch eine zentrale Rahmenbedingung, um ermöglichen eine entsprechende Legitimität des Handels, von daher eine bedeutsame Errungenschaft. Sie äußerte sich zu den Grenzen eines gesetzlichen Auftrags folgen- dermassen: “Als ich damals Gleichstellungsbeauftragte war, damals hieß das auch noch Frauenbeauftrag- te, war das für mich sehr schön, dass ich sagen konnte, ich brauche jetzt nicht mit ihnen dis- kutieren: Es gibt ein Gesetz. Aber das hilft natürlich nicht gegen stereotype Vorurteile und ir- gendwelche Hidden Agendas. Insofern glaube ich nicht, dass Gesetze wirklich gesellschaftli- che Probleme lösen. Sie erleichtern Manches. Sie verkürzen manche Prozesse, insofern bin ich z.B. auch bei Aufsichtsräten durchaus dafür, dass man eine Quotierung macht. Eine Frau- en- und Männerquote. Da ist Diversity auch ein Thema. Aber dass es jetzt wirklich etwas ver- ändert, glaube ich nicht (Interview mit Katrin Hansen, S. 3). Friederike Preiss von der Universität Duisburg-Essen schilderte die insgesamt positive Entwicklung der Gleichstellung ausgehend von einer guten rechtlichen Verankerung. Sie wünsche sich, dass die Notwendigkeit von Diversity in der Zukunft gleichermaßen im Bewusstsein der hochschulischen Akteu- re ist wie die Gendergleichstellung. Vor diesem Hintergrund halte sie eine bessere gesetzliche Verankerung von Diversity für wünschens- wert und führt weiter aus: Aus den Erfahrungen im Gleichstellungsbereich hat sich ja gezeigt, dass solche rechtlichen Instrumente wichtig sind. Insofern kann ich mir vorstellen, dass eine noch bessere rechtliche Verankerung auch für den Bereich Diversity durchaus Sinn macht. In bestimmten Bereichen haben wir ja bereits rechtliche Regelungen und Vorgaben, aber die sind noch nicht in allen Köpfen präsent. (Interview mit Friederike Preiss, S. 15). Marion Gebhard von der Fachhochschule Gelsenkirchen sprach die juristischen Kompetenzen der Gleichstellungsbeauftragten an und wies darauf hin, dass die hausinternen Juristen die Ziele der Hochschule verfolgen müssen, aber den Gleichstellungsbeauftragten nicht immer zu Verfügung ste- hen. Das folgende Zitat könnte die Vermutung nahelegen, dass Gleichstellungsbeauftragte möglich- erweise eher auf sich alleine gestellt sind und nicht immer die gewünschte Unterstützung innerhalb ihrer Institutionen bekommen: Diese Zusammenhänge muss man ja erst mal durchschauen. Normalerweise beschäftigt man sich mit seinem Fach und dann muss man sich plötzlich mit dieser Rechtslage auseinander- setzen. Ich denke, dass Gleichstellungsbeauftragte heute sehr große juristische Kompetenzen brauchen und zum Teil auch schon haben. Und den einen kompetenten Juristen zur Beratung hat man als Gleichstellungsbeauftragte natürlich nicht immer, weil die Hausjuristen einer Hochschule einem ja nicht immer zur Verfügung stehen. Und ausserdem denken die meisten nach meiner Erfahrung, wie man ‚ihre‘ Hochschulen vor irgendwelchen Klagen schützen kann. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 108 von 245 Die versuchen das ja alles juristisch wasserdicht zu machen. (Interview mit Marion Gebhard, S. 17). Einen wichtigen Hinweis auf die Veränderungen von Handlungsoptionen der Gleichstellungs- beauftragten durch neue rechtliche Rahmenbedingungen, insbesondere vor dem Hintergrund des neuen Hochschulfreiheitsgesetzes, das die Autonomie und die Selbstverantwortung der Hochschulen stärkt, lieferte Marion Gebhard von der Fachhochschule Gelsenkirchen: Ein ganz, ganz schlimmer Punkt ist das Hochschulfreiheitsgesetz, Hochschulgesetz NRW: seit Januar 2007 ist der Einvernehmensvorbehalt des Ministeriums weggefallen. Was bedeutet das? Bis 2006 war es so, dass in einem Berufungsverfahren, wenn die Hochschulmeinung gegen Gleichstellungsmeinung stand, eine neutrale Meinung in Form von weiteren verglei- chenden Gutachten eingeholt wurde. Das muss man sich so vorstellen: Frau auf Platz 2 - Kommission hat gesagt: das ist so, Fachbereichsrat hat abgestimmt, dass die Frau auf Platz 2 ist, Rektorat und Präsidium haben das bestätigt und Gleichstellungsbeauftragte und Gleich- stellungskommission sind der Meinung: die Frau gehört auf Platz 1. Wenn das der Fall ist, war es bisher vor 2007 so, dass man nicht nur weitere Vergleiche und Gutachten eingeholt hat in der Hochschule, sondern dann also Gleichstellungsbeauftragte und Präsident oder der Rektor noch mal votiert haben und wenn dann immer noch keine Einigkeit über die Liste auftrat, dann ist man gemeinsam ins Ministerium; die hatten einen Einvernehmensvorbehalt. Da hat man je nachdem, wie der Minister oder die Ministerin dazu stand, entschieden. (Interview mit Marion Gebhard, S. 17). Anschliessend erklärte sie die Einschränkungen, die durch diese Neuregelung und die hierdurch ent- standene Verantwortungsverschiebung für die Gleichstellungsarbeit eingetreten sind: Hochschulfreiheitsgesetz heißt, dass ganz viel der Verantwortung abgegeben wurde aus den Ministerien raus an die Hochschulen, letzten Endes, wenn man ganz genau hinsieht, bei uns an den Präsidenten oder die Präsidentin. Die Ministerien haben nicht mehr die Fachaufsicht, nur noch die Rechtsaufsicht. Das heißt, da dreh ich mich im Kreis. Jetzt kann man sagen, dann geh weiter zum Referat Dienstrecht. Ich kann jederzeit bei der Rechtsaufsicht anfragen oder auch bei der Gleichstellungsbeauftragten im Ministerium für Wissenschaft und For- schung. Das sind so die Handlungsstränge (Interview mit Marion Gebhard, S. 6). Überdies wies die Gleichstellungsbeauftragte der Fachhochschule Gelsenkirchen Marion Gebhard auf die Schwierigkeiten des deutschen Föderalismus hin. Insbesondere der Bildungs- und Hochschulbe- reich ist Landeshoheit, die Gesetze können von jedem Bundesland im Rahmen der Bundesgesetzge- bung (Hochschulrahmengesetz HRG) eigenständig geregelt werden: Man sieht aber auch, wie in Deutschland der Föderalismus zuschlägt. Sechszehn Hochschul- gesetze, sechszehn Landesgleichstellungsgesetze. Das sieht man noch mehr auf der LaKof (Landeskonferenz der Gleichstellungsbeauftragten) und der BuKoF (Bundeskonferenz der Frauenbeauftragten und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen). Wenn wir da diskutie- ren, wir sind zwar letzten Endes einer Meinung, aber man kommt nicht weiter, weil das in je- dem Bundesland anders ist. Und bevor man verinnerlicht, was das in der Lebenswirklichkeit bedeutet, ist die Zeit schon wieder um. Das geht halt nicht. D.h. man muss sich schon ein «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 109 von 245 bisschen damit beschäftigen, damit man da einen Überblick bekommt. Dann ist wieder der Wechsel von Landesregierungen. die Änderungen der Hochschulgesetze ist so dramatisch schnell, dass man sich mit Sicherheit Vollzeit damit beschäftigen kann (Interview mit Marion Gebhard, S. 10). Marion Gebhard gab ausserdem an, dass der vorgeschriebene Förderplan 2001 erstellt, aber seitdem nicht mehr aktualisiert worden sei: Damals wurde ich gerade Gleichstellungsbeauftragte. Da muss eigentlich alle 3 Jahre ein Up- date erfolgen. Dieses ist nicht erfolgt. Jetzt bin ich gerade dabei den Personaldezernenten nochmal anzuschreiben, diesem nachzukommen. Eigentlich schreibt das Landesgleichstel- lungsgesetz dort Maßnahmen vor, wenn dieses nicht erfolgt, im Sinne von keinen weiteren Einstellungen usw. ohne Frauenförderplan. Aber da kommen wir jetzt genau in das Feld rein, was rechtliche Ansprüche sind laut Landesgleichstellungsgesetz, manchmal auch laut Hoch- schulgesetz, und dem was die Realität ist, die Lebenswirklichkeit. Das sind zwei Paar Schuhe (Interview mit Marion Gebhard, S. 2). Christiane Herweg von der RWTH Aachen setzte sich ebenfalls kritisch mit der Wirksamkeit der ge- setzlichen Rahmenbedingungen für die Hochschule auseinander. Sie führte dazu Folgendes aus: Von außen gesehen haben wir wirklich gute Gesetze in Nordrhein-Westfalen. Letztendlich ist es aber so, dass das LGG hier bei uns erst richtig zu greifen begann, als Geld ins Spiel kam. Gesetzliche Vorgaben unterstützen die Arbeit, wenn sie denn schon gut läuft. Wir haben mit- hilfe dieser Gesetze – vor allem mit LGG und Hochschulgesetz – in den Gremien hier an der Hochschule eine starke Position, vor allem wenn sie den gesetzlichen Vorgaben nicht ent- sprechen (Gruppeninterview Aachen, Christiane Herweg, S. 16). Resümierend kann festgehalten werden, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die für die Gleichstellung vorhanden sind, als Handlungsgrundlagen und anerkannte Referenzen für die Umset- zung des Diversity unterstützend wirken können, denn Recht kann als Ressource betrachtet werden und nicht nur als Vorschrift. Das Recht eröffnet Handlungsspielräume, so auch Susanne Baer. Den- noch garantieren sogar die besten Gesetze keine Verbesserung, wenn die Vielfalt in der Hochschule bzw. Institution nicht akzeptiert und wertgeschätzt wird. Ausserdem sind zusätzlich zu den rechtlichen Vorgaben finanzielle Voraussetzungen und Anreize zu schaffen, die die Hochschulen animieren und in die Lage versetzen, in diesem Bereich tätig zu werden. 3.2 Strategie Um die Frage nach den unterschiedlichen Diversity-Strategien der befragten Hochschulen beantwor- ten zu können, wurden in Anlehnung an den Leitfaden drei Unteraspekte zum Thema Strategien iden- tifiziert: Definition und Ziele, Policy und Leitbild sowie die Zielgruppen im Einzelnen: «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 110 von 245 Abbildung 5. Der Aspekt Strategie [eigene Darstellung]. A. Definition und Ziele von Diversity In der vorliegenden Untersuchung wurden die Aussagen der befragten Expertinnen in Bezug auf die Definition des Begriffs Diversity betrachtet. Vor dem Hintergrund, dass die Gleichstellung der Ge- schlechter im Gegensatz zu Diversity umfassend rechtlich definiert ist, wurde insbesondere der Frage nachgegangen, ob eine Abgrenzung zwischen den Begriffen Gender und Diversity vorgenommen werden kann. Diversity kommt in Deutschland bislang nur indirekt im AGG (Allgemeinen Gleichbe- handlungsgesetz), umgangssprachlich auch Antidiskriminierungsgesetz genannt, vor. Das deutsche AGG ist ein Bundesgesetz, das Anforderungen der EU-Gesetzgebung nach Antidiskriminierungsver- boten Genüge tut. Es soll Benachteiligungen aus Gründen der „Rasse“, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität verhindern und beseitigen. Zum Untersuchungszeitpunkt gab es kaum Unterschiede bei dem Verständnis bzw. der Definition des Begriffs Diversity. Auch die Anzahl der wahrgenommenen Facetten der Vielfalt unterschied sich kaum. Alle drei befragten Institutionen fokussierten stark auf ethnische bzw. nationale Vielfalt ihrer Studie- renden: Die RWTH Aachen positionierte sich dabei stark im Rahmen der Internationalität. Die Dimension Geschlecht nahm weiterhin eine große Rolle ein. Vor allem drei Schwerpunkte ließen sich somit bei der Definition und der Zielsetzung des Diversity Managements erkennen: Gender, Inter- nationalität und Migrationshintergrund. Andrea Wolffram von der RWTH Aachen definierte Diversity als den bewussten Umgang mit der Hete- rogenität und ihrer Wertschätzung. Die RWTH Aachen habe die Zielsetzung, die Potentiale zu ver- deutlichen sowie deren Wertschätzung im Rahmen eines dafür erforderlichen Kulturwandels innerhalb von Hochschulen zu initiieren. Hinsichtlich einer vorläufigen Schwerpunktsetzung des Diversity Mana- gements auf die beiden Kategorien Gender und Internationalität 173 äusserte sich Andrea Wolffram folgendermassen: 173 Wobei an dieser Stelle angemerkt werden muss, dass die Kategorie Internationalität keine explizite Diversity Kategorie ist. Gleichzeitig kann Diversity diese aber auch neu schaffen. ## 75945'%#' -! 2<&:=1+33&8 0! ;6:<,( +8) "&<./<:) 4! *&$<8<.<68 +8) 2<&:& «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 111 von 245 Das Thema Diversity ist als Gesamtansatz in den Gremien bisher eher reduziert vertreten, wohingegen einzelne Dimensionen schon sehr gut etabliert und deshalb regelmäßig Themen der Gremiensitzungen sind. Die Hochschule hat im Zuge der Exzellenzinitiative die zwei Diversity-Kategorien Gender und Internationalität zunächst politisch-strategisch prioritär ge- setzt. Denn im Zuge der Exzellenzinitiative hat der Wissenschaftsrat, d.h. die internationalen Gutachterinnen und Gutachter, auf die Entwicklung der Frauenanteile, und hier insbesondere bei den Professuren, geschaut. An den Zahlen muss also etwas verändert werden, an den Zahlen werden wir gemessen. Berücksichtigt man in diesem Kontext zudem den Fachkräfte- mangel und den daraus resultierenden Wettkampf um die besten Köpfe wird schnell deutlich, dass man international rekrutieren muss. Bei der internationalen Rekrutierung sollen insbe- sondere weibliche Fach- und Führungskräfte gewonnen werden. Das sind politisch- strate- gisch die zwei Kategorien, die getragen und ganz stark gefördert worden sind. In der Hoch- schulpolitik hat die Dimension Gender durch das Professorinnen Programm des Bundes einen Vorschub bekommen. Seit 2008/2009 beteiligen wir uns an diesem Programm. Als zweiter wesentlicher politischer Einflussfaktor sind die forschungsorientierten Gleichstellungsstan- dards der DFG zu nennen. (Gruppeninterview Aachen, Andrea Wolffram, S. 3). Friederike Preiss von der Universität Duisburg- Essen betonte, dass Gender nach wie vor eine sehr wichtige Dimension von Diversity sei, aber eben nur als eine der unterschiedlichen Diversity- Katego- rien: Gemäss unserem Verständnis von Diversity geht es darum, die unterschiedlichen Bedürfnis- lagen der jeweiligen Menschen, ob das Studierende, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Profes- sorinnen usw. sind, in den Vordergrund zu stellen. Da kann, je nach spezifischer Situation, in der sich die Person gerade befindet, die eine oder andere Dimension im Vordergrund stehen. D.h. einmal kann es die Professorin mit kleinem „i“ sein, einmal kann es auch die Frau mit Migrationshintergrund sein oder die Mutter, die Person mit einer Behinderung oder anderes sein. (Interview mit Friederike Preiss, S. 1). Friederike Preiss unterstrich in diesem Zusammenhang, dass es sich bei Diversity um ein integriertes Konzept handele und dass die Perspektive von Vielfalt daher in allen Bereichen der Hochschule zu verankern sei. Auch Susanne Schulz von der Universität Duisburg-Essen definierte Diversity als ein Querschnittsthema, das sich auf alle Bereiche der Hochschule bezieht. Sie führte dazu Folgendes aus: Diversity bedeutet „Vielfalt“. Ich trage das Thema nicht aus der Theorie, sondern aus der Um- setzung heraus. Wir haben eine Prorektorin für Diversity. D.h. Diversity ist Thema der Hoch- schulleitung. Vielfalt wird bei Rektoratsentscheidungen mitgedacht, wird beachtet, ist ein Querschnittsthema für sämtliche Prozesse, Entscheidungen, Themen, die diese Hochschule betreffen, ob Forschung, Lehre oder Verwaltung. Ich weiß nicht, ob das ausreicht, aber der Vielfalt müssen wir uns hier in ganz besonderer Weise stellen, in dieser Region- im Ruhrge- biet (Interview mit Susanne Schulz, S. 1). Die regionale Verankerung war insbesondere für zwei Institutionen (Fachhochschule Gelsenkirchen und die Universität Duisburg-Essen) im Hinblick auf ihre Diversity-Zielsetzungen und Diversity- «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 112 von 245 Schwerpunkte von Bedeutung. Aufgrund regionaler Gegebenheiten war zum Untersuchungszeitpunkt in den beiden Hochschulen die Dimension „Migrationshintergrund“ besonders wichtig. Wie die folgen- de Aussage von Karin Hansen von der Fachhochschule Gelsenkirchen zeigt, wollte die Hochschule ihre Strategie an die regionalen Gegebenheiten und an die Bevölkerungsstruktur (wie beispielsweise Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund) anpassen bzw. diese Aspekte bei der Zielsetzung be- achten: Wir haben in der Region einen sehr großen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund, die zunehmend in das Bildungssystem hineinwachsen. Diversity fokussiert bei uns – auch im Zu- sammenhang mit dem Hochschulentwicklungsplan – im Moment entsprechend ganz stark auf Menschen mit Migrationshintergrund. Wir haben aber immer noch zwei weitere Perspektiven dabei, d.h. wir verfolgen stets einen intersektionalen Ansatz: ‚Migrationshintergrund’ ‚hoch- schulferne Schichten’ und ‚Gender’ sind die drei Dimensionen, über die wir Diversity für uns ganz pragmatisch definieren. Und diese Dimensionen fokussieren wir auch, und zwar immer gleichermaßen. Also wenden wir uns in einem Projekt für Studierende mit Migrationshinter- grund nicht an alle, sondern vor allen Dingen an die, die aus bildungsfernen- oder hochschul- fernen Schichten kommen. Oder umgedreht: wenn wir von ausbildungsfernen oder hochschul- fernen Schichten sprechen, dann, wissen wir auch immer, dass wir im Ruhrgebiet da automa- tisch einen hohen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund dabei haben. Und wir wissen, dass wir stets auch Jungs und Mädels in den Schulen ansprechen müssen. Die Intersektiona- lität denken wir quasi immer mit (Interview mit Katrin Hansen, S. 1). Wir haben eine Analyse der Region gemacht. Wir haben uns die sozioökonomischen Faktoren angeschaut und gesagt: O.k. dieser Region mit dieser bestimmten Ausprägung müssen wir uns stellen. Wir versuchen, uns in diese Situation positiv zu integrieren (Interview mit Katrin Hansen, S. 9). Auch die Fachhochschule orientiert sich jedoch nicht nur an der Region, sondern an der Internationa- lisierung der Studierenden sowie der Mitarbeitenden, wie ebenfalls in dem Interview deutlich wurde: Wir sind eine regional verbundene Hochschule. Wir sind aber auch der Meinung, dass man keine Kirchturmpolitik machen darf. Insofern haben wir für den Bereich Internationales den Slogan gefunden: Wir orientieren uns einerseits an der Region, öffnen die Region der Welt und holen die Welt in die Region. Also Diversity ist für uns immer ein Spannungsverhältnis. Dass wir sagen, wir haben etwas, eine Einheit, unsere Fachhochschule unsere Region, wir sehen die Vielfalt in unserer Region, wir sehen das, was drum herum ist und wir versuchen, die unterschiedlichen Interessen, unterschiedlichen Perspektiven, die in dieser Einheit Region oder Hochschule sind, so transparent zu machen, so zu nutzen, dass wir uns dabei gut entwi- ckeln können. (Interview mit Katrin Hansen, S. 1) Immer wieder stand das Zusammenspiel von Gender und Diversity im Mittelpunkt der Interviews. Dies lässt sich nicht zuletzt darauf zurückführen, dass die Positionierung des Diversity Managements und die Neuzuordnung des Genderbereichs beziehungsweise die Veränderungen in der Gleichstellungs- arbeit sowie die dazugehörenden Diskussionen zu Verunsicherungen geführt haben. Die Öffnung und Erweiterung der Chancengleichheitsfragen in Richtung Diversity hat dies ausgelöst. Auch die fachlich «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 113 von 245 ausgewiesene Diversity-Expertin Gertraude Krell hob die anfängliche Dominanz der Dimension Gen- der hervor und deren Weiterentwicklung in einer Diversity-Strategie: In Unternehmen in Deutschland gibt es eine Dominanz von Gender. Das zeigen viele Studien (vgl. zusammenfassend Krell/Sieben 2011). Es kommen auch fast alle Unternehmen über den Entwicklungspfad von „Frauenförderung“ über „Chancengleichheit“ hin zu „Diversity“. Das kann ich auch deshalb gut nachzeichnen, weil ich für jede Neuauflage von „Chancengleichheit durch Personalpolitik“, also etwa alle drei Jahre, die großen Unternehmen, die Mitglieder im „Forum Frauen in der Wirtschaft“ sind, dazu befrage. Beim ersten Mal Ende der 1990er waren „Frauenförderung“ und „Familienpolitik“ die gängigen Namen für die Aktivitäten, später hießen sie oft „Chancengleichheit“ und dann im Übergang gab es mehrfach auch den Doppelnamen „Chancengleichheit und Diversity“, wobei Chancengleichheit immer Geschlecht meint. Und heute heißen die Programme oder Strategien fast ausschließlich, es gibt noch ganz wenige Ausnahmen, „Diversity“, zumindest bei den großen Unternehmen, die Mitglied in diesem Netzwerk sind (vgl. Krell 2011). Auch der Name des Netzwerks „Forum Frauen in der Wirt- schaft“ zeugt ja von dieser Herkunft und Gewichtung. Und die Entwicklung an Hochschulen startete ja auch mit der Frauen- und Gleichstellungspolitik. (Interview mit Gertraude Krell, S. 5). Ute Klammer von der Universität Duisburg-Essen betonte, dass Gender und Diversity als potentielle Konkurrenz wahrgenommen wurden, allerdings bei klarer Dominanz der Gleichstellungspolitik: Die Diskussion gibt es hier – und ich muss immer wieder einmal dagegen einschreiten. Das geht insofern ganz gut, weil der Genderbereich mir zugeordnet ist, Gender gehört ganz klar zu Diversity und wir machen eine relativ erfolgreiche Gleichstellungspolitik auch dank einer her- vorragenden Gleichstellungsbeauftragten. Das will ich mir nicht auf die Fahnen schreiben. Wir haben ein gutes Gleichstellungsbüro. Wir haben im letzten Jahr den Genderpreis NRW ge- wonnen; im Rahmen eines Professorinnenprogramms, das es in Deutschland gab, haben wir drei Professuren für Frauen voll finanziert bekommen. Und wir haben das Total E-Quality- Prädikat jetzt wieder neu bekommen. Die Befürchtungen sind gesunken - aber grundsätzlich gibt es diese Diskussion um eine mögliche Konkurrenz in Deutschland (Interview mit Ute Klammer, S. 1). Sie führte weiter aus, dass es zurzeit keine Reibungsflächen zwischen den Bereichen Gender und Diversity gebe und die Kooperation und Koexistenz dank einer unterschiedlichen rechtlichen Aus- gangslage sowie auf Grund anderer finanzieller Incentives so gut funktioniere: Bei uns gibt es im Moment keine Reibungsflächen. Die Gleichstellungsarbeit funktioniert des- halb sehr gut, weil es erstens eine rechtliche Regulierung (AGG) gibt, und weil zweitens ganz andere finanzielle Incentives gesetzt werden. Zum Beispiel hat die DFG forschungsorientierte Gleichstellungsstandards formuliert, die uns sehr bei der Implementierung von geschlechter- orientierten Maßnahmen helfen: Plötzlich kommen Leute, die sich nie für Gleichstellungsfra- gen interessiert haben, jetzt aber DFG-Mittel haben wollen, und fragen, was man in diesem Bereich noch machen kann und wie sie ihre Chancen auf DFG-Gelder verbessern können. Das hilft, das gibt Rückenwind für den Genderbereich. Ähnliche Initiativen würde ich mir teil- «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 114 von 245 weise auch für den Diversity-Bereich wünschen. Das gibt es noch viel zu wenig. Da muss ich Leute wirklich überzeugen. Es gibt kein Geld und keine Anreize, wenn ich Migranten einstelle. Auch dadurch ist der Genderbereich außer Frage und ohne Konkurrenz. Bei uns, würde ich sagen, gibt es da im Moment keine Konfliktfelder (Interview mit Ute Klammer, S. 2). Auch die Interviewpartnerinnen von der RWTH Aachen erläuterten, dass für sie die Bereiche Gender und Diversity in keinem Konkurrenzverhältnis zueinander stünden. Insbesondere Christiane Herweg wies darauf hin, dass nach anfänglichen Befürchtungen das bereits vorhandene Wissen aus dem Bereich Gender nun sogar eine gute Ausgangslage für Diversity darstelle: Wir haben mit Frauenförderung und Gleichstellung angefangen. Dann kommt plötzlich Diversi- ty dazu, alle reden nur noch von Diversity. Diversity beinhaltet auch Gender. Das Gefühl, dass Gender vielleicht untergehen würde in der Diskussion, war am Anfang da, hat sich aber in Aachen nicht bewahrheitet. (Gruppeninterview Aachen, Christiane Herweg, S. 11). Demzufolge scheint das befürchtete Konkurrenzverhältnis zwischen Gender und Diversity in diesen drei deutschen Hochschulen wenig ausgeprägt zu sein. Dies mag darin begründet sein, dass in der Entwicklung hin zu Diversity die rechtliche wie auch finanzielle Situation der Gleichstellungsarbeit mit Gender-Schwerpunkt eher unangetastet bleibt. Und zum anderen, weil für Diversity andere finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen. Gleichzeitig sprach Ute Klammer von der Universität Duisburg-Essen jedoch die Schwierigkeiten einer klaren Zielsetzung für die Diversity Politik im Vergleich zur bisherigen Gleichstellungspolitik an: Während unsere Ziele für die Gleichstellungspolitik sehr klar sind, wir wollen die Anteile von Frauen in Professuren erhöhen, ist es sehr viel unklarer, ob wir jetzt den Anteil von Behinder- ten oder eher den Anteil von Homosexuellen erhöhen wollen, die in der Universität tätig sind. Da kann man nicht sagen, welches genau das Ziel ist, das wir anhand von Kennzahlen mes- sen möchten. Wir versuchen ein Monitoring System zu entwickeln, um zu sehen, wo wir wel- che Fortschritte erreicht haben. Zurzeit schwimmen wir jedoch noch ein bisschen, weil es sehr schwer messbar ist, was unter welchem Aspekt als Verbesserung gelten kann (Interview mit Ute Klammer, S. 1). Auch Susanne Schulz von der Universität Duisburg-Essen äusserte ihr Unbehagen in Bezug auf den Begriff Diversity. Sie wies darauf hin, dass Diversity ein zu breiter Begriff sei, der zu Entmaterialisie- rung führen könne: Diversity: Ich glaube, dass lange wenig bekannt war, was das überhaupt ist. Diversity wurde mit Gender gleichgesetzt. Dann ist klar geworden, Diversity ist weiter zu fassen, ja interessant. Ein Begriff, der in seiner Bedeutung letztlich auf die Menschenrechte einzahlt. Ein Begriff , der nicht entsprechend gefüllt ist. Das hört sich vielleicht diffus an. Das ist mir schon klar. Ich mei- ne: Man packt vieles unter so einen Begriff, erschafft den neu hinsichtlich seiner Bedeutung, schmeißt allesmögliche rein. Und keiner weiß eigentlich genau ... Damit entmaterialisiere ich ein Thema, Themen, die eigentlich zu benennen sind. Ich möchte Gleichberechtigung in die- ser Gesellschaft. Tatsächliche Gleichberechtigung kein Schlagwort. Ich möchte, dass Frauen und Männer, aber auch Deutsche und Ausländer etc. gleichberechtigt sind. Das ist ein Men- schenrecht. Diese Gesellschaft könnte ein gleichberechtigtes Leben sicherstellen. Andere Ge- «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 115 von 245 sellschaften können das möglicherweise so nicht, weil sie nicht „soweit“ sind. Wir leben in ei- ner mündige Gesellschaft. Oder zumindest könnte sie es sein und in dieser möchte ich ein gleichberechtigtes Miteinander gewährleistet und ein Bewusstsein hierfür wissen. Ich empfin- de Unbehagen, wenn „irgendetwas“ so in einen Topf kommt, dass nicht mehr so klar ist, was eigentlich damit verbunden ist, nicht reflektiert wird, was eigentlich gemeint ist. (Interview mit Susanne Schulz, S. 7). Gertraude Krell merkte dazu an, dass vor allem Befürchtungen bezüglich der möglichen Marginalisie- rung des Genderbereichs existieren, wenn Gender unter dem Dach Diversity integriert wird: Für die Frauen- und Gleichstellungspolitik mussten wir lange und intensiv kämpfen. Insofern ist es auch verständlich, dass bei nicht Wenigen die Befürchtung besteht, durch Konzepte wie Diversity würde uns etwas weggenommen, würde essenzialisiert oder ökonomisiert. Das be- gann ja übrigens schon bei Gender Mainstreaming. Mit diesen Befürchtungen ist eine diffe- renzierte Auseinandersetzung erforderlich, die aber den Rahmen eines Interviews sprengen würde, weshalb ich hier nur auf meinen Beitrag dazu in der Festschrift für Heide Pfarr verwei- sen möchte (vgl. Krell 2010). Oder doch noch so viel: Ob Frauenpolitik marginalisiert, essen- zialisiert oder ökonomisiert wird, ist keine Frage der Wahl des per se „richtigen“ oder „fal- schen“ Konzeptes. Es gibt immer unterschiedliche Konzeptverständnisse und Ausgestaltun- gen. Insofern handelt es sich um eine Frage der Verfertigung im Einzelfall. Es sind die jeweili- gen Verständigungs- und Aushandlungsprozesse, in denen über den Stellenwert von Gender und die Perspektive auf Gender entschieden wird. (Interview mit Gertraude Krell, S. 9). Gertraude Krell begründete die Dominanz der Dimension Geschlecht insbesondere für Unternehmen folgendermassen: Dafür, dass in Deutschland in den Unternehmen, die Diversity als Strategie realisieren, Ge- schlecht dominiert, gibt es gute Gründe. Auf die entwicklungsgeschichtlich bedingten bin ich ja schon eingegangen. Mit Blick auf den gleichstellungspolitischen Handlungsbedarf möchte ich mit unserem regierenden Bürgermeister sagen „und das ist auch gut so“, wenn wir uns das Ausmaß von Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts vergegenwärtigen, das wir auch in unserer aktuellen Untersuchung über Geschlechterungleichheiten in Betrieben der Privatwirt- schaft dokumentiert haben (vgl. Projektgruppe GiB 2010). Allerdings stimme ich nicht dem manchmal geäußerten Vorwurf zu, unter dem neuen Etikett „Diversity“ würde nur die alte Poli- tik der Chancengleichheit der Geschlechter fortgesetzt. Nicht nur die schon erwähnten Befra- gungen dazu, sondern auch alle Beispiele, mit denen ich etwas vertrauter bin, zeigen, dass Geschlecht zwar dominiert, aber nicht nur Geschlecht berücksichtigt wird, sondern auch ande- re Dimensionen von Vielfalt wie z.B. nationale Herkunft oder kulturelle Zugehörigkeit. Interna- tional aufgestellt ist heute fast jedes Unternehmen. Und das gilt auch für die Hochschulen, die ja gerade mit den Masterstudiengängen international interagieren müssen (Interview mit Ger- traude Krell, S. 5). Gertraude Krell sprach in diesem Zusammenhang aber auch von einer neuen gewinnbringenden Per- spektive sowie von Bündelungseffekten, die das Diversity-Konzept ermöglicht: «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 116 von 245 Diversity als Strategie oder Konzept ist ja nichts völlig Neues, sondern bietet ein neues Dach oder einen neuen Rahmen für das, was man vorher schon gemacht hat, beispielsweise auch rechtlich getrieben, z.B. bei Behinderung. Neu ist nur die Perspektive weg vom Problemgrup- pen- oder Defizit-Ansatz hin zu einer potenzial- und chancenorientierten Betrachtung. Bei diesem Zusammenfassen unter neuem Dach werden nicht lauter neue Dinge getan, sondern es ist erst einmal eine Bestandsaufnahme des schon Vorhandenen angesagt. Das gilt auch und insbesondere für Hochschulen, die Diversity realisieren wollen, weil es dort schon vielfäl- tige Zuständigkeiten und Aktivitäten zu einzelnen Dimensionen gibt. Deshalb ist es nahelie- gend, dass man wirklich erst mal guckt, was an diversity-relevanten Aktivitäten und Ressour- cen schon da ist. Allerdings ist das immer ambivalent. Einerseits sind das Ressourcen, das klingt ja so schön positiv und nach Synergieeffekten durch Diversity. Andererseits kommt bei dieser Bestandsaufnahme immer auch zu Tage, darauf seid ihr vermutlich bei euren Gesprä- chen in den Hochschulen gestoßen, dass das nicht nur Ressourcen sondern auch potenzielle Konfliktfelder sind, weil da Zuständigkeitskonflikte befürchtet werden oder auch Kämpfe statt- finden, wer verliert, wer gewinnt, wie bei jeder Reorganisation. (Interview mit Gertraude Krell, S. 5). Auf der Grundlage einer von ihr und anderen durchgeführten Untersuchung sowie ihrer langjährigen Erfahrung nannte Gertraude Krell folgende Hierarchisierung der Diversity-Dimensionen: Welche Dimensionen von Diversity in Lehre und Forschung im Fach Personal und „verwand- ter“ Fachgebiete an Universitäten in Deutschland, Österreich und der Schweiz berücksichtigt werden, das haben wir erhoben (vgl. Krell u.a. 2006 und 2009). In der Personalforschung hat, wie auch in der Personalpraxis, Geschlecht dominiert, dicht gefolgt von Kultur und auf Platz drei Alter. In der Lehre inklusive damals noch Diplomarbeiten stand Kultur an der Spitze, da- nach kamen Geschlecht und Alter. Allerdings hatten wir ein Mess- beziehungsweise Zuord- nungsproblem, weil es sehr viele Nennungen zum Thema internationales Management und kulturvergleichende Managementforschung gab. Das ist insofern problematisch, als es zwar Schnittmengen mit Diversity Management gibt, aber das Bild auch verzerrt wird, weil Migrati- onshintergrund als Kern-Dimension von Diversity bei den Nennungen zu Kultur nur eine ganz geringe Rolle gespielt hat. Die weiteren Platzierungen habe ich jetzt nicht so genau im Kopf, nur noch, dass Religion und sexuelle Orientierung die Schlusslichter waren. Aber das betrifft jetzt speziell die Personalcommunity in der Betriebswirtschaftslehre und da auch nur an Uni- versitäten und nicht an Fachhochschulen, weil wir die Auswahl der Befragten auf Basis des Mitgliederverzeichnisses des „Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e.V.“ getrof- fen haben. Man müsste auch noch mal beim Marketing genauer hingucken, wo Diversity eine Rolle spielt. Da gibt es Gender Marketing, Ethno Marketing, Gay Marketing usw. Da weiß ich aber nicht so genau, welchen Stellenwert das jeweils in der Praxis sowie in der Lehre und der Forschung hat. Ich habe mich nur kritisch mit Fachbüchern zum Gender Marketing auseinandergesetzt (vgl. Krell 2009a), weil dort heftig essenzialisiert und naturalisiert wird (Interview mit Gertraude Krell, S. 15). «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 117 von 245 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die beiden Felder Gender und Diversity zwar potentielle Konfliktfelder darstellen, bes. aufgrund von Ressourcen- und Zuständigkeitskonflikten. Allerdings überwiegt der Eindruck, dass das Dach Diversity Synergieeffekte hervorbringt, die auch dem Gender- Bereich neuen Auftrieb geben. So entwickelt sich der Diversity-Ansatz weg von einem Problemgrup- pen- oder Defizit-Ansatz hin zu einer potenzial- und chancenorientierten Perspektive (Gertraude Krell). B. Policy und Leitbild zu Diversity Dieser Abschnitt enthält alle Angaben der Befragten dazu, ob ihre Institution über eine Policy (interne Richtlinien) zu Diversity verfügt beziehungsweise ob sie in ihrem Leitbild auf Diversity verweisen. Die Universität Duisburg-Essen hat Diversity explizit in ihr Leitbild aufgenommen. Die Referentin für Diversity Management der Universität Duisburg-Essen nannte folgende Aspekte aus dem Leitbild ihrer Institution: Wir betrachten die Heterogenität unserer Studierenden und Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen als Chance und fördern die produktive Vielfalt durch Maßnahmen des Diversity-Managements. Diversität wird sowohl als Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit, als eben auch zur Exzellenz ver- standen und die Geschlechtergerechtigkeit ist ein integraler Bestandteil. Das ist, in kurzen Worten, unsere Policy (Interview mit Friederike Preiss, S.4). Die Fachhochschule Gelsenkirchen hat zwar kein eigenes Leitbild in Bezug auf Diversity. Katrin Han- sen von der Fachhochschule Gelsenkirchen hält jedoch fest, dass die Hochschule einen eigenen Hochschulentwicklungsplan habe, der in Ansätzen Aspekte von Diversity integriere: Das ist in dem Sinne kein Mission Statement, sondern ein Buch, in dem wir unsere Ziele für die kommenden fünf, sechs Jahre festgelegt haben. Aber ein wirkliches Leitbild haben wir erst in Teilen – und zwar für den Internationalen Bereich, aber noch keines für den gesamten Diversity- Bereich (Interview mit Katrin Hansen, S. 3). Für den Bereich Gleichstellung orientiert sich die Fachhochschule Gelsenkirchen an dem vorgeschrie- benen Frauenförderplan nach dem Landesgleichstellungsgesetz. Katrin Hansen von der Fachhochschule Gelsenkirchen machte allerdings auf die Gefahr der Stigmati- sierung der Hochschule aufmerksam, die sich des Themas Migrationshintergrund explizit annimmt. Dies lässt vermuten, dass Diversity nicht nur ein ‘Vorzeigethema’ ist, sondern auch mit der Angst vor einer Stigmatisierung einhergehen kann: Viele haben den Eindruck, dass wir eine ‚Türkenhochschule’ werden, wenn wir die Fachhoch- schule stark integrativ ausrichten. Wir versuchen im Moment diesen Punkt auch gegenüber Kollegen immer wieder klarzustellen: Wir wollen keine ‚Türkenhochschule’ sein, sondern eine Hochschule, in der auch für Leute mit einer spezifischen Problemgemengelage erfolgreich sein können. Da ist der Migrationshintergrund ein Aspekt unter vielen – aber es ist einer, der wichtig ist. Es geht dabei nicht nur um Leute, die aus der Türkei kommen bzw. deren Urgroß- eltern in der Türkei geboren sind, sondern wir haben auch viele Studierende, deren Eltern als sogenannte Auslandsdeutsche oder Russlanddeutsche aus dem Gebiet der früheren Sowjet- union gekommen sind. Die haben einen deutschen Pass, die fühlen sich als Deutsche, aber die haben, das muss man immer wieder unterstreichen, einen Migrationshintergrund, auch «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 118 von 245 wenn sie das selber so nicht sehen wollen. Und auch hier gibt es Unterschiede zwischen Jungs und Mädchen. Das Thema ist ein Dauerthema hier bei uns. (Interview mit Katrin Han- sen, S.5) Bevor die RWTH Aachen mit ihrem Zukunftskonzept Ende 2007 und der dort festgelegten „People Policy“ zugleich eine kohärente Diversity-Policy und mit ihr die Rektoratsstabsstelle für Gender und Diversity Management implementierte, erließ sie bereits frühzeitig eine Leitlinie für partnerschaftliches Verhaltens. 2008 und hat sie zudem die seitens der deutschen Bundesregierung veröffentlichte Char- ta der Vielfalt (siehe Anhang 3) unterschrieben: Die RWTH Aachen hat z.B. die Charta der Vielfalt mit unterschrieben. Bereits im Jahre 2001, bevor das AGG, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, 2006 in Deutschland in Umset- zung einer EU-Richtlinie in Kraft trat, war an der RWTH Aachen eine Leitlinie partnerschaftli- chen Verhaltens aufgesetzt und erlassen worden, so dass sich Vielfalt so entwickeln können sollte, dass auch Gleichbehandlung sicher gestellt wird. Trotzdem ist natürlich die RWTH Aachen eine ziemlich große Hochschule für deutsche Verhältnisse mit gut 30.000 Studieren- den und etwas mehr als 10.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Bei einer Gruppen- Universität wie der RWTH Aachen, die durch die Vertretung der Statusgruppen in den Gremi- en gesteuert wird, ist es schwierig, eine einheitliche Policy wirklich in die Hochschule zu brin- gen, so dass die enthaltenen Leitlinien überall gelebt werden. Als neues Team im Gleichstel- lungsbüro haben wir das Thema Gleichbehandlung zu einem Schwerpunkt unserer Arbeit ge- macht, denn es passieren viele Dinge, die nicht so konform sind mit den offiziellen Papieren, Leitlinien und Erklärungen. Es braucht seine Zeit, Kulturen zu ändern, die Papiere mit Leben zu erfüllen und Anspruch und Wirklichkeit zur Deckung zu bringen. (Gruppeninterview RWTH Aachen, Ulrike Brands, S. 6). C. Zielgruppen von Diversity Im Rahmen des Projekts wurde die Schwerpunktsetzung des Diversity Managements der jeweiligen Hochschule analysiert. Dabei interessierte vor allem die Frage, welche Personengruppen an der Hochschule und welche Merkmalsgruppen (aus den Diversity-Dimensionen resultierende soziale Gruppen) in den unterschiedlichen Hochschulen adressiert werden. In allen drei Institutionen – vornehmlich an der Fachhochschule Gelsenkirchen – steht die Gruppe der Studierenden in Vordergrund, in zweiter Linie dann auch die Mitarbeitenden an den Hochschulen. In der für alle wichtigen Dimensionen Gender/Gleichstellung von Frauen und Männern ist es vor allem mit der Zielgruppe der Frauen, besonders dort, wo Frauen unterrepräsentiert sind, und mit dem The- menschwerpunkt Vereinbarkeit von Studium, Beruf und Familie. Alle drei Institutionen setzen einen Schwerpunkt auf ausländische Studierende bzw. Studierende mit Migrationshintergrund, wobei der Schwerpunkt in Aachen deutlich auf „Internationalität“ und in Duisburg-Essen und Gelsenkirchen eher auf dem „Migrationshintergrund“ liegt. Von allen drei Hochschulen wird die Zielgruppe der Studieren- den aus ‚bildungsfernen’ Schichten beziehungsweise der ‚Bildungsaufsteiger und Bildungsaufsteige- rinnen’ genannt. Zudem wurde das Thema Behinderung angesprochen. Die anderen Dimensionen wie Religionszugehörigkeit, Alter und sexuelle Orientierung spielen in der aktuellen Diversity-Policy in «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 119 von 245 allen drei Hochschulinstitutionen kaum eine Rolle. Die folgende Abbildung 6 bietet einen Überblick über die Zuordnung der genannten Zielgruppen zu den Institutionen: Abbildung 6. Zuordnung der genannten Zielgruppen zu den Institutionen [eigene Darstellung]. 174 Im Folgenden werden die wichtigsten Aussagen der Befragten zu den einzelnen Diversity-Dimen- sionen dargestellt. Die RWTH Aachen setzt einen Schwerpunkt bei den Studentinnen und Wissenschaftlerinnen mit Kin- dern: Wir als Gleichstellungsbeauftrage sehen die Notwendigkeit, geeignete Maßnahmen zu entwi- ckeln, um dem Karriereknick bei Wissenschaftlerinnen entgegenzuwirken. D.h. die Universität versucht Hilfestellung zu leisten, damit die Frauen ihre Karriere an der Universität weiter ver- folgen können. Hierzu versuchen wir genügend Betreuungsplätze durch unser Familien- Service-Büro zur Verfügung zu stellen. Des Weiteren haben wir Workshops sowohl für Män- ner und Frauen entwickelt, die zur Bewusstseinsbildung der Vereinbarkeit von Familie und Karriere beitragen. Dieser Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen. (Doris Klee, S. 4) Katrin Hansen von der Fachhochschule Gelsenkirchen erwähnte auch das Thema Vereinbarkeit von Studium, Beruf und Familie: Unsere Gleichstellungsbeauftragte hat im Bereich der Vereinbarkeit einen Schwerpunkt ge- setzt – ausserdem gibt es dazu auch ein besonderes Projekt, das heißt „FH Kooperativ“. Da geht es gerade darum, dass wir Studierenden die Möglichkeit geben wollen, Studium und Be- ruf miteinander zu verbinden. Wir haben entsprechend die Stundenpläne gestreckt, so dass sie das dann auch ganz gut hinkriegen. Das sind extrem erfolgreiche Studierende. Das Kon- zept wollen wir auch weiter ausbauen. (Interview mit Katrin Hansen, S. 4). 174 Weitere Zielgruppen an der RWTH Aachen sind vorhanden. Diese wurden im Interview jedoch nicht so explizit benannt, so Andrea Wolfram. Das International Recruiting zielt als Teil der People Policy auf alle Statusgruppen ab. Die RWTH bietet sehr umfangreiche Serviceleistungen für Studierende und Beschäftigte mit Kindern und verfolgt neue, innovative Wege, um die Vereinbarkeit in Studium und Wissenschaft zu stärken. Eine weitere, bereits umfangreich adressierte Zielgruppe sind Studie- rende und Beschäftigte mit Behinderung. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 120 von 245 Gertraude Krell nannte ebenfalls berufstätige Studierende als eine wichtige Zielgruppe. Des Weiteren betonte sie in diesem Zusammenhang die Wichtigkeit der Studienförderung: Stipendien sind auch wichtig, damit Leute studieren können, die es sonst nicht könnten. Das betrifft ja vor allem die soziale Herkunft, eine Kategorie der in Zusammenhang mit Diversity an Hochschulen erfreulicherweise große Aufmerksamkeit geschenkt wird. Diejenigen, die wäh- rend des Studiums Geld verdienen müssen oder ihre Kinder betreuen müssen oder sogar bei- des, haben ja Probleme mit den Regelstudienzeiten. Wir haben schon ganz oft darüber disku- tiert, dass man für diese Gruppe ein Teilzeitstudium ermöglichen müsste. Wenn sie sich von vornherein als Teilzeitstudierende einschreiben könnten, würden sie nicht immer stigmatisiert werden, weil sie nicht schnell genug sind. Es gibt doch so viele, die neben dem Studium noch berufstätig sind und sein müssen. Deshalb, finde ich, gehört das in das Diversity-Programm für die Hochschule einfach rein. (Interview mit Gertraude Krell, S. 24). Alle drei Institutionen verfolgten zum Untersuchungszeitpunkt das Ziel, Studierende aus bildungsfer- nen Elternhäusern zu unterstützen. Die RWTH Aachen begründete diese Schwerpunktsetzung fol- gendermassen: Der Leiter des Studierendensekretariates sieht einen Schwerpunkt seiner Arbeit in der Bera- tung und Gewinnung von Studierenden aus nichtakademischen Elternhäuser, die häufig. Stu- dieninteressierten mit Migrationshintergrund sind. Das ist die zentrale Schnittstelle an der ge- arbeitet wird, weil besagte Studie, an der die FH Gelsenkirchen auch beteiligt war, zeigt, dass, wenn die Studierenden mit Migrationshintergrund an der Hochschule angekommen sind, ha- ben sie die gleichen Erfolgsquoten wie die deutschen Studierenden. Das Problem des Nicht- Ankommens an der Hochschule wird vor allem durch sensibilisierte Studienberater und -beraterinnen aufgefangen. (Gruppeninterview Aachen, Andrea Wolffram, S. 7). Auch die Universität Duisburg-Essen stellt das Thema BildungsaufsteigerInnen deutlich in den Vor- dergrund des Diversity Managements: Interkulturalität und ethnischer Hintergrund sind ein großes Thema. Ein ganz wichtiges Thema für uns ist sind die Bildungsaufsteiger. Es geht darum, den Habitus des Studierens für Jugend- liche oder junge Leute, die nicht aus akademischen Familien kommen, erst einmal herzustel- len. Das ist für mich eines der zentralen Themen überhaupt (Interview mit Ute Klammer, S. 6). Gertraude Krell thematisierte ebenfalls die Studierenden aus nicht-akademischen Elternhäusern, da- bei ging sie auf die Kontroverse in der Hochschulpolitik ein zwischen Leistungs- und Herkunftselite: Wenn wir aber jetzt wissen, dass Leistung nicht unabhängig von der Herkunft ist, sind wir mit- ten drin im Schlamassel. Insofern finde ich, wenn eine Hochschule Diversity betreibt, müsste sie sowohl im Blick auf die eigene Institution als auch im Blick auf die Gesellschaft ihren Elite- begriff hinterfragen. Das legen ja auch und vor allem die Arbeiten von Michael Hartmann aus der Eliteforschung nahe. Das Gleiche gilt für Exzellenz. Da muss man sehr genau gucken, was darunter verstanden wird, wenn man Diversity als Idee und Strategie ernst nimmt. Dann kann es ja nicht in erster Linie darum gehen, vor allem diejenigen, die eh schon privilegiert sind, noch verstärkt zu fördern, sondern zumindest auch darum, die Talente derer zu erken- nen, zu entfalten und zu fördern, die zu den dominierten Gruppen gehören. Und das bedeutet, «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 121 von 245 dass eine Hochschule viel stärker auf Menschen aus, wie immer wir das definieren, nichtaka- demischen Schichten, bildungsfernen Elternhäusern, nicht privilegierter sozialer Herkunft, für die es nicht selbstverständlich ist zu studieren oder gar eine akademische Karriere zu ma- chen, als Zielgruppe fokussieren muss. Dieser Gruppe fehlt die Unterstützung, die Studieren- de aus sozial privilegierten und akademischen Elternhäusern haben. Und damit meine ich nicht nur fehlende materielle Unterstützung, sondern auch weniger Hilfestellung und Beratung und die Nicht-Selbstverständlichkeit, sich im akademischen Feld zu bewegen. Um das zu kompensieren, sind positive Maßnahmen erforderlich. Aber ohne die Adressierten zu labeln oder zu stigmatisieren. Wer Leistungseliten fördern will, muss das mit dem Wissen tun, dass es für bestimmte Personen aufgrund bestimmter Zugehörigkeiten und Zuschreibungen schwe- rer ist, Leistung zu erbringen und dass es nicht nur in deren Interesse ist, etwas dagegen zu tun, dass sie deshalb auf der Strecke bleiben (Interview mit Gertraude Krell, S. 23f). Die Zielgruppe von Studierenden mit unterschiedlichster Religionszugehörigkeit spielte im Hochschul- kontext der drei befragten Institutionen eher eine untergeordnete Rolle. Einzig im Gespräch mit Ute Klammer von der Universität Duisburg-Essen wurde die Auseinandersetzung mit Religion im Zusam- menhang mit Migration erwähnt: Im Wesentlichen ist Religion nur in Zusammenhang mit Migration ein Thema. Wir haben z. B. einen Gebetsraum für Muslime – ebenso wie wir auch für Studierende der christlichen Religi- onen die Möglichkeit haben, ihrer Religion nachzugehen. Wir haben in der Studierendenbe- fragung erfragt, ob sich Studierende einer Religion zugehörig fühlen und ob ihnen die Aus- übung der Religion auch im Alltag ein Anliegen ist. Unter jene, die diese Frage bejahten, ha- ben wir gefragt, ob sie die Möglichkeit zur Religionsausübung durch das hiesige Studium ge- währleistet sehen oder nicht. Die Befragung ergab, dass ein überraschend hoher Prozentsatz derer, denen Religion wichtig ist,, keine Hindernisse sahen, das Studium mit der Religions- ausübung zu verknüpfen. Interessanter Weise waren die Aussagen bei muslimischen Studie- renden ähnlich hoch wie bei christlich orientierten Menschen. Vor diesem Hintergrund ist Reli- gion hier kein zentraler Schwerpunkt. Es sei denn als Teilbereich der Migration (Interview mit Ute Klammer, S. 6). An der RWTH Aachen spielte zum Untersuchungszeitpunkt Religion im Kontext des Diversity Mana- gements keine Rolle. Die Interviewpartnerinnen von der RWTH Aachen machten darauf aufmerksam, dass sie keinerlei Informationen bezüglich der Religionszugehörigkeit der Studentinnen und Studenten erfassen und ohne Kenntnis der Datenlage keine Schwerpunkte setzen oder Zielgruppen definieren könnten. Ulrike Brands von der RWTH Aachen führte zum Thema Religion und Hochschule Folgendes aus: Es ist natürlich meistens so, dass man, wenn man Religion anspricht, muslimische Mitbürge- rinnen und Mitbürger meint. Aus meiner Zeit, als ich im International Office tätig war, ist mir noch gut in Erinnerung, dass man sich die Frage gestellt hat, was man Musliminnen und Mus- limen an der Hochschule bieten muss oder sollte. So ist beispielsweise die Einrichtung eines Gebetsraumes diskutiert worden, jedoch ist die Diskussion nicht zu einem Abschluss gebracht worden. Ich persönlich bin auch der Ansicht, dass man, falls man überhaupt einen Gebets- «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 122 von 245 raum einrichten will, es ein ökumenische Gebetsraum sein müsste und nicht speziell ein mus- limischer. An und für sich gibt es ja eine Trennung zwischen Religion und Hochschule: Die Hochschule erfasst z.B. nicht die Religionszugehörigkeit der Studierenden (Gruppeninterview Aachen, Ulrike Brands, S. 7 175 ). Die Zielgruppe von Studierenden mit Behinderung wurde zwar von allen Hochschulen erwähnt und als wichtig erachtet, jedoch ohne genauere Angaben zu machen oder gezielte Massnahmen zu themati- sieren 176 . Katrin Hansen von der Fachhochschule Gelsenkirchen zufolge geht es bei diesem Thema eher um präventive Massnahmen der Barrierefreiheit, besonders baulicher Art. Handlungsbedarf bestünde dann, wenn diese Barrierefreiheit nicht gegeben wäre: Wir hoffen, dass wir eine einigermaßen barrierefreie Hochschule sind. Wir überprüfen das auch immer wieder und ich glaube, dass unsere Beauftragten uns deutlich darauf aufmerksam machen würden, wenn es gröbere Mängel oder Schwierigkeiten gäbe. Ich bin eine Zeitlang selbst auch an Krücken gegangen, da konnte ich das beurteilen. Ich glaub, da sind wir so weit in Ordnung (Interview mit Katrin Hansen, S. 4). Gertraude Krell ging auf die Kategorie Behinderung näher ein: Behinderung ist noch wichtig – auch mit Blick auf Hochschulen. Wenn man an eine barriere- freie Hochschule denkt, dann denkt man vermutlich an Rollstuhlzugänge. Aber es geht auch um Hör- und Sehbehinderungen und andere Handicaps. Manches ist im Einzelfall relativ un- problematisch, wie z.B. die Verlängerung von Klausurzeiten für Studierende mit kleineren Schreibhandicaps oder anderen Behinderungen oder Verletzungen. Ich weiß allerdings auch, dass Lehrende ganz unterschiedlich damit umgehen. Da gibt es insofern Handlungsbedarf. Und es geht um die Frage, was ist da chancengleich? Wie viel länger gibst du der Frau, die den Arm immer zwischendurch kühlen muss, weil sie sonst nicht schreiben kann. Wenn es um Barrierefreiheit für Menschen mit schwereren Hör- oder Seh-Behinderungen geht oder auch für Menschen in Rollstühlen, die ja zum Teil auch noch weitere Handicaps haben, dann sind die Lösungen aufwändiger. Angesichts der dadurch entstehenden Kosten stellt sich die Frage, ob jede Hochschule in jeder Hinsicht barrierefrei sein kann oder sollte, oder ob da nicht Spezi- alisierungen sinnvoller sind. (Interview mit Gertraude Krell, S. 26). Wie bereits erwähnt, nahm zum Erhebungszeitpunkt die sexuelle Orientierung in keiner der befragten Institutionen eine relevante Rolle ein. Friederike Preiss von der Universität Duisburg- Essen erwähnte in diesem Kontext, dass an der Universität Duisburg- Essen ein studentisches Referat für Homo- und Bisexuelle existiert: Beim 25jährigen Jubiläum von SchwuBiLe, das Referat für Schwule, Lesben und Bisexuelle, haben Frau Klammer und unser Rektor im letzten Jahr ein Grußwort gehalten. Es war ein sehr buntes Fest. Auch diese Dimension Gender bzw. sexuelle Orientierung gehört zu unserem 175 Die Diskussion der Gebetsräume in den Instituten wurde allerdings vor dem Hintergrund geführt, dass auf dem Gelände der RWTH bereits 1966 der Bau der Bilal-Moschee als zweitälteste Moschee Deutschlands abgeschlossen wurde. Die Planung wurde von Prof. Steinbach und Gernot Kramer, beide RWTH Aachen, durchgeführt. 176 Dass keine genauen Angaben im Interview gemacht wurden, heißt jedoch nicht, dass keine Maßnahmen und Aktivitäten diesbezüglich bestehen. Für die RWTH Aachen vergleiche zum Beispiel: www.igad.rwth-aachen.de/diversitymonitor. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 123 von 245 Diversity Verständnis, wenn auch nicht so vorrangig, wie Migration oder Bildungsaufsteiger, das muss man fairer Weise sagen (Interview mit Friederike Preiss, S. 11). Susanne Schulz von der Universität Duisburg-Essen begründete den nur minimalen Einsatz des Diversity Managements in diesem Bereich folgendermassen: Also, sexuelle Orientierung, um mal da anzufangen, ist für uns in der Tat „kein Thema“, auch wieder in Anführungszeichen gesetzt. Das heißt nicht Tabuisierung, sondern das heißt: Ak- zeptanz, Toleranz, es ist einfach der Mensch, der zählt, ob er schwul oder lesbisch, ist er kei- ne anderer als der, der heterosexuell orientiert ist. - Ich frage Sie ja auch nicht, schlafen Sie mit einem Mann oder einer Frau. Das geht keinen etwas an. Wenn man zu diesem Thema et- was sagen möchte, tut man es, oder eben nicht. Wir haben in unserer Mitarbeiterschaft „alles“ vertreten. Da gibt es Menschen, die ihre Orientierung offen leben, und dann weiß man davon, und andere, die sie nicht offen leben, … da weiß man es manchmal auch. Wir bewegen uns hier auf der Ebene der Persönlichkeitsrechte. Wir haben hier kein Problem. Möglicherweise sehen Menschen mit anderen kulturellen Wurzeln oder Menschen unterschiedlicher Sozialisa- tion das unterschiedlich. Da wird es dann schon interessant. Ich würde mir wünschen, dass Toleranz auch dann wirklich gelebt wird als Gut, als „Gütesiegel“, als Merkmal unserer Kultur (Interview mit Susanne Schulz, S. 3). Katrin Hansen von der Fachhochschule Gelsenkirchen merkte an, dass sexuelle Orientierung an der Fachhochschule Gelsenkirchen keine sichtbare Rolle spiele: Das ist ganz eigenartig an der Fachhochschule: Die Studierenden outen sich nicht. An den Unis gibt es Schwulen- und Lesbenreferate etc. Bei uns gibt es das überhaupt nicht. Und ich habe den Eindruck, das ist eine fachhochschulspezifische Geschichte (Interview mit Katrin Hansen, S. 4). Gertraude Krell ging näher auf die Beschäftigten-Struktur an den deutschen Universitäten ein und nannte die Vielfalt der Statusgruppen als ein weiteres wichtiges Diversity-Handlungsfeld: Wenn man fragt, wer an deutschen Hochschulen die „dominante Gruppe“ ist, gibt es verschie- dene Zugänge: Ins Auge springen natürlich die Professoren als Statusgruppe. Aber innerhalb dieser Gruppe gibt es bekanntlich auch nochmal Dominanzverhältnisse. Hier haben wir über- wiegend deutsche Männer, aber zunehmend auch deutsche Frauen sowie Frauen und Män- ner mit Migrationshintergrund, auch als Folge von Gleichstellungs- und Internationalisierungs- strategien. Und es gibt auch noch Fächerhierarchien. Generell gibt es an Hochschulen schon immer eine spezielle Variante von Vielfalt durch die vier Statusgruppen: Profs, Mittelbau, das heisst wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Studierende und die so genannten „Somis“. „Somis“ steht für die „Sonstigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“. Wenn man diese Bezeichnung hört, dann weiß man sofort, das ist nicht die dominante Gruppe. Diese Unter- scheidung, die zum einen quer zu den klassischen Diversity-Dimensionen liegt, zum anderen auch mit ihnen verschränkt ist, spielt für Diversity Management an Unis eine wichtige Rolle. Das gilt nicht nur für die Hochschulleitung, sondern auch für die Professoren und Professorin- nen, die es ja nicht nur mit vielfältigen Studierenden zu tun haben, sondern auch eine vielfälti- ge Belegschaft führen müssen, bestehend aus Sekretärinnen, wissenschaftlichen Mitarbeiten- «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 124 von 245 den, studentischen Hilfskräften und eventuell noch anderen. Und für diese Führungsaufgabe können sie von Diversity Management ganz viel lernen und profitieren. (Interview mit Gertrau- de Krell, S. 6). Gertraude Krell äusserte sich aber zum Risiko einer individuellen Stigmatisierung, das in der Zuord- nung von Individuen zu Merkmalsgruppen liegen kann. Sie machte darauf aufmerksam, dass Selbst- und Fremdwahrnehmung nicht unbedingt kongruieren müssen und dass die Betroffenen sich u.U. nicht in den Diversity-Kategorien sehen würden, in die sie von der Gesellschaft klassifiziert werden: Es gibt ja generell und auch an den Hochschulen diese Diskussion: Wenn man Kategorien im Rahmen von Diversity als Strategie berücksichtigen will, dann muss man sie auch erfassen und dadurch werden die so Erfassten auch gleichzeitig gelabelt. Das bedeutet, um ein Wort zu benutzen, das genauso unschön ist, wie das, wofür es steht, eine Verbesonderung durch die Etiketten, die man den Leuten aufklebt [...] (Interview mit Gertraude Krell, S. 12). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in der Identifizierung von Diversity-Merkmalen und Zuord- nung von Personen zu Merkmalsgruppen die Gefahr einer Stigmatisierung gegeben ist. Gleichwohl erscheint eine solche Zuordnung für die Identifizierung von Ziel- und Anspruchsgruppen für Umset- zungsmassnahmen unabdingbar. 3.3 Implementierung und Umsetzung von Diversity auf Hochschulebene Die Antworten zur Umsetzung von Diversity Management in den Hochschulen lassen sich in folgende Bereiche untergliedern: Handlungsfelder, Instrumente sowie Mitwirkung & Partizipation (siehe Abbil- dung 7), wobei die Instrumente den bedeutsamsten Teil dieses Aspekts ausmachen. Sie lassen sich untergliedern in strategische Instrumente zur Implementierung von Diversity und operative Instrumen- te der Umsetzung wie Maßnahmen, Projekte und Angebote. Im Folgenden werden die vier Unteras- pekte im Einzelnen vorgestellt. Abbildung 7. Umsetzung [eigene Darstellung] A. Strukturelle Handlungsfelder im Diversity Management Aus den bereits besprochenen, Zielen, Diversity-Dimensionen sowie den Diversity-Instrumenten las- sen sich für jede Hochschule strukturelle Handlungsfelder zusammenstellen. Die nachfolgende Tabel- le bietet eine Übersicht darüber, welche Handlungsfelder in Bezug auf Diversity in der jeweiligen Insti- tution abgedeckt werden. Die Auflistung der strukturellen Handlungsfelder zeigt hochschul- und institu- 9" :H*A?HA*&<<& %+5(&*!BH3 C+5+E&8&5H 4" $5!H*A8&5H& >15 ,B>&*!BH3 C+5+E&8&5H /" CBH;B*?A5E A5( =+*F0B-+F15 ," )7-&*F!& 0A ,B>&*!BH3 $$$ 2C:)6.2@' «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 125 von 245 tionenspezifische Maßnahmenfelder für das Studium und dessen Organisation sowie die tertiäre Bil- dung im Allgemeinen auf. Die in den Interviews angesprochenen strukturellen Handlungsfelder sind Studienberatung, Lehre, Forschung, Personalpolitik und -führung, Personalentwicklung, Berufungsver- fahren, Qualitätssicherung – für alle Ebenen der Verwaltung, Nachwuchsförderung, Förderung des akademischen wie auch nichtwissenschaftlichen Mittelbaus sowie der Professor/innen, Sensibilisie- rung, Organisationsentwicklung. Gender und Diversity werden dabei klar als Querschnittsthemen und -aufgaben gesehen, die alle Ebenen und Bereich einer Hochschule betreffen. Strukturelle Handlungsfelder: Studienberatung, Lehre, Forschung, Personalpolitik, Berufungsverfahren, Qualitätssicherung – für alle Ebenen der Verwaltung, Nachwuchsförderung, Öffentlichkeitsarbeit, Familien- freundlichkeit, Internationalisierung auf allen Ebenen, Förderung des akademischen wie auch nichtwissenschaftlichen Mittelbaus sowie der Professor/innen Tabelle 1. Strukturelle Diversity- Handlungsfelder Allen Handlungsfeldern gemeinsam ist: Sie beschäftigen sich mit dem Zugang bzw. der Zugänglichkeit zu den Hochschulen, mit dem Studienerfolg sowie mit der Karriereförderung. Vieles bewegt sich auf der Ebene der Schaffung und Gestaltung von Rahmenbedingungen, wie der Vereinbarkeit von Studi- um und Berufstätigkeit, die erforderlich sind, damit Menschen, die studieren wollen, diesen Zugang erhalten, ein Studium erfolgreich absolvieren können sowie optimal auf ihre spätere Berufstätigkeit innerhalb oder ausserhalb der Hochschulen vorbereitet werden können. Die RWTH Aachen legt grossen Wert auf die Gendersensibilisierung auf jeder Ebene der Hochschule: Auch die durchgehende Gendersensibilisierung der Leute hier an der Hochschule ist eine ganz wichtige Aufgabe. Wir sehen nach außen sehr gut aus, wir haben ein tolles Gleichstel- lungskonzept, wir haben die Zahlen unserer Professorinnen erhöht. Aber die Umsetzung re- gelmäßig den Genderaspekt bei allen Überlegungen zu berücksichtigen, ist noch nicht gege- ben. Es ist wichtig, die Gendersensibilisierung der Personalführungsebene an der Hochschule zu erreichen. Da spielt natürlich Personalführungskompetenz eine Rolle (Gruppeninterview Aachen, Christiane Herweg, S. 4). Zudem spielt für die Universität Duisburg-Essen die Internationalität auch für die Studien- und Wis- senschaftsverwaltung eine Rolle, was aus der folgenden Aussage von Susanne Schulz hervorgeht: Die Verwaltung muss sich auf ihre Klientel einstellen. Das kann sie unter unterschiedlichen Gesichtspunkten machen. Unsere Klientel weist unterschiedliche Sozialisationshintergründe auf, ein unterschiedliches Sprachvermögen liegt vor. Nicht immer wird die deutsche Sprache so beherrscht, wie es zur Klärung wichtiger Angelegenheiten notwendig ist. D.h. ganz konkret: Wie begegnen wir diesem Punkt? Wir trainieren unsere Leute, zumindest was die englische Sprache anbelangt in kleiner Gruppe, damit die Servicebereiche, die mit ausländischen Stu- dierenden umgehen, sie adäquat beraten, mit ihnen kommunizieren können (Interview mit Susanne Schulz, S.2). «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 126 von 245 In Bezug auf Frauenförderung engagiert sich die Fachhochschule Gelsenkirchen zum Unter- suchungszeitpunkt in drei Handlungsfeldern: der Personalrekrutierung und Begleitung von Berufungs- verfahren, Massnahmen zur Vereinbarkeit von Studium, Beruf und Familie sowie der Motivation zum Studium. Gezielte Nachwuchsförderung ist ein typisches Handlungsfeld im Rahmen von Diversity, neben der Lehre, den Berufungsverfahren und einer angemessenen Personalpolitik. B. Instrumente von Diversity Management Insgesamt wurden zahlreiche Instrumente zur Diversity-Umsetzung genannt. Jede befragte Institution setzte zum Untersuchungszeitpunkt jedoch andere Instrumente ein. Wobei anzumerken ist, dass eine bemerkenswert variationsreiche und vielseitige Palette an Instrumenten von der RWTH Aachen ver- wendet wird. Für die Instrumente kann unterschieden werden zwischen denen, die auf der strategi- schen Ebene der Implementierung von Diversity dienen und denen, die der konkreten Umsetzung von Diversity in Projekten, Massnahmen und Angeboten dienen. Strategische Instrumente der Implementierung von Diversity Die RWTH Aachen versuchte Beratungsbedarf und –fälle an ihrer Hochschule zu erfassen, um den Handlungsbedarf besser identifizieren zu können: Der neu gegründete „Runde Tisch Gleichbehandlung/Antidiskriminierung“ wird als erstes versuchen, die Fälle von Diskriminierung zu erfassen und eine Dokumentation zu erstellen. Dies ist bisher noch nicht durchgeführt worden. Dann können wir erst bewerten, wo die Probleme bzw. der Hauptschwerpunkt der Diskriminierung von Randgruppen liegt. (Grup- peninterview Aachen, Doris Klee, S. 7). An der Universität Duisburg-Essen kommt ein weiteres Instrument aus dem Management, die soge- nannte SWOT-Analyse 177 , zur Anwendung. Dieses Instrument ist dem Bereich Personal- und Organi- sationsentwicklung zugeordnet: Es ist jetzt auch geplant, in der kommenden Sitzung der Diversity Kommission eine Diversity SWOT-Analyse durchzuführen – und zwar gemeinsam mit geladenen Gästen aus den Fa- kultäten und den zentralen Einrichtungen. Wir möchten sehen, wo sind die Schwierigkeiten konkret auf das Thema Diversity bezogen. Wir möchten wirklich vor Ort schauen, was wir besser machen können und welche konkreten Maßnahmen wir eventuell aus der Problemla- ge heraus entwickeln können. Anders geht es nicht. Es ist ein ständiges Im-Gespräch- Bleiben. Und das braucht einen langen Atem. Aber es ist auch eine gute Möglichkeit, die In- teressen und Bedarfe der beteiligten Akteure zu erfahren. (Interview mit Friederike Preiss, S. 10). Katrin Hansen von der Fachhochschule Gelsenkirchen nannte folgende Instrumente: einen Verfol- gungsplan, der zurzeit erst aufgebaut werde, und das Projekt Fachhochschule-Integrativ: 177 Eine SWOT Analyse ist eine Unternehmensanalyse und sie besteht aus zwei Bereiche: einer Stärken-Schwächen-Analyse (S=Strength; W=Weakness) und einer Chancen-Risiko-Analyse (O=Opportunities; T=Threats). Ausführlich dazu: Lombriser, R. & Abplanalp, P.A. (1998). «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 127 von 245 Wir arbeiten im Moment an einem Projekt, dem „Verfolgungsplan“. Hier versuchen wir, die verschiedenen strategischen Projekte zu koordinieren. Z.B. haben wir alles rund um das Projekt „FH Integrativ“ gruppiert, z.B. auch die Charta der Vielfalt, die ist nun ein Aspekt da- von. Gemeinsam mit den Kollegen baue ich nun ein Controlling zu diesen Projekten auf. Wir haben zunächst die Pläne gemacht, Budgetierungen erstellt, Verantwortlichkeiten geklärt, nun müssen noch Meilensteine definiert werden. Wenn Sie keine Meilensteine und Pläne haben, können Sie auch kein Controlling machen. Das Setzen von konkreten Zielen ist ganz wichtig und da sitzen wir jetzt noch dran (Interview mit Katrin Hansen, S. 6). In den Gesprächen an der FH Gelsenkirchen wurde deutlich, dass das Controlling ein Instrument sein könnte, bisher aber auch beim etablierten und gesetzlich vorgeschriebenen Frauenförderplan nur ungenügend umgesetzt wird. Ein Controlling und/oder Qualitätsmanagement speziell für den Diversi- ty-Bereich ist noch nicht entwickelt. Im Folgenden werden die Aussagen der Befragten zu den Instrumenten vorgestellt. Die RWTH Aachen hat einen Runden Tisch 178 gegründet und beschrieb den Sinn und Zweck dieses Instruments folgendermassen: Es braucht seine Zeit, Kulturen zu ändern. Wir haben damit gestartet, dass wir einen Run- den Tisch Gleichbehandlung / Antidiskriminierung gegründet haben. An diesem Runden Tisch sitzen alle, die eine beratende Funktion an der RWTH Aachen haben, ob das jetzt die Personalräte sind, ob das die Studierendenvertreter sind, Schwerbehindertenbeauftragte, Ausländerbeauftragte, International Office, Schwulenreferat, Sozialberatung, all diese Leute sind an einen Tisch gebracht worden. Es ist auch von allen formuliert worden: Ja, es gibt Probleme, da ist eine Diskrepanz spürbar zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Unser Anlie- gen ist es, uns zusammen zu tun, um zu schauen, was passiert wirklich und wo können wir präventiv tätig werden, was können wir entwickeln, wo können wir an die Hochschulöffent- lichkeit herangehen und die schönen Papiere auch mit Leben erfüllen (Gruppeninterview RWTH Aachen, Ulrike Brands, S. 7). Des Weiteren wurde der Internationalisierungsreport als ein weiteres Instrument genannt, der ein Mo- nitoring der Entwicklung der Zahlen erlaubt und im Zusammenhang mit dem Informationsmanagement der Hochschule steht: Man kann schon sagen, dass im Rahmen der Internationalisierung der Hochschule, die ja auch ein Aspekt von Diversität ist, schon einiges passiert ist Mit dem Internationalisierungs- report, der alle zwei Jahre veröffentlicht wird, liegt ein Zahlenwerk vor, wo man dann noch einmal nachverfolgen kann, wie viel internationale Studierende gibt es, wie viel internationale Mitarbeiter, und so weiter. Das hat u.a. dazu geführt, dass das Informationsmanagement auf die Zielgruppen hin verändert wurde und dass beispielsweise viel mehr Informationen auch auf Englisch zur Verfügung gestellt wurden. (Gruppeninterview RWTH Aachen, Ulrike Brands, S. 12). 178 Etwas Vergleichbares hat die Universität Duisburg-Essen eingerichtet. Im Anschluss an die Interviews in Essen nahmen die Interviewerinnen an einer Sitzung der Diversity-Kommission teil, zusammengesetzt aus allen drei Statusgruppen (Studierende, wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Mitarbeitende sowie den Professor/innen). Anstehende Themen wurden partiz- ipatorisch diskutiert. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 128 von 245 Zusätzlich erwähnten die Befragten von der RWTH Aachen das Instrument des Audits und beschrie- ben ihre Erfahrungen mit dieser Arbeit der externen Evaluation und Qualitätsüberprüfung wie folgt: Mit dem Instrument des „audit familiengerechte hochschule“ machen wir hier an der Hoch- schule sehr, sehr gute Erfahrungen. Deswegen verfolge ich die Idee, diese Erfahrungen auf den Bereich Behinderung oder chronische Krankheiten zu übertragen, weil auch ganz kon- krete Bedarfe bei uns geäußert wurden. Ich weiß jetzt nicht, wie bekannt Ihnen die Strategie im „audit familiengerechte hochschule“ ist, in der die unterschiedlichen Akteure an einen Tisch geholt werden. Zu überlegen ist: Was sind die Handlungsfelder und welche Ziele wol- len wir in den Handlungsfeldern erreichen und diese Ziele mit der Hochschulleitung zu ver- abschieden und zu bearbeiten. Dieses Vorgehen hat sich bewährt. Ich glaube, wichtig bei dem Audit ist auch, dass ein Auditor oder eine Auditorin den Prozess professionell von ex- tern begleitet (Gruppeninterview RWTH Aachen, Andrea Wolffram, S. 11). Zudem führt das IGaD der RWTH Aachen eigene Forschungsprojekte zum Thema Diversity durch. Beispielsweise habe die RWTH Aachen ein Projekt gestartet, das sich mit dem Diversity-Monitoring auf qualitativer und quantitativer Ebene auseinandersetzt. Dies wurde auf folgende Weise realisiert: Die Diversity-Geschichte der Hochschule wird derzeit qualitativ aufbereitet. Ein Beispiel für die qualitative Herangehensweise ist die derzeitige Gestaltung einer Online-Befragung, mit der diverse Daten erhoben werden sollen. Dafür arbeiten wir mit der Abteilung für akademi- sche Angelegenheiten zusammen. Bei der Immatrikulation wird in der Regel die E-Mail- Adresse angegeben und wir schreiben dann an die Erstsemester, ob sie sich an der Befra- gung beteiligen wollen, damit wir mehr von unserer Studierendenschaft erfahren. Das fängt schon beim Geschlecht an, wir wollen nicht nur männlich und weiblich, sondern eben auch andere Kategorien mit aufnehmen. Das kann man aber nicht einfach so aufnehmen, es muss begründet und eingeleitet werden, damit die Normstudenten nicht vor den Kopf gesto- ßen werden. (Gruppeninterview RWTH Aachen, Andrea Wolffram, S. 8). Gertraude Krell äusserte sich ebenfalls zu Diversity-Instrumenten. Sie betonte insbesondere die not- wendige Vielseitigkeit der Umsetzung auf verschiedenen Ebenen: Diversity ist ja eine Idee oder ein Prinzip und zielt auf einen Kulturwandel und damit auch auf einen Einstellungswandel und Wertewandel. Das ist das Ziel. Kulturen lassen sich verän- dern, aber nicht sofort und rückwirkend, das braucht viel Zeit. Und es braucht nicht nur ein Instrument, wie zum Beispiel Diversity Trainings, sondern viele Instrumente, die gut aufei- nander abgestimmt sind und gut ineinander greifen. Und das ist immer noch zu technisch gedacht, weil es nicht nur auf den richtig gefüllten Werkzeugkasten und die richtige Wahl da- raus ankommt. Erfolgsentscheidend ist auch und insbesondere, wie der Veränderungspro- zess gestaltet wird, wer wie beteiligt, ins Boot geholt und auf Kurs gebracht wird. Wichtig sind auch Vorbilder innerhalb der Organisation – und auch in den Medien; im sonntäglichen „Tatort“ zum Beispiel gibt es ja inzwischen Frauen oder alleinerziehende Väter als Kommis- sarinnen, wird uns im Fernsehen in Bezug auf diese Berufsgruppe Vielfalt vorgeführt. Und so muss auch das traditionelle Bild vom Herrn Professor erschüttert werden. Und die Herren Professoren selbst müssen dabei unterstützt werden, angemessener mit der Vielfalt von «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 129 von 245 Mitarbeitenden und Studierenden umzugehen. Das alles ist nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen. (Interview mit Gertraude Krell, S. 18). Operative Umsetzung von Massnahmen und Projekten Im Folgenden werden operative Massnahmen, Projekte und Angebote der drei Hochschulen vorge- stellt, wie sie in den Interviews genannte worden sind. Diese Darstellung erhebt keinen Anspruch auf eine vollständige Liste aller an den drei Hochschulen eingesetzten Instrumente der Umsetzung von Diversity. Vielmehr werden exemplarisch Massnahmen, Projekte und Angebote vorgestellt. Die Begleitung von Berufungsverfahren durch die Gleichstellungsbeauftragte an der Fachhochschule Gelsenkirchen hat zum Ziel, dass mehr Frauen berufen werden: Und zwar nicht die Begleitung verwaltungstechnischer Art, dafür haben wir Sachbearbeite- rinnen, sondern genau dann, wenn sich Frauen bewerben und diese auch eingeladen wer- den, weil sie die Einstellungsvoraussetzungen erfüllen, bin ich selber vor Ort bei den Probe- vorträgen. Das spaltet sich ein bisschen. Wir haben drei Fachbereiche: Wirtschaftswissen- schaften, Wirtschaftsrecht, die restlichen sind technischer Art. Die technische Art kann ich sehr gut abdecken auch von der fachlichen Seite her, die Berufungen im Bereich Wirtschaft, da habe ich immer Unterstützung durch andere Professorinnen. Ansonsten sitze ich selber in den Berufungsverfahren. Zurzeit sind es 14. Manchmal, wenn ich keine Land mehr sehe, keine Chance, dann beurteile ich selber, wann ich noch hingehe, wann es effektiv ist und wann nicht (Interview mit Marion Gebhard, S. 3). Zur Frauenförderung gehört auch der explizite Aufbau von Hochschulkinderbetreuungsgruppen, die das Ziel haben, die Zielgruppe der Studierenden mit Kindern zu fördern, damit diese selbstverständli- cher studieren können. Bemerkenswert in der folgenden Aussage ist, dass der Planung und dem Auf- bau der Kinderkrippen eine Umfrage mit Bedarfsanalyse vorausging. Überdies richten sich die Öff- nungszeiten nach den Bedürfnissen der Studierenden und nach dem universitären Rhythmus, bei- spielsweise Prüfungszeiten. Finanziert werden diese Kinderbetreuungsmöglichkeiten bislang aus ei- nem Innovationstopf der Landesregierung, dessen Gewährung aber jeweils von der Politik abhängt (Interview mit Marion Gebhard, S. 3). Eine weitere Säule der Frauenförderung an der Fachhochschule Gelsenkirchen ist die Schülerinnen- förderung. Die Fachhochschule organisiert jährlich einen bundesweiten Schülerinnentag für Mädchen – ein Ansatz der expliziten Nachwuchsförderung, in der speziell junge Mädchen als Zielgruppe ange- sprochen werden: Da haben wir den Girls Day, der ist bundesweit organisiert, machen wir für die Klassen fünf- te bis zehnte. Jedes Jahr April. Dann haben wir einen allgemeinen Hochschulinformations- tag. Der ist an der Hochschule. Da kommen dann 2.000 bis 3.000 Schüler. Da habe ich ab- gespalten, weil der nur halbtägig ist, einen Tag mit typischerweise fünfzig jungen Frauen, die sich vorher anmelden müssen mit dickem Programm, einen ganzen Tag Experimente zum Mitmachen für drei Stunden. Das geht von morgens bis abends den ganzen Tag für Schüle- rinnen der Klasse 11 bis 13. Das ist direkte Werbung auch fürs Studium. Es wird auch vor- gestellt, welche Studiengänge es gibt, aber vor allem die anderen Dinge, da stehen die Stu- «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 130 von 245 dentinnen, die beantworten Fragen wie: Wo wohne ich, welche Mathe-Vorkenntnisse brau- che ich usw. Da stehen die Studentinnen mit den 50 Mädels, die dann Fragen stellen kön- nen. Dann kommen Ehemalige rein, die am Nachmittag erzählen, dass sie hier studiert ha- ben, wie sie dazu gekommen sind, und dass sie jetzt in Süddeutschland bei Bosch oder so arbeiten und 5.000 € verdienen. Da staunen die Mädchen und fragen, wie viel die reisen und wie das geht usw. Das ist superklasse und macht richtig Spaß. Findet aber dieses Jahr nicht statt, weil das Präsidium wichtige Fragestellungen nicht geklärt hat – Schade (Interview mit Marion Gebhard, S. 5). Friederike Preiss von der Universität Duisburg-Essen erwähnte, dass Interkulturalität und Diversity in das Promovierendenforum integriert sind: Nachwuchsförderung ist für uns ganz zentral. Daher haben wir ein Promovierendenforum gegründet, das ganz gezielt die unterschiedlichen Belange der Studierenden berücksichtigt und deren Potenziale auf jeder Karrierestufe fördert. Wir arbeiten diesbezüglich auch eng mit dem Prorektor für Forschung zusammen. Im sogenannten Profor, das ist das Promovieren- denforum, sind auch Aspekte von Interkulturalität und Diversity integriert (Interview mit Frie- derike Preiss, S.2) Susanne Schulz von der Universität Duisburg-Essen nannte vor allem das standardisierte Personal- auswahlverfahren für den nichtwissenschaftlichen Bereich: Wir haben strukturierte Auswahlverfahren. Dieses Auswahlverfahren ist verpflichtend für alle Verwaltungsbereiche auch für die Rektoratsebene, für den Rektoratsstab eine Selbstver- pflichtung. Wir unterscheiden fachliche Eignung und überfachliche. Und da gehören auch solche Aspekte, Kulturaspekte, mit hinein (Interview mit Susanne Schulz, S. 9). Die Referentin für Diversity Management Friederike Preiss von der Universität Duisburg-Essen erklär- te, welche Rolle dieses Verfahren in Bezug auf Diversity einnimmt: Für jede neu zu besetzende Stelle wird ein eigenes Aufgabenprofil definiert. Dazu werden verschiedene‚ diversity-relevante Fragen aufgeführt, die dann Bewertungen darüber zulas- sen, inwiefern die Person in der Lage ist, über diesen oder jenen Punkt zu reflektieren. Inso- fern können wir in diesen persönlichen Gesprächen sehr genau feststellen, in wie weit die eine oder andere Perspektive durchdacht ist oder ob auch die Fähigkeit und Bereitschaft zum Perspektivenwechsel da ist. Letztlich geht es in den Auswahlverfahren auch darum, im Sinne unserer Policy, das heißt der Wertschätzung von Vielfalt zu handeln (Interview mit Friederike Preiss, S. 6). Diese Art des Auswahlverfahrens ist jedoch bei Berufungsverfahren von Hochschulen – ob Universität oder Fachhochschule – noch unüblich. Eigene Regularien für die Berufungsverfahren liegen zwar vor und schließen Aspekte der Gleichstellung unter dem Aspekt Geschlecht ein, nicht aber Anforderungen an Diversity als abgefragte Qualifikation. Des Weiteren verleiht die Universität Duisburg-Essen jährlich eine Auszeichnung an erfolgreiche Ab- solventinnen und Absolventen mit Migrationshintergrund: Das war ein großes Aha-Erlebnis für alle Beteiligten, insbesondere beim ersten Mal. Jede Fakultät hatte eine Person ausgewählt und da standen lauter exzellente Studentinnen (beim «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 131 von 245 ersten Mal waren zehn von elf Studentinnen). Dabei war es sonnenklar, dass Studierende mit Migrationshintergrund nicht automatisch schlechter abschließen oder dass sie immer Problemfälle sind. Natürlich ergibt sich durch den Migrationshintergrund eine spezielle Situa- tion und unter Umständen auch erschwerende Bedingungen, aber wir haben eine ganze Reihe von exzellenten Studierenden und es war toll, das so öffentlich zeigen zu können. Nach der Veranstaltung kamen dann ganz viele Professoren, die sagten, hören Sie mal, ich hab da noch eine Studentin, die ist so gut, können wir nicht was für die tun? Plötzlich schien diese, ich sag mal, Diversity-Awareness, auf eine so selbstverständliche Art und Weise rea- lisiert, dass wir gesehen haben, das sind wichtige Formate, um Akzeptanz zu schaffen (In- terview mit Friederike Preiss, S. 3). Wie bereits erwähnt kamen zum Befragungszeitpunkt besonders viele Instrumente zur Diversity- Umsetzung an der RWTH Aachen zum Einsatz. Die folgende Abbildung 8 bietet einen Überblick über diese Diversity-Instrumente. Abbildung 8. Die Diversity- Umsetzungsinstrumente der RWTH Aachen [eigene Darstellung]. 179 Ein weiteres Angebot der RWTH Aachen richtet sich an Familien: ein internationales Familienfrüh- stück: Als Maßnahme zur besseren Integration hat das Familien-Service-Büro das internationale Familienfrühstück eingeführt. Das findet regelmäßig statt. Hier werden internationale Fami- lien, die ihre Kinder in den Betreuungseinrichtungen haben, gemeinsam zum Frühstück ein- geladen. Während des Frühstücks sind Betreuer da, die sich um die Kinder kümmern, so dass die internationalen Eltern untereinander den Austausch pflegen können (Gruppeninter- view RWTH Aachen, Doris Klee, S. 12). 179 Diese Darstellung gibt die Vielfalt der bestehenden und geplanten Maßnahmen der Hochschule jedoch nur unzureichend wieder. Ein ergänzender Hinweis auf den Diversity Monitor (www.igad.rwth-aachen.de/diversitymonitor/) ist von daher sinnvoll und auch weiterführen. Damit wird deutlich, dass eine weitere Reihe von Instrumenten in den strategischen Zielfeldern: Steigerung der Barrierefreiheit, Bildungsgerechtigkeit sowie Geschlechtergerechtigkeit vorhanden sind. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 132 von 245 Das BeBuddy Betreuungsprogramm stellt ein weiteres interessantes Instrument dar, das an der RWTH zur Anwendung komme. Dieses Angebot richte sich sowohl an ausländische als auch deut- sche Studierende: Ja, neu sind aber solche Buddyprogramme zwischen deutschen und ausländischen Studie- renden. Relativ neu eingeführt ist das Zertifikat „interkulturelle Kompetenz“, wo es darum geht, dass die deutschen und ausländischen Studierenden miteinander verflochten an Kom- petenz gewinnen und mehr Berührungspunkte und Begegnungen haben müssen. Denn es ist nicht automatisch so, dass sie miteinander kommunizieren und zusammen lernen. Mit dem Thema Lerngruppen wurde das ein bisschen angesprochen. (Gruppeninterview RWTH Aachen, Ulrike Brands, S. 12). C. Mitwirkung und Partizipation Dieser Abschnitt beinhaltet alle Aussagen der Expertinnen dazu, wer an der Hochschule an der Aus- arbeitung von Diversity-Zielen und Umsetzungsmassnahmen beteiligt ist und welche institutionellen und informellen Partizipationsgremien involviert sind. Friederike Preiss von der Universität Duisburg- Essen betonte die grundsätzliche Bedeutung von Mitwirkung und Partizipation aller Beteiligten. Von daher wurden zunächst Bedürfnisse aller Beteiligten erfragt: Mitwirkung und Partizipation sind ganz zentral. Mit den Daten, die wir (im Rahmen einer Diversity-Studierendenbefragung A.d.V.) gesammelt haben, stehen wir jetzt in der Verant- wortung. Wir müssen wirklich seriös damit umgehen, damit den Beteiligten, also allen han- delnden Akteuren, ob das auf professoraler oder studentischer Ebene ist, klar wird: Es geht um euren Nutzen. Diversity sozusagen auch als Servicegedanke: wir wollen hier euren Be- dürfnissen gerecht werden und wie können wir das am besten gemeinsam meistern. Da sind tatsächlich alle Akteure gefragt (Interview mit Friederike Preiss, S. 4). Als Ansatzpunkt für die Weiterentwicklung der Mitwirkung an einem Diversity-Konzept und dessen Umsetzung wurden die Erfahrungen mit den Gleichstellungskommissionen hervorgehoben: Katrin Hansen von der Fachhochschule Gelsenkirchen nannte beispielsweise die Gleichstellungskommissi- on, welche paritätisch besetzt ist. Hier sollen alle Statusgruppen vertreten sein, um deren Mitwirkung abzusichern. Dies ist an deutschen Hochschulen in den Bundesländern rechtlich unterschiedlich ver- ankert, aber dort, wo vorgeschrieben auch nicht immer konsequent realisiert. Die vier Statusgruppen sind: Student/innen, Professor/innen, wissenschaftliche Mitarbeiter/innen sowie technisch-adminis- trative Mitarbeiter/innen. Überdies kam an der FH Gelsenkirchen die Mitwirkung externer Akteur/innen zu Sprache: Im Steuerungskreis ist z.B. auch der ASTA [Allgemeiner Studierenden Ausschuss, A.d.V.] dabei. Ausserdem gibt es weitere Externe, wie z.B. den Bürgermeister, eine Vertretung aus den Ministerien u.a. Einmal im Semester sind z.B. auch die Ausländerbeauftragten, d.h. die für die Auslandsbeziehungen Verantwortlichen, eingeladen und wir diskutieren dann, wie die Strategie umgesetzt wird, was es an operativen Maßnahmen gibt, bis hin zu einer Task Force. Allerdings muss man immer schauen, wie bereit die Leute sind, mitzumachen. Es hört sich immer so toll an, wenn da alle vertreten sind, aber man muss auch gucken, wie oft «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 133 von 245 nimmt dann wer teil. Faktisch bricht die Mitbeteiligung dann teilweise schnell zusammen. Ich persönlich halte Arbeitskreise für wichtig, aber ich setze mehr Vertrauen in lebendige Netz- werke, wo Leute aus eigenem Interesse mitmachen (Interview mit Katrin Hansen, S. 9). Auch die RWTH Aachen zeigte großes Interesse an der Mitwirkung verschiedener Statusgruppen innerhalb ihrer Institution. Dies ist jedoch im Hinblick auf acht Diversity-Kerndimensionen nicht ohne weiteres umsetzbar. Trotz dieser vorhandenen Problematik wurde aber deutlich: Der runde Tisch ist ein besonders wichtiges Zeichen. Es fördert eine breitere Mitwirkung als klassischer Weise an Hoch- schulen vorhanden ist. Denn am runden Tisch sollen Vertreter und Vertreterinnen aus allen Ebenen der Hochschule demokratisch zusammenkommen. D. Expertise zu Diversity Mit dem Thema „Diversity-Expertise“ sind zwei Aspekte benannt, zum einen die theoretische Expertise und wissenschaftliche Forschungsfragen zu Diversity, zum anderen das Erfahrungswissen aus der Praxis der Umsetzung von Gleichstellungs-, Chancengleichheits- und Diversity-Massnahmen. Die theoretische Expertise wurde im Rahmen der Interviews nicht explizit erfragt, der Fokus der Gesprä- che lag auf der Frage der Implementierung, gleichwohl griffen die Befragten auf gegenwärtig diskutier- te Referenzkonzepte und Theorien in Bezug auf Diversity zurück. Zudem haben ein Teil der Expertin- nen die Diskussion über Diversity an Hochschulen in Deutschland durch fachwissenschaftliche Publi- kationen maßgeblich mitgestaltet In der Argumentation bezogen sich die Interview-partnerinnen immer wieder auf das Konzept des Diversity Management bzw. Managing Diversity auf der Grundlage des Diversity Wheel (Gardenswartz/-Rowe 1993), das gegenwärtig in deutschen Unternehmen häufig verwendet wird (marginal eher in der Betriebswirtschaftslehre, mit Ausnahme der umfangreichen Pub- likationen von Gertraude Krell). Andere verwandte theoretische Diskurse zu Rassismus, Interkulturali- tät, Multikulturalität, Transkulturalität, Migration oder auch Theorien aus Frankreich oder Großbritanni- en spiegelten sich eher weniger wider. Gertraude Krell von der Freien Universität Berlin bot eine Erklärung für das kaum sichtbare theoreti- sche Hintergrundwissen an: Sie sieht das Diversity-Konzept als wenig theoriegeleitet und vielmehr praxisinduziert an: Theoretisch würde ich gar nicht sagen, denn Diversity als Konzept oder Strategie ist ja nicht etwas, dass sich „die Theorie“ im Sinne von „die Wissenschaft“ ausgedacht hat. Erstens ist es von der Praxis entwickelt worden und zweitens existiert es nicht als fixes und fertiges Konzept, sondern wird im Zuge der Realisierung in jedem Einzelfall verfertigt. Das habe ich ja schon in eurem Buch ausgeführt (vgl. Krell 2009b in Fröse/Szebel-Habig 2009). Dabei spielen wiede- rum implizite Theorien über Vielfalt und deren richtiges Management eine große Rolle und auch Theorieangebote, die in der Fachliteratur und auf Tagungen gemacht werden. Da möch- te ich konstruktivistisch argumentieren wie auch Lederle (2007), die schreibt, dass Diversity Management diskursiv fabriziert wird. Und das gilt auch für Vielfalt als Konstrukt und die ein- zelnen Dimensionen von Vielfalt. Ein wichtiger Aspekt dieses Verfertigungsprozesses von Viel- falt als Konzept oder Strategie ist übrigens auch die Namensgebung: Nennen wir es, um nur einige Beispiele anzuführen, Diversity Management, Diversity and Inclusion, Diversity «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 134 von 245 Mainstreaming Diversity Politics oder Diversitätspolitik? Hinzu kommt: Welche Instrumente nehmen wir und wie gestalten wir sie aus? Wie gestalten wir den Implementierungsprozess? Welche Schwerpunkte setzen wir? Das haben wir ja alles schon angesprochen. Deshalb finde ich, das passt gar nicht, diese Idee, es gibt ein theoretisches Konzept von Diversity Manage- ment und die Praxis muss sich nur für oder gegen dessen Anwendung entscheiden. Die Auf- gabe von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen dabei ist aus meiner Sicht, und nicht nur aus meiner, die Verfertigungsprozesse in der Praxis inklusive der wissenschaftlichen bezie- hungsweise der eigenen Praxis konstruktiv kritisch zu begleiten. Wenn ich konstruktiv-kritisch betone, dann in Abgrenzung zu den Kolleginnen und Kollegen, die Diversity-Bashing betrei- ben. Das Prinzip der Forschungsgruppe an der Freien Universität Berlin, deren Mitglied ich war, lautete dagegen „Arbeiten an und mit dem Konzept Diversity“ (Krell u.a. 2007). (Interview mit Gertraude Krell, S. 10). Das Erfahrungswissen zur Implementierung und Umsetzung von Diversity-Massnahmen war hingegen im operativen Geschäft der Hochschulen eindeutig zu positionieren. In den Interviews äusserte sich explizit die Fachhochschule Gelsenkirchen dazu, dass sie dabei sei, im Bereich Diversity eine adäqua- te Fachexpertise aufzubauen. Gleichwohl war bei den beiden anderen Hochschulen eine vergleichba- re Entwicklung zu verzeichnen: Wir haben in unserer Abteilung einen Referenten für strategische Projekte und bemühen uns im Moment, diesen Bereich personell zu stärken. Wir haben jetzt auch einen Leiter der Ein- stiegsakademie, der sich mit den Themen auseinandersetzt und versuchen, das Thema aus- zubauen. Wir haben sehr kompetente Kolleginnen im Büro für internationale Beziehungen und wir haben das Gleichstellungsbüro. Ausserdem stehen wir in ziemlich intensiver Diskussion mit den Studierendenvertretern im ASTA und in den Fachschaften. Hier manifestiert sich Schritt für Schritt ein ganz starker Steuerungskreis, in dem wir dann einmal im Semester die Leute in einer großen Runde zusammen bringen und in dem zwischenzeitlich in bilateralen oder kleineren Gesprächen vertiefend gearbeitet wird […]Betreffend Expertise von außen: wir haben uns die Leiterin für hochschuldidaktische Ausbildung ins Haus geholt und sie hat uns ein Programm aufgebaut und unsere Tutoren geschult. Anfänglich mussten wir uns für solche Projekte Experten und Expertinnen von außen holen, das müssen wir jetzt nicht mehr. Des Weiteren haben wir versucht, beim Stifterverband einen Beitrag für die Exzellenz der Lehre zu erhalten. Da sind wir knapp gescheitert. Die Million hätte das Ganze natürlich extrem erleich- tert (Interview mit Katrin Hansen, S. 9 und 13). Ergänzend dazu ist die Fachhochschule Gelsenkirchen im Nordrheinwestfälischen Frauenforschungs- netzwerk aktiv, was als eine Expertisen-Quelle interpretiert werden kann: [...] in diesem Netzwerk Frauenforschung sind mittlerweile 80 Professorinnen und Mittel- bauerinnen aus Nordrheinwestfalen, überwiegend von Universitäten. Durch diesen regen Kon- takt zu Kolleginnen habe ich mir eigentlich immer schon meine Expertise reingeholt und wir arbeiten auch immer eng zusammen mit dem Arbeitskreis der Frauen- und Gleichstellungsbe- auftragten. Das steht eigentlich ganz gut (Interview mit Katrin Hansen, S. 10). «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 135 von 245 4. Diskussion und Ausblick Nach der vorliegenden Auswertung der Interviews scheinen folgende Aspekte für die schweizerische Diskussion relevant: Ein erstes Ergebnis dieser Untersuchung zeigt: Die befragten Hochschulen stehen alle am Anfang der Erstellung von Diversity-Konzepten und der Implementierung von diversity-relevanten Massnahmen und Projekten. Nicht anders sieht der Stand der Dinge in der Schweiz momentan aus. Alle Befragten betonten darüber hinaus, dass ihnen der Anspruch auf und die Realisierung von mehr Chancengleichheit ein äußerst wichtiges Anliegen ist. Allen, die das Potential, die Qualifikation und den Willen haben zu studieren, sollte der Zugang zur Hochschule und der Studienerfolg ermöglicht bzw. erleichtert werden. Menschen sollen nicht durch gesellschaftlich bedingte Benachteiligungs- strukturen an der Aufnahme eines Studiums oder einem erfolgreichen Studienabschluss gehindert werden. In diesem Sinne geht es um die Implementierung einer werteethischen Haltung (ob Leitbild oder Corporate Identity) an Hochschulen. Auch dies wird gleichermaßen von schweizerischen Hoch- schulen beansprucht. Die Schwerpunktbildung der jeweils befragten Hochschulen ist offenbar situations- und kontextabhän- gig, orientiert sich an unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen, an geäußerten Bedürfnis- sen (z.B. von Menschen mit Behinderung), an regionalen Gegebenheiten ( z.B. hoher Anteil von Mig- rantinnen und Migranten in der Bevölkerung) oder an spezifischen disziplinären Ausrichtungen (z.B. technisch-naturwissenschaftliche Hochschulen) und strategischen Ausrichtungen der Hochschule (z.B. als internationale Exzellenzhochschule). Die RWTH Aachen setzte zum Untersuchungszeitpunkt ihre Schwerpunkte eher auf Gender und Internationalität, d.h. auf Studierende und Mitarbeitende aus dem Ausland. Die Universität Duisburg-Essen und die Fachhochschule Gelsenkirchen wandten sich eher der Dimension Migrationshintergrund und Interkulturalitätsanforderungen zu, d.h. den Studieren- den der Region mit Migrationshintergrund. Diese unterschiedlichen Begrifflichkeiten fokussieren unter- schiedliche strategische Schwerpunkte und Alltagsherausforderungen für die Studienorganisation, entweder ausländische Studierende als Bestandteil einer gewünschten Internationalisierung der Hochschule, die mit einem ausländischen Schul- und oder Studienabschluss für ein Studium nach Deutschland kommen. Oder „bildungsinländische Migrant/innen“, die für ein Studium an einer deut- schen Hochschule zu gewinnen sind und evtl. andere Startbedingungen haben. In den Interviews wurde dabei sichtbar: Studierende mit Migrationshintergrund haben an den befrag- ten Hochschulen die gleichen Erfolgsquoten wie deutsche Studierende. Nur sind die Zugangsbarrie- ren zur Hochschule aufgrund der meist hochschulfernen Sozialisation oder aufgrund von Sprachbarri- eren grösser, dies bedarf weiterer Analysen innerhalb der Institutionen, um diesem Desiderat entge- genwirken zu können. In diesem Zusammenhang wird auch das Thema des Habitus des deutschen „Normstudenten“, das heißt zum Beispiel für eine technische Hochschule in Deutschland eine stark männlich geprägte, deutsche Mehrheitsgruppe unter den Studierenden (Andrea Wolffram, RWTH Aachen) oder Akademikers berührt. Darüber hinaus stehen die anderen Diversity-Dimensionen wie Religion, sexuelle Orientierung oder Alter nicht unbedingt im Vordergrund der Diskussionen an den deutschen Hochschulen. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 136 von 245 Zusätzlich wurde in den Interviews ersichtlich, dass bei der Fokussierung auf einzelne Zielgruppen, in denen die Zugehörigkeit an individuellen Diversity-Merkmalen festgemacht wird, immanent die Gefahr der Stigmatisierung vorhanden ist. Ein Beispiel: Wie lange soll die Festlegung auf „Migrationshinter- grund für einen deutschen Studierenden mit Migrationshintergrund in der zweiten oder dritten Genera- tion gelten? Wo ändern sich Merkmale und Dimensionen? Wo können sie als individuelle Merkmale gelten, wo bezeichnen sie gesellschaftliche Strukturen? Wo sind Kategorien hilfreich, im Sinne von Sichtbarmachung von Diskriminierungen? Wo sind sie nicht mehr hilfreich, weil sie an einer komplexe- ren Realität vorbeigehen? Sichtbar wurde an den drei ausgewählten Hochschulen (im Sinne von Fallstudien) aus Deutschland auch: Gender und Diversity scheinen auf der Hochschulebene weniger in einem Konkurrenzverhältnis zu stehen. Dieses Ergebnis kann jedoch nicht grundsätzlich auf alle deutschen Hochschulen übertra- gen werden, da die Auswahl dieser Interviewstudie dafür nicht repräsentativ genug ist. Der Themen- komplex Gender/Gleichstellung von Frau und Mann ist formaljuristisch und folgerichtig auch finanziell einigermaßen gut abgesichert. Gender und Diversity sind demnach zwei eigenständige Säulen der Chancengleichheitsfrage und trotzdem inhaltlich sehr klar mit einander verbunden und verwoben. Auch für die deutschen Hochschulen wäre es erforderlich, dass für den Bereich Diversity eine eigene gesetzliche und finanzielle Absicherung entwickelt würde. Diese Entwicklung wird auch seitens der Exzellenz-Initiative über die Kriterien der internationalen Gutachter/innen befördert. Finanzielle Anrei- ze können den Prozess befördern und eine finanzielle Absicherung ist eine unabdingbare Vorausset- zung für die operative Umsetzung von Maßnahmen und Projekten. Gesetzliche Regelungen stecken Rahmenbedingungen und Grundvoraussetzungen ab, sind aber keine Garantie für ein verändertes Kulturverständnis in Richtung Vielfalt oder wirksame Maßnahmen-pakete. In diesem Zusammenhang wäre zu prüfen, ob die schweizerischen Hochschulen ähnliche Rahmen- bedingungen vorfinden. Es wäre zu überlegen, inwieweit Gleichstellung (Gender) und Diversity ge- setzlich wie auch finanziell separat und selbstverständlich gleichermaßen werden könnten. Damit würde eine Koexistenz und Kooperation ohne Konkurrenz- und Ressourcenkämpfe ermöglicht. Interessante Ergebnisse zeigten die Interviews auch im Hinblick auf die verwendeten Diversity- Konzepte. Obwohl diese und die Theoriereferenzen nicht explizit abgefragt wurden, stellte sich her- aus, dass auch die Praxis mit einem (mehr oder weniger expliziten) theoretischen Konzept operiert. Eher zurückhaltend wurde auf theoretisches Wissen über Modelle, Ansätze, theoretische Konzepte zu Normalität, Andersheit, Differenzierung, dem Anderen, Weltbürgertum im Kontext von Diversity hinge- wiesen. Gertraude Krell zufolge erwächst das Diversity-Konzept generell eher aus der Praxis. Refe- renzwissen wurde aber in der strategischen Ausrichtung der jeweiligen Hochschulen (Policy/Leitbild) sichtbar. Alle befragten Hochschulen bezogen sich beispielsweise auf die Charta der Vielfalt (siehe Anhang 3). Das Konzept Diversity Management bzw. Managing Diversity kommt aus der internationalen Unter- nehmenspraxis, in der Theorie ist Diversity bislang nur in einigen wissenschaftlichen Disziplinen ver- ankert, insbesondere aber in den Gender und Diversity Studies. Die Diversity Entwicklung in den USA steht demgegenüber in einer anderen Tradition von sozialen Bewegungen und Affirmative Action als im europäischen Raum. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 137 von 245 Eine Zuordnung des Interviewmaterials auf die theoretischen Ansätze nach Thomas/Ely 1996 (Zutritts- und Legitimitätsansatz, Diskriminierungs- und Fairness-Ansatz sowie Lern- und Effektivitäts-Ansatz) erwies sich mit den Bedingungen des verwendeten Interviewleitfadens als schwierig. In der deutschen Betriebswirtschaftslehre wird ein Umdenken Richtung Diversity vorwiegend von Gertraude Krell seit vielen Jahren eingefordert. Diesen Ansätzen gemeinsam ist eine wertorientierte Haltung, die nicht das Instrument in den Vordergrund stellen, sondern die darin implizit enthaltende werteorientierte Grund- haltung von Gesellschaft und Institution. Die Interviewaussagen der drei Hochschulen weisen klar und deutlich darauf hin, dass strategie- und praxisgeleitet gehandelt werden muss. Das dort erfasste Diversity-Verständnis bleibt aber in Teilen heterogen: z.T. basierend auf den Gender- und Diversity Studies, oder auf dem Verständnis des Diversity Managements im Sinne der internationalen Unternehmenspraxis (und hier insbesondere im Kontext des strategischen Human Ressource Management). Konkret bedeutet dies: Die Diskussionen, die seit ungefähr zwanzig Jahren in Deutschland – vorwiegend in der Wirtschaft – geführt wurden, werden nun auf die Institutionen der Hochschulen übertragen, ohne sie in allen Fällen mit den bisheri- gen Chancengleichheitsdebatten im Hochschulwesen zusammenzudenken. Die HRM-Abteilungen gerade in internationalen Unternehmen sind diesbezüglich seit langem sensibilisiert. Inwieweit die HRM-Abteilungen oder New Public Management-Strukturen an Hochschulen – ob Deutschland oder Schweiz – zwangsläufig dieselben strategischen Ziele haben oder dieselben Entwicklungen wie in Unternehmen durchlaufen, kann in diesem Entwicklungsstadium noch nicht bewertet werden. In diesem Zusammenhang könnten folgende Fragen aufgeworfen werden: Gab es diese Themen und Inhalte nicht auch schon vor der Diversity-Diskussion an den Hochschulen? Und warum werden nun die bisherigen Schwerpunkte wie Gender, Internationalität, Migration und Behinderung unter das mo- derne und strategisch bedeutsame Postulat von Diversity gestellt? Diese Fragen konnten im Rahmen der Untersuchung nicht weiter untersucht werden. Deutlich wurde jedoch: Für die befragten Beteiligten ist Diversity für die Zukunft von Hochschulen – und eben nicht nur für Unternehmen - relevant, jedoch in unterschiedlichen Ausprägungen. Nachbemerkungen zu diesem Diskurs 180 Managing Diversity, Diversity Management wie auch Gender Mainstreaming beinhalten wissenschaft- lich zwei nicht zu unterschätzende Zugänge: Zum einen verfügen beide „Instrumente“ über theoreti- sche Wurzeln in den wissenschaftlichen Disziplinen. Managing Diversity oder Diversity Management wie auch Gender Mainstreaming sind handlungsbezogene Praxiskonzepte aus den globalisierten und international tätigen Unternehmen wie aber auch aus einer vierzigjährigen Praxis der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. Beide „Instrumente“ haben aber auch ihre Wurzeln in der Frauenfor- schung, den Gender Studies sowie den Diversity Studies, ebenso der Migrationsforschung Bei beiden Konzepten besteht jedoch theoretisch wie auch handlungsbezogen die Gefahr der Verein- nahmung und Negierung: Durch das Gender Mainstreaming kann die Diversität und Pluralität in Orga- nisationen und Unternehmen möglicherweise negiert werden und durch das Managing Diversity kann 180 Entnommen aus: Fröse, Marlies W. (2006): Vive la difference - Managing Diversity. 169-180. In: Evangelische Fachhoch- schulen (Darmstadt, Freiburg, Ludwigshafen, Reutlingen-Ludwigsburg: Interkulturalität. Band 2. Evangelische Hochschul- perspektiven. Freiburg im Breisgau. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 138 von 245 die Geschlechterfrage vollständig in der Pluralität untergehen. In beiden Ansätzen kann das „ur- sprünglich Eigene“ – das Geschlecht bzw. die Diversität – selbst vereinnahmt und entsprechend ne- giert werden, wenn etwa die Kategorie Geschlecht nur noch zu einer quantitativen Größe wird und der Beitrag von Frauen zu einer geschlechterdemokratischen Gesellschaft nicht gewollt ist. Wobei natür- lich konstatiert werden muss, dass die Kategorie Geschlecht Teil des Diversity-Diskurses ist, sie ist eine der Diversity-Kerndimensionen. Vergleichbare Entwicklungen sind beim Managing Diversity sichtbar, wie vorab ausgeführt, oder bei den Trainingsprogrammen zur Interkulturalität. Schattenseiten werden dabei auch deutlich: Insbeson- dere im Beratungsmarkt kann das Konzept des Managing Diversity / Diversity Management wie auch Interkulturalität zu einem neuen zeitgeistigen Schlagwort verkommen - eine unter Umständen äußerst profitable Kulturalisierungsstrategie, ohne dass tatsächlich gesellschaftliche wie auch personalwirt- schaftliche Veränderungen erfolgen. Um dem entgegenzuwirken, ist eine entsprechende Sensibilisierung (interkulturelle und transkulturelle Kompetenz) der Unternehmens- und Organisationskultur erforderlich, um angemessene Handlungs- strategien zu entwickeln. Wie bereits Andre Laurant sagte: „Manager who readily accept that the cuisine, the literature, the mu- sic and the art of other countries run parallel to one another, must also learn to accept that the art of management differs in other countries.“ (1997, S. 1) Daher ist grundsätzlich zu fragen: welche Diversi- ty-Kompetenzen sind erforderlich? Welche Methoden können wir nutzen, um stereotypisierende Wahrnehmungen bewusst zu machen? Was sind die Grenzen und /oder Chancen dieses Führungs- konzeptes? Schon allein um dies zu erkennen, bedarf es zentraler Diversity-Kompetenzen, so Thomas R. Roosevelt (2001), wie etwa: - die Fähigkeit, Diversity-Zusammenhänge und ihre daraus resultierenden Spannungen zu identifi- zieren; - die Fähigkeit, die Zusammensetzungen und die damit verbundenen Spannungen zu analysieren; - die Fähigkeit, eine angemessene Reaktion zu wählen, mit dem Ziel des Re-Defining Diversity (Ver- stärkung/Verminderung, Verneinung, Assimilierung, Unterdrückung, Isolierung, Tolerierung, Aufbau zukünftiger Beziehungen, Förderung wechselseitiger Adaption). Es bedarf aber auch des Wissens um die Kulturebenen und der Dimensionen nationaler Kulturen, um Trans- und um Multikulturalität, um die grundlegenden Konzepte von kultureller Identität, Ethnie und Ethnizität, Vorurteile und Vorurteilsbildung, Stereotypien, Interkulturalität, Diskriminierungen, Integrati- on, um Assimilation und Akkulturation. Denn „viel zu oft haben wir gelernt, andere Kulturen, die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen und Männern aus anderen Ländern, immer in Bezug zu unserer eigenen Gesellschaft zu sehen, anstatt andere Kulturen als gleichwertig zu akzeptieren. Sie haben einen eigenen Stellenwert. Sie haben eine eigene Geschichte. Das Gleichwertig-Andere zu akzeptieren, erfordert unsererseits ein Hinsehen, einen geschärften Blick für Kultur-, Schicht- und Geschlechtsspezifisches, setzt aber auch einen Blick für das Individuelle voraus“, so Helga Egner (1984). Wobei in diesem Zitat die Inter- bzw. Transkulturalität im Mittelpunkt steht, also die Zusammenarbeit von Menschen anderer Herkunftsländer. Diese Überlegungen sind auch auf andere Kerndimensionen «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 139 von 245 zu übertragen, also auf Menschen mit den unterschiedlichsten Lebens- und Erfahrungswelten. Wünschenswert wäre es, dass Diversität und Gender ein selbstverständlicher Bestandteil in der Theo- rie wie in der Praxis von Organisationen und Unternehmen sind, denn die Förderung eines menschen- und damit auch geschlechtergerechteren Umgangs sollte im Mittelpunkt stehen – gerade in einer Zeit, in der Fremdenfeindlichkeit, Erwerbslosigkeit, punktuell auch Entsolidarisierungen und Entdemokrati- sierungen national wie auch international zunehmen, und in der die Organisationen immer mehr dazu aufgefordert sind, mit Menschen anderer Herkunftsländer zusammenzuleben und zu arbeiten. Vielfalt, Unterschiedlichkeit und Andersartigkeit ist eine Realität, die es zu bewahren gilt, und hat viele produk- tive Aspekte, die es zu entwickeln gilt, auch wenn wir immer wieder mit Grenzen konfrontiert werden. „All people are the same. It’s only their habits that are so different.” (Konfuzius) Für eine weitere Zukunft an unseren Hochschulen im europäischen Raum benötigen wir die Entwick- lung hin zu gerechteren Hochschulen, die Diversity (inklusive Gender) selbstverständlich als werteori- entierte Basis für die Theorie und Praxis verwenden. Inhalte des Diversity und Gender Diskurses sind benannt und zukünftige und nachhaltige Handlungsfelder sind erkannt. Let’s do it! 5. Literaturverzeichnis Bronner, Kerstin (2011): Grenzenlos normal? Aushandlungen von Gender aus handlungspraktischer und biographischer Perspektive. transcript Verlag: Bielefeld. Flick, Uwe (2002). An introduction to qualitative research. London: Sage. Gläser, Jochen & Laudel, Grit (2009). Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse als Instru- mente rekonstruierender Untersuchungen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. 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Introduction 1.1 The Development of the Tertiary Sector since 1963 – new institutions and broader access 181 The development of diversity concepts in the United Kingdom has been greatly influenced by liberal thinking both in terms of the rights and freedoms of the individual and in the economic liberal concep- tualisation of free rational actors making choices within a market system. This conceptualisation privi- leges the individual and her or his personal freedom from systematic or direct individual discrimination over broader conceptualisations of societal and structural inequality. In the 1980’s and 1990’s, under the growing influence of market-focussed approaches across the range of government policies, ethical arguments relating to individual human rights were supplement- ed by the demands of ever more dominant market forces and the need to attract more entrants into the pool of available workers to ensure labour (over)capacity and apply downward pressure on labour costs. Previously, in the 1970’s a combination of pressure from campaigners and campaigning politi- cians as well as the potential for social unrest had resulted in three key pieces of legislation being passed into law, the Equal Pay Act 1970, the Sex Discrimination Act 1975 and the Race Relations Act 1976, the first two focussing on the position of women and the third on ethnic minorities. However, there was a countervailing tendency amongst employers and employers’ associations to oppose poli- cies seen as political or bureaucratic attempts to interfere in their freedom to manage their own busi- nesses as they saw fit. During the 1980s, the growing free-market orthodoxy espoused by the Con- servative government was not conducive to further legislative or institutional development of equality policy in the UK. Gibbon (1990) 182 noted “…the preference of Conservative governments since 1979 for voluntaristic and business-led ‘solutions’ to problems of disadvantage, rather than compulsory state-led ones. This is reflected positively in the ideology of ‘active citizenship’ and negatively in gen- eral government disparagement and undermining of the set of legal and institutional for dealing with disadvantage established by labour governments in the 1960s and 1970s.” According to Deakin & 181 Within the UK, there are multiple bodies and ministries responsible for education and specifically tertiary education. This leads to a degree of variations of provision and rules for the four nations of England, Scotland, Wales and Northern Ireland which make up the UK. The authors believe their arguments to be equally true across the UK, but some variation across the four nations is noticeable, and in some cases, the legal basis or specific application of legislation may vary. In particular, it should be noted that the Equality Act 2010 (discussed in some detail below) covers England and Wales, and Scotland with the exception of section 190 and part 15. The Act does not apply in Northern Ireland, with the exception of section 82, subsections 105(3) and (4) and section 199. 182 Gibbon P. Equal Opportunities Policy and Race Equality Critical Social Policy July 1990 vol. 10 no. 28 5-24 «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 142 von 245 Wilkinson (1991) 183 “Since 1979 government policy has been aimed at removing obstacles to the ef- fective working of markets in general and the labour market in particular (Department of Employment, 1985)…The economic and social effects of deregulation include a widening of pay inequalities and a lowering of labour standards in large areas of the market.” One can recognise a clear political project to allow or even promote greater societal inequality espe- cially socio-economic equality in the name of freeing market forces and allowing the “wealth-creators” freedom to pursue their self-interest in the belief that this would improve competitiveness and national wealth. The policy of liberalising the labour market and promoting ever greater competition was how- ever insufficient in itself to ensure the availability of an adequately educated and flexible workforce. There was also a need to attract more entrants into the pool of qualified available workers. By the 1980’s the composition of the national workforce had changed significantly with women and ethnic minorities highly represented especially in manufacturing and blue-collar activities, even if their repre- sentation in the management structures was still highly limited. At the same time, the number of stu- dents from these groups entering universities and colleges was also rising. It became clear that wom- en and ethnic minorities would make a very significant contribution to the future workforce and their acceptance would be central to building industrial competitiveness in an intensely competitive and globalising economy. The traditional binary higher education structure had developed to the point that there were two types of degree awarding institution in the UK: traditional universities and polytechnics. The system was not altogether unlike the system in Switzerland today. We can recognise three key steps since the 1960s which have fundamentally changed the landscape of higher education in the UK (Trow 2005 184 ). Robbins (1963 185 ) recommended growth on the principle that “courses of higher education should be available for all those who are qualified by ability and attainment to pursue them and who wish to do so”. His conception of higher education remained that of an institution of intellectual enquiry rather than a supplier of materials for the economy: “It is the essence of higher education that it introduces students to a world of intellectual responsibility and intellectual discovery in which they are to play their part …“ and “Universities have an obligation to preserve and advance knowledge and to serve the intellectual needs of the nation.“ In 1966, Labour Secretary of State Anthony Crosland introduced a binary policy creating a ‘distinctive’ higher education sector within the local authority system. The leading colleges of further education and the new polytechnics were to offer access to part-time as well as full-time students. Courses at levels below the bachelor degree would provide an alternative route into higher education. During the 1980s, Conservative governments reformulated the Robbins principle. According to a 1987 White Paper 186 courses should be made available ‘to all those who can benefit from them and who wish to do so’. It further argues that "(h)igher education should... serve the economy more effec- tively..." and "have closer links with industry and commerce and promote enterprise"… "to take 183 Deakin S. & Wilkinson F., Labour law, social security and economic inequality Camb. J. Econ. (1991) 15 (2): 125-148 184 Trow, M 2005 “Reflections on the Transition from Elite to Mass to Universal Access: Forms and Phases of Higher Education in Modern Societies since WWII.” International Handbook of Higher Education Philip Altbach, ed. Kluwer. 185 Robbins Report 1963 Higher Education London HMSO Cmnd 2154 186 White Paper( 1987) Higher Education: Meeting the Challenge London HMSO Cmnd 114 «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 143 von 245 account of the country's need for highly qualified manpower" and consider the "needs of the economy so as to achieve the right number and balance of graduates...". The White paper also recognised three routes to access higher education: academic qualifications, vocational qualifications and access courses for adults while also acknowledging the right of institutions to admit people from other routes “if fully satisfied of their capacity to benefit”. The Further and Higher Education Act 1992 187 abolished the binary system with the 35 existing poly- technics becoming full universities able and expected to compete with the traditional universities for students and resources within unified higher education sector or market outside local authority control. In 1997, the incoming Labour government committed to taming the excesses of Thatcherism and its embrace of socio-economic inequality but without questioning the basic reliance on the market as the most efficient mechanism for allocating resources. The new government introduced significant legisla- tion specifically the Human Rights Act 1998, the Race Relations (Amendment) Act (2000) (RR(A)A), the Special Educational Needs and Disability Act 2001, the Employment Equality (Religion or Belief) Regulations 2003, the Employment Equality (Sexual Orientation) Regulations 2003, the Gender Recognition Act (2004), the Disability Discrimination Act 2005, The Employment Equality (Age) Regu- lations 2006, the Equality Act 2006, the Racial and Religious Hatred Act 2006, and the Gender Equali- ty Duty (2007). These acts not only deepened, but broadened protection for a range of protected groups and culminated in the Equality Act 2010 which aimed to bring together the various individual legislative documents into one comprehensive and simplified act. As we have seen, the concept of broadening participation and diversity within higher education was closely tied to conceptualisations of economic need seen from an economic liberal perspective requir- ing each individual to maximise their potential to compete for employment and fill organisational roles (Kandola, Fullerton et al, 1994). 188 Furthermore, the diversity agenda, with its focus on individual rights was palatable across the political spectrum at a time when market driven ‘solutions’ were becoming accepted by all major parties even if the various political parties’ commitment to tempering the ex- cesses and inequalities these ‘solutions’ might bring remained highly divergent. The words of Ameri- can academics might just as easily have been heard in large parts of the UK: “It was hard to find anyone who liked affirmative action or who was for quotas. On the other hand, it was equally hard to find anyone who was against diversity and in- clusion. (Thomas and Gabarro, 1999: 59) 189 Diversity offered an opportunity to respond to disadvantage at an individual level without considering large-scale positive discrimination activities which recognized structural disadvantage for large groups within society. Responsibility was transferred from society and government to the individual, the em- ployer and the “service provider”. These changes and the determination of the labor government elected in 1997 to further broaden par- ticipation in higher education and develop an increasingly skilled workforce led to a massive increase in student numbers from the late 1980s onwards. 187 http://www.legislation.gov.uk/ukpga/1992/13/contents 188 Kandola, R. S., J. Fullerton and Institute of Personnel and Development (1994), Managing the mosaic: Diversity in action, London: Institute of Personnel and Development 189 Thomas, D. A and Gabarro, J. J (1999), Breaking through: The making of minority executives in corporate America, Boston, Harvard Business School Press. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 144 von 245 Figure 1 Age participation Index by Gender 1972 - 2000 190 If we are to consider the composition of the contemporary student population in the UK, we can see a diverse group of UK domiciled students with women and ethnic minorities represented in large num- bers and proportionally represented in higher numbers than white males. Representation of ethnic minorities and women is uneven across the academic spectrum, in 2009-10 “the proportion of female students was heavily subject-dependent, with wide divergence from the overall figure of 56.6%. Subject areas with a high proportion of females included subjects allied to medicine (80.6%), veterinary science (76.6%), education (75.4%) and languages (67.1%). Figure 2: Gender gaps in HE participation 191 190 Broecke and Hamed 2008 191 Broecke and Hamed 2008. «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 145 von 245 Figure 3: Percentage Ethic Minority UK domiciled students by subject area 192 Subject areas with a high proportion of females included subjects allied to medicine (80.6%), veteri- nary science (76.6%), education (75.4%) and languages (67.1%). Subject areas with a low proportion of females included architecture, building & planning (31.0%), computer science (18.3%) and engi- neering & technology (16.3%) while ethnic minorities are very highly represented in many “profession- al” disciplines. 192 http://www.hesa.ac.uk/index.php/content/view/1974/278/ «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 146 von 245 Table 1 Students by mode, gender, level and domicile 193 The situation amongst university staff and particularly higher ranking academic staff is somewhat less diverse with white males from the higher socio-economic classes still predominant in many institutions. Of 15320 professors, only 2905 are women and only 13.1% of full-time academic staff describe them- selves as being from ethnic minorities. 194 193 http://www.hesa.ac.uk/index.php/content/view/1897/239/ 194 http://www.hesa.ac.uk/index.php/content/view/1897/239/ United Kingdom Other European Union countries Other EEA countries Other Europe Africa Asia Australa sia Middle East North America South America Non- European- Union unknow n Non- United Kingdom sub-total Total Percentage by gender First degree Full-time Female 578110 33945 1560 2280 4875 29955 255 2105 4360 335 60 79725 657835 54.4% Male 470235 28895 935 2125 6415 32780 250 5895 2885 290 85 80555 550785 45.6% Full-time total(#2) 1048345 62840 2490 4405 11290 62735 505 8000 7240 620 150 160280 1208625 Percentage by domicile 86.7% 5.2% 0.2% 0.4% 0.9% 5.2% 0.0% 0.7% 0.6% 0.1% 0.0% 13.3% 100.0% Part-time Female 120755 1675 20 75 455 1660 40 100 305 10 5 4350 125105 58.8% Male 82915 1420 15 85 575 2350 25 205 145 15 10 4845 87760 41.2% Part-time total(#2) 203665 3100 30 160 1035 4010 65 310 450 25 15 9200 212865 Percentage by domicile 95.7% 1.5% 0.0% 0.1% 0.5% 1.9% 0.0% 0.1% 0.2% 0.0% 0.0% 4.3% 100.0% First degree total(#2) 1252015 65940 2525 4560 12325 66745 575 8310 7690 650 160 169475 1421490 Percentage by domicile 88.1% 4.6% 0.2% 0.3% 0.9% 4.7% 0.0% 0.6% 0.5% 0.0% 0.0% 11.9% 100.0% Other undergraduate Full-time Female 73020 1775 25 185 465 2975 45 295 465 30 5 6270 79290 63.3% Male 39500 1470 10 160 740 2930 25 930 190 20 10 6485 45985 36.7% Full-time total(#2) 112520 3245 35 345 1205 5905 70 1225 655 50 20 12755 125275 Percentage by domicile 89.8% 2.6% 0.0% 0.3% 1.0% 4.7% 0.1% 1.0% 0.5% 0.0% 0.0% 10.2% 100.0% Part-time Female 229280 4340 35 285 695 3075 225 305 1270 90 35 10360 239635 65.1% Male 119495 3945 25 170 780 2490 100 570 650 70 20 8815 128310 34.9% Part-time total(#2) 348775 8285 60 455 1475 5565 325 875 1920 155 55 19175 367945 Percentage by domicile 94.8% 2.3% 0.0% 0.1% 0.4% 1.5% 0.1% 0.2% 0.5% 0.0% 0.0% 5.2% 100.0% Other undergraduate total(#2) 461295 11525 95 805 2685 11470 390 2100 2575 210 75 31930 493225 Percentage by domicile 93.5% 2.3% 0.0% 0.2% 0.5% 2.3% 0.1% 0.4% 0.5% 0.0% 0.0% 6.5% 100.0% All undergraduate Full-time Female 651130 35715 1580 2465 5345 32930 300 2400 4825 365 70 85995 737125 55.3% Male 509735 30365 945 2285 7155 35710 275 6830 3070 310 100 87040 596775 44.7% Full-time total(#2) 1160865 66080 2525 4750 12495 68640 575 9225 7895 675 165 173035 1333900 Percentage by domicile 87.0% 5.0% 0.2% 0.4% 0.9% 5.1% 0.0% 0.7% 0.6% 0.1% 0.0% 13.0% 100.0% Part-time Female 350035 6020 55 360 1155 4730 265 405 1575 100 40 14710 364740 62.8% Male 202405 5365 40 255 1355 4845 120 775 795 85 30 13665 216070 37.2% Part-time total(#2) 552440 11385 90 615 2510 9575 390 1185 2370 180 70 28370 580810 Percentage by domicile 95.1% 2.0% 0.0% 0.1% 0.4% 1.6% 0.1% 0.2% 0.4% 0.0% 0.0% 4.9% 100.0% All undergraduate total(#2) 1713305 77465 2620 5365 15005 78215 965 10410 10270 855 235 201405 1914710 Percentage by domicile 89.5% 4.0% 0.1% 0.3% 0.8% 4.1% 0.1% 0.5% 0.5% 0.0% 0.0% 10.5% 100.0% In this table 0, 1, 2 are rounded to 0. All other numbers are rounded up or dow n to the nearest multiple of 5. Percentages are not subject to rounding. # see relevant footnote in Notes to tables. Table D - Undergraduate students by level of study, mode of study, gender and domicile 2009/10 © Higher Education Statistics Agency Limited 2011 «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 147 von 245 Table 2: Staff by contract, activity, mode of employment and ethnicity. 195 The policies of successive governments from the 1990’s to 2010 have resulted in a significant expan- sion of the higher education sector and broadening of access to women, ethnic minorities, previously excluded socio-economic groups and students with disabilities 196 . Whether policies were “forged in the white heat of technology” 197 to develop a more technically skilled workforce to face the growing chal- lenges of the 1960’s; were part of the extension of market “solutions” based on efficient market theo- ries (1992-1997); or a combination of both of these drives with the added ingredient of a belief in edu- cation as enabler and promoter of greater social justice through equality of opportunity (1997-2010), the net result has been a radical change in the composition of the student population between 1966 and 2010. This population has deepened and broadened opening opportunity to groups previously underrepresented in higher education. The expansion in university provision; broadening of the range of courses available; opening of entry qualifications to enable non-traditional entry routes; and, expan- 195 http://www.hesa.ac.uk/index.php/content/view/1897/239/ 196 According to HESA, 8.4% of all students enrolled in higher educated reported a disability in 2009/10 http://www.hesa.ac.uk/index.php/content/view/1897/239/ 197 Prime Minister Harold Wilson in a 1963 speech to the Labour Party Conference http://www.youtube.com/watch?v=K6SK34_- ssQ Known ethnicity Percentage of total staff with known ethnicity status Ethnic minority staff Ethnic minority staff as a percentage of staff of known Total Staff (excluding atypical) Academic staff Full-time 109095 92.5% 14320 13.1% 117930 Part-time 55845 87.7% 5500 9.9% 63665 Academic staff total 164940 90.8% 19820 12.0% 181595 Managerial, professional and technical staff Full-time 67360 94.3% 5785 8.6% 71430 Part-time 16365 92.1% 1195 7.3% 17765 Managerial, professional and technical staff total 83720 93.9% 6985 8.3% 89195 Clerical staff Full-time 41875 94.9% 4020 9.6% 44135 Part-time 27380 92.8% 3340 12.2% 29500 Clerical staff total 69255 94.1% 7360 10.6% 73630 Manual staff Full-time 18720 91.4% 1485 7.9% 20475 Part-time 20260 89.9% 3050 15.1% 22535 Manual staff total 38980 90.6% 4535 11.6% 43005 Non-academic staff Full-time 127950 94.1% 11290 8.8% 136040 Part-time 64005 91.7% 7590 11.9% 69795 Non-academic staff total 191955 93.3% 18880 9.8% 205835 Staff (excluding atypical) total 356895 92.1% 38700 10.8% 387430 Atypical staff Academic 49375 64.1% 7090 14.4% 77080 Non-academic Managerial, professional & technical staff 22740 64.7% 4005 17.6% 35135 Clerical staff 35375 68.2% 8115 22.9% 51895 Manual staff 14280 75.0% 2935 20.6% 19045 Non-academic total 72400 68.3% 15055 20.8% 106075 Atypical staff total 121775 66.5% 22145 18.2% 183155 Table F - All staff by contract, activity group, mode of employment and ethnicity 2009/10 In this table 0, 1, 2 are rounded to 0. All other numbers are rounded up or down to the nearest multiple of 5. Percentages are not subject to rounding. © Higher Education Statistics Agency Limited 2011 «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 148 von 245 sion of part time and flexible learning have contributed to the number and range of those who see a university education as a natural ambition. University education is seen not only as a necessary basis for a sound economy by government and business interests, but also as a right by applicants and their families. It is almost unthinkable today that any serious mainstream politician would dare to question equality of access for women, ethnic minorities, previously excluded socio-economic groups and stu- dents with disabilities. Even those who do criticise the expansion in the number of university students do not argue for a return to a predominantly white upper and middle class student population. Diversity in education may have been inspired by economic liberal free-market goals, but its attainment has had significant societal impact. 1.2 The Legal Framework Domestic discrimination law has developed over more than 40 years since the first Race Relations Act in 1965. Subsequently, other personal characteristics besides race have been protected from discrimi- nation and similar conduct, sometimes as a result of domestic initiatives and sometimes through im- plementing European Directives. Diversity and equality policy in the UK has long considered multiple strands including gender (formal electoral emancipation for women in 1918 and 1921), race, and later disability, religion and sexual orientation. Social class appears to be more often considered in areas of policy rather than legislation. Although the Equality Act 2010 was designed with social class as a factor, it is currently unclear to what degree the current UK government will implement the legislation and where responsibility for implementation will lie. History of Legislation • Equal Pay Act 1970 Gender / women & men • Sex Discrimination Act 1975 Gender / women & men • Race Relations Act 1976 Race • Disability Discrimination Act 1995 Disability • Human Rights Act 1998 Multiple (integration of EU legislation) • Race Relations (Amendment) Act (2000) (RR(A)A) Race • Special Educational Needs and Disability Act 2001 Disability • Employment Equality (Religion or Belief) Regulations 2003 Religion / Belief • Employment Equality (Sexual Orientation) Regulations 2003 Sexual Orientation • Gender Recognition Act (2004) Gender / transsexuality • Disability Discrimination Act 2005 Disability • The Employment Equality (Age) Regulations 2006 Age • Equality Act 2006 Multiple (consolidating legislation) • Racial and Religious Hatred Act 2006 Race / religion • Gender Equality Duty (2007) Gender / women & men «Gender und Diversity an Hochschulen» Seite 149 von 245 4 Extract from Race Relations Act (1976) Since the Race Relations Act (1976) 198 , legislation has recognised three important principles relating to discrimination: firstly, the principle of direct and indirect discrimination; secondly the founding of statutory bodies to support implementation and aid those claiming discrimination; and, thirdly a modifi- cation of the “burden of proof”. Direct discrimination hap- pens when an employer treats an employee less favourably than someone else because of one of the above reasons. Indirect discrimination is when a working condition or rule disadvantages one group of people more than another. Indirect discrimination is unlawful, whether or not it is done on purpose 199 . The Commission for Racial Equality, created by the Race Relations Act (1976) offered legal advice and assistance to people who think they have been discriminated against. It had powers under the Act to investigate companies or organisations where there is evidence of possible discrimination, and re- quire them to make changes to their policies and practices. It could also take legal action against companies or organisations in certain specific circumstances. Fundamentally, the Act introduced a statutory body with a responsible to uphold the Act, and support complainants. Its responsibilities have now been incorporated into The Equality and Human Rights Commission (see box 5 for the new re- mit 200 ). Burden of Proof: When a complainant presents facts that can be concluded to show an offence has taken place, the complaint should be upheld unless the re- spondent can prove that they did not commit the act. 201 198 http://www.legislation.gov.uk/ukpga/1976/74/enacted 199 http://www.direct.gov.uk/en/Employment/ResolvingWorkplaceDisputes/DiscriminationAtWork/DG_10026557 200 http://www.equalityhumanrights.com/about-us/vision-and-mission/ 201 “(2)If there are facts from which the court could decide, in the absence of any other explanation, that a person (A) contra- vened the provision concerned, the court must hold that the contravention occurred. (3)But subsection (2) does not apply if A shows that A did not contravene the provision“ Equality Act 2010 c. 15 Part 9 Chapter 5 Section 136 http://www.legislation.gov.uk/ukpga/2010/15/section/136 ,#("!*%#' .&) $+- '/7 06+#$,.@ #?: -+A#? *,2/.1 4 7197=,#$$@ !/737 ./737 #37 1.3#.72,= <99<3.+?,.,71 .< 9+1/ ./7 "<+?:#3,71 <5 ./7 $#!; %/737 ./737 #37 =/#?=71 .< =37#.7 $72#$ 937=78 :7?.1 <3 .< =$#3,5@ #?: ,A93<(7 ./7 $#!> ./7 4 ,?=$+:,?2> +$.,A#.7$@> $#+?=/,?2 <55,=,#$ ,?6+,3,71 #?: 5<3A#$ ,?(71.,2#., ,?.73(7?,?2 .< 93