Artikelparadigmen Form, Funktion und syntaktisch-semantische Analyse von definiten Determinierern im Schweizerdeutschen ABHANDLUNG zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich vorgelegt von Rebekka Studler von Seengen/AG Angenommen im Herbstsemester 2008 auf Antrag von Frau Prof. Dr. Elvira Glaser und Herrn Prof. Dr. Josef Bayer Zürich, 2011 Für Christoph 2 Und doch ist dieses Problem eines der wichtigsten der deutschen und aller Grammatik überhaupt. Der Artikel greift in folgenschwerster Weise in das Gefüge der Sprache ein, ja er wirkt in gewissem Maße umgestaltend auf die Vorstellungsweise und das Denken ein. Werner Hodler 3 Danksagung Ich bedanke mich bei meiner Referentin in Zürich, Prof. Dr. Elvira Glaser für die wis- senschaftliche Betreuung und Begutachtung meiner Arbeit, für die vielen hilfreichen Ratschläge, insbesondere bei der Gestaltung, Ausarbeitung und Analyse der Datener- hebung, und für den Zugang zum Datenkorpus des SADS. Ein herzlicher Dank geht an meinen Referenten in Konstanz, Prof. Dr. Josef Bayer für die wissenschaftliche Be- treuung und Begutachtung meiner Arbeit, für die Gastfreundschaft an seinem Lehr- stuhl, im FB Sprachwissenschaft und im SFB 471 Variation und Entwicklung im Le- xikon, für sein Mitdenken und die Geduld in den schier endlosen Artikel-Diskussionen und für die konstruktiven Kommentare zu einer Vorversion dieser Arbeit. Ich bedanke mich ausserdem bei allen Kolleginnen und Kollegen in Wien, Zürich und Konstanz, die mich in der einen oder anderen Weise über die Jahre unterstützt und begleitet haben – insbesondere bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Syntax-Kolloquiums in Konstanz, allen voran Dr. Ellen Brandner, die immer wieder ein offenes Ohr für mich hatte und unermüdlich bei neuen Analyseversuchen mitgedacht hat. Ein spe- zieller Dank geht an meine Informantinnen und Informanten, die geduldig und mit Elan meine Befragungen auf sich genommen haben, und an Prof. Dr. Helen Christen, die mir ein Datenkorpus von unschätzbarem Wert zur Verfügung gestellt hat. Diese Dissertation wurde finanziell durch den Schweizerischen Nationalfonds im Rahmen eines Stipendiums für angehende Forschende unterstützt. Für die LATEX-Hilfe in letz- ter Minute danke ich Simon Berwert, für die Feinzeichnung der Grafiken Christoph C. Pfisterer. Ich bedanke mich bei meinen Eltern, meinen Schwiegereltern und meiner Familie für die Unterstützung in vielerlei Hinsicht, die Geduld mit mir und meinem Tun und das Vertrauen, dass ich das schon richtig mache. Meinen Freundinnen und Freunden dan- ke ich fürs Zuhören, Ablenken und – Warten. Ich danke herzlich den Zuberbühlers für die Arbeitsklause in Wien und MamPap für die Arbeitsklause in Paris. Dass ich in meinen Diss-Jahren nicht nur meinen Geist, sondern auch meinen Körper bewegte, verdanke ich in erster Linie dem ASVZ und dem More Than Mode. Am allermeisten und aus tiefem Herzen danke ich Christoph – für seine Liebe, seine Freundschaft und sein uneingeschränktes Mitziehen. 4 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 13 1.1. Ziel und Aufbau dieser Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.2. Das Schweizerdeutsche gibt es nicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.3. Das Datenmaterial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 1.3.1. Elizitierte Daten: SADS und Nacherhebungen . . . . . . . . . . . . 17 1.3.2. Spontandaten: Erzählungen und Interviews . . . . . . . . . . . . . 19 I. Artikelparadigmen: Formen und Funktionen 21 2. Drei Paradigmen: Normalverteilung 22 2.1. Die Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2.1.1. Morphologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2.1.2. Wortart und Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2.2. Die Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2.2.1. Bezugnahme mit Rekurs auf Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2.2.2. Bezugnahme mit Rekurs auf Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2.2.3. Bezugnahme mit Rekurs auf Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2.2.4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2.3. Kreuzklasse Form – Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2.3.1. Reduzierter Artikel: intrinsisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2.3.2. Voller Artikel: phorisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2.3.3. Demonstrativum: deiktisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2.3.4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3. Die Spezialverteilung 52 3.1. Spezialfälle der Bezugnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 3.1.1. Reduzierter Artikel: phorisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 3.1.2. Voller Artikel: deiktisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3.1.3. Demonstrativum: phorisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 3.1.4. Deixis: intrinsisch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 3.1.5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 3.2. Zur Geschichte: Entstehung und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . 64 5 Inhaltsverzeichnis 3.2.1. Die Entstehung des Artikels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 3.2.1.1. Begründung I: Grammatische Merkmale . . . . . . . . . . 65 3.2.1.2. Begründung II: Definitheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 3.2.1.3. Begründung III: Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3.2.2. Die Entstehung des reduzierten Artikels . . . . . . . . . . . . . . . 69 3.2.2.1. Reduktion und Verschmelzung . . . . . . . . . . . . . . . . 69 3.2.2.2. Klitika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3.2.3. Grammatikalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3.2.3.1. Grammatikalisierungsparameter . . . . . . . . . . . . . . 78 3.2.3.2. Grammatikalisierungspfad . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 3.3. Bezugnahme: Pfade und Felder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 3.3.1. Grammatikalisierungspfade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 3.3.2. Funktionsfelder: Normalverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 3.3.3. Funktionsfelder: Spezialverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 3.3.3.1. Reduzierter Artikel: Ausdehnung . . . . . . . . . . . . . . 88 3.3.3.2. Voller Artikel und Demonstrativum: Beeinflussung . . . . 88 3.3.3.3. Demonstrativum: quo vadis? . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 3.4. Spezialfälle bei der Modifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3.4.1. Spezialfall d bei Adjektivmodifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . 93 3.4.2. Spezialfall Artikel bei Relativsatzmodifikationen . . . . . . . . . . . 94 3.4.2.1. Appositive und restriktive Relativsätze . . . . . . . . . . . 95 3.4.2.2. Normalverteilung und Abweichungen . . . . . . . . . . . . 99 3.4.2.3. Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 3.4.3. Andere Modifikationen in der Nominalphrase . . . . . . . . . . . . 108 3.4.4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 4. Dialektdaten 113 4.1. Dialektdaten in der Fachliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 4.1.1. Grammatiken der schweizerdeutschen Dialekte . . . . . . . . . . . 114 4.1.1.1. Marti (1985): Berndeutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 4.1.1.2. Suter (1992): Baseldeutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 4.1.1.3. Weber (1987): Zürichdeutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 4.1.1.4. Fischer (1989): Luzerndeutsch . . . . . . . . . . . . . . . . 120 4.1.1.5. Bossard (1962): Zugerdeutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 4.1.1.6. Sonderegger (1999): Appenzellerdeutsch . . . . . . . . . . 123 4.1.1.7. Beiträge zur schweizerdeutschen Grammatik . . . . . . . 124 4.1.1.8. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 4.1.2. Artikeluntersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 4.1.2.1. Hodler (1969): Berndeutsche Syntax . . . . . . . . . . . . . 131 6 Inhaltsverzeichnis 4.1.2.2. Meyer (1967): Artikel im Schweizerdeutschen . . . . . . . 133 4.1.2.3. Nübling (1992): Klitika im Deutschen . . . . . . . . . . . . 134 4.1.2.4. Penner (1993): DP-Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 4.1.2.5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 4.2. Datenerhebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 4.2.1. Elizitierte Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 4.2.1.1. Datenkorpus des SADS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 4.2.1.2. Nacherhebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 4.2.2. Spontandaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 4.2.2.1. Hörbelege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 4.2.2.2. Märchenerzählungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 4.2.2.3. Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 4.2.3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 5. Sprachvergleich 164 5.1. Dialekte, Umgangssprache, Standarddeutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 5.1.1. Vollformen und Reduktionsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 5.1.1.1. Dialekt von Amern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 5.1.1.2. Bairische Dialekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 5.1.1.3. Dialekt von Mönchengladbach . . . . . . . . . . . . . . . . 170 5.1.1.4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 5.1.2. Vollformen und Verschmelzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 5.1.2.1. Verschmelzungen als blosse Varianten . . . . . . . . . . . 173 5.1.2.2. Verschmelzungen als Reduktionsformen . . . . . . . . . . 175 5.1.2.3. Standard und Umgangssprache: Zwei Paradigmen? . . . . 178 5.2. Andere Sprachen: Zwei Artikelparadigmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 5.2.1. Friesisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 5.2.2. Obersorbisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 5.2.3. Skandinavisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 5.2.4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 6. Zusammenfassung und vorläufiges Fazit 192 6.1. Drei Paradigmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 6.1.1. Normalverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 6.1.2. Spezialverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 6.2. Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 6.2.1. Abgrenzungsparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 6.2.1.1. Begleiter versus Stellvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . 195 6.2.1.2. Distanzparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 7 Inhaltsverzeichnis 6.2.1.3. Definitheitsparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 6.2.1.4. Definit versus demonstrativ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 6.2.2. Reduzierter Artikel – Voller Artikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 6.2.2.1. Phonologie und Morphologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 6.2.2.2. Syntax und Semantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 6.2.2.3. Status . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 6.2.3. Voller Artikel – Demonstrativum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 6.2.3.1. Phonologie und Morphologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 6.2.3.2. Syntax und Semantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 6.2.3.3. Status . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 II. Artikelparadigmen: Syntaktisch-semantische Analyse 206 7. Das Grammatikmodell 207 7.1. Platons Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 7.1.1. Kognitives Wissen: Autonomie und Modularität . . . . . . . . . . . 207 7.1.2. Universalgrammatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 7.2. Von der Standardtheorie zum Minimalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 7.2.1. Standardtheorie: Transformationsgrammatik . . . . . . . . . . . . 210 7.2.2. P&P-Modell I: Government-Binding . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 7.2.3. P&P-Modell II: Minimalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 7.2.4. Neueste Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 7.3. Antagonismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 7.3.1. Von der Derivation zur Repräsentation und zurück . . . . . . . . . 218 7.3.2. Die Komponenten: Alles Syntax oder was? . . . . . . . . . . . . . . 219 7.3.3. Kartografie oder Koprojektion? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute 222 8.1. Von der NP zur DP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 8.1.1. Konzeptionelle Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 8.1.1.1. X-bar-Schema für funktionale Kategorien . . . . . . . . . . 223 8.1.1.2. Von Köpfen und Phrasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 8.1.1.3. Parallele Satz – Nominalphrase . . . . . . . . . . . . . . . 225 8.1.2. Morphologische Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 8.1.3. Syntaktische Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 8.1.4. Semantische Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 8.2. Die Kategorie D(et) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 8.2.1. Syntaktisch-semantische Funktion der Kategorie D . . . . . . . . . 234 8 Inhaltsverzeichnis 8.2.1.1. Referenzialität und Argumentstatus . . . . . . . . . . . . . 235 8.2.1.2. Definitheit: Einzigkeit und Verwandtes . . . . . . . . . . . 238 8.2.1.3. Definitheit und Spezifizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 8.2.1.4. Indexikalität und Deixis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 8.2.2. Artikel und Demonstrativum als prototypische D? . . . . . . . . . . 256 8.3. Um die DP herum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 8.3.1. Über der DP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 8.3.2. Zwischen DP und NP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 8.4. Nominalphrasenanalyse fürs Deutsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 8.4.1. Artikel in D . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 8.4.2. Pronomen in D . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 8.4.3. Merkmale in D . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 8.5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen 270 9.1. Daten Summarium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 9.1.1. Normalfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 9.1.2. Spezialfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 9.2. Die syntaktische Struktur der DP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 9.2.1. Die funktionalen Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 9.2.2. Normalverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 9.2.2.1. Reduzierter Artikel: D(ef)P über NP . . . . . . . . . . . . . 276 9.2.2.2. Voller Artikel: AnaphP über D(ef)P . . . . . . . . . . . . . 277 9.2.2.3. Demonstrativum: DxP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 9.2.3. Spezialverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 9.2.3.1. Reduzierter Artikel: phorisch . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 9.2.3.2. Voller Artikel: deiktisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 9.2.3.3. Demonstrativum: phorisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 9.2.3.4. Deixis: „intrinsisch“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 9.3. Die syntaktische Struktur von Modifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . 285 9.3.1. Modifikationen: Gemeinsamkeiten und Unterschiede . . . . . . . . 285 9.3.2. Relativsatzmodifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 9.3.2.1. Relativsatzanalysen einst und heute . . . . . . . . . . . . . 289 9.3.2.2. Relativsatz und Artikelsetzung: Analysevorschläge . . . . 291 9.3.3. Andere Modifikationen in der Nominalphrase . . . . . . . . . . . . 298 9.3.3.1. Adjektivmodifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 9.3.3.2. PP-Modifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 9.4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 9 Inhaltsverzeichnis 10.Resümee 307 A. Fragebogen 312 Literaturverzeichnis 325 10 Tabellenverzeichnis 2.1. Bedeutungsshift Demonstrativa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2.2. Die Formen der drei Paradigmen (nach Fischer 1989) . . . . . . . . . . . . 28 2.3. Funktionen: Paradigmen-Normalverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3.1. Form-Funktion-Verteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3.2. Klisetypen nach Klavans (1985) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3.3. Entwicklung Artikel / Demonstrativum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 4.1. Paradigmen in den Grammatiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 4.2. Paradigmen in den Monographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 4.3. Zwei Formen für den reduzierten Artikel nach Meyer (1967) . . . . . . . . 133 4.4. Artikelsetzung bei Eigennamen (aus SADS, FB 4, Frage 1) . . . . . . . . . 140 4.5. Artikelsetzung bei situativem Unikum (aus SADS, FB 3, Frage 12) . . . . 141 4.6. Artikelsetzung in kataphorischem Kontext (aus SADS, FB 2, Frage 2) . . 142 4.7. Sprachgeografische Verteilung in kataphorischem Kontext . . . . . . . . . 144 4.8. Sprachgeografische Verteilung der Artikelformen di und die . . . . . . . . 146 5.1. Verschmelzungsmöglichkeiten nach Schellinger (1988) . . . . . . . . . . . 177 6.1. Funktionen: Paradigmenverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 6.2. Phonologisch-morphologische Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 11 Abbildungsverzeichnis 1.1. Verteilung InformantInnen (Korpus H. Christen) . . . . . . . . . . . . . . 20 2.1. Gebrauchskontexte der Definit-Determinierer . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3.1. Mögliche Korrelationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 3.2. Ergebnis Korrelationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3.3. Grammatikalisierungspfade: Abspaltungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . 84 3.4. Funktionsfelder Normalverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3.5. Funktionsfelder inkl. Spezialverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3.6. Skala der Fügungsenge nach Lehmann (1984) . . . . . . . . . . . . . . . . 104 3.7. Fügungsanordnung nach Eisenberg (1999) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 6.1. Funktionsfelder inkl. Spezialverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 7.1. Aspekte-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 7.2. Government-Binding-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 7.3. Minimalismus-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 12 1. Einleitung 1.1. Ziel und Aufbau dieser Arbeit Worin besteht der Bedeutungsunterschied zwischen den schweizerdeutschen Artikel- formen de, d, s und dä, di, das und dää, die, daas und wie kann dieser syntaktisch erklärt werden? Mit dieser Frage setzt sich die vorliegende Dissertation auseinan- der: Dafür werden die verschiedenen morphologischen Formen und ihre jeweiligen semantisch-pragmatischen Funktionen untersucht (Teil I) und mögliche syntaktisch- semantische Analysen im Rahmen der Generativen Grammatik diskutiert (Teil II). Das Ziel dieser Arbeit ist es, die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede, die zwischen diesen drei Paradigmen bestehen, morphologisch, semantisch und syntaktisch zu un- tersuchen. Dabei wird von der Hypothese ausgegangen, dass sich die drei Paradig- men nicht nur in ihrer Form unterscheiden, sondern auch in ihrer Funktion und in ihrer syntaktischen Struktur. Aus diesem Grund strebe ich den Nachweis einer 1:1:1- Korrelation zwischen Morphologie, Semantik und Syntax an (MSSK): Für jedes Pa- radigma sollen ausschliessende morphologische, semantische und syntaktische Bedin- gungen formuliert werden können. Ob und inwieweit eine solch strikte These aufrecht- erhalten werden kann, wird im Folgenden gezeigt. Zu fragen ist dabei, ob es möglich ist, zwischen den drei Paradigmen scharfe Grenzen zu ziehen, oder ob die geforderten Korrelationen zu stark formuliert sind. Dafür muss untersucht werden, ob neben den klaren Korrelationen in Ausnahmefällen von Überschneidungen und Überkreuzungen ausgegangen werden muss. In Kapitel 2 werden die verschiedenen Formen der drei Artikelparadigmen anhand eines schweizerdeutschen Dialektes dargestellt. Anschliessend werden die möglichen Funktionen beschrieben, die definite Determinierer in der Nominalphrase haben kön- nen. Die Überprüfung, ob diese Funktionen mit den verschiedenen Artikelformen kor- relieren, zeigt, dass für die drei Paradigmen eine Normalverteilung besteht: Jede Form korreliert prototypisch mit einer Funktion. In Kapitel 3 werden die Fälle beschrieben, für die eine 1:1-Korrelation zwischen Form und Funktion nicht aufrechterhalten werden kann. Zur Erläuterung dieser Spezialfäl- le können grammatikalisierungstheoretische Beschreibungen der verschiedenen Ar- tikelparadigmen weiterhelfen. Unter deren Zuhilfenahme können erstens die Merk- 13 1. Einleitung malsstrukturen der verschiedenen Paradigmen eruiert werden. Zweitens kann eine Funktionsfelderanalyse erbracht werden, die sowohl die Normalverteilung als auch die Spezialverteilung der drei Paradigmen aufzeigt. In Kapitel 4 werden die Daten präsentiert, auf denen die Ergebnisse in Kapitel 2 und Kapitel 3 beruhen. Es sind dies einerseits die Daten aus den Darstellungen, wie sie in den Grammatiken zu verschiedenen schweizerdeutschen Dialekten und verschiedenen Untersuchungen zum Artikelsystem im Schweizerdeutschen beschrieben werden, und anderseits die von mir analysierten Daten aus verschiedenen Datenkorpora. Neben der allgemeinen Beschreibung der Datenlage wird eine Übersicht über Gemeinsamkei- ten und Unterschiede der verschiedenen schweizerdeutschen Dialekte angestrebt. In Kapitel 5 wird das schweizerdeutsche Artikelsystem mit den Artikelsystemen in an- deren deutschen Dialekten verglichen. Ausserdem wird untersucht, inwiefern Vollfor- men des Artikels und Verschmelzungsformen des Artikels mit Präpositionen im Stan- darddeutschen ebenfalls als Phänomen der doppelten Artikelführung gelten können. Zum Schluss werden exemplarisch Formen von doppelter Artikelführung in anderen Sprachen diskutiert, die Parallelen zum Artikelsystem im Schweizerdeutschen aufwei- sen. In Kapitel 6 werde ich die Ergebnisse zusammenfassen. Dafür werden verschiede- ne Abgrenzungsparameter diskutiert, die geeignet sein könnten, die drei Paradig- men zu unterscheiden. Ausserdem werden die phonologisch-morphologischen und die semantisch-pragmatischen Unterschiede zwischen dem reduzierten Artikel und dem vollen Artikel einerseits und dem vollen Artikel und dem Demonstrativum anderer- seits konzentriert wiedergegeben. Im zweiten Teil meiner Arbeit wird ein Analysevorschlag für die schweizerdeutsche Nominalphrase diskutiert, der die Verteilung der Definit-Determinierer (reduzierter Artikel, voller Artikel und einfaches Demonstrativum) im Schweizerdeutschen erklä- ren soll: Die Paradigmen-Verteilung nach morphologischen und semantischen Kriteri- en soll ein syntaktisches Korrelat bekommen, indem unterschiedliche Positionen und unterschiedliche Derivationsstrukturen für die verschiedenen Paradigmen vorgeschla- gen werden. In Kapitel 7 stelle ich das Grammatikmodell vor, das ich für die syntaktisch-semanti- schen Analysevorschläge verwende. Ich gebe einen kurzen historischen Abriss zur Idee und Entwicklung der Generativen Grammatik mit ihren drei wichtigsten Theoriestu- fen Transformationsgrammatik (TG), Government-Binding (GB) und Minimalistisches Programm (MP). 14 1. Einleitung In Kapitel 8 wird die Motivation für den Wechsel von der NP- zur DP-Analyse von Nominalphrasen zusammenfassend referiert. Anschliessend werden die Funktionen der Kategorie D(et) diskutiert. Dabei werden neben der grammatischen Funktion die verschiedenen semantischen Konzepte wie Referenz, Definitheit und Spezifizität be- leuchtet. Zudem werden die verschiedenen funktionalen Kategorien besprochen, die für die Nominalphrase vorgeschlagen worden sind. In Kapitel 9 werde ich Analysevorschläge für die schweizerdeutsche Nominalphrase diskutieren, die die Verteilung der Artikelparadigmen im Allgemeinen erklären könn- ten. Zudem wird der Artikelsetzung bei der Intervention eines Adjektives oder einer Relativsatzmodifikation besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Ich werde verschiede- ne Modifikationsanalysen vorstellen, die sowohl die verschiedenen Modifikationen in einen geordneten Zusammenhang bringen als auch die jeweilige Artikelsetzung erklä- ren sollen. In Kapitel 10 werden die Ergebnisse dieser Untersuchung zusammengefasst und ein Resümee gezogen. Die Questionnaires der mündlichen Befragungen sind im Anhang zu finden. 1.2. Das Schweizerdeutsche gibt es nicht Bei der Beschäftigung mit Dialektphänomenen des Schweizerdeutschen stellt sich die Frage, ob es gerechtfertigt ist, allgemein von Schweizerdeutsch zu sprechen (vgl. Baur 1983, Lötscher 1993). Das Schweizerdeutsche als „einheitliche Sprache“ gibt es nicht. Vielmehr kann zwischen unzähligen Dialekten mit phonologischen, morphologi- schen, syntaktischen und semantischen Besonderheiten unterschieden werden. Den- noch wird von Schweizerdeutsch gesprochen: Der Begriff Schweizerdeutsch bezieht sich auf die Gesamtheit der in der Schweiz gesprochenen alemannischen Dialekte. Unter Alemannisch wird ein Dialektverband verstanden, der die Dialekte des Westoberdeut- schen (Schwäbisch, Niederalemannisch, Hochalemannisch und Höchstalemannisch) zusammenfasst (vgl. Glück 2000:27). Das Schweizerdeutsche grenzt sich von ande- ren alemannischen Dialekten nicht in erster Linie durch linguistische Kriterien ab, vielmehr sind staatspolitische und soziokulturelle Kriterien ausschlaggebend. Von be- sonderer Bedeutung ist neben diesen Kriterien vor allem die Diglossie-Situation, die in dieser starken Ausprägung nur die Schweiz aufweist: Anders als in anderen alemanni- schen Dialektregionen besteht in der Schweiz kein Kontinuum zwischen Dialekt und Hochsprache, sondern eine klare Diglossie, indem in informellen Situationen Dialekt und in formellen Situationen Hochsprache gesprochen wird. 15 1. Einleitung Bei der Unterscheidung der verschiedenen schweizerdeutschen Dialekte stellen sich ähnliche Probleme wie bei der Unterscheidung verschiedener alemannischer Dialekte: Es können zwar verschiedene Dialektregionen unterschieden werden, dennoch feh- len häufig eindeutige linguistische Kriterien zur Abgrenzung. Die Einteilung der Dia- lekte nach Kantonsgrenzen ist problematisch, da die staatspolitischen Gegebenhei- ten nicht mit den (viel weiter zurückgehenden) dialektalen Gegebenheiten überein- stimmen. Dennoch ist die Einteilung in Zürichdeutsch, Berndeutsch, Baseldeutsch etc. weitverbreitet. Die Einteilung in Niederalemannisch (Basel), Hochalemannisch (neben schweizerdeutschen Regionen auch Teile Baden-Württembergs und des Vorarlbergs) und Höchstalemannisch (Wallis, Berner Oberland, Senseland etc.) erfolgt nach linguis- tischen Kriterien, kann aber das Schweizerdeutsche nicht hinreichend von anderen alemannischen Dialekten abgrenzen. Da häufig Phänomengrenzen auf Nord-Süd- und West-Ost-Achsen abbildbar sind, können sprachgeografische Grossregionen durch die- se Achsen voneinander abgetrennt und die Schweiz in vier bis acht Regionen eingeteilt werden (Nordwest, Südwest etc.). Ich spreche von Schweizerdeutsch und von schweizerdeutschen Dialekten, wenn ich al- le schweizerdeutschen Dialekte meine resp. diejenigen schweizerdeutschen Dialekte, die das besprochene Phänomen aufweisen. Wenn es mir um eine genauere sprachgeo- grafische Aufteilung geht, teile ich die Dialekte in Kantone ein (Berndeutsch, Walli- serdeutsch, Appenzellerdeutsch etc.) und zusätzlich in durch ein Achsen-Raster ab- getrennte Grossregionen (Nordwest, Mitte-West, Südwest, Zentrum-Nord, Zentrum- Mitte, Nordost, Südost). 1.3. Das Datenmaterial Die Ergebnisse meiner Untersuchungen zum Artikelsystem im Schweizerdeutschen beruhen auf den Daten verschiedener Datenkorpora. Neben den Daten aus bestehen- den Grammatiken zu verschiedenen schweizerdeutschen Dialekten (vgl. Marti 1985, Suter 1992, Weber 1987, Fischer 1989, Bossard 1962, Sonderegger 1999 etc.) und den Daten aus verschiedenen Untersuchungen zum Artikel im Schweizerdeutschen (vgl. Hodler 1969, Meyer 1967, Nübling 1992, Penner 1993) habe ich verschiedenes Da- tenmaterial für die Analyse beigezogen. Ich habe dafür elizitierte Daten und spontan produzierte Daten berücksichtigt. Die elizitierten Daten stammen einerseits aus dem Korpus des Syntaktischen Atlasses der Deutschen Schweiz (SADS), andererseits ha- be ich Befragungen zu den einschlägigen Phänomenen durchgeführt und ausgewer- tet. Die spontanen Daten beruhen einerseits auf verschiedenen Hörbelegen (aus dem Bekanntenkreis, aus Radio und Fernsehen) und der Analyse von schweizerdeutschen 16 1. Einleitung Märchenerzählungen und Nacherzählungen von Bildergeschichten, andererseits auf transkribierten Interviews, die den Resultaten in Christen (1998) zugrundeliegen. Im Folgenden werden die verschiedenen Datenkorpora kurz vorgestellt. 1.3.1. Elizitierte Daten: SADS und Nacherhebungen Das durch den Schweizerischen Nationalfonds unterstützte Forschungsprojekt „Dia- lektsyntax des Schweizerdeutschen“ (unter der Leitung von Prof. Dr. Elvira Glaser, Deutsches Seminar, Universität Zürich, Laufzeit 1.1.2000 bis 31.8.2008) hat die Her- stellung des Syntaktischen Atlasses der Deutschen Schweiz (SADS) zum Ziel. Das Projekt versteht sich als Weiterführung des phonologisch, morphologisch und lexi- kalisch ausgerichteten Sprachatlasses der deutschen Schweiz (SDS, Baumgartner & Hotzenköcherle 1962-2003) für den Bereich der Syntax. Im Zentrum steht dabei die sprachgeografische Gliederung der deutschen Schweiz in den verschiedenen Bereichen der Syntax (Nominalphrase, Verbphrase, Pronomen, Satzverknüpfung etc.). Darüber hinaus sollen die gewonnenen Daten aber auch eine wertvolle empirische Basis für die Grundlagenforschung zur Verfügung stellen. Vgl. die Ausführungen im Projektbe- schrieb, www.ds.uzh.ch/dialektsyntax/pro_beschrieb.html. Für den SADS wurden über 3000 Informantinnen und Informanten aus mehr als 380 Orten der deutschsprachigen Schweiz befragt. Dabei wurden Personen aus allen Schichten und mit unterschiedlichsten Professionen berücksichtigt. Die Befragungen erfolgten anhand von vier schriftlichen Questionnaires mit insgesamt ca. 120 Fragen (Übersetzungen, Multiple Choice). Insgesamt kommen vierzehn Artikelformen in den Übersetzungsfragen und 48 Artikelformen in den Multiple-Choice-Fragen vor. Aller- dings sind nicht alle Genera, Kasus und Numeri (und ihre Kombinationsmöglichkei- ten) gleich gut vertreten. Da die syntaktischen Gegebenheiten beim SADS im Vorder- grund stehen, wurden die morphologischen Besonderheiten nicht berücksichtigt: Die verschiedenen Artikelformen (daas, das, s) wurden nicht unterschiedlich transkribiert und können aus diesem Grund in der Datenbank nicht einzeln abgefragt werden. Die Auswertung der Daten beruht deshalb auf der Sichtung der Originalfragebogen. Diese hilft aber in einigen Fällen nicht weiter, da die Verschriftlichung der verschiedenen Artikelformen von Dialekt zu Dialekt und von Person zu Person stark variieren und deshalb oft nicht entschieden werden kann, welche Artikelform mit welcher Verschrift- lichung korreliert. Ausserdem waren die Kontexte nicht immer ausschliessend genug, um mit Bestimmtheit die feinen (semantisch-pragmatischen) Unterschiede zwischen den Artikelparadigmen erfassen zu können. Um die exakten syntaktischen und se- mantischen Kontexte der einzelnen Artikelparadigmen bestimmen und voneinander 17 1. Einleitung abgrenzen zu können, müssen Minimalpaare gebildet werden. Sind aber die Kontexte nicht eindeutig genug, kann die Versuchsperson den Kontext auch anders als inten- diert verstehen. In diesen Fällen kann nicht sichergestellt werden, dass die Artikelset- zung tatsächlich aufgrund des intendierten Kontextes vorgenommen worden ist. Aus diesen Gründen war es nicht möglich, alle vorkommenden Artikelformen zu analysie- ren. Allgemein gilt, dass einerseits Fragen mit eindeutigem Kontext und andererseits Fragen mit einer Feminin- oder Neutrum-Artikelform besser geeignet sind (da hier der morphologische Unterschied deutlicher ist und die Artikelformen über Dialekte und Personen hinweg einfacher klassifizierbar sind). Die Resultate der auswertbaren Fragen finden sich in Kapitel 4.2.1.1. Um den Feinheiten der morphologischen, syntaktischen und semantischen Unterschie- de der verschiedenen Artikelparadigmen weiter auf die Spur zu kommen, habe ich verschiedene Nacherhebungen im kleinen Rahmen (mit 6 bis 10 Personen aus vier Dialektregionen (BE, AG, ZH, AP) im Alter zwischen 30 und 85 Jahren) anhand dafür konzipierter Fragebogen durchgeführt. Die Befragungen wurden grösstenteils münd- lich durchgeführt, auf Tonband aufgezeichnet und im Anschluss transkribiert. Die Re- sultate der Befragung sollen Auskunft geben über die genauen syntaktisch-semanti- schen Bedingungen für den Gebrauch des jeweiligen Artikelparadigmas. Dafür wurden Fragen konzipiert, die entweder bestimmte syntaktisch-semantische Kontexte prü- fen oder Minimalpaare austesten. Um einen direkten Vergleich mit Artikelstudien in anderen Dialekten und Sprachen zu ermöglichen, habe ich teilweise Beispielsätze aus diesen Studien übernommen (vgl. Ebert 1971b, Breu 2004 und die Zusammen- fassung dieser Arbeiten in Kapitel 5.2). Um die Abgrenzung zwischen vollem Artikel und Demonstrativum verorten zu können, wurden weitere Sätze konzipiert, bei denen erstens die Übersetzungsrichtung gewechselt wurde (schweizerdeutsche Sätze muss- ten ins Standarddeutsche übersetzt werden) und zweitens nicht mehr die Produkti- on dialektaler Daten, sondern deren Beurteilung im Zentrum stand. Dadurch, dass im Standarddeutschen der volle Artikel und das Demonstrativum voneinander klar abgrenzbare Formen aufweisen (der resp. dieser), sollte getestet werden, in welchen syntaktisch-semantischen Kontexten die Artikelformen als voller Artikel und in wel- chen Kontexten als Demonstrativum wahrgenommen werden. Ausserdem wurden die Sätze nach dem Vorbild der Befragungen des SADS in kurze Situationen eingebet- tet, um den intendierten Kontext des Satzes zu verstärken und um damit zu gewähr- leisten, dass die Sätze so verstanden werden, wie sie für den bestimmten Kontext 18 1. Einleitung aufgefasst werden müssen.1 Die Resultate der Datenerhebung sind in Kapitel 4.2.1.2 nachzulesen. Der Fragebogen ist im Anhang zu finden. 1.3.2. Spontandaten: Erzählungen und Interviews Neben den elizitierten Daten aus dem SADS und meinen Nacherhebungen sollte em- pirisches Datenmaterial berücksichtigt werden, das aus spontaner Rede gewonnen worden ist. Im Gegensatz zu Fragebogen-Untersuchungen, in denen ein bestimmtes Phänomen anhand von geeigneten Kontexten oder durch Minimalpaar-Bildungen ab- gefragt wird, werden spontan produzierte Daten auf das Vorkommnis eines bestimm- ten Phänomens hin untersucht. Dafür eignen sich alle Arten von Gesprächen, sofern garantiert werden kann, dass die Daten tatsächlich spontan produziert sind und nicht wie bei einer Rede oder bei einer Ansprache (z.B. im Fernsehen) vorbereitet und abge- lesen oder simultan aus dem Standarddeutschen übersetzt werden. Für meine Arbeit habe ich zu diesem Zweck einerseits (Märchen-)Erzählungen transkribiert und aus- gewertet, andererseits habe ich ein Transkriptionsdokument analysiert, das auf 42 Interviews beruht, welche als empirische Grundlage für Christen (1998) dienten.2 Das Vorgehen bei der Erhebung dieser Spontandaten war ein gänzlich anderes als für tra- ditionell dialektologische Arbeiten üblich, die, um sprachgeografisch-orientierte Resul- tate zu erlangen, strenge Bedingungen bezüglich Dialektstabilität einfordern müssen (vgl. zum Vorgehen bei Datenerhebungen auch Niebaum & Macha 1999, Glaser 2000b). Das Ziel dieser Erhebung war es, sprachliche Arealität in beliebigem, nicht kontrollier- tem Schweizerdeutsch durch induktives Ableiten anhand der jeweiligen Übereinstim- mung einzelner Daten zu so genannten Grundmundarten feststellen zu können (vgl. Christen 1998:73, 1998:291): Mit dem Ziel der vorliegenden Untersuchung, beliebige schweizerdeutsche Varietäten zu untersuchen, ist nur ein Datenerhebungsverfahren vereinbar, das keinerlei Bedingungen an die lokale Herkunft der Gewährsleute stellt. 1Dass Sätze fast immer – sind die Situationen auch noch so gut und sorgfältig ausgewählt worden – unterschiedlich verstanden werden können, stellt ein grosses Problem der Datenerhebung dar. So kann fast nie ausgeschlossen werden, dass vermeintlich falsche Antworten oder Antworten, die nicht den Er- wartungen entsprechen, nur deshalb zustande gekommen sind, weil der Satz anders als intendiert ver- standen worden ist. Andererseits muss berücksichtigt werden, dass ein Teil der vermeintlich richtigen Antworten ebenfalls auf diesem Problem beruht. 2Ich bin Frau Prof. Dr. Helen Christen zu grossem Dank verpflichtet, dass sie mir dieses Dokument für meine Analysen zur Verfügung gestellt hat. Es hatte für mich unschätzbaren Wert – ganz allgemein, da die Arbeit, die die Erstellung eines solch umfangreichen und „dialektal-vielseitigen“ Transkripts den Rahmen meiner Dissertationskapazität gesprengt hätte, und im Speziellen, da die überragende Qualität des Dokuments für meine Untersuchungen, die keine Ungenauigkeiten bezüglich der Wiedergabe der morphologischen Gegebenheiten der verschiedenen Artikelformen zulassen, unerlässlich war. 19 1. Einleitung Das Kriterium, dass sich die Gewährspersonen selbst als Sprecherinnen und Sprecher des Schweizerdeutschen verstehen, ist die einzige Anforde- rung. (Christen 1998:63) Die Datenbasis beruht auf ca. 15-minütigen Interviews mit 42 Gewährspersonen. In den Befragungen wurden verschiedene alltägliche Themen angeschnitten mit dem Ziel „narrative und argumentative Gesprächsstile zu provozieren“ (Christen 1998:68). Da- für wurden Personen an drei verschiedenen Bildungsstätten der Schweiz interviewt. Das Alter der Interviewten liegt zwischen 17 und 26 Jahren, die Geschlechtervertei- lung ist zu hundert Prozent ausgewogen, die geografische Verteilung ist wie Karte 1.1 zeigt (17 ZH, 5 BE, 4 AG, 3 FR, je 2 BS/BL, VS, SZ, SG, je 1 ZG, AP, TG, LU, SO).3 Abbildung 1.1.: Verteilung InformantInnen (Korpus H. Christen) Für die Ergebnisse zu den Artikelvorkommnissen in der Spontansprache habe ich in einem ersten Schritt alle vorkommenden Artikelformen ausgezählt. Da die Mehrzahl der Vorkommnisse den erwarteten und in Grammatiken beschriebenen Gegebenhei- ten entsprechen, habe ich anschliessend nur diejenigen Artikelformen genauer be- schrieben, welche aus diesem Erwartbaren herausfallen und einer Erklärung bedür- fen. Da sich Besonderheiten bei der Artikelsetzung abzeichneten, wenn der nominale Ausdruck durch einen Relativsatz modifiziert wird, habe ich anschliessend alle Rela- tivsatzvorkommnisse in Bezug auf die Artikelsetzung analysiert. Die Resultate dieser Analysen sind in Kapitel 4.2.2.3 nachzulesen. 3Dadurch, dass keine Ortsstabilität der Gewährspersonen gefordert war, konnte eine gewisse Fluktuati- on nicht ausgeschlossen werden. Dennoch erfüllten immerhin 17 Personen (= ca. 40%) die Ortsstabilität (verstanden als „Schulzeit an einem einzigen Ort“). 20 Teil I. Artikelparadigmen: Formen und Funktionen 21 2. Drei Paradigmen: Normalverteilung In diesem Kapitel werden die Formen und die Funktionen der Paradigmen des defini- ten Artikels der, die, das und des einfachen Demonstrativums mit der Bedeutung ‘die- ser’ in den schweizerdeutschen Dialekten vorgestellt. Ich werde zeigen, dass erstens für den definiten Artikel zwei Paradigmen existieren und zweitens das Demonstrati- vum mit der Bedeutung ‘dieser’ in den meisten schweizerdeutschen Dialekten densel- ben Wortstamm wie der Artikel aufweist. Um dies zeigen zu können, werde ich in ei- nem ersten Schritt die typischen Merkmale der morphologischen Formen beschreiben. In einem zweiten Schritt werde ich die semantisch-pragmatischen Hauptfunktionen, die Artikel und Demonstrativum haben können, besprechen. In einem dritten Schritt will ich überprüfen, ob zwischen den drei Paradigmen und den besprochenen Funktio- nen eine Korrelation besteht. Ich werde diese Übersicht vorwiegend anhand von Beispielen eines schweizerdeut- schen Dialektes geben, der zwischen den Dialektgrossregionen Berndeutsch und Zü- richdeutsch beheimatet ist. Die Beispiele stammen, wenn nicht anders vermerkt, von mir. Sie beruhen aber mit wenigen Ausnahmen nicht auf Introspektion, sondern ent- weder auf Beispielen aus den Grammatiken zu den schweizerdeutschen Dialekten oder auf Beispielen meiner Datenanalyse (anhand von elizitierten und spontanen Daten, vgl. Kapitel 4.2). Neben der einheitlichen Verschriftlichung können durch dieses Vor- gehen pointierte Beispiele geboten werden, welche die Differenzen bei der Verwendung von Artikel und Demonstrativum besonders gut hervorheben. Ich orientiere mich bei der Verschriftlichung im Wesentlichen an Dieth (1938). Ich weiche allerdings in eini- gen Fällen von seinen Empfehlungen ab: 1. verschriftliche ich das vokalisierte l weder mit l mit Unterpunkt noch mit w, sondern mit u. 2. verschriftliche ich das geschlossene i nicht mit y, sondern mit i, da das offene i (für das die Verschriftlichung i vorgesehen ist) in meinem Dialekt nicht i, sondern e lautet, 3. verzichte ich auf die gemässigte Kleinschreibung. Direkt von Relevanz für die Artikelverschriftlichung ist der e-Laut: den geschlossenen (meist unbetonten, schwa-artigen) verschriftliche ich mit e, den of- fenen (nicht weiter betonten) mit ä, den (über)offenen betonten und gedehnten mit ää. Bei Beispielen aus anderen Dialekten verwende ich für das halboffene e das empfoh- lene ë. Eigennamen und Wörter aus Fremdsprachen belasse ich in der ursprünglichen Schriftweise. Bei den Übersetzungen kennzeichne ich den reduzierten Artikel mit ei- nem tiefgestellten r (derr) und den vollen Artikel mit einem tiefgestellten v (derv). 22 2. Drei Paradigmen: Normalverteilung Artikelformen, die zufälligerweise in den Beispielen vorkommen, werden in der Über- setzung nicht extra ausgezeichnet. Eine ausführliche Darstellung der Gemeinsamkei- ten und Unterschiede der einzelnen schweizerdeutschen Dialekte erfolgt in Kapitel 4.1. Detaillierte Resultate der Datenanalyse sind in Kapitel 4.2 zu finden. 2.1. Die Formen 2.1.1. Morphologie In verschiedenen Dialekten des Schweizerdeutschen sind aus der morphologischen Form des ursprünglichen Demonstrativums drei unterschiedliche Paradigmen hervor- gegangen:1 (1) a. eine gedehnte, betonte Form b. eine abgeschwächte, aber morphologisch volle Form c. eine morphologisch stark reduzierte Form Die gedehnte, betonte Form (a.) bezeichne ich als Demonstrativum, die morphologisch volle Form (b.) als vollen Artikel, die morphologisch reduzierte Form (c.) als reduzierten Artikel.2 (2) a. dää Maa, die Frou, daas Chend dieser Mann, diese Frau, dieses Kind 1Darin, dass der definite Artikel aus dem Demonstrativum hervorgegangen ist, deckt sich das Schwei- zerdeutsche mit zahlreichen anderen Dialekten und Sprachen. Vgl. zur Geschichte von Demonstrativum und Definitartikel (im Besonderen fürs Germanische) Hodler (1954), Demske (2001), Leiss (1994, 2000), Oubouzar (1992), Glaser (2000a), Lühr (1991), Haudry (2000) und die Ausführungen in Kapitel 3.2. 2Vgl. Penner (1993) für eine ähnliche Klassifizierung: Er unterscheidet für die schweizerdeutsche Da- tenlage zwischen Demonstrativum, vokalischem Artikel und klitischem Artikel. Obwohl sich seine Klas- sifizierung inhaltlich mit meiner eigenen deckt, halte ich seine Benennung aus zwei Gründen für ver- fänglich: Erstens kommen für die beiden Artikelparadigmen unterschiedliche Kriterien zur Anwendung, indem beim vokalischen Artikel ein phonetisch-morphologisches Kriterium und beim klitischen Artikel ein phonologisch-syntaktisches Kriterium verantwortlich ist. Zweitens ist nicht hinlänglich klar, ob die Kriterien tatsächlich uneingeschränkt und ausschliessend zutreffen: Ist der vokalische Artikel immer vokalisch und nie klitisch? Ist der klitische Artikel immer klitisch und nie vokalisch? Um die Frage nach dem Klitik-Status losgelöst von der Frage der morphologischen Ausgestaltung der Artikelformen be- antworten zu können, wähle ich eine Benennung der beiden Artikelparadigmen, die ausschliesslich auf morphologischen Kriterien beruht: voller Artikel für die morphologisch volle Form, reduzierter Artikel für die morphologisch reduzierte Form. Die Frage des Klitik-Status der einzelnen Artikelformen kläre ich in Kapitel 3.2.2.2. 23 2. Drei Paradigmen: Normalverteilung b. dä Maa, di Frou, das Chend derv Mann, diev Frau, dasv Kind c. de Maa, d Frou, s Chend derr Mann, dier Frau, dasr Kind In den schweizerdeutschen Grammatiken werden diese drei Paradigmen fürs Bern- deutsche (Marti 1985, Hodler 1969), Baseldeutsche (Suter 1992), Zürichdeutsche (We- ber 1987) und Luzerndeutsche (Fischer 1989) beschrieben. Sie werden dort als Artikel, schwachtoniges Demonstrativpronomen und starktoniges Demonstrativpronomen be- zeichnet (vgl. die Argumentation zur Klassifizierung und Benennung von Artikel und Demonstrativum in Kapitel 2.1.2). Die morphologischen Formen der drei Paradigmen in (2) entsprechen den Formen im Luzerndeutschen nach Fischer (1989:227). In Kapi- tel 4.1 werde ich eine genaue Bestimmung vornehmen, in welchen schweizerdeutschen Dialekten diese Dreiteilung belegt ist und wie die Unterschiede in den morphologi- schen Formen beschrieben werden. Bevor ich detailliert auf die einzelnen Paradigmen eingehen werde, verdienen folgende Punkte eine kurze Erwähnung: 1. der reduzierte Artikel d / di bei nachfolgendem Ad- jektiv, 2. die Schwankungen des vollen Artikels di / die (mit und ohne Nomen), 3. der reduzierte Artikel mit seinen Umgebungswörtern, 4. verstärkende Ergänzungen beim vollen Artikel und beim Demonstrativum und 5. der Bedeutungsshift der Demonstra- tiva im Schweizerdeutschen. 1. d bei nachfolgendem Adjektiv: Der reduzierte Artikel d wird bei nachfolgendem Ad- jektiv obligatorisch zu di. Dies ist der Fall im Fem. Sing. Nom./Akk. und im Plur. Nom./Akk. in allen Genera: (3) a. *d/di grooss Frou dier grosse Frau b. *d/di groosse Manne dier grossen Männer c. *d/di groosse Froue dier grossen Frauen d. *d/di groosse Chend dier grossen Kinder Im Gegensatz zu den Aussagen in den schweizerdeutschen Grammatiken wird aller- dings in Penner (1993) die Möglichkeit der Form d bei Adjektivmodifikation genannt: 24 2. Drei Paradigmen: Normalverteilung (4) d groossi Frou BE dier grosse Frau (Penner 1993:3) Penner (1993) nimmt diese Form des Artikels bei Adjektivmodifikation für Berndeutsch, Baseldeutsch und St.Galler-Deutsch an. 2. Schwankungen von di(e): Der volle Artikel schwankt in der Form für Fem. Sing. Nom./Akk. und Plur. Nom./Akk. in allen Genera je nach Dialekt und/oder Kontext zwi- schen di und die (vgl. Fischer 1989:227): (5) a. di/die Frou diev Frau b. di/die Manne diev Männer c. di/die Froue diev Frauen d. di/die Chend diev Kinder In vielen Dialekten ist di als Form des vollen Artikels in den Grammatiken nicht belegt (vgl. Marti 1985, Weber 1987, Suter 1992, Sonderegger 1999), in den Datenkorpora tauchen diese Formen aber nichtsdestoweniger teilweise auch in diesen Dialekten auf (vgl. Kapitel 4.2). Bei pronominalem Gebrauch ist die Form di m.E. nicht erlaubt – es muss auch in Dialekten, die für den vollen Artikel di setzen können die Form die gewählt werden: (6) nei, graad *di/die need! nein, gerade diev nicht! Allerdings kommt es in diesem Fall zu einer Überschneidung mit dem Demonstrati- vum (zur Abgrenzung dieser beiden Paradigmen vergleiche ausführlich Kapitel 6.2): (7) nei, graad die need! nein, gerade diese nicht! (vgl. Fischer 1989:227) 3. Reduzierter Artikel mit Umgebungswörtern: Der reduzierte Artikel geht häufig ei- ne Verschmelzung oder Assimilation mit seinen Umgebungswörtern ein (entweder mit 25 2. Drei Paradigmen: Normalverteilung einem vorangehenden Wort wie in (8) oder mit dem Folgewort wie in (9)). Der Assimila- tionsprozess kann auch zur vollständigen Auflösung des Artikels wie in (10) führen: (8) zum See zu-dem See zum See (vgl. z.B. Fischer 1989:185) (9) pBlueme die-Blume die Blume (vgl. z.B. Fischer 1989:184) (10) e Wald in ? Wald in den Wald (vgl. z.B. Fischer 1989:185) Mit den Verschmelzungsphänomenen des reduzierten Artikels mit seinen Umgebungs- wörtern werde ich mich in Kapitel 3.2.2 und Kapitel 5.1.2 eingehender auseinander- setzen. 4. Ergänzungen bei Artikel und Demonstrativum: Für das Demonstrativum mit der Be- deutung des standarddeutschen dieses gibt es anders als im Standarddeutschen und in anderen Sprachen in den meisten Dialekten keinen eigenen Wortstamm. Es werden wie für den Artikel die Formen der, die, das verwendet. Das Demonstrativum unter- scheidet sich vom vollen Artikel einzig durch Dehnung und Betonung. Es fällt daher oft schwer, zwischen dem Artikel und dem Demonstrativum zu unterscheiden. Beide Formen können zusätzlich ergänzt werden durch direktes Zeigen auf den Referenten, durch Zeit- und Ortsadverbien wie da oder dort wie in (11) oder durch (wiederholende) Nachstellung des Demonstrativums wie in (12) (vgl. dazu z.B. Marti 1985:103): (11) a. dä Maa do, dä Maa döt derv Mann da, derv Mann dort b. dää Maa do, dää Maa döt dieser Mann da, dieser Mann dort (12) a. dä Luusbueb dää derv Lausejunge dieser b. dää Luusbueb dää dieser Lausejunge dieser 26 2. Drei Paradigmen: Normalverteilung Die Nachstellung des Demonstrativums wie in (12) dient häufig allerdings nicht nur der Ergänzung oder Verstärkung von Artikel oder Demonstrativum, sondern kann auch eine auf- oder abwertende Umdeutung bewirken. Häufig wird diese Nachstellung denn auch verwendet bei pejorativen Ausdrücken, um die Wirkung der Abwertung zu verstärken. Das Kopieren eines syntaktischen Elements scheint demnach keine reine Wiederholung zu sein. Vielmehr kann dadurch ein interpretatorischer Effekt erzeugt werden. 5. Bedeutungsshift: Aus dem Wortstamm dies- des Standarddeutschen hat sich in eini- gen schweizerdeutschen Dialekten das Pendant zu standarddeutschem jen- herausge- bildet: (13) Nemm die Schtrooss, ned desi! Nimm diese Strasse, nicht jene! (vgl. z.B. Fischer 1989:230) In denjenigen Dialekten des Schweizerdeutschen (ChD), die des- für standarddeut- sches jen- verwenden, hat demnach im Vergleich zum Standarddeutschen (SD) ein Bedeutungsshift stattgefunden, vgl. Tabelle 2.1. Artikel proximales Dem. distales Dem. SD der dieser jener ChD dä dää Form: der dese Form: dieser Tabelle 2.1.: Bedeutungsshift Demonstrativa Das schweizerdeutsche ä(i)ne, das dem standarddeutschen jener entspricht, ist we- niger gebräuchlich und auch nicht für alle schweizerdeutschen Dialekte beschrieben (vgl. Marti 1985, Suter 1992, Weber 1987, Fischer 1989, Bossard 1962). Es wird wie das Standarddeutsche jener in erster Linie verwendet, um kontrastiv zum proximalen dää ‘dieser’ die distale Bezugnahme auszudrücken. In Dialekten, die äne noch frequent verwenden, hat teilweise der Bedeutungsshift nicht stattgefunden – für standarddeut- sches dieser wird dann das schweizerdeutsche dese verwendet (vgl. z.B. Marti 1985). Im Folgenden werden die Paradigmen des reduzierten Artikels, des vollen Artikels und des Demonstrativums mit all ihren morphologischen Formen (anhand des Luzerndeut- schen nach Fischer 1989:227) besprochen. Anschliessend werde ich einige Bemerkun- gen zu den Kasusgegebenheiten im Schweizerdeutschen machen. Die Formen der drei Paradigmen lauten wie in Tabelle 2.2 aufgezeigt. 27 2. Drei Paradigmen: Normalverteilung Reduzierter Artikel Mask. Fem. Neutr. Sing Nom./Akk. de d(i) s Dat. em de em Plur. Nom./Akk. d(i) d(i) d(i) Dat. de de de Voller Artikel Mask. Fem. Neutr. Sing Nom./Akk. dä di(e) das Dat. dëm dër dëm Plur. Nom./Akk. di(e) di(e) di(e) Dat. dëne dëne dëne Demonstrativum Mask. Fem. Neutr. Sing Nom./Akk. dää die daas Dat. dëmm dër(e) dëmm Plur. Nom./Akk. die die die Dat. dën(n)e dën(n)e dën(n)e Tabelle 2.2.: Die Formen der drei Paradigmen (nach Fischer 1989) 28 2. Drei Paradigmen: Normalverteilung Dieser Tabelle liegt aus zwei Gründen das Luzerndeutsche nach Fischer (1989) zu- grunde: Erstens können hier die morphologischen Unterschiede zwischen den Para- digmen am besten sichtbar gemacht werden. Zweitens entsprechen diese Formen und die Verschriftlichung, die Fischer wählt, am ehesten meinem eigenen Dialekt (ich ver- schriftliche allerdings für meinen Dialekt den offenen e-Laut nicht mit ë, sondern mit ä). Dadurch können die Formen in meinen Beispielen transparent gemacht wer- den.3 Anhand der Beschreibungen der drei Paradigmen in den Grammatiken zu den schweizerdeutschen Dialekten (vgl. Marti 1985, Suter 1992, Weber 1987, Fischer 1989, Bossard 1962) lassen sich folgende morphologischen Varianten eruieren. 1. Der reduzierte Artikel: Er zeichnet sich durch seine starke morphologische Reduk- tion aus. Es treten drei Varianten der Reduktion auf: Entweder ist der Anlaut ge- schwunden (dann ist der Auslaut intakt) oder der Auslaut ist geschwunden (dann ist der Anlaut intakt) oder der Vokal ist geschwunden (dann ist der Anlaut und der Aus- laut intakt). Welche Reduktionsvariante auftritt, divergiert von Dialekt zu Dialekt. Bei folgenden Formen kann der Anlaut reduziert sein: Neutr. Sing. Nom. und Akk. s, Mask. und Neutr. Sing. Dat. em, Fem. Sing. Dat. er. Bei folgenden Formen kann der Auslaut reduziert sein: Mask. Sing. Nom. und Akk. de, Fem. Sing. Nom. und Akk. d, Fem. Sing. Dat. de, Plur. Nom. und Akk. aller Genera d, Plur. Dat. aller Genera de. Bei folgenden Formen kann der Vokal geschwunden sein: Mask. Sing. Nom. und Akk. dr, Neutr. Sing. Nom. und Akk. ds, Fem. Sing. Dat. dr. In allen Formen mit e-Laut han- delt es sich um einen unbetonten (schwa-artigen) Vokal, der je nach Dialekt zwischen verschiedenen offenen, frontalen bis zentralen Tief- und Mittelzungenvokalen (e, ö, ä und a) schwanken kann. 2. Der volle Artikel: Er zeichnet sich durch morphologische Vollständigkeit bei gleich- zeitiger Unbetontheit aus. In denjenigen Fällen, in denen der reduzierte Artikel einen Anlautschwund aufweist, kann der volle Artikel durch seinen Anlaut einfach charak- terisiert werden: Neutr. Sing. Nom. und Akk. das, Mask. und Neutr. Sing. Dat. dëm, Fem. Sing. Dat. dër. Ist beim reduzierten Artikel der Auslaut geschwunden, kann der volle Artikel durch einen stärkeren Auslaut identifiziert werden: Mask. Sing. Nom. und Akk. dä, Fem. Sing. Nom. und Akk. di(e), Fem. Sing. Dat. dër, Plur. Nom. und Akk. aller Genera di(e), Plur. Dat. aller Genera dëne. Ist beim reduzierten Artikel der 3Die Verschriftlichung der Artikelformen ist grundsätzlich schwierig, insbesondere jedoch für den Vokal in de für Mask. Sing. Nom. und Akk. des reduzierten Artikels, der je nach Dialekt als e, ö, ä, a ver- schriftlicht werden kann, und für die Formen des Demonstrativums. In der Literatur zu Artikel und Demonstrativum im Schweizerdeutschen finden sich für die Dehnung und Betonung des Demonstra- tivums verschiedene Vorschläge: doppelte Vokale, doppelte Konsonanten, diakritische Zeichen etc. Da die Verschriftlichung für meine Darstellung eine untergeordnete Rolle spielt, habe ich in diesem Kapi- tel eine Verschriftlichung gewählt, die es ermöglicht, die drei Paradigmen zweifelsfrei voneinander zu unterscheiden, ohne auf Varianten zurückgreifen zu müssen, die vom deutschen Schriftbild allzu unan- genehm abweichen. Vgl. für eine Übersicht zu den Dialektunterschieden Kapitel 4.1.1. 29 2. Drei Paradigmen: Normalverteilung Vokal geschwunden, kann der volle Artikel durch die Vokalhaltigkeit eruiert werden: Mask. Sing. Nom. und Akk. dër, Neutr. Sing. Nom. und Akk. das, Fem. Sing. Dat dër. 3. Das Demonstrativum: Es zeichnet sich durch Betontheit und Dehnung aus. Sämt- liche Formen werden mit Nachdruck verwendet. Die Dehnung wird entweder durch Vokallängung oder Konsonantenverdoppelung erreicht. Welche Dehnungsvariante an- gewendet wird, hängt von der jeweiligen Form ab: Die Formen im Nom. und Akk. aller Genera im Sing. und Plur. erfahren gewöhnlich eine Vokallängung dää, die, daas, die. Die Formen Mask. und Neutr. Sing. Dat. dëmm und im Plur. Dat. aller Genera dënne erfahren gewöhnlich eine Konsonantenverdoppelung.4 Während sich das Schweizerdeutsche in Bezug auf die Merkmale Numerus und Ge- nus nicht wesentlich vom Standarddeutschen oder anderen deutschen Dialekten un- terscheidet, erscheinen mir für den Kasus einige Besonderheiten erwähnenswert. Im Folgenden werde ich deshalb die wichtigsten Eigenheiten des Kasus kurz zur Sprache bringen. 1. Nominativ und Akkusativ: In den meisten schweizerdeutschen Dialekten sind die Nominativ- und Akkusativ-Formen von Artikel und Demonstrativum morphologisch identisch. Dies ist allerdings keine Eigentümlichkeit von Artikel und Demonstrati- vum, sondern gilt – mit Ausnahme der Personalpronomen – für alle Wortarten. In einzelnen Dialekten können Reste von Akkusativformen belegt werden, indem der Akkusativ vereinzelt entweder mit (i)n oder dn angegeben wurde (Beispiel SADS Fra- gebogen 1, Frage 3): (14) Oh, ich han in / n / dn Fritz khert choon. Kanton VS Ich habe denr Fritz kommen hören. Ausserdem wird für gewisse Verschmelzungsformen eine Akkusativform proklamiert: (15) in Himel ue in-denr Himmel hinauf (Weber 1987:103) Da eine dieser Verschmelzung zugrundeliegende Artikelform en allerdings synchron als alleinstehende Form nicht vorkommt, ist nicht eruierbar, ob diese Verschmelzungs- form tatsächlich auf eine alte Akkusativform zurückgeht oder ob nicht viel eher eine 4Die Konsonantenverdoppelung wird in der Literatur allerdings selten verschriftlicht. Während Fischer (1989) die Konsonantenverdoppelung korrekterweise transkribiert, macht Weber (1987:139) zwar darauf aufmerksam, dass eine Konsonantenverdoppelung besteht, dass er diese aber aus ästhetischen Gründen nicht verschriftlicht. 30 2. Drei Paradigmen: Normalverteilung Totalassimilation des Artikels an die Präposition in stattgefunden hat. In Dialekten, in denen die Präposition i lautet, scheint dies der Fall zu sein: (16) är wott i Himu cho Er will in ? Himmel kommen. (Marti 1985:78) Diese Totalassimilation findet allerdings nur beim Akkusativ statt, der Dativ muss ausgedrückt werden (vgl. auch das Beispiel (8)): (17) im Himu in-demr Himmel (vgl. Marti 1985:79) Unterstützung für die These, dass es sich in Beispiel (15) um eine echte Verschmel- zungsform der Präposition i mit einem akkusativischen Artikel (e)n handelt, liefern allerdings Beispiele, die zeigen, dass die Präposition mit dem nicht verschmelzbaren Artikel im Femininum i und nicht in lautet: (18) i de Schwyz in derr Schweiz (Weber 1987:103) 2. Genitiv: Im Schweizerdeutschen ist der Genitiv nur noch rudimentär vorhanden. Sowohl attributive als auch adverbiale Genitive werden meistens durch Ersatzkon- struktionen ausgedrückt. In einigen Grammatiken zu den schweizerdeutschen Dialekten werden noch Genitive erwähnt, diese werden häufig aber bereits als veraltet gekennzeichnet. Infrage kom- men nur noch pränominale Genitive und auch hier ist die Wahl des Nomens stark limitiert. Einzig Familiennamen, Verwandtschaftsbezeichnungen u.ä. können als Ge- nitivattribute verwendet werden. Diese können entweder mit Artikel (19-a) oder ohne Artikel (19-b) auftreten, häufig wird der Genitiv auch durch ein resumptives Posses- sivpronomen verdeutlicht (19-c): (19) a. der Mueter Schwöschter der Mutter Schwester (Weber 1987:102) b. Brueders Frou Bruders Frau (Hodler 1969:392) c. Meyers ire Hund Meyers ihr Hund (Hodler 1969:400) 31 2. Drei Paradigmen: Normalverteilung Darüber hinaus erscheint der Genitiv in erstarrten (elliptischen) Wendungen, bei de- nen das Kopfnomen Familie o.ä. ausgespart bleibt: (20) s Unggle Fritze (die Familie) des Onkel Fritzens (vgl. Suter 1992:63) Während die Konstruktion mit Onkel o.ä. nicht mehr produktiv ist, sind erstarrte ellip- tische Genitive mit Familiennamen (21-a) nicht nur durchaus produktiv, sondern die einzige Konstruktionsmöglichkeit. Ebenfalls noch gebräuchlich ist diese Konstruktion mit Berufsbezeichnungen (21-b) und mit Nomen wie Nachbar (21-c). (21) (vgl. Fischer 1989:316) a. s Huebers wone grad wis-a-wi des/die Hubers wohnen genau gegenüber b. s Pfeschters händ e schööne Gaarte des/die Bäckers haben einen schönen Garten c. s Nochbers send i de Feerie des/die Nachbars sind im Urlaub Die Kasusmarkierung wird allerdings nicht mehr als Genitiv wahrgenommen, son- dern als Pluralmarkierung interpretiert – ungeachtet der Tatsache, dass s-Plurale im Schweizerdeutschen beim Nomen selten sind und beim Artikel gar nicht vorkommen. Die deutsche Umgangssprache, die diese Konstruktion ebenfalls kennt, ist hier in der Entwicklung einen Schritt weitergegangen, indem sich der Artikel angepasst hat: die Meyers (vgl. zur alemannischen Konstruktion des s-Doublings Brandner 2008). 3. Dativ: Während der Akkusativ morphologisch grösstenteils mit dem Nominativ zu- sammengefallen und der Genitiv bis auf wenige Reste geschwunden ist, ist der Dativ weiterhin produktiv in Gebrauch. (22) (Marti 1985:84) a. Wi wei mir em Wätter uswiiche? Wie wollen wir demr Wetter (Gewitter) ausweichen? b. Der Mälcher isch mit der Bränte in Staal. Der Melker ist mit dem Milchbehälter in den Stall. 32 2. Drei Paradigmen: Normalverteilung Neben seinem Einsatzgebiet mit Verben (22-a) und Präpositionen (22-b), die den Dativ verlangen, dringt er ausserdem ins Wirkungsfeld des Genitivs ein. Einerseits werden viele Präpositionen, die im Standarddeutschen den Genitiv regieren, mit dem Dativ gebraucht: (23) (Weber 1987:216f) a. wääret em Ässe während des Essens (wörtlich: dem Essen) b. wäge eme Pfnüsel wegen eines Schnupfens (wörtlich: einem Schnupfen) Andererseits wird er als Ersatzkonstruktion für possessive Genitivattribute beigezo- gen (Beispiel aus SADS, Fragebogen 2, Frage 30): (24) a. em Leerer sin Hund dem Lehrer sein Hund b. de Hund vom Leerer der Hund vom Lehrer Das Genitivattribut wird entweder durch einen pränominalen Dativ (mit resumpti- vem Possessivpronomen) wie in (24-a) oder durch eine postnominale Präpositional- konstruktion ,von mit Dativ‘ ersetzt wie in (24-b). Teilweise wird der pränominale Dativ wie in (24-a) phonetisch umgedeutet zu am resp. im (vgl. Marti 1985, Weber 1987, Suter 1992), was durch die Schwäche und die a- Haltigkeit des Schwundlautes des Artikels begünstigt wird (Marti 1985). Zusätzlich wird diese Umdeutung aber auch als Verstärkung des Dativs durch die Präposition an resp. in gedeutet, die dem Artikel em vorangestellt wird und durch ihre eigene Schwäche (Weber 1987) mit diesem zu am/im verschmilzt. Vgl. für eine detaillierte Beschreibung der so genannten Präpositionalen Dativmarkierung Seiler (2003) und für eine syntaktische Analyse Penner (1993) und Penner & Schönenberger (1995). Bevor ich mich den semantisch-pragmatischen Funktionen von Artikel und Demons- trativum widme, möchte ich einige Bemerkungen zur Wortart und zur Terminologie der drei Paradigmen machen. Ich gehe dafür der Frage nach, nach welchen Kriterien eine Wortarteinteilung für Artikel und Demonstrativum vorgenommen werden kann und welche Terminologie für die drei Paradigmen gewählt werden soll. 33 2. Drei Paradigmen: Normalverteilung 2.1.2. Wortart und Terminologie Über die Wortart von Artikel und Demonstrativum herrscht in der traditionellen Gram- matik keine Einigkeit. Teilweise werden Artikel und Demonstrativum als zwei ei- genständige Grössen gesehen, teilweise werden sie gemeinsam, meistens zusammen mit dem indefiniten Artikel, Zahlwörtern und anderen Pronomen, unter eine Wortart subsumiert. Die Beweggründe für die jeweiligen Klassifizierungen sind dabei vielfäl- tig und die verschiedenen Wortart-Lehren sind bestimmten Grammatik-Schulen ver- pflichtet. Zu den bekanntesten Wortart-Lehren gehören: 1. die Zehn-Wortart-Lehre, 2. die Fünf-Wortart-Lehre und 3. die IDS-Grammatik. 1. Zehn-Wortart-Lehre: In der traditionellen Zehn-Wortart-Lehre, die ihren Ursprung in den griechischen und lateinischen Wortart-Einteilungen hat, bilden Artikel und (Demonstrativ-)Pronomen je eine von zehn Wortarten. Das konstitutive Merkmal die- ser beiden Klassen wird durch ihr Verhältnis zum Nomen bestimmt: Der Artikel ist Begleiter des Nomens, das Pronomen ist Stellvertreter des Nomens. Diese Definition bewirkt, dass ein Wort je nach syntaktischem Kontext entweder als Artikel oder als (Demonstrativ-)Pronomen klassifiziert wird: Der und dieser sind Artikel in Der / Die- ser Tisch gefällt mir und (Demonstrativ-)Pronomen in Der / Dieser gefällt mir. Eine Variante der Zehn-Wortart-Lehre bildet die Neun-Wortart-Lehre, die für den Artikel keine eigene Klasse proklamiert, sondern den definiten Artikel zu den Pronomen, den indefiniten Artikel zu den Numeralia zählt. Die Zehn-Wortart-Lehre hat verschiedentlich Kritik geerntet (vgl. z.B. Gallmann & Sitta 1996), da ihre Klassifizierungskriterien widersprüchlich, uneinheitlich und zu wenig exakt sind. Insbesondere wird nicht klar unterschieden zwischen formalen und funktionalen Kriterien. 2. Fünf-Wortart-Lehre: In der Fünf-Wortart-Lehre nach Glinz (1970-72) gehören Arti- kel und Demonstrativum zur Klasse der Pronomen. Die Klasse der Pronomen ist in zehn Untergruppen unterteilt. Sowohl der definite Artikel als auch das Demonstrati- vum bilden je eine Untergruppe. Die Glinz-Grammatik strebt eine konsequent formal gesteuerte Klassifizierung an. Pronomen werden durch die Merkmale [+ flektierbar, +deklinierbar, – festes Genus, – steigerbar] definiert. Da die morphologischen Formen ohne Einbezug ihrer Funktion klassifiziert werden, kann vermieden werden, dass ein Wort je nach syntaktischem Kontext unterschiedlich klassifiziert wird. Ungünstig bleibt hier die Subsumierung des Artikels unter die Pronomen, da der Arti- kel kein Pronomen im engeren Sinne (verstanden als Stellvertreter des Nomens) dar- stellt. Allerdings handelt sich dabei weniger um eine inhaltlich-theoretische, als um 34 2. Drei Paradigmen: Normalverteilung eine historisch bedingte terminologische Schwierigkeit, da für die Einteilung der Pro- nomen das Stellvertreter-Kriterium in der Fünf-Wortart-Lehre irrelevant ist. 3. IdS-Wortart-Lehre: Die IdS-Grammatik (vgl. Zifonun et al. 1997) ist in erster Li- nie einem funktionalen Kategorisierungsansatz verpflichtet. Sie teilt die morphologi- schen Formen der und dieser je nach ihrer Funktion (Begleiter resp. Stellvertreter) konsequent entweder den Artikeln oder den Pronomen zu. Die Form der wird als definiter Artikel klassifiziert, wenn er als Begleiter eines Nomens auftritt, und als Demonstrativ-Pronomen beim Gebrauch als Stellvertreter eines Nomens. Die Form dieser wird als Demonstrativ-Artikel bezeichnet beim Vorkommen als Begleiter ei- nes Nomens, als Demonstrativ-Pronomen hingegen in der Funktion der Objekt-Deixis beim Gebrauch als Stellvertreter (Proterm) für eine Nominalphrase. Diese drei Ansätze machen deutlich, dass die Klassifizierung von Artikel und Demons- trativum problematisch ist, da verschiedene Kriterien beigezogen werden können: 1. können die Paradigmen nach rein morphologischen Kriterien voneinander unterschie- den werden (der, dieser resp. im Schweizerdeutschen de, dä, dää), 2. können sie danach beurteilt werden, in welcher syntaktischen Funktion (als Begleiter oder Stellvertreter) sie auftreten und 3. können sie nach ihrer semantischen Funktion unterteilt werden (Determinative und Demonstrativa). Da sich diese Kriterien für Artikel und Demons- trativum überschneiden, entstehen terminologische Schwierigkeiten. Zwar treten die Elemente, die normalerweise als Artikel gelten, für gewöhnlich als Begleiter auf und Elemente, die als Pronomen klassifiziert werden, treten, wie ihr Name schon sagt, als Pronomen auf. Allerdings kann der Artikel in speziellen Fällen auch als Stellvertreter verwendet werden: (25) Der hat mir grade noch gefehlt! Aus diesem Grund wird die Form der in einigen Grammatiken als Homonym behandelt und je nach Kontext als definiter Artikel oder als Demonstrativum klassifiziert. Im Gegenzug können Pronomen in gewissen Fällen auch als Begleiter auftreten: (26) a. wir Idioten b. dieser Idiot Die Form dieser kann demnach einmal als Demonstrativ-Artikel und einmal als De- monstrativ-Pronomen bezeichnet werden (vgl. Zifonun et al. 1997). Obwohl eine solche Terminologie durch ihre Konsistenz besticht, werde ich aus verschiedenen Gründen davon abweichen. 35 2. Drei Paradigmen: Normalverteilung Ich werde im Folgenden für die Bezeichnung der drei Paradigmen für Artikel und De- monstrativa im Schweizerdeutschen von einem morphologischen Kriterium ausgehen: Ich spreche von reduziertem Artikel, wenn von der morphologisch reduzierten Form, wie sie in Tabelle 2.2 dargestellt ist, die Rede ist; von vollem Artikel spreche ich, wenn die morphologisch volle Form aus Tabelle 2.2 gemeint ist; von Demonstrativum spreche ich, wenn ich mich auf die betonte und gedehnte Langform aus Tabelle 2.2 beziehen will. Die Frage, welche Form welche syntaktische Funktion übernehmen kann und muss resp. in welchem syntaktischen Kontext (mit Nomen, ohne Nomen, mit ande- ren Ergänzungen etc.) welche Form auftritt, möchte ich gesondert behandeln. Ebenso erachte ich die semantische Funktion resp. die Frage, in welchen Gebrauchskontex- ten (phorisch, deiktisch etc.) eine Form verwendet werden kann, als eine Frage, die unabhängig von der Form beantwortet werden muss.5 Konsequenterweise wäre demnach für die betonte und gedehnte Langform eine Be- zeichnung zu wählen, die nichts darüber aussagt, ob die Form einen Begleiter oder Stellvertreter darstellt und in welchen Gebrauchskontexten sie auftritt, wie z.B. ge- dehnter/betonter Artikel. Da ich mit dieser Benennung aber zu sehr von gängigen Be- zeichnungen abweichen würde, verwende ich statt dessen die Bezeichnung Demons- trativum.6 Diese Benennung sagt einzig etwas darüber aus, dass die betonte und ge- dehnte Form einen demonstrativen Charakter hat. Es wird nicht festgelegt, ob sie als Begleiter oder Stellvertreter eingesetzt wird und welche semantisch-pragmatische Funktion sie einnimmt. Den Schnitt zwischen den drei Paradigmen mache ich aus zwei Gründen nicht zwi- schen Artikel einerseits und schwachem und starkem Demonstrativum andererseits (wie dies in den traditionellen Grammatiken zu den schweizerdeutschen Dialekten ge- macht wird, vgl. Kapitel 4.1.1), sondern zwischen (reduziertem und vollem) Artikel und Demonstrativum: Erstens folge ich damit der Tradition, die in der Literatur zu den Artikelparadigmen verschiedener deutscher Dialekte und anderer Sprachen ge- macht wird (vgl. Kapitel 5.1 und Kapitel 5.2). Dadurch können besser Vergleiche ange- stellt und terminologische Missverständnisse vermieden werden. Zweitens weist der 5Diese Vorgehensweise ist vergleichbar mit der Klassifizierung von Adjektiven als Adjektive, unabhän- gig davon, in welcher Funktion sie auftreten: (i) a. Das schöne Haus. attributiv b. Das Haus ist schön. prädikativ c. Mirjam schreibt schön. adverbial 6Die Benennung Demonstrativum für dieser, jener etc. ist in der Literatur weitverbreitet (vgl. etwa Nüb- ling 1992 oder Himmelmann 1997). Allerdings wird diese Bezeichnung zumindest im englischen Sprach- raum nicht nur für Demonstrativa im engeren Sinn, sondern für alle deiktischen Elemente verwendet (vgl. etwa Kaplan 1989, Perry 1977, 1997). 36 2. Drei Paradigmen: Normalverteilung volle Artikel im Schweizerdeutschen das konstitutive Merkmal des demonstrativen Charakters von Demonstrativa nicht auf. Obwohl die drei behandelten Paradigmen ei- ne heterogene Menge von Artikeln und Demonstrativa darstellen, werde ich bisweilen der Einfachheit halber verallgemeinernd von Artikelparadigmen sprechen. Für die Ab- grenzung von anderen Determinierern spreche ich auch von Definit-Determinierern, um allgemein auf die drei Paradigmen Bezug zu nehmen, und von Definitartikel ins- besondere, um den definiten Artikel vom indefiniten zu trennen. Zusätzlich zu den dargestellten Schwierigkeiten bei der Klassifizierung stellt sich ein weiteres terminologisches Problem: In der traditionellen Grammatik wird wie bereits erwähnt zwischen den zwei Funktionen Begleiter und Stellvertreter unterschieden. Diese Bezeichnungen machen die Sichtweise der traditionellen Grammatik deutlich: Ausgegangen wird vom Nomen als Hauptakteur der Nominalphrase; der Artikel oder ein Pronomen dient als Begleiter oder Stellvertreter dieses Nomens. In der Generati- ven Grammatik wird seit der DP-Hypothese (vgl. Kapitel 8) davon ausgegangen, dass nicht das Nomen, sondern der Artikel (der Determinierer) den Kopf eines nominalen Ausdrucks darstellt. Aus dieser Perspektive ist es natürlich wenig sinnvoll, von Be- gleiter und Stellvertreter zu sprechen. Zur Unterscheidung von Artikel und Pronomen wird in der Generativen Grammatik stattdessen das formale Kriterium der Transiti- vität herangezogen: Verlangt der Determinierer eine Ergänzung (ein Nomen), so ist er transitiv, tritt er ohne Ergänzung auf, so ist er intransitiv. Mit diesem Kriterium wird es möglich, Artikel und Pronomen unter eine Kategorie zu subsumieren: Beide gehören zur Kategorie D(eterminierer), der Artikel bildet prototypisch eine transitive DP, das Pronomen eine intransitive. Gelegentlich können Artikel aber auch intransitiv (oder detransitiviert) und Pronomen transitiv auftreten (vgl. (25) und (26-b)). In dieser Konzeption erscheint die Bezeichnung Pronomen ungünstig. Deshalb wird von eini- gen AutorInnen dafür plädiert, stattdessen von Pro-Dets zu sprechen (vgl. etwa Olsen 1991). Im nächsten Abschnitt werde ich der Frage nachgehen, in welchen Gebrauchskon- texten die drei morphologischen Paradigmen reduzierter Artikel, voller Artikel und Demonstrativum auftreten können. Dafür werde ich zuerst klären, welche Aufgabe Definit-Determinierer in der Nominalphrase generell übernehmen, anschliessend wer- de ich die drei zentralen Funktionen beschreiben. 2.2. Die Funktionen Die Aufgabe eines Determinierers besteht in der Determination, d.h. er macht das Nomen zu einer Nominalphrase und legt dadurch sein Denotat fest (vgl. dazu Kolde 37 2. Drei Paradigmen: Normalverteilung 1996:27-50). Die Determination kennt zwei Referenzweisen: die indefinite und die de- finite. Bei der indefiniten Determination wird das Referenzobjekt durch den Indefinit- Determinierer in den Diskurs eingeführt. Dafür muss mindestens ein Referenzobjekt bestehen, auf das der nominale Ausdruck referieren kann. Bei der definiten Determi- nation wird das Referenzobjekt durch den Definit-Determinierer als im Diskurs eta- bliert gekennzeichnet. Dafür muss genau ein (kontextuell relevantes) Referenzobjekt existieren, auf das der nominale Ausdruck Bezug nehmen kann.7 Die Gebrauchskontexte der Definit-Determinierer können unter das Konzept der Be- zugnahme subsumiert werden: Mittels eines definiten nominalen Ausdrucks kann auf ein Referenzobjekt Bezug genommen werden. Damit der Bezug glückt, muss der no- minale Ausdruck eindeutig referieren. Der Referenzakt mittels eines nominalen Aus- drucks gelingt genau dann, wenn es ein kontextuell relevantes Referenzobjekt gibt, auf das der nominale Ausdruck zutrifft. Die eindeutige Referenz kann auf verschiedene Arten erreicht werden. Entweder re- feriert der nominale Ausdruck intrinsisch („von sich aus“) eindeutig oder es braucht eine Identifikationshilfe. Im ersten Fall ist unser Wissen über die Welt so beschaf- fen, dass wir den nominalen Ausdruck als intrinsisch eindeutigen erkennen und keine zusätzliche Identifikationshilfe nötig ist. Im zweiten Fall brauchen wir entweder ei- ne innertextuelle oder eine ausserprachliche Hilfestellung für die Identifikation des Bezugsobjekts.8 Die Bezugnahme mittels eines nominalen Ausdrucks auf einen Ge- genstand kann so in drei Grossbereiche unterteilt werden: 1. Bezugnahme mit Rekurs auf Wissen 2. Bezugnahme mit Rekurs auf Text 3. Bezugnahme mit Rekurs auf Welt 7Russell (1905) hat für die Interpretation definiter nominaler Ausdrücke eine Existenz- und eine Einzig- keitsbedingung festgelegt: Bei der Bezugnahme mittels eines definiten nominalen Ausdrucks auf einen Gegenstand muss gewährleistet sein, dass mindestens ein solcher Gegenstand und höchstens ein sol- cher Gegenstand existiert. Da die Einzigkeitsbedingung aber häufig nicht eingelöst werden kann, sind alternative Vorschläge gemacht worden, wie diese Bedingung formuliert werden könnte. Das Konzept der Einzigkeit wird dabei durch Konzepte wie Identifizierbarkeit, Familiarität oder Salienz abgelöst. Vgl. die Ausführungen zum Konzept der Einzigkeit und zu alternativen Vorschlägen in Kapitel 8.2.1.2. 8In der Literatur werden innertextuelle und aussersprachliche Identifikationshilfen häufig unter eine Klasse der Bezugnahme subsumiert. Sie werden als kontext-definit (Krifka 1984) oder pragmatisch- definit (Löbner 1985) bezeichnet und von welt-definit (Krifka 1984) resp. semantisch-definit (Löbner 1985) abgegrenzt. Für die Analyse der Definit-Determinierer eignet sich eine detailliertere Klassifizie- rung, wie ich sie hier vornehme, besser, da dadurch die Paradigmen des Artikels und des Demonstrati- vums besser voneinander abgegrenzt werden können. 38 2. Drei Paradigmen: Normalverteilung Diese drei Bereiche können ihrerseits nach der genauen Art des Rekurses teilweise weiter in Untergruppen unterteilt werden. Ich werde die drei Bereiche und ihre Fein- gliederung in den nächsten Abschnitten ausführen. Es stellt sich die Frage, ob die im Folgenden behandelten „Funktionen“, „Gebrauchs- kontexte“ oder „Verwendungsweisen“ der Semantik oder der Pragmatik der Definit- Determinierer zuzuordnen sind. Dies zu beantworten ist gerade im Falle von Definit- Determinierern nicht leicht. Entweder gehört die jeweilige Funktion zur Bedeutung des jeweiligen Paradigmas resp. sie macht die Bedeutung desselben aus oder sie spie- gelt den aktuellen Gebrauch einer Form wider. Bei so genannten Funktionswörtern, die häufig einer von der Pragmatik losgelösten eigenständigen Semantik entbehren, wird in einem gewissen Sinne Semantik und Pragmatik gleichgesetzt.9 Diese Problematik wird unterschiedlich gehandhabt: Entweder werden die zur Debat- te stehenden Gebrauchskontexte klar der Semantik zugeordnet oder sie werden in die Pragmatik verschoben – oder es wird nicht eindeutig unterschieden resp. die Proble- matik nicht thematisiert. Einige (allen voran Löbner 1985, vgl. auch Löbner 2005) benützen die Unterscheidung zwischen semantisch und pragmatisch, um die verschie- denen Funktionen voneinander abzugrenzen. Andere erachten dieses Problem für die vorliegende Diskussion als irrelevant und deshalb als vernachlässigbar: Wesentlich ist die Bestimmung der Gebrauchskontexte für die verschiede- nen Arten von D-Elementen. Ob die Faktoren, die den Gebrauch eines ge- gebenen D-Elements bestimmen, im engeren Sinne als semantisch oder als pragmatisch zu bezeichnen sind, ist für die anstehende Thematik unerheb- lich. Mit der hier häufig benutzten Formulierung semantisch-pragmatisch wird der weitverbreiteten Ansicht Rechnung getragen, daß sowohl seman- tische wie pragmatische Faktoren für den Gebrauch von D-Elementen eine Rolle spielen. (Himmelmann 1997:34) Ich halte mich diesbezüglich an Himmelmann und werde allgemein von (semantisch- pragmatischen) Gebrauchskontexten resp. Funktionen sprechen, wo eine Unterschei- dung für die Debatte nicht relevant ist. Die Büchse der Pandora soll nur geöffnet wer- den, wo eine differenziertere Beschreibung nachweislich gewinnbringend erscheint. 9Allerdings werden diesbezüglich teilweise klare Unterschiede gemacht zwischen dem Artikel einer- seits, dem als Funktionswort jegliche Semantik abgesprochen wird, und dem Demonstrativum anderer- seits, dem eine Semantik zugesprochen und das dadurch zu den Inhaltswörtern gezählt wird (vgl. Giusti 1997:105 und 111). 39 2. Drei Paradigmen: Normalverteilung Im Folgenden werde ich zuerst die Funktionen beschreiben. Anschliessend werde ich erläutern, welches Paradigma für welche Funktionen eingesetzt werden kann.10 2.2.1. Bezugnahme mit Rekurs auf Wissen Bei der Bezugnahme mit Rekurs auf (Allgemein-)Wissen wird auf allgemein Bekann- tes, Nahe- und Nächstliegendes verwiesen. Das Wissen des Hörers über die Welt im Allgemeinen oder über eine bestimmte Situation ermöglicht die mühelose Interpreta- tion des nominalen Ausdrucks. Die erfolgreiche Bezugnahme auf das intendierte Re- ferenzobjekt kann ohne zusätzliche Identifikationshilfe gewährleistet werden. Auer (1981) und später Bisle-Müller (1991) haben für diese Klasse deshalb die Bezeichnung En-passant-Referenz geprägt. Die Eindeutigkeit der Referenz kann auf unterschiedliche Arten erreicht werden. Ich unterscheide in Anlehnung an Christopherson (1939), Hawkins (1978), Löbner (1985) und Himmelmann (1997) vier verschiedene Verwendungsweisen: absolut-unik, situativ- unik, assoziativ-anaphorisch und generisch.11 1. Absolut-uniker Gebrauch: Bei der absolut-uniken Verwendungsweise ist der defini- te nominale Ausdruck so beschaffen, dass er intrinsisch auf genau ein Referenzobjekt Bezug nimmt. Prototypischer Vertreter dieser Kategorie ist der Eigenname, aber auch Namen für (in unserer Welt) einmalige Objekte wie Mond werden absolut-unik ver- wendet: (27) a. (Die) Sara hat sich gestern freigenommen.12 b. Der Mond ist hinter einer Wolke verschwunden. Dabei ist es unerheblich, ob der nominale Ausdruck im Singular oder im Plural steht. Beim Plural gibt es zwar nicht ein einziges Element als Referenzobjekt; aber es wird auf alle Elemente, die als Referenzobjekte infrage kommen, als einschliessende Menge referiert. Hawkins (1978) nennt dies die Bedingung der Inkludiertheit: Bei definiten Ausdrücken muss auf alle potenziellen Referenzobjekte einschliessend (inkludierend) 10Eine eingehendere Beschäftigung mit den möglichen grammatischen und semantischen Konzepten des Definitartikels resp. der syntaktischen Kategorie D(et) wird in Kapitel 8.2 erfolgen. Inwiefern die Ver- teilung der Artikelparadigmen auf die verschiedenen semantisch-pragmatischen Kontexte auch in der Nominalphrasensyntax ihren Niederschlag findet und damit die Korrelation zwischen Morphologie, Se- mantik und Syntax (MSSK) erfüllt, wird in Kapitel 9 beleuchtet. 11Die Benennungen und Gliederungen der verschiedenen Gebrauchskontexte variieren von Autor zu Au- tor, legen aber nahe, dass jeweils in etwa dieselben Gebrauchskontexte intendiert sind. 12Im Standarddeutschen werden Eigennamen im Gegensatz zur Umgangssprache und zu vielen Dialek- ten meist ohne Artikel verwendet. 40 2. Drei Paradigmen: Normalverteilung referiert werden. Steht der definite Ausdruck im Singular, existiert nur ein Gegen- stand, auf den referiert wird. Steht der definite Ausdruck im Plural, existieren mehre- re Gegenstände, auf die referiert wird. (28) Die Monde des Saturns kann man auf diesem Bild gut erkennen. Ebenfalls zum absolut-uniken Gebrauch gehören Bezugnahmen, die mit so genannten inalienablen Ausdrücken gemacht werden. Inalienable Ausdrücke sind Ausdrücke, die sich auf Unveräusserliches wie Arme, Beine etc. beziehen. Dabei wird kein Unter- schied gemacht, ob es tatsächlich nur ein infrage kommendes Referenzobjekt gibt, wie z.B. bei Kopf, oder ob wie im Falle von Arm eigentlich zwei Referenzobjekte zur Ver- fügung stehen. Eine Erklärung dafür scheint in der Tatsache zu liegen, dass es bei Aussagen wie in Beispiel (29) keine Rolle zu spielen scheint, dass streng genommen nicht klar ist, auf welches Bein Bezug genommen wird:13 (29) Karl hat sich das Bein gebrochen. Es wird angenommen, dass es fürs Verständnis nicht notwendig ist zu wissen, welches Bein gemeint ist – es genügt zu wissen, dass es sich um Karls Bein handelt. Dies scheint grundsätzlich einleuchtend, allerdings ist es schwerer nachvollziehbar, wenn es sich beispielsweise nicht um Karls Bein, sondern um Karls Arm handelt, da es in diesem Fall durchaus von Relevanz sein kann, ob dabei der rechte oder der linke gemeint ist. Eine Erklärung für diese Ungenauigkeit gibt es meines Wissens nicht. 2. Situativ-uniker Gebrauch: Da die absolut-unike Verwendung selten ist und häufig (selbst bei vermeintlich eindeutig uniken Kontexten, wie in Beispiel (27)) nicht aus- geschlossen werden kann, dass es streng genommen mehrere infrage kommende Re- ferenten gibt, wird der Bezugsrahmen häufig auf die aktuelle Diskursdomäne einge- schränkt. Diese Verwendungsweise wird deshalb situativ-unik genannt und von der absolut-uniken abgegrenzt, um die Einschränkung auf eine bestimmte Sprechsituati- on zu verdeutlichen: (30) Der Bräutigam trug eine knallrote Krawatte. 13Wird hingegen eine Aussage über Finger oder Zehen gemacht, von denen nicht nur zwei, sondern nor- malerweise zehn zur Verfügung stehen, wird auf den indefiniten Artikel ausgewichen: (i) Karl hat sich einen / ?*den Zeh gebrochen 41 2. Drei Paradigmen: Normalverteilung Durch unser Wissen über die Welt wird es möglich, einen situativ-uniken nominalen Ausdruck als eindeutig referierend zu erkennen: Es gibt zwar nicht nur einen einzigen Bräutigam, wir wissen aber, dass in einer Sprechsituation (in der aktuellen oder in jeder ähnlichen virtuellen Situation) normalerweise nur ein Bräutigam pro Hochzeit existiert. 3. Assoziativ-anaphorischer Gebrauch: Eine Variante der Bezugnahme unter Rekurs auf Wissen ist die assoziativ-anaphorische Verwendungsweise. Dabei wird als Allge- meinwissen vorausgesetzt, was als Frame, Script oder episodisches Wissen aufgrund einer Vorerwähnung im Text abgerufen werden kann: (31) a. Als ich ins Krankenhaus eingeliefert wurde, hat mir die Krankenschwes- ter als erstes eine Spritze gegeben. b. Ich habe gestern einen Kuchen gebacken. Die Glasur ist 1a geworden. c. Ich war gestern im Kaffee Prückel. Der seltsame Mann war wieder dort. Die eindeutige Referenz von Krankenschwester, Glasur und Mann ist hier einzig da- durch gewährleistet, dass die jeweiligen Situationen als Frame, Script oder episodi- sches Wissen abgespeichert sind. Im ersten Fall wird die eindeutige Bezugnahme er- möglicht durch das Frame Krankenhaus, im zweiten Fall durch das Script Kuchen- backen und im dritten Fall durch das episodische Wissen bezüglich eines seltsamen Mannes im Kaffee Prückel, das sich SprecherIn und HörerIn teilen. Obwohl hier auf bestehendes Wissen zugegriffen wird und die Bezugnahme dadurch eindeutig mittels Rekurs auf Wissen zustande kommt, ist diese Zuordnung nicht ganz unumstritten, da zusätzlich ein indirekter Textverweis stattfindet, indem mit Krankenschwester, Glasur und Mann assoziativ-anaphorisch auf Krankenhaus, Kuchen und Kaffee Prückel ver- wiesen wird. So wird die assoziativ-anaphorische Verwendung zwar bei Löbner (1985) unter Allgemeinwissen (dort: semantische Definitheit) verbucht, hingegen bei Breu (2004), Scholze (2007) u.a. unter Textverweis (dort: pragmatische Definitheit). Ich zäh- le sie wie Löbner zum (Allgemein)-Wissen, da die Verknüpfung des Ausdrucks mit dem Wissen über eine bestimmte Situation in diesen Fällen im Zentrum steht und nicht die anaphorische Verknüpfung des Ausdrucks mit seinem „Pseudo-Antezedens“. 4. Generischer Gebrauch: Eine weitere Teilfunktion der uniken Verwendung ist die ge- nerische Verwendung. Dabei wird auf eine Klasse oder ein Konzept (z.B. ein Begriff, eine Spezies oder ein Abstraktum) als Gesamtheit verwiesen: (32) a. Die Libelle ist vom Aussterben bedroht. b. Der Teamgeist wird bei uns grossgeschrieben. 42 2. Drei Paradigmen: Normalverteilung Bereits Hawkins (1978) hat darauf aufmerksam gemacht, dass der generische Ge- brauch zum uniken Gebrauch gezählt werden muss. Er hat in seiner Inclusiveness- Theorie argumentiert, dass bei der generischen Verwendung auf eine Totalität Bezug genommen wird. Diese Totalität entspricht einem inklusiven Set, d.h. die Gesamtheit aller Elemente einer Klasse. Auf diese Weise wird auf einen einzigen Gegenstand (als Menge) referiert. Die unike Bezugnahme auf ein Einzelding stellt dabei einen Son- derfall dar, indem die Menge hier zufällig aus genau einem Element besteht. Ähn- lich argumentiert auch Kripke (1980). Er nimmt an, dass mittels definitem nominalen Ausdruck (bei ihm mittels starren Bezeichnungsausdrücken (rigid designators)) auf so genannte Natural Kinds (wie Gattungen, Klassen) referiert werden kann. Er behan- delt damit Natural Kind Terme ebenfalls als unike Terme. Vangsnes (p.M.) geht davon aus, dass bei der generischen Verwendungsweise eine Bezugnahme auf ein Konzept (als Einzelding) stattfindet. In obigem Beispiel wird demnach auf das Konzept Libelle als Einzelding referiert. Im Unterschied zur Bezugnahme auf ein tatsächliches Ein- zelding, die in spezifischen und unspezifischen Kontexten vorkommen kann, ist die generische Verwendung auf unspezifische Kontexte beschränkt.14 Ich werde weiterhin von generischer Verwendung sprechen, wenn es mir um den Unterschied geht, ob auf eine Klasse als Einzelding oder ein Indivuum als Einzelding referiert wird, auch wenn die generische Verwendung eine Teilmenge der uniken Verwendung darstellt. In der Literatur zu den Artikelfunktionen haben sich für den Rekurs auf Wissen verschiedene Bezeichnungen etabliert: monosemantisch (z.B. Heinrichs 1954), w(elt)- definit (Krifka 1984), semantisch-definit (Löbner 1985), En-passant-Referenz (Auer 1981, Bisle-Müller 1991). 2.2.2. Bezugnahme mit Rekurs auf Text Beim Rekurs auf den Text wird die eindeutige Referenz nicht durch den nominalen Ausdruck allein erreicht, sondern durch zusätzliches lexikalisches Material. Die Be- schaffenheit des nominalen Ausdrucks und das zur Verfügung stehende Allgemein- wissen beim Hörer reichen hier nicht aus. Erst durch innertextuelle Hilfestellung des Sprechers oder der Sprecherin kann die Identifikation des Referenzobjektes erfolgen. 14Viele AutorInnen behaupten, dass der Unterschied zwischen generisch und nicht generisch darin be- steht, dass die generische Verwendung der unspezifischen Lesart und die nicht generische Verwendung der spezifischen Lesart gleichkommt. Diese Gleichsetzung greift allerdings zu kurz, da mit der nicht generischen Verwendung nur gesagt wird, dass konkrete Individuen gemeint sind. Da der nicht generi- sche Verweis auch unspezifisch sein kann, sollte in diesen Fällen von partikulär oder individuell (vgl. von Heusinger 2002, Breu 2004) statt von spezifisch gesprochen werden. Ich werde in Kapitel 8.2.1.3 genauer auf das Verhältnis zwischen generisch, spezifisch und definit eingehen. 43 2. Drei Paradigmen: Normalverteilung Bei der innertextuellen Hilfestellung kann zwischen anaphorisch und kataphorisch unterschieden werden.15 1. Anaphorischer Gebrauch: Bei der anaphorischen Verwendung wird auf ein Anteze- dens im Text zugegriffen, welches die Identifikation des Referenzobjektes ermöglicht. Prototypisches Antezendens ist ein indefiniter Ausdruck, mittels dessen das Referen- zobjekt in den Diskurs eingeführt wird: (33) Am Ende unserer Strasse steht eine Kirche. Die Kirche ist vor zehn Jahren komplett ausgebrannt. Dabei ist es unerheblich, ob sich das Antezedens und die Wiederaufnahme lexikalisch genau decken. Relevant ist vielmehr, dass sie beide auf dasselbe Referenzobjekt ver- weisen und dies hinreichend nachvollziehbar ist: (34) Am Ende unserer Strasse steht eine Kirche. Das Barock-Prunkstück ist leider vor zehn Jahren komplett ausgebrannt. Einige AutorInnen rechnen auch assoziativ-anaphorische Kontexte zur anaphorischen Verwendungsweise. Bei assoziativ-anaphorischen Kontexten besteht zwar zwischen den beiden Ausdrücken („Antezedens“ und Wiederaufnahme) eine anaphorische Be- ziehung, das Referenzobjekt wechselt aber: (35) Am Ende unserer Strasse steht eine Kirche. Die Sakristei ist leider vor zehn Jahren komplett ausgebrannt. Wie bereits erwähnt, rechne ich diese Verwendung nicht zur innertextuellen, sondern zur uniken Verwendung, da das Allgemeinwissen, das für die Referenzfindung vonnö- ten ist, in diesen Fällen im Zentrum steht. Das Referenzobjekt kann nur ausgemacht 15Neben den Begriffen anaphorisch für den Rückverweis und kataphorisch für den Vorverweis werden endophorisch, exophorisch und verallgemeinernd phorisch unterschieden. Unter der Bezeichnung pho- risch werden sämtliche innertextuellen Verweise zusammengefasst. Endophorisch wird entweder wie phorisch als Überbegriff für sämtliche innertextuellen Verweise verwendet oder für den Verweis auf einen folgenden Relativsatz. Exophorisch wird verwendet, um den aussersprachlichen Verweis zu be- zeichnen. Neben den erwähnten Kategorien für unterschiedliche Formen der Phorizität werden manch- mal zusätzlich anadeiktische und katadeiktische Verweise unterschieden (vgl. z.B. Duden 2005, Zifonun et al. 1997). Ich spreche von phorisch, wenn ich sämtliche innertextuellen Verweise meine, und von anaphorisch und kataphorisch, wenn die Verweisrichtung gekennzeichnet werden soll. Da eine weitere Unterscheidung in anadeiktisch und katadeiktisch für mein Vorhaben nicht notwendig ist, verzichte ich auf diese Begriffe. 44 2. Drei Paradigmen: Normalverteilung werden, wenn man weiss, dass jede Kirche eine Sakristei hat. Fehlt dieses Wissen, so wird die anaphorische Verknüpfung gar nicht wahrgenommen. 2. Kataphorischer Gebrauch: Im Gegensatz zur anaphorischen Verwendungsweise, bei der ein Rückverweis stattfindet, wird bei der kataphorischen Verwendungsweise auf noch folgendes lexikalisches Material verwiesen (der kataphorische Verweis auf einen Relativsatz wird manchmal auch als endophorisch bezeichnet): (36) Das Buch, das ich mir gestern gekauft habe, ist Schrott. Erst durch die zusätzliche Identifikationshilfe in Form des Relativsatzes wird es mög- lich, das Referenzobjekt zu ermitteln. In vermeintlich uniken Verwendungen, die auch durch die Einschränkung auf die Dis- kursdomäne nicht zu einer eindeutigen Referenz führen, muss der nominale Ausdruck ebenfalls durch zusätzliches lexikalisches Material angereichert werden, damit nur noch ein infrage kommender Referent zur Verfügung steht: (37) a. Sara kam heut wieder zu spät. Also, meine Arbeitskollegin meine ich... b. Der Mond, der um die Erde kreist, ist grösser, als die Monde, die um den Mars kreisen. Bei der anaphorischen und kataphorischen Verwendung wird der „richtige“ Referent gegen potenzielle Referenten abgegrenzt. Diese potenziellen Referenten bestehen häu- fig aber nur virtuell. Um Missverständisse auszuräumen und um ganz sicher zu gehen, wird die Identifizierbarkeit des Referenten durch lexikalisches Material gewährleis- tet, auch dann, wenn keine greifbaren „Konkurrenten“ bestehen. Einen Spezialfall der kataphorischen Verwendung stellen aber kontrastive Kontexte dar. Bei kontrastiven Kontexten bestehen die möglichen Referenten nicht nur virtuell, sondern realiter: (38) Nein, ich meine nicht das Buch, das auf dem Tisch liegt, sondern das Buch, das neben meinem Bett liegt. In einer Situation, in der ich jemanden bitte, mir ein Buch zu reichen, kann es es- sentiell sein, dass ich es von anderen Büchern, die sich ebenfalls in greifbarer Nähe befinden, abgrenze. Im Falle eines bereits entstandenen Missverständnisses, kann es sein, dass im Nachhinein eine genauere Bestimmung durch einen kataphorischen Ver- weis erbracht werden muss. 45 2. Drei Paradigmen: Normalverteilung Die Bezugnahme mit Rekurs auf den Text wird in der Literatur zu den Artikelfunktio- nen auch unter k-definit für kontext-definit oder t-definit für text-definit (Krifka 1984) und pragmatisch-definit (Löbner 1985) erfasst. 2.2.3. Bezugnahme mit Rekurs auf Welt Bei der Bezugnahme mit Rekurs auf die Welt kann durch den nominalen Ausdruck al- lein das Referenzobjekt nicht genügend lokalisiert werden. Im Gegensatz zum Rekurs auf den Text wird hier als Identifikationshilfe ein ostensiver Akt eingesetzt. Dies wird durch ein deiktisches Element (ein Demonstrativum) und eine Zeigegeste erreicht: (39) Dieses Stück Kuchen gehört Hannes! (+ Zeigegeste) Zur Verdeutlichung bei der Lokalisierung wird häufig ein Zeit- resp. Ortsadverb ange- hängt: (40) Dieses Stück Kuchen da (auf dem Tisch) gehört Hannes! Insbesondere zur Auseinanderhaltung verschiedener Referenzobjekte – bei explizit kontrastiven Kontexten – können diese Ortsadverbien differenzierend eingesetzt wer- den: (41) Dieses Stück Kuchen da (auf dem Tisch) gehört Hannes. Dieses Stück dort (auf der Ablage) kannst du haben. In vielen Sprachen und Dialekten wird die deiktische Bezugnahme je nach Ort des Bezugsobjekts resp. seiner Distanz zur sprechenden Person (der Sprech-Origo) durch unterschiedliche sprachliche Elemente realisiert. So stehen im Deutschen zwei De- monstrativa zur Unterscheidung von proximaler und distaler Bezugnahme zur Verfü- gung: (42) Dieses Stück Kuchen (auf dem Tisch) gehört Hannes. Jenes Stück (auf der Ablage) kannst du haben. 46 2. Drei Paradigmen: Normalverteilung 2.2.4. Zusammenfassung Wir haben gesehen, dass mit einem definiten nominalen Ausdruck auf ein (im Diskurs bereits etabliertes) Referenzobjekt Bezug genommen werden kann. Damit der Refe- renzakt glückt und aus einer Menge von möglichen Referenten der richtige Kandidat ausgewählt wird, muss der definite nominale Ausdruck eindeutig referieren. Die ein- deutige Referenz kann gewährleistet werden, wenn (in der Diskursdomäne) nur ein Referenzobjekt existiert, auf das der Ausdruck zutrifft. Mit dieser Bedingung wird der Einzigkeitsbedingung für nominale Ausdrücke nach Russell (1905) Rechnung getra- gen. Wie gezeigt worden ist, kann die Anforderung der eindeutigen Referenz auf unter- schiedliche Weise erfüllt werden: 1. Bezugnahme unter Rekurs auf Wissen: Der nominale Ausdruck referiert intrinsisch auf genau ein Element. 2. Bezugnahme unter Rekurs auf Text: Der nominale Ausdruck wird durch lexikalisches Material angereichert, damit die Menge der möglichen Referenten auf ein Element reduziert werden kann. 3. Bezugnahme unter Rekurs auf Welt: Der nominale Ausdruck wird durch einen ostensiven Akt angereichert, damit die Menge der möglichen Referenten auf ein Element reduziert werden kann. Der erste Fall liegt vor, wenn durch Allgemeinwissen eruiert werden kann, dass es nur ein Referenzobjekt gibt, auf das der Ausdruck Bezug nehmen kann. Der zweite Fall liegt bei einem Rekurs auf frühere oder folgende Textstellen vor. Der dritte Fall liegt beim deiktischen Zeigen auf die Aussenwelt vor. Der Text-Rekurs und der Welt-Rekurs ähneln sich darin, dass es (vorerst) mehrere potenzielle Referenzobjekte gibt und nur durch eine zusätzliche Identifikationshilfe die eindeutige Referenz gewährleistet wer- den kann. Der Wissen-Rekurs und der Welt-Rekurs ähneln sich darin, dass sie sich für die eindeutige Referenz auf aussersprachliche Gegebenheiten (Wissen, Welt) stützen. Die Grafik 2.1 zeigt die Gebrauchskontexte von Definit-Determinierern, wie sie in den letzten Abschnitten referiert wurden. Mit der Dreigliederung der Gebrauchskontexte in Wissen, Text und Welt unterscheidet sich mein Ansatz von anderen, die nur eine Zweiteilung vornehmen (vgl. z.B. Krifka 1984, Löbner 1985). Bei einer Zweiteilung werden die beiden Kontexte Text und Welt unter eine Kategorie subsumiert. Da ich für die Funktionen der Definit-Determinierer 47 2. Drei Paradigmen: Normalverteilung Definit-Determinierer intrinsisch phorisch deiktisch ohne Ident.-Hilfe innertextuell ostensiv WISSEN TEXT WELT absolut- situativ- assoziativ- unik unik anaphorisch generisch anaphorisch kataphorisch Abbildung 2.1.: Gebrauchskontexte der Definit-Determinierer klar unterscheiden möchte zwischen einer deiktischen und einer phorischen Funkti- on, scheint mir die vorgeschlagene Dreigliederung gewinnbringender. Ich werde im Folgenden deshalb für die drei Gebrauchsweisen von intrinsisch, phorisch und deik- tisch sprechen. Die Definit-Determinierer bezeichne ich je nach Gebrauchskontext als intrinsisch-definit, phorisch-definit oder deiktisch-definit. 2.3. Kreuzklasse Form – Funktion Im letzten Abschnitt wurden die verschiedenen Möglichkeiten des Verweises mittels eines nominalen Ausdrucks auf ein Referenzobjekt aufgezeigt. Interessant für die Un- tersuchung des Artikelsystems im Schweizerdeutschen ist nun die Frage, ob die drei Funktionen mit den drei Artikelparadigmen (reduzierter Artikel, voller Artikel, De- monstrativum) korrelieren. Für den Nachweis einer 1:1-Korrelation zwischen Form und Funktion des Artikels (zwischen seiner morphologischen Gestalt und seiner se- mantischen Aufgabe) wäre es wünschenswert, wenn eine solche Korrelation aufgezeigt werden könnte. Die erhobenen Daten (vgl. Kapitel 4.2) legen eine 1:1-Korrelation grundsätzlich nahe und die bestehende Literatur zum schweizerdeutschen Artikel (vgl. Kapitel 4.1) unter- stützen – sofern Aussagen über die Verteilung gemacht werden – die Annahme einer Normalverteilung. Im Folgenden wird nun aufgezeigt, in welchen Gebrauchskontexten auf welches Paradigma zugegriffen wird. Das folgende Kapitel spiegelt die Normalver- teilung der drei Paradigmen wider, die Spezialfälle werden in Kapitel 3.1 behandelt. 48 2. Drei Paradigmen: Normalverteilung 2.3.1. Reduzierter Artikel: intrinsisch Die Daten belegen, dass der reduzierte Artikel prototypisch in all denjenigen Fällen verwendet wird, in denen der nominale Ausdruck intrinsisch eindeutig referiert. Dies ist der Fall bei absoluten Unika (43-a) – inkl. Eigennamen (43-b), Superlative (43-c), Unveräusserliches (43-d) –, situativen Unika (43-e), anaphorisch-assoziativen Unika (43-f) und generischen Ausdrücken – als Klassen (43-g) oder Abstrakta (43-h): (43) a. De Mond schiint hüt aber weder schöön. Derr Mond scheint heute aber wieder schön. b. E ha d Lisa geschter gfrogt. Ich habe dier Lisa gestern gefragt c. De Tim het s grööscht Schtück Chueche gnoo. Der Tim hat dasr grösste Stück Kuchen genommen. d. De Köbi het s Bei broche. Der Jakob hat dasr Bein gebrochen. e. De Schlagzüger gseet besser uus as de Sänger. Derr Schlagzeuger sieht besser aus als derr Sänger. f. I üsere Schtrooss schtoot e Chele. I de Sakrischtei het s letscht Joor brönnt. In unserer Strasse steht eine Kirche. In derr Sakristei hat es letztes Jahr gebrannt. g. De Löi esch de König under de Tier. Derr Löwe ist der König unter den Tieren. h. De Tiimgeischt werd be üüs groossgschrebe. Derr Teamgeist wird bei uns grossgeschrieben. Der charakteristische Gebrauch des reduzierten Artikels deckt sich demnach mit der ersten oben beschriebenen Funktion, der intrinsisch-uniken Verwendung. Der redu- zierte Artikel ist prototypisch intrinsisch-definit. Er entspricht somit dem „Idealfall“ der Bezugnahme und kann deshalb als Default-Artikel im Schweizerdeutschen gel- ten. 2.3.2. Voller Artikel: phorisch Der volle Artikel hingegen kann in den Fällen, in denen der nominale Ausdruck int- rinsisch eindeutig ist, gerade nicht verwendet werden. Die beiden Artikel schliessen 49 2. Drei Paradigmen: Normalverteilung sich hierin also aus. Die Daten zeigen, dass der volle Artikel vielmehr in Kontexten gebraucht wird, in denen die Referenz des Nomens nicht vollumfänglich geklärt ist und es andere potenzielle Referenzobjekte gibt. Die eindeutige Referenz wird durch einen innertextuellen Verweis gewährleistet – entweder anaphorisch (44-a) oder kata- phorisch – mit virtuellen (44-b) oder realen Konkurrenten (44-c): (44) a. Uf em Tesch liit es Buech. Das wot i lääse. Auf dem Tisch liegt ein Buch. Dasv will ich lesen. b. Das Buech, wo-n-i geschter gchouft ha, ha-n-i scho glääse. Dasv Buch, das-ich gestern gekauft habe, habe-ich schon gelesen. c. I mein ned das Buech, wo uf-em Tesch liit, sondern das im Regau. Ich meine nicht dasv Buch, das auf-dem Tisch liegt, sondern dasv im Regal. Der charakteristische Gebrauch des vollen Artikels kommt demnach der zweiten oben beschriebenen Funktion gleich, der phorischen Verwendung. Der volle Artikel ist pro- totypisch phorisch-definit. Dadurch, dass die phorische Verwendung nicht der „Ide- alfall“ der Bezugnahme ist, wird deutlich, dass der volle Artikel im Schweizerdeut- schen nicht den Normalfall darstellen kann. Er wird nur eingesetzt, wenn die Refe- renz nicht selbstverständlich klappt, sondern zusätzliche Identifikationshilfe erbracht werden muss. 2.3.3. Demonstrativum: deiktisch Das Demonstrativum wird verwendet, um einen aussersprachlichen Bezug zu erzie- len. Es ist die prototypische Realisierung des deiktischen Gebrauchs. Genau wie oben bei der deiktischen Verwendung allgemein beschrieben, wird das schweizerdeutsche Demonstrativum dää denn auch verwendet (vgl. auch die Beispiele in Kapitel 2.1.1). Es tritt auf bei der Bezugnahme mittels Zeigegeste: (45) Die Toorte ha-n-i säuber gmacht. (+ Zeigegeste) Diese Torte habe-ich selber gemacht. Es kann verstärkend ergänzt werden durch Ortsadverbien: (46) Die Toorte do ha-n-i säuber gmacht. Diese Torte da habe-ich selber gemacht. 50 2. Drei Paradigmen: Normalverteilung Ausserdem wird es wie prognostiziert in Kontrast zum distalen Bezug (mit dese ‘jener’) als proximaler Bezug gebraucht: (47) Die Toorte ha-n-i säuber gmacht, desi (em Chüeüschrangk) esch vom Sprüngli. Diese Torte habe-ich selber gemacht, jene (im Kühlschrank) ist von Sprüngli. Neben diesem charakteristischen Gebrauch des Demonstrativums werden weitere Ge- brauchsweisen unterschieden, die in Kapitel 3.1 exemplifiziert werden. 2.3.4. Zusammenfassung Zwischen den drei Funktionen und den drei Artikelparadigmen besteht eine 1:1-Korre- lation: Die drei Funktionen entsprechen den drei Paradigmen in ihrer prototypischen Verwendung. Dies zeigt Tabelle 2.3. red. Artikel voller Artikel Demonstrativum intrinsisch-definit 4 phorisch-definit 4 deiktisch-definit 4 Tabelle 2.3.: Funktionen: Paradigmen-Normalverteilung Ganz so unproblematisch, wie es bis hierhin den Anschein macht, ist die Verteilung aber nicht. Neben der aufgezeigten Normalverteilung gibt es einige abweichende Fäl- le. Zum einen ist die Zuteilung eines Gebrauchskontextes auf genau eines der drei Paradigmen nicht uneingeschränkt gegeben, zum anderen gilt es zusätzliche Fälle zu unterscheiden, die bis hierhin noch nicht berücksichtigt worden sind (und die nicht auf Anhieb in dieses funktionale Dreierschema passen). Die Forderung einer 1:1-Korrelation zwischen Morphologie und Semantik verlangt ein bikonditionales Verhältnis zwischen Form und Funktion, d.h. bei einer strikten Korre- lation darf es keine Verwischungen im Gebrauch der drei Formen und der drei Funk- tionen geben. Im Folgenden werde ich die abweichenden Fälle darstellen und unter- suchen, inwiefern diese gegen eine strikte Morphologie-Semantik-Korrelation (kurz: MSK) verstossen. 51 3. Die Spezialverteilung Im letzten Kapitel wurde gezeigt, dass für die verschiedenen Artikelparadigmen in den schweizerdeutschen Dialekten von einer Normalverteilung ausgegangen werden kann: Der reduzierte Artikel wird prototypisch in intrinsisch eindeutigen Kontexten verwendet. Der volle Artikel wird prototypisch in phorischen Kontexten eingesetzt. Das Demonstrativum wird prototypisch in deiktischen Kontexten gebraucht. Allerdings haben die Datenerhebungen gezeigt, dass Fälle existieren, die aus der be- schriebenen Normalverteilung herausfallen. Diese Spezialfälle lassen sich grob in zwei Bereiche teilen: Erstens scheinen die verschiedenen Möglichkeiten der Bezugnahme doch nicht ganz so eineindeutig auf die Artikelparadigmen verteilt zu sein. Zweitens tauchen teilweise unerwartete Artikelformen auf, wenn die Nominalphrase modifiziert wird. Im Folgenden werde ich diese Spezialfälle beschreiben – eine syntaktische Erklä- rung für diese speziellen Phänomene werde ich in Teil II dieser Arbeit versuchen. 3.1. Spezialfälle der Bezugnahme 3.1.1. Reduzierter Artikel: phorisch Wie gezeigt, unterscheiden sich der reduzierte Artikel und der volle Artikel in ihrer Normalverteilung darin, dass der reduzierte Artikel in denjenigen Fällen verwendet wird, in denen der nominale Ausdruck intrinsisch eindeutig ist, während der volle Ar- tikel in denjenigen Fällen verwendet wird, in denen der nominale Ausdruck nicht int- rinsisch eindeutig ist und deshalb als Identifikationshilfe für die eindeutige Referenz zusätzliches lexikalisches Material benötigt wird. Eine 1:1-Korrelation zwischen Morphologie und Semantik (MSK) verlangt ein bikon- ditionales Verhältnis zwischen Form und Funktion. Da die beiden Artikel je ein klar abgrenzbares Funktionsfeld abdecken, scheinen sie diese Bedingung auf den ersten Blick zu erfüllen. Die MSK für die beiden Artikelparadigmen lautet wie folgt: (1) a. Reduzierter Artikel $ intrinsisch-definiter Kontext b. Voller Artikel $ phorisch-definiter Kontext 52 3. Die Spezialverteilung Obwohl die beschriebene Normalverteilung belegt werden kann, liefern die Daten auch Gegenevidenz für eine 1:1-Korrelation. Die MSK kann grundsätzlich auf zwei Arten verletzt werden: Im ersten Fall wird eine der Formen für verschiedene Funktionen verwendet, im zweiten Fall wird eine der Funktionen von verschiedenen Formen ver- wirklicht. Diese beiden Varianten fallen hier, da genau zwei Formen (reduzierter Ar- tikel und voller Artikel) und genau zwei Funktionen (intrinsisch-definit und phorisch- definit) zur Diskussion stehen, zusammen. Allerdings muss untersucht werden, ob die bikonditionalen Beziehungen „in eine Richtung“ oder „in beide Richtungen“ auf- geweicht werden: In einer bikonditionalen Beziehung sind beide Relata hinreichende und notwendige Bedingungen für das jeweils andere Relatum. Bei einer Aufweichung der bikonditionalen Beziehung kann die Beziehung entweder zumindest konditional bleiben (d.h. das eine Relatum ist hinreichend für das andere, das andere ist notwendig für das eine), oder es herrscht keine logische Beziehung zwischen den beiden Relata. Anders ausgedrückt kann entweder eine strikte Korrelation, eine schwache Korrelati- on oder gar keine Korrelation zwischen Form und Funktion bestehen. Eine strikte Kor- relation besteht dann, wenn der reduzierte Artikel nur verwendet wird mit intrinsisch- definiten nominalen Ausdrücken und der volle Artikel nur mit phorisch-definiten Aus- drücken. Eine schwache Korrelation besteht dann, wenn zumindest eine der Formen nur in einer Funktion auftritt: Entweder wird der reduzierte Artikel nur verwendet in intrinsisch-definiten Kontexten (und der volle Artikel tritt in allen Kontexten auf) oder der volle Artikel wird nur in phorisch-definiten Kontexten verwendet (und der reduzierte Artikel tritt in allen Kontexten auf). Keine Korrelation zwischen Form und Funktion besteht, wenn beide Artikelformen sowohl in intrinsisch-definiten als auch in phorisch-definiten Kontexten verwendet werden. Dies verdeutlicht Tabelle 3.1. Beim phorischen Artikel im Schweizerdeutschen wird eine strikte MSK durch folgende Daten infrage gestellt:1 (2) Es esch emou e König gsi. De Kchönig het e Tochter ghaa. Es war einmal ein König. Derr König hatte eine Tochter. (3) Uf mim Buurehoof gets es Ross und e Hund. Sr Ross louft schnäuer as der Hund. Auf meinem Bauernhof gibt es ein Pferd und einen Hund. Das Pferd läuft schnel- ler als der Hund. (4) D Lüüt, wo-n-i vo früener kenne, wone aui nümme z Oute. Dier Leute, die ich von früher kenne, wohnen alle nicht mehr in Olten. 1Die Beispiele in diesem Kapitel stammen, wenn nicht anders vermerkt, entweder aus dem Datenkorpus der elizitierten Daten, vgl. Kapitel 4.2.1, oder aus dem Datenkorpus der Spontandaten, vgl. Kapitel 4.2.2. 53 3. Die Spezialverteilung Strikte Korrelation Reduzierter Artikel intrinsich-definit Voller Artikel phorisch-definit Schwache Korrelation Reduzierter Artikel intrinsich-definit Voller Artikel phorisch-definit Reduzierter Artikel intrinsich-definit Voller Artikel phorisch-definit Keine Korrelation Reduzierter Artikel intrinsich-definit Voller Artikel phorisch-definit Abbildung 3.1.: Mögliche Korrelationen In Beispiel (2) und Beispiel (3) wird anaphorisch auf die indefinite Nominalphrase im ersten Satz verwiesen. Obwohl der anaphorische Bezug, wie gezeigt worden ist, die prototypische Funktion des vollen Artikels darstellt, werden diese Kontexte im Schweizerdeutschen teilweise mit dem reduzierten Artikel produziert. Dadurch wird die strikte MSK aufgeweicht: Für eine strikte Korrelation darf der reduzierte Arti- kel nur mit intrinsisch-definiten nominalen Ausdrücken auftreten und die phorische Funktion darf nur vom vollen Artikel eingenommen werden. Bei Beispiel (2) könnte eingewendet werden, dass diese Datenlage nur dadurch zu- stande kommt, dass es sich bei einem Märchenanfang um ein stereotypisiertes Datum handelt, in dem der Rekurs auf Dauerwissen höher gewertet wird als der Rekurs im Text. Der stereotype Kontext wirkt sicherlich begünstigend, allerdings kann das Phä- nomen des phorischen reduzierten Artikels auch in anderen Kontexten nachgewiesen werden: (5) De Paul het es Ross gchouft. S Ross laamt. Paul hat ein Pferd gekauft. Das Pferd lahmt. Während in Beispiel (2) und in Beispiel (5) der volle und der reduzierte Artikel vorkom- men können, wird in Beispiel (3) ausschliesslich der reduzierte Artikel verwendet. Die Wahl des reduzierten Artikels wird hier durch die Koordinationsstruktur begünstigt. Dabei spielt es keine Rolle, ob die beiden Ausdrücke der Koordinationskonstruktion in 54 3. Die Spezialverteilung einem direkten Vergleichsverhältnis zueinander stehen (wie in Beispiel (3)). Es kön- nen auch zwei voneinander unabhängige Aussagen gemacht werden: (6) Uf mim Buurehoof gets es Ross und e Habersack. S Ross schtoot uf de Weid, de Habersack schtoot i de Schüür. Auf meinem Bauernhof gibt-es ein Pferd und einen Hafersack. Dasr Pferd steht auf der Weide, derr Hafersack steht in der Scheune. Steht das Referenzobjekt allerdings in direktem Vergleichsverhältnis zu anderen Ver- tretern seiner Gattung (z.B. zu den anderen Pferden im Stall), wird vorwiegend der volle Artikel verwendet (vgl. dazu auch die Beobachtungen zum friesischen Artikel in Koordinationsstrukturen in Ebert 1971b:165): (7) Das Ross, wo bem Fänschter schtoot, esch mis liebschte, das Ross be de Tüür esch chli es schwerigs. Dasv Pferd, das beim Fenster steht, ist mein liebstes, dasv Pferd bei der Tür ist ein bisschen ein schwieriges. Da in diesem Fall explizit mehrere potenzielle Referenzobjekte zur Auswahl stehen, muss dies mittels des vollen Artikels angezeigt werden. Zur eindeutigen Identifikation wird mit dem vollen Artikel kataphorisch auf den folgenden Relativsatz resp. auf die folgende Präpositionalphrase verwiesen. In Beispiel (4) wird zwar ebenfalls kataphorisch auf den folgenden Relativsatz verwie- sen, dennoch wird der reduzierte Artikel verwendet. Obwohl die kataphorische Ver- wendung wie die anaphorische zur prototypischen Funktion des vollen Artikels gehört, treten also Fälle kataphorischer Verwendung auf, die mit dem reduzierten Artikel ge- bildet werden. Diesen Fällen werde ich in Kapitel 3.4 genauer nachgehen. 3.1.2. Voller Artikel: deiktisch Der volle Artikel wird neben seiner typischen Funktion als phorischer Determinierer häufig auch in deiktischen Situationen gebraucht (mit oder ohne verstärkendes Orts- adverb): (8) Wo söl-i di Böuder (do) heschtöue? Wo soll ich diev Bilder (da) hinstellen? 55 3. Die Spezialverteilung Damit dringt der volle Artikel ins Funktionsfeld des Demonstrativums ein, wodurch eine Verwischung der MSK entsteht: Eine Form (der volle Artikel) kann zwei Funktio- nen (die phorische und die deiktische) einnehmen resp. eine Funktion (die deiktische) kann von zwei Formen (dem vollen Artikel und dem Demonstrativum) ausgedrückt werden. Für eine strikte MSK müssen zwei bikonditionale Beziehungen für die beiden For- men voller Artikel und Demonstrativum und für die beiden Funktionen phorisch und deiktisch formuliert werden können. Die MSK für den vollen Artikel und für das De- monstrativum lautet: (9) a. Voller Artikel $ phorisch-definiter Kontext b. Demonstrativum $ deiktisch-definiter Kontext Auch diese Beziehungen sind als bikonditionale formuliert also zu stark. Aufgrund der Datenlage wie in Beispiel (8) wird klar, dass auch hier nicht von einer strikten Korrelation ausgegangen werden kann. Viel eher scheint es sich um eine schwache Korrelation zu handeln.2 Dieser Umstand ist allerdings keine Besonderheit des Schweizerdeutschen. Im Stan- darddeutschen begegnet uns dieselbe Situation: (10) Wo soll ich die Bilder (da) hinstellen? Zwei Strategien können bei diesem Phänomen verfolgt werden: Entweder wird ange- nommen, dass es ein einziges lexikalisches Element gibt, das auf zwei Arten verwendet werden kann (den Artikel), oder es wird angenommen, dass es zwei lexikalische Ele- mente gibt, die homonym sind und sich einzig durch Betonung o.ä. voneinander un- terscheiden (den Definitartikel und den Demonstrativartikel). Während Bisle-Müller (1991) für die zweite Variante argumentiert und fürs Deutsche neben dem Demonstra- tivum von einem (phorischen) Artikel und einem betonten Demonstrativartikel aus- geht, plädiere ich mit Engel (2004) und Gunkel (2006) für die erste Variante, die für 2Die Frage, ob eine schwache Korrelation aufrechterhalten werden kann, d.h. ob eine konditionale Be- ziehung zwischen vollem Artikel und phorischer Verwendung besteht, kann doppelt infrage gestellt wer- den: durch den reduzierten Artikel und durch das Demonstrativum. Bei der schwachen Korrelation zwi- schen vollem Artikel / Demonstrativum und phorisch / deiktisch wie hier dargestellt, wird der reduzierte Artikel nicht mitberücksichtigt. Wie wir aber gesehen haben, kann auch der reduzierte Artikel in der phorischen Verwendung auftreten. Im nächsten Abschnitt werden wir zudem sehen, dass die Korrela- tion auch durch das Demonstrativum gestört wird. Eine Übersicht über alle Verhältnisse erfolgt unter 3.3.3. 56 3. Die Spezialverteilung den Artikel im Standarddeutschen von einem lexikalischen Element ausgeht, das pho- risch oder deiktisch verwendet werden kann. Gunkel hält die Entscheidung, für diesen Fall zwei lexikalische Elemente anzunehmen, die sich allein durch Betonung unter- scheiden, für verfehlt.3 Der MSK wäre es nicht zuträglicher von zwei Elementen aus- zugehen, da sich diese zwar in ihrer Benennung (und ihren Merkmalen) unterscheiden würden, nicht aber in ihrer Morphologie. Andererseits können zumindest beim prono- minalen Gebrauch des betonten dÈr vom gewöhnlichen Artikel abweichende Formen festgestellt werden (im Genitiv dessen, derer anstelle von des, der und im Dativ Plural denen anstelle von den). Hier kann aber argumentiert werden, dass diese Abweichung nicht auf dem Unterschied zwischen Artikel und Demonstrativum beruht, sondern auf dem Unterschied zwischen adnominalem und pronominalem Gebrauch. Im Schweizerdeutschen besteht bezüglich der morphologischen Formen eine ähnliche Situation. Der volle Artikel und das Demonstrativum unterscheiden sich (beinahe) nur durch Betonung und/oder Dehnung, einzig die Form für Fem. Nom./Akk. im Singular und für alle Genera im Nom./Akk. Plural kann sich in einzelnen Dialekten in ihrer morphologischen Form unterscheiden: di versus die. Aber auch dieser Unterschied be- steht nur im Ausdruck einer Längung. Aus diesem Grund kann gefragt werden, ob es gerechtfertigt ist, fürs Schweizerdeutsche von zwei lexikalischen Elementen aus- zugehen. In den Grammatiken zu den schweizerdeutschen Dialekten werden (wo vor- handen) zwei eigenständige Formen angenommen. Abweichend von der Situation im Standarddeutschen, wie sie Bisle-Müller (1991) u.a. beschreiben, und im Gegensatz zu der von mir vertretenen Meinung, dass es sich um einen Artikel und ein Demonstra- tivum handelt, werden dort beide Formen zu den Demonstrativa gerechnet (vgl. Marti 1985, Suter 1992, Weber 1987, Fischer 1989). Da in vielen schweizerdeutschen Dia- lekten keine eigenständige Form fürs Demonstrativum dieser existiert, liegt der Fall allerdings doch etwas anders als im Standarddeutschen: Während das Standarddeut- sche zwei verschiedene Demonstrativa für ein und dieselbe Funktion aufweisen würde (dieser und dÈr), hat in den Dialekten des Schweizerdeutschen ein Bedeutungsshift stattgefunden, so dass pro Demonstrativum nur eine Form zur Verfügung steht (dää für das proximale und dese für das distale Demonstrativum). Mangels einer besseren Alternative muss das dem vollen Artikel dä formal sehr nahestehende dää als De- monstrativum gelten. Da sich die Gebrauchskontexte, in denen dää vorkommt, mit denjenigen des Demonstrativgebrauchs im Standarddeutschen grösstenteils decken, scheint diese Annahme denn auch gerechtfertigt. 3Dieser Schluss ist meiner Meinung nach zu rigide – gibt es doch genügend Beispiele, in denen bei homonymen Formen von mehreren lexikalischen Elementen ausgegangen wird (obwohl nicht einmal ein Betonungsunterschied vorliegt), so z.B. bei der, die, das als Artikel und als Relativpronomen. 57 3. Die Spezialverteilung 3.1.3. Demonstrativum: phorisch Der umgekehrte Fall zum deiktischen Artikel besteht beim phorischen Demonstrati- vum. So wie der volle Artikel in deiktischen Kontexten auftreten kann, obwohl seine Normalfunktion die phorische ist, scheint das Demonstrativum, dessen prototypische Verwendung die deiktische ist, auch in phorischen Kontexten aufzutreten: (11) a. De König het e Tochter. Die Tochter esch schön. Der König hat eine Tochter. Diese Tochter ist schön. b. Wär esch eigentli dää Maa, wo geschter aaglüütet het? Wer ist eigentlich dieser Mann, der gestern angerufen hat? Hier wird das Demonstrativum nicht wie üblich deiktisch verwendet, sondern – wie normalerweise der volle Artikel – phorisch: In (11-a) verweist das Demonstrativum die anaphorisch auf den indefiniten nominalen Ausdruck e Tochter. In (11-b) verweist das Demonstrativum dää kataphorisch auf den folgenden Relativsatz. Allerdings ist in diesen Fällen die Grenze zwischen vollem Artikel und Demonstra- tivum nicht leicht festzustellen und das Auftreten des Demonstrativums in diesen Kontexten kann anhand von Befragungen nur schwer belegt werden. Zwar kann bei mündlichen Befragungen die Betonung und Dehnung berücksichtigt werden, wodurch eine Abgrenzung zwischen Artikel und Demonstrativum grundsätzlich möglich ist. Al- lerdings ist der Vorgabesatz in Standarddeutsch und damit notwendig suggestiv: Wird im Vorgabesatz das standarddeutsche Demonstrativum dieses (für schweizerdeutsches dää) gesetzt, so wird zwar mit dem Demonstrativum übersetzt, es kann aber nicht ga- rantiert werden, dass im Schweizerdeutschen phorische Demonstrativa spontan pro- duziert werden. Wird im Vorgabesatz der standdarddeutsche Artikel gesetzt, so wird auch mit dem Artikel übersetzt. Dass in diesen Fällen trotz vorgegebenem Artikel das Demonstrativum gesetzt wird, könnte nur erwartet werden, wenn das Demonstrati- vum die stark präferierte Variante wäre. Dies ist bei der phorischen Verwendung aber gerade nicht der Fall. Dennoch sprechen zwei Indizien dafür, dass das Demonstrativum in diesen Kontexten zumindest eine mögliche Alternative zum vollen Artikel darstellt. Erstens liegt es na- he, dass sich das Schweizerdeutsche hier ähnlich verhält wie das Standarddeutsche (vgl. Beispiel (12)) – zumindest sind die Fragen mit suggeriertem Demonstrativum auch mit dem Demonstrativum dää und nicht nur mit dem vollen Artikel dä über- setzt worden. Wäre das Demonstrativum in diesen Kontexten blockiert, so dürfte nur 58 3. Die Spezialverteilung der volle Artikel auftreten. Zweitens ist bei den Übersetzungsfragen vom Schweizer- deutschen ins Standarddeutsche in diesen Kontexten überdurchschnittlich häufig das Demonstrativum dieses verwendet worden – und zwar sowohl bei Artikel- als auch bei Demonstrativum-Vorgabe.4 Im Standarddeutschen kann das phorische Demonstrativum problemlos beobachtet werden (vgl. z.B. Himmelmann 1997:57, 72 und 83).5 (12) Der König hatte eine Tochter. Diese Tochter war schön. Da allerdings wie gezeigt der volle Artikel auch deiktisch verwendet werden kann, so wird deutlich, dass die Korrelationen zwischen vollem Artikel / Demonstrativum und phorisch / deiktisch nicht nur einseitig, sondern vollständig aufgeweicht sind. Dies führt zu dem Schluss, dass unter Berücksichtigung beider Gebrauchsweisen für Arti- kel und Demonstrativum zwischen Form und Funktion keine logische Beziehung fest- gemacht werden kann. Die MSK kann demnach weder in einem strikten Sinne (als bikonditionale Beziehung) noch in einem loseren Sinne (als konditionale Beziehung) erfüllt werden. Allerdings ist die Situation nicht ganz so hoffnungslos, wie sie nun erscheinen mag. Zwar kann die MSK nicht erfüllt werden, wenn alle Gebrauchsweisen gleichwertig berücksichtigt werden. Dennoch kann eine MSK für die Normalverteilung von vollem Artikel und Demonstrativum angenommen werden. Zudem sind neben den beschriebe- nen Verwischungen zwischen den Form-Funktion-Korrelationen auch klare Grenzen auszumachen: Erstens kann der volle Artikel nie intrinsisch-definit verwendet wer- den. Zweitens kann der reduzierte Artikel nie deiktisch-definit gebraucht werden. Nicht angezweifelt wurde bis jetzt die Korrelation zwischen reduziertem Artikel und intrinsisch-definiter Funktion. Im Folgenden werde ich auf einen weiteren Spezialfall der Bezugnahme zu sprechen kommen, der diese Korrelation eventuell ebenfalls infra- ge stellt. 4Da dieses Phänomen der „Übergeneralisierung“ allerdings nicht nur in phorischen, sondern auch in deiktischen Kontexten (mit vorgegebenem Artikel) auftritt, könnte dies auch durch die Bemühung einer „hyperkorrekten“ Übersetzung zustande kommen (vgl. dazu Kapitel 4.2.1.2). 5Obwohl die deiktische Funktion die ursprünglichste Demonstrativ-Funktion darstellt, wird in der Li- teratur der phorische Gebrauch des Demonstrativums meist mit dem deiktischen erwähnt (vgl. z.B. Himmelmann 1997:83ff, insbesondere das Schema 1997:85). 59 3. Die Spezialverteilung 3.1.4. Deixis: intrinsisch? Neben dem deiktischen und dem phorischen Gebrauch des Demonstrativums (und des deiktischen Artikels) kann eine weitere Funktion ausgemacht werden, die der intrinsi- schen Funktion des reduzierten Artikels ähnlich ist. Bei dieser Funktion geht es nicht darum,das Referenzobjekt deiktisch (oder phorisch) zu bestimmen. Es soll vielmehr ein Gegenstand als spezifisch in den Diskurs eingeführt werden (ganz ähnlich wie dies beim indefiniten Artikel der Fall sein kann) oder ausgesagt werden, dass die Referenz eigentlich bereits geklärt ist, da zwischen SprecherIn und HörerIn spezifisches Wissen besteht (ganz ähnlich wie dies beim intrinsisch-definiten Artikel der Fall ist). Anders als beim intrinsisch-definiten Artikel, bei dem die Referenz als unproblematisch gilt, kann das „intrinsische“ Demonstrativum gebraucht werden, um die Referenz zu pro- blematisieren. Der Sprecher kann andeuten, dass die Referenz zwar klar ist, dass er aber die richtige Bezeichnung für den Referenten (im Moment) nicht weiss: (13) Es get doch die Creme gäge Biibeli, wi heisst si scho weder... Es gibt doch diese Creme gegen Pickel, wie heisst sie schon wieder... Der Sprecher kann aber auch andeuten, dass er damit rechnet, dass beim Hörer Unsi- cherheiten bestehen könnten: (14) Weisch, e ha doch do die Uusböudig gmacht (das hesch scho metbecho, oder?). Weisst du, ich habe doch da diese Ausbildung gemacht (das hast du schon mit- gekriegt?). Eine Variante der problematisch intrinsischen Funktion des Demonstrativums ist der emotionale Gebrauch6, bei dem es ebenfalls nicht in erster Linie um die Referenzfin- dung geht. Vielmehr soll mit dem Demonstrativum eine Emotion ausgedrückt werden, die sowohl positiv als auch negativ sein kann: (15) a. Aso, daas Barcelona, e säg öich, dasch soo schöön gsi. Also, dieses Barcelona, ich sage euch, das war so schön. b. Dää blööd Cheib het doch vou mis Outo zu Schrot gfaare. Dieser blöde Trottel hat doch voll mein Auto zu Schrott gefahren. 6Die Benennung stammt von Hartmann (1982). In Breu (2004) wird diese Funktion emphatischer Ge- brauch genannt. 60 3. Die Spezialverteilung Anders als in den Beispielen (13) und (14) geht die Sprecherin oder der Sprecher beim emotionalen Gebrauch davon aus, dass die Referenz unproblematisch ist. Diese Funktion bleibt in den Grammatiken des Schweizerdeutschen unerwähnt. In der Literatur zu verschiedenen Dialekten und Sprachen werden allerdings Funktio- nen für das Demonstrativum (und den deiktisch verwendeten Artikel) vorgestellt, die der hier beschriebenen sehr ähnlich sind, so z.B. bei Auer (1981), Prince (1981), Bisle- Müller (1991), Himmelmann (1997), Vangsnes (1999, 2001). Die Beschreibungen und die dazu gehörenden Beispiele ähneln sich dabei stark. In den Benennungen und den Zuordnungen bestehen hingegen grössere Unterschiede. Teilweise werden auch meh- rere Teilfunktionen unterschieden. Die hier „intrinsisch“ genannte Funktion wird z.B. als anamnestisch (Himmelmann 1997, in Anlehnung an Bühler 1934) oder indefinit (Vangsnes 1999) bezeichnet oder sie wird zwar beschrieben, aber nicht explizit be- nannt (Bisle-Müller 1991). Ob sie in der Nähe des deiktischen Gebrauchs anzusiedeln ist oder nicht, wird unterschiedlich beantwortet. Es kann dafür argumentiert werden, diesen Gebrauch als deiktisch zu werten, da von einem metaphorischen Verweisfeld ausgegangen werden kann, in dem der Referent je nachdem näher oder weiter entfernt verortet wird. Himmelmann hingegen verdeutlicht mit der Bezeichnung anamnestisch (für „dem Sprecher und Hörer bekannt“, „an spezifisches Wissen erinnernd“, vgl. Him- melmann 1997:61), dass es sich bei diesem Gebrauch gerade nicht um einen deikti- schen handelt. Falls es sich hier tatsächlich um dieselbe Funktion wie beim reduzierten Artikel han- delt, wird einmal mehr die MSK für das Artikelsystem im Schweizerdeutschen unter- graben. Die Korrelation zwischen reduziertem Artikel und intrinsisch-definitem Kon- text kann nicht aufrechterhalten werden, da das Demonstrativum (und der deiktische Artikel) ebenfalls intrinsisch-definit gebraucht werden kann. Allerdings ist diese Verschiebung der Funktionsfelder nicht zu vergleichen mit der Ver- schiebung des reduzierten Artikels ins phorische Funktionsfeld des vollen Artikels und mit der Verschiebung des vollen Artikels ins deiktische Funktionsfeld des Demonstra- tivums. Bei diesen beiden Verschiebungen kommt es zu einer tatsächlichen Aufhebung der Korrelationen. Der reduzierte Artikel übernimmt in phorischer Funktion genau dieselbe Aufgabe und taucht in genau denselben Kontexten auf wie im Normalfall der volle Artikel. Der volle Artikel übernimmt in deiktischer Funktion genau dieselbe Auf- gabe und taucht in genau denselben Kontexten auf wie im Normalfall das Demonstra- tivum. An der Interpretation des nominalen Ausdrucks ändert sich durch die spezielle Artikelsetzung nichts. Beim intrinsisch verwendeten Demonstrativum resp. beim int- rinsisch verwendeten deiktischen Artikel ist dies nicht der Fall: Sie sind zwar insofern intrinsisch-definit, als die Referenz schon festgelegt ist und es nicht um die deikti- 61 3. Die Spezialverteilung sche Festlegung der Referenz geht. Aber sie übernehmen nicht dieselbe Aufgabe und die Kontexte decken sich nicht mit den Kontexten des intrinsisch-definiten Gebrauchs beim reduzierten Artikel. Vielmehr handelt es sich um spezielle problematische oder emotionale Kontexte, in denen die Aufgabe des Definit-Determinierers nicht darin be- steht, die Referenz zu klären, sondern eine zusätzliche Aussage zu machen. Die Inter- pretation des nominalen Ausdrucks ändert sich dahingehend, dass das problematische oder emotionale Verhältnis des Sprechers zum Referenzobjekt mitausgedrückt wird. Obwohl sich der intrinsische Gebrauch beim Demonstrativum und beim deiktischen Artikel vom intrinsischen Gebrauch beim reduzierten Artikel damit grundlegend un- terscheidet, werde ich von intrinsisch-definit sprechen, wenn ich diese spezielle Ge- brauchsweise meine. Um den Unterschied zu verdeutlichen werde ich aber von normal intrinsisch-definit und problematisch/emotional intrinsisch-definit sprechen. 3.1.5. Zusammenfassung Wie gezeigt, kann eine Normalverteilung für die drei Paradigmen und die drei Funk- tionen beschrieben werden: Der reduzierte Artikel ist intrinsisch-definit, der volle Ar- tikel ist phorisch-definit, das Demonstrativum ist deiktisch-definit. Neben der Nor- malverteilung können verschiedene Spezialfälle ausgemacht werden, die gegen eine strikte MSK sprechen: 1. der reduzierte Artikel kann phorisch auftreten, 2. der volle Artikel kann deiktisch auftreten, 3. das Demonstrativum (und der deiktische Artikel) können intrinsisch (oder imaginär deiktisch) auftreten. Wie gezeigt, handelt es sich bei dieser Variante des intrinsischen Gebrauchs allerdings nicht um dieselbe Variante wie beim reduzierten Artikel, da sie nur in ganz speziellen Kontexten auftritt und die In- terpretation des nominalen Ausdrucks beeinflusst. Es handelt sich demnach in diesen Fällen um einen klar beschreibbaren Grenzbereich des intrinsisch-definiten Funkti- onsfeldes. Für die Funktionsfelder können zudem Grenzen ausgemacht werden, da nicht alle For- men in allen Funktionen auftreten können: So kann der reduzierte Artikel nie deik- tisch auftreten, der volle Artikel und das Demonstrativum nie (normal) intrinsisch. Beim Demonstrativum in phorischer Funktion ist der Fall nicht so klar. Es kann nicht ausgeschlossen, aber auch nicht hinreichend belegt werden. Diese Verhältnisse zeigt Tabelle 3.1. Wird dieses Resultat anhand der MSK beschrieben, zeigt sich das Bild in Tabelle 3.2. In der Normalverteilung können drei strikte Korrelationen ausgemacht werden: redu- zierter Artikel und intrinsisch-definite Funktion, voller Artikel und phorisch-definite 62 3. Die Spezialverteilung red. Artikel voller Artikel Demonstrativum intrinsisch-definit normal 4 7 7 phorisch-definit 3 4 ? deiktisch-definit 7 3 4 probl./emot. intrinsisch-def. 7 3 3 Tabelle 3.1.: Form-Funktion-Verteilung Korrelationen deiktisch-definit X Reduzierter Artikel intrinsisch-definit X Voller Artikel phorisch-definit Demonstrativum deiktisch-definit problematisch/ emotional intrinsisch-definit Abbildung 3.2.: Ergebnis Korrelationen 63 3. Die Spezialverteilung Funktion, Demonstrativum und deiktisch-definite Funktion. Werden alle Spezialfälle berücksichtigt, bestehen keine Korrelationen: Jede Form kann mehrere Funktionen übernehmen und jede Funktion kann von mehreren Formen ausgedrückt werden. Al- lerdings gibt es Form-Funktion-Kombinationen, die nicht erlaubt sind: Der reduzierte Artikel kann nicht deiktisch-definit verwendet werden, der volle deiktische Artikel und das Demonstrativum können nicht normal intrinsisch-definit sein. Die Kombination Demonstrativum und phorische Funktion kann nicht ausgeschlossen, aber auch nicht hinreichend belegt werden. Die Kombination Demonstrativum resp. voller deiktischer Artikel und intrinsische Funktion ist nur für den Grenzbereich des problematischen oder emotionalen Gebrauchs möglich. Im Folgenden werde ich untersuchen, ob eine diachrone Betrachtung des Artikelsys- tems zur Erklärung der Form-Funktion-Verteilung von Artikelparadigmen und Arti- kelfunktionen beitragen kann. 3.2. Zur Geschichte: Entstehung und Entwicklung Zur Klärung der Funktionsfelder von Demonstrativum und Artikel ist die Entwicklung vom Demonstrativum zum Artikel und in einem weiteren Schritt zum reduzierten Ar- tikel von Interesse. Interessant ist dabei auch die Frage, aus welchen Gründen sich der Artikel überhaupt entwickelt haben könnte und inwiefern synchrone Variationen durch diachrone Entwicklungen erklärt werden können. Aus diesem Grund werde ich einige Bemerkungen zur Geschichte und zur Grammatikalisierung des Artikelsystems anbringen. Anschliessend werden die Funktionsfelder und die jeweiligen Abgrenzun- gen zwischen den Paradigmen beleuchtet. 3.2.1. Die Entstehung des Artikels Der definite Artikel geht im Deutschen aus dem Demonstrativum hervor, das aus dem Indogermanischen ererbt wurde. Ursprünglich gab es keinen Artikel – Nomen wur- den entweder artikellos oder aus emphatischen oder (text)deiktischen Gründen mit dem Demonstrativum verwendet. Erst mit der Zeit begann sich aus dem starktoni- gen Demonstrativum das (da) eine schwachtonige Form mit Artikelfunktion – der so genannte Frühartikel – zu bilden. Bis heute bleibt die Entstehungsgeschichte ein Rät- sel, deren Erforschung aber auf reges Interesse stösst:7 7Vgl. zum germanischen, althochdeutschen und mittelhochdeutschen Artikel neben Hodler (1954) auch Lühr (1991), Leiss (1994, 2000), Oubouzar (1992), Glaser (2000a), Haudry (2000), Desportes (2000). 64 3. Die Spezialverteilung Als sicher weiß man nicht viel mehr, als daß der Artikel aus dem Demons- trativum hervorgegangen ist. Über den Weg und die Etappen des Weges bis zum Artikel herrscht ziemliches Dunkel. Und doch ist dieses Problem eines der wichtigsten der deutschen und aller Grammatiken überhaupt. Der Ar- tikel greift in folgenschwerster Weise in das Gefüge der Sprache ein, ja er wirkt in gewissem Maße umgestaltend auf die Vorstellungsweise und das Denken ein. (Hodler 1954:13) Lühr (1991) zeigt auf, dass bis ins Mittelhochdeutsche flexionsmorphologisch nicht zwi- schen dem Artikel und dem Demonstrativum unterschieden werden kann: Erst im 14. Jahrhundert spaltet sich der Artikel vom Demonstrativum ab (vgl. dazu auch Dems- ke 2001, 2005). Die These einer späten Abspaltung wird durch den Umstand genährt, dass zwischen Artikel und Demonstrativum eine sehr starke Verwandtschaft besteht, die bei einer frühen Auseinanderentwicklung einer gesonderten Erklärung bedürfte (vgl. dazu die Überlegungen zu den verschiedenen Grammatikalisierungspfaden in 3.3.1.) Nicht nur über die Entwicklung des Artikels, sondern auch über die Gründe für die Entstehung eines definiten Artikels herrscht keine Einigkeit. Verschiedene Theorien versuchen in erster Linie durch unterschiedliche Funktionszuschreibungen die Ent- stehung plausibel zu machen. Im Folgenden wird auf die Entstehungsfrage anhand dreier Begründungsversuche kurz eingegangen. 3.2.1.1. Begründung I: Grammatische Merkmale Eine erste Theorie zur Artikelgenese geht davon aus, dass die Entstehung des defi- niten Artikels auf mehreren voneinander abhängigen Gegebenheiten beruht: In ei- nem ersten Schritt wird die Formenvielfalt des Indogermanischen durch die Festle- gung des freien indogermanischen Wortakzents auf die Wurzelsilbe im Germanischen stark reduziert. In Folge dessen können die grammatischen Merkmale nicht mehr un- eingeschränkt am Nomen ausgedrückt werden. Neu soll der Artikel, der durch eine Sinnverdünnung (Tschirch 1966:164) des Demonstrativs zustande gekommen ist, die- se Funktion übernehmen: [D]ie Aufgabe [...] übernimmt das Demonstrativ, das damit zum bestimmten Artikel umgeprägt wird – der Aufgabe, die ihm das grammatische System damit zuweist, hat er sich bis heute gewachsen gezeigt! (Tschirch 1966:165) 65 3. Die Spezialverteilung Andererseits sollte das Auftreten der ersten Artikelformen (in althochdeutschen Glos- sen) auch nicht als Scheinartikel (Hodler 1954:12) abgetan werden, der nur zur Kennt- lichmachung der grammatischen Merkmale, insbesondere des Kasus eingesetzt wird (vgl. Glaser 2000a:209f.). Auch synchron kann die Funktion des Artikels nicht allein im Ausdruck der grammatischen Merkmale liegen, da einerseits der Artikel nicht al- le grammatischen Merkmale uneingeschränkt ausdrücken kann und andererseits das Nomen teilweise grammatische Merkmale, mit Ausnahme des Genus, sehr wohl aus- drücken kann.8 Ebert (1978) argumentiert gegen die Ansicht, dass die Entwicklung einer ursprünglich synthetischen Struktur zu einer analytischen dadurch erklärt werden kann, dass der Ausdruck der grammatischen Merkmale durch das Nomen nicht mehr bewerkstelligt werden kann und deshalb ein Artikelsystem entsteht. Als Argument gegen diese These führt er an, dass in anderen Sprachen ein Artikel besteht, obwohl die grammatischen Merkmale noch am Nomen ausgedrückt werden konnten: So hatte zum Beispiel das Griechische oder das Gotische bereits einen Artikel, als der Flexionsrückgang noch nicht oder nur bedingt stattgefunden hatte. Dieses Argument kann zwar die These logisch nicht ausschliessen, dennoch verliert diese Erklärung für die Artikelgenese etwas an Plausibilität. 3.2.1.2. Begründung II: Definitheit Neben den grammatischen Merkmalen kommt das semantische Merkmal der Defi- nitheit als Entstehungsgrund für den Artikel infrage. Verschiedentlich wird deshalb davon ausgegangen, dass die Artikelsetzung mit der Adjektivflexion zusammenhängt (vgl. z.B. Ebert 1978): Ursprünglich war das Adjektiv für den Ausdruck der Bestimmt- heit zuständig. Die schwache Adjektivflexion kennzeichnete Bestimmtheit, die starke hingegen Unbestimmtheit der Nominalphrase. Da das Adjektiv diesbezüglich jedoch nicht in allen Fällen konsequent genug eingesetzt wurde, übernahm das Demonstra- tivum diese Funktion. Dies war möglich, weil das Demonstrativum ohnehin meistens mit schwachem Adjektiv auftrat. Für diese Aufgabe wurde das Demonstrativum durch Abschwächung seines deiktischen Merkmals zum Artikel. Mit der Zeit wurde der Ar- tikel als Zeichen von Bestimmtheit auch bei adjektivlosen Nomen eingesetzt.9 8Vgl. zu den Flexionsverhältnissen in der Nominalphrase z.B. Emonds (1985, 1987), Olsen (1989a, 1990), Gallmann (1996), Demske (2001). 9Die Adjektivflexion wurde indessen später als von der Artikelsetzung abhängig umgedeutet, wie wir das aus heutigen Grammatiken kennen: Das Adjektiv wird schwach flektiert in Nominalphrasen, die durch den definiten Artikel (oder ein stark flektierendes Pronomen) eingeleitet sind, und stark flektiert in den übrigen Fällen. 66 3. Die Spezialverteilung Allerdings wird auch diese Deutung der Artikelgenese angezweifelt (vgl. Leiss 1994, 2000). Dass der Artikel als Verstärkung der Adjektivflexion eingesetzt wurde, um Be- stimmtheit eindeutig zu markieren, verliert nach Leiss an Überzeugungskraft, wenn man bedenkt, dass viele Sprachen keine starke und schwache Adjektivflexion aufwei- sen. In diesen Sprachen kann der Ausdruck von Bestimmtheit und Unbestimmtheit demnach nicht an der Adjektivflexion festgemacht werden. Das Demonstrativum resp. der Artikel müsste in diesen Sprachen diese Funktion von Anfang an übernommen ha- ben. Da aber häufig gerade Sprachen ohne starke und schwache Adjektivflexion auch über keinen Artikel verfügen, wie etwa das Russische, bleibt auch diese Möglichkeit verwehrt. Diese Kritik halte ich für nicht durchschlagend, da zur Erklärung der Artikelgenese Sprachen mit Artikelsystem und nicht Sprachen ohne Artikelsystem und zur Abhän- gigkeit von Artikel und Adjektivflexion Sprachen mit Adjektivflexion und nicht Spra- chen ohne Adjektivflexion untersucht werden müssten. Die Abhängigkeit von Artikel und Adjektivflexion wird sonst gar nicht widerlegt, eher wird sie durch diese Argumen- tation gestützt: In Sprachen mit Adjektivflexion hängt die Artikelgenese wie beschrie- ben mit dem Ausdruck von Bestimmtheit zusammen. In Sprachen ohne Adjektivfle- xion hängt die Artikelgenese nicht mit dem Ausdruck von Bestimmtheit zusammen – eventuell hat (aufgrund dieses Umstandes) gar keine Artikelgenese stattgefunden. Bestimmtheit muss in diesen Sprachen anderweitig ausgedrückt werden. 3.2.1.3. Begründung III: Aspekt Leiss (1994, 2000) bietet eine neue Auslegung der Artikelgenese an. Indem sie die Artikelfunktion in die Nähe der verbalen Kategorie Aspekt rückt, macht sie auf einen bis anhin vernachlässigten Zusammenhang aufmerksam. Aspekt wird als am Verb ausgedrückte Kategorie verstanden, die Imperfektivität und Perfektivität von Ereignissen in Abhängigkeit von der Sprecherperspektive markiert. Es wird unterschieden zwischen imperfektivem Aspekt, bei dem ein Ereignis nicht ab- geschlossen ist, und perfektivem Aspekt, bei dem ein Ereignis abgeschlossen ist. In vielen Sprachen wird dieser Unterschied morphologisch ausgedrückt, z.B. im Russi- schen: (16) a. On kolol drova. (imperfektives Verb + Akk) Er hat Holz gespalten. b. On raskolol drova. (perfektives Verb + Akk) Er hat das Holz gespalten. (Leiss 1994:311) 67 3. Die Spezialverteilung In Bsp. (16-a) ist das Ereignis nicht abgeschlossen, in Bsp. (16-b) hingegen ist das Er- eignis abgeschlossen – im Sinne von „erledigt“, „zu Ende geführt“ (Leiss 1994:312). In der deutschen Übersetzung kann der jeweilige Aspekt der Handlung nicht am Verb festgemacht werden. Dafür entsteht beim Nomen ein entscheidender Unterschied: Nur beim perfektiven Aspekt wird der Artikel gesetzt. Nach Leiss kann im Deutschen Aspekt zwar nicht am Verb, aber durch die Setzung oder Nichtsetzung des Artikels ausgedrückt werden. Aspekt soll demnach ein Merkmal mit zwei Ausdrucksmöglich- keiten sein, oder umgekehrt formuliert, sollen Verb und Artikel zwei Realisierungs- möglichkeiten derselben Kategorie Aspekt sein. Terminologisch kann diesem Umstand Rechnung getragen werden durch die Unterscheidung von nominalem Aspekt und ver- balem Aspekt (vgl. Leiss 1994:312). Leiss (1994:319) bezeichnet „den Verlust des Aspektsystems und die Entstehung des Artikelsystems“ als „grammatischen Parameterwechsel“. Diese Formulierung macht deutlich, dass von einer Dichotomie ausgegangen wird, insofern eine Sprache immer entweder ein ausgeprägtes verbales Aspektsystem oder ein ausgeprägtes Artikelsys- tem ausgebildet hat. Diese beiden Möglichkeiten werden als Sprachtyp A(spekt) und Sprachtyp B(estimmtheit) bezeichnet und gehen einher mit weiteren dichotomischen Merkmalen wie z.B. hypodeterminierend versus hyperdeterminierend, synthetisch ver- sus analytisch (vgl. dazu ausführlicher Leiss 2000:226f.). Ob diese neuartige Verknüpfung von Aspekt und Artikel und damit die Annahme, dass der Artikel als nominaler Ausdruck der Kategorie Aspekt dienen kann, als Er- klärung für die Artikelgenese einer eingehenden Prüfung standhält, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geklärt werden. Immerhin legt aber die diachrone Entwicklung des Artikels im Deutschen nahe, dass eine Artikelgenese als Ausbildung einer nomina- len Realisierung von Aspekt infrage kommt. Im Althochdeutschen kommt es zu einer Ausdehnung des Artikels auch in definiten Kontexten und damit zu einem Wechsel von Hypodeterminierung zu Hyperdeterminierung. Das Neuhochdeutsche und das Schwei- zerdeutsche gehören als hyperdeterminierende Artikelsprachen zum Sprachtyp B. Be- sonders deutlich ist der hyperdeterminierende Charakter im Schweizerdeutschen, da hier der Artikel sogar in den als besonders redundant geltenden Kontexten, wie bei den inhärent definiten Eigennamen, gesetzt wird. Die Frage der Artikelgenese ist noch nicht zur Gänze geklärt, bis dato gibt es wie gezeigt verschiedene Erklärungsansätze. Meiner Meinung nach schliessen sich diese (zumindest theoretisch) nicht aus und wahrscheinlich ist es verfehlt anzunehmen, dass eine einzige Erklärung die Entstehung des Artikels vollumfänglich klären kann. 68 3. Die Spezialverteilung 3.2.2. Die Entstehung des reduzierten Artikels Durch weitere Abschwächung des vollen (phorischen) Artikels entstand im Schwei- zerdeutschen und anderen Dialekten ein reduzierter Artikel. Diese Reduktionsformen werden unabhängig von der morphophonologischen Umgebung in bestimmten syntak- tisch-semantischen Kontexten verwendet. In vielen Dialekten existiert der reduzierte Artikel als eigenständiges Paradigma. Einzelne Formen können in bestimmten Kon- texten lose Verbindungen oder auch feste Verschmelzungen mit Umgebungswörtern eingehen. Im Standarddeutschen ist kein eigenständiges Paradigma gegeben, es exis- tieren aber Verschmelzungsformen aus Präposition und Artikel. 3.2.2.1. Reduktion und Verschmelzung Zur Entstehung von Reduktionsformen und Verschmelzungsformen gibt es verschie- dene Hypothesen. Einigkeit herrscht darin, dass Reduktionsformen aus dem vollen Artikel entstanden sind. Sie gelten als die in der Grammatikalisierung weiter fortge- schrittenen Elemente des Definitartikels (vgl. zur Grammatikalisierung Kapitel 3.2.3). Bei der Frage, in welchem Verhältnis Reduktionsformen und Verschmelzungsformen zueinander stehen, gehen die Meinungen indessen auseinander. Drei mögliche Ent- wicklungen sind denkbar: 1. von der Reduktionsform zur Verschmelzungsform, 2. von der Verschmelzungsform zur Reduktionsform, 3. Reduktionsformen neben Verschmel- zungsformen. 1. Reduktionsformen ! Verschmelzungsformen: Die erste Option besagt, dass sich in einem ersten Schritt aus dem vollen Artikel Reduktionsformen gebildet haben. In ei- nem zweiten Schritt konnten diese Reduktionsformen akzidentiell Verschmelzungen mit Umgebungswörtern eingehen. Diese akzidentiellen Verbindungen können sich mit der Zeit zu systematischen festen Verschmelzungen entwickeln. 2. Verschmelzungsformen ! Reduktionsformen: Die zweite Möglichkeit besagt, dass der volle Artikel akzidentiell Verschmelzungen mit Umgebungswörtern eingegangen ist. Diese Verschmelzungen wurden mit der Zeit zur Bedeutungsdifferenzierung ein- gesetzt. Deshalb haben sich in einem zweiten Schritt Reduktionsformen ausgebildet, die diese Aufgabe auch in nicht verschmelzbaren Kontexten übernehmen konnten. 3. Reduktionsformen / Verschmelzungsformen: Die dritte Variante besagt, dass keine Entwicklungsrichtung besteht. Reduktionsformen und Verschmelzungsformen haben sich parallel und unabhängig voneinander entwickelt. 69 3. Die Spezialverteilung Für die erste Variante setzen sich z.B. Dedenbach (1987) oder Hartmann (1980) ein: Als Argument wird angeführt, dass eine Verschmelzung nur mit geschwächten For- men erfolgen kann. Dafür müssen diese geschwächten Formen aber bereits (als Reduk- tionsformen) bestanden haben. Schellinger (1988) oder Nübling (1992) hingegen argu- mentieren für die zweite Möglichkeit. Sie führen ein Gegenargument zur ersten Vari- ante an: Falls tatsächlich zuerst eine Abschwächung von Vollform zu Reduktionsform stattgefunden haben sollte, so müssten die verschiedenen Stufen der Abschwächung alle vorkommen. Dies ist allerdings weder in den Dialekten (vgl. Schellinger 1988:3) noch und schon gar nicht im Standarddeutschen der Fall. Für die dritte Variante hat sich meines Wissens niemand stark gemacht. Wird diese allerdings nicht allzu rigi- de (im Sinne von: gänzlich unabhängig voneinander) interpretiert, halte ich sie gar nicht für so abwegig. Ohne weiter auf diese Thematik einzugehen, würde ich behaup- ten, dass man sich gut vorstellen kann, dass sich bei einigen Formen mit günstigen morphologischen Voraussetzungen Reduktionsformen gebildet, bei anderen hingegen (in günstigen Kontexten) Verschmelzungen stattgefunden und dass sich diese beiden Prozesse auch gegenseitig beeinflusst haben. Welche Entwicklung für Reduktionsformen und Verschmelzungsformen in den schwei- zerdeutschen Dialekten anzunehmen ist, ist schwer zu beantworten. Die Tatsache, dass ein vollständiges Reduktionsparadigma besteht, das (mehr oder weniger) unge- achtet des morphophonologischen Kontextes eingesetzt werden kann, legt die erste Va- riante nahe. Ebenfalls für die erste Variante spricht, dass Schellingers und Nüblings Gegenargument für die schweizerdeutschen Daten nur bedingt gilt. Zwar bestehen synchron nicht alle Zwischenstufen der Abschwächung gleich stark nebeneinander. Es besteht aber auch keine so eindeutigen Lücken wie vielleicht in anderen Dialekten: (17) a. [das] ! [d@s] ! [@s] ! [s] b. [das] ! [d@s] ! [ds] ! [s] Da allerdings Verschmelzungen schon sehr lange existieren und es zudem nahelie- gend ist, dass in einem günstigen morphophonologischen Kontext Formen – die zudem sehr häufig miteinander auftreten – miteinander verschmelzen, scheint die erste Va- riante nicht uneingeschränkt einleuchtend. Bei der zweiten Möglichkeiten ist es frag- lich, wie alleinstehende Reduktionsformen entstehen können. Da sie als Startpunkt der Entwicklung nicht möglich sind, ist es nur schwer nachvollziehbar, wie sie später, nachdem einige Verschmelzungsformen gebildet wurden, entstehen können. Wird die dritte Möglichkeit, bei der Reduktionsformen und Verschmelzungsformen parallel ent- stehen, nicht zu rigide gefasst, sondern eher im Sinne einer gegenseitigen Beeinflus- 70 3. Die Spezialverteilung sung, stellt sie für die schweizerdeutschen Daten eventuell sogar das nächstliegende Szenario dar. Neben der Frage nach dem Verhältnis zwischen Reduktionsformen und Verschmel- zungsformen und dem Entwicklungsgang dieser Formen ist zudem von Interesse, nach welchen Gesetzmässigkeiten Verschmelzungen und insbesondere auch akzidentielle Verbindungen zwischen dem Artikel und seinen Umgebungswörter eingegangen wer- den. Des Weiteren interessiert der phonologische, morphologische und syntaktische Status des reduzierten Artikels in diesen Verbindungen. Diesen Fragen widmet sich die Kliseforschung. 3.2.2.2. Klitika Bei der Beschäftigung mit einer reduzierten Form wie dem Artikel stellt sich die Fra- ge, ob es sich dabei um ein Klitikon handelt. Der Artikel im Schweizerdeutschen in seiner reduzierten Form wäre dafür prinzipiell ein guter Kandidat. Verschiedene Mög- lichkeiten sind denkbar: – Der reduzierte Artikel stellt in seinem gesamten Paradigma und in sämtlichen Kontexten ein Klitikon dar. – Zumindest gewisse Formen des Paradigmas sind Klitika. – Nur für gewisse Kontexte muss ein Klitikon angenommen werden. – Keine der Formen des reduzierten Artikels sind Klitika. Zur Beantwortung dieser Frage werde ich eine allgemeine Bestimmung der Klise vor- nehmen, verschiedene Definitionen und Abgrenzungsversuche (einerseits zum freien Wort und andererseits zu Affixen) vorstellen und verschiedene Formen der Klise be- sprechen. Der Begriff der Klise wurde in den griechischen und lateinischen Grammatiken ge- prägt und es existiert zahlreiche Literatur (mit phonologischem, morphologischem oder syntaktischem Hauptinteresse) zum Phänomen der Klise. Dennoch ist eine De- finition nicht einfach zu finden. Einigkeit herrscht wohl nur über die grundlegende Bestimmung, dass es in vielen Sprachen Wörter gibt, die keinen klaren phonologisch- syntaktischen Status haben oder die diesbezüglich verschiedene Eigenschaften auf- weisen: Aus phonologischer Perspektive sind sie gebundene Wörter, aus syntaktischer Perspektive sind sie freie Wörter. Zwicky spricht deshalb nicht unbegründet von einem Umbrella Term: 71 3. Die Spezialverteilung It is argued here that clitic, understood in this broad fashion, is an umbrella term, not a genuine category in grammatical theory. Umbrella terms are names for problems, for phenomena that present ‘mixed’ properties of some kind, not names of theoretical constructs. [...] This conclusion does not mean that there are no constructs of theoretical interest under the umbrella of clitics. (Zwicky 1994:xiii) Berendsen (1986:143) gibt eine phonologische Bestimmung der Klitisierung wie folgt: – Klitika sind abhängig von ihrem Stützwort (Host) – Klitika sind inhärent unbetont10 – Klitika verhalten sich schizophren bezüglich normalerweise regulären wortinter- nen phonologischen Prozessen – Klitika sind für gewöhnlich monosyllabisch Worin sich „schizophrenes Verhalten bezüglich phonologischer Prozesse“ zeigt, sei hier einmal dahingestellt. Abgesehen davon sind Klitika (negativ formuliert) keine tragfä- higen Formen, sie können ausserdem nicht betont werden und sie können normaler- weise nicht mehrsilbig sein. Alle diese Kriterien treffen auf den reduzierten Artikel des Schweizerdeutschen zu. Auf den vollen Artikel treffen sie nur bedingt zu: Zwar ist auch der volle Artikel unbetont (wird er betont und gedehnt handelt es sich nicht mehr um den Artikel, sondern um das einfache Demonstrativum) und in den meisten Fällen monosyllabisch (mit Ausnahme der Dativform dere), allerdings ist er normalerweise nicht von einem Host abhängig – obwohl einige Formen wie di kaum für sich allein stehen können und deshalb mit Vorliebe auf die ausgewichen wird. Zwickys Definition (1977) liefert zusätzlich Kriterien zur Klassifizierung in einfache Klise, spezielle Klise und gebundene Wörter. Diese beruhen nicht alleine auf phono- logischen Gegebenheiten, sondern beziehen sich auf morphologische und syntaktische Faktoren: – Einfache Klitika sind Formen, die durch phonologische Reduktion aus freien Wör- tern oder Morphemen entstanden sind. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie in denselben syntaktischen Umgebungen auftreten wie ihre freien Gegenparte. D.h. diese Reduktionsformen und ihre freien Ursprungsformen stellen Varianten dar, da sie in jedem syntaktischen Kontext füreinander ausgetauscht werden können. Die beiden Formen unterscheiden sich nicht in ihrer Funktion oder ihrer Seman- tik. Einfache Klitika kommen meistens in schnellen Sprechweisen zum Tragen. 10Bayer & Lahiri (1990) zeigen, dass diese Bestimmung nicht universell sein kann, da es in Bengali emphatische Klitika gibt, die sich gerade durch die Attraktion des Akzents auszeichnen. 72 3. Die Spezialverteilung – Spezielle Klitika sind ebenfalls Formen, die durch phonologische Reduktion aus freien Wörtern oder Morphemen entstanden sind. Im Gegensatz zu einfachen Klitika sind sie jedoch nicht in jedem syntaktischen Kontext für ihre freien Ur- sprungsformen einsetzbar. Es handelt sich demnach nicht einfach um Varianten, die beiden Formen unterliegen vielmehr unterschiedlichen syntaktischen Bedin- gungen. – Gebundene Wörter sind Wörter, die nur gebunden vorkommen – in jedem syntak- tischen Kontext. Sie sind für gewöhnlich phonologisch von einem einzigen Wort abhängig, syntaktisch und semantisch hingegen von einer ganzen Phrase (wie z.B. das possessive ’s im Englischen). Klavans (1985:51) zeigt auf, welche Kriterien für diese drei Klisetypen von Relevanz sind. Vgl. dazu Tabelle 3.2. Kriterien Klise-Typ Einfache Klise Spezielle Klise Gebundenes Wort phonologisch + + + morphologisch + + + syntaktisch - + unspezifiziert semantisch - - + stilistisch + - - Tabelle 3.2.: Klisetypen nach Klavans (1985) Während die phonologische und die morphologische Bestimmung für alle drei Klise- Typen relevant ist, können diese nach Klavans anhand der restlichen drei Kriterien differenziert werden: Für die einfache Klise sind stilistische Überlegungen relevant, für die spezielle Klise ist die syntaktische Umgebung ausschlaggebend und für gebun- dene Wörter ist der semantische Kontext entscheidend. Ich gehe in dieser Einschät- zung mit Klavans einig – mit einer Ausnahme: Ihre Einschätzung, dass bei der spezi- ellen Klise das semantische Kriterium irrelevant ist, halte ich für nicht korrekt. Der Umstand, dass die spezielle Klise nicht in sämtlichen syntaktischen Kontexten mit den freien Formen austauschbar ist, beruht nicht einzig auf syntaktischen, sondern auch auf semantischen Gegebenheiten. Der Artikel erfüllt je nach syntaktischem Kon- text unterschiedliche semantische Funktionen. Je nach semantischer Funktion wird 73 3. Die Spezialverteilung (zumindest im Schweizerdeutschen und anderen Dialekten resp. Sprachen) entweder der klitische oder der freie Artikel eingesetzt.11 Da der reduzierte Artikel im Schweizerdeutschen nicht in jedem syntaktisch-seman- tischen Kontext gegen die freie Form ausgetauscht werden kann, gehört er nach dieser Definition entweder zur speziellen Klise oder zu den gebundenen Wörtern. In Kontex- ten, in denen der Artikel mit seinem Umgebungswort quasi akzidentiell verschmilzt resp. nur eine ad hoc-Verbindung eingeht, kann er zur speziellen Klise gerechnet wer- den. In Kontexten, in denen der Artikel mit seinem Umgebungswort institutionali- siert verschmilzt resp. eine konstante Verbindung eingeht (wie bei der Verschmelzung mit Präpositionen), kann er als gebundenes Wort gelten. Da beim schweizerdeutschen reduzierten Artikel verschiedene Verschmelzungen – nicht nur mit Präpositionen – vorkommen können, bin ich geneigt, ihn in allen Kontexten der speziellen Klise zu- zurechnen. Im Standarddeutschen hingegen handelt es sich in diesen Fällen eher um gebundene Wörter, da nur Verschmelzungen mit ausgewählten Präpositionen vorkom- men und ein eigenständiger reduzierter Artikel nicht existiert. Die Ansicht, dass es sich bei den Präposition-Artikel-Verschmelzungen um flektierte Präpositionen handelt (vgl. z.B. Hinrichs 1984), wird in Schellinger (1988) widerlegt. Zwar kann Schellinger nicht alle Argumente für flektierte Präpositionen ausmerzen, schliesslich geht er aber für seine Argumentation vom Prinzip der maximalen Ausgewogenheit aus: Er gibt der Klitisierung gegenüber der Flexion den Vorrang, da damit die Ausgewogenheit des Grammatikmodells weniger gestört wird (vgl. für eine ausführliche Argumentation Schellinger 1988:220-225). Neue Evidenz für flektierte Präpositionen liefert allerdings Schiering (2005) anhand von ruhrdeutschen Daten. Für eine zusätzliche syntaktische Bestimmung schlägt Klavans (1985) eine generativ- motivierte Analyse anhand dreier binärer Parameter vor (vgl. auch Riemsdijk 1999). Anhand dieser Parameter sollen alle Stellungsmöglichkeiten von Klitika eingefangen werden können: 1. Dominanz (initial vs. final) 2. Präzedenz (before vs. after) 3. Phonologische Liaison (proclitic vs. enclitic) Die ersten beiden Parameter sind syntaktischer Natur: Die Dominanz legt fest, ob die erste (initial) oder letzte (final) Konstituente einer Phrase für das Klitikon syntaktisch bestimmend ist. Die Präzedenz zeigt an, ob das Klitikon vor (before) oder nach (after) dieser Konstituente auftritt: 11Vgl. zur semantischen Funktion von Pronomen auch Cardinaletti & Starke (1999) und die Ausführun- gen in Kapitel 8.2.1. 74 3. Die Spezialverteilung (18) [KL-before HOST-initial KL-after ... KL-before HOST-final KL-after] Der dritte Parameter ist phonologischer Natur: Die phonologische Liaison bestimmt die Richtung der Klise, d.h. ob sich ein Klitikon an die folgende (proclitic) oder an die vorhergehende (enclitic) Konstituente phonologisch anlehnt. (19) [KL-proclitic] [phonologischer HOST] [KL-enclitic] Bei einigen Klitika ist diese Bestimmung für alle Kontexte dieselbe, bei anderen Kli- tika sind je nach Kontext verschiedene Kombinationen gegeben. Für den reduzierten Artikel im Schweizerdeutschen kommt folgende Parameterkonstellation infrage: Die Dominanz ist auf final festgelegt, da sich die syntaktisch relevante Konstituente (das Nomen) in der relevanten Phrase immer final befindet. Die Präzedenz ist auf before eingestellt, da der Artikel immer vor der syntaktisch relevanten Konstituente steht. Die phonologische Liasion variiert je nach Kontext. Bei einer Verschmelzung mit einer Präposition ist der Artikel enklitisch, bei einer Verschmelzung z.B. mit dem Nomen proklitisch. Allerdings kann nicht in allen Fällen mühelos geklärt werden, ob sich der Artikel pro- klitisch an das folgende Wort lehnt, z.B. an das Nomen, oder enklitisch an das vor- angehende Wort, z.B. an eine Präposition. Der Artikel kann sich zwar theoretisch an Wörter verschiedenster Wortart sowohl proklitisch als auch enklitisch anlehnen, den- noch scheinen gewisse Regelmässigkeiten zu bestehen. Der Artikel neigt zur Proklise (an das Nomen, aber auch an Adjektive, Adverben etc.), solange ihm keine Präposition vorausgeht (20). Bei vorangehender Präposition neigt er zur Enklise (21), in einigen Fällen geht er mit der Präposition – ähnlich wie im Standardeutschen – feste Verbin- dungen ein (22) (vgl. Nübling (1992:235ff):12 (20) a. Är wot sBuech. Er will dasr-Buch. b. ?Är wots Buech. Er will-dasr Buch. 12Als Testverfahren zur Klärung, ob der Artikel proklitisch oder enklitisch ist, eignet sich die Einfügung einer Sprechpause: Während in Beispiel (20) die Sprechpause zwischen Verb und Artikel gesetzt werden muss, wird sie in Beispiel (21) eher und in Beispiel (22) eindeutig zwischen Artikel und Nomen gemacht. Nübling (1992:237) zeigt ausserdem auf, dass innerhalb des Paradigmas Unterschiede bezüglich der Kliserichtung ausgemacht werden können. Der Artikel im Nom. Sing. Fem. tritt beinahe nur proklitisch auf, die übrigen Formen können je nach Kontext proklitisch oder enklitisch sein. 75 3. Die Spezialverteilung (21) a. ?uff mBoum auf demr-Baum b. uffm Boum auf-demr Baum (22) a. ??a mWääg an demr-Weg b. am Wääg an-demr Weg Nübling (1992) beschreibt für die Bestimmung der Klise fünf Kriterien, die neben den phonologischen, morphologischen und syntaktischen Bedingungen auch distributionell- selektive und semantisch-funktionale Eigenschaften miteinbeziehen: – prosodisch-phonetische Eigenschaft: Ein Klitikon zeichnet sich durch seine Ton- losigkeit und Unbetonbarkeit aus. – Vollform: Ein Klitikon lässt sich anhand seines Verhältnisses zur Vollform ein- teilen in einfache Klise bei freier Austauschbarkeit mit der Vollform und spezielle Klise bei Unaustauschbarkeit mit der Vollform oder wenn keine Vollform besteht. – Distribution und Selektivität: Ein Klitikon lässt sich anhand seines Verhältnis- ses zu seinem Host einteilen in S-Klitika bei syntaktisch bedingter Distribution ohne Selektivität und M-Klitika bei morphologisch bedingter Distribution mit grosser Selektivität. – Paradigmatizität: Ein Klitikon (und sein Host) können eigenständige Paradig- men bilden. Je lückenloser das Paradigma, desto näher ist das Klitikon beim ge- bundenen Wort (Affix resp. Flexion), je lückenhafter das Paradigma, desto näher ist das Klitikon beim freien Wort.13 – semantisch-funktionale Eigenschaft: Ein Klitikon kann dieselbe semantisch-funk- tionale Eigenschaft wie seine Vollform aufweisen (als einfache Klise) oder eine eigene semantisch-funktionale Eigenschaft haben (als spezielle Klise). Durch diese Einteilung können die verschiedenen Auftretensweisen des reduzierten Artikels (wie in den Beispielen oben) weiter klassifiziert werden: Proklitika wie in Bei- spiel (20) sind syntaktisch begründet und legen kaum Selektivität an den Tag, d.h. sie verbinden sich mit Nomen, Adjektiven, Adverben etc. In diesen Fällen liegt S-Klise vor. 13Diese Annahme ist allerdings mit der Behauptung von Zwicky & Pullum (1983) unverträglich, dass die Wahrscheinlichkeit eines lückenhaften Paradigmas bei Affixen viel grösser ist als bei freien Wörtern. 76 3. Die Spezialverteilung Enklitika können theoretisch ebenfalls S-Klitika sein, wenn sie sich z.B. an Verben an- lehnen. Dieser Fall ist allerdings selten, da Proklise bei der S-Klise dominiert. Da sich Enklitika mit hoher Selektivität mit Präpositionen verbinden, wie in den Beispielen (21) und (22), zählen sie eher zur M-Klise. Nüblings Klassifizierung trägt mit ihrer Unterscheidung in M- und S-Klise der dia- chronen Entwicklung und der fortschreitenden Grammatikalisierung von klitischen Elementen Rechnung. Sie zeigt denn auch auf, dass die klitischen Formen (im Stan- darddeutschen und im Schweizerdeutschen) im Wandel begriffen sind und auf einem „Klisekontinuum“ angeordnet werden können (vgl. Nübling 1992:248, Figur 78): Die Entwicklung läuft von der einfachen Klise über die spezielle Klise als S-Klise über die spezielle Klise als M-Klise bis hin zur Flexion. Der reduzierte Artikel erstreckt sich nach dieser Einteilung je nach Kontext von der speziellen Klise als S-Klise bis zur speziellen Klise als M-Klise. Im nächsten Abschnitt wird etwas eingehender auf die Entwicklungen und Abstufungen des Artikels eingegangen. 3.2.3. Grammatikalisierung Bestehen wie im Falle der Artikelparadigmen im Schweizerdeutschen miteinander morphologisch, syntaktisch und semantisch stark verwandte Formen, liegt die Frage nahe, wie diese voneinander unterschieden und abgegrenzt werden können. Darüber hinaus kann gefragt werden, wie der Verlauf zwischen den Formen beschaffen ist. Entweder muss von einem Kontinuum ausgegangen werden, bei dem die Grenzen zwi- schen den verschiedenen Formen fliessend sind, oder es ist eine klare Grenzziehung mit scharfen Übergängen möglich. Falls einige Formen diachron aus den anderen her- vorgegangen sind, kann untersucht werden, ob alle Stadien der Grammatikalisierung nebeneinander bestehen oder ob „alte“ Formen durch „neue“ komplett abgelöst wur- den. Im Falle des schweizerdeutschen Demonstrativ-Artikel-Systems bestehen ver- schiedene Formen nebeneinander. Hier muss nach klaren Kriterien gesucht werden, die genaue Grenzziehungen möglich und Übergangsformen beschreibbar machen. Für diese Überlegungen ist ein Blick in die Diachronie dieser Formen von Nutzen. Zu diesem Zwecke kann der Grammatikalisierungspfad analysiert werden: Erstens soll geklärt werden, welche Stufen für das Demonstrativ-Artikel-System angenommen werden. Zweitens wird untersucht, an welchem Punkt der Grammatikalisierung eine Abspaltung des Artikels wahrscheinlich ist. Drittens müssen problematische Formen thematisiert werden. Ich werde zuerst die zugrundeliegenden Grammatikalisierungs- parameter skizzieren und anschliessend anhand verschiedener denkbarer Grammati- kalisierungspfade die schweizerdeutsche Datenlage kurz beschreiben. Es können an 77 3. Die Spezialverteilung dieser Stelle keine umfassenden Studien zur Grammatikalisierung betrieben werden. Es geht einzig darum, auf der Suche nach einer Antwort auf die synchrone Datenlage diachrone Erklärungsmodelle beizuziehen. Für detaillierte Abhandlungen zum Thema verweise ich deshalb auf Lehmann (2002), Diewald (1997), Himmelmann (1997) oder Diessel (1999). 3.2.3.1. Grammatikalisierungsparameter Der Begriff der Grammatikalisierung, der auf Meillet (1912) zurückgeht (vgl. auch Givón 1979, Diewald 1997), kann wie folgt definiert werden: Diachroner wie synchroner sprachlicher Prozeß, in dem sich frei verwend- bare Lexeme und Syntagmen zu spezifischen morphosyntaktischen Struk- turen verfestigen und zu grammatischen Paradigmen ordnen; Herstellung einer stabilen Verbindung zwischen einer oder mehreren Bedeutungen und einer oder mehreren morphologischen oder syntaktischen Einheiten. Die Verbindung des betreffenden semantischen Merkmals mit einer struktu- rellen Einheit produziert ein grammatisches Paradigma, das betreffende Element gelangt aus der lexikalischen in die grammatische Ebene. (Glück 2000:256) Unter Grammatikalisierung wird demnach ein Prozess verstanden, bei dem lexika- lische freie Wörter in grammatikalische gebundene Elemente übergehen. Bei diesem Prozess findet einerseits häufig eine formale Veränderung statt und andererseits voll- zieht sich ein Bedeutungswandel. Darüber, ob immer sowohl formal als auch inhaltlich eine Veränderung stattfindet und welche der beiden Veränderungen zuerst beginnt, herrscht allerdings keine Einigkeit. Entweder geht dabei das ursprüngliche Element verloren (wie z.B. beim possessiven ’s im Englischen, vgl. Lehmann 2002:22f.), oder aber beide Formen bestehen gleichzeitig nebeneinander (wie z.B. bei have als Vollverb im Sinne von ’besitzen’ und als Auxiliarverb zum Ausdruck der grammatischen Be- deutung ’Vergangenheit’, vgl. Diewald 1997:11ff)14. 14Während im Englischen zwischen diesen beiden Verben ein formaler Unterschied besteht, indem nur beim Auxiliarverb die klitische Form ’s verwendet werden darf, nicht aber beim Vollverb (vgl. das Satz- paar in Beispiel (i)), kann der semantische Unterschied im Deutschen nicht ausgedrückt werden, da keine klitische Form für das Auxiliarverb haben existiert (vgl. das Satzpaar in Beispiel (ii)): (i) a. She has / ’s done it. b. She has / * ’s a cat. (Diewald 1997:13) (ii) a. Sie hat gelacht. b. Sie hat eine Katze. (Diewald 1997:11) 78 3. Die Spezialverteilung Die bei diesem Prozess entstehende stabile Verbindung zwischen den jeweiligen mor- phosyntaktischen Merkmalen und den semantischen Merkmalen der jeweiligen For- men unterstützt die für die verschiedenen Artikelparadigmen des Schweizerdeutschen angenommene These einer Korrelation zwischen Morphologie, Syntax und Semantik (MSSK). Kann im Folgenden gezeigt werden, dass jede Grammatikalisierungsstufe (und damit jedes Artikelparadigma) eine klar definierte morphosyntaktische und se- mantische Bestimmung hat, die sich klar von den übrigen Paradigmen unterscheidet, wäre ein entscheidender Schritt zur Stärkung der Korrelation-Hypothese geleistet. Für den formalen Wandel wird von mehreren Parametern ausgegangen (vgl. Himmel- mann 1997, Lehmann 2002). Es sind im Wesentlichen die folgenden: 1. Verlust der positionellen Variabilität 2. Koaleszenz („Verwachsung“) 3. Phonologische Erosion 4. Paradigmenbildung Je stärker ein Element in seiner positionellen Variabilität eingeschränkt ist, je weiter der Prozess von purer „zufälliger“ Anlehnung an ein Umgebungswort über den Klitik- Status zum Affix fortgeschritten ist, je stärker der formale Abbau und damit die Re- duktion der Formen vorangeschritten ist, je vollständiger sich ein eigenes Paradigma gebildet hat, desto weiter ist demnach die Grammatikalisierung fortgeschritten. Für die verschiedenen Artikelparadigmen muss also untersucht werden, wie weitgehend die Grammatikaliserungsparameter erfüllt sind, um Rückschlüsse zu ziehen auf den Grammatikalisierungsgrad der einzelnen Artikelformen. Neben diesen formalen Kriterien bestehen ausserdem verschiedene Ansätze darüber, was bei der Grammatikalisierung auf der Inhaltsseite passiert. Traditionelle Ansätze nehmen einen Bedeutungsverlust an (vgl. die Ausführungen in Lehmann 2002). Die fraglichen Formen werden abstrakter oder genereller. Zur Beschreibung dieses Be- deutungsverlustes werden Merkmale formuliert, die den ursprünglichen Formen zu- kommen (wie z.B. [deiktisch] beim Demonstrativum), um zu verfolgen, wie sich dieses Merkmal mit fortschreitender Grammatikalisierung weiterentwickelt resp. ab wann es vollständig verblasst ist (wie z.B. [deiktisch] zu [anaphorisch] zu [Ø]). Der Bedeu- tungsverlust kann mit einer Kontextausweitung einhergehen, insofern die Abschwä- chung oder der Verlust von Merkmalen die möglichen Gebrauchskontexte erweitert. Stärker grammatikalisierte Elemente sind bezüglich ihrer Merkmale weniger diffe- renziert und können deshalb in vielen Kontexten auftreten, in denen weniger gram- matikalisierte Elemente bedingt durch eine stärkere Differenzierung nicht verwendet 79 3. Die Spezialverteilung werden können (vgl. dazu Himmelmann 1997:28ff.). Neuere Ansätze gehen allerdings davon aus, dass nicht ein Bedeutungsverlust, sondern ein Bedeutungstransfer stattfin- det (vgl. die Ausführungen in Diewald 1997). Die fraglichen Formen bedeuten nicht we- niger, sondern anderes, wie dies z.B. bei Metaphern der Fall ist. Pragmatische Ansätze nehmen an, dass in erster Linie eine Konventionalisierung von Implikaturen stattfin- det, was einer Stärkung der Pragmatik und einer damit einhergehenden Schwächung der Semantik gleichkommt (vgl. dazu z.B. Hawkins 1994). Der genaue semantische Unterschied zwischen den Artikelparadigmen wird uns gleich noch einmal eingehender beschäftigen. Auch hier wäre es ein Schritt in Richtung MSSK, wenn gezeigt werden kann, dass die verschiedenen Artikelformen ihre ganz eigenen semantischen Funktionen aufweisen. Wie in Kapitel 2.3 gezeigt, kann den einzelnen Formen im Schweizerdeutschen in den Grundzügen eine bestimmte Funkti- on zugeordnet werden. In Kapitel 3.1 wurden Abweichungen dieser Normalverteilung thematisiert. Nun gilt es herauszufinden, wie die synchrone Systematik der Funkti- onsfelder genau beschrieben werden muss und welche diachronen Erklärungsansätze dafür zur Verfügung stehen. In diesem Zusammenhang ist die Frage interessant, wieweit die einzelnen Paradig- men grammatikalisiert sind. So kann z.B. die Frage gestellt werden, ob es Formen des Demonstrativums gibt, die weniger lexikalischen Gehalt und weniger lexikalische Freiheit aufweisen als das prototypische Demonstrativum. Weiter kann gefragt wer- den, inwiefern der volle Artikel bereits ein rein funktionales Element ohne lexikali- schen Gehalt ist. Ausserdem ist zu klären, wieweit der reduzierte Artikel bereits zu einem vollständig grammatikalisierten (und in der phonologischen Erosion und seiner Koaleszenz weit fortgeschrittenes) Element ist.15 3.2.3.2. Grammatikalisierungspfad Für den Grammatikalisierungsprozess wird eine Unidirektionalitätshypothese ange- nommen, die besagt, dass Grammatikalisierung immer nur in eine Richtung statt- findet: Der Pfad der Grammatikalisierung verläuft immer vom weniger grammatika- lisierten Wort zum stärker grammatikalisierten Wort – und nie rückwärts. Ein ein- mal grammatikalisiertes Wort kann nicht mehr zu seinem ursprünglichen freien lexi- kalischen Wortstatus zurückkehren, ein einmal verblasstes oder verlorenes Merkmal kann nicht wieder zurückgewonnen werden (vgl. z.B. Givón 1979, Haspelmath 1999). 15Wie gezeigt, handelt es sich beim reduzierten Artikel nie um reine Flexion (vgl. die Analyse flektieren- der Präpositionen in Hinrichs (1984) und die Gegenargumentation in Schellinger 1988). Es kann sich beim reduzierten Artikel auch nicht um einen blossen Noun Marker handeln, da die Selektivität bezüg- lich des Hostes dafür nicht gegeben ist (vgl. aber die Behauptungen in Krähenmann & Plank 2006). 80 3. Die Spezialverteilung Inzwischen wird diese Hypothese allerdings wieder angezweifelt und es wird disku- tiert, ob neben Grammatikalisierungs- auch Degrammatikalisierungsprozesse ange- nommen werden sollen (vgl. Lehmann 2002 und dort zitierte Literatur). Eventuell muss auch für die Artikelparadigmen des Schweizerdeutschen die Unidirektionalitäts- hypothese infrage gestellt und von Degrammatikalisierungen einzelner Formen aus- gegangen werden. Diese Möglichkeit wird im Folgenden geprüft. Als Quelle des Artikels gelten Lokaldeiktika, genauer Demonstrativa. Für den detail- lierten Fortgang der Grammatikalisierung zum Artikel sind verschiedene Vorschläge gemacht worden. Dieser Arbeit liegt in den Grundzügen der Vorschlag von Lehmann (2002:49) zugrunde (vgl. auch Himmelmann 1997). Lehmann (2002:33) geht von drei Merkmalen aus, die für das Demonstrativum mass- gebend sind, zwei semantische und ein syntaktisches: 1. ein deiktisches Element [DEIKT] 2. ein demonstratives Element [DEM/DEF] 3. ein kategoriales Element [DET] Aufgrund dieser Merkmale werden folgende Positionen im Grammatikalisierungspfad angenommen (Bezeichnungen nach Lehmann 2002:49, Merkmalsbezeichnung in An- lehnung an Himmelmann 1997:27):16 – Demonstrative Pronoun (DEIKT, DEM/DEF, DET) – Anaphoric17 Pronoun (ANAPH, DEM/DEF, DET) – Demonstrative Determiner (DEIKT, Ø/DEF, DET) – Weakly Demonstrative Definite Determiner (ANAPH, Ø/DEF, DET) – Definite Article (Ø, Ø/DEF, DET) – Affixal Article (Ø, Ø/DEF, DET) – Noun Marker (Ø, Ø/Ø, DET) 16Himmelmann sieht eine zusätzliche Grammatikalisierungsstufe vor mit der Merkmalsverteilung [DEM/DEF, DET] für das anamnestische Demonstrativum (= mein intrinsisches Demonstrativum). Um- gekehrt tauchen in seinem Vorschlag nicht alle bei Lehmann angeführten Stufen auf (z.B. bleibt die Stufe des Demonstrative Determiners unberücksichtigt) oder sie unterscheiden sich in ihrer Beschrei- bung (z.B. nimmt er anstelle eines affigierten Artikels einen spezifischen Artikel mit den Merkmalen [SPEC, DET] an). 17Obwohl ich übergeordnet stets von phorisch spreche und damit einschliessend die anaphorische und die kataphorische Verwendung meine, übernehme ich hier das Merkmal [ANAPH] für beide Verweis- richtungen. 81 3. Die Spezialverteilung Das deiktische Element lenkt die Aufmerksamkeit auf Gegebenheiten des Redeuniver- sums (oder Textuniversums). Die Abschwächung verläuft von einer deiktischen Kom- ponente über eine phorische Komponente zur vollständigen Verblassung des Merk- mals. Das demonstrative Element beinhaltet Definitheit und eine Zeigegeste18. Die Abschwächung basiert hier in einem ersten Schritt auf dem Verlust der Zeigegeste und in einem zweiten Schritt auf dem Verlust der Definitheit. Das kategoriale Ele- ment, das den kategorialen Status der Determiniertheit enthält, bleibt für alle Formen bestehen. In groben Zügen kann der Grammatikalisierungspfad auf drei Aktivitäten reduziert werden: Erstens wird das deiktische Merkmal abgeschwächt, wodurch ein phorisches Demonstrativum und ein phorischer Artikel entsteht und durch gänzliche Verblas- sung des Merkmals das intrinsische Demonstrativum. Zweitens wird das demonstra- tive Merkmal abgeschwächt, wodurch der Artikel entsteht. Drittens wird Definitheit reduziert, so dass der Noun Marker (einzig mit einem kategorialen Merkmal) übrig bleibt. Für die Beantwortung der Frage, ob zwischen diesen Grammatikalisierungsstufen und den schweizerdeutschen Demonstrativ- und Artikelformen Korrelationen beste- hen und wie der Grammatikalisierungspfad für das schweizerdeutsche System kon- kret ausschauen könnte, bietet sich auf Anhieb folgende Verteilung an (mit Berück- sichtigung der von Himmelmann vorgeschlagenen Stufe für das anamnestische De- monstrativum19): – Demonstrative Pronoun: Demonstrativum dää in Normalfunktion (deiktisch) – Anaphoric Pronoun: Demonstrativum dää in Spezialfunktion (phorisch) – Anamnestic Pronoun: Demonstrativum dää in Spezialfunktion (intrinsisch) – Demonstrative Determiner: voller Artikel dä in Spezialfunktion (deiktisch) – Weakly Dem. Def. Determiner: voller Artikel dä in Normalfunktion (phorisch) – Definite Article: reduzierter Artikel de in Normalfunktion (intrinsisch) – Affixal Article: reduzierter Artikel de als Verschmelzungsform (z.B. i-m) 18Die Zeigegeste verkörpert das Demonstrative, das die Fähigkeit besitzt, einen Ausdruck definit zu ma- chen – im Gegensatz zum Artikel, der nur die Fähigkeit hat, einen Ausdruck als definit zu kennzeichnen. 19Die Bezeichnung Anamnestic Pronoun stammt von mir. In Himmelmann (1997) wird die Stufe mit der Merkmalskombination [DEM/DEF][DET] nicht (resp. mit Fragezeichen) benannt. 82 3. Die Spezialverteilung Drei Punkte fallen hierbei ins Auge: Erstens können diese Stufen nicht linear als Grammatikalisierungspfad gedacht werden. Nach der Unidirektionalitätshypothese ist es unmöglich, dass Degrammatikalisierungsprozesse stattfinden, indem ein Merk- mal verblasst und später wieder gestärkt wird. Hier verblasst das deiktische Merkmal und wird anschliessend wieder gestärkt. Ich werde gleich genauer auf dieses Problem eingehen. Zweitens kann der reduzierte Artikel, der neben seiner Normalfunktion als intrinsisch-definiter Artikel auch als phorisch-definiter Artikel auftreten kann, nicht explizit berücksichtigt werden. Drittens ist die Bezeichnung affigierter Artikel für den reduzierten Artikel in Verschmelzungsformen (zumindest im Schweizerdeutschen) un- günstig, da er zwar wie gezeigt ein Klitikon ist, aber niemals ein Affix. Auch die An- nahme, dass der reduzierte Artikel im Schweizerdeutschen nur noch als Nominalfle- xion (Noun Marker) gelten kann, wurde verworfen, so dass die Endposition des Gram- matikalisierungspfades für den Definitartikel – der Noun Marker – unberücksichtigt bleiben kann. Im Folgenden werden nun verschiedene Grammatikalisierungspfade und ihre Konse- quenzen kurz beleuchtet, und einige konzeptionelle Überlegungen dazu angestellt. Für eine eingehende Studie der Grammatikalisierung von Definitartikeln verweise ich auf Lehmann (2002), Himmelmann (1997). 3.3. Bezugnahme: Pfade und Felder 3.3.1. Grammatikalisierungspfade Für die Entwicklung des Definitartikels im Schweizerdeutschen sind verschiedene Grammatikalisierungspfade und Abspaltungsszenarien denkbar. Allerdings weisen al- le plausiblen Pfade „Lücken“ und/oder „Doppelführungen“ auf, d.h. entweder existie- ren nicht alle Formen, die im Grammatikalisierungspfad vorgesehen sind, oder es kommen zu viele Formen vor, so dass nicht alle linear erklärt werden können. Um diesen Missstand zu lösen, stehen zwei verschiedene Strategien zur Verfügung: Ent- weder werden für Demonstrativa und Artikel getrennte Pfade angenommen oder die Unidirektionalitätshypothese muss zugunsten von Degrammatikalisierungsprozessen aufgegeben werden. Im ersten Fall hat sich aus dem Demonstrativum früh ein Artikel abgespalten und beide entwickeln sich mehr oder weniger parallel weiter. Dann wird es allerdings fraglich, wieso sich überhaupt zwei Elemente herausgebildet haben und weshalb sich diese parallel entwickeln. Im zweiten Fall muss die Motivation für die Rückbewegungen geklärt werden. Diese wäre nicht notwendig, da für die Funktion, 83 3. Die Spezialverteilung die angestrebt wird, jeweils bereits eine Form verfügbar ist. Betrachten wir dies etwas genauer. Es können vier Pfade angenommen werden, vgl. Figur 3.3. !"#$%&'(")& *+,-&'(")& #.%-&'(")& 0 1 2 3 !"#$%&'/-%& *+,-&'/-%& #.%-&'/-%& Abbildung 3.3.: Grammatikalisierungspfade: Abspaltungsmöglichkeiten 1. Im ersten Fall wird angenommen, dass der Artikel aus der deiktischen Funktion des Demonstrativums entstanden ist. Die beiden Paradigmen haben sich dem- nach getrennt voneinander – aber in erstaunlicher Übereinkunft – weiterent- wickelt. Diese Sichtweise scheint dem Grammatikalisierungspfad von Lehmann (2002:57) zugrundezuliegen. Dieser Pfad kann alle möglichen Form/Funktion- Korrelationen des Schweizerdeutschen abbilden. Offen bleibt allerdings die Fra- ge, warum eine Sprache zwei kongruente Pfade entwickelt. 2. Im zweiten Fall findet die Abspaltung des Artikels auf der Stufe des phorischen Demonstrativums statt. Die Abspaltung zu diesem Zeitpunkt der Entwicklung entspricht der opinio communis. Bei diesem Pfad muss eine parallele Entwick- lung für die intrinsische Funktion und eine Rückbewegung für den deiktischen Artikel angenommen werden. 3. Im dritten Fall entwickelt sich das Demonstrativum von der deiktischen zur pho- rischen zur intrinsischen Funktion. Erst in diesem Stadium findet die Abspal- tung zum Artikel statt. Dies entspricht dem Pfad, den Himmelmann (1997) vor- schlägt. Hier muss angenommen werden, dass beim Artikel eine totale Rückbe- wegung stattfindet. 4. Da für alle diese Möglichkeiten nicht plausibel gemacht werden kann, warum es so etwas wie eine „Normalfunktion“ und eine „Spezialfunktion“ der einzelnen For- men gibt, schlage ich einen vierten denkbaren Pfad vor. In diesem Fall erfolgt die Abspaltung wie im ersten Fall beim deiktischen Demonstrativum, allerdings er- folgt mit dieser ersten Grammatikalisierungsstufe nicht nur die Abschwächung des demonstrativen Merkmals, sondern gleichzeitig des deiktischen Merkmals, so dass der phorische Artikel entsteht. 84 3. Die Spezialverteilung Für die weitere Entwicklung des Demonstrativums muss eine Parallelbewegung zum Artikel angenommen werden, für die deiktische Funktion des Artikels muss von einer Rückbewegung ausgegangen werden. Offensichtlicher Vorteil dieser Analyse ist die Möglichkeit, die Verhältnisse bezüglich „normaler“ und „spezi- eller“ Bezugnahme plausibel zu machen. Die Hauptachse des Pfades (deiktisches Demonstrativum, phorischer Artikel, intrinsischer Artikel) entspricht der in Ka- pitel 2.3 aufgezeigten Normalverteilung der Demonstrativ-Artikel-Paradigmen des Schweizerdeutschen. Ausserdem entspricht diese Achse der MSK, indem sich mit jeder Grammatikalisierungsstufe sowohl die Form als auch die Funktion än- dert. Die „Seitenpfade“ entsprechen den in Kapitel 3.1 beschriebenen Spezial- fällen (phorisches Demonstrativum, deiktischer Artikel, intrinsisches Demons- trativum). Dennoch ist es natürlich auch bei diesem Grammatikalisierungspfad fraglich, ob eine Parallel- resp. eine Rückbewegung begründet werden kann. Abgesehen vom Pfad muss zusätzlich geklärt werden, ob auch für den intrinsisch- definiten Artikel (den reduzierten Artikel im Schweizerdeutschen) angenommen wer- den muss, dass eine Degrammatikalisierung im Gange ist, um den Spezialfall des pho- rischen reduzierten Artikels erklären zu können. Vergegenwärtigen wir uns zu diesem Zwecke noch einmal die Aufteilung der Funktionsfelder der verschiedenen Paradig- men. 3.3.2. Funktionsfelder: Normalverteilung Wie in Kapitel 2.3 gezeigt, können die drei Paradigmen jeweils mit einer Funktion verknüpft werden, die ihnen prototypisch zukommt. Die Normalverteilung der Form- Funktion-Kreuzklassen war die folgende: Das Demonstrativum wird prototypisch deik- tisch verwendet, d.h. unter Zuhilfenahme der Aussenwelt. Die eindeutige Referenz kommt zustande, indem mit dem Demonstrativum (und einer Zeigegeste) auf den in- tendierten Referenten gezeigt wird. Der volle Artikel wird im Normalfall phorisch verwendet, d.h. unter Zuhilfenahme des Textes wird entweder anaphorisch auf frü- here Textstellen oder kataphorisch auf spätere Information im Text verwiesen, um den intendierten Referenten zu bestimmen. Der reduzierte Artikel ist prototypisch intrinsisch-definit. Er wird in uniken Kontexten verwendet. Durch das Allgemeinwis- sen oder das episodische Wissen, das sich SprecherIn und HörerIn teilen, ist klar, dass es (in dieser Situation) nur einen intendierten Referenten geben kann. Jeweils ein Kriterium teilt eine Form von den anderen beiden: 85 3. Die Spezialverteilung – Das Demonstrativum enthält eine (demonstrative) Zeigegeste, der volle Artikel und der reduzierte Artikel sind nicht demonstrativ. – Der volle Artikel klärt die Eindeutigkeit des Referenten innertextuell, der redu- zierte Artikel und das Demonstrativum klären die Eindeutigkeit des Referenten aussersprachlich. – Der reduzierte Artikel weist keine Verweiskraft auf (sondern leitet nominale Aus- drücke ein, die intrinsisch unik sind), das Demonstrativum und der volle Artikel weisen Verweiskraft auf (sie leiten nominale Ausdrücke ein, die intrinsisch nicht unik sind). Anhand der in der Grammatikalisierung für den Definitartikel vorgeschlagenen Merk- male kann dieser Sachverhalt folgendermassen umschrieben werden: – Das Demonstrativum enthält das Merkmal [DEIKT] und das komplexe Merk- mal [DEM/DEF]. Als einziges Paradigma verfügt es über ein Merkmal für das Demonstrative. – Der volle Artikel enthält das Merkmal [ANAPH] und das Merkmal [DEF]. Als einziges Paradigma verfügt es über ein Merkmal für das Textverweisende. – Der reduzierte Artikel enthält das Merkmal [DEF]. Als einziges Paradigma hat es alle Merkmale mit verweisender Kraft verloren. Die Abgrenzung des reduzierten Artikels von den übrigen zwei Formen könnte elegan- ter beschrieben werden, wenn ein weiteres Merkmal wie z.B. das Merkmal [unik] an- genommen würde. Dies wird bisweilen auch gemacht, vgl. z.B. Vangsnes (1999, 2001). In der obigen Beschreibung unterscheidet sich der reduzierte Artikel von den ande- ren Formen einzig durch das Fehlen von Merkmalen. Dies deutet aber natürlich auch auf den gegenüber den anderen am stärksten grammatikalisierten Zustand dieser Form hin. Nichtsdestoweniger haben sowohl Lehmann (2002:34) als auch Himmel- mann (1997:27) für den am stärksten grammatikalisierten Zustand des Definitartikels ein neues Merkmal (resp. eine weitere Abschwächung des Merkmals [DEM/DEF]) an- genommen: In seiner schwächsten Ausprägung soll dieses Merkmal Spezifizität aus- drücken. Die entsprechende Artikelform heisst bei Himmelmann denn auch spezifi- scher Artikel.20 Es wird davon ausgegangen, dass Definitheit sich zu Spezifizität ab- 20Diese Annahme ist erstaunlich. In der Literatur zu den Artikelparadigmen deutscher Dialekte wird eher die gegenteilige Meinung vertreten, dass der volle Artikel spezifisch ist und der reduzierte Artikel unspezifisch (vgl. z.B. Nübling 1992). Diese Behauptung ist allerdings genauso problematisch: Entweder wird spezifisch als „individuell“ im Gegensatz zu generisch verstanden oder als „referentiell“ im Gegen- satz zu unspezifisch. In beiden Fällen stimmt die angenommene Verteilung nicht, da beide Artikel indi- viduell und spezifisch sein können. Himmelmanns abweichende Meinung liegt eventuell in seinem Ver- 86 3. Die Spezialverteilung schwächen kann. Diese These kann aus zwei Gründen so nicht stimmen: Erstens sind Definitheit und Spezifizität zwei unterschiedliche semantische Konzepte – Spezifizität kann nicht als Abschwächung von Definitheit gelten. Vielmehr werden mit diesen bei- den Konzepten zwei verschiedene Sichtweisen bei nominalen Ausdrücken beleuchtet. Definitheit bezieht sich (vereinfacht gesagt) auf die Identifizierbarkeit des Referenten durch den Hörer oder die Hörerin, Spezifizität bezieht sich auf die Fixierung eines konkreten Referenten bei der Sprecherin oder dem Sprecher (vgl. ausführlich zum Unterschied dieser beiden Konzepte Kapitel 8.2.1.3). Zweitens liegt der Unterschied zwischen dem phorisch-definiten (vollen) Artikel und dem intrinsisch-definiten (redu- zierten) Artikel nicht darin, dass der phorische Artikel definit ist und der intrinsische Artikel spezifisch. Sowohl der volle als auch der reduzierte Artikel sind per definitio- nem definit – dies wird auch in ihrer Merkmalsstruktur deutlich. Das Merkmal [SPEZ] hingegen kann ihnen je nach Kontext zukommen oder nicht zukommen. Die Normalverteilung für das Demonstrativ-Artikel-System kann wie in Figur 3.4 in einem Funktionsfelder-Schaubild verdeutlicht werden. WISSEN TEXT red. Artikel voller Artikel definit demonstrativ WELT Demonstrativum Abbildung 3.4.: Funktionsfelder Normalverteilung ständnis von Spezifizität begründet, welches von der gängigen Sicht (vgl. z.B. Lyons 1999:170) insofern abweicht, als er die Existenz und die konkrete Zugänglichkeit des Referenzobjektes beim spezifischen Gebrauch nicht automatisch präsupponiert (vgl. zu dieser Sicht auch Bisle-Müller 1991). 87 in v te rir nw se isis ce hnd tuel l rtex hlic h inne ac sser spr au 3. Die Spezialverteilung 3.3.3. Funktionsfelder: Spezialverteilung 3.3.3.1. Reduzierter Artikel: Ausdehnung Wie bei den Spezialfällen aufgezeigt, wird der reduzierte Artikel im Schweizerdeut- schen neben seiner Normalfunktion in uniken Kontexten erstaunlich häufig auch in phorischen Kontexten verwendet, obwohl dies die Normalfunktion des vollen Arti- kels darstellt. Der Grund für diese „Invasion“ sehe ich in einer Ausdehnung des re- duzierten Artikels. Dies kommt in grammatikalisierungstheoretischem Vokabular ei- ner Degrammatikalisierung des reduzierten Artikels gleich. Bei dieser Interpretation wird das verblasste Merkmal [ANAPH] wieder gestärkt, so dass der reduzierte Artikel schwach-deiktisch agieren kann. Allerdings muss nicht unbedingt davon ausgegangen werden, dass tatsächlich die phorische Kraft des reduzierten Artikels zunimmt. Es ist auch denkbar, dass im Konflikt zwischen einer Unika-Regel („kann angenommen werden, dass der Referent hinlänglich bestimmt ist, wird der nominale Ausdruck mit dem unik-definiten Artikel eingeleitet“) und einer Kontext-Regel („kann nicht mit Si- cherheit angenommen werden, dass der Referent hinlänglich bestimmt ist, wird der nominale Ausdruck mit dem kontext-definiten Artikel eingeleitet“) die Unika-Regel stärker gewertet wird. D.h. dass ein nominaler Ausdruck so lange als intrinsisch unik gilt, bis Gegenevidenz auftritt. So lange also kein „Konkurrent“ in Sicht ist, wird von der Unikalität (oder Identifizierbarkeit) ausgegangen. Es besteht demnach so etwas wie eine Ökonomie-Strategie: Es wird nur so viel exemplifiziert wie nötig und nur im Zweifelsfalle wird der volle Artikel eingesetzt.21 Sein Funktionsgebiet wird also nicht notwendigerweise vom reduzierten Artikel eingenommen. Eventuell wird nur das Funktionsfeld kleiner, indem weniger Kontexte als phorisch interpretiert werden. Dadurch rückt der reduzierte Artikel als Default-Artikel des Schweizerdeutschen ins Zentrum, während der volle Artikel als „Ausnahme-Artikel“ gelten kann. 3.3.3.2. Voller Artikel und Demonstrativum: Beeinflussung Das Bild des vollen Artikels als „Ausnahme-Artikel“ findet allerdings nur bedingt Be- stätigung, wenn neben den phorischen auch die deiktischen Kontexte berücksichtigt werden. Wie gezeigt, kommt es bei der Trennlinie zwischen vollem Artikel und De- monstrativum zu einer Aufweichung, insofern der volle Artikel ins Funktionsfeld des 21Die Ökonomie-Strategie und die stärkere Gewichtung der Unika-Regel erklären teilweise die Resul- tate der Datenanalyse: Der reduzierte Artikel ist überdurchschnittlich häufig in denjenigen Kontexten aufgetaucht, in denen eigentlich der volle Artikel erwartet worden ist (vgl. Kapitel 4.1). 88 3. Die Spezialverteilung Demonstrativums und das Demonstrativum ins Funktionsfeld des vollen Artikels ein- dringt. Die Erklärung für diesen Umstand kann nun verschieden ausfallen, je nach- dem welche Ausgangslage angenommen wird. Zwei grundlegend unterschiedliche An- sätze kommen in Betracht: Entweder gab es einen Zeitpunkt, zu dem eine klare Trenn- linie zwischen den zwei Funktionsfeldern vorlag oder es gab nie eine klare Trennlinie. Wird eine klare Trennlinie zu einem bestimmten Zeitpunkt attestiert, hat je eine Form ein Funktionsfeld eingenommen, später ist es zu einer Verwischung gekommen. Wird keine klare Trennlinie attestiert, gibt es zwei mögliche Verteilungen: Entweder haben beide Formen jederzeit beide Funktionen ausüben können oder eine der beiden For- men war für beide Funktionsfelder zuständig. Im ersten Fall kam es später zu einer der Verwischung gegenteiligen Strömung, indem sich für die beiden Formen eine pro- totypische Funktion herausbildete. Im zweiten Fall hat in einem ersten Schritt eine Form das eine Funktionsfeld regelhaft übernommen, wodurch sich für beide Formen eine Normalverteilung herausbildete, in einem zweiten Schritt ist es wiederum zu ei- ner Verwischung gekommen. Konkret sehen die verschiedenen Möglichkeiten für die beiden Formen voller Artikel und Demonstrativum und die beiden Funktionen pho- risch und deiktisch wie in Tabelle 3.3 aus. 1. Variante mit Trennlinie: Sie spiegelt den vierten Grammatikalisierungspfad aus Ka- pitel 3.3.1 wider, indem sozusagen die ursprünglichste Grundfunktion des Demonstra- tivums die deiktische, die ursprünglichste Grundfunktion des Artikels die phorische ist. Die spätere Verwischung der Grenzen kann einzig durch gegenseitige Beeinflus- sung im Sprachgebrauch erklärt werden. 2. Variante 1 ohne Trennlinie: Sie entspricht am ehesten dem ersten Grammatikalisie- rungspfad aus Kapitel 3.3.1, da sich die beiden Formen mehr oder weniger von Anfang an parallel entwickelt haben. Dass die willkürliche Verteilung dennoch einer Normal- verteilung gewichen ist (und nur noch Reste der ursprünglichen Verwischung übrig- geblieben sind) mag mit einem Hang der Sprache zur Deutlichkeit erklärt werden. Dass gerade diese und nicht die gegenteilige Normalverteilung mit einem phorischen Demonstrativum und einem deiktischen Artikel entstanden ist, mag darin begründet sein, dass die erste Form/Funktion das deiktische Demonstrativum war. 3. Variante 2 ohne Trennlinie: Sie zeigt den zweiten Grammatikalisierungspfad aus Kapitel 3.3.1, bei dem zu Beginn das Demonstrativum in einer deiktischen und einer phorischen Ausprägung existierte, bevor der Artikel ins Spiel kam. Dass sich als pro- totypische Funktion für den Artikel die phorische herausstellte, liegt darin begründet, dass sich der Artikel aus dem phorischen Demonstrativum entwickelt hat. 89 3. Die Spezialverteilung klare Trennlinie Stadium 1 Dem = deiktisch Grenze Art = phorisch Stadium 2 Dem = deiktisch (und phorisch) Verwischung Art = phorisch (und deiktisch) keine Trennlinie Stadium 1 Dem = deiktisch und phorisch Verwischung Art = deiktisch und phorisch Stadium 2 Dem = deiktisch (und phorisch) Abgrenzung Art = phorisch (und deiktisch) keine Trennlinie Stadium 1 Dem = deiktisch und phorisch Stadium 2 Dem = deiktisch Übernahme Art = phorisch Stadium 3 Dem = deiktisch (und phorisch) Verwischung Art = phorisch (und deiktisch) Tabelle 3.3.: Entwicklung Artikel / Demonstrativum 90 3. Die Spezialverteilung Es ist mir im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, die Frage nach der Entstehung der Funktionsfelder für Artikel und Demonstrativum erschöpfend zu behandelt und zu entscheiden, welche der dargestellten Varianten am naheliegendsten ist. Aus kon- zeptioneller Sicht kann abschliessend Folgendes gesagt werden: Für die erste Variante spricht der Umstand, dass eine Normalverteilung zweifelsohne besteht, die auf diese Weise auch diachron erklärt werden könnte. Die zweite Variante hingegen kann nicht motiviert werden und erscheint deshalb weniger plausibel. Die dritte Variante scheint zwar naheliegender, allerdings muss hier die Motivation für die Entstehung einer neu- en Form geklärt werden. Da das phorische Demonstrativum in den schweizerdeutschen Dialekten allerdings nur schwer belegt werden kann und deshalb (im Gegensatz zum deiktischen Artikel) als Ausnahmefall klassifiziert werden muss, kann auch von einem Bedeutungsshift gesprochen werden: Es handelt sich weniger um eine gegenseitige Beeinflussung zwi- schen vollem Artikel und Demonstrativum, sondern um eine Funktionsfeldverschie- bung – insofern der reduzierte Artikel ins Funktionsfeld des vollen Artikels „rutscht“ und der volle Artikel ins Funktionsfeld des Demonstrativums. Offen bleibt dann nur noch, ob das Demonstrativum diesen Bedeutungsshift ebenfalls mitmacht. 3.3.3.3. Demonstrativum: quo vadis? Wie die Spezialfälle des Demonstrativums einzuordnen sind, ist nicht gänzlich klar. Beim phorischen Demonstrativum ist zwar die Richtung klar (es dringt ins Funktions- feld des vollen Artikels ein), allerdings ist es fraglich, ob es überhaupt mehr als einen Ausnahmefall darstellt. Beim intrinsisch-definiten Demonstrativum (und beim deikti- schen Artikel) hingegen ist zwar die Existenz geklärt, aber die Klassifizierung ist nicht definitiv bestimmt: Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, die intrinsische Funktion als genuin deiktisch zu verstehen und einen imaginären Verweisraum anzunehmen, in dem das Demonstrativum auf einen näher oder weiter entfernten Referenten verweist. Eine andere Möglichkeit wäre es, den intrinsischen Gebrauch in die Nähe des intrin- sischen Gebrauchs des reduzierten Artikels zu setzen, da es auch hier nicht um die Referenzfindung geht, da der Referent als bereits gegeben angesehen wird. Mit dieser Klassifizierung dringt das intrinsische Demonstrativum ins Funktionsfeld des redu- zierten Artikels ein – allerdings nur in einem klar definierten Grenzbereich. Für diese zweite Möglichkeit spricht, dass sich der oben beschriebene Bedeutungsshift beim in- trinsischen Demonstrativum fortsetzt. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang auch folgender Punkt: Neben der Be- schreibung von durchlässigen Funktionsgrenzen ist insbesondere auch die Betrach- 91 3. Die Spezialverteilung tung von Schranken gewinnbringend. Im Falle der Artikelparadigmen im Schweizer- deutschen ist die Grenze zwischen intrinsisch-definit und phorisch-definit nur semi- durchlässig. Der reduzierte Artikel kann zwar phorisch verwendet werden, aber der volle Artikel kann nicht intrinsisch-definit sein. Ebenso ist die Grenze zwischen pho- risch und deiktisch für den reduzierten Artikel tabu: Er kann zwar phorisch verwendet werden, aber niemals deiktisch. Für eine konsequente Fortführung dieser Schranken müsste die Grenze zwischen deiktisch und phorisch für das Demonstrativum gesperrt sein. Wie wir gesehen haben, ist dies in dieser Konsequenz nicht der Fall. Allerdings hat sich gezeigt, dass es sich beim phorischen Demonstrativum im Schweizerdeutschen zumindest um einen Ausnahmefall handelt. Zusammenfassend können die Ergebnisse im Funktionsfeld-Schaubild wie in Tabelle 3.5 festgehalten werden. X WISSEN TEXT red. Artikel voller Artikel prob e lem mo atio tisn ca hl definit demonstrativ X WELT Demonstrativum Abbildung 3.5.: Funktionsfelder inkl. Spezialverteilung 3.4. Spezialfälle bei der Modifikation Neben den verschiedenen Spezialfällen bei der Bezugnahme, die durch Veränderun- gen der Funktionsfelder der drei Paradigmen resp. durch einen regelhaften Bedeu- tungsshift erklärt werden können, bestehen zwei weitere Kontexte, die in Bezug auf 92 in v te rir nw se isis ce hnd uell nert ext h in prac hlic sser s au 3. Die Spezialverteilung die Artikelsetzung von Interesse sind. Bei beiden Kontexten wird die Nominalphrase modifiziert, d.h. durch ein Attribut (eine Modifikation) näher bestimmt: im einen Fall durch ein Adjektiv, im anderen Fall durch einen Relativsatz. Die spezielle Artikelset- zung beim Adjektiv tritt regelhaft auf und ist deshalb problemlos beschreibbar. Die spezielle Artikelsetzung beim Relativsatz hingegen ist weniger einfach greifbar und scheint gewissen Schwankungen zu unterliegen. 3.4.1. Spezialfall d bei Adjektivmodifikationen Wird eine nominaler Ausdruck im Schweizerdeutschen durch ein Adjektiv modifiziert, ändert sich dadurch nichts an der Artikelsetzung. In intrinsisch-definiten Kontexten wird der reduzierte Artikel verwendet (23), in phorisch-definiten Kontexten der volle Artikel (24) – genau wie wenn der nominale Ausdruck nicht modifiziert ist: (23) a. de Mond derr Mond b. de grooss Mond derr grosse Mond (24) a. Vor de Tüür esch e Maa gschtande. Dä Maa... Vor der Tür stand ein Mann. Derv Mann... b. Vor de Tüür esch e Jüngling gschtande. Dä jung Maa... Vor der Tür stand ein Jüngling. Derv junge Mann... Einzige Ausnahme von dieser Regel bildet die Artikelform d (Nom./Akk. Sing. Fem., Nom./Akk. Plur. in allen Genera). Sie wird bei einer Adjektivmodifikation regelhaft zu di: (25) a. di grooss Sunne dier grosse Sonne b. di groosse Froue/Manne/Chend dier grossen Frauen/Männer/Kinder Dies ist auch der Fall bei nominalisierten Adjektiven, ebenso bei nominalisierten Par- tizipien: 93 3. Die Spezialverteilung (26) a. di Grooss dier Grosse b. di Schtudierende dier Studierenden Obwohl sich hier in der Semantik des Artikels nichts ändert – es handelt sich mit und ohne Modifikation um einen intrinsisch-definiten reduzierten Artikel – ändert sich seine morphologische Form. Dies ist eine Abweichung von der postulierten MSK. Da sich aber die Semantik nicht ändert, kann es sich nicht um ein semantisches, son- dern nur um ein phonologisch bedingtes Phänomen handeln. Der Wechsel von d zu di wird durch den klitischen Status dieser Form erklärt: Das unsilbische d kann sich an einen N-Kopf klitisieren (vgl. Kapitel 3.2.2.2). Interveniert allerdings ein Adjektiv zwischen Artikel und Nomen, können nur silbische Formen wie de oder s (die als mini- mal silbisch gelten können) vor der phrasalen Konstituente ,A + N‘ auftreten. Für eine unsilbische Form wie d ist dies nicht möglich. Aus diesem Grund wird bei Adjektivmo- difikation die unsilbische Form d silbisch zu di gestärkt. Bei der MSK-Verletzung im Falle der Adjektivmodifikation kommt es zwar zu einem morphologischen Wechsel von d zu di, nicht aber zu einem semantischen Wechsel. Ich gehe davon aus, dass in diesen Fällen nicht eigentlich ein Artikel-Wechsel stattfindet, sondern dass vielmehr immer ein reduzierter Artikel d vorliegt. Für diese Annahme spricht der Umstand, dass nicht das gesamte Paradigma betroffen ist, sondern nur die Form d. Die Form d scheint in diesem Kontext nicht genug tragfähig zu sein, so dass sie bei der Adjektivmodifikation einen zusätzlichen i-Reflex braucht. Dass damit partielle Homonymie zwischen dem reduzierten Artikel und dem vollen Artikel vorliegt, halte ich für einen Zufall. Trotz alledem ist es natürlich eine Verletzung der MSK und für ein 1:1-System nicht wünschenswert. 3.4.2. Spezialfall Artikel bei Relativsatzmodifikationen Die Artikelsetzung bei nominalen Ausdrücken, die durch einen Relativsatz modifiziert sind, ist in den Grundzügen klar geregelt: Bei so genannt appositiven Relativsätzen wird der reduzierte Artikel gesetzt, bei so genannt restriktiven Relativsätzen wird der volle Artikel verwendet. Allerdings treten Fälle auf (vgl. detailliert Kapitel 4.1), die von dieser Regel abweichen: Teilweise wird der reduzierte Artikel verwendet, obwohl vom Kontext her der volle Artikel erwartet wird. 94 3. Die Spezialverteilung Im Folgenden werde ich zuerst die Klassifizierung in appositive und restriktive Re- lativsätze erläutern. Anschliessend werde ich die Normalverteilung des Artikels bei Relativsatzmodifikation darstellen und die Fälle mit abweichender Artikelsetzung be- schreiben. Zum Schluss werde ich verschiedene Lösungsansätze diskutieren und eini- ge Überlegungen dazu anstellen, was den Relativsatz von anderen Modifikationen in der Nominalphrase unterscheidet. 3.4.2.1. Appositive und restriktive Relativsätze Wird ein nominaler Ausdruck durch einen Relativsatz modifiziert, wird das Nomen (wie bei allen Modifikationen) dadurch in irgendeiner Form näher bestimmt. D.h. im Relativsatz ist eine (zusätzliche) Information enthalten. Diese Information erfüllt aber nicht bei allen Relativsätzen denselben Zweck. Es können deshalb zwei Typen unter- schieden werden: appositive Relativsätze und restriktive Relativsätze.22 1. Appositive Relativsätze: Sie werden weder für die Referenz noch für die Interpreta- tion der Nominalphrase gebraucht. Die Referenz ist durch den nominalen Ausdruck bereits geklärt. Der Relativsatz liefert eine Zusatzinformation über den Referenten: (27) Die Queen, der es übrigens wieder besser geht, gab heute ein Interview. Das Nomen Queen referiert eindeutig auf eine einzige Person. In der Diskursdomäne gibt es nur einen möglichen Referenten. Der Relativsatz wird zur Bestimmung der Referenz demnach nicht gebraucht. Er dient vielmehr dazu, zusätzliche Informationen über die Queen zu vermitteln. 2. Restriktive Relativsätze: Sie werden gebraucht, um für den Referenzakt die Zahl der möglichen Referenten einzugrenzen. Da der nominale Ausdruck nicht eindeutig re- feriert, ist die Modifikation dafür zuständig, dass die Einzigkeitsbedingung für den Gesamtausdruck erfüllt wird: (28) das Buch, das Margot mitgebracht hat 22Während zwar sowohl traditionelle als auch generative Arbeiten normalerweise inhaltlich diese zwei Typen annehmen, variieren die Bezeichnungen. So wird teilweise restriktiv formal als intersektiv, funk- tional als definitorisch, etablierend oder spezifizierend beschrieben, appositiv wird formal auf nicht re- striktiv reduziert (wie dies zum Beispiel in der englischsprachigen Literatur üblich ist), funktional als prädizierend interpretiert. Ausserdem sind teilweise alternative Klassifizierungen oder weitere Unter- teilungen vorgenommen worden (vgl. z.B. von Polenz 1988, Ebert 1971a, Carlson 1977, Grosu & Land- man 1998). Die Unterscheidung in appositiv und restriktiv ist vor allem aus der Relativsatzanalyse bekannt, sie kann prinzipiell aber auch für andere Modifikationen in der Nominalphrase gelten (wie Adjektivphrasen, Präpositionalphrasen etc.). 95 3. Die Spezialverteilung Bisweilen ist ein eindeutiger Referenzakt mittels eines nominalen Ausdrucks wie Buch nicht möglich, da es mehrere mögliche Referenten gibt, auf die der nominale Ausdruck zutrifft. Durch die restriktive Modifikation wird die Zahl der möglichen Referenten mi- nimiert, so dass die eindeutige Referenz gewährleistet werden kann. Aus der Menge der Bücher wird demnach eine Teilmenge gebildet, die aus nur einem Referenten (oder einer Klasse von Referenten) besteht. Nach Bach (1974) liegt darin genau die Bedin- gung, die für einen restriktiven Relativsatz erfüllt sein muss: Während die gesamte Nominalphrase auf genau ein Element der Diskursdomäne referiert, präsupponiert der restriktive Relativsatz für die Referenz des Nomens Elemente, auf die der Rela- tivsatz nicht zutrifft. Die restriktive Modifikation setzt voraus, dass es für das Nomen mehrere potenzielle Referenten gibt. Für Beispiel (28) heisst dies, dass mindestens ein Buch existiert, das Margot nicht mitgebracht hat. Falls durch die restriktive Modifikation die eindeutige Referenz nicht geklärt werden kann – es ist z.B. denkbar, dass Margot ständig Bücher mitbringt, wodurch der Refe- rent mit dem Relativsatz nicht genügend bestimmt werden kann –, müssen weitere Identifikationshilfen eingesetzt werden (entweder durch eine Präzisierung in der Mo- difikation oder durch Mehrfachmodifikation): (29) a. das Buch, das Margot gestern mitgebracht hat b. das neue Buch, das Margot mitgebracht hat Werden die Präzisierung gestern und die zusätzliche Modifikation neue als restrikti- ve Modifikation verwendet, werden sie gewöhnlich betont. Werden sie nicht betont, werden sie eher als Zusatzinformation behandelt und appositiv interpretiert. Es ist in vielen Fällen nicht auf Anhieb zu entscheiden, ob eine Modifikation appositive oder restriktive Funktion hat. Formal sind häufig beide Interpretationen denkbar und es ist nur durch den sprachlichen oder situativen Kontext entscheidbar, welche Funktion der Modifikation intendierterweise zukommt.23 Allerdings gibt es Sprachen, die den funktionalen Unterschied von Relativsätzen auch formal sichtbar machen.24 So unterscheidet z.B. das Englische durch unterschiedliche Relativpronomen und Kommasetzung formal zwischen den beiden Funktionen. Das 23Dies stimmt zumindest oberflächlich. Im zweiten Teil, in dem es um die syntaktische Struktur solcher Nominalphrasen gehen wird, wird geprüft, ob funktionale Unterschiede der Modifikation, die an der Oberfläche nicht immer notwendig erkennbar sind, in der Struktur aufgezeigt werden können. 24Auch bei der Adjektivmodifikation gibt es in einigen Sprachen die Möglichkeit, formal zwischen restrik- tiv und appositiv zu unterscheiden. So erscheinen z.B. im Französischen restriktive Adjektive postnomi- nal, appositive (oder intensionale) Adjektive hingegen pränominal: (i) (Bouchard 2002:95, Übersetzung von mir) 96 3. Die Spezialverteilung Relativpronomen who/which kann für appositive und restriktive Relativsätze verwen- det werden (30-a) und (30-b), that hingegen nur für restriktive (30-c); bei restriktiven Relativsätzen kann das Relativpronomen auch fehlen, bei appositiven ist dies nicht möglich (30-d). Ausserdem werden appositive Relativsätze immer in Kommata gesetzt (30-a), restriktive hingegen nie (30-b) – (30-d) (vgl. Hornby 2000:1478 und 1344, Über- setzung von mir): (30) a. And then Mary, who we had been talking about earlier, walked in. app Und dann trat Mary, über die wir vorher gesprochen hatten, ein. b. The people who we met in France have sent us a card. restr. Die Leute, die wir in Frankreich trafen, schickten uns eine Karte. c. The watch that you gave me keeps perfect time. *app. Die Uhr, die du mir gegeben hast, läuft perfekt. d. The watch ? you gave me keeps perfect time. *app. Die Uhr, die du mir gegeben hast, läuft perfekt. Im Bairischen (vgl. Brugger & Prinzhorn 1995, Weiß 1998) existiert eine ähnliche Möglichkeit zur Differenzierung der beiden Relativsatzmodifikationen. Das Bairische hat zwei Relativpronomen: ein flektierbares d-Pronomen (wie das Relativpronomen im Standarddeutschen) und zusätzlich ein unflektierbares w-Pronomen (wo, was). Wäh- rend Relativsätze, die mit einem d-Pronomen eingeleitet werden, appositiv oder re- striktiv interpretiert werden können – und zwar gleichgültig, ob zusätzlich ein w- Pronomen auftritt (31-a) und (31-b) – können Relativsätze nicht appositiv interpretiert werden, wenn sie nur mit einem w-Pronomen eingeleitet werden, (31-c):25 a. Les britanniques flegmatiques accepteront ses recommendations. Die phlegmatischenrestr Briten werden seine Empfehlungen akzeptieren. b. Les flegmatiques britanniques accepteront ses recommendations. Die phlegmatischenapp Briten werden seine Empfehlungen akzeptieren. Im Deutschen ist diese Differenzierung nicht möglich, da Adjektive (abgesehen von Ausnahmefällen wie Forelle blau) nur pränominal auftreten können. 25Obwohl zwar Relativsätze, die mit einem d-Pronomen eingeleitet werden, appositiv oder restriktiv in- terpretiert werden können, verrät im Bairischen die Artikelsetzung, um welchen Relativsatz es sich handelt: Das Bairische verfügt ganz ähnlich wie das Schweizerdeutsche über zwei Artikelparadigmen – eine volle und eine reduzierte Form. Bei appositiven Relativsätzen wird der reduzierte Artikel verwen- det, bei restriktiven der volle Artikel – der reduzierte Artikel ist in diesem Kontext ungrammatisch (vgl. Brugger & Prinzhorn 1995, Weiß 1998 und zur Relativsatzsyntax im Bairischen allgemein Bayer 1984): (i) (Weiß 1998:72) a. deav Baua, dea wo gesdan s’Hai nimma hoam brood hod... restr. b. *dar Baua, dea wo gesdan s’Hai nimma hoam brood hod... restr. 97 3. Die Spezialverteilung (31) (Brugger & Prinzhorn 1995:13, für salzburgisches Bairisch) a. Des Buach, des da Chomsky gschriem hat. app / restr b. Des Buach, des was da Chomsky gschriem hat. app / restr c. Des Buach, was da Chomsky gschriem hat. *app / restr Das Schweizerdeutsche kennt keinen formalen Unterschied dieser Art. Alle Relativsät- ze werden durch das unflektierte Relativpronomen wo eingeleitet (wobei partiell re- sumptive Pronomen auftreten, vgl. dazu ausführlich Salzmann 2006). Indes bestehen einige nützliche Proben, um die Funktion des Relativsatzes zu eruieren: 1. die Einfüh- rung von Füllwörtern, 2. die Ersetzung des Artikels durch derjenige, 3. die Einfügung eines Intonationsbruchs. 1. Füllwörter: Die Einsetzung von Füllwörtern wie übrigens ist nur bei appositiven Re- lativsätzen möglich, bei restriktiven Relativsätzen hingegen nicht. In folgendem Bei- spiel kann der Relativsatz appositiv sein (wenn es nicht um die Referenz von mini Schwöschter geht, sondern eine Zusatzinformation geliefert werden soll) oder restrik- tiv (wenn es explizit um die Referenz von mini Schwöschter geht – z.B. im Falle von zwei Schwestern, wovon die eine besagte Fremdsprachen spricht, die andere jedoch nicht): (32) Mini Schwöschter, wo Französisch cha, leert jetz no Schpanisch. app. / restr. Meine Schwester, die Französisch kann, lernt jetzt noch Spanisch. Wird das Füllwort übrigens eingefügt, ist nur noch die appositive Lesart möglich: (33) Mini Schwöschter, wo übrigens Französisch cha... *restr. Meine Schwester, die übrigens französisch kann... 2. Ersetzung durch derjenige: Die Ersetzung des Artikels in der standarddeutschen Übersetzung durch derjenige ist nur bei restriktiven Relativsätzen möglich, bei ap- positiven hingegen nicht (vgl. dazu Motsch 1964:69). In folgendem Beispiel kann der Relativsatz appositiv sein (wenn es nicht um die Referenz der Katze geht, sonderen eine Zusatzinformation geliefert werden soll) oder restriktiv (wenn es explizit um die Referenz der Katze geht). (34) Di Chatz, wo mer geschter zuegloffe esch, humplet. app. / restr. Diev Katze, die mir gestern zugelaufen ist, humpelt. 98 3. Die Spezialverteilung Wird in der standarddeutschen Übersetzung der Artikel durch diejenige ersetzt, wird eine restriktive Lesart provoziert: (35) Di Chatz, wo mer geschter zuegloffe esch, humplet. *app Diejenige Katze, die mir gestern zugelaufen ist, humpelt. Derjenige hebt den von Bach (1974) beschriebenen Charakter von restriktiven Rela- tivsätzen – dass sie darauf hinweisen, dass es mindestens einen weiteren potenziellen Referenten gibt, auf den das Nomen zutrifft – viel stärker hervor als das schwächere der. Ausserdem ist derjenige in einem spezifischen Kontext (es handelt sich um eine spezifische Katze) eher untypisch. Aus diesem Grund wirkt die Ersetzung verstärkend und etwas ungewöhnlich. Dennoch leistet sie zur Erkennung von restriktiven Rela- tivsätzen gute Dienste. 3. Intonationsbruch: In der gesprochenen Sprache besteht ebenfalls eine Probe zur Identifizierung von appositiven und restriktiven Relativsätzen. Appositive Relativsät- ze können mit einem Intonationsbruch einhergehen, restriktive Relativsätze hingegen nicht (vgl. Zifonun 1997:2007, Zifonun 2001:63): (36) Mini Schwöschter – wo jo scho Franz cha – leert jetz no Schpanisch. *restr. Meine Schwester – die ja schon Französisch kann – lernt jetzt noch Spanisch. Obwohl diese Proben nützlich sind, kann häufig dennoch nur unter Zuhilfenahme des situativen Zusammenhangs entschieden werden, ob ein appositiver oder ein restrikti- ver Relativsatz vorliegt (vgl. dazu auch Ebert 1971a:148). 3.4.2.2. Normalverteilung und Abweichungen Die Verteilung des Artikels bei Relativsatzmodifikationen ist im Schweizerdeutschen klar geregelt. Der reduzierte Artikel tritt mit appositiven Relativsätzen auf, der volle Artikel tritt mit restriktiven Relativsätzen auf: (37) De Prince, wo-n-i aui Blate vo-n-em ha, het weder es nöis Aubum. (Derr) Prince, von dem ich alle Platten habe, hat wieder ein neues Album. (38) Dä Maa, wo am nöchschte be de Tüür setzt... Derv Mann, der am nächsten bei der Tür sitzt... 99 3. Die Spezialverteilung Diese Verteilung lässt sich einfach durch die Normalverteilung der Artikelparadigmen erklären: Der reduzierte Artikel tritt in intrinsisch-definiten Kontexten auf, der volle Artikel tritt in phorisch-definiten Kontexten auf. Wenn also die Referenz des nomi- nalen Ausdruck ungeachtet des Relativsatzes geklärt ist – was bei appositiven Rela- tivsätzen der Fall ist – wird der reduzierte Artikel verwendet. Wenn die Referenz des nominalen Ausdrucks ohne Relativsatz hingegen nicht geklärt ist und der Relativsatz für die eindeutige Referenz gebraucht wird – wie dies bei restriktiven Relativsätzen der Fall ist – wird der volle Artikel verwendet. Der volle Artikel kann in intrinsisch-definiten Kontexten nicht auftreten. Deshalb soll- te er mit intrinsisch uniken Ausdrücken, die mit appositiven Relativsätzen modifiziert sind, nicht verwendet werden können. Dies ist auch der Fall: (39) *Dä Prince, wo-n-i aui Blate vo-n-em ha, het weder es nöis Aubum. (Derv) Prince, von dem ich alle Platten habe, hat wieder ein neues Album. Appositive Relativsätze können aber auch einen nominalen Ausdruck modifizieren, der zwar nicht intrinsisch unik ist, dessen eindeutige Referenz aber dennoch ungeachtet des Relativsatzes geklärt wird (z.B. in einem anaphorischen Kontext). In diesem Fall ist der volle Artikel natürlich möglich: (40) Vor de Tüür schtoot e Maa. Dä Maa, wo übrigens geschter scho glüütet het... Vor der Tür steht ein Mann. Derv Mann, der übrigens gestern schon klingelte... Der reduzierte Artikel kann normalerweise in phorisch-definiten Kontexten nicht auf- treten. Deshalb sollte er nicht mit einem Ausdruck, dessen Referenz durch einen ka- taphorischen Verweis auf einen folgenden restriktiven Relativsatz geklärt wird, auf- treten. Dies ist normalerweise auch der Fall. Das folgende Beispiel ist bei restriktiver Interpretation des Relativsatzes mit dem reduzierten Artikel ungewöhnlich: (41) ?E wot a d Uni, wo die beschte Brofässoore het. restr. Ich will an dier Uni, die die besten Professoren hat. Während der volle Artikel mit appositiven Relativsätzen auftreten kann (solange der Ausdruck nicht intrinsisch unik, sondern durch den phorischen Kontext bestimmt ist), sollte der reduzierte Artikel mit restriktiven Relativsätzen eigentlich ungrammatisch sein. In den meisten Fällen wird der reduzierte Artikel tatsächlich auch nicht ver- wendet, wenn der nominale Ausdruck durch einen restriktiven Relativsatz modifiziert 100 3. Die Spezialverteilung wird. Dennoch treten erstaunlich viele Fälle auf, in denen der reduzierte Artikel bei restriktiven Relativsätzen verwendet wird (vgl. Kapitel 4.1). Diese Abweichungen wurden in elizitierten Daten gefunden. In diesen Fällen waren die Vorgaben und die Kontexte so gewählt, dass explizit die Korrelation zwischen Ar- tikelform und restriktivem Relativsatz getestet werden konnte. Der grosse Teil der Befragten verwendeten in diesen Kontexten den vollen Artikel und stützten damit die These, dass restriktive Relativsätze mit dem vollen Artikel auftreten. Ein Teil der Be- fragten verwendeten in diesen Kontexten aber den reduzierten Artikel und stellten damit die These infrage:26 (42) a. Dasch doch di / d Frou, wo-n-ere scho lang das Buech set zruggbrenge. Das ist doch diev/r Frau, der ich schon lang das Buch zurückbringen sollte. b. Dasch doch dä / de Maa, wo mer geschter scho gsee händ. Das ist doch derv/r Mann, den wir gestern schon gesehen haben. Daneben existieren Kontexte mit restriktivem Relativsatz, in denen der reduzierte Artikel gar nicht auftritt – auch nicht bei Personen oder in Dialekten, die in anderen Kontexten mit restriktivem Relativsatz überdurchschnittlich häufig den reduzierten Artikel verwenden: (43) a. Jede bechont di Frou, wo-n-er verdient. Jeder bekommt diev Frau, die er verdient. b. E wot a di Uni, wo di beschte Brofässoore het. Ich will an diev Uni, die die besten Professoren hat. Auch bei den Spontandaten traten reduzierte Artikel mit restriktiven Relativsätzen auf. In diesen Fällen konnten die Kontexte natürlich nicht beeinflusst werden (Bei- spiele aus H. Christens Transkriptionsdokument):27 (44) a. d Lüüt, wo-n-i vo früener kenne dier Leute, die ich von früher kenne 26Die Auswertung der relevanten Frage des SADS ergab, dass 85% der Befragten in diesem Kontext den vollen Artikel verwenden. Die Nacherhebungen in kleinem Rahmen ergab für verschiedene Kon- texte mit restriktivem Relativsatz, dass im Schnitt in knapp 70% der volle Artikel verwendet wird. Vgl. detaillierter Kapitel 4.2. 27Entsprechend schwierig war teilweise auch die Klassifizierung der Relativsätze in appositiv und re- striktiv (obwohl der situative Zusammenhang mitberücksichtigt werden konnte). Von den insgesamt knapp fünfzig Relativsätzen mit reduziertem Artikel sind 25% eindeutig restriktiv, von den insgesamt hundert eindeutig restriktiven Relativsätzen treten gut 10% mit dem reduzierten Artikel auf. Vgl. de- taillierter Kapitel 4.2. 101 3. Die Spezialverteilung b. i de Phöngkt, wo s druf aa chunt in denr Punkten, auf die es ankommt c. s Wüsse, wo d muesch ha dasr Wissen, das du haben musst In den Grammatiken zu den schweizerdeutschen Dialekten sind nominale Ausdrücke, die durch (restriktive) Relativsätze modifiziert sind, teilweise mit dem vollen Artikel und teilweise mit dem reduzierten Artikel ausgewiesen (vgl. dazu detaillierter Kapitel 4.1.1). Im Grossen und Ganzen legen die Daten die These nahe, dass bei restriktiven Rela- tivsätzen der volle Artikel verwendet wird. Im Folgenden werde ich nun einige Vor- schläge machen, wie die Abweichungen von dieser These erklärt werden könnten. 3.4.2.3. Lösungsansätze Für eine Erklärung der Schwankungen, die sich in der Artikelsetzung bei restrikti- ven Relativsätzen ergeben, bieten sich verschiedene Ansätze an. Entweder kann die Lösung in den Eigenschaften des Artikels gesucht werden oder der Charakter des Re- lativsatzes (und/oder des nominalen Ausdrucks) kann für die Schwankung verantwort- lich gemacht werden. 1. Eigenschaften des Artikels: Der reduzierte Artikel in den schweizerdeutschen Dia- lekten wird normalerweise in intrinsisch-definiten Kontexten verwendet. Wie gezeigt worden ist, kann er aber auch in phorisch-definiten Kontexten auftreten. In der Spe- zialverteilung dehnt sich der reduzierte Artikel ins Funktionsfeld des vollen Arti- kels aus. Seine Merkmalsstruktur ändert damit von [DEF] [DET] zu [ANAPH] [DEF] [DET]. Da in phorisch-definiten Kontexten die eindeutige Referenz durch den kata- phorischen Bezug auf einen Relativsatz geklärt werden kann, kann der phorische re- duzierte Artikel mit restriktiven Relativsätzen auftreten. Auf diese Weise können die beschriebenen Abweichungen problemlos erklärt werden: Obwohl der volle Artikel in phorisch-definiten Kontexten mit restriktiven Relativsät- zen prototypisch ist, kann der reduzierte Artikel in seiner phorischen Spezialverwen- dung in diesen Kontexten ebenfalls auftreten. Bei den Vorkommnissen von ,reduzierter Artikel + restriktiver Relativsatz‘ bestehen einerseits dialektale, andererseits idiolektale Unterschiede. Es gibt Dialekte, die die Kombination von reduziertem Artikel und restriktivem Relativsatz kaum zulassen 102 3. Die Spezialverteilung (wie etwa das Berndeutsche), und Dialekte, in denen die Kombination von reduzier- tem Artikel und restriktivem Relativsatz nicht aussergewöhnlich ist (wie etwa das Zürichdeutsche). Bei den Datenerhebungen hat sich zudem gezeigt, dass es Personen gibt, die kaum den reduzierten Artikel bei restriktiven Relativsätzen verwenden, und Personen, bei denen diese Kombination gehäuft auftritt. Dies legt die Interpretation nahe, dass sich der reduzierte Artikel dialektal und idiolektal unterschiedlich stark als phorischer Artikel etabliert hat. In Dialekten und bei Personen mit häufigem Ge- brauch des reduzierten Artikels in phorischen Kontexten muss angenommen werden, dass der reduzierte Artikel nicht (mehr) eindeutig nur [DEF] [DET], sondern häufig [ANAPH] [DEF] [DET] als Merkmalsstruktur aufweist. Neben den Eigenschaften des Artikels könnte allerdings auch der Charakter des Re- lativsatzes bei der Wahl des Artikels eine Rolle spielen. Zwar handelt es sich in allen Fällen um restriktive Relativsätze. Es könnte aber sein, dass sie unterschiedliche Sub- Funktionen übernehmen können. 2. Charakter des Relativsatzes: In der Literatur gibt es zahlreiche Vorschläge, die re- striktive Funktion von Modifikationen genauer zu beschreiben und in verschiedene Unterkategorien zu gliedern (vgl. z.B. Ebert 1971a, 1971b, Lehmann 1984, von Polenz 1988, Gunkel 2007). Zwei davon scheinen mir für die Erklärung der Artikelschwan- kungen im Schweizerdeutschen gewinnbringend: 1. die Unterscheidung von Gegen- standsbestimmung und Begriffsbildung (Lehmann 1984), 2. die Unterscheidung von definitorischen und nicht definitorischen Relativsätzen (Gunkel 2007). Lehmann (1984:208) zeigt auf, dass die restriktive Modifikation zwei unterschiedli- che „Charaktere“ oder Sub-Funktionen hat: die Gegenstandsidentifikation und die Be- griffsbildung. Die restriktive Modifikation deckt so ein Feld von losen und engen Fü- gungen ab, dessen eine Seite durch die Gegenstandsidentifikation, die andere Seite durch die Begriffsbildung abgesteckt wird. Bei der Gegenstandsidentifikation handelt es sich nach Lehmann um explizite Attribution (wie z.B. eine Relativsatzmodifikation), bei der Begriffsbildung um Komposition. Dies zeigt Figur 3.6. Bezüglich der Fügungsenge der beiden Pole teile ich Lehmanns Meinung, dass es sich bei der Gegenstandsidentifikation konzeptionell um eine lose Fügung handelt, bei der Begriffsbildung um eine enge Fügung – ob sich dies syntaktisch gleichermassen nie- derschlägt, ist zu prüfen: Eventuell muss seine Ansicht, dass die Gegenstandsidenti- fikation nur von Relativsätzen, die Begriffsbildung nur von Adjektiven und Kompo- sitionsgliedern erfüllt werden kann, revidiert werden.28 Wenn gezeigt werden kann, dass Relativsätze zur Gegenstandsidentifikation und zur Begriffsbildung eingesetzt 28Lehmann scheint hier selber Unterschiede bei verschiedenen Relativsätzen zu sehen: 103 3. Die Spezialverteilung !"#"$%&'$(%)("$&)!*'&)+$,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,-"#.)//%0)1(2$# ,1+%",,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,34#2$#,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,"$#" "561)7)&",8&&.)02&)+$,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,, ,,9+:6+%)&)+$ 6+%&$+:)$'1".,;<,,,,,,,,,,6.=$+:)$'1".,;<,,,,,,8,,,(>"*&)?@ !1)"(,")$"%, <20&A6"$,:)& '&&.)02& 9+:6+%)&2:% :"B.,!,C"$)#"., <&.2*&2.:)&&"1$ !"$)&)?'&&.)02& Abbildung 3.6.: Skala der Fügungsenge nach Lehmann (1984) werden, können vielleicht die Artikel-Schwankungen im Schweizerdeutschen erklärt werden: Restriktive Relativsätze mit dem vollen Artikel könnten als lose Fügung gel- ten und vorwiegend der Gegenstandsidentifikation dienen, restriktive Relativsätze mit dem reduzierten Artikel könnten als enge Fügung gelten und eher zur Begriffsbildung eingesetzt werden. Dass den Unterschieden in der Fügungsfunktion eine semantische Entsprechung ge- genübersteht, indem bei der Begriffsbildung automatisch bleibende Qualitäten des Nomens, bei der Gegenstandsidentifikation hingegen wechselnde Qualitäten zum Zu- ge kommen, wage ich zu bezweifeln. So können Qualitäten für die Begriffsbildung gewählt werden, die nicht notwendig bestehen bleiben müssen – auch wenn die Ei- genschaft wegfällt, ändert sich der Begriff deswegen nicht: Ein Anschlagbrett wird schwarzes Brett genannt, auch wenn es de facto vielleicht gar nicht schwarz ist. Noch fragwürdiger erscheint die Behauptung, dass bei der Gegenstandsidentifikation wech- selnde Qualitäten eingesetzt werden – vielmehr spielt es bei der Identifizierung ei- nes Referenten überhaupt keine Rolle, ob ihm eine Qualität dauerhaft zukommt oder nicht: (45) a. Siehst du den Mann mit der grossen Nase? dauerhaft b. Siehst du den Mann, der den grauen Koffer trägt? wechselnd Die Fügungsenge unterscheidet in zweiter Linie verschiedene Formen des adnominalen RSes, und zwar zum einen den prä- und postnominalen RS. Jener ist im Durchschnitt enger gefügt, ist dem einfachen Attribut ähnlicher [...], er ist im Durchschnitt weniger komplex, kürzer, und kann nicht so leicht, durch Extraposition oder andere Attribute vom Nukleus dissoziiert werden. Zum anderen unterscheidet die Fügungsenge verschiedene Subtypen des postnominalen RSes. In manchen Sprachen hat man die Wahl zwischen einem enger und einem loser gefügten postnominalen RS. [...] Einer ist mithilfe eines ursprünglichen Demonstrativums attribuiert und folgt den anderen Attributen. Der andere tritt asynde- tisch unmittelbar zum Nukleus im Status Constructus, kann von diesem nicht getrennt und praktisch nicht erweitert werden. (Lehmann 1984:208) Dennoch werden alle Relativsätze bei Lehmann der Gegenstandsidentifikation zugeteilt. 104 3. Die Spezialverteilung Die Behauptung, dass für die Begriffsbildung in erster Linie Adjektive (da sie nach Lehmann meist dauerhafte Qualitäten bezeichnen) und für die Gegenstandsidentifi- kation in erster Linie Relativsätze (da sie nach Lehmann meist wechselnde Qualitäten bezeichnen) verwendet werden, wird dadurch entkräftet.29 Betrachtet man nun die Fälle, in denen im Schweizerdeutschen restriktive Relativsät- ze mit dem reduzierten Artikel gebildet werden, so scheint zumindest die Tendenz zu bestehen, dass es sich um kurze, wenig komplexe Relativsätze handelt, die nicht expli- zit zur Gegenstandsidentifikation verwendet werden: (46) a. d Bedängke, wo si händ dier Bedenken, die sie haben b. s Wüsse, wo d muesch haa dasr Wissen, das du haben musst c. i de Phöngkt, wo s druf aa chunt in denr Punkten, auf die es ankommt Zudem fällt auf, dass das Nomen, das in diesen Nominalphrasen modifiziert wird, häu- fig wenig spezifiziert ist und dadurch semantisch blass wirkt. Auffällig häufig taucht das Nomen Leute in diesen Kontexten auf: (47) a. d Lüüt, wo me kent dier Leute, die man kennt b. d Lüüt, wo jetz i däm Gebiet wone dier Leute, die jetzt in diesem Gebiet wohnen c. met de Lüüt, wo für äim de münd schaffe mit denr Leuten, die für einen dann arbeiten müssen In diesen Fällen liegt natürlich nicht im selben Sinne eine Begriffsbildung vor wie etwa beim Begriff rotes Kreuz (als Symbol und Name für das Internationale Komi- tee des Roten Kreuzes). Dennoch könnte hier dafür argumentiert werden, dass diese Relativsätze zwar restriktiv sind, dass sie aber nicht zur Gegenstandsidentifikation, sondern eher zur Begriffsbildung gebraucht werden. Eine ähnliche Idee scheint Ebert vorzuschweben, wenn sie für Fügungen wie die Menschen, die rauchen und die Vögel, 29Die alternative These, dass nicht die Beschaffenheit der Qualität, sondern die syntaktische Komplexität der Modifikation den Ausschlag gibt, indem Relativsätze komplexer und meistens länger als Adjektive sind, wird von Namen wie TAFKAP infrage gestellt, bei dem eine durch einen Relativsatz modifizierte Nominalphrase zur Begriffsbildung gewählt wird (‘The Artist Formerly Known As Prince’). 105 3. Die Spezialverteilung die im Herbst gen Süden ziehen im Westerland-Föhring annimmt, dass das „Nomen des Matrixsatzes und [der] Relativsatz zusammen einen Begriff bilden, der im Deut- schen durch ‘Raucher’ und ‘Zugvögel’ ausgedrückt werden kann“ (Ebert 1971a:143, Hervorhebung im Original). Auf die obigen Beispiele angewendet, würde dies bedeuten, dass es sich bei diesen Fügungen um „verkappte“ Begriffe handelt. Da die passenden Begriffe (als einfache Wörter oder Kompositionen) nicht zugänglich sind, wird auf Konstruktionen mit Re- lativsatz ausgewichen. Die Fügungen könnten in etwa ersetzt werden durch Grundbe- denken (46-a), Basiswissen (46-b), Kernpunkte (46-c), Bekannte (47-a), Bewohner (47-b) und Angestellte (47-c). Wenn von einer Unterscheidung von gegenstandsidentifizierenden und begriffsbilden- den restriktiven Relativsätzen ausgegangen wird, die sich durch ihre Fügungsenge unterscheiden, kann die Artikelsetzung erklärt werden. Bei gegenstandsidentifizie- renden restriktiven Relativsätzen liegt eine lose Fügung vor. Deshalb wird in diesen Fällen der volle Artikel mit phorischer Kraft verwendet. Bei begriffsbildenden restrik- tiven Relativsätzen liegt eine enge Fügung vor. Deshalb wird in diesen Fällen der re- duzierte Artikel ohne phorische Kraft verwendet. Dennoch muss es sich bei der Klas- sifizierung von restriktiven Relativsätzen in gegenstandsidentifizierende und in be- griffsbildende sehr stark um eine Ermessensfrage handeln. In den Erhebungen ist ein und dieselbe Phrase von unterschiedlichen Personen unterschiedlich beantwortet wor- den. Es muss deshalb angenommen werden, dass in denjenigen Fällen, in denen der volle Artikel verwendet worden ist, der Kontext eher als Gegenstandsidentifikation interpretiert wurde, und dass in denjenigen Fällen, in denen der reduzierte Artikel verwendet worden ist, der Kontext eher als Begriffsbildung gedeutet wurde.30 Ein anderer Fall liegt vor in Beispielen wie den folgenden (vgl. (43), hier wiederholt als (48): (48) a. Jede bechont di Frou, wo-n-er verdient. Jeder bekommt diev Frau, die er verdient. b. E wot a di Uni, wo di beschte Brofässoore het. Ich will an diev Uni, die die besten Professoren hat. 30Dass die kreierten Kontexte in Datenerhebungen teilweise von den InformantInnen unterschiedlich interpretiert werden, ist ein bekanntes Phänomen. Obwohl grosser Wert darauf gelegt wird, Kontexte zu kreieren, die eineindeutig sind, kann dieses Ziel häufig nicht erreicht werden. Dass ein Teil der Artikel- Schwankungen auf nicht eindeutigen Kontexten beruht, kann deshalb nicht ausgeschlossen werden. 106 3. Die Spezialverteilung In diesen Fällen restriktiver Modifikation tritt der reduzierte Artikel kaum auf. Dies entspricht zwar der Grunderwartung für restriktive Relativsätze. Dennoch interes- siert hier die Frage, was diese restriktiven Relativsätze von restriktiven Relativsät- zen unterscheidet, die mit dem reduzierten Artikel auftreten können (wie in Beispiel (42)). Eine Antwort auf diese Frage liefert eventuell Gunkel (2007). Gunkel unterscheidet zwei Kategorien von restriktiven Relativsätzen: definitorische und nicht definitori- sche. Bei definitorischen restriktiven Relativsätzen ist das Referenzobjekt noch nicht kommunikativ fixiert, es wird erst durch den Relativsatz etabliert. Mithilfe des Re- lativsatzes wird demnach ein Referenzobjekt „gesucht“, das über die Eigenschaft des Relativsatzes verfügt. Die Existenz eines solchen Gegenstandes wird dabei nicht prä- supponiert. Definitorische Relativsätze sind nach Gunkel (2007:3) somit unspezifisch (oder attributiv nach Donnellan (1966), vgl. dazu ausführlicher Kapitel 8.2.1.3), d.h. der Sprecher oder die Sprecherin nimmt Bezug auf ein Referenzobjekt, das die Eigen- schaft des Relativsatzes aufweist – wer/was auch immer das sein mag. Mit nicht defini- torischen restriktiven Relativsätzen ist das Referenzobjekt hingegen bereits kommu- nikativ fixiert, es muss nur kognitiv aktiviert werden. Mithilfe des Relativsatzes wird ein bekanntes Referenzobjekt ins Gedächtnis gerufen. Seine Existenz wird dabei vor- ausgesetzt. Nicht definitorische Relativsätze sind demnach spezifisch (oder referentiell nach Donnellan (1966)), d.h. die Sprecherin oder der Sprecher hat ein Referenzobjekt im Kopf, das für den Hörer oder die Hörerin durch den Relativsatz identifizierbar ge- macht werden soll – ob ihm die Eigenschaft des Relativsatzes tatsächlich zukommt, ist dabei zweitrangig. Die Unterscheidung in definitorische und nicht definitorische restriktive Relativsätze kann den Unterschied in der Artikel-Schwankung im Schweizerdeutschen (zwischen Beispiel (42) und Beispiel (48)) erklären. In denjenigen Fällen, in denen nur der vol- le Artikel auftreten kann, handelt es sich um definitorische restriktive Relativsätze. In Beispiel (48) ist die Referenz von Frau und von Uni noch nicht etabliert (man hat keine spezifische Frau oder Uni im Kopf). Ihre Existenz wird auch nicht präsuppo- niert, vielmehr wird nach einem Gegenstand Ausschau gehalten, der die Eigenschaft des Relativsatzes aufweist, – wer/was auch immer das sein mag. In denjenigen Fällen, in denen ausnahmsweise auch der reduzierte Artikel auftreten kann, handelt es sich um nicht definitorische restriktive Relativsätze. In Beispiel (42) ist die Referenz von Frau und von Mann bereits kommunikativ fixiert (man hat eine ganz spezifische Frau resp. einen ganz spezifischen Mann im Kopf). Ihre Existenz wird deshalb auch voraus- gesetzt. Durch den Relativsatz wird die Referenz für den Hörer zugänglich gemacht. 107 3. Die Spezialverteilung Nach Gunkel (2007:8) können im Standarddeutschen31, Niederländischen, Schwedi- schen und Französischen Unterschiede festgestellt werden bezüglich der Kompatibili- tät verschiedener Demonstrativa (zu denen er auch betontes der zählt) mit verschie- denen Relativsatztypen. Die schweizerdeutschen Daten deuten darauf hin, dass die schweizerdeutschen Definit-Determinierer ebenfalls unterschiedliche Kompatibilitä- ten aufweisen: Der reduzierte Artikel ist typisch mit appositiven Relativsätzen, un- typisch mit nicht definitorischen restriktiven Relativsätzen und ungrammatisch mit definitorischen restriktiven Relativsätzen. Der volle Artikel ist untypisch mit apposi- tiven Relativsätzen, typisch mit nicht definitorischen restriktiven Relativsätzen und notwendig mit definitorischen restriktiven Relativsätzen. Wie gezeigt, kann eine genauere Relativsatzklassifizierung helfen, die Schwankun- gen in der Artikelsetzung bei der Relativsatzmodifikation besser beschreiben zu kön- nen. Die Fälle von obligatorischem vollem Artikel können durch die Unterscheidung von definitorischen und nicht definitorischen restriktiven Relativsätze erklärt werden. Den übrigen Fällen mit restriktiven Relativsätzen kann man sich durch die Unter- scheidung von gegenstandsidentifizierenden und begriffsbildenden Relativsätzen an- nähern. Allerdings muss zusätzlich davon ausgegangen werden, dass dialektale und idiolektale Unterschiede bestehen bezüglich der Merkmalsstruktur des reduzierten Artikels ([+/– ANAPH]). Zum Schluss soll kurz der Frage nachgegangen werden, was Relativsätze von anderen Modifikationen in der Nominalphrase unterscheidet. 3.4.3. Andere Modifikationen in der Nominalphrase Nominale Ausdrücke können nicht nur durch Relativsätze modifiziert werden, son- dern z.B. auch durch Adjektive, Präpositionalphrasen, Genitivattribute etc. Die Klas- sifizierung von Modifikationstypen in appositiv und restriktiv wie sie in Kapitel 3.4.2 dargelegt wurde, gilt nicht nur für Relativsätze. Sie kann teilweise auch auf andere Modifikationen angewendet werden. So kann z.B. ein Adjektiv appositiv oder restrik- tiv verwendet werden: (49) a. der schöne Mond appositiv b. der rote Schal (nicht der blaue) restriktiv 31Die Behauptung, dass derjenige nur mit definitorischen restriktiven Relativsätzen auftreten kann, hal- te ich für zu streng. Zwar ist dies der prototypische Kontext für derjenige. Allerdings ist derjenige in nicht definitorischen restriktiven Relativsätzen nicht ausgeschlossen: So kann in Sätzen wie gerade diejenige Frau, die mir geholfen hat, ist verschwunden oder diejenigen Ereignisse, die meine Situation veränderten (Duden, Universalwörterbuch 2006) das Referenzobjekt spezifisch interpretiert werden. 108 3. Die Spezialverteilung Lehmann (1984) hat ein Fügungsfeldermodell für verschiedene Modifikationen vor- gelegt, welches zwischen zwei Funktionen der restriktiven Modifikation unterschei- det: Gegenstandsidentifikation und Begriffsbildung. Lehmann (1984) behauptet, dass diese beiden Funktionen mit der Fügungsenge der Modifikation korrelieren: Lose Fü- gungen werden für die Gegenstandsidentifikation verwendet, enge Fügungen für die Begriffsbildung. Folgendes Beispiel macht aber deutlich, dass die Enge der Fügung nicht automatisch mit der Funktion der Restriktion korreliert: (50) a. der rote Schal (nicht der blaue) gegenstandsidentifizierend b. das rote Kreuz begriffsbildend So kann ein Adjektiv (als enge Fügung) für die Gegenstandsidentifikation und für die Begriffsbildung eingesetzt werden. Zwar werden Adjektive vielleicht häufiger für die Begriffsbildung verwendet als für die Gegenstandsidentifikation (und Relativsätze häufiger für die Gegenstandsidentifikation als für die Begriffsbildung), von einer 1:1- Korrelation kann aber nicht die Rede sein. Vergegenwärtigen wir uns allerdings, mit welchen Modifikationen welches Artikelpa- radigma gebraucht wird, so wird eine Korrelation zwischen Artikel und Modifikation deutlich: Modifizierte Nominalphrasen werden im Schweizerdeutschen immer mit dem reduzierten Artikel eingeleitet (sofern der nominale Ausdruck nicht unabhängig von der Modifikation phorisch oder deiktisch verwendet wird) – gleichgültig welche Modi- fikationsform verwendet wird und in welcher Funktion diese auftritt. Eine Ausnahme von dieser Regel bilden nominale Ausdrücke, die durch einen Relativsatz in restrik- tiver Funktion (wenn er gegenstandsidentifizierend oder definitorisch ist) modifiziert werden: Bei restriktiven Relativsätzen wird der volle Artikel gesetzt. Die Artikelset- zung bei Präpositionalphrasen ist nicht ganz klar: Der volle Artikel bei restriktiver Modifikation wird nicht so selbstverständlich gesetzt wie bei Relativsätzen, er ist aber nicht so ungrammatisch wie z.B. bei Adjektiven: (51) dä/de Maa vo geschter derv/r Mann von gestern Die Antwort auf die Frage, was denn Relativsätze (und Präpositionalphrasen) von an- deren Modifikationen unterscheidet, könnte dennoch in der Fügungsenge liegen: Enge Fügungen stehen immer direkt beim Nomen, weite Fügungen sind bezüglich der Nähe zum Nomen flexibler. Je näher eine Fügung beim Nomen steht, desto eher tritt der nominale Ausdruck mit dem reduzierten Artikel (ohne phorische Kraft) auf. Je loser 109 3. Die Spezialverteilung die Fügung ist, desto eher tritt der nominale Ausdruck mit dem vollen Artikel (mit phorischer Kraft) auf (falls die Modifikation für die Referenz eine Rolle spielt). Nach Eisenberg (1999:231) sieht die lineare Verteilung der verschiedenen Modifika- tionen wie in Figur 3.7 aus – adaptiert auf die schweizerdeutschen Gegebenheiten (es werden nur die wichtigsten Modifikationen berücksichtigt, Genitivattribute stehen in Klammern, da sie im Schweizerdeutschen kaum vorkommen). Komp.- (Gen. Attr.) (Gen. Attr.) Adj. Attr. Nomen Präp.-Attr. RS-Attr. glied App. Abbildung 3.7.: Fügungsanordnung nach Eisenberg (1999) Enge Fügungen sind demnach Adjektivattribute, Appositionen und Kompositionsglie- der. Lose Fügungen sind Präpositionalattribute und insbesondere Relativsätze. Da nur Relativsätze (und Präpositionalphrasen) Einfluss auf die Artikelsetzung haben kön- nen, liegt der Schluss nahe, dass der Unterschied der verschiedenen Modifikationen in Bezug auf die Artikelsetzung tatsächlich in der Fügungsenge begründet ist: Bei engen Fügungen wird immer der reduzierte Artikel verwendet, auch wenn die Modifikati- on in restriktiver gegenstandsidentifizierender Funktion auftritt. Da die Modifikation nahe beim Nomen auftritt, wird sie immer mit dem Nomen in corpore interpretiert. Bei losen Fügungen wird der volle Artikel verwendet, wenn die Modifikation in re- striktiver gegenstandsidentifizierender (oder definitorischer)32 Funktion auftritt. Da die Modifikation weiter vom Nomen entfernt auftritt, wird sie nicht mit dem Nomen in eins interpretiert, wodurch die phorische Kraft des vollen Artikels nötig wird. Wie der Unterschied der Fügungsenge syntaktisch festgehalten werden kann, werde ich in Teil II darlegen. 3.4.4. Zusammenfassung In der Nominalphrase existieren neben den Spezialfällen bei der Bezugnahme zwei weitere Spezialfälle, die beide auftreten, wenn die Nominalphrase modifiziert wird: 1. bei der Adjektivmodifikation, 2. bei der Relativsatzmodifikation. Bei der Adjektivmodifikation tritt regelhaft anstelle des reduzierten Artikels d die Form di auf. Dabei handelt es sich aber nicht eigentlich um einem Artikel-Wechsel, 32Die Unterscheidung in definitorisch und nicht definitorisch (Gunkel 2007) ist nur auf Relativsätze (und Präpositionalphrasen) anwendbar. Für die übrigen Modifikationen kann sie nicht geltend gemacht wer- den. 110 3. Die Spezialverteilung vielmehr handelt es sich immer noch um einen reduzierten Artikel, der für die Kliti- sierung ans Adjektiv durch einen zusätzlichen i-Reflex silbisch gemacht wird. Dadurch tritt partielle Homonymie zwischen dem reduzierten Artikel und dem vollen Artikel auf. Bei der Relativsatzmodifikation wird die Nominalphrase normalerweise mit dem re- duzierten Artikel verwendet, wenn der Relativsatz appositiv ist, und mit dem vollen Artikel, wenn der Relativsatz restriktiv ist. In den analysierten Datenkorpora sind al- lerdings auch Fälle aufgetreten, in denen bei restriktiven Relativsätzen der reduzierte Artikel gesetzt wurde. Diese Fälle können unterschiedlich interpretiert werden: 1. Der reduzierte Artikel wird in der phorischen Funktion verwendet. Da dialektale und idio- lektale Unterschiede bestehen, muss angenommen werden, dass der reduzierte Artikel dialektal und idiolektal unterschiedlich geläufig mit der Merkmalsstruktur [ANAPH] [DEF] [DET] auftritt. 2. Die restriktiven Relativsätze können in gegenstandsbestim- mend und begriffsbildend unterteilt werden. Nur bei gegenstandsbestimmenden re- striktiven Relativsätzen wird der volle Artikel verwendet. Die dialektalen und idiolek- talen Unterschiede müssen dadurch erklärt werden, dass es häufig eine Ermessens- frage ist, ob ein Relativsatz eher gegenstandsbestimmend oder eher begriffsbildend verwendet wird. 3. Die restriktiven Relativsätze können in definitorisch und nicht de- finitorisch unterteilt werden. Nur bei definitorischen restriktiven Relativsätzen wird der volle Artikel gesetzt. Bei definitorischen restriktiven Relativsätzen bestehen kaum dialektale und idiolektale Unterschiede. Auch Dialekte und Personen, die überdurch- schnittlich häufig den reduzierten Artikel verwendet, setzen bei definitorischen re- striktiven Relativsätzen den vollen Artikel. Obwohl auch bei anderen Modifikationen in der Nominalphrase zwischen der appo- sitiven und der restriktiven Funktion unterschieden werden kann, tritt nur beim re- striktiven Relativsatz (und rudimentär bei restriktiven Präpositionalattributen) der volle Artikel auf. Dies kann durch die Fügungsenge der jeweiligen Modifikation er- klärt werden. Adjektive, Appositionen und Kompositionen stellen enge Fügungen dar, die in Bezug auf ihre Stellung zum Nomen kaum Freiheiten aufweisen. Präpositio- nalphrasen und Relativsätze hingegen sind lose Fügungen und weisen in Bezug auf ihre Stellung zum Nomen viel mehr Freiheiten auf. Aus diesem Grund können nur Relativsätze (und Präpositionalphrasen) den vollen Artikel verlangen, da nur sie als kataphorische Information dienen können. Der Abschluss des ersten Teiles ist einerseits der Präsentation der Daten gewidmet, aufgrund derer die Normalverteilung und die Spezialverteilung der drei Paradigmen eruiert werden konnte, andererseits einem Vergleich mit anderen Dialekten und Spra- chen. Ich werde zuerst einen Dialektvergleich anstellen, indem ich die Ergebnisse der 111 3. Die Spezialverteilung Literatur zu diesem Thema zusammenfasse. Anschliessend werde ich die Resultate präsentieren, die ich aus der ausgewerteten Datenbasis (die auf verschiedenen Daten- korpora beruht) gewonnen habe. Zum Schluss werde ich aufzeigen, dass es neben dem Schweizerdeutschen zahlreiche Dialekte und Sprachen gibt, die ebenfalls das Phäno- men der doppelten Artikelführung aufweisen. Hierfür werde ich einen Vergleich der schweizerdeutschen Artikelparadigmen mit Artikelparadigmen in verschiedenen an- deren deutschen Dialekten und in drei ausgewählten Sprachen anstellen. 112 4. Dialektdaten In den ersten zwei Kapiteln meiner Arbeit habe ich die Normalverteilung und die Spezialverteilung der Artikelparadigmen, wie sie für verschiedene schweizerdeutsche Dialekte belegt werden kann, generell beschrieben. Um eine gewisse Kompaktheit der Beschreibung zu bewahren, bin ich nicht detailliert auf dialektale Unterschiede einge- gangen und habe keinen direkten Bezug zu den Datenerhebungen hergestellt. In diesem Kapitel geht es nun darum, die Daten zu präsentieren, die der Beschreibung der Funktionsfelder der schweizerdeutschen Artikelparadigmen zugrundeliegen. Ich werde dafür erstens die Datenlage, wie sie in den schweizerdeutschen Grammatiken und Artikeluntersuchungen beschrieben wird, darstellen und die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Dialekte zusammenfassen. Zweitens werde ich die Ergebnisse der verschiedenen Datenkorpora, die ich für die Analyse verwendet haben, darlegen und anhand von Beispielen die verschiedenen Gebrauchskontexte der Artikelparadig- men belegen. 4.1. Dialektdaten in der Fachliteratur Der Artikel und das Demonstrativum mit ihren Formen und Gebrauchsweisen werden sowohl in den verschiedenen Grammatiken zu den schweizerdeutschen Dialekten be- handelt als auch, und insbesondere, in spezifischen Artikeluntersuchungen zum The- ma gemacht. Die Darstellungen in den Grammatiken erfassen eine Fülle von Daten und lassen eine grosse Systematizität erkennen. Während in den Grammatiken eine gute Übersicht über die verschiedenen Formen von Artikel und Demonstrativum ge- geben wird, verfolgen die spezifischen Artikeluntersuchungen eine Detailanalyse mit einem je klar formulierten Ziel (wie z.B. die Sprachgeografie einzelner Artikelformen (vgl. dazu auch die Karten zum reduzierten Artikel im SDS) oder der phonologisch- syntaktische Status des reduzierten Artikels). Durch die Analyse verschiedener Da- tenkorpora, die ich teilweise zur Verfügung gestellt bekommen und teilweise durch eigene Erhebungen gewonnen habe, wurden die bestehenden Beschreibungen zum Ar- tikelsystem im Schweizerdeutschen überprüft und insbesondere die Beschreibungs- lücken bezüglich Artikel und Modifikation geschlossen. 113 4. Dialektdaten Im Folgenden werde ich zuerst die verschiedenen Dialektregionen anhand der vorhan- denen Grammatiken und Monographien miteinander vergleichen. Eine Tabelle zur Übersicht über die Artikel und Demonstrativa in den verschiedenen Dialekten erfolgt im Anschluss an die Einzelbesprechungen. Anschliessend werden die Erkenntnisse der spezifischen Artikeluntersuchungen zusammengefasst und kommentiert. Zum Schluss werde ich die Resultate und Besonderheiten der eigenen empirischen Untersuchungen zusammenfassen. Dabei soll überprüft werden, ob die erhobenen Daten mit den Erläu- terungen der Grammatiken und Artikeluntersuchungen übereinstimmen. Ausserdem werden die Daten besprochen, die die Interaktion von Artikel und Modifikation (Ad- jektive, Relativsätze) betreffen. 4.1.1. Grammatiken der schweizerdeutschen Dialekte 4.1.1.1. Marti (1985): Berndeutsch Nach Marti unterscheidet das Berndeutsche zwischen dem definiten Artikel und ver- schiedenen Demonstrativa für ‘dieses’ und ‘jenes’. Neben dem Artikel der, d(i), ds exis- tiert ein schwachtoniges Demonstrativum dä, die, das (= mein voller Artikel)1 und ein starktoniges Demonstrativum dää, die, daas, das zur Akzentuierung zusätzlich gedehnt wird. Daneben bestehen die Demonstrativa dises ‘dieses’ und äis ‘jenes’ – ne- ben sälbs, seligs, derigs, so nes, die ihre Wurzeln entweder in selbiges, derartig oder so eines haben. Darin, dass ein lautliches und semantisches Pendant zu standardsprach- lichem dieses besteht, bildet das Berndeutsche eine Ausnahme: In den meisten schwei- zerdeutschen Dialekten wird das lautliche Pendant dise semantisch für das standard- sprachliche jenes verwendet. Ein schweizerdeutsches Pendant zum standarddeutschen Demonstrativum derjenige wird nicht erwähnt. Speziell erwähnt werden: – die Form di statt d (Fem. Nom./Akk. Sing. und im Nom./Akk. Plur.) vor Adj. (allerdings ohne Erklärung) – der Wegfall des anlautenden d- im Dativ (mit der Begründung, diese Form sei durch falsche Ablösung entstanden) 1Wie bereits erwähnt, wird in den Grammatiken zu den schweizerdeutschen Dialekten die volle Form dä, di, das (wahrscheinlich aufgrund der potenziell pronominalen Gebrauchsweise) immer als schwachtoni- ges Demonstrativum und nicht als voller Artikel klassifiziert. Dennoch handelt es sich (aufgrund der Formen und Verwendungsweisen) um dasjenige Paradigma, das ich (auch in den folgenden Ausführun- gen) voller Artikel nenne. Meine Klassifizierung dieser Form als Artikel hat zwei Gründe: Erstens folge ich hierin der Tradition in der Literatur zu Artikelparadigmen in verschiedenen Dialekten und Spra- chen. Zweitens weist der volle Artikel das demonstrative Merkmal, das für Demonstrativa konstitutiv ist, nicht auf (vgl. dazu Kapitel 3.2.3.2 und Kapitel 3.3). 114 4. Dialektdaten – die möglichen Verschmelzungen mit Präpositionen (ohne auf den besonderen Klitik-Status hinzuweisen oder diese Formen von den Vollformen abzugrenzen und jeweils mit unterschiedlicher Semantik zu belegen) – der Wegfall des Artikels nach den Präpositionen an und in – das häufige Auftreten des pronominalen Demonstrativums mit Relativsätzen wie Dää, wo zersch drachunt, dä... ‘der(jenige), der zuerst drankommt, der...’ (Es handelt sich in diesen Fällen um definitorische Relativsätze, die bevorzugt mit dem vollen Artikel resp. mit dem Demonstrativum auftreten und im Stan- darddeutschen normalerweise mit derjenige und nicht mit dieser verwendet wer- den. Vgl. zur Unterscheidung von definitorischen und nicht definitorischen Rela- tivsätzen Kapitel 3.4.2.3.) Die grosse Mehrheit der Relativsätze tritt in Marti (1985) mit dem vollen Artikel (oder dem Demonstrativum) auf: (1) (Marti 1985:237) a. Du hesch dä Mantu, wo so nes kurligs Chrägli het, nid öppe gchouft!? Du hast denv Mantel, der so ein kauziges Kräglein hat, nicht etwa gekauft!? b. Vo dene Schwümm im Düürzug, wo du mir von ne bbrichtet hesch, han i nöie nüüt gmerkt. Von denv/diesen Pilzen im Durchzug (Waldname), von denen du mir berich- tet hast, habe ich neulich nichts gemerkt. Nur Relativsätze in intrinsisch-definiten Kontexten (z.B. mit Superlativen, Unika, ge- nerischen Ausdrücken) treten mit dem reduzierten Artikel auf: (2) (vgl. Marti 1985:237) a. Ds Dümmschte, was men jetzt cha mache... Dasr Dümmste, was man jetzt kann machen... b. D Mueter vom Patrick, wo mit üsem Köbi... Dier Mutter von Patrick, die mit unserem Jakob... c. Den Amerikaner, wo nis wirtschaftlich i Wäg lege, was si chöi... Denr Amerikanern, die uns wirtschaftlich in Weg legen, was sie können... Zusammenfassend: Das Berndeutsche verfügt nach Marti (1985) über drei distinkte Paradigmen mit unterschiedlichen Gebrauchskontexten. Die Form d wird regelhaft 115 4. Dialektdaten bei Adjektivmodifikation zu di. Der Artikel wird bei Relativsatzmodifikation (sofern sie restriktiv und nicht appositiv ist) regelhaft in seiner vollen Form eingesetzt. Über die Spezialfälle der Bezugnahme lassen sich anhand der Angaben bei Marti (1985) keine weitergehenden Aussagen treffen. 4.1.1.2. Suter (1992): Baseldeutsch Nach Suter verfügt das Baseldeutsche über einen aus dem Demonstrativum entstan- denen Artikel der, d, s und zwei Demonstrativa: dää, die, daas ‘dieser’, das „mit star- kem Nachdruck“ (Suter 1992:80) versehen wird (und anders als in den meisten ande- ren Dialekten im Dativ teilweise einen Langvokal aufweist: dääre, dääne) und dä, die, das, das schwächer und weniger betont ist und für die Bezugnahme verwendet wird. Leider werden die semantischen und gebrauchsrelevanten Unterschiede der beiden Demonstrativa nicht weiter erläutert, es scheint sich bei der schwächeren Form aber um den phorischen vollen Artikel zu handeln. Damit spiegelt diese Differenzierung die Unterscheidung zwischen vollem Artikel und Demonstrativum wider (obwohl von einem Artikel und zwei Demonstrativa gesprochen wird). Daneben verfügt das Basel- deutsche über die Demonstrativa säll (das lautlich dem standardsprachlichen selbiges entspricht, semantisch aber für jenes gebraucht wird) und so ais (standardsprachliches so beschaffen, solch). Speziell erwähnt werden: – die Form di statt d (Fem. Nom./Akk. Sing. und im Nom./Akk. Plur.) vor Adj. (allerdings ohne Erklärung) – die Abschwächung von de zu e nach bestimmten Präpositionen – die Umdeutungsmöglichkeit der Dativform em zu am oder im (allerdings ohne Verweis auf eine möglicherweise involvierte oder zugrundelie- gende Präposition (vgl. Penner & Schönenberger 1995, Seiler 2003)) – die möglichen Verschmelzungen mit Präpositionen – die Verschmelzung einer Akkusativform den mit den Präpositionen an und in in Beispielen wie an Bach, in Gaarte – die Wiedergabe von ‘wer’ / ‘derjenige, welcher’ mit dää, wo: dää, wo am maischte Phinggt het... ‘derjenige, welcher am meisten Punkte hat...’ (Das Demonstrativum wird mit definitorischen Relativsätzen verwendet.) Auch im Baseldeutschen tritt bei der Besprechung der Relativsätze in Suter (1992) nahezu ausschliesslich der volle Artikel auf: 116 4. Dialektdaten (3) (Suter 1992:165) a. dä Maa, wòn em alles abverheit derv Mann, dem alles misslingt b. Die Èpfel, wò mer bikoo hänn, sinn myseraabel. Diev Äpfel, die wir bekommen haben, sind miserabel. Nur in intrinsisch-definiten Kontexten findet sich der reduzierte Artikel: (4) s Schlimmscht basiert, wò basiere kaa dasr Schlimmste passiert, was passieren kann (Suter 1992:165) Nicht ganz eindeutig ist folgender Fall: (5) d Axt, wòn er s Hòlz dermit gspalted hèt dier Axt, mit der er das Holz gespalten hat (Suter 1992:165) Falls es sich nicht um einen Tippfehler handelt, kann das Beispiel auf zwei Arten gedeutet werden: 1. Axt gilt als situatives Unikum und der Relativsatz ist appositiv, 2. restriktive Relativsätze können im Baseldeutschen auch mit dem reduzierten Artikel auftreten. Die zweite Erklärung ist, da das Beispiel (5) bei Suter das einzige Datum ist, aber eher unwahrscheinlich. Interessant für die Unterscheidung von Artikel und Demonstrativum ist in diesem Zusammenhang ausserdem die Tatsache, dass Suter sämtliche Formen, die er als „schwachtonige Demonstrativa“ bezeichnet und im Paradigma mit „dieser“ wieder- gibt, in den Beispielsätzen mit „der“ übersetzt. Dies lässt zwei Schlüsse zu: 1. das schwachtonige Demonstrativum wird häufig als betontes der und nicht als dieser ver- standen resp. kann es bei der Übersetzung ins Standarddeutsche durch den Zusam- menfall von betontem der und dieser im Schweizerdeutschen zu Ungenauigkeiten kom- men, 2. das schwachtonige Demonstrativum wird häufig doch eher als Artikel, denn als Demonstrativum interpretiert. Zusammenfassend: Das Baseldeutsche verfügt nach Suter (1992) über drei distinkte Paradigmen mit unterschiedlichen Gebrauchskontexten. Die Form d wird regelhaft bei Adjektivmodifikation zu di. Der Artikel wird bei Relativsatzmodifikation (sofern sie restriktiv und nicht appositiv ist) regelhaft in seiner vollen Form eingesetzt. Über die Spezialfälle der Bezugnahme lassen sich anhand der Angaben bei Suter (1992) keine weitergehenden Aussagen treffen. 117 4. Dialektdaten 4.1.1.3. Weber (1987): Zürichdeutsch Nach Weber gibt es neben einem lautlich stark geschwächten Artikel de(r), d, s zwei Demonstrativa für dieses: eine betonte Form, „mit starkem Nachdruck“ dëë, die, daas und eine „minderbetonte“ dë, die, das mit „beziehend-hinweisender Bedeutung“ (Weber 1987:139f.). Weber unterscheidet relativ systematisch zwischen diesen beiden Formen und gibt auch die verschiedenen Gebrauchsweisen für das schwach betonte Demons- trativum (= mein voller Artikel) mit passenden Beispielen an. Neben der „Wiederauf- nahme von bereits Erwähntem“ (= anaphorische Verwendung) und dem „Hinweis auf erst noch zu Nennendes“ (= kataphorische Verwendung) wird der Gebrauch bei „at- tributiven Bestimmungen“ genannt. Als attributive Bestimmungen, die ein schwach betontes Demonstrativum fordern, gelten bei Weber Relativsätze – aber auch Adjek- tive. Dies ist insofern erstaunlich, als die Beispiele zwar richtig sind, die Setzung der schwach betonten Form jedoch nicht durch das attributive Adjektiv bedingt sein kann, sondern durch den Ausrufcharakter der Beispiele gegeben ist: (6) (Weber 1987:140) a. dë tumm Kärli derv/dieser dumme Kerl b. das tunders Mäitli dasv/dieses unverschämte Mädchen Daneben werden drei Demonstrativa für standardsprachliches jenes beschrieben: säb, dises und änes. Säb entspricht der Form nach standardsprachlichem dasselbe, dises standardsprachlichem dieses, änes standardsprachlichem jenes. Dises wird vor allem für das andere verwendet, änes ist veraltet und kommt beinahe nur noch im Kompa- rativ und Superlativ zusammen mit dem definiten Artikel vor (s äner, s änerscht). Speziell erwähnt werden: – die Form di statt d (Fem. Nom./Akk. Sing. und im Nom./Akk. Plur.) vor Adj. (allerdings ohne Erklärung) – eine erweiterte Pluralform diene zu die (für standardsprachliches diejenigen) – der Wegfall des anlautenden d- im Dativ (mit der Begründung, diese Form sei durch falsche Ablösung entstanden) 118 4. Dialektdaten – die möglichen Verschmelzungen mit Präpositionen (allerdings ohne auf den besonderen Klitik-Status hinzuweisen oder diese For- men von den Vollformen abzugrenzen und jeweils mit unterschiedlicher Seman- tik zu belegen) – die Umdeutungen im Dativ von em zu am und im (Als Erklärung wird hier der Umstand angegeben, dass die Präpositionen am und im teilweise zu em abgeschwächt werden und damit lautlich mit den Arti- kelformen zusammenfallen, so dass umgekehrt die lautlich starken Präpositions- formen auch für die Artikelformen verwendet werden können.)2 – die Verschmelzung einer alten Akkusativform oder einer Plural-Dativform den mit den Präpositionen an und in (an Bach, in Gaarte, an Sundige) – die Wiedergabe von ‘wer’ / ‘derjenige, welcher’ mit dëë, wo: dëë wo zerschte chunt, maalt zeerschte ‘wer zuerst kommt, mahlt zuerst’ (Das Demonstrativum wird mit definitorischen Relativsätzen verwendet.) Die Besprechung der Relativsätze in Weber (1987) zeigt fürs Zürichdeutsche ein etwas anderes Bild als fürs Berndeutsche und fürs Baseldeutsche (und als meine Analysen ergeben haben): Der Relativsatz wird häufiger mit dem reduzierten Artikel verwendet als mit dem vollen Artikel. Einige dieser Fälle können zwar als intrinsisch-definite Kontexte gelten (wie in Beispiel (7) mit relationalem Nomen resp. situativem Unikum) und der Relativsatz kann dadurch appositiv interpretiert werden, dennoch besteht hier ein klarer Unterschied zum Bern- und Baseldeutschen:3 2Diachron kann teilweise festgestellt werden, dass Verschmelzungsformen und Angleichungsprozesse wieder rückgängig gemacht werden, um die erwünschte Abgrenzung zweier sprachlicher Phänomene er- neut zu gewährleisten (vgl. dazu die Diskussion in Meyer 1967). Da aber Variation und Überschneidun- gen in der Sprache durchaus vorkommen, muss Webers Erklärungsversuch nicht grundsätzlich falsch sein. Allerdings liefert er selber ein Gegenargument mit der Beobachtung, dass am und im nie vorkom- men können bei Voranstellung anderer Präpositionen. Wäre ein freier Austausch zwischen den Formen möglich, müsste dies auch der Fall sein, wenn vor die starke Form eine zusätzliche Präposition tritt, da die starke Form nicht als Verschmelzung von Präposition und Artikel gewertet werden dürfte. Die Al- ternative zu dieser Interpretation liefert Weber, indem er darauf hinweist, dass eventuell ganz ähnlich wie im Französischen der Dativ durch eine Präpositionalkonstruktion ersetzt worden ist, dass also die Formen am und im immer als Präposition (nach Weber in diesen Fällen ohne Artikel) gedeutet werden sollten, in Analogie zu à la mère und au père. 3In Arbeiten zum Relativsatz im Schweizerdeutschen und im Zürichdeutschen (van Riemsdijk 1989, Salzmann 2006) werden alle Relativsätze (nicht nur die appositiven, sondern auch die restriktiven) mit dem reduzierten Artikel gesetzt. Allerdings muss dabei zweierlei bedacht werden: 1. stehen in diesen Arbeiten andere Phänomene als die hier besprochenen Artikelparadigmen im Zentrum. Eine Vernach- lässigung bezüglich der Artikelform kann daher nicht ausgeschlossen werden. 2. handelt es sich bei den Beispielen in diesen Arbeiten zwar um restriktive Relativsätze, nicht aber um definitorische restriktive Relativsätze. Wie in Kapitel 3.4.2.3 gezeigt, schwanken die Artikelformen zwar bei nicht definitorischen restriktiven Relativsätzen dialektal und idiolektal, nicht aber bei definitorischen (diese treten immer mit dem vollen Artikel auf). Dennoch wird durch diese Arbeiten die Annahme, dass im Zürichdeut- schen nicht von einer Normalverteilung ,voller Artikel + restriktiver Relativsatz‘ ausgegangen werden 119 4. Dialektdaten (7) (Weber 1987:300) a. de Suu, wo d Mueter irer Läbtig für en gspaart hät derr Sohn, für den die Mutter ihrer Lebtag gespart hat b. de Beck, wo syn Bueb en Profässer ggëë hät derr Bäcker, dessen Junge ein Professor geworden ist Daneben kommen auch Beispiele mit dem vollen Artikel (allein oder mit dem Demons- trativum säb) vor: (8) (Weber 1987:140/300) a. das ich dë Palascht, wo de König drin gwont hät das ist derv Palast, in dem der König gewohnt hat b. di säb Frau, won eren ali Chend a der Uuszeerig gstoorbe sind diev selbige Frau, deren Kinder alle an der Schwindsucht gestorben sind Zusammenfassend: Das Zürichdeutsche verfügt nach Weber (1987) über drei distinkte Paradigmen mit unterschiedlichen Gebrauchskontexten. Die Form d wird regelhaft bei Adjektivmodifikation zu di. Der Artikel wird bei restriktiver Relativsatzmodifikation nicht regelhaft in seiner vollen Form eingesetzt; er tritt mit restriktiven Relativsät- zen auch reduziert auf. Über die Spezialfälle der Bezugnahme lassen sich anhand der Angaben bei Weber (1987) keine weitergehenden Aussagen treffen. 4.1.1.4. Fischer (1989): Luzerndeutsch Im Luzendeutschen gibt es laut Fischer einen definiten Artikel dë(r), d, (d)s, der sei- ner Form nach die schwachtonige Variante des hinweisenden Demonstrativums dar- stellt, ein schwach betontes Demonstrativum dä, di(e), das mit bezugnehmender oder hinweisender Verwendung (= mein voller Artikel) und ein stark betontes Demonstra- tivum dää, die, daas mit der Bedeutung dies oder jenes. Darin, dass das stark betonte Demonstrativum nicht nur für ‘dieses’ sondern auch für ‘jenes’ stehen kann, unter- scheidet sich das Luzerndeutsche von anderen Dialekten, die dieses Demonstrativum einzig für standarddeutsches dieses verwenden und für standarddeutsches jenes aus- schliesslich Ersatzformen (wie deses oder äines) gebrauchen. Daneben gibt es verschie- dene weitere Pronomen für ‘jenes’: sälb (der Form nach dasselbe), deses (der Form nach dieses) und je nach Region dëis, dänes oder (j)änes (der Form nach jenes). kann, natürlich gestärkt. Nichtsdestoweniger zeigen die analysierten Datenkorpora, dass auch im Zü- richdeutschen die Verteilung ,voller Artikel + Relativsatz‘ häufiger verwendet wird als die Kombination ,reduzierter Artikel + Relativsatz‘ (vgl. Kapitel 4.2). 120 4. Dialektdaten Speziell erwähnt werden: – die Form di statt d (Fem. Nom./Akk. Sing. und im Nom./Akk. Plur.) vor Adj. (Anders als in den anderen Grammatiken wird hier allerdings behauptet, dass diese Form häufig auch bei Verschluss(reibe)lauten „der Deutlichkeit halber“ (um eine Verschmelzung zu verhindern) verwendet wird: di Puure statt pPuure ‘die Bauern’.) – der Wegfall des anlautenden d- im Dativ (mit der Begründung, diese Form sei durch falsche Ablösung entstanden) – die möglichen Verschmelzungen mit Präpositionen – das Auftreten des Dativs mit der Präposition e ‘in’ und die Verschmelzung der maskulinen Form mit dieser Präposition zu em (Allerdings ist nicht ganz klar, worin die Verschmelzung genau besteht, da der Artikel für sich genommen bereits em lautet. Eventuell ist aber auch gemeint, dass erst durch diese Verschmelzung die Artikelform em aus ursprünglichem dem entstanden ist.) – der Wegfall des Artikels nach den Präpositionen an und in – die Wiedergabe von ‘wer’ / ‘derjenige, welcher’ mit dää, wo: dää wo stellt ond dää wo de Sack uufhëëd, send beed Schëlme ‘derjenige, der stiehlt, und derjenige, der den Sack aufhält, sind beides Schelme’ (Das Demonstrativum wird mit definitorischen Relativsätzen verwendet.) Die Beschreibung der Relativsätze zeigt ein nicht eindeutiges Bild: Neben dem redu- zierten Artikel (9) tritt teilweise auch der volle Artikel (10) mit Relativsätzen auf. (9) (Fischer 1989:430) a. de Chräämer, wo si Waar pfändt woorden escht derr Krämer, dessen Ware gepfändet worden ist b. d Gòtte, wo d Chend scho lang of si planget hënd dier Patin, auf die die Kinder schon lang gewartet haben (10) (Fischer 1989:430) a. die Fròu, wo ere s Chend chrank woorden escht diev Frau, deren Kind krank geworden ist b. Daas esch di Flente, won er ne Vògel met gschòsse hëëd. Das ist diev Flinte, mit der er ein Vogel (da)mit geschossen hat. 121 4. Dialektdaten Einige Fälle mit reduzierten Artikel können auch hier als intrinsisch-definit gelten (wie bei den situativen Unika in (9)), dennoch ist eine eindeutige Zuordnung auch im Luzerndeutschen nicht möglich. Zusammenfassend: Das Luzerndeutsche verfügt nach Fischer (1989) über drei distink- te Paradigmen mit unterschiedlichen Gebrauchskontexten. Die Form d wird regelhaft bei Adjektivmodifikation zu di. Der Artikel wird bei restriktiver Relativsatzmodifikati- on nicht regelhaft in seiner vollen Form eingesetzt; er tritt mit restriktiven Relativsät- zen voll oder reduziert auf. Über die Spezialfälle der Bezugnahme lässt sich anhand der Angaben bei Fischer (1989) keine weitergehenden Aussagen treffen. 4.1.1.5. Bossard (1962): Zugerdeutsch Nach Bossard besteht neben dem Artikel de, d, s im Zugerdeutschen nur ein Demons- trativum für dieses: das Pronomen dëë, dië, daas. Es wird nicht auf zwei unterschied- lich betonte und unterschiedlich verwendete Formen hingewiesen. Daneben verfügt das Zugerdeutsche über ein Demonstrativum säb für jenes und eine Vielzahl an ver- schiedenen Formen für standardsprachliches solches: settigs, (e)serigs, dertigs, derigs, seligs, asigs, (e)sones, (e) sonigs, esoo äine (in Bossard (1962) ist für dieses Pronomen nur die Mask. Form belegt). Speziell erwähnt werden: – die Form di statt d (Fem. Nom./Akk. Sing. und im Nom./Akk. Plur.) vor Adj. – die möglichen Verschmelzungen mit Vorwörtern (mit dem Hinweis, dass diese Verschmelzungen allerdings im Gegensatz zum Zü- richdeutschen nur im Singular vorkommen) – der Wegfall des anlautenden d- im Akkusativ nach Vorwörtern, die mit einem Konsonanten enden – der Wegfall des Artikels nach auf Vokal endende Vorwörter (Interessanterweise werden diese Phänomene einzig von den phonologischen Ge- gebenheiten der Vorwörter abhängig gemacht ohne Hinweis darauf, dass es sich dabei stets um Präpositionen handelt.) – die Wiedergabe von ‘wer’ / ‘derjenige, welcher’ mit dëë wo oder de säb wo: dëë wo zletscht chunt, nyd was vòòr blybt ‘derjenige, der zuletzt kommt, nimmt was übrig bleibt’ (Das Demonstrativum wird mit definitorischen Relativsätzen verwendet.) 122 4. Dialektdaten Da Bossard (1962) nicht drei verschiedene Paradigmen beschreibt, wird die Bespre- chung der Relativsätze hier hinfällig: Konsequenterweise tauchen sie entweder mit dem „reduzierten“ Artikel auf oder mit dem Demonstrativum. Allerdings fallen zwei Beispiele aus diesem Raster: (11) (Bossard 1962:141f) a. Das Tier, wo mer em zwäü Bäi hed müeße yzie,... Dasv Tier, dem man... b. Dëë Ofizier, wo d Soldate dur s Füür dure wäärid für ene, dëë... Derv Offizier, für den die Soldaten durch’s Feuer gegangen wären,... In Beispiel (11-a) wird eine volle (!) Artikelform (das) beim restriktiven Relativsatz gesetzt, obwohl diese als Paradigma nicht erwähnt wird (die reduzierte Form ist s, das Demonstrativum daas, eine volle Form das wird nicht erwähnt). In Beispiel (11-b) wird zwar das Demonstrativum dëë ‘dieser’ gesetzt, es wird aber mit dem Artikel der über- setzt. Dies lässt zwei Vermutungen zu: Entweder wird das Demonstrativum häufig als betontes der wiedergegeben oder es besteht auch im Zugerdeutschen eine abge- schwächte, bezugnehmende Variante des Demonstrativums (als voller Artikel). Zusammenfassend: Das Zugerdeutsche verfügt nach Bossard (1962) nicht über drei distinkte Paradigmen mit unterschiedlichen Gebrauchskontexten. Die Form d wird regelhaft bei Adjektivmodifikation zu di. Da kein voller Artikel beschrieben ist, er- scheint der reduzierte Artikel bei restriktiver Relativsatzmodifikation. Über die Spe- zialfälle der Bezugnahme lassen sich anhand der Angaben bei Bossard (1962) keine weitergehenden Aussagen treffen. 4.1.1.6. Sonderegger (1999): Appenzellerdeutsch Im Appenzellerdeutsch werden nach Sonderegger zwei Formen für ‘der, die, das’ un- terschieden, eine schwachtonige de, d, s für den definiten Artikel und eine starktonige dè(è), die, da(a) fürs Demonstrativum. Eine weitere Unterscheidung wird nicht expli- zit gemacht. Allerdings werden zumindest für Sing. Mask. Nom./Akk. und für Sing. Neutr. Nom./Akk. im Paradigma zwei Formen angegeben: dè und dèè resp. da und daa. Da dazu keine Bemerkungen gemacht werden und leider auch keine Beispiele angefügt sind, kann nicht entschieden werden, ob von blossen Varianten auszugehen ist oder ob wie in den anderen Dialekten ein semantischer Unterschied zwischen den beiden Formen besteht. Die Auflistung zweier Formen, die sich durch Dehnung und Betonung unterscheiden – genau wie dies für andere Dialekte beschrieben wird – lässt 123 4. Dialektdaten aber vermuten, dass auch im Appenzellerdeutsch je nach Art der Bezugnahme unter- schiedliche Formen eingesetzt werden können. Daneben gibt es das Demonstrativum für ‘dasjenige/dasselbe’: (s) sèb. Andere Demonstrativa kennt das Appenzellerdeutsche laut Sonderegger (1999) nicht. Speziell erwähnt werden: – die Form di statt d (Fem. Nom./Akk. Sing. und im Nom./Akk. Plur.) vor Adj. (Anders als in anderen Dialekten werden hier allerdings beide Formen di und die angegeben, di als ursprünglichere Variante, die als jüngere. Dadurch kommt es zu einer Überschneidung mit dem Demonstrativum.) – die möglichen Verschmelzungen mit Präpositionen Andere Besonderheiten werden nicht angesprochen. Da nicht zwei verschiedene Para- digmen für den reduzierten und den vollen Artikel bestehen, ist eine Besprechung der Relativsätze hinfällig. Alle Relativsätze werden mit dem „reduzierten“ Artikel gebil- det. Zusammenfassend: Das Appenzellerdeutsche verfügt nach Sonderegger (1999) nicht über drei distinkte Paradigmen mit unterschiedlichen Gebrauchskontexten. Die Form d wird regelhaft bei Adjektivmodifikation zu di. Da kein voller Artikel tradiert ist, er- scheint der reduzierte Artikel bei restriktiver Relativsatzmodifikation. Über die Spezi- alfälle der Bezugnahme lassen sich anhand der Angaben bei Sonderegger (1999) keine weitergehenden Aussagen treffen. 4.1.1.7. Beiträge zur schweizerdeutschen Grammatik Aus den übrigen grossen schweizerdeutschen Dialektregionen Westschweiz (Biel, Fri- bourg), Wallis, Innerschweiz (Uri, Schwyz, Nidwalden) und Graubünden liegen leider keine eigenständigen Grammatiken vor. Aber es bestehen neben den besprochenen Grammatiken für die Dialektregionen Bern, Basel, Zürich, Luzern, Zug und Appen- zell zahlreiche Kurzgrammatiken, Monographien und Sprachbücher zu kleinräumigen Dialektregionen oder zu einzelnen Ortschaften (vgl. die Reihe Beiträge zur schweizer- deutschen Grammatik und deren Fortsetzung Beiträge zur schweizerdeutschen Mund- artforschung), wie z.B. die Kurzgrammatik zum Haslideutsch (Dauwalder 1992) oder der Beitrag zur Mundart von Visperterminen im Wallis (Wipf 1910), um nur zwei zu nennen. Leider werden in vielen dieser Beiträge nur oder hauptsächlich Bemerkungen zur Lautlehre und nicht zur Formenlehre (und zu Gebrauchsweisen) gemacht. In ei- nigen Arbeiten werden indessen die verschiedenen Artikel- und Demonstrativformen beschrieben. So bestehen Arbeiten für Gebiete in den Kantonen Freiburg, Wallis, Bern, 124 4. Dialektdaten Zürich, Uri und Graubünden, die Aussagen über das Artikelsystem in den jeweiligen Dialekten machen. Eine Zusammenfassung davon zeigt folgendes Bild: – Kanton Freiburg (FR) Für den Dialekt des Kantons Freiburg bestehen zwei Monographien: zur deut- schen Freiburger Mundart (Henzen 1927) und zur Mundart in Jaun (Stucki 1917). Freiburg liegt im Zentrum des Kantons Freiburg im Bezirk Saane. Das Tal Jaun liegt im Bezirk Gruyère, am östlichen Rand des Kantons mit alleiniger Angren- zung an den Kanton Bern und die französische Schweiz. Für beide Dialekte wer- den nur zwei Paradigmen beschrieben – eine unbetonte Form für den Artikel, eine betonte Form für das Demonstrativum. Dieser wird für standarddeutsches dieser verwendet, standarddeutsches jener wird durch der andere ersetzt. – Kanton Wallis (VS) Für den Dialekt des Kantons Wallis besteht eine Monographie allgemein zum Walliserdeutschen (Bohnenberger 1913) und eine Monographie zur Mundart von Visperterminen (Wipf 1910). Visperterminen liegt im Bezirk Visp am östlichen Rand des Kantons Wallis. Im Dialekt von Visperterminen ist es „zur Ausbil- dung vielfältiger schwachtoniger Formen“ (Bohnenberger 1913:220) gekommen. Die Beschreibung dieser Formen deutet auf drei eigenständige Paradigmen hin – neben der geschwächten Form des Artikels werden für die betonte Form stets zwei Formen beschrieben, eine kurze und eine lange (z.B. neben unbetont (t)s be- tontes das und dās). Da aber diese Beobachtung nicht weiter kommentiert wird, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob von drei Paradigmen ausgegangen werden kann. Dieser wird für ‘dieser’ verwendet, ener für ‘jener’. – Kanton Bern (BE) Neben der Grammatik zum Berndeutschen von Marti (1985) existiert eine Mono- graphie für den Dialekt des Berner Seelandes (Baumgartner 1922). Das Seeland ist ein Gebiet zwischen Bielersee, Neuenburgersee und Murtensee. Baumgartner beschreibt explizit drei Paradigmen: eine starktonige und zwei schwachtonige. Die eine schwachtonige Form ist hinweisend, die andere, stärker reduzierte, wird für den Artikel verwendet. Dieser, jener, derselbe werden für den Dialekt des Ber- ner Seelandes nicht beschrieben. – Kanton Zürich (ZH) Neben der Grammatik zum Zürichdeutschen von Weber (1987) besteht eine Kurz- grammatik von Schobinger (1984) und eine Monographie für den Dialekt des Zür- cher Oberlandes (Weber 1923). Weber (1923) unterscheidet explizit drei Paradig- 125 4. Dialektdaten men: eine gedehnte, betonte Form, eine kurzvokalisch, unbetonte Form und eine stärker geschwächte, unbetonte Form für den Artikel. Dieser wird für standard- deutsches der andere verwendet, desäb und ene für standarddeutsches jener. – Kanton Uri (UR) Für den Dialekt des Kantons Uri bestehen zwei Monographien: eine allgemein zur Urner Mundart (Clauss 1929) und eine speziell zur Mundart von Urseren (Abegg 1912/13). Urseren liegt am südlichen Rand des Kantons Uri an der Grenze zum Kanton Tessin und zum Kanton Wallis. In beiden Monographien wird nur von zwei Paradigmen berichtet, einem starktonigen für das Demonstrativum und einem schwachtonigen für den Artikel. Dieser wird für standarddeutsches jener oder der andere verwendet, (der)selb für derselbe oder jener. – Kanton Graubünden (GR) Für die Dialekte des Kantons Graubünden sind drei Monographien geschrieben worden: eine für die Bündner Herrschaft (Meinherz 1920), eine für Mutten (Hot- zenköcherle 1934) und eine für Obersaxen (Brun 1918). Das Gebiet der Bündner Herrschaft liegt im nördlichsten Teil des Kantons mit Grenzen an den Kanton St. Gallen, an Liechtenstein und an Österreich. Mutten liegt im Zentrum, Obersa- xen liegt im östlichen Teil des Kantons. Sowohl bei Mutten als auch bei Obersa- xen handelt es sich um deutsche Sprachinseln im rätoromanischen Sprachgebiet. Für die Bündner Herrschaft werden drei Paradigmen beschrieben: zwei unbeton- te (eine stärker reduzierte für den Artikel und eine unbetonte mit hinweisendem Charakter) und eine betonte für das Demonstrativum. Als weiteres Demonstra- tivum ist nur derselbe bekannt, die Formen dieser und jener existieren nicht. Für den Dialekt in Mutten bestehen viele Formen nebeneinander. Neben einer schwachtonigen für den Artikel wird eine starktonige Form für das Demonstra- tivum beschrieben, die betont oder unbetont sein kann. Obwohl nicht explizit von drei Paradigmen gesprochen wird, deutet diese Beschreibung auf den Unter- schied zwischen reduziertem Artikel, vollem Artikel und Demonstrativum hin. Dieser wird für standarddeutsches jener verwendet, de selb für selber, eine Form jener existiert nicht. Für Obersaxen ist nur eine betonte und eine unbetonte Form beschrieben. Interessant sind hier die Formen im Dativ und im Akkusativ: Im Dativ ist der typische d-Schwund nicht eingetreten und für den Akkusativ wird eine eigene Form de statt nominativischem der beschrieben, z.B. in in de Walt ‘in den Wald’ (Brun 1918:167). 126 4. Dialektdaten 4.1.1.8. Zusammenfassung In den Grammatiken zu den verschiedenen schweizerdeutschen Dialekten wird eine systematische Darstellung vorgelegt, die aber für viele Phänomene leider keine Er- klärungen liefert und es bei einer Beschreibung der Datenlage bewenden lässt. Wo Erklärungsversuche gemacht werden, sind diese nicht selten rein phonologischer Na- tur (für Assimilationen, Umdeutungen etc.). Semantische oder syntaktische Beson- derheiten bleiben weitgehend unberücksichtigt (vgl. zu diesem Problem auch Glaser 2003). Die weitreichendsten Erklärungsversuche liefert Weber (1987) fürs Zürichdeut- sche. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich die Dialekte wie erwartet in erster Linie in der phonetisch-morphologischen Ausprägung der Artikel- und Demons- trativformen und in den verschiedenen Möglichkeiten, standarddeutsches dieses und jenes auszudrücken, unterscheiden. Teilweise werden zur Artikelform zwei Demons- trativpronomina erwähnt, eine starktonige und eine schwachtonige Variante; teilweise wird auch ein Vermerk zur Gebrauchsweise gemacht, dahingehend dass die starkto- nige Form stark hinweisenden Charakter hat, während die schwachtonige eher be- zugnehmend verwendet wird. Weitergehende Überlegungen zu Syntax, Semantik und Gebrauchsweisen der beiden Formen werden nicht angestellt. Eine Übersicht über die verschiedenen Artikelformen und Demonstrativa in den einzelnen Dialekten liefert Tabelle 4.1 und Tabelle 4.2. Die Auflistung entspricht dabei der hier gewählten Rei- henfolge der Besprechung (Grammatiken für die Kantone BE, BA, ZH, LU, ZG, AP; Monographien für FR (Freiburg, Jaun), VS (Visperterminen), BE (Berner Seeland), ZH (Kanton Zürich, Zürcher Oberland), UR (Kanton Uri, Urseren), GR (Bündner Herr- schaft (= GR 1), Mutten (= GR 2), Obersaxen (= GR 3)).4 In der Zusammenschau werden die Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlich: Wäh- rend alle in den Grammatiken und Monographien beschriebenen Dialekte über einen reduzierten Artikel verfügen, ist der volle Artikel (resp. das schwache Demonstrati- vum) nur für die Dialekte der Kantone BE, BA, ZH, LU und Teile von GR belegt. Nur ein Paradigma für den definiten Artikel ist belegt für die Kantone ZG, FR, UR und Tei- le von GR. Ob zwei Paradigmen des definiten Artikels bestehen, ist für VS und Teile von GR anhand der bestehenden Monographien nicht entscheidbar. 4Es werden der Übersichtlichkeit zuliebe nur die Neutrum-Formen (sofern welche belegt sind) darge- stellt. Formen, die gesamthaft in Klammern stehen, sind wenig gebräuchlich (entweder veraltet oder von anderen Dialekten beeinflusst); stehen Formen teilweise in Klammern, stellen die Setzungen mit und die Setzungen ohne diese Teile Varianten dar. Teilweise wurde zugunsten der Lesbarkeit auf Son- derzeichen verzichtet, wo sie für das Verständnis der Form nicht notwendig sind. 127 4. Dialektdaten Dialekt Artikel schw. Dem. stark. Dem. dist. Dem. Sonstige (red. Art.) (voller Art.) (Demonstrativ) BE ds das daas äis sälbs dises seligs, serig settig, söttig derigs sones, sonigs BA s das daas sälle, sälbe soo ais, soone (sèttig) (däärig) ZH s das daas dises sëttig säb dërig (änes) soo-en, sonig asen-en, asig LU (d)s das daas dòò daas (deet) sëlig deses sëttig s sä(l)b dërig (dëis) soo-ne, soonig ZG s – daas dises – säb ((d)änes) AP s ? da da, daa s sèb – Tabelle 4.1.: Paradigmen in den Grammatiken 128 4. Dialektdaten Dialekt Artikel schw. Dem. stark. Dem. dist. Dem. Sonstige (red. Art.) (voller Art.) (Demonstrativ) FR ts – das diss der andera disers VS (t)s ? das dās eni (dis jenigu) di(t)s BE (t)s das dās ZH s das daās dises säb (äne) UR ts – dass / dās dises(s) dassälp GR 1 s das das / dās selb – GR 2 ts ? das das(s) / dās dits seb GR 3 (t)s – dass änts – dits Tabelle 4.2.: Paradigmen in den Monographien 129 4. Dialektdaten Das starke Demonstrativum wiederum ist unbestritten. In allen Dialekten besteht ein einfaches Demonstrativum, das die betonte und gedehnte Form des Artikels darstellt. Allerdings kann das Berndeutsche als einziger Dialekt die Form dieses für das pro- ximale Demonstrativum dieses verwenden. Für das distale Demonstrativum gibt es drei Möglichkeiten: Entweder wird das lautliche Pendant zum standardsprachlichen jenes verwendet (wie im Berndeutschen: äis) oder das lautliche Pendant zum stan- dardsprachlichen dieses (wie in Zürich und Zug: dises) oder es wird auf ein drittes Demonstrativum ausgewichen, das dem standardsprachlichen dasselbe, selbiges ent- spricht (wie in Basel, Zürich, Luzern und Zug: z.B. sälle). In Zürich, Luzern und Zug bestehen verschiedene Varianten nebeneinander, allerdings treten diese nicht beliebig auf: Die beiden Varianten dese und säb werden bedeutungsdifferenzierend eingesetzt, indem dese vor allem für das andere und säb eher für jenes verwendet wird. Säb hat in allen Dialekten einen Bedeutungsshift erfahren, indem es nicht mehr oder kaum noch für (das)selbe, sondern vorwiegend für das andere gebraucht wird. Das lautliche Pen- dant zu standardsprachlichem jenes kommt insgesamt nur selten vor. Dies kann da- durch erklärt werden, dass in diesen Dialekten das lautliche Gegenstück zu standard- sprachlichem dieses erstens nicht durch schweizerdeutsches dises ausgedrückt wird und zweitens dises für das distale Demonstrativum jenes verwendet werden kann. Für Bern, Basel, Zürich und Luzern werden zudem eine Reihe weiterer Demonstrativa be- schrieben, die standardsprachlichem solches, derart, so ein entsprechen. Beim Spezialfall Adjektivmodifikation wird für alle Dialekte beschrieben, dass vor Ad- jektiv die Form d zu di wird. Beim Spezialfall Relativsatzmodifikation tritt im Kanton BE und Kanton BA der volle Artikel mit (restriktiven) Relativsätzen auf, im Kanton ZH und im Kanton LU treten beide Artikelformen auf, im Kanton ZG und Kanton AP wird nicht unterschieden zwischen reduziertem und vollem Artikel, weshalb die Frage nach den Relativsätzen hinfällig ist. In den Monographien werden Relativsätze nicht besprochen. 4.1.2. Artikeluntersuchungen Neben den allgemeinen Grammatiken, den Monographien zu einzelnen Dialektregio- nen und den Karten aus dem SDS bestehen vereinzelt Arbeiten, die sich explizit mit dem Artikelsystem im Schweizerdeutschen beschäftigen. Im Wesentlichen sind drei Untersuchungen zu nennen, die den Artikel im Schweizerdeutschen (mit)behandeln: 1. Meyer (1967), 2. Nübling (1992) und 3. Penner (1993) und Penner & Schönenberger (1995). Der Schwerpunkt ist dabei jeweils unterschiedlich gesetzt: entweder morpholo- gisch und sprachgeografisch (Meyer 1967), phonologisch-morphologisch (Nübling 1992) oder theoretisch-syntaktisch (Penner 1993, Penner & Schönenberger 1995). 130 4. Dialektdaten Da sich auch Hodler (1969) in seiner berndeutschen Syntax eingehend mit dem Ar- tikel und seinen verschiedenen Gebrauchsweisen beschäftigt, werde ich zuerst seine Ergebnisse kurz wiedergeben. Im Anschluss werde ich die Hauptaussagen der drei oben genannten Arbeiten zusammenfassen. 4.1.2.1. Hodler (1969): Berndeutsche Syntax Hodler widmet sich in seiner berndeutschen Syntax dem definiten Artikel und dem einfachen Demonstrativum für eine allgemeine Syntax bemerkenswert eingehend. Die Struktur für die Beschreibung des Artikelsystems im Berndeutschen übernimmt er aus seiner Germanischen Artikellehre, in der er verschiedene Artikelformen und Ge- brauchsweisen des Artikels im Germanischen diskutiert (Hodler 1954). Hodler erwähnt eine Artikelform resp. ein zusätzliches Demonstrativum, das schwä- cher als das Demonstrativum, aber stärker betont als der „farblose Artikel“ (Hodler 1969:213) ist. Diese Form ist schwach phorisch und soll aus dem Frühartikel entstan- den sein. Insgesamt werden also drei Paradigmen angenommen: ein Demonstrativum, eine phorische Form und ein schwacher Artikel. Die drei Formen für die drei Paradig- men lauten nach Hodler wie folgt: (12) a. dǟ(r), dia/die, dās/das dieser, diese, dieses b. dä, di, das derv, diev, dasv c. dr, d’, ds/s derr, dier, dasr Dennoch bleibt die Aufteilung verwirrend, da einerseits über die starktonige Form (das Demonstrativum) gesagt wird: Wenn wir nun untersuchen, in welchen Fällen die Ma. anstelle eines nhd. Artikels ein där verwendet, so werden wir finden, daß es gerade jene Fäl- le sind, da schon in der Vorartikelzeit ein där bei dem Substantiv stehen mußte. Mit anderen Worten: Der Frühartikel lebt in der Ma. weiter, die deiktischen Funktionen, die er versah, werden weiter von ihm versehen. (Hodler 1969:213) Andererseits von der schwachtonigen Form gesagt wird: 131 4. Dialektdaten Die zweite Form, die Fortsetzung des alten ,Frühartikels‘ aber finden wir in folgenden Fällen, die den Verwendungen des vorotfridischen ,Artikels‘ genau entsprechen. (Hodler 1969:213) Diese Aussagen können so gedeutet werden, dass das Demonstrativum (im Schweizer- deutschen) in denselben Kontexten eingesetzt wird, wie das ursprüngliche Demons- trativum (in der Vorartikelzeit). Diese entsprechen den deiktischen Funktionen des Frühartikels. Die schwachtonige Form wird in denselben Kontexten eingesetzt wie der vorotfridische Artikel. Diese entsprechen wahrscheinlich den phorischen Funktionen des Frühartikels. Während ursprünglich nur ein Demonstrativum bestanden hat, hat sich in der vorotfridischen Zeit (im Ahd.) aus diesem Demonstrativum der Früharti- kel abgespalten. Die Funktionen des Frühartikels (die deiktische und die phorische) teilen sich im Schweizerdeutschen das einfache Demonstrativum (deiktisch) und der volle Artikel (phorisch). Anders als bei Marti (1985) wird hier das Demonstrativum dises nicht ausschliesslich dem standarddeutschen dieses zugeordnet. Hodler verweist darauf, dass diese Aufgabe seit jeher durch das starktonige dās bewerkstelligt werden konnte und dass aus die- sem Grunde dises in der Mundart sowohl ‘dieses’ als auch entfernteres ‘jenes’ bedeuten kann. Als Erklärung für den Bedeutungswechsel von ‘dieses’ zu ‘jenes’ erwähnt Hodler den phorischen Gebrauch von dises, auch um auf das Vorletztgenannte in einem Text zu verweisen. Dies wird auf den deiktischen Kontext übertragen und so ist häufig auch einfach das Weitentfernte gemeint: (13) Lue, disa Stärn, wa jitz grad [...], das isch d’ Venus. Schau, jener Stern, der jetzt grad [...] das ist die Venus. (Hodler 1969:227) Dennoch gibt auch Hodler an, dass dises das Nähere resp. Unmittelbare bezeichnen kann: (14) di treumt Muusig heige ne ggeumd wie e Muetter, aber disi da wecken-nen. die geträumte Musik habe ihn behütet wie eine Mutter, aber diese da (die jetzt eben an sein Ohr schlägt) wecke-ihn. (Hodler 1969:229) Ausserdem erwähnt Hodler die Demonstrativa (d)äis in der Bedeutung ‘jenes’, sälb ‘selbst’, solich und Ähnliches in der Bedeutung ‘solches’ und dere, dergattig, derergattig, derart, derlei, derwäri für ‘derart’ etc. 132 4. Dialektdaten 4.1.2.2. Meyer (1967): Artikel im Schweizerdeutschen Meyer liefert anhand der Daten aus dem Schweizerdeutschen Sprachatlas (SDS) eine Übersicht über die geografische Verteilung der verschiedenen Formen für den reduzier- ten Artikel des Schweizerdeutschen. Er hält bereits in der Einleitung fest, „dass dem Formenreichtum der schweizerdeutschen Artikel eine räumliche Ordnung innewohnt, dass er sich also sprachgeographisch erfassen lässt“ (Meyer 1967:12). Die Daten liefern das in Tabelle 4.3 gezeigte Bild (vgl. Meyer 1967:114). Bestimmter Artikel: mhd. schwdt. Nom. Sg. m. der > d@r, dr : d@ Akk. Sg. m den > d@n / d@r, dr : d@ Nom. Akk. Sg. n. daÿ > ds : s Nom. Sg. f. diu > di : d Akk. Sg. f. die > Nom. Akk. Pl. m. f. die > Nom. Akk. Pl. n. diu > Tabelle 4.3.: Zwei Formen für den reduzierten Artikel nach Meyer (1967) Das grundlegende Ergebnis der Datenlage beschreibt Meyer wie folgt: Erstens: alle schweizerdeutschen Artikelformen haben gegenüber den mit- telhochdeutschen einen stark reduzierten Vokal. Zweitens: bei jedem schwei- zerdeutschen Artikel stehen grundsätzlich zwei verschiedene Formen in räumlicher Opposition, wobei die lautärmere in der Regel die jüngere ist und sich im Vorrücken befindet. (Meyer 1967:114f.) In seiner Arbeit werden diese beiden Punkte genauer untersucht. Einerseits werden die Folgen dieser Lautreduktion diskutiert – in Bezug auf die grammatische Funkti- on des Artikels und in Bezug auf die morphophonologischen Konsequenzen, wie z.B. bei den Verschmelzungsprozessen mit Präpositionen. Andererseits wird die Erfassung der erwähnten Raumstruktur des Artikels angestrebt. Das Ergebnis der räumlichen Untersuchung liefert ein ähnliches Bild, wie bei anderen Phänomenen des Schweizer- deutschen beobachtet werden kann: Es können zwei Grenzen ausgemacht werden – eine Nord-Süd-Achse und eine Ost-West-Achse, die jeweils zwei verschiedene Formen- varianten voneinander trennen. 133 4. Dialektdaten Diese Grenzen sind jedoch nicht als scharfe, klare Linien zu verstehen, vielmehr wer- den sie durch mehr oder weniger grosse Übergangsgebiete getrennt, in denen beide Formen nebeneinander hergehen. Diesen Übergangsgebieten der Artikellandschaften schenkt Meyer besondere Aufmerksamkeit, wodurch eine Beschreibung von Sprach- entwicklungen möglich wird. Es können zwei Tendenzen ausgemacht werden: Erstens kann eine sehr starke Lautreduktion und ein Formenzerfall festgestellt werden. Zwei- tens werden diese Entwicklungsschritte teilweise wieder rückgängig gemacht, indem z.B. Verschmelzungen wieder aufgelöst werden (vgl. dazu detailliert Meyer 1967). Zwei Anliegen stehen bei Meyer im Mittelpunkt: Erstens soll unter einem räumlich- statischen Aspekt die Verteilung der Varianten dargestellt werden, zweitens soll an- hand der Übergansgebiete unter einem zeitlich-dynamischen Aspekt die Entwicklung der schweizerdeutschen Artikelformen aufgezeigt werden. Obwohl einzig über die räumliche Aufteilung unterschiedlicher Formen des reduzier- ten Artikels Aussagen gemacht werden und nicht das Vorkommen zweier verschiede- ner Formen mit unterschiedlicher semantischer und syntaktischer Verteilung disku- tiert wird, erwähnt Meyer auch syntaktische Unterschiede zwischen gewissen Varian- ten. Leider verfolgt er diesen Gedanken jedoch nicht weiter. Ausserdem berücksichtigt er hierfür nicht alle möglichen doppelt geführten Formen. Er erwähnt nur den Unter- schied zwischen di und d (unabhängig von Adjektiven) und bringt weder den Unter- schied dieser beiden Formen zu den übrigen (nur räumlich bedingten) Varianten noch den Vergleich zu den parallelen Formenpaaren dä versus de(r) und das versus (d)s zur Sprache. 4.1.2.3. Nübling (1992): Klitika im Deutschen Nübling beschreibt zwei verschiedene Artikelparadigmen im Alemannischen – als An- schauungsdialekt wählt sie das Berndeutsche. Im Mittelpunkt der Untersuchung ste- hen allerdings nicht die Formen des berndeutschen Artikels, sondern die theoreti- sche Bestimmung der Klise anhand verschiedener Kriterien (vgl. ausführlich Kapitel 3.2.2.2). Hauptunterscheidungskriterium der beiden Formen ist denn auch deren tem- poräre Gebundenheit an andere Wörter (ihr Klitik-Status) resp. ihr freies Vorkommen als eigenständige Wortformen. Nübling geht davon aus, dass der reduzierte Artikel immer ein Klitikon ist und dass er aus den Verschmelzungsformen mit Präpositionen entstanden ist. Reduktionsformen sind demnach nach Nübling nicht die Vorausset- zung für Verschmelzungsformen, vielmehr bilden die Verschmelzungsformen den Aus- gangspunkt für Reduktionsformen (vgl. Kapitel 3.2.2.1). 134 4. Dialektdaten Nübling gliedert den reduzierten Artikel auf in ein präpositional gebundenes kliti- sches Paradigma und ein „frei“ klitisches Paradigma. Diese beiden Artikelformen ste- hen einem schwachdeiktischen Demonstrativum resp. einem vollen Artikel5 und einem starkdeiktischen Demonstrativum gegenüber. Diese Aufteilung ist zwar richtig: Teil- weise bestehen eine gebundene und eine freie Form für den reduzierten Artikel (da die Reduktionsform mit Präpositionen und anderen Umgebungswörtern Verschmel- zungen eingehen kann). Allerdings verhalten sich diese beiden Formen bezüglich ih- rer syntaktischen Distribution und ihrer semantischen Funktion gleich.6 Im Zentrum muss deshalb (zumindest fürs Schweizerdeutsche und andere Dialekte) die syntakti- sche und semantische Gegenüberstellung von reduziertem Artikel und vollem Artikel stehen – und nicht diejenige von gebundenen und freien Formen (wie dies vielleicht fürs Standarddeutsche sinnvoll sein mag). Nübling betont aber auch, dass nicht alle Artikelformen in jedem Kontext austauschbar sind, da semantische Unterschiede zwi- schen den verschiedenen Formen bestehen können. So wird z.B. die Unterscheidung zwischen d und di (ohne Adjektiv) oder die nebeneinander stehenden Möglichkeiten von Verschmelzungsform und freiem Gebrauch wie in im Garten vs. in dem Garten erwähnt. Leider geht Nübling in diesem Zusammenhang davon aus, dass Verschmel- zungsformen nur in unspezifischen Kontexten vorkommen können. Dies entspricht nicht den Tatsachen – weder bei einem Verständnis von unspezifisch als attributiv (im Sinne Donnellans 1966) noch bei einer Gleichsetzung von unspezifisch mit generisch. Wie gezeigt, beschränkt sich das Vorkommen des reduzierten Artikels resp. von Ver- schmelzungsformen nicht auf unspezifische Kontexte. 4.1.2.4. Penner (1993): DP-Struktur Das Hauptanliegen in Penner (1993) und Penner & Schönenberger (1995) besteht dar- in, die Flexionsverhältnisse in der Nominalphrase im Theorierahmen der Generativen 5Nübling (1992:245) bemerkt, [...] daß das berndt. starkdeiktische Demonstrativum mit dem ugs. betonten Artikel dér, díe, dás zu vergleichen ist; diesen hatten wir eben seiner starken Deixis wegen nicht mehr als Artikel, sondern als Demonstrativum betrachtet. Dagegen scheint das berndt. schwachdeik- tische Demonstrativum am ehesten unserer Artikel-Vollform der, die, das zu entsprechen. (Nübling 1992:245) Damit rückt sie das schwachdeiktische Demonstrativum im Berndeutschen in die Nähe des (vollen) Artikels. 6Dass Reduktionsformen nur (fixe) Verschmelzungen eingehen, wo einerseits eine „verschmelzbare“ Ar- tikelform vorliegt und andererseits ein geeigneter Host (wie z. B. eine Präposition) für eine Verschmel- zung bereitsteht, ist syntaktisch-semantisch trivial. Unter welchen Umständen diese Bedingungen er- füllt sind, hängt von morphophonologischen Gesetzmässigkeiten ab. Diese Gesetzmässigkeiten werden bei Nübling konzise beschrieben. 135 4. Dialektdaten Grammatik zu erklären. Die vertretene Hypothese besagt, dass die Struktur der Nomi- nalphrase analog zur Struktur des Satzes aufgebaut ist und dass durch diese Struktur die speziellen Flexionsverhältnisse – die typische stark-schwach-Alternation zwischen Artikel und Adjektiv im Deutschen – geklärt werden können. Im Zuge der Erläuterung dieser Hypothese werden auch verschiedene Artikelpara- digmen im Schweizerdeutschen erwähnt. Penner (1993:10) geht von drei Paradigmen aus: einem (pro)klitischen Artikel, einem vokalischen Artikel und einer emphatischen (demonstrativen) Form. Für die verschiedenen Formen werden unterschiedliche syn- taktische Kontexte resp. unterschiedliche semantische Funktionen und eine jeweils andere syntaktische Struktur der Nominalphrase postuliert. Leider werden – wie in den meisten Arbeiten zu den schweizerdeutschen Artikelformen üblich – nur die femi- ninen Formen in den nicht obliquen Kasus (Nom. und Akk.) behandelt. Dennoch geht klar hervor, dass die Aufgliederung in drei Paradigmen für alle Genera und alle Kasus angenommen wird. Zu den Gebrauchsweisen des reduzierten Artikel gelten nach Penner (1993:11) folgen- de Fälle: 1. generischer Kontext (15) (allerdings nicht obligatorisch mit Artikel), 2. Situative Unika resp. Diskursunika (16), 3. Eigennamen i.w.S. (17), 4. Krankheiten, Emotionen, Abstrakta (18): (15) (d) Eier enthalte viu Protein (dier) Eier enthalten viel Protein (16) a. d Sunne isch heiss dier Sonne ist heiss b. Geschter ha-n-i es Bett gchouft, aber hüt ha-n-i gseh, dass d Matratze kaputt isch Gestern habe-ich ein Bett gekauft, aber heute habe-ich gesehen, dass dier Matratze kaputt ist (17) a. d Anna-Marie dier Anna-Marie b. d Schwyz dier Schweiz (18) er het d’Masere verwüscht er hat dier Masern erwischt (Penner 1993:12) 136 4. Dialektdaten In folgenden Verwendungskontexten darf der reduzierter Artikel nicht auftreten (vgl. Penner 1993:12): 1. Diskursgebundenheit (19), 2. Modifikation mit restriktivem Rela- tivsatz (20), 3. Modifikation mit Adjektiv für Fem. und Plur. (21): (19) a. Geschter ha-n-i mi Lehrere gseh. Gestern habe-ich meine Lehrerin gesehen. *P’ / di Frou isch geng no hübsch. Die⇤r/v Frau ist immer noch hübsch. b. Geschter het d’Anne aaglüte. Gestern hat (die) Anna angerufen. *D / di Zwätschgge het wöuue dass i no Chueche mitbringe. Die⇤r/v Zwetschge hat wollen, dass ich noch Kuchen mitbringe. (20) *P / di Frou, wo mir kenne, isch hüt nid choo. Die⇤r/v Frau, die wir kennen, ist heute nicht gekommen. (21) *P / di hübschi Frou die⇤r/v hübsche Frau (Penner 1993:12) Die Beschreibungen der Auftretensbedingungen für den reduzierten Artikel decken sich soweit mit meinen Beobachtungen: In intrinsisch-definiten Kontexten erscheint der reduzierte Artikel, in phorisch-definiten Kontexten erscheint der volle Artikel. Die Analyse des klitischen Artikels als „normale“, häufigste Artikelform halte ich für kor- rekt. Der Klassifizierung des reduzierten Artikels als Expletivum (als semantisch lee- re Form) stimme ich zwar mehr oder weniger zu. Allerdings lege ich die Gewichtung etwas anders: Im Zentrum soll nicht stehen, dass der reduzierte Artikel nichts zur Be- deutung der Nominalphrase beiträgt, sondern dass er, obwohl er „semantisch leer“ ist, erstens als Zeichen für die eindeutige Referenz (die Einzigkeit oder Identifizierbarkeit) gelten kann und zweitens die Nominalphrase befähigt, als Argument aufzutreten (vgl. dazu ausführlicher Kapitel 8.2.1). Durch diese Bestimmung kann er allerdings nicht eigentlich als semantisch leer gelten. Vielmehr sollte er eher als Funktionswort, denn als Inhaltswort klassifiziert werden. Für verfehlt halte ich aber erstens die Behauptung, dass der reduzierte Artikel stets unspezifisch ist (unspezifisch wird als „die Nominalphrase nie als [+spezifisch] markie- rend“ verstanden) – was auch nur schwer glaubhaft ist, wenn die behaupteten Auftre- tenskontexte des reduzierten Artikels betrachtet werden – und zweitens die Gleichset- zung der beiden Eigenschaften expletiv und unspezifisch, da zwischen diesen beiden Merkmalen keine bikonditionale Beziehung ausgemacht werden kann. 137 4. Dialektdaten 4.1.2.5. Zusammenfassung Alle vier besprochenen Arbeiten unterscheiden (mehr oder weniger) zwischen verschie- denen Paradigmen für den definiten Artikel im Schweizerdeutschen. Während Meyer (1967) nur am Rande einen semantisch-pragmatischen Unterschied zwischen einzel- nen Formen in Erwägung zieht, wird in den übrigen Arbeiten klar zwischen vollem und reduziertem Artikel formal und funktional unterschieden. Bei Hodler (1969) und Nübling (1992) wird zwischen einem Artikel, einem schwach- deiktischen und einem starkdeiktischen Demonstrativum unterschieden (ganz ähnlich wie in den Grammatiken zu den schweizerdeutschen Dialekten). Die beschriebenen Auftretensbedingungen für die drei Formen machen aber deutlich, dass es sich um die von mir unterschiedenen drei Paradigmen handelt. Penner (1993) und Penner & Schö- nenberger (1995) unterscheiden ebenfalls drei Paradigmen: einen klitischen Artikel, einen vokalischen Artikel und eine emphatische demonstrative Form. Die Auftretens- bedingungen für die beiden Artikelformen decken sich mit den Auftretensbedingun- gen, wie ich sie für den reduzierten Artikel und den vollen Artikel beschrieben habe. Zudem wird die Inkompatibilität von reduziertem Artikel und restriktivem Relativsatz hervorgehoben. Die Relativsatzmodifikation wird in den übrigen drei Arbeiten nicht thematisiert. 4.2. Datenerhebungen Für meine Arbeit habe ich die Beschreibungen zum Artikelsystem aus den Gramma- tiken zu den schweizerdeutschen Dialekten (und aus den oben beschriebenen Dar- stellungen) als Grundlage verwendet. Diese Grammatiken bieten systematische und ausführliche Übersichten zu den Artikelparadigmen im Schweizerdeutschen. Sie wei- sen aber dennoch für meine Zwecke aus verschiedenen Gründen Mängel auf: Erstens handelt es sich in den meisten Fällen um deskriptive Grammatiken; sie liefern für die meisten Phänomene kaum weiterführende Erklärungen. Zweitens sind die meis- ten Grammatiken der Normativität verpflichtet; sie verfolgen das Ziel, eine Anleitung für gutes und richtiges Schweizerdeutsch zu sein7 – was für die Persistierung und Er- haltung der Dialekte eine sinnvolle Strategie sein kann, aber nicht immer ermöglicht, den tatsächlichen Ist-Zustand der Sprache darzustellen. Drittens wird dem Verhältnis von Artikelform und Modifikationsstruktur zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. 7Dies wird z.B. bereits deutlich bei Untertiteln wie etwa bei Weber (1987), Fischer (1989) und Bossard (1962): Ein Wegweiser zur guten Mundart. 138 4. Dialektdaten Aus diesem Grund habe ich mich für meine Untersuchung nicht nur auf die Daten in der bestehenden Literatur gestützt, sondern habe verschiedene Datenkorpora ausge- wertet. Da es sich bei den Definit-Determinierern um Wörter handelt, die sehr häufig vorkommen, war es nicht möglich und nicht sinnvoll, alle Vorkommnisse einzeln zu analysieren und zu präsentieren. Deshalb bin ich so vorgegangen, dass ich alle Arti- kelvorkommnisse geprüft habe (wodurch die in Kapitel 2 und 3 beschriebenen Nor- malfälle und Spezialfälle beschrieben werden konnten) und nur diejenigen genauer analysiert habe, die entweder aus dem Erwartbaren herausfallen (dadurch konnten teilweise die Spezialfälle erst eruiert werden) oder bei denen es sich um elizitierte Da- ten für das präzise Erfassen eines bestimmten Phänomens (wie z.B. die Artikelsetzung beim Relativsatz) handelt. Neben Hörbelegen aus Radio und Fernsehen und aus dem Bekanntenkreis habe ich Mundarttexte studiert (Gfeller 1981, Frank 1979) und verschiedene Tonbandaufnah- men geprüft (Märchenplatten, Nacherzählungen von Bildergeschichten). Zudem ha- be ich zwei schriftliche Datenkorpora zur Analyse zur Verfügung gestellt bekommen (SADS, Interview-Transkripte). Ausserdem habe ich anhand eines Fragebogens Daten (schriftlich und mündlich) erhoben. Bei meinen Daten handelt es sich einerseits um elizitierte Daten, das sind die Daten aus dem SADS und meine Nacherhebungen anhand eines Fragebogens. Andererseits habe ich Spontandaten analysiert, das sind die diversen Hörbelege und Tonbandauf- nahmen und die Interviews, die ich zwar in schriftlicher Form vorliegen hatte, bei de- nen es sich aber um mündliche Gespräche handelt. Ich werde im Folgenden zuerst die Resultate der elizitierten Datenerhebung und anschliessend die Resultate der Spon- tandaten darlegen. 4.2.1. Elizitierte Daten 4.2.1.1. Datenkorpus des SADS Im Datenkorpus des SADS existieren verschiedene Fragen, die für die Klärung der Ar- tikelverteilung in den verschiedenen Kontexten (intrinsisch-definit, phorisch-definit, deiktisch-definit) ausgewertet werden können. Die Ergebnisse zeigen jeweils an, wie häufig welche Artikelform verwendet wurde. Dabei gilt die Form d als reduziert, die Form di(e) als voll.8 Ausserdem wird ausgewiesen wie viele Antworten nicht auswert- bar waren. Nicht auswertbar bedeutet, dass die InformantInnen die Frage entweder 8Solange in der standarddeutschen Vorgabe kein Demonstrativum gesetzt ist und es sich nicht um einen deiktischen Kontext handelt, muss nicht damit gerechnet werden, dass anstelle des Artikels das De- monstrativum gesetzt wird. Vgl. dazu auch die Ergebnisse der Nacherhebung in Kapitel 4.2.1.2. Durch 139 4. Dialektdaten nicht beantwortet haben oder dass sie bei der Übersetzung keine Artikelform, sondern eine Ersatzkonstruktion verwendet haben. Aus diesem Grund können die auswertba- ren Antworten schwanken. Intrinsisch-definiter Kontext: Zur Überprüfung der intrinsisch-definiten Kontexte (Unika, situative Unika, generi- sche nominale Ausdrücke) habe ich folgende Übersetzungsfragen aus dem Datenkor- pus des SADS ausgewertet (Fragebogen 3, Frage 12 und Fragebogen 4, Frage 1): (22) a. Also Martina wäre eine ganz gute Gemeindepräsidentin! b. Nimm die Suppe sofort weg, wenn sie zu kochen anfängt! In Beispiel (22-a) handelt es sich um einen Eigennamen. Eigennamen werden anders als im Standarddeutschen und ähnlich wie in anderen deutschen Dialekten normaler- weise mit dem Artikel eingeleitet. Es handelt sich dabei um Hyperdetermination (vgl. Leiss 2000), da der Eigenname intrinsisch-definit ist und als prototypisches Unikum gilt. Das Datenkorpus zeigt das Bild in Tabelle 4.4. Anzahl Prozent insgesamt 3186 keine auswertbare Antwort 443 auswertbare Antwort 2743 100% kein Artikel 595 21.5% reduziert 2136 78% voll 12 0.5% Tabelle 4.4.: Artikelsetzung bei Eigennamen (aus SADS, FB 4, Frage 1) Von 2743 auswertbaren Antworten entfallen 2136 (= 78%) auf den reduzierten Arti- kel (2082 in der Feminin-Form d, 54 in der Neutrum-Form (d)s), 12 (= knapp 0.5%) auf den vollen Artikel (8 in der Form di, 4 in der Form die). In 595 Fällen (= 21.5%) tritt der Eigenname ohne Artikel auf. Die Artikellosigkeit kann zwei Gründe haben: 1. Eigennamen können im Schweizerdeutschen ohne Artikel auftreten. Dies ist aus ein- zelnen Dialekten bekannt. Diese Dialekte verhalten sich diesbezüglich wie das Stan- die sprachgeografische Ausrichtung des SADS-Projektes wird es möglich, die sprachgeografische Vertei- lung von di / die anhand einzelner Fragen zu eruieren. 140 4. Dialektdaten darddeutsche, indem der Artikel in allen intrinsisch-definiten Kontexten ausser mit Eigennamen verwendet wird. Da sich aber in Beispiel (22-a) die Fälle ohne Artikel gleichmässig über die gesamte Schweiz verteilen, deutet dies (zusätzlich) auf einen Verschmelzungsmechanismus hin (vgl. 2. anschliessend), 2. es handelt sich nicht um Artikellosigkeit, vielmehr ist der Artikel mit dem auf M- anlautenden Eigennamen verschmolzen (dMartina – pMartina – ’Martina). Wie viele der „artikellosen“ Fälle wirklich artikellos und wie viele verschmolzen sind, kann nicht beantwortet werden. Dafür müssten Vergleichsbeispiele mit anderen Eigennamen, die nicht verschmelzbar sind (z.B. auf L- anlautende), bestehen. Falls alle „artikellosen“ Fälle artikellos sind, wird der reduzierte Artikel in 78% verwendet, falls alle „artikellosen“ Fälle Verschmel- zungen von reduziertem Artikel und Eigenname sind, wird der reduzierte Artikel in 99.5% verwendet. Die Auswertung zeigt für beide Fälle, dass in intrinsisch-definiten Kontexten mit Eigennamen der reduzierte Artikel stark präferiert resp. beinahe aus- schliesslich verwendet wird. In Beispiel (22-b) handelt es sich um ein situatives Unikum in Form eines Kontinua- tivums, das in einem intrinsisch-definiten Kontext verwendet wird. Dies verdeutlicht der Kontext, der der Frage mitgeliefert wurde: (23) Hans will eine Fertigsuppe zubereiten. Dabei hält er sich genau an die Anlei- tung auf der Packung. Doch die Suppe läuft über. Marianne gibt ihm folgenden Tipp: Nimm die Suppe sofort weg, wenn sie zu kochen anfängt! Das Datenkorpus zeigt das Bild in Tabelle 4.5. Anzahl Prozent insgesamt 3186 keine auswertbare Antwort 396 auswertbare Antwort 2790 100% kein Artikel 7 0.5% reduziert 2688 96% voll 95 3.5% Tabelle 4.5.: Artikelsetzung bei situativem Unikum (aus SADS, FB 3, Frage 12) Von 2790 auswertbaren Antworten entfallen 2688 (= 96%) auf den reduzierten Artikel d, 95 (= 3.5%) auf den vollen Artikel (1 in der Form di, 94 in der Form die) – ohne er- kennbare sprachgeografische Verteilung – und 7 (= 0.5%) sind ohne Artikel gebildet. 141 4. Dialektdaten Auch diese Auswertung legt die These nahe, dass in intrinsisch-definiten Kontexten (beinahe ausschliesslich) der reduzierte Artikel verwendet wird. Das exzeptionelle Auftreten der vollen Form di(e) in diesem Kontext könnte dadurch erklärt werden, dass der Kontext deiktisch interpretiert wurde und deshalb der volle Artikel (oder so- gar ein Demonstrativum) in deiktischer Funktion eingesetzt wurde. Das vereinzelte Weglassen des Artikels könnte dadurch erklärt werden, dass der Kontext generisch interpretiert und deshalb kein Artikel gesetzt wurde, wie dies bei Kontinuativa in ge- nerischer Lesart üblich ist. Da die Abweichungen allerdings nur 4% ausmachen, ist auch hier die intrinsisch-definite Lesart mit 96% die klar präferierte. Phorisch-definiter Kontext: Zur Überprüfung der phorisch-definiten Kontexte (anaphorisch, kataphorisch) stand folgende Übersetzungsfrage aus dem Datenkorpus des SADS zur Verfügung: (24) Das ist doch die Frau, der ich schon lange das Buch bringen sollte. Der mitgelieferte Kontext macht deutlich, dass die Erklärung, um was für eine Frau es sich handelt, durch den kataphorischen Verweis auf den restriktiven Relativsatz möglich wird: (25) Anna geht mit Hans die Hauptstrasse entlang. Von weitem kommt eine Frau entgegen, von der Anna vor einiger Zeit ein Buch ausgeliehen hat. Als An- na plötzlich die Strassenseite wechselt, um ihr auszuweichen, fragt Hans ver- dutzt, was denn los sei. Anna flüstert: Das ist doch die Frau, der ich schon lange das Buch bringen sollte. Das Datenkorpus zeigt das Bild in Tabelle 4.6. Anzahl Prozent insgesamt 3186 keine auswertbare Antwort 662 auswertbare Antwort 2524 100% reduziert 392 15% voll 2132 85% Tabelle 4.6.: Artikelsetzung in kataphorischem Kontext (aus SADS, FB 2, Frage 2) 142 4. Dialektdaten Der Anteil der nicht auswertbaren Antworten ist hier besonders hoch, da 318 Ant- worten mit Ersatzkonstruktionen ohne Relativsatz (und teilweise auch ohne Nomen) gebildet wurden. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass hypotaktische Konstruktionen wie Relativsätze im Dialekt gerne durch parataktische Konstruktionen ersetzt wer- den. Von 2524 auswertbaren Antworten entfallen 392 (= 15%) auf den reduzierten Artikel d, 2132 (= 85%) auf den vollen Artikel (332 in der Form di, 1800 in der Form die). Die Auswertung legt die These nahe, dass in phorisch-definiten Kontexten der volle Artikel stark bevorzugt wird. Dass dennoch 15% der Befragten hier den reduzierten Artikel verwenden, zeigt, dass der reduzierte Artikel auch phorisch verwendet werden kann. Da in den Grammatiken zu den schweizerdeutschen Dialekten Unterschiede in Bezug auf die Artikelsetzung beim Relativsatz bestehen, erscheint es für diese Übersetzungs- frage sinnvoll, eine sprachgeografische Auswertung vorzunehmen. Für die Beantwor- tung der Frage, ob sprachgeografische Unterschiede festgemacht werden können, habe ich die Antworten nach Kantonen ausgewertet und anschliessend in Regionen (Wal- lis, deutschsprachige Westschweiz, Nordwestschweiz, Mittelland, Innerschweiz, Ost- schweiz, Graubünden) zusammengefasst, vgl. Tabelle 4.7.9 Diese Auffächerung der Daten zeigt, dass in allen Kantonen resp. in allen Dialektregio- nen der volle Artikel häufiger verwendet wird als der reduzierte. Im Walliserdeutsch ist der reduzierte Artikel mit 32% stark vertreten. In allen anderen Dialekten hinge- gen ist der volle Artikel mit Werten zwischen 83 und 92% der eindeutig favorisierte Artikel – auch in denjenigen Kantonen, für die in den Grammatiken der reduzier- te Artikel beim restriktiven Relativsatz angegeben wird. Ein leichtes Gefälle besteht zwischen (Nord-)West mit ca. 90% und Mitte-Ost mit ca. 85%, dieses ist aber kaum signifikant. Die Übersetzungsfrage (25) ist nicht nur geeignet, um die Artikelverteilung in phorisch- definitem Kontext zu prüfen, sondern auch um zu eruieren, in welchen Dialekten als voller Artikel di möglich ist. Da der nominale Ausdruck nicht durch ein Adjektiv mo- difiziert ist, kann ausgeschlossen werden, dass es sich in denjenigen Fällen, in denen 9Dafür habe ich die Schweiz in drei vertikale Bereiche geteilt (Westen, Zentrum, Osten) und in zwei resp. drei horizontale (Norden, Mitte, Süden). So werden die Dialekte in folgende Regionen unterteilt: Nordwest (BS Basel Stadt, BL Basel Land), Mitte-West (FR Freiburg, BE Bern, SO Solothurn), Südwest (VS Wallis), Zentrum-Nord = Mittelland (AG Aargau, LU Luzern, ZG Zug, ZH Zürich), Zentrum-Mitte = Innerschweiz (OW Obwalden, NW Nidwalden, UR Uri,SZ Schwyz, GL Glarus), Nordost = Ostschweiz (SH Schaffhausen, TG Thurgau, AR Appenzell Ausserrhoden, AI Appenzell Innerrhoden, SG St. Gallen), Südost (GR Graubünden). 143 4. Dialektdaten Kanton/Region red. Artikel voller Artikel VS 43 91 WALLIS 43 (32%) 91 (68%) FR 14 49 BE 68 462 SO 6 60 WEST 88 (13%) 571 (87%) BL 13 136 BS 0 10 NORDWEST 13 (8%) 146 (92%) AG 46 173 LU 14 123 ZH 49 228 ZG 4 35 MITTELLAND 113 (17%) 559 (83%) OW 6 36 NW 2 18 UR 6 45 SZ 9 56 GL 15 63 INNERSCHWEIZ 38 (15%) 218 (85%) SH 12 60 TG 12 96 AI 1 10 AR 6 45 SG 44 216 OSTSCHWEIZ 75 (15%) 427 (85%) GR 22 132 GRAUBÜNDEN 22 (14%) 132 (86%) Tabelle 4.7.: Sprachgeografische Verteilung in kataphorischem Kontext 144 4. Dialektdaten di auftritt, um einen reduzierten Artikel handeln könnte. Da die Setzung des Demons- trativums in dieser Übersetzungsfrage nicht zu erwarten ist, da es sich nicht um einen deiktischen Kontext handelt und im Standarddeutschen der Artikel und nicht das De- monstrativum steht, kann untersucht werden, wie die Formen di und die sprachgeo- grafisch verteilt sind. Es zeigt sich das Bild in Tabelle 4.8. Die Daten zeigen für dieses Beispiel eine klare sprachgeografische Verteilung: Es kann ein deutliches West-Ost-Gefälle festgestellt werden: Die Form di wird im (Süd-)Westen mit Werten von 43 und 35% frequent verwendet, im Norden und der Zentralschweiz nehmen die Werte für die Form di ab (von 21 bis 8%), im Osten ist die Frequenz der Form di mit Werten von 2 bis 3% verschwindend klein. Deiktisch-definite Kontexte: Im Datenkorpus des SADS existieren zwei Übersetzungsfragen mit deiktisch-definitem Kontext: (26) a. Marianne kommt mit einem Blumenstrauss nach Hause. Ihre Mutter fragt erstaunt: Für wen sind denn die Blumen? b. Sie sind mit einer Arbeitskollegin über Mittag in ein Restaurant essen gegangen. Beim Verlassen des Restaurants sehen sie Herbert, der beim Blumenladen einen grossen Strauss Rosen kauft. Neugierig fragen Sie ih- re Arbeitskollegin: Wem will er denn die schönen Blumen bringen? In beiden standarddeutschen Sätzen ist der betonte Artikel der und nicht das in die- sem Kontext prototypische Demonstrativum dieser vorgegeben. Da damit eine Ar- tikelform suggeriert wird und nicht zu erwarten ist, dass bei der Übersetzung ins Schweizerdeutsche anstelle des standarddeutschen Artikels ein Demonstrativum ge- setzt wird, sind diese beiden Übersetzungsfragen leider nicht geeignet zur Überprü- fung, ob in deiktisch-definiten Kontexten neben dem Demonstrativum auch andere Definit-Determinierer verwendet werden. Aus diesem Grund habe ich die Artikelset- zung in deiktisch-definiten Kontexten in meiner Nacherhebung ausgetestet. 4.2.1.2. Nacherhebungen Um die Verteilung der Definit-Determinierer detaillierter und anhand weiterer Bei- spiele zu untersuchen, habe ich eine Nacherhebung im kleinen Rahmen durchgeführt.10 10Beim SADS wurden Befragungen mit über 3000 InformantInnen in der ganzen deutschsprachigen Schweiz gemacht. Dies war für die zusätzlichen Befragungen aus Kapazitätsgründen nicht möglich. 145 4. Dialektdaten Kanton/Region voller Artikel di voller Artikel die VS 40 51 WALLIS 40 (44%) 51 (56%) FR 39 10 BE 160 302 SO 3 57 WEST 202 (35%) 369 (65%) BL 31 105 BS 0 10 NORDWEST 31 (21%) 115 (79%) AG 21 152 LU 18 105 ZH 4 224 ZG 1 34 MITTELLAND 44 (8%) 515 (92%) OW 0 36 NW 0 18 UR 0 45 SZ 2 54 GL 24 39 INNERSCHWEIZ 26 (12%) 192 (88%) SH 3 57 TG 0 96 AI 0 10 AR 0 45 SG 10 206 OSTSCHWEIZ 13 (3%) 414 (97%) GR 2 130 GRAUBÜNDEN 2 (2%) 130 (98%) Tabelle 4.8.: Sprachgeografische Verteilung der Artikelformen di und die 146 4. Dialektdaten Dabei habe ich Kontexte abgefragt, die die Verteilung der Definit-Determinierer weiter klären sollen. Ausserdem habe ich Modifikationskontexte abgefragt, um herauszufin- den, ob und inwiefern sich die Artikelsetzung ändert, wenn der nominale Ausdruck modifiziert wird. Intrinsisch-definiter Kontext: Obwohl die Setzung des reduzierten Artikels in intrinsisch-definiten Kontexten gut be- legt ist, habe ich sie anhand verschiedener intrinsisch-definiter Kontexte weiter über- prüft (Eigennamen, situative Unika) mit Übersetzungsfragen wie (vgl. dazu auch Breu 2004): (27) a. Ich habe das neue Buch von H.M. noch nicht gelesen. Eigenname b. Der beste Lehrer ist Herr Schulz. Unikum, Eigenname c. Es ist Frühjahr. Die Sonne scheint. Unikum Sämtliche getesteten intrinsisch uniken nominalen Ausdrücke wurden ausnahmslos mit dem reduzierten Artikel verwendet. Die These, dass der reduzierte Artikel in intrinsisch-definiten Kontexten prototypisch ist, kann damit weiter belegt werden. Um zu testen, wie stark diese Korrelation zwischen reduziertem Artikel und intrin- sisch unikem nominalen Ausdruck ist, habe ich einen prototypisch uniken Ausdruck (einen Eigennamen) in einen kontrastiven Kontext transferiert, in dem explizit zwei Referenten gegenübergestellt werden. Dadurch, dass die Referenz des Eigennamen da- mit nicht mehr eindeutig ist resp. durch eine kataphorische Zusatzinformation geklärt wird, wäre ein Wechsel vom reduzierten Artikel zum vollen Artikel naheliegend (vgl. dazu auch Ebert 1971b): (28) Ich meine nicht den Peter, der Schneider ist, sondern den Bäcker. Dennoch wurde auch in diesem phorischen Kontext der reduzierte Artikel gesetzt. Dies kann zwei Gründe haben: Entweder liegt die Setzung des reduzierten Artikels dar- in begründet, dass der reduzierte Artikel teilweise auch phorisch verwendet werden kann, oder die Interpretation des Eigennamens als Unikum löst immer den reduzier- ten Artikel aus, gleichgültig wie der semantisch-pragmatische Kontext gewertet wird. Die Ergebnisse der Nachbefragung würden deshalb zwar einer quantitativen Auswertung nicht stand- halten und es können auch keine stichhaltigen sprachgeografischen Aussagen gemacht werden, dennoch können für die Verteilung der Definit-Determinierer wertvolle Resultate erzielt werden. Als Leitlinie für die Auswertung von kleinen Datenkorpora kann Eberts (1971a) Aussage gelten, dass ein Phänomen be- legt ist, wenn es von mindestens zwei InformantInnen verwendet oder akzeptiert wird. Die Ergebnisse meiner Nacherhebung beruhen auf sechs bis zehn Antworten pro Übersetzungsfrage (vgl. Kapitel 1.3.1). 147 4. Dialektdaten Dies würde bedeuten, dass im Konflikt zwischen einer Unika-Regel („kann angenom- men werden, dass der Referent hinlänglich bestimmt ist, wird der nominale Ausdruck mit dem unik-definiten Artikel eingeleitet“) und einer Kontext-Regel („kann nicht mit Sicherheit angenommen werden, dass der Referent hinlänglich bestimmt ist, wird der nominale Ausdruck mit dem kontext-definiten Artikel eingeleitet“) die Unika-Regel stärker gewertet wird. Dies scheint zumindest bei Eigennamen sogar dann der Fall zu sein, wenn es sich um einen explizit kontrastiven Kontext handelt. Der assoziativ-anaphorische Kontext, den ich wie Löbner (1985) zu den intrinsisch- definiten Kontexten zähle, wurde anhand von folgenden zwei Beispielen aus Breu (2004) abgefragt: (29) a. Unser Lehrer hat uns ein Buch gezeigt. Er kennt den Autor persönlich. b. Wir sind hinter einem LKW hergefahren. Der Rauch war schrecklich. Alle InformantInnen haben in beiden Beispielen den reduzierten Artikel verwendet. Phorisch-definiter Kontext: Zur Überprüfung der Artikelsetzung in phorisch-definiten Kontexten wurden verschie- dene anaphorische und kataphorische Kontexte abgefragt. Für den anaphorischen Verweis wurden (in Anlehnung an Ebert 1971b) Übersetzungs- fragen wie folgt gestellt: (30) a. Paul hat ein Pferd gekauft. Das Pferd lahmt. b. Peter hat sich ein Pferd gekauft. Das Pferd lahmt, aber sonst geht es ihm gut. c. Auf meinem Bauernhof gibt es ein Pferd und einen Hund. Das Pferd kann schneller laufen als der Hund. In Beispiel (30-a) wurde in 67% der Fälle der volle Artikel gesetzt (allerdings teil- weise ohne Nomen), in 33% der reduzierte Artikel. In Beispiel (30-b), in dem über das Referenzobjekt bei der Wiederaufnahme zwei Aussagen gemacht werden, wurde der volle Artikel gleich häufig verwendet wie der reduzierte Artikel. In Beispielen wie (30-c), in denen eine Koordinationsstruktur auftritt und über beide Referenzobjekte eine Aussage gemacht wird, wurde in 12% der Fälle der volle Artikel, in 88% der re- duzierte Artikel verwendet. Dabei spielte die Beschaffenheit der Referenzobjekte (wie belebt/unbelebt) keine Rolle. 148 4. Dialektdaten Diese Daten zeigen, dass in gewöhnlich anaphorischen Kontexten der volle Artikel häufiger vorkommt, dass aber der reduzierte Artikel mit 33% ebenfalls stark vertreten ist. Sobald mehrere Aussagen über das Referenzobjekt gemacht werden, nimmt die Frequenz des reduzierten Artikels zu. Werden Aussagen über zwei Referenzobjekte gemacht, ist der reduzierte Artikel mit 88% der stark präferierte Artikel. In stereotypen Sätzen wie bei Märchenanfängen ist der reduzierte Artikel in anapho- rischen Kontexten (insbesondere bei Koordinationsstrukturen) typisch: (31) a. Es war einmal ein König. Der König hatte eine Tochter. b. Es war einmal ein König und eine Königin. Der König sagte zur Königin... In diesen Beispielen wurde immer der reduzierte Artikel gesetzt (mit Ausnahme einer elliptischen Konstruktion mit dem vollen Artikel). Ebenso klar wird der reduzierte Artikel gesetzt, wenn es sich bei der Ersterwähnung um einen generischen nominalen Ausdruck wie mit dem Zug handelt: (32) Jan kam mit dem Zug. Der Zug war um zwölf in Zürich. Hier wurde in allen Antworten der reduzierte Artikel verwendet. Die Frage, ob in anaphorischen Kontexten auch das Demonstrativum gesetzt werden kann, ist schwierig zu beantworten: Spontan, d.h. wenn in der Vorgabe kein Demons- trativum gesetzt war, wurde es nie verwendet. Die Setzung des Demonstrativums kann aber durch die Vorgabe eines standarddeutschen Demonstrativums forciert werden: (33) Es war einmal ein König. Dieser König hatte eine Tochter. Diese Tochter war schön. In diesen beiden Fällen wurde das Demonstrativum zwar verwendet, aber doch nur mit einer Frequenz von 72%. Um zu testen, ob Schweizerdeutsch-Sprechende in anaphorischen Kontexten im Stan- darddeutschen das Demonstrativum oder den Artikel setzen, habe ich Übersetzungs- fragen vom Schweizerdeutschen ins Standarddeutsche gestellt: (34) Es esch emou e Maa gsi. Dää het es chliises Huus ghaa. Daas het drüü Fäns- chter ghaa. 149 4. Dialektdaten Es war einmal ein Mann. Dieser hatte ein kleines Haus. Dieses hatte drei Fenster. Obwohl hier durch die Setzung des Demonstrativums im Schweizerdeutschen die Set- zung des Demonstrativums im Standarddeutschen sogar forciert wurde, wurde bei- nahe ausschliesslich (in 90% der Fälle) der Artikel und nicht das Demonstrativum ge- setzt. In anderen Kontexten hingegen (vgl. unten) ist bei der Übersetzung vom Schwei- zerdeutschen ins Standarddeutsche überdurchschnittlich häufig das Demonstrativum verwendet worden (auch dann, wenn in der Vorgabe ein Artikel gesetzt war). Diese Datenlage macht deutlich, dass das Demonstrativum in anaphorischen Kontex- ten eher eine Ausnahme darstellt, da es spontan gar nicht und forciert auch nur in 72% der Fälle verwendet wurde. Auch bei schweizerdeutscher Demonstrativum-Vorgabe wird mit Vorliebe im Standard der Artikel und nicht das Demonstrativum gesetzt. Für den kataphorischen Verweis wurden verschiedene Kontexte mit Relativsatz ab- gefragt. Die Ergebnisse dieser Sätze fasse ich unter dem Abschnitt zur Modifikation zusammen. Deiktisch-definiter Kontext: Die Überprüfung der Definit-Determinierer-Setzung in deiktisch-definiten Kontexten ist wie erwähnt nicht ganz einfach, da durch die standarddeutsche Vorgabe eine Be- einflussung nicht unterdrückt werden kann: Entweder wird der Artikel gesetzt – dann tritt vielleicht häufiger der Artikel auf als realiter – oder es wird das Demonstrativum gesetzt – dann tritt eventuell häufiger das Demonstrativum auf. Ich habe für den deiktisch-definiten Kontext vier Übersetzungsfragen mit Artikel- Vorgabe (35) und vier mit Demonstrativum-Vorgabe (36) getestet: (35) a. Sie ziehen in eine neue Wohnung. Ein paar Freunde helfen Ihnen beim Umzug. Ihr Freund Tim kommt mit zwei Bildern ins Wohnzimmer und fragt Sie: Wo soll ich die Bilder hinstellen? b. Tanja und Esther sind auf Shoppingtour. Tanja ist mit ein paar Kleidungs- stücken in der Kabine verschwunden. Nach einer Weile kommt sie in ei- nem etwas gewagten Kleid raus und fragt Esther: Was meinst du: Soll ich mir das Kleid kaufen? c. Manuela zeigt ihrem Freund Otto Urlaubsfotos. Auf einem ist ein Panora- ma der Alpen zu sehen. Sie zeigt mit dem Finger auf den grössten Berg und sagt: Schau, auf dem Berg war ich. 150 4. Dialektdaten d. Thomas fährt morgen in die Ferien. Seine Mutter hilft ihm beim Packen. Er fragt sie: Kannst du mir bitte das Hemd dort geben? (36) a. Vera arbeitet an einem Werbestand, an dem man einen Wettbewerb aus- füllen kann. Ihr fällt auf, dass der Mann, der gerade einen Wettbewerb ausfüllen will, bereits teilgenommen hat. Da man nur einmal mitmachen darf, flüstert sie ihrer Arbeitskollegin zu: Dieser Mann war gestern schon hier! b. Sie sind am Einkaufen und wollen eine PET-Flasche entsorgen. Leider können Sie die Entsorgungsstelle einfach nicht finden. Als ein Angestell- ter an Ihnen vorbeieilt, fragen Sie: Entschuldigung, wo kann ich bitte diese PET-Flasche entsorgen? c. Rolf räumt sein Büro auf. Er sitzt inmitten von Büchern und Papiersta- peln. Er fragt seine Kollegin, ob sie ihm das Buch auf dem Ablagetisch reichen könnte. Da diese ihm das falsche gibt, sagt Rolf: Nein, nicht dieses Buch, sondern das andere, das gleich daneben liegt. d. Annika ist mit ihrem Bruder an einem Fussballspiel. Als sie unter den Zuschauern ihren alten Lehrer entdeckt, zeigt Sie diesen ihrem Bruder. Der fragt, ob sie denjenigen mit dem roten Pulli meint. Sie antwortet ihm: Nein, nicht diesen meine ich, sondern den, der gleich daneben steht. In den Sätzen mit Artikel-Vorgabe wurde mit grosser Vorliebe der volle Artikel (82%) und nicht das Demonstrativum (18%) gesetzt. In den Beispielen mit Demonstrativum wurde der volle Artikel etwas häufiger (53%) als das Demonstrativum (47%) gesetzt. Um die Sensibilität für deiktisch-definite Kontexte zu untersuchen, habe ich zudem schweizerdeutsche Übersetzungsfragen mit Artikel (mit und ohne do ‘da’) und mit De- monstrativum (attributiv und pronominal) abgefragt. Als Kontext diente dabei z.B. ein Küchenaufräum-Szenario: (37) a. Wo söl i di Fläsche versoorge? Wohin soll ich diev Flasche verräumen? b. Wäm ghöört das Glaas do? Wem gehört dasv Glas da? (38) a. Die Fläsche ghöört doch is Autglaas, oder? Diese Flasche gehört doch ins Altglas, oder? 151 4. Dialektdaten b. Die ghöört secher ned is Autglaas, oder? Diese gehört sicher nicht ins Altglas, oder? Obwohl bei den Übersetzungsfragen vom Standard ins Schweizerdeutsche wie gezeigt sehr häufig der volle Artikel verwendet wurde (bei Artikel- und bei Demonstrativum- Vorgabe), scheint bei der Übersetzung vom Schweizerdeutschen ins Standarddeutsche eine umgekehrte Tendenz zu bestehen: Das Demonstrativum wird überdurchschnitt- lich häufig eingesetzt – sowohl bei Artikel- als auch bei Demonstrativum-Vorgabe: In 83% der Fälle wurde das Demonstrativum gesetzt, in 17% der Artikel. Dieses Resultat könnte darin begründet sein, dass bei der Übersetzung ins Standarddeutsche in erster Linie der deiktische Kontext wahrgenommen wird (und nicht die Form des Definit- Determinierers) und durch die Bemühung einer „hyperkorrekten“ Übersetzung immer das Demonstrativum gewählt wird. Das Datenkorpus zeigt, dass – obwohl das Demonstrativum die genuine Verwendung in deiktisch-phorischen Kontexten darstellt – im Schweizerdeutschen in diesen Kon- texten der volle Artikel (ganz ähnlich wie im Standarddeutschen der betonte Artikel) genauso selbstverständlich eingesetzt wird. Der reduzierte Artikel hingegen wird in deiktisch-definiten Kontexten nicht verwendet. Modifikationen: Um zu testen, wie sich die Artikelsetzung gestaltet, wenn der nominale Ausdruck mo- difiziert ist, habe ich Sätze mit Adjektiv-, Präpositionalphrasen- und Relativsatzmodi- fikationen abgefragt. Die Adjektivmodifikation habe ich durch Beispiele wie die folgenden getestet (vgl. auch Breu 2004): (39) a. Ich würde das rote Kleid anziehen, das steht dir besser als das blaue. b. Welchen Apfel willst du? – Ich will den grossen. c. Zuerst ist der grösste Schuft weggelaufen. Dabei zeigt sich ein sehr eindeutiges Bild: In allen Fällen der Adjektivmodifikation wird der reduzierte Artikel de, d, s gesetzt – mit zwei Ausnahmen: 1. beim reduzier- ten Artikel in der Form d wird auf die Form di ausgewichen, 2. bei zusätzlicher PP- Modifikation wird der volle Artikel gesetzt. Anstelle des reduzierten Artikels in der Form d wird bei Adjektivmodifikation (auch in elliptischen Kontexten) immer di gesetzt: 152 4. Dialektdaten (40) a. di aut Frou und de aut Maa dier alte Frau und derr alte Mann b. Di Groosse wüsse emmer aues besser aus di Chliine. Dier Grossen wissen immer alles besser als die Kleinen. Die Abfrage eines Satzes mit Adjektivmodifikation und gleichzeitiger PP-Modifikation zeigt ein interessantes Ergebnis: (41) Jetzt habe ich das neue Buch von Henning Mankell immer noch nicht gelesen. Hier haben fast alle Befragten den vollen und nicht den reduzierten Artikel verwen- det. Da ich leider keine weiteren Daten mit Adjektiv- und PP-Modifikationen zur Ver- fügung habe, kann hier keine abschliessende Aussage gemacht werden. Das Resultat lässt aber den Schluss zu, dass PP-Modifikationen – genau wie Relativsätze – in re- striktiver Funktion den vollen Artikel auslösen können. Für die Artikelsetzung bei restriktiven Relativsätzen habe ich Sätze wie die folgenden getestet: (42) a. Ist das nicht die Frau, die früher in unserer Strasse gewohnt hat? b. Die Zeiten, als ich bis in die Nacht gelernt habe, sind lange vorbei. c. Jeder bekommt die Frau, die er verdient. Insgesamt wurde in 67% der Fälle der volle Artikel gesetzt, in 33% der reduzierte. Dies ist ein etwas weniger eindeutiges Bild als die Auswertung der SADS-Daten zeigt, in denen der volle Artikel in 85% der Fälle aufgetreten ist. Allerdings besteht ein gros- ses idiolektales Gefälle: Während einige nahezu immer den vollen Artikel verwendet haben, liegt der Prozentsatz bei anderen InformantInnen teilweise unter 50%.11 Ein Unterschied besteht auch zwischen unterschiedlichen Relativsätzen: (43) a. Stimmt, aber das Kino, in dem wir Shrek gesehen haben, finde ich noch viel schlimmer. b. Jeder bekommt die Frau, die er verdient. 11Eine Informantin (ZH, 85 Jahre) hat in allen restriktiven Relativsätzen mit Ausnahme des restriktiven Relativsatzes mit Eigenname den vollen Artikel verwendet (Verhältnis 12:1), eine Informantin (BE, 80 Jahre) hat zweimal den reduzierten Artikel verwendet (Verhältnis 11:2) - neben dem restriktiven Rela- tivsatz mit Eigenname denjenigen mit dummy-Nomen "die Tatsache, dass". Eine Informantin (AG, 50 Jahre) hingegen hat nur viermal den vollen Artikel gesetzt (Verhältnis 4:8). Bei den übrigen Informan- tInnen wurde der volle und der reduzierte Artikel durchschnittlich gleich häufig eingesetzt. 153 4. Dialektdaten In Beispielen wie (43-a) wird überdurchschnittlich häufig der reduzierte Artikel ver- wendet. Dies könnte darin begründet sein, dass gewisse Nomen wie z.B. Kino gewohn- heitsmässig generisch (und damit intrinsisch-definit) interpretiert werden, obwohl in diesem Fall die Kontext-Regel gelten würde, da ein ganz spezifisches Referenzobjekt, das durch den Relativsatz bestimmt wird, gemeint ist. In Beispielen wie (43-b) hinge- gen wird fast ausschliesslich der volle Artikel gesetzt. Dies könnte damit begründet werden, dass es sich dabei um einen wie in Kapitel 3.4.2.3 beschriebenen definitori- schen restriktiven Relativsatz handelt, der den vollen Artikel verlangt. 4.2.2. Spontandaten 4.2.2.1. Hörbelege Neben den elizitierten Daten habe ich zur Überprüfung der Thesen zur Artikelsetzung Spontandaten aus Radio und Fernsehen, aus dem Bekanntenkreis und aus Nacherzäh- lungen von Bildergeschichten beigezogen. Dabei konnten neben der Verifizierung der Normalverteilung auch drei Spezialfälle eruiert werden: 1. der phorische Gebrauch des reduzierten Artikels (44), 2. der deiktische Gebrauch des vollen Artikels (45), 3. der problematische/emotionale intrinsische Gebrauch (46). Der Dialekt in den folgen- den Beispielen ist der Aargauer Dialekt, mit Ausnahme von Beispiel (44) und Beispiel (46-e), die dem Valser Dialekt entstammen. (44) phorisch – reduziert E Polizescht duet grad d Nummere ufschriibe. Do chont aber scho eine ztrotte met eme Göfferli e de Hand. Er chont zum Polizescht ane und seit... Ein Polizist schreibt gerade die Nummer auf. Da kommt aber schon einer ge- trottet mit einem Köfferchen in der Hand. Er kommt zumr Polizist hin und sagt... (45) deiktisch – voll Chasch mer gschnäll di Fläsche gee? Kannst du mir schnell diev Flasche geben? Insbesondere für den dritten Fall finden sich viele Beispiele: (46) problematisch/emotional a. I säg öich, das Barcelona esch so schöön gsi! Ich sage euch, dasv Barcelona war so schön! 154 4. Dialektdaten b. Das isch jo alles zemlich suschbäkt i däm Amriswil. Das ist ja alles ziemlich suspekt in demv Amriswil. c. Aso, dää Mathis kent nüüt, dä wot überall debii sii. Also, dieser Mathis kennt nichts, der will überall dabei sein. d. Weisch, i mach jo jetz no do die Zuesatzuusbildig, das weisch scho, oder? Weisst du, ich mache ja jetzt noch da diev/diese Zusatzausbildung, das weisst du schon, oder? e. [...] nemmt de Zädel au da nonet und derna nemt de Dokter, duet dr Dok- ter schiints schiints s Göfferli offe und nemmt da das, die Apparatur, wi heisst, i weiss nid, s Schtetoskoop wersch dem säge oder, füre [...] [...] nimmt den Zettel auch dann noch nicht und nachher nimmt der Dok- tor, tut der Doktor anscheinend das Köfferchen auf und nimmt da das, diev/diese Apparatur, wie heisst, ich weiss nicht, das Stethoskop wirst du dazu sagen oder, hervor [...] 4.2.2.2. Märchenerzählungen Ein Spezialfall von Spontandaten sind Märchenerzählungen: Es sind zwar spontan produzierte Sätze, allerdings in einem klar umgrenzten stereotypen Rahmen. Dadurch können die verschiedenen Kontexte (intrinsisch, phorisch, deiktisch) gut unterschie- den werden. Besonders gut eignen sie sich für die Artikelsetzung im intrinsischen Ge- brauch, da die Referenzobjekte durch den stereotypen Rahmen als allgemein bekannt gelten können, und für die Artikelsetzung im phorischen Gebrauch durch die klare Erzählstruktur. Die Beispiele stammen von Märchenplatten gesprochen von Karen Meffert und Silvia Sempert. Intrinsisch-definit: In Märchentiteln gelten die Hauptfiguren immer als intrinsisch-definit. In allen Fällen wird der reduzierte Artikel gesetzt: (47) a. s Mërli vom Schniider und em Bër das Märchen vomr Schneider und demr Bären b. s Mërli vom fingerlange Mandli das Märchen vomr fingerlangen Männchen 155 4. Dialektdaten c. s Gschichtli vom Puur und em Zwergefräueli das Geschichtchen vomr Bauern und demr Zwergenfrauchen d. d Prinzëssin uf der Ërbse dier Prinzessin auf derr Erbse e. vom Hëësli, wo nöd gfolget hät vomr Häschen, das nicht gehorchte f. vom Prinzëssli, wo nöd hät chöne schlaafe vomr Prinzesschen, das nicht schlafen konnte Personen, die als allgemein bekannt gelten, werden in der Erzählung häufig schon bei der ersten Erwähnung nicht mit dem indefiniten Artikel, sondern mit dem reduzierten definiten Artikel verwendet: (48) a. De Herr König und d Frau Königin, sini Ëltere, händ sich natürli Soorge gmacht. Derr Herr König und dier Frau Königin, seine Eltern, haben sich natürlich Sorgen gemacht. b. De Tüürwëchter hät gar nöd ali uf s Mal chöne inelaa. Derr Türwächter hat gar nicht alle auf einmal einlassen können. Auch andere (situative) Unika werden immer mit dem reduzierten Artikel verwen- det: (49) a. mit em Chopf mit demr Kopf b. zmittst i de Nacht mitten in derr Nacht c. im Suntigsgwëndli imr Sonntagskleid d. s Mittagsglöggli dasr Mittagsglöckchen e. zum Waldrand zumr Waldrand 156 4. Dialektdaten Phorisch-definit: Die Erzählstruktur in Märchen erlaubt die Überprüfung der Artikelsetzung in phorisch- definitem Gebrauch. Verschiedene Muster konnten bei der Wiederaufnahme gefunden werden. Im klassischen Muster wird ein Referenzobjekt mit dem indefiniten Artikel in den Diskurs eingeführt. Bei der anaphorischen Wiederaufnahme wird der volle Artikel gesetzt. In den folgenden Wiederaufnahmen gilt das Referenzobjekt als etabliert und wird mit dem reduzierten Artikel verwendet: (50) a. ... es Zwergefräueli. ... dëm Fräueli ... s Zwergefräueli ein Zwergenfrauchen ... demv Frauchen ... dasr Zwergenfrauchen b. ... e Bër ... zu dëm Bër ... de Bër ein Bär ... zu demv Bär ... derr Bär In einigen Fällen wird bereits bei der ersten Wiederaufnahme der reduzierte Artikel gesetzt. Dies deutet darauf hin, dass der reduzierte Artikel auch phorisch verwendet werden kann: (51) a. e Schruubschtock... de Schruubschtock ein Schraubstock ... derr Schraubstock b. e Gutsche ... hinder de Gutsche eine Kutsche ... hinter derr Kutsche c. es ëinzigs chliises Ërbsli ... s Ërbsli ein einziges Erbschen ... dasr Erbschen Teilweise wird bei späterer Wiederaufnahme wieder der volle Artikel gesetzt: (52) a. ... en Puur ... de Puur ... dëm Puur ein Bauer ... derr Bauer ... derv Bauer b. ... es Prinzëssli ... s Prinzëssli ... das Prinzëssli ein Prinzesschen ... dasr Prinzesschen ... dasv Prinzesschen Dies kann zwei Gründe haben: Entweder wird explizit anaphorisch verwiesen, da das Glücken der Wiederaufnahme ansonsten scheitern könnte, oder es handelt sich um den emotional-intrinsischen Gebrauch. 157 4. Dialektdaten Modifikationen: In den untersuchten Märchen konnten auch einige Modifikationsstrukturen gefunden werden. Allerdings hat sich gezeigt, dass 1. Adjektive beinahe nur appositiv (zur Aus- schmückung bereits bekannter Referenzobjekte) vorkommen, 2. Präpositionalphrasen zwar restriktiv, aber selten zur Gegenstandsidentifikation auftreten, 3. Relativsätze fast gar nicht verwendet werden, da parataktische Strukturen bevorzugt werden. Appositive Adjektivmodifikationen treten häufig zur Betonung eines bestimmten Cha- rakterzuges auf: (53) a. de frëchi Haas derr freche Hase b. di hëërzige bruune Hösli dier niedlichen braunen Höschen In diesen Fällen wird immer der reduzierte Artikel d(i) verwendet, ausser der nomi- nale Ausdruck wird in einem phorischen oder deiktischen Kontext verwendet: (54) a. i dëm frömde Gaarte in demv fremden Garten (der vorher erwähnt wurde) b. dë fein grüüen Schpinaat döt hine derv gute grüne Spinat dort hinten Einziges Vorkommnis einer restriktiven Adjektivmodifikation, die ich gefunden habe, ist das folgende: (55) bi de groosse Bueche bei derr grossen Buche Allerdings wird das Adjektiv in diesem Beispiel nicht eigentlich zur Gegenstandsbe- stimmung, sondern eher als Ortsbezeichnung bei der grossen Buche verwendet. Ganz ähnlich sind die Funde bei den Präpositionalphrasen. Es handelt sich eher um be- griffsbildende, denn um gegenstandsbestimmende Modifikationen. Sie werden stets mit dem reduzierten Artikel gebildet: (56) a. de Maa im Mond derr Mann im Mond 158 4. Dialektdaten b. d Chöchin us em Schloss dier Köchin aus dem Schloss (die Schlossköchin) Folgende Relativsätze wurden gefunden: (57) a. Si hend de bescht Dokter gholt, wo-s i dëm Land gëë hät. Sie holten denr besten Arzt, den es in dem Land gab. b. di bede andere Schniider, wo niidisch gsi sind uf de jüngscht dier/v beiden anderen Schneider, die neidisch waren auf den Jüngsten (58) a. i dëm wunderschööne Gaarte, wo-s zringgs ums Schloss ume ghaa hät in demv wunderschönen Garten, den es um das Schloss herum hatte b. Weisch du nöd, dass es hüt Suntig isch uf de Ërde – dë Taag, wo de Liebgot usgruebet hät? Weisst du nicht, dass es heute Sonntag ist auf der Erde – derv Tag, an dem der liebe Gott ausgeruht hat? In Beispiel (57) wird das Referenzobjekt durch die Modifikation als eindeutig ausge- wiesen. Der Artikel wird in seiner reduzierten Form gesetzt. Bei der Form di ist der Fall allerdings nicht ganz klar. Es könnte sich auch um einen vollen Artikel handeln. In Beispiel (58) wird der Relativsatz zur Referenzfindung eingesetzt. Der volle Arti- kel wird gesetzt. Diese Verteilung unterstützt die These, dass in Fällen, in denen die Referenz geklärt ist, der reduzierte Artikel gesetzt wird und in Fällen, in denen die Referenz erst durch den Relativsatz geklärt wird, der volle Artikel verwendet wird. 4.2.2.3. Interviews Neben Hörbelegen und Märchenerzählungen habe ich Transkripte von 42 Interviews ausgewertet, die den Ergebnissen in Christen (1998) zugrundeliegen. Ich habe das Transkript in einem ersten Schritt zur Phänomenschau benützt, indem ich die gut 5000 Artikelformen geprüft habe: Ich habe kontrolliert, welche Artikelformen „wie erwartet“ (nach der Normalverteilung) verwendet werden und welche nicht auf An- hieb in das angenommene Raster passen. Dadurch konnten Spezialfälle und beson- dere Phänomene eruiert werden (wie z.B. der problematische/emotionale intrinsisch- definite Gebrauch des vollen deiktischen Artikels und des Demonstrativums). In einem 159 4. Dialektdaten zweiten Schritt habe ich die Daten verwendet, um den Artikelgebrauch bei Relativsät- zen weiter zu testen. Die Verschriftlichung der Beispiele entsprechen dem Transkrip- tionsdokument. Um die These zu prüfen, dass der reduzierte Artikel normalerweise mit appositiven Relativsätzen auftritt und bei restriktiven Relativsätzen die Ausnahme bildet, habe ich alle Relativsätze des Interview-Transkripts analysiert. Insgesamt wurden 427 Re- lativsätze produziert. Davon sind 172 (= 40%) mit Definit-Determinierer und 255 (= 60%) ohne Definit-Determinierer (ohne Artikel, mit Indefinitartikel, mit anderen In- definita etc.) gebildet worden. Der reduzierte Artikel wurde insgesamt 47-mal (= 27%) benützt. In zwei Fällen war es nicht entscheidbar, ob es sich um einen vollen Artikel handelt oder ob die Form di nur durch die Adjektivmodifikation ausgelöst wurde: (59) a. das isch e chli vilecht s gröscht/ di gröscht diferänz won i (?) das ist ein bisschen vielleicht dasr grösste / die grösste Differenz, die ich ... b. soo dass sìnd äifach ìmmer dì gliiche situatsioone wo eklig sìnd so das sind einfach immer die gleichen Situationen, die unangenehm sind Im ersten Fall deutet die ursprüngliche Konstruktion s gröscht und der Umstand, dass es sich um einen Superlativ handelt, auf einen reduzierten Artikel hin, im zweiten Fall gibt es keinen solchen Anhaltspunkt. Von insgesamt 22 appositiven Relativsätzen wurden 20 (= 91%) mit dem reduzierten Artikel gebildet. Von insgesamt 100 restriktiven Relativsätzen wurden 12 (= 12%) mit dem reduzierten Artikel gebildet. Von den restlichen 50 Relativsätzen, die nicht ein- deutig appositiv oder restriktiv sind, wurden 15 (= 30%) mit dem reduzierten Artikel verwendet. Die These, dass der reduzierte Artikel bei appositiver Relativsatzmodifikation der Nor- malfall ist, kann durch diese Daten bestätigt werden. Die These, dass der reduzierte Artikel bei restriktiver Relativsatzmodifikation die Ausnahme darstellt, kann eben- falls bestätigt werden – sogar für den Fall, dass alle nicht klassifizierbaren Relativsät- ze, die mit dem reduzierten Artikel auftreten, restriktiv interpretiert werden, und alle nicht klassifizierten Relativsätze, die mit dem vollen Artikel auftreten, appositiv in- terpretiert werden, wird der reduzierte Artikel nur in 23% der Fälle mit restriktivem Relativsatz verwendet (12 + 15 von 114 restriktiven Relativsätzen). Die Vorkommnisse des reduzierten Artikels bei restriktiver Relativsatzmodifikation sind die folgenden (da für die Artikelsetzung bei der Relativsatzmodifikation die sprach- geografische Verteilung interessant sein kann, habe ich sie nach Regionen geordnet, 160 4. Dialektdaten die Verschriftlichung ist nach Original-Dokument, ohne diakritische Zeichen, die Über- setzungen sind von mir): (60) Nordwest a. d lüüt wo jez i dem gebiet woone und schaffe dier Leute, die jetzt in diesem Gebiet wohnen und arbeiten b. t monotonii wo sich mit der ziit ergit dier Monotonie, die sich mit der Zeit ergibt (61) West a. pedänke wo si hend dier Bedenken, die Sie haben b. d grönd wo gäge das wo mer gäge daas cha haa dier Gründe, die gegen das / die man gegen dies haben kann (62) Südwest a. ts wisse wo müesch haa dasr Wissen, das du haben musst (63) Mittelland a. t lüüt wo me känt dier Leute, die man kennt b. mit de lüüt wo für äin de münd schaffe mit denr Leuten, die für einen dann arbeiten müssen c. i de phönkt wos drof a chont in denr Punkten, auf die es ankommt d. em alter wo sii gha händ in demr Alter, das sie gehabt haben e. vo de mateerie wo mer beaarbäitet von derr Materie, die man bearbeitet f. s manuele wo scho no bliibe mues dasr Manuele, das schon noch bleiben muss (64) Ost a. t hüüser aaluege wo de tsee eff meier gsi esch dier Häuser anschauen, in denen C.F.Meyer gewesen ist 161 4. Dialektdaten Die Vorkommnisse des reduzierten Artikels mit restriktivem Relativsatz ist auf die verschiedenen Abfrage-Regionen verteilt (aus der Innerschweiz kommen wenige, aus Graubünden gar keine InformantInnen). Dass die Hälfte der Daten (6 von 12 Vor- kommnissen) aus dem Mittelland stammen, deckt sich mit dem Umstand, dass ca. die Hälfte der Interviewten aus dieser Region kommen. Da es den Anschein macht, dass diese restriktiven Relativsätze (ähnlich wie Adjektiv- modifikationen) eine enge Fügung zum Nomen bilden und nicht eigentlich zur Gegen- standsidentifikation verwendet werden, könnte es sich bei diesen Modifikationsstruk- turen um die bei Lehmann (1984) und Ebert (1971a, 1971b) beschriebene Begriffsbil- dung handeln: Der Relativsatz wird nicht dazu verwendet, die Referenz des nomina- len Ausdrucks einzugrenzen und damit die Gegenstandsidentifikation zu ermöglichen, vielmehr handelt es sich bei diesen Phrasen aus Nomen und Relativsatz um „verkapp- te“ Begriffe – anstelle eines einfachen Begriffs wie Bekannte wird eine Kombination aus semantisch blassem Nomen und Relativsatz gewählt wie t lüüt wo me känt (vgl. dazu die Darlegungen in Kapitel 3.4.2.3). Nicht in eine solche Interpretation passt das Beispiel (64): Hier liegt ein restriktiver Relativsatz mit gegenstandsidentifizierender Funktion vor – aus der Menge aller Häuser wird durch den Relativsatz eine Teilmen- ge gebildet, auf die Bezug genommen wird. Der Grund für die Setzung des reduzierten Artikels in diesem Beispiel muss dialektaler und/oder idiolektaler Natur sein. 4.2.3. Zusammenfassung Durch die verschiedenen Datenkorpora konnte aufgezeigt werden, dass für die drei Definit-Determinierer im Schweizerdeutschen eine Normalverteilung besteht, indem in intrinsisch-definiten Kontexten beinahe ausschliesslich der reduzierte Artikel ver- wendet wird, in phorisch-definiten Kontexten mit signifikanter Präferenz der volle Artikel gesetzt wird und in deiktischen Kontexten (zumindest konzeptionell) das De- monstrativum der Determinierer der Wahl ist.12 Für die Modifikationsstrukturen konnte gezeigt werden, dass 1. bei Adjektivmodifi- kationen immer der reduzierte Artikel verwendet wird, ungeachtet der Funktion der Modifikation, dass 2. bei Relativsätzen hingegen je nach Funktion der Modifikation entweder mit Vorliebe der reduzierte Artikel (bei appositiven Relativsätzen) oder mit 12Die Daten in den Grammatiken des Schweizerdeutschen belegen die deiktische Funktion des Demons- trativums. In den Nacherhebungen wurde nur bei der Übersetzungsrichtung vom Schweizerdeutschen ins Standarddeutsche mit hoher Präferenz das Demonstrativum gewählt, bei der Übersetzungsrichtung vom Standarddeutschen ins Schweizerdeutsche wurden der volle Artikel und das Demonstrativum in etwa gleich häufig eingesetzt. 162 4. Dialektdaten Vorliebe der volle Artikel (bei restriktiven Relativsätzen) gesetzt wird und zwar – ent- gegen den Aussagen in den entsprechenden Grammatiken – in allen Dialekten. Zudem konnte gezeigt werden, dass für die Form des vollen Artikels ein West-Ost-Gefälle be- steht, indem im Westen häufig die Form di, im Osten hingegen beinahe ausschliesslich die Form die verwendet wird. Da es sich bei der doppelten Artikelführung um ein Phänomen handelt, das nicht nur aus den schweizerdeutschen Dialekten bekannt ist, sondern auch für andere Dialekte und Sprachen belegt ist, werde ich zum Schluss auf diesen Umstand kurz eingehen. Ich werde die wichtigsten Arbeiten, die die doppelten Artikelparadigmen in anderen deutschen Dialekten beschreiben, vorstellen und Vergleiche zum Schweizerdeutschen anstellen. Anschliessend sollen einige Überlegungen zur Situation im Standarddeut- schen und in der Umgangssprache gemacht werden. Ausserdem werde ich beispielhaft unterschiedliche doppelte Artikelführungen in drei anderen Sprachen skizzieren, die Ähnlichkeiten mit den schweizerdeutschen Artikelparadigmen aufweisen. 163 5. Sprachvergleich 5.1. Dialekte, Umgangssprache, Standarddeutsch Obwohl es strittig ist, ob das Deutsche im Allgemeinen über zwei Artikelparadigmen1 verfügt, ist das Schweizerdeutsche mit seinen Reduktionsformen, die neben den vollen Artikelformen bestehen, in guter Gesellschaft: Verschiedene deutsche Dialekte weisen eine ganz ähnliche Paradigmenverteilung wie das Schweizerdeutsche auf. In der brei- ten Literatur zum definiten Artikel im Deutschen und seinen Dialekten werden häufig Reduktionsformen und deren Verschmelzungsphänomene beschrieben. Einerseits geht es dabei um die Erfassung der morphologischen Formen, andererseits um Erklärungs- versuche für deren Existenz. In den allermeisten Fällen wird (wie fürs Schweizerdeut- sche) von einer semantischen Differenz und von mehr oder weniger klar festgelegten Funktionen und Distributionen ausgegangen. Die Formen werden allerdings von den jeweiligen AutorInnen bezüglich ihrer Form und Funktion teilweise unterschiedlich analysiert. Ich werde die wichtigsten dieser Arbeiten im Folgenden kommentiert wie- dergegeben. 5.1.1. Vollformen und Reduktionsformen Für verschiedene deutsche Dialekte werden zwei eigenständige Artikelparadigmen mit unterschiedlicher Form und Funktion beschrieben. Erste Belege für zwei Arti- kelparadigmen finden sich bei Reis (1891) für den Mainzer Dialekt und bei Schiepek (1899) für den bairischen Dialekt des Egerlandes. Ähnliche Phänomenbeschreibungen finden sich ausführlich z.B. bei Heinrichs (1954) für den Dialekt von Amern (Nordrhein- Westfalen), bei Scheutz (1988), Eroms (1989) oder Brugger & Prinzhorn (1995) fürs Bairische, bei Hartmann (1978, 1980, 1982) für den Dialekt von Mönchengladbach (Nordrhein-Westfalen). 1In der Literatur zu den Artikelparadigmen in deutschen Dialekten wird nicht oder kaum auf Demons- trativa eingegangen. Aus diesem Grunde muss ich das dritte Paradigma (das einfache Demonstrativum) hier aus der Untersuchung ausschliessen. Ich spreche daher in diesem Kapitel jeweils von zwei Artikel- paradigmen und beziehe mich auf die reduzierte und die volle Form des Artikels. 164 5. Sprachvergleich 5.1.1.1. Dialekt von Amern Heinrichs (1954) beschreibt in seinen Studien zum bestimmten Artikel in den germa- nischen Sprachen die Gebrauchsweisen und Funktionen des Artikels im Deutschen. In einem Exkurs über den Artikel im Dialekt von Amern (im Westen von Nordrhein- Westfalen „zwischen der Benrather und der Ürdinger Linie im Westen des Kreises Kempen-Krefeld“ Heinrichs 1954:85) erwähnt er zwei Artikelparadigmen: eine volle Form dä, di, dOt und eine reduzierte Form d@r, de, @t. Ausserdem besteht ein einfa- ches Demonstrativum, das lautlich die gleiche Form wie die volle Form des Artikels hat, allerdings zusätzlich betont wird. Neben den freien Formen des reduzierten Ar- tikels kommt es mit verschiedenen Präpositionen zu Verschmelzungen, wie das auch fürs Schweizerdeutsche und fürs Standarddeutsche der Fall ist. Nach Heinrichs unter- scheiden sich die beiden Artikelparadigmen nicht nur in ihrer morphologischen Form, sondern auch in ihrer Funktion. Es kann wie im Schweizerdeutschen unterteilt wer- den in Aussagen über Allgemeinbekanntes und in Aussagen über Vorhergenanntes. Aussagen über Allgemeinbekanntes entsprechen den intrinsisch-definiten Kontexten. Sie werden mit dem reduzierten Artikel eingeleitet. Aussagen über Vorhergenanntes entsprechen den phorisch-definiten Kontexten. Sie werden mit dem vollen Artikel ein- geleitet. Die Beschreibung der beiden Artikelformen im Dialekt von Amern (AM) und deren Verwendungsweise (vgl. ausführlicher Heinrichs 1954:85-103) scheint sich demnach im Wesentlichen mit der Datenlage im Schweizerdeutschen (ChD) zu decken. Den- noch gibt es neben der grundsätzlichen Übereinstimmung einige Abweichungen (Bei- spiele aus Heinrichs (1954:102), der für die schweizerdeutschen Beispiele gewählten Verschriftlichung angepasst, ohne diakritische Zeichen; plus schweizerdeutsche Über- setzung in Anlehnung an die Ergebnisse der Datenanalysen): – In einem phorisch-definiten Kontext wird im Dialekt von Amern immer der vol- le Artikel verwendet, auch wenn es sich um einen stereotypen Kontext wie ein Märchenanfang oder eine Koordinationsstruktur handelt. Im Schweizerdeutschen wird in diesen Fällen wie gezeigt häufig der reduzierte Artikel verwendet. (1) Ein Frosch und eine Fliege gingen auf Wanderschaft. Abends kamen sie an ein Bauernhaus, und da sagte der Frosch zu der Fliege... ...dä Kwekvors vor di Flech... AM: voll ... de Frosch zur Flüüge gseit... ChD: red 165 5. Sprachvergleich Steht allerdings nicht die phorische Funktion im Zentrum, sondern der Umstand, dass es sich um eine bekannte Situation handelt, in der die Referenz des nomi- nalen Ausdrucks „stellvertretend“ oder „beispielhaft“ (Heinrichs 1954:96) einge- setzt wird, steht im Dialekt von Amern wie im Schweizerdeutschen der reduzier- te Artikel: (2) Der Wolf sagt einmal zum Fuchs... Der Wolef zooch äns vör der Vos... AM: red De Wouf seit einisch zum Fuchs... ChD: red – Wird ein nominaler Ausdruck im Amern-Dialekt modifiziert, wird der volle Ar- tikel gesetzt, unabhängig davon, welcher Art die nähere Bestimmung ist. Fürs Schweizerdeutsche gilt dies nur beim restriktiven Relativsatz (und bedingt bei restriktiver PP-Modifikation). Bei allen anderen Modifikationen steht im Schwei- zerdeutschen hingegen der reduzierte Artikel. (3) Er ging auf der Strasse, die durch den Wald geht (nicht durch das Feld) ... op di Stroat, di... AM: voll ... uf dere Schtroos, wo... ChD: voll (4) das Pferd vom Bauern Törschen dot Peart von Tyerse Buer AM: voll s Ross vom Buur Törsche ChD: red (5) das grüne Kleid dot jrön Klet AM: voll s grüene Chleid ChD: red – Auch bei elliptischen adjektivisch-modifizierten Nominalphrasen wird im Dialekt von Amern der volle Artikel gesetzt, wenn die Gattung vorher genannt worden ist. Im Schweizerdeutschen wird hingegen der reduzierte Artikel verwendet: (6) Welchen Apfel willst du essen, den roten oder den gelben? Watföre2 Opel weltse eäte, dä rue äf dä jeäle? AM: voll Wele Öpfu wotsch ässe, de rot oder de gäu? ChD: red 2Im Dialekt von Amern wird watför nicht nur für Fragen, die auf die Gattung abzielen (Watför Pärse etse liever, rue äf jröne? (Heinrichs 1954:102) ’Was für Pfirsiche isst du lieber, rote oder grüne?’), son- dern auch bei der Frage nach einem bestimmten Exemplar verwendet, wie Beispiel (6) und auch (7) zeigen. Der Unterschied wird über den Artikel gekennzeichnet: Bei der Frage nach der Gattung wird der unbestimmte Artikel resp. im Plural kein Artikel vor dem Adjektiv gesetzt (Heinrichs 1954:102). 166 5. Sprachvergleich Im Amern-Dialekt wird aber wie im Schweizerdeutschen der reduzierte Artikel verwendet in Kontexten, in denen es sich um einen intrinsisch-definiten Kontext handelt (in Beispiel (7) wird angenommen, dass je nur ein schwarzer Anzug und ein grauer Anzug vorhanden ist): (7) Welchen Anzug ziehst an, den schwarzen oder den grauen? Watföre Antsux dese an, der sworte äf der jrize? AM: red Wele Aazug leisch aa, de schwarz oder de grau? ChD: red – Bei Ordinalzahlen können im Dialekt von Amern beide Artikelparadigmen ver- wendet werden – je nachdem wird der Artikel phorisch (wenn voll) oder intrin- sisch (wenn reduziert) interpretiert. Dies gilt im Schweizerdeutschen nicht, hier ist nur der reduzierte Artikel möglich. (8) Der erste Mann ging diesen Weg, der zweite jenen Weg. Dä earste Mon jen da Weach, da / der twade deze Weach. AM: voll/red De erscht Maa esch dä Wääg gange, de zwöit dese Wääg. ChD: red Der Dialekt von Amern verfügt wie das Schweizerdeutsche über drei Paradigmen für das einfache Demonstrativum und den definiten Artikel. Im Grossen und Ganzen wei- sen die Artikel im Dialekt von Amern eine ähnliche Verteilung wie die Artikel im Schweizerdeutschen auf; in den aufgezeigten Kontexten kommt es allerdings zu Ab- weichungen. Dabei wird deutlich, dass im Dialekt von Amern der volle Artikel etwas häufiger verwendet wird als im Schweizerdeutschen. 5.1.1.2. Bairische Dialekte Fürs Bairische bezeugen Scheutz (1988), Eroms (1989) und Brugger & Prinzhorn (1995) zwei Artikelparadigmen: eine volle dea, di:, des und eine reduzierte dä, d(i), (i)s. Zwar bestehen bezüglich der morphologischen Reduktion Unterschiede zwischen den For- men im Bairischen und den Formen im Schweizerdeutschen, dennoch wird aus den Beschreibungen ersichtlich, dass die bairische Datenlage mit derjenigen im Schwei- zerdeutschen viele Parallelen aufweist. Bei den bairischen Artikelparadigmen wird wie fürs Schweizerdeutsche von einem Funktionsunterschied ausgegangen. Eroms diskutiert mögliche Funktionen und ihre Interdependenzen: Neben der grammatischen Funktion – der morphologischen Cha- rakterisierung des Nomens nach Genus, Numerus und Kasus – betont er die Referenz- leistung des Artikels und seine semantisch-pragmatische Funktion. Für die Verwen- 167 5. Sprachvergleich dung der beiden Artikelformen geht er fürs Bairische in den Grundzügen von derselben Verteilung aus wie Heinrichs (1954) für den Dialekt von Amern. Eroms (1989:306-322) macht aber auf einige Unterschiede zwischen dem Dialekt von Amern (AM) und dem Bairischen (BAV) aufmerksam. Für die Bestimmung der Gebrauchsweisen von vollem und reduziertem Artikel sind folgende zwei Punkte interessant: – Bei Märchenanfängen kann in beiden Dialekten der reduzierte Artikel verwendet werden. (9) Der Wolf sagt einmal zum Fuchs... Der Wolef zooch äns vör der Vos... AM: red Da Woif hat amoi zum Fuchs gsagt... BAV: red Bei einer Wiederaufnahme im Märchen wird nur im Amern-Dialekt konsequent der volle Artikel gesetzt. Im Bairischen wird nach Eroms der reduzierte und nicht der volle verwendet. (10) Ein Frosch und eine Fliege gingen auf Wanderschaft. Abends kamen sie an ein Bauernhaus, und da sagte der Frosch zu der Fliege... ...dä Kwekvors vor di Flech... AM: voll ... da Frosch zu da Fliagn... BAV: red ⇤... dea Frosch zu dera Fliagn... BAV: voll – Im Bairischen wird in deiktischen Kontexten wie im Dialekt von Amern der volle Artikel gebraucht. Bei adjektivisch modifizierten elliptischen Nominalphrasen wird aber, wenn ein Vergleich angestellt wird, anders als im Dialekt von Amern der reduzierte Artikel verwendet: (11) Welches Kleid magst du denn, das grüne oder das gelbe? Watför Kled welts(e) heb(e), dot jrön äf dot jeäl? AM: voll Welches Kleid magst’n, ’s greane oder ’s geibe? BAV: red Diese Beispiele machen deutlich, dass das Schweizerdeutsche in diesen beiden Kon- texten dem Bairischen näher ist als dem Dialekt von Amern: Im Bairischen und im Schweizerdeutschen wird der reduzierte Artikel verwendet, im Dialekt von Amern hin- gegen der volle Artikel. Obwohl Eroms die Einteilung der Artikelparadigmen von Heinrichs übernimmt, greift leider seine Argumentation für die jeweilige Artikelwahl in den verschiedenen Ge- 168 5. Sprachvergleich brauchsweisen zu kurz: Er macht die Spezifizität (im Sinne einer partikulären oder individuellen Lesart) für den Gebrauch des definiten Artikels verantwortlich, d.h. er sieht das Merkmal [+ spez] für den definiten Artikel als konstitutiv an. Diese Annah- me geht aber zu weit. Zwar können beide Artikelformen (die volle und die reduzierte) spezifisch sein. Beide Formen können aber, wie bereits mehrfach erwähnt, auch in un- spezifischen Kontexten auftreten. Zusätzlich verwirrend ist seine Argumentation, weil er die generische Verwendung als besonders kennzeichnend für Spezifizität angibt. Diese Annahme ist untypisch, da nor- malerweise davon ausgegangen wird, dass generische Kontexte gerade nicht spezifisch sind. Aber auch dann, wenn angenommen wird, dass generische Kontexte spezifisch interpretiert werden können, indem sie zu den intrinsisch-definiten Kontexten gerech- net werden, kann nicht davon die Rede sein, dass diese Verwendung für Spezifizität besonders kennzeichnend ist. Ausserdem hilft dieses Kriterium zur Unterscheidung zwischen den beiden Paradigmen nicht weiter, wenn er es für beide Artikelformen be- hauptet. Er benützt das Merkmal [spezifisch] als konstitutives Merkmal für die beiden definiten und zusätzlich für den indefiniten Artikel. Eroms abschliessende Worte zu den beiden Artikelformen sind leider schwer durch- schaubar. Seine Darstellung, dass Artikellosigkeit im Dialekt durch den Gebrauch des indefiniten Artikels ersetzt wird, stimmt sicher in den Grundzügen. Dies müsste, wie seine Vermutungen, dass der indefinite Artikel den betonten Artikel in vielen Kontex- ten ablöst und dass auch der indefinite Artikel über zwei Paradigmen verfügt, aller- dings genauer untersucht werden. Mit meiner These zum Schweizerdeutschen deckt sich aber seine Beobachtung, dass erstens der volle Artikel als eigenständige Artikel- form und nicht als Demonstrativum zu werten ist und dass zweitens der reduzierte Ar- tikel die unmarkierte Form, der volle Artikel die markierte Form darstellt (vgl. Eroms 1989:322). Im salzburgischen Bairischen bestehen ebenfalls zwei Artikelparadigmen, eine volle und eine reduzierte (vgl. Brugger & Prinzhorn 1995), die sich in ihrer Form und Funk- tion unterscheiden. Brugger & Prinzhorn (1995) nehmen für die beiden Artikel eine Korrelation zwischen Morphologie, Semantik und Syntax an: Ein Unterschied in der morphologischen Form entspricht einem Unterschied in der semantischen Funktion und einem Unterschied in der syntaktischen Struktur. Der reduzierte Artikel wird im Bairischen, genau wie im Schweizerdeutschen, in intrinsisch-definiten Kontexten ver- wendet (wie Eigennamen, Unika, Abstrakta etc.). In phorisch-definiten Kontexten, in denen die Referenz durch zusätzliches lexikalisches Material gewährleistet wird, wird der volle Artikel verwendet (wie z.B. bei restriktiven Relativsätzen). 169 5. Sprachvergleich Brugger & Prinzhorn (1995) liefern für die beiden Artikelparadigmen eine generati- ve Analyse, die von zwei unterschiedlichen syntaktischen Positionen für die beiden Artikelformen ausgeht. In Studler (2001) und Studler (2004) habe ich versucht, die Analyse von Brugger & Prinzhorn auf die schweizerdeutschen Daten zu adaptieren. Obwohl ich in den Grundzügen diesem Analysevorschlag zustimme und eine Adaption auf die schweizerdeutschen Daten in den Grundzügen möglich ist, werde ich in Kapitel 9 eine alternative Analyse vorschlagen. 5.1.1.3. Dialekt von Mönchengladbach Für den Dialekt von Mönchengladbach (im Westen von Nordrhein-Westfalen, zwischen Köln und Düsseldorf) weist Hartmann, der sich in verschiedenen Arbeiten (1967, 1978, 1980, 1982) dem Artikel und seinen Verschmelzungsformen widmet (vgl. dazu auch Kapitel 5.1.2.2), die Existenz zweier Artikelparadigmen nach. Die schwache Artikel- form d@r, d@, @t verfügt wie der reduzierte Artikel im Schweizerdeutschen nur noch über einen schwachen (nicht tragenden) Vokal. Der volle Artikel dE, dI, dat und das Demonstrativ dE, dI, dat unterscheiden sich nur durch Betonung voneinander. Die semantische Interpretation des definiten Artikels unterteilt Hartmann in drei Ka- tegorien: 1. die generische, 2. die konzeptbezogene generische und 3. die spezifische Interpretation. Bei der generischen Interpretation wird auf eine Gesamtheit Bezug genommen. Dabei muss die Existenzbedingung und eine Multizitätsbedingung3 er- füllt sein. Bei der konzeptbezogenen generischen Interpretation wird nicht notwendig auf eine Gesamtheit referiert, sondern auf ein Stereotyp. Ansonsten gelten dieselben Bedingungen wie bei der generischen Interpretation. Bei der spezifischen Interpreta- tion gilt der definite Artikel als Signal, dass auf ein bestimmtes Objekt Bezug genom- men wird. In diesem Fall muss die Existenzbedingung und die Unizitätsbedingung erfüllt sein.4 Die spezifische Interpretation kann weiter unterteilt werden in anaphori- sche, kataphorische, deiktische Verwendung und nicht anaphorische, nicht deiktische Verwendung. Diese Verteilung deckt sich mit der Gliederung in phorisch-definite und intrinsisch-definite Kontexte. 3Hartmann unterscheidet zwischen einer Unizitätsbedingung und einer Multizitätsbedingung, je nach- dem, ob auf ein Einzelobjekt oder auf die Gesamtheit einer Menge Bezug genommen wird. 4Hartmann geht auch für die Semantik des indefiniten Artikels von drei Möglichkeiten aus: der ge- nerischen, der spezifischen und der unspezifischen Interpretation. Der generische und der spezifische Gebrauch decken sich mit demjenigen des definiten Artikels. Beim unspezifischen Gebrauch gilt weder die Existenz- noch die Unizitätsbedingung, da zwar die Art des Objektes bekannt ist, nicht aber das Objekt selber. 170 5. Sprachvergleich Laut Hartmann (1978, 1980) bestehen zwischen der vollen Form des Artikels und der reduzierten Form des Artikels folgende Unterschiede: – Die volle Form kann nicht unspezifisch sein. – Reduktionsformen können in spezifischer Verwendung nicht mit restriktiven Re- lativsätzen auftreten. – Es bestehen unterschiedliche Kontextbedingungen, indem die volle Form zur Wiederaufnahme (phorisch, deiktisch), die reduzierte Form zum Ausdruck einer Gewohnheit (nicht phorisch, nicht deiktisch) verwendet wird. – Die Reduktionsform kann verwendet werden, wenn weiter im Vortext Genanntes erneut aufgegriffen werden soll. Diese Einschätzung für den Dialekt von Mönchengladbach deckt sich mit meinen Be- obachtungen zum Schweizerdeutschen. Einzig die Behauptung, dass Vollformen im- mer spezifisch sein müssen, kann zumindest fürs Schweizerdeutsche nicht gelten. Al- lerdings wird hier eventuell unter spezifisch nichts anderes als partikulär/individuell (im Sinne von ‘nicht generisch’) verstanden.5 Dadurch gewinnt die Aussage an Plausi- bilität, obwohl es grundsätzlich inadäquat ist, den Begriff spezifisch mit nicht generisch gleichzusetzen. Zusammenfassend zeigen die Daten zum definiten Artikel im Dialekt von Mönchen- gladbach nach Hartmann (1982) folgendes Bild: Als Gebrauchsweisen für den redu- zierten Artikel gilt die generische, die konzeptbezogene generische und die spezifische Referenz, für den vollen Artikel die deiktische, anaphorische und kataphorische Re- ferenz. Für den reduzierten Artikel ist demnach wie im Schweizerdeutschen das all- gemeine aussersprachliche Wissen relevant, für den vollen Artikel der verbalisierte Kontext. Hartmann plädiert deshalb für eine klare Unterscheidung zwischen einer deiktisch-anaphorischen Funktion und einer nicht deiktischen Funktion. Dies ent- spricht der Unterteilung in die phorisch-definite Funktion und die intrinsisch-definite Funktion. 5.1.1.4. Zusammenfassung Es wurde gezeigt, dass verschiedene deutsche Dialekte über zwei Paradigmen für den definiten Artikel verfügen. Für alle diese Dialekte wird angenommen, dass die beiden Artikelformen in unterschiedlichen semantisch-pragmatischen Gebrauchskontexten 5Während Bühler generisch spezifisch gegenüberstellt, stellt Hartmann in seiner Gliederung generisch nicht spezifisch gegenüber, sondern relativ zum präsupponierten Kontext. 171 5. Sprachvergleich eingesetzt werden. Obwohl die Beschreibung der Daten und die Bezeichnungen für die verschiedenen Gebrauchsweisen in den verschiedenen Arbeiten variieren, kann davon ausgegangen werden, dass sich die Verteilung der Artikelparadigmen in den Grund- zügen mit der Verteilung im Schweizerdeutschen deckt: Der reduzierte Artikel wird in intrinsisch-definiten Kontexten gebraucht, der volle Artikel in phorisch-definiten Kontexten. Falls ein Demonstrativum beschrieben wird, wird es in deiktisch-definiten Kontexten verortet. Im Kleinen können dennoch einige Unterschiede zwischen den verschiedenen Dialek- ten ausgemacht werden. So existieren Kontexte, in denen im einen Dialekt der volle Artikel, im anderen Dialekt der reduzierte Artikel verwendet wird. Zusammenfassend kann hier festgehalten werden, dass der Dialekt von Amern etwas häufiger als die üb- rigen besprochenen Dialekte (einschliesslich des Schweizerdeutschen) den vollen Arti- kel einsetzt. Im Folgenden wird nun der Frage nachgegangen, inwiefern sich der Unterschied von vollem Artikel und reduziertem Artikel in den deutschen Dialekten in der Unterschei- dung von Vollformen und Verschmelzungen (im Standarddeutschen und in der Um- gangssprache) wiederholt und wie Verschmelzungsformen interpretiert werden kön- nen. 5.1.2. Vollformen und Verschmelzungen Während in einigen Dialekten zwei eigenständige Paradigmen für den definiten Ar- tikel bestehen, stellt in anderen Dialekten oder im Standarddeutschen der reduzier- te Artikel kein selbstständiges Paradigma dar. Stattdessen sind für den reduzierten Artikel in bestimmten Kontexten Verschmelzungsformen vorhanden (vgl. dazu die einschlägigen Grammatiken wie Duden 2005, Helbig & Buscha 2005, Heidolph et al. 1984). Eine hilfreiche (wenn auch nicht vollumfängliche) Übersicht über die Er- klärungsversuche für diese Formen in verschiedenen Grammatiken bietet Haberland (1985). Viele AutorInnen diskutieren das Artikelsystem in Bezug auf diese Verschmel- zungsphänomene, d.h. es wird untersucht, in welchen syntaktischen Kontexten der Artikel mit Umgebungswörtern verschmolzen werden kann. Für die Verschmelzungsformen bestehen zwei Interpretationsansätze: Entweder wird davon ausgegangen, dass sie blosse Varianten der Vollformen darstellen, oder es wird angenommen, dass es sich um eigenständige Formen handelt. Als Varianten gelten dabei zwei Formen, wenn sie in jedem syntaktischen Kontext ohne Bedeutungsverän- derung ausgetauscht werden können. Als eigenständige Formen gelten dabei Formen, die eine eigene semantische und syntaktische Verteilung aufweisen. 172 5. Sprachvergleich 5.1.2.1. Verschmelzungen als blosse Varianten Vater (1979), Schaub (1979) und Dedenbach (1987) gehen davon aus, dass es sich bei den Verschmelzungsformen des Artikels im Deutschen um blosse Varianten zu den Vollformen handelt. Vater (1979) zeigt die Austauschmöglichkeiten verschiedener Ar- tikelformen und Indefinitpronomen auf. In diesem Zusammenhang beschäftigt er sich auch mit Verschmelzungsformen. Er behauptet, dass es sich bei den Verschmelzungs- formen des definiten Artikels um Varianten der Vollform handelt, um so genannte Kurzformen, die keine eigenständigen Formen sind, sondern in jedem Kontext durch die Vollformen ausgetauscht werden können. Dazu sagt er: Die Kurzform ist als lautliche Variante von der anzusehen. Ihr Bedeutungs- bereich deckt sich völlig mit dem Bereich von der, sie schließt die gleichen Formen aus, die der ausschließt, und ist gegen die gleichen Formen aus- tauschbar, gegen die der austauschbar ist. (Vater 1979:89) Obwohl er dies behauptet, gibt er für „Ausnahmefälle“ zu bedenken: In den Fällen, wo Kurzform und der nicht ohne weiteres ausgetauscht wer- den können, handelt es sich um Festlegungen des Sprachgebrauchs, der bei zwei konkurrierenden Formen meist danach strebt, eine Form als die übli- che festzulegen. Diese Festlegung geschieht meistens zugunsten der Kurz- form. (Vater 1979:88) Ein weiteres Indiz für die Behauptung, dass es sich bei den Kurzformen nicht um eine eigenständige Form handelt, liefert nach Vater der Umstand, dass für die Ver- schmelzungsformen kein vollständiges Paradigma besteht. Da die Kurzformen aber (genau wie die Reduktionsformen) mit einer grossen Systematizität angewendet wer- den, kann ein unvollständiges Paradigma kein hinreichender Beweis für Vaters These sein. Die Ursache für die Unvollständigkeit des Paradigmas muss eher in den phone- tischen Gegebenheiten denn in den syntaktisch-semantischen Bedingungen gesucht werden (vgl. dazu ausführlich Harweg 1989). In Dedenbach (1987) stehen die Verschmelzungsformen des definiten Artikels und die Kriterien für deren Wortstatus im Zentrum des Interesses. Im Weiteren thematisiert Dedenbach die Probleme der Erhebungsmethode und das Problem der Verschriftli- chung. Ausserdem werden erstens verschiedene Ansätze zur Abgrenzung von Hoch- sprache und Umgangssprache präsentiert, zweitens eine Bestimmung der Klitika ver- sucht und drittens verschiedene Bemerkungen zu Klitika im Deutschen gemacht. De- denbach sieht als Voraussetzung für Verschmelzungsformen des Artikels eigenständi- ge Reduktionsformen, die auch unabhängig von Verschmelzungen bestehen müssen. 173 5. Sprachvergleich In Beurteilungstests untersucht sie die Akzeptanz von Verschmelzungen. Diese Tests ergeben, dass die meisten Verschmelzungsformen zwar verstehbar sind, dass sie aber nur selten akzeptiert werden. Ich halte ihre empirische Untersuchung zwar für ver- dienstvoll. Allerdings überzeugt ihre These – vor allem fürs Standarddeutsche, das keine Reduktionsformen, sondern nur Verschmelzungsformen kennt – nur bedingt. Insbesondere auch deshalb, weil ihre Argumentation über weite Strecken dürftig und ihre Kritik an anderen oft unbegründet scheint (vgl. für eine ausführliche Kritik Nüb- ling 1992:149-154). Schaub (1979) untersucht nicht die Beurteilung, sondern die Produktion von Verschmel- zungsformen. Sie zeigt auf, dass Verschmelzungsformen durchaus produziert werden. Die Entstehung dieser Verschmelzungsformen begründet sie aber nicht mit semanti- scher Differenzierung, sondern durch Artikulations- und Situationsbedingungen: Auf- grund der Ergebnisse ihrer Spontandatenanalyse nennt sie verschiedene relevante Situationsparameter wie Sprechaufmerksamkeit bzw. Sprechnachlässigkeit, Erforder- nisse der kommunikativen Situation, psychologische Charakteristik der Situation, so- ziologische Charakteristik der beteiligten Personen (vgl. Schaub 1979:76f.). Insgesamt beurteilt sie das Auftreten von Verschmelzungsformen als Phänomen des Alltagsstils (vgl. Schaub 1979:87). Da Schaub Verschmelzungen als koartikulatorische Erschei- nungen bewertet und nur bemerkt, dass der volle Artikel durch den demonstrativen Charakter gar nie in Verschmelzungsformen auftritt, zielt sie an der semantischen Unterscheidung von Vollform und Verschmelzungsform vorbei. Dennoch gibt auch sie zu bedenken, dass Verschmelzungen zwar vorwiegend ein Phänomen der gesprochenen Sprache sind, dass aber einzelne Präposition-Artikel-Verschmelzungen in die geschrie- bene Sprache eingeflossen sind und teilweise nicht mehr aufgelöst werden können. Hier müsste allerdings zusätzlich angemerkt werden, dass diese Formen im Normal- fall durchaus aufgelöst werden könnten, dass damit aber gerade der in meiner Arbeit beschriebene Bedeutungsunterschied einhergeht. Das Nebeneinander von verschmol- zenen und unverschmolzenen Formen führt Schaub auf den noch nicht abgeschlosse- nen Sprachwandel zurück, bei dem Anfangs- und Endzustand als synchrone Variati- on „mit annähernd gleicher Funktion“ (Schaub 1979:91) nebeneinander bestehen (vgl. dazu auch Coseriu 1974 und Meyer 1967). Dass sich gerade in diesem Bereich in den letzten dreissig Jahren viel bewegt hat, wird deutlich, wenn beachtet wird, dass viele von Schaub (nach Duden 1973) als umgangssprachlich klassifizierte Verschmelzungen im Rechtschreib-Duden von 1996 bereits ohne Vermerk aufgenommen sind. 174 5. Sprachvergleich 5.1.2.2. Verschmelzungen als Reduktionsformen Hartmann (1967, 1978, 1980, 1982), Haberland (1985), Schellinger (1988) u.a. haben dafür argumentiert, dass es sich bei den Verschmelzungsformen nicht um Varianten des vollen Artikels handelt, sondern um eigenständige „Reduktionsformen“ (die einzig in Verschmelzungsformen auftreten). Hartmann argumentiert dafür, von Verschmelzungsformen und nicht wie Vater (1979) von Kurzformen zu sprechen, da es sich um eigenständige Wortformen handle und nicht nur um Kurzformen aus Vollformen. Er führt folgende Gründe an gegen die Be- hauptung, dass Verschmelzungsformen nur Varianten von Vollformen sind:6 – keine syntaktische Austauschbarkeit, unterschiedliche Verwendungsweisen – Verteilung nicht nur durch satzphonetische Parameter bestimmt – Verschmelzungen treten nicht nur in Prestoformen, sondern auch als Lento auf – Verschmelzungen sind nicht nur Phänomene der gesprochenen Sprache Die Verteilung von Verschmelzungsform und Vollform deutet darauf hin, dass sich die beiden Möglichkeiten manchmal, aber nicht immer ausschliessen. Da es Regeln der Wahl (in ein und demselben phonetischen Kontext) zu geben scheint, können aber nicht allein satzphonetische Parameter ausschlaggebend sein. Zwar müssen Verschmel- zungen nicht schwache Formen (weak forms) sein, für die Bildung müssen aber schwa- che Artikelformen vorhanden sein. Gewisse phonetische Bedingungen müssen für die Entstehung der Verschmelzungsformen gegeben sein. Hartmann gibt verschiedene Voraussetzungen an, die in vier Bedingungen zusammengefasst werden können (vgl. Hartmann 1980:170f.): – Tonschwäche (kein Akzent) – die Position begünstigt eine Verschmelzung (Stellung nach Präposition oder vor tonstarkem Adjektiv oder Nomen) – der Wegfall des initialen Dentals – das Bestehen von (eigenständigen) schwachen Artikelformen 6Hartmanns Beobachtungen beruhen auf der Datengrundlage des Berliner Korpus und des Freiburger Korpus. Das Berliner Korpus ist die Transkription einer substandardsprachlichen, dialektal beeinfluss- ten (aber nicht dialektalen) Unterhaltung mit einer 45-jährigen Sprecherin aus Berlin-Neukölln. Das Freiburger Korpus besteht aus Transkriptionen einer gesprochenen standardsprachlichen Varietät (vgl. Hartmann 1980:162). 175 5. Sprachvergleich Die Bedingung, dass eigenständige schwache Artikelformen bestehen müssen, kann zumindest fürs Standarddeutsche (synchron) nicht aufrechterhalten werden. Die Be- dingung müsste dahingehend abgeschwächt werden, dass nur diachron Reduktions- formen existiert haben müssen. Eine andere Möglichkeit der Abschwächung besteht darin, schwache Artikelformen nicht als eigenständige Reduktionsformen, sondern als grundsätzlich reduzierbare Formen zu definieren. Jede Artikelform, die prinzipiell eine Verschmelzung eingehen kann, kann dann als Reduktionsform gelten. Die Bedingung, dass der initiale Dental wegfallen muss, kann nur bedingt aufrechterhalten werden, d.h. nur bei der enklitischen Verschmelzung (um die es im Standarddeutschen geht). Im Dialekt ist aber bei der Proklise auch ein Wegfall des Auslautes möglich. Bei Verschmelzungen spielen nach Hartmann neben den phonologisch-phonetischen auch semantisch-pragmatische Bedingungen eine Rolle. Eine funktionale Analyse er- gibt, dass Verschmelzungen in nicht phorisch/nicht deiktischen Kontexten vorkom- men und Vollformen in phorisch/deiktischen: Verschmelzungen werden demnach in intrinsisch-definiten Kontexten gebraucht und setzen damit ein bestimmtes Vorwis- sen voraus. Vollformen hingegen haben die stärkere phorisch-deiktische Kraft. Damit decken sich die Funktionen der Vollformen mit denjenigen des vollen Artikels im Dia- lekt und die Funktionen der Verschmelzungsformen mit denjenigen des reduzierten Artikels im Dialekt. Haberland (1985) geht ebenfalls davon aus, dass es sich bei den Verschmelzungsfor- men des Artikels nicht um Varianten mit gleicher Bedeutung handelt. Er weist darauf hin, dass in einem bestimmten Kontext entweder nur eine der Varianten möglich ist oder aber ein Bedeutungsunterschied besteht, wenn die Formen gegeneinander ausge- tauscht werden. Er plädiert dafür, bei Vollformen nicht von anaphorischer Verwendung zu sprechen, da auch bei Verschmelzungen das Objekt bisweilen (zufälligerweise) vor- erwähnt ist – dennoch beruht die Identifizierbarkeit auf der allgemeinen Bekanntheit des Objekts. Damit macht er sich dafür stark, dass (situatives) Wissen ausschlagge- bender ist als der anaphorische Kontext, d.h. dass Vorerwähnung für die Entschei- dung „Verschmelzung oder nicht Verschmelzung“ auch unberücksichtigt bleiben kann. Diese Überlegungen decken sich mit meiner Unterscheidung zwischen einer Unika- Regel und einer Kontext-Regel und deren unterschiedlichen Gewichtung, indem die Unika-Regel höher gewertet wird als die Kontext-Regel (vgl. Kapitel 3.3.3). Schellinger (1988) verfolgt das Ziel, eine Analyse für den syntaktischen Status der Prä- position und ihrer Verschmelzung mit dem Artikel zu finden. Er diskutiert die Möglich- keit, dass es sich bei den Verschmelzungsformen um flektierte Präpositionen handelt, und die These, dass der Artikel ein Klitikon darstellt (vgl. Kapitel 3.2.2.2). Als mög- liche Kriterien für die Ermittlung des Klitik-Status nennt er: Orthografie, potenzielle 176 5. Sprachvergleich Sprechpause, Betonbarkeit, Ersetzbarkeit, Verschiebbarkeit, Untrennbarkeit, Isolier- barkeit. Da diese Kriterien jedoch keine eindeutige Lösung bringen, wird die Minimal- annahme getroffen, dass es sich bei nicht verschmolzenen Formen um zwei Wörter, bei verschmolzenen Formen um ein Wort handelt. Darüber hinaus testet er verschie- dene mögliche Faktoren für die Entscheidung zwischen Verschmelzung und Vollform (wie Varietät, Sprechgeschwindigkeit, phonetisch/phonologische Eigenheiten, phone- tische Unverwechselbarkeit, semantische Verwendungsweise, Idiosynkrasien, festste- hende Wendungen etc.). Er geht davon aus, dass für die beiden „Paradigmen“ eine komplementäre Distribution besteht. Dazu werden fünf Gebrauchsweisen diskutiert: die deiktische, die kontrastive, die phorische, die generische und die monosemantische (= intrinsisch-definite) Funktion. Diese Gebrauchsweisen decken sich in den Grund- zügen mit denjenigen, die für die schweizerdeutschen Artikelparadigmen beschrieben wurden (Kapitel 2.2). Allerdings nimmt Schellinger eine eigene Kategorie für die kon- trastive Funktion an und die generische und die monosemantische werden nicht un- ter eine Kategorie subsumiert. Interessant bei Schellinger ist seine Unterscheidung zwischen prinzipiell verschmelzbaren Formen und prinzipiell nicht verschmelzbaren Formen. Damit trägt er dem Umstand Rechnung, dass im Standarddeutschen nicht für alle Kontexte, in denen semantisch eine Verschmelzungsform verlangt wäre, eine Verschmelzungsform zur Verfügung steht (wie z.B. für *ind Kirche). So ergibt sich die Verteilung in Tabelle 5.1. deiktisch kontrastiv phorisch generisch monosem. verschmelzb. Artikel n. verschmolzen, ok ok * * * betont n. verschmolzen, * * ok * * unbetont verschmolzen * * * ok ok n-verschmelzb. Artikel betont ok ok * * * unbetont * * ok ok ok Tabelle 5.1.: Verschmelzungsmöglichkeiten nach Schellinger (1988) 177 5. Sprachvergleich In den schweizerdeutschen Dialekten sind alle Formen theoretisch verschmelzbar (re- sp. reduzierbar). Tatsächlich reduziert wird nur in der generischen und der monose- mantischen Funktion (in meiner Terminologie: intrinsisch-definite Verwendung), in der phorischen Funktion kommt der volle Artikel zum Einsatz (wie im Standarddeut- schen der unbetonte Artikel). In kontrastiver und deiktischer Verwendung kommt (wie im Standarddeutschen) entweder der betonte volle Artikel oder das Demonstrativum zum Einsatz. 5.1.2.3. Standard und Umgangssprache: Zwei Paradigmen? Wie gezeigt, verfügen verschiedene Dialekte über zwei Artikelparadigmen mit eige- ner semantisch-syntaktischen Verteilung. Diese Differenz scheint zumindest für Ver- schmelzungsformen aus Artikel und Präposition auf die standarddeutschen Formen adaptierbar zu sein. Wie steht es denn nun aber mit den Artikelparadigmen im Stan- darddeutschen: Rechtfertigt der Umstand, dass bedeutungsdifferenzierende Verschmel- zungsformen vorliegen, die Annahme dreier Paradigmen für die Definit-Determinierer auch im Standarddeutschen? Das Standarddeutsche verhält sich grundsätzlich anders als das Schweizerdeutsche. Vereinfacht gesagt, verfügt es nicht über drei distinkte Paradigmen für die Definit- Determinierer: Das Demonstrativum hat eine eigene Form dieses, und für den Artikel gibt es nur ein eigenständiges Paradigma. Diese beiden Behauptungen sind jedoch wie gezeigt nicht eindeutig richtig. Erstens kann der Artikel auch in der Funktion des Demonstrativums (= deiktischer Artikel) verwendet werden und das Demonstrativum dieses bisweilen auch in der Funktion des Artikels (= phorisches Demonstrativum).7 Zweitens ist es nicht ganz klar, ob es nicht auch im Standarddeutschen ein Paradig- ma für den reduzierten Artikel gibt. Einigkeit herrscht zumindest in Bezug auf die Tatsache, dass der Artikel in bestimmten morphosyntaktischen Kontexten mit Präpo- sitionen verschmilzt (in dem Kino - im Kino) und dass diese Formen in gewisser Weise Spezialfälle von Reduktionsformen sind. Da diese Reduktionsformen aber nicht im ge- samten Paradigma möglich sind (in die Kirche - *ind Kirche) und sich die Verschmel- zungsformen auf Verschmelzungen von Artikel und Präpositionen beschränken, wird von den meisten AutorInnen davon ausgegangen, dass der Artikel nicht in zwei eigen- ständigen Paradigmen besteht. Die Verschmelzungsformen bleiben Spezialfälle. Nicht alle Autoren sind jedoch dieser Meinung: So vertritt Harweg (1989) die Ansicht, dass auch im Standarddeutschen ein lückenloses Paradigma besteht. Auch wenn nicht, 7Vgl. hierzu auch die Duden-Grammatik (2005:288f.) und insbesondere Scheutz (1988) und Himmel- mann (1997). 178 5. Sprachvergleich wie im Schweizerdeutschen, morphologisch unterschiedliche Formen bestehen, kann doch ein morphologisch-phonologisches Kriterium ausgemacht werden: Die starke Ar- tikelform ist gespannt, die schwache Artikelform ist ungespannt. Zudem weisen die starken Artikelformen tendenziell ein höheres Stimmregister auf. Zur Stützung seiner These referiert er einerseits die Verteilkategorien nach Hartmann (1980), andererseits liefert er aber eine differenziertere Aufteilung der Gebrauchskontexte (vgl. Harweg 1989:9).8 Dabei versucht er eine Annäherung aus entgegengesetzter Richtung, indem er nicht von den Artikelformen ausgeht, sondern die verschiedenen Ausdruckskate- gorien auf ihre Realisierungsmöglichkeiten hin überprüft. Er kommt zu dem Schluss, dass der Gebrauch und die Verteilung der Artikelformen stets (logisch-semantisch) partiell irrational sind, da es mehr Verschmelzungen geben müsste, als im geschriebe- nen Standarddeutschen – aus orthografischen Gründen – de facto existieren. Dennoch gelingt es ihm, für alle seine Kategorien Beispiele im Standardeutschen zu finden, die sich zumindest in der gesprochenen (Umgangs-)Sprache klar in stark und schwach un- terteilen lassen. Das Kriterium für die Unterteilung ist dabei nicht so eindeutig wie in den Dialekten. Es kann aber immerhin morphologisch-phonologisch beschrieben wer- den. 5.2. Andere Sprachen: Zwei Artikelparadigmen Nicht nur für deutsche Dialekte werden teilweise zwei Artikelparadigmen beschrie- ben, auch für andere Sprachen wird von verschiedenen Formen doppelter Artikel- führung berichtet. Der Frage, ob und inwieweit die semantische Verteilung und die syntaktische Analyse dieser Artikelparadigmen der Situation im Schweizerdeutschen ähnlich sind, werde ich im Folgenden nachgehen. Dafür werden drei verschiedene Va- rianten dieses Phänomens zur Sprache kommen: 1. die doppelte Artikelführung mit zwei morphologisch verschiedenen Artikelparadigmen, 2. die doppelte Artikelführung durch Setzung und Nichtsetzung des Artikels und 3. die doppelte Artikelführung mit suffigierter und freier (präadjektivischer) Artikelform. Diese Auswahl erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, es soll vielmehr das Spektrum verschiedener Artikel- systeme in verschiedenen Dialekten und Sprachen aufgezeigt werden. 8Obwohl Harwegs Unterscheidungen sinnvoll sind und ein gutes Bild der Verhältnisse bieten, ist sein Begriffsdschungel nur schwer durchschaubar. Verdienstvoll ist dennoch seine Bestrebung, verschiedene Terminologien unter eine zu subsumieren, so dass Vergleiche möglich werden. 179 5. Sprachvergleich 5.2.1. Friesisch Ebert (1971a, 1971b) beschreibt zwei Artikelparadigmen im Dialekt von Westerland- Föhr. Dabei handelt es sich um einen Dialekt des Friesischen, der auf der nordfriesi- schen Insel Föhr in Schleswig-Holstein gesprochen wird. Die Artikelparadigmen unter- scheiden sich sowohl in ihrer Morphologie als auch in ihrer syntaktischen Distribution und ihrer semantischen Funktion. Dabei handelt es sich anders als im Schweizerdeut- schen wahrscheinlich nicht um zwei auf dieselbe Form zurückgehende Paradigmen, sondern um zwei verschiedene Wortstämme: einen A-Artikel, der aufgrund der redu- zierten Form und seiner semantisch-syntaktischen Verteilung dem reduzierten Artikel des Schweizerdeutschen ähnlich ist, und einen D-Artikel, der aufgrund seiner vollen Form und seiner semantisch-syntaktischen Verteilung dem vollen Artikel des Schwei- zerdeutschen ähnlich ist (Formen nach Ebert 1971b:159):9 Artikelform Mask. Fem. Neutr. Plural A-Form a at at a D-Form di det (jü) det dön (dö) Ebert geht davon aus, dass es sich bei diesen beiden Artikelformen nicht um aus- tauschbare Varianten handelt, wie dies in Untersuchungen zum Artikel des Friesi- schen behauptet wurde. Vielmehr können semantisch-pragmatische Verwendungsbe- dingungen für die beiden Formen beschrieben werden, welche die Wahl der richtigen Form für jeden syntaktisch-semantischen Kontext festlegen: Der A-Artikel wird ge- braucht, um auf das Nächstliegende / Bekannte zu verweisen. Die Referenz muss ohne nähere Explikation klar sein. Der D-Artikel wird verwendet, um auf Entfernteres / Nichtbekanntes Bezug zu nehmen. Die Referenz wird durch eine zusätzliche sprachli- che Identifikationshilfe geklärt. Ebert zeigt für den Dialekt von Westerland-Föhr auf, dass gewisse Nominalklassen nur mit dem A-Artikel gebraucht werden können, aber keine Nominalklassen ausschliesslich mit dem D-Artikel auftreten: Unika und Konti- nua/Abstrakta müssen obligatorisch den A-Artikel haben, Zählbares kann mit beiden Artikelformen auftreten. Darin deckt sich das Westerland-Föhring mit dem Schweizer- deutschen: Auch im Schweizerdeutschen tauchen gewisse Nominalklassen (wie Unika und Kontinua / Abstrakta) einzig mit dem reduzierten Artikel auf, aber keine Nomi- nalklasse erscheint nur mit dem vollen Artikel. Wie in Kapitel 3.3.3 gezeigt, kann 9Bei jü und dö handelt es sich um ältere Formen, die inzwischen mehr oder weniger durch die neueren Formen abgelöst wurden (Ebert 1971b:159). 180 5. Sprachvergleich in intrinsisch-definiten Kontexten nur der reduzierte Artikel verwendet werden, in phorisch-definiten hingegen beide Artikelformen. Obwohl die meisten Nomen normalerweise einer Nominalklasse zugehören, können sie in eine andere überführt werden. Dadurch kann sich die Wahl des Artikels ändern: Ei- gennamen können in Zählbares überführt werden, wodurch ein Wechsel vom A-Artikel zum D-Artikel stattfindet (12-a), Zählbares kann sich zu einem Kontinua/Abstrakta wandeln, wodurch ein Wechsel vom D-Artikel zum A-Artikel stattfindet (12-b) und Zählbares kann zu einem Unikum gewechselt werden, wodurch der D-Artikel durch den A-Artikel abgelöst wird (12-c): (12) (Ebert 1971b:160f.) a. Di/*A Kiische, wat skruader as, men ik ei, ik men di/*a sütjer. Den K., der Schneider ist, meine ich nicht, ich meine den Schuster. b. At/*Det auto as nü jo uun a muudi kimen. Das Auto ist jetzt ja in Mode gekommen. c. Ik sal deel tu a/*di kuupmaan. Ich muss runter zum Kaufmann. In Beispiel (12-a) wird der Eigenname Kiische durch einen restriktiven Relativsatz modifiziert. Da restriktive Relativsätze nicht auftreten, wenn die Referenz des No- mens geklärt ist, kann in diesem Fall der Eigenname nicht als Unikum verstanden werden. Vielmehr sollen hier zwei Kiisches durch die Relativsätze erst unterscheidbar gemacht werden. Da die Referenz von Kiische ohne Relativsatz nicht klar ist, wird im Westerland-Föhring der D-Artikel gesetzt. Obwohl diese Argumentation für die Da- tenlage im Schweizerdeutschen genauso richtig ist, haben meine Untersuchungen ge- zeigt, dass bei Eigennamen im Schweizerdeutschen – auch in restriktiven Kontexten, in denen eigentlich per definitionem der volle Artikel auftreten sollte – vorwiegend der reduzierte Artikel verwendet wird: (13) E meine ned de / ?dä Peter, wo Schniider esch, e meine de Beck. Ich meine nicht denr/?v Peter, der Schneider ist, ich meine den Bäcker. In Beispiel (12-b) handelt es sich um die generische Verwendung von Auto. Das Schwei- zerdeutsche verhält sich hier wie das Westerland-Föring, indem der reduzierte Artikel verwendet wird: 181 5. Sprachvergleich (14) S Outo esch jo jetz weder em Choo. Dasr Auto ist ja jetzt wieder im Kommen. Das Beispiel (12-c) kann unterschiedlich interpretiert werden. Entweder handelt es sich um ein situatives Unikum (einen ganz bestimmten, spezifischen Kaufmann: „mein“ Kaufmann um die Ecke) oder der nominale Ausdruck wird generisch interpretiert. In beiden Fällen wird die Verwendung zur intrinsisch-definiten Funktion gezählt. Im Schweizerdeutschen wird wie im Westerland-Föhring der reduzierte Artikel gesetzt: (15) E muess no gschnäu abe zum Beck. Ich muss noch schnell runter zum Bäcker.10r Aus der Datenlage im Westerland-Föhring schliesst Ebert, dass die beiden Artikel- formen nicht einfach Varianten desselben Morphems sein können. Sie gibt folgende Merkmalsunterscheidung an: Der A-Artikel ist entweder [- spez] (= unspezifisch, ge- nerisch) oder [+ def, +prox] (= definit und proximal), d.h. dass nur ein einziger Referent infrage kommt und dieser „in der Nähe“ ist; der D-Artikel ist [+def, – prox], d.h. dass die Einzigkeit des Referenten durch zusätzliche Information erreicht wird. Diese Er- gebnisse machen deutlich, dass sich die Artikelverteilung im Westerland-Föring mit derjenigen im Schweizerdeutschen in den Grundzügen deckt: Der D-Artikel ist der textphorische (oder textdeiktische), der entweder kataphorisch oder anaphorisch auf zusätzliche Information verweisen kann, wodurch aus einer Menge ein einzelnes Ele- ment herauszugriffen werden kann. Der A-Artikel ist der intrinsisch-definite, bei dem der Referent nicht in Opposition zu anderen potenziellen Referenten steht, sondern die Referenz für den nominalen Ausdruck intrinsisch geklärt ist. Neben den eindeutigen Fällen listet Ebert Fälle auf, bei denen die Artikelsetzung spe- ziell geregelt ist. Besonders interessant ist dabei folgender Fall: Bei einer postnomina- len Modifikation, wie der Relativsatzmodifikation, wird der D-Artikel verwendet, bei einer pränominalen Modifikation, wie der Adjektivmodifikation, wird der A-Artikel ge- braucht. In (16) wird der nominale Ausdruck, der durch ein Adjektiv modifiziert wird (die rechte Hand) mit dem A-Artikel eingeleitet, der nominale Ausdruck, der durch einen Relativsatz modifiziert wird (die Hand, wo der Daumen links ist), hingegen mit dem vollen Artikel: 10Da heutzutage die Selbstverständlichkeit, in Kleinläden einzukaufen, abgenommen hat resp. ver- schwunden ist, wird nicht mehr „zum Kaufmann“, sondern „in die Migros, in den Coop“ oder höchstens noch „zum Bäcker“ gegangen. 182 5. Sprachvergleich (16) A rochter hun as det hun, huar a tüm lachts as. Die rechte Hand ist die Hand, wo der Daumen links ist. (Ebert 1971b:168) Wird ein nominaler Ausdruck allerdings prä- und postnominal modifiziert, können beide Artikelformen gesetzt werden (17): (17) Det/At iast buk, wat hi skrewen hee, docht niks. Das erste Buch, das er geschrieben hat, taugt nichts. (Ebert 1971b:169) Im Schweizerdeutschen besteht der Unterschied, wie er in Beispiel (16) zum Ausdruck kommt, ebenfalls. Der Artikel wird nur bei restriktiven (definitorischen) Relativsätzen in seiner vollen Form gesetzt, nicht aber bei einer Adjektivmodifikation (es handelt sich bei di rächt Hand um einen reduzierten Artikel, der durch die Adjektivmodifikation in seiner stärkeren Form di statt d auftritt): (18) Di rächt Hand esch di(e) Hand, wo de Tuume lenggs esch. Die rechte Hand ist diev Hand, wo der Daumen links ist. Wird ein nominaler Ausdruck hingegen prä- und postnominal modifiziert, steht im Schweizerdeutschen anders als im Westerland-Föring immer der reduzierte Artikel: (19) S erschte Buech, wo-n-er gschrebe het, esch schlächt. Dasr erste Buch, das er geschrieben hat, ist schlecht. Zusammenfassend: Ebert liefert eine präzise Beschreibung der beiden Artikelformen im Friesischen und erläutert deren Funktion und Distribution in verschiedenen Kon- texten. Die Datenlage im Friesischen scheint in weiten Teilen mit den Daten des Schweizerdeutschen übereinzustimmen. Dennoch gibt es einige Unterschiede.11 So ist es fürs Schweizerdeutsche neben den bereits angesprochenen Kontexten z.B. fraglich, ob der D-Artikel verwendet wird in Fällen wie Oki hat sich ein Pferd gekauft. Das Pferd lahmt (vgl. die Ausführungen dazu in Kapitel 3). Unter theoretischem Gesichtspunkt deckt sich Eberts Analyse mit meinem Vorschlag insbesondere in den beschriebenen Hauptfunktionen der beiden Artikelparadigmen und darin, dass die Artikel sich nicht durch das Merkmal [DEF] unterscheiden (da beide definit sind), sondern in der un- terschiedlichen Ausprägung eines Merkmals, das mit [ANAPH] oder [UNIK] oder wie 11Ein direkter Vergleich zwischen den schweizerdeutschen Daten und den Daten des Westerland-Föhring wird dadurch möglich, dass einige der Beispiele aus Ebert (1971b) für die eigene Datenerhebung ver- wendet wurden. 183 5. Sprachvergleich bei Ebert mit [prox] umschrieben werden kann.12 Allerdings gehe ich zusätzlich davon aus, dass im Schweizerdeutschen auch das Merkmal [SPEZ] nicht als Abgrenzung der beiden Paradigmen dienen kann, da sowohl der reduzierte Artikel als auch der volle Artikel sowohl spezifisch als auch unspezifisch gebraucht werden kann. 5.2.2. Obersorbisch Eine etwas andere Form des doppelten Artikelsystems wird von Breu (2004) und Schol- ze (2007) für die obersorbische Umgangssprache beschrieben. Die obersorbische Um- gangssprache (SWR, Serbska Wobchadna Rěč) ist eine westslavische Sprache, die in Sachsen beheimatet ist. Während Standardsorbisch, wie die meisten slavischen Spra- chen, eine artikellose Sprache ist,13 verfügt die SWR über ein Artikelsystem. Dabei bestehen nicht zwei „Paradigmen“ im herkömmlichen Sinne nebeneinander, vielmehr wechseln sich „Setzung“ und „Nichtsetzung“ des Artikels ab. Dabei muss allerdings die Nichtsetzung des Artikels vom Konzept des indeterminierten Nullartikels unter- schieden werden: Bei der Nichtsetzung des Artikels können zwei verschiedene Gründe vorliegen: Entweder handelt es sich um Indeterminiertheit oder um nicht ausgedrück- te funktionale Determiniertheit. Bei der Nichtsetzung des Artikels in der SWR handelt es sich um nicht ausgedrückte funktionale Determiniertheit. Es kann deshalb von ei- nem definiten Nullartikel gesprochen werden (vgl. Breu 2004:10). Der obersorbische Artikel (tón, ta, te) ist wie der schweizerdeutsche Artikel aus dem Demonstrativum entstanden. Dass diese Artikelgenese nur für die SWR gilt und in den übrigen slavischen Sprachen nicht vonstatten ging, wird dadurch erklärt, dass dafür ein bekannter Grammatikalisierungspfad gewählt wurde, der zudem durch den engen Sprachkontakt zum Deutschen begünstigt wird (vgl. Breu 2004:11). Beim Arti- kelsystem in der SWR wird wie im Schweizerdeutschen davon ausgegangen, dass es sich bei den beiden Möglichkeiten nicht um austauschbare Varianten handelt (wie das beispielsweise in der obersorbischen Grammatik von Faßke (1981) behauptet wird), sondern dass der Artikel regelhaft gesetzt werden muss: Eines der Ziele des voliegenden Beitrages ist es zu zeigen, daß bezüglich des definiten Artikels TÓN in der SWR von ,Fakultativität‘ nur unter ganz 12Ebert (1971a:167f.) beschreibt ausserdem die Unterschiede in der Quantifizierung: Der A-Artikel ent- spricht durch den uniken Charakter des Nomens in seiner spezifischen Lesart dem Iota-Operator und in seiner generischen Lesart dem All-Quantor; der D-Artikel entspricht durch seine Mengen-Abgrenzungen dem Lambda-Operator. 13In der obersorbischen Schriftsprache war dies allerdings nicht immer so: Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ist ein definiter Artikel im Obersorbischen durch Quellen belegt. Bedingt durch sprach- puristische Tendenzen wurde dieser später durch den Nullartikel verdrängt (vgl. Breu 2004). 184 5. Sprachvergleich bestimmten Bedingungen gesprochen werden kann und daß der Artikel der SWR dem Kriterium der Obligatheit somit in einem Ausmaß, wie es für grammatische Kategorien zu fordern ist, vollständig genügt. (Breu 2004:15f.) Die SWR verhält sich bezüglich des definiten Artikels in diesem Sinne parallel zum Schweizerdeutschen und den beschriebenen deutschen Dialekten. Allerdings besteht wie erwähnt ein grundlegender Unterschied. Während in deutschen Dialekten zwei morphologisch (mehr oder weniger) unterschiedliche Artikelparadigmen vorkommen, handelt es sich bei der Alternation verschiedener Artikel in der SWR nicht um zwei morphologisch unterschiedliche Formen, sondern um die Möglichkeit der Setzung und die Möglichkeit der Nichtsetzung des Artikels (= definiter Nullartikel). Die Verteilung der beiden Artikel-Möglichkeiten entspricht dabei aber in den Grund- zügen derjenigen des Schweizerdeutschen: Der definite Nullartikel wird bei semanti- scher Definitheit (in meiner Terminologie: intrinsische Definitheit), wie bei Unika, ge- nerischen Ausdrücken und Diskurswissen, gesetzt. Der definite Artikel wird bei prag- matischer Definitheit (in meiner Terminologie: phorische und deiktische Definitheit), wie beim phorischen und deiktischen Gebrauch, verwendet. Dennoch bestehen im De- tail zahlreiche Abweichungen in der Datenlage zwischen der SWR und dem Schwei- zerdeutschen:14 – In der SWR ist der definite Nullartikel in phorischem Kontext ausgeschlossen. Im Schweizerdeutschen tritt in diesem Kontext nicht ganz so klar der volle Artikel auf. Zwar ist der volle Artikel in phorischen Kontexten typisch, allerdings taucht, wie gezeigt worden ist, häufig auch der reduzierte Artikel auf: (20) Er schreibt sich alles auf einen Zettel. Und dann hält er den Zettel dem Polizisten vor die Nase. Wón sej ⇥itko na jenu cedlku napisa. Ha potom wón tón cedlku tóm póli- cajej před nosom dźer⌅i. SWR: Artikel Är schriibt aues uf ne Zedu. Und denn het er de / dä Zedu em Bolizescht vor d Naase. ChD: red / voll – Bei der assoziativ-anaphorischen Funktion wie in den Beispielen (21) wird in der SWR der Artikel gesetzt, im Schweizerdeutschen ist hier der reduzierte Artikel angezeigt: 14Ein direkter Vergleich zwischen den schweizerdeutschen Daten und den Daten der SWR wird dadurch möglich, dass einige der Beispiele aus Breu (2004) für die eigene Datenerhebung verwendet wurden. 185 5. Sprachvergleich (21) Wir sind hinter einem LKW gefahren. Der Rauch war schrecklich. Mó smó zade jeno Lkweja jěli. Tón kur bě ⇥reklich. SWR: Artikel Mer send hender emne LKW gfaare. De R. esch schröckli gsi. ChD: red – Bei der kataphorischen Funktion wird in der SWR immer der Artikel verwen- det. Im Schweizerdeutschen ist die Datenlage, wie in Kapitel 3.4.2 gezeigt, nicht ganz so eindeutig. Nominalphrasen, die durch restriktive Relativsätze modifiziert sind, werden zwar vorwiegend mit dem vollen Artikel eingeleitet, manchmal wird aber auch der reduzierte Artikel gesetzt: (22) Wer war der Mann, der dich gestern angerufen hat? tó ha bě tón mu⌅, ki⌅ jo će čora zawo⇧a⇧? SWR: Artikel Wär esch de / dä Maa gsi, wo der geschter aaglütet het? ChD: red / voll – Substantivierungen von Adjektiven werden in der SWR immer mit dem Artikel eingeleitet. Dies ist im Schweizerdeutschen nicht der Fall, hier wird immer der reduzierte Artikel gesetzt: (23) Welchen Apfel willst du? – Ich will den grossen. Kajke jabuko ce⇥ ty? – Ja cem te wulke. SWR: Artikel Wele Öpfu wotsch? – I wot de grooss. ChD: red – Superlative werden in der SWR mit dem Artikel konstruiert, im Schweizerdeut- schen jedoch immer mit dem reduzierten Artikel: (24) Zuerst ist der grösste Schuft weggelaufen. Najprjedy jo tón naywet⇥i ⇥uft preč bě⌅al. SWR: Artikel Zersch esch de grööscht Schuft devogloffe. ChD: red Obwohl in der funktionalen Verteilung der beiden Artikelparadigmen zwischen den schweizerdeutschen Dialekten und der obersorbischen Umgangssprache eine grosse Übereinstimmung herrscht, machen die aufgezeigten Abweichungen deutlich, dass auch Unterschiede bestehen. Diese Unterschiede sind nun nicht beliebig, sondern zei- gen eine Systematizität auf: Während im Schweizerdeutschen, wie gezeigt wurde, der reduzierte Artikel in der Funktion des vollen Artikels verwendet werden kann, ist in der SWR der Artikel in Ausdehnung begriffen, indem er ins Funktionsfeld des defini- ten Nullartikels eindringt. 186 5. Sprachvergleich Nach Breu (2004:54) stellt die Verteilung der Artikelparadigmen in der SWR eine ex- plizit diachrone Entwicklung dar, indem die ältere Generation eine Tendenz zum Null- artikel aufweist und die jüngere Generation eine Dominanz für die Setzung des Arti- kels zeigt. Eine Erklärung dieses Wandels liegt im Einfluss des Deutschen begründet: Das Deutsche mit seinem Artikelsystem begünstigt die Ausdehnung eines Artikels, der zuvor dem Sprachpurismus zum Opfer fiel. Ob fürs Schweizerdeutsche ebenfalls von einer diachronen Entwicklung ausgegangen werden muss, kann ich nicht beantwor- ten, da die Datenerhebungen aufgrund ihrer Ausrichtung einer demografischen Aus- wertung nicht standhalten würden. Die Auswertungen der Spontandaten, die von In- formantInnen der jungen Generation stammen, zeigen aber, dass zwar im Schweizer- deutschen der reduzierte Artikel in der Funktion des vollen Artikels auftreten kann, dass die junge Generation aber sehr wohl auch den vollen Artikel (in den erwarteten Kontexten) einsetzt. 5.2.3. Skandinavisch Verschiedene skandinavische Sprachen (wie Dänisch, Färöisch, Norwegisch und Schwe- disch) weisen ein Phänomen auf, das der schweizerdeutschen doppelten Artikelfüh- rung verwandt zu sein scheint: Für den definiten Artikel bestehen zwei verschiedene Formen – eine ans Nomen suffigierte Form und eine präadjektivische (morphologisch stärkere) Form (vgl. z.B. Delsing 1993, Vangsnes 1999, 2001, Julien 2005). (25) a. hus-et Dänisch Haus-def b. det lange hus das lange Haus (Vangsnes 1999:102) Die starke Form tritt nur auf, wenn der nominale Ausdruck durch ein Adjektiv modifi- ziert wird. Wird die Form det verwendet, wenn der nominale Ausdruck nicht durch ein Adjektiv modifiziert wird, muss der Determinierer als Demonstrativum interpretiert werden: (26) det hus Dänisch dieses Haus (Vangsnes 1999:102) 187 5. Sprachvergleich Während im Dänischen bei Adjektivmodifikation nur der präadjektivische Artikel ge- setzt wird, treten im Färöischen, Norwegischen und Schwedischen bei Adjektivmodifi- kation beide Artikelformen gleichzeitig auf: (27) det lange hus-et Norwegisch das lange Haus-def (Vangsnes 1999:101) Diese Kookkurenz zweier Artikelformen wird Double Definiteness genannt, da die De- finitheit (redundanterweise) zweimal ausgedrückt wird. Im Schweizerdeutschen und im Standarddeutschen ist Double Definiteness nicht möglich. Es bestehen zwar Ver- doppelungsphänomene, die aber andere Gründe haben und anderer Erklärungen be- dürfen und nicht mit dem Phänomen der Double Definiteness in skandinavischen oder romanischen Sprachen identisch sind. Genau wie im Schweizerdeutschen handelt es sich beim präadjektivischen Artikel in den skandinavischen Sprachen morphologisch um eine vom betonten Demonstrati- vum abgeleitete unbetonte Form. Double Definiteness tritt in einigen skandinavischen Sprachen (Färöisch, Norwegisch und Schwedisch) nicht nur beim präadjektivischen Artikel, sondern auch beim Demonstrativum auf: (28) det hus-et Norwegisch dieses Haus-def (Vangsnes 1999:102) Im Dänischen und Isländischen ist Double Definiteness von Artikel und Demonstrati- vum nicht möglich: (29) det hus Dänisch dieses Haus (Vangsnes 1999:102) Tritt die starke Form det mit einem Adjektiv auf, ist die Interpretation ambig. Es kann sein, dass es sich um den präadjektivischen Artikel handelt, der verwendet wird, weil der nominale Ausdruck durch ein Adjektiv modifiziert ist. Es kann aber auch sein, dass es sich um das Demonstrativum handelt, das unabhängig von der Adjektivmodi- fikation gesetzt wird: (30) a. det svarte hus-et Norwegisch das / dieses schwarze Haus (Vangsnes 1999:102) 188 5. Sprachvergleich b. det sorte hus Dänisch das / dieses schwarze Haus (Vangsnes 1999:102) Obwohl die skandinavischen Sprachen genau wie das Schweizerdeutsche über drei Paradigmen für die Definit-Determinierer verfügen, besteht ein grundlegender Un- terschied. Im Schweizerdeutschen (und den anderen hier vorgestellten Dialekten und Sprachen) können unterschiedliche Gebrauchskontexte für die drei Paradigmen for- muliert werden – der reduzierte Artikel wird in intrinsisch-definiten Kontexten ver- wendet, der volle in phorisch-definiten, das Demonstrativum in deiktisch-definiten. Im Skandinavischen hingegen ist die Artikelsetzung syntaktisch bedingt: Der suffigierte schwache Artikel wird immer dann verwendet, wenn der nominale Ausdruck nicht durch ein Adjektiv modifiziert wird (wie etwa im Dänischen), oder er wird unabhängig von der Adjektivmodifikation immer verwendet (wie im Norwegischen). Der präadjek- tivische starke Artikel wird nur verwendet, wenn der nominale Ausdruck durch ein Adjektiv modifiziert wird. Dennoch werden teilweise auch für skandinavische Sprachen semantisch-pragmatische Bedingungen für den Einsatz der beiden Artikelformen diskutiert. So haben z.B. Han- kamer & Mikkelsen (2005) für die Relativsatzmodifikation Unterschiede in der Arti- kelsetzung aufgezeigt: Appositive Relativsätze treten mit dem suffigierten Artikel auf, restriktive Relativsätze hingegen mit dem präadjektivischen (zitiert nach Heck et al. 2008): (31) a. hest-en som van løbet Dänisch Pferd-def, das das Rennen gewann app. / restr. b. den hest som van sag Dänisch das Pferd, das das Rennen gewann *app. Im Schwedischen kann bei restriktiven Relativsätzen optional zusätzlich der suffigier- te Artikel gesetzt werden: (32) a. mus-en som vi såg Schwedisch Maus-def, die wir sahen app. / restr. b. den mus(-en) som vi sag Schwedisch die Maus(-def), die wir sahen *app. Dies legt den Schluss nahe, dass restriktive Relativssätze etwas mit Adjektiven gemein haben – entweder strukturell oder interpretatorisch. Wird davon ausgegangen, dass 189 5. Sprachvergleich die Artikelverteilung im Skandinavischen auf syntaktischen Gegebenheiten beruht, muss angenommen werden, dass sich restriktive Relativsätze wie Adjektive verhal- ten, indem sie ursprünglich pränominal sind und für die richtige Oberflächenstruktur extraponiert werden. Eine solche Analyse für restriktive Relativsätze wird denn auch verschiedentlich verfolgt (vgl. etwa Fanselow 1986 oder Heck et al. 2008), obwohl mei- nes Wissens keine externe Motivation existiert, Relativsätze pränominal zu generie- ren. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Gemeinsamkeit zwischen Adjektiven und Relativsätzen in den skandinavischen Sprachen im Interpretatorischen zu suchen. Eventuell ist die Artikelsetzung doch nicht nur von strukturellen, sondern auch von semantisch-pragmatischen Gegebenheiten abhängig. Da allerdings bei Adjektiven (ge- nau wie im Deutschen) kein Unterschied gemacht wird zwischen appositiver und re- striktiver Funktion – der präadjektivische Artikel muss in beiden Fällen gesetzt wer- den – kann beim Adjektiv kein Unterschied bezüglich der semantisch-pragmatischen Funktion gemacht werden. Bei der Relativsatzmodifikation ist dies anders. Die Arti- kelsetzung wird hier allein durch semantisch-pragmatische Bedingungen geregelt – die starke (präadjektivische) Form erscheint beim restriktiven Relativsatz, die suffi- gierte beim appositiven Relativsatz (und optional in einigen Sprachen zusätzlich beim restriktiven). Falls die Datenlage tatsächlich so ist, lässt dies nur den Schluss zu, dass die Artikelsetzung anhand unterschiedlicher Bedingungen geregelt wird – beim Ad- jektiv strukturell, beim Relativsatz interpretatorisch. Der Erklärung und Bestimmung der Artikelsetzung (und der Double Definiteness) und der syntaktischen Analyse der Nominalphrase im Skandinavischen sind verschiedene (generative) Arbeiten gewidmet (vgl. z.B. Vangsnes 1999, 2001, Julien 2005, Hanka- mer & Mikkelsen 2002, 2005, Heck et al. 2008). Im zweiten Teil werde ich auf diese Arbeiten zurückkommen. 5.2.4. Zusammenfassung Ich habe exemplarisch drei Formen der doppelten Artikelführung in anderen Sprachen aufgezeigt: 1. D-Artikel und A-Artikel in einem friesischen Dialekt, 2. definiter Arti- kel und definiter Nullartikel in der obersorbischen Umgangssprache (in der SWR), 3. präadjektivischer und suffigierter Artikel in den skandinavischen Sprachen. Alle drei Beispiele zeigen Ähnlichkeiten zum Artikelsystem im Schweizerdeutschen und in verschiedenen anderen deutschen Dialekten. Dennoch bestehen auch grundlegende Unterschiede. Für den friesischen Dialekt von Westerland-Föhr und die SWR können semantisch- pragmatische Gebrauchsbedingungen für die Artikelparadigmen formuliert werden, 190 5. Sprachvergleich die der Verteilung im Schweizerdeutschen sehr nahekommen. Im Detail bestehen aber dennoch auch Abweichungen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der D-Artikel im Dialekt von Westerland-Föhr und der definite Artikel in der SWR etwas häufiger (d.h. vergleichsweise in mehr Kontexten) verwendet werden als der volle Arti- kel im Schweizerdeutschen. Dass Unterschiede bestehen, soll allerdings nicht überbe- wertet werden, da eine flächendeckende Übereinstimmung kaum gegeben ist: „Völlige Übereinstimmung zwischen den Artikelsystemen zweier Sprachen wäre ein absoluter Zufall“ (Breu 2004:16, fn 11). Von grösserer Relevanz ist die breite Übereinstimmung in der Verteilung der Artikelparadigmen in den verschiedenen Sprachen, wie sie in den letzten Abschnitten gezeigt werden konnte. Fürs Skandinavische gilt dies allerdings nicht im selben Masse. Zwar verfügen die skandinavischen Sprachen über zwei Artikelformen, allerdings wird die Artikelset- zung nicht durch semantisch-pragmatische Bedingungen, sondern durch syntaktische gesteuert. Der präadjektivische Artikel wird gesetzt, wenn der nominale Ausdruck durch ein Adjektiv modifiziert wird. Am semantisch-pragmatischen Kontext ändert sich dabei nichts. Allerdings ist diese Bestimmung der Artikelsetzung zu rigide, da auch semantisch-pragmatische Bedingungen ausgemacht werden können: Wird der nominale Ausdruck durch einen Relativsatz modifiziert, wird ganz ähnlich wie im Schweizerdeutschen bei restriktiver Funktion des Relativsatzes die starke (präadjek- tivische) Form des Artikels verwendet. Bevor ich im zweiten Teil meiner Arbeit nach einer syntaktisch adäquaten Analyse für die schweizerdeutsche Nominalphrase suche, werde ich die Ergebnisse des ersten Teils nochmals in konzentrierter Form zusammenfassen. Im Zentrum soll dabei die Diskussion um Abgrenzungsmöglichkeiten für die drei Paradigmen stehen. 191 6. Zusammenfassung und vorläufiges Fazit 6.1. Drei Paradigmen 6.1.1. Normalverteilung Im Schweizerdeutschen existieren drei Paradigmen für den Definit-Determinierer der (und dieser): eine reduzierte Artikelform de, d, s, eine morphophonologisch volle Arti- kelform dä, di, das und eine gedehnte und betonte Demonstrativform dää, die, daas. Diese drei Paradigmen werden nicht willkürlich eingesetzt, sondern erfahren eine kla- re Verteilung nach strikten (nicht phonologisch bedingten) Verwendungsregeln. Als Arbeitshypothese wurde von einer 1:1-Korrelation zwischen Morphologie und Seman- tik ausgegangen (MSK): Ein Unterschied in der Morphologie (in der Form) entspricht einem Unterschied in der Semantik (in der Funktion). Die Datenanalyse hat gezeigt, dass für die drei Definit-Determinierer im Schweizerdeutschen und den verschiedenen Funktionen von Definit-Determinierern von einer MSK ausgegangen werden kann. Die Verteilung ist dabei wie folgt: 1. Der reduzierte Artikel wird in intrinsisch-definiten Kontexten eingesetzt. Dies ist der Fall, wenn die Referenz des nominalen Ausdrucks eindeutig geklärt ist. Nominale Ausdrücke, die mit dem reduzierten Artikel eingeführt werden, erfül- len die Einzigkeitsbedingung für definite Ausdrücke nach Russell (1905). Der reduzierte Artikel ist die meist verwendete Definit-Determinierer-Form. 2. Der volle Artikel wird in phorisch-definiten Kontexten eingesetzt. Dies ist der Fall, wenn der nominale Ausdruck nicht von sich aus eindeutig referiert. Für die eindeutige Referenz muss auf weiteres sprachliches Material zurückgegriffen werden. Der volle Artikel kommt viel weniger häufig zum Einsatz, da er quasi als „Reparatur“-Mechanismus verwendet wird. 3. Das Demonstrativum wird in deiktisch-definiten Kontexten eingesetzt. Dies ist der Fall, wenn die Referenz des nominalen Ausdrucks nicht eindeutig geklärt ist. Die eindeutige Referenz wird durch einen ostensiven Akt erreicht. Das Demonstrativum dää wird wie das standarddeutsche Demonstrativum dies für demonstrative/deiktische Kontexte mit proximaler Bedeutung gebraucht. Das 192 6. Zusammenfassung und vorläufiges Fazit von seiner Form her dem Standarddeutschen dieser verwandte dese wird hinge- gen für das distale Demonstrativum jenes verwendet. Das dem Standarddeut- schen jener verwandte äi(ne) ist nur noch in wenigen Dialekten geläufig (so z.B. im Berndeutschen, das den Bedeutungsshift von dese zu dää für das standard- deutsche dieser nicht vollständig abgeschlossen hat). Die Daten haben gezeigt, dass die beschriebenen Korrelationen zwischen reduzier- tem Artikel und intrinsisch-definitem Kontext, zwischen vollem Artikel und phorisch- definitem Kontext und zwischen Demonstrativum und deiktisch-definitem Kontext si- gnifikant sind. 6.1.2. Spezialverteilung Neben der Normalverteilung können Spezialfälle bei der Bezugnahme beschrieben werden. Diese Überschneidungen laufen einer strikten 1:1-Korrelation zwischen Mor- phologie und Semantik (MSK) entgegen. Allerdings handelt es sich dabei erstens um Ausnahmefälle, zweitens treten diese regelhaft auf. Die Funktionsfelder überschnei- den sich nicht willkürlich, sondern systematisch. 1. Der reduzierte Artikel kann in phorischen Kontexten auftreten. Das Schweizer- deutsche unterscheidet sich hierin, wie gezeigt wurde, auch von verschiedenen deutschen Dialekten mit zwei Artikelparadigmen. Der Gebrauch des reduzierten Artikels scheint in Ausweitung begriffen zu sein.1 Der reduzierte Artikel kann allerdings nicht in deiktischen Kontexten auftreten. 2. Der volle Artikel kann in deiktischen Kontexten verwendet werden. Das Schwei- zerdeutsche verhält sich hierin ganz ähnlich wie die deutsche Umgangssprache, die für den deiktischen Verweis gerne den Artikel (mit Distanzmarkierern wie da, dort) anstelle des Demonstrativums verwendet. Der volle Artikel kann allerdings nicht in intrinsischen Kontexten auftreten. 1Vgl. dazu auch Meyer (1967): Obwohl Meyer im Grossen und Ganzen nicht davon ausgeht, dass die Ar- tikelverteilung im Schweizerdeutschen mit einem Funktionsunterschied einhergeht, sondern (gestützt auf die Befragungen des SDS) annimmt, dass lediglich eine sprachgeographische Verteilung von pho- nologisch unterschiedlichen Formen vorliegt, geht er für den reduzierten Artikel davon aus, dass die jeweils phonologisch schwächere Form im Vormarsch ist: [...] bei jedem schweizerdeutschen Artikel stehen grundsätzlich zwei verschiedene Formen in räumlicher Opposition, wobei die lautärmere in der Regel die jüngere ist und sich im Vor- rücken befindet. Die umgekehrte Bewegung tritt nur ausnahmsweise ein [...] Es besteht eine deutliche Tendenz, die Lautgestalt der schweizerdeutschen Artikel auf ein Mindestmaß zu reduzieren. (Meyer 1967:114f.) 193 6. Zusammenfassung und vorläufiges Fazit 3. Das Demonstrativum (und der deiktische volle Artikel) können in problema- tisch/emotional intrinsischen Kontexten verwendet werden. Bei diesen intrinsi- schen Kontexten handelt es sich um einen Grenzbereich des intrinsischen Ge- brauchs, indem durch die Setzung des Demonstrativums eine auf- oder abwer- tende Zusatzbedeutung ausgedrückt wird. Das Demonstrativum kann eventuell in phorischen Kontexten auftreten. Die Verteilung ist demnach wie in Tabelle 6.1. red. Artikel voller Artikel Demonstrativum intrinsisch 4 7 7 phorisch 3 4 ? deiktisch 7 3 4 probl./emot. intrinsisch 7 3 3 Tabelle 6.1.: Funktionen: Paradigmenverteilung Die Funktionsfelderanalyse liefert das Bild in Figur 3.5 (hier wiederholt als 6.1). X WISSEN TEXT red. Artikel voller Artikel prob e lem mo atio tisn ca hl definit demonstrativ X WELT Demonstrativum Abbildung 6.1.: Funktionsfelder inkl. Spezialverteilung 194 in v te rir nw se isis ce hnd ll rtex tuehlich inne ac sser spr au 6. Zusammenfassung und vorläufiges Fazit Im zweiten Teil meiner Arbeit werde ich eine Nominalphrasenanalyse vorschlagen, die die Normalverteilung der Paradigmen und die angesprochenen Spezialfälle zu er- klären versucht. Im Zentrum wird dabei der Nachweis stehen, dass sich die MSK in der Syntax widerspiegelt, indem unterschiedliche Positionen und/oder unterschiedli- che Derivationen für die unterschiedliche Morphologie und/oder Semantik verantwort- lich gemacht werden können. 6.2. Abgrenzung Das Hauptziel dieser Arbeit ist die phonologische, morphologische, syntaktische und semantische Bestimmung der drei Artikelparadigmen. Eng mit diesem Anliegen ver- knüpft ist unweigerlich auch die Abgrenzung der Paradigmen voneinander. Dies ist, wie gezeigt wurde, durch ihre nahe Verwandtschaft teilweise ein schwieriges Unter- fangen. Im Folgenden wird kurz die Abgrenzungsproblematik im Allgemeinen anhand verschiedener Parameter besprochen und im Speziellen einerseits die Grenzziehung zwischen dem reduzierten Artikel und dem vollen Artikel und andererseits zwischen dem vollen Artikel und dem Demonstrativum in ihrer phonologischen, morphologi- schen, syntaktischen und semantischen Dimension noch einmal gekürzt aufgezeigt. 6.2.1. Abgrenzungsparameter Für die Differenzierung von Artikel und Demonstrativum kommen verschiedene Para- meter infrage: Begleiter/Stellvertreter, Distanzparameter, Definitheitsparameter und definit/demonstrativ. 6.2.1.1. Begleiter versus Stellvertreter In der traditionellen Grammatik werden Artikel und Demonstrativum in Begleiter des Nomens und Stellvertreter des Nomens eingeteilt. Damit wird der Unterschied betont, dass Artikel attributiv oder adjektivisch zum Nomen treten, während Demonstrativa pronominal oder substantivisch das Nomen ersetzen. Obwohl diese Einteilung eine lange Tradition hat, ist sie nicht über alle Kritik erhaben: Zwar kann damit eine „Nor- malverteilung“ angezeigt werden, insofern der Artikel für gewöhnlich als Begleiter des Nomens auftritt und das Demonstrativum für gewöhnlich als Stellvertreter. Allerdings kann der Artikel bisweilen auch als Stellvertreter und das Demonstrativum sehr wohl 195 6. Zusammenfassung und vorläufiges Fazit auch als Begleiter auftreten (eventuell sogar genauso häufig). Die Verteilung ist his- torisch begründbar durch die deiktische Urfunktion des blossen Zeigens, die nur dem Demonstrativum zukommt. In den traditionellen Grammatiken des Schweizerdeutschen wird sehr wahrscheinlich dieses Merkmal zur Unterscheidung der drei Paradigmen beigezogen. Dabei wird nur für Demonstrativa von einer grundsätzlichen Möglichkeit der Stellvertreter-Funktion ausgegangen, wodurch der volle Artikel den Demonstrativa zugerechnet werden muss. Da aber gerade im Schweizerdeutschen (im Gegensatz zum Standarddeutschen) der volle Artikel vorwiegend und teilweise ausschliesslich als Begleiter auftreten kann (vgl. di Frau ‘die Frau’ versus *di / die ‘die’) halte ich diese Klassifizierung für un- glücklich (vgl. dazu auch die Bemerkungen zur Terminologie in Kapitel 2.1.2 und die Anmerkungen zur konkreten Abgrenzung der Paradigmen im Folgenden).2 Da die Terminologie aus generativer Sicht seit der DP-Hypothese wenig Sinn ergibt, wird in der Generativen Grammatik für diese Unterscheidung von transitiven Deter- minierern (Artikel) und intransitiven Determinierern (Pronomen) gesprochen. Transi- tive Determinierer verfügen über ein Komplement (z.B. ein Nomen), intransitive hin- gegen nicht. Wird der Artikel ohne nominales Komplement verwendet, spricht man von intransitivem Artikel. Vgl. dazu die Bemerkungen zur Terminologie in Kapitel 2.1.2 und zur DP-Hypothese und ihren Auswirkungen in Kapitel 8. 6.2.1.2. Distanzparameter Eine Möglichkeit, Artikel und Demonstrativum voneinander abzugrenzen, besteht in der Gegenüberstellung des Distanzparameters. Das Demonstrativum dää ‘dieser’ gilt als zumindest potenziell distanzmarkiert (es gilt als proximal in Opposition zu einem 2Der Duden (2005:260) verfolgt ein semantisches und ein syntaktisches Kriterium: Als Demonstrati- vum gilt, was demonstrativ verwendet wird. Das sind einerseits demonstrative Artikelwörter und ande- rerseits demonstrative Pronomen. Als Artikel gilt, was als Begleiter auftritt (auch Demonstrativa wie jener). Vorteil dieser Einteilung ist die scheinbare Eindeutigkeit: Für die Wortartzuordnung gilt das syntaktische Kriterium ,Begleiter oder Stellvertreter‘, für die Funktionszuordnung gilt das Kriterium ,demonstrativ oder definit‘. Allerdings ergeben sich daraus zwei Probleme: Erstens wird der, die, das als Demonstrativum mit den Langformen denen, dessen, deren, derer angegeben. Die Langformen tau- chen aber nur in der Funktion als Pronomen auf, nicht in der Funktion als Artikel. Sollen Artikel und Demonstrativa im Standarddeutschen formal anhand der Langformen unterschieden werden (wie dies häufig vorgeschlagen wird), können Artikel nicht zu den Demonstrativa gerechnet werden resp. müssen Demonstrativa immer Pronomen sein. Zweitens wird mit dieser Einteilung ein und dieselbe Form je nach Gebrauch zu den Artikeln oder zu den Pronomen gerechnet. Dies ist grundsätzlich nicht weiter schlimm (vgl. für eine funktionale Kategorisierung auch Zifonun et al. 1997). Die Form der, die, das ist polysem: Es kann nicht nur als Artikel (und Pronomen), sondern auch als Relativpronomen verwendet werden. Allerdings würde ich im Standarddeutschen nur bei Artikel der und Relativpronomen der von zwei eigenständigen Lexikoneinträgen ausgehen wollen, nicht aber bei der Unterscheidung zwischen Artikel der und Demonstrativum der. 196 6. Zusammenfassung und vorläufiges Fazit distalen Demonstrativum wie dese oder äi ‘jener’). Beim Artikel hingegen wird von Di- stanzneutralität ausgegangen.3 Diese Differenzierung ist ebenfalls nicht unproblema- tisch. Erstens kann das Demonstrativum in phorischen Kontexten auch distanzneu- tral auftreten. Zweitens wird es für explizit oppositionell deiktische Kontexte durch periphrastische Konstruktionen wie do, döt ‘da, dort’ verstärkt, was auf eine schwa- che Distanzmarkierung hindeutet. Drittens kann der Artikel auch distanzmarkiert verwendet und ebenfalls periphrastisch durch dö, döt ‘da, dort’ ergänzt werden. Falls das Merkmal Distanzmarkiertheit für Demonstrativa postuliert wird, kann der volle Artikel nicht zu den Demonstrativa gerechnet werden. Wird, wie ich vorschlage, der volle Artikel als Artikel und nicht als Demonstrativum klassifiziert, kann das Merk- mal Distanz als Unterscheidung beigezogen werden – allerdings nur dann, wenn ange- nommen wird, dass das Demonstrativum auch wirklich distanzmarkiert ist. Dies wird fürs Standarddeutsche nicht von allen AutorInnen bedingungslos akzeptiert: Teilweise wird die These vertreten, dass auch das Demonstrativum dieser nicht distanzmarkiert ist (vgl. Himmelmann 1997). 6.2.1.3. Definitheitsparameter Die Ausprägung der Definitheit kann wie gezeigt unterschiedlich benannt werden: semantisch-definit versus pragmatisch-definit, w-definit versus k-definit, intrinsisch- definit versus phorisch-definit. Alle Bezeichnungen zielen auf denselben Unterschied ab. Dieser kann die beiden schweizerdeutschen Artikel gut voneinander abgrenzen: Der reduzierte Artikel ist intrinsisch-definit, der volle Artikel ist phorisch-definit. Für die Abgrenzung zwischen Artikel und Demonstrativum ist dieses Kriterium nur be- dingt geeignet. Das Demonstrativum ist normalerweise weder intrinsisch-definit noch phorisch-definit: Wie gezeigt, kann das Demonstrativum intrinsisch-definit nur in pro- blematisch/emotionalen Kontexten verwendet werden und der phorisch-definite Ge- brauch ist nicht hinlänglich belegt. Das Kriterium intrinsisch oder phorisch fällt zur Abgrenzung zwischen Artikel und Demonstrativum weg, für die Abgrenzung zwischen reduziertem Artikel und vollem Artikel leistet es, wie gezeigt wurde, gute Dienste. Allerdings hilft die Einführung einer dritten Kategorie der Definitheit hier weiter: Neben intrinsisch-definit und phorisch-definit muss zusätzlich deiktisch-definit unter- schieden werden. Damit können nicht nur reduzierter und voller Artikel voneinander abgegrenzt werden, sondern auch Artikel und Demonstrativum. Während der Artikel 3In anderen Sprachen bestehen ähnliche Unterschiede zwischen Artikel und Demonstrativa in Bezug auf die Distanzmarkierung. In Bengali z.B., das nicht über Artikel im engeren Sinne, sondern über affigierte „Classifiers“ verfügt, können nur Demonstrativa, nicht aber Classifiers Proximität kodieren (Josef Bayer, p.M.). 197 6. Zusammenfassung und vorläufiges Fazit entweder intrinsisch-definit oder phorisch-definit sein kann, ist das Demonstrativum deiktisch-definit. 6.2.1.4. Definit versus demonstrativ Das Kriterium ,definit versus demonstrativ‘ ist das ursprünglichste und naheliegends- te – es wird durch die Benennung Demonstrativ-Pronomen und Definit-Artikel zusätz- lich unterstützt. Als definitorisches Merkmal der Demonstrativa gilt das Demonstra- tive / Zeigende / Deiktische und damit das Definit-Machende. Der nominale Ausdruck referiert ohne Demonstrativum nicht eindeutig; erst durch das Demonstrativum kann die eindeutige Referenz bestimmt werden. Als definitorisches Merkmal der Artikel hin- gegen gilt das Als-Definit-Kennzeichnende. Der nominale Ausdruck referiert ohne Ar- tikel eindeutig (entweder ist das Nomen intrinsisch eindeutig oder es wird für die ein- deutige Referenz durch lexikalisches Material angereichert), der Artikel kennzeichnet die Eindeutigkeit des nominalen Ausdrucks. Für das Demonstrativum dää ‘dieser’ ist das Definit-Machende in der Normalverwendung gegeben. Bei der Zusatzfunktion pro- blematisch/emotional intrinsisch ist die Sache nicht ganz so klar, aber durchaus argu- mentativ begründbar, wenn man von einem imaginären Redeuniversum ausgeht (wie dies verschiedentlich vorgeschlagen wird). Für den reduzierten Artikel ist das Definit- Kennzeichnende ebenfalls problemlos gegeben, tritt er doch definitorisch in Kontexten auf, in denen der nominale Ausdruck intrinsisch eindeutig referiert und der Artikel Signal der intrinsischen Definitheit ist. Beim vollen Artikel (und beim phorischen Ge- brauch des reduzierten Artikels) findet die Referenzfindung in streng innertextuellem Rahmen statt. Durch die Anreicherung mit lexikalischem Material wird der nominale Ausdruck eindeutig. Nicht der Artikel ist das sprachliche Element, das definit macht, sondern das zusätzliche lexikalische Material. Der Artikel ist nur Kennzeichen dafür, dass (unter Einbezug des Textes) eine definite Nominalphrase gegeben ist. Der Un- terschied zwischen den beiden Artikeln muss mittels eines anderen Merkmals (z.B. intrinsisch versus phorisch) gekennzeichnet werden. Eine etwas häretische Alternative zu diesen Abgrenzungsversuchen bestünde in der Annahme, dass kein konstitutives Merkmal für Artikel und Demonstrativa besteht, da zwischen Artikel und Demonstrativum nicht von scharfen Grenzen ausgegangen werden kann. Vielmehr könnte ein Kontinuum angenommen werden, das sich von deiktisch-definit über phorisch-definit zu intrinsisch-definit erstreckt. Die verschiede- nen Formen wären auf diesem Kontinuum verteilt mit unterschiedlich grossem Wir- kungsfeld. Jede Form hätte zudem eine „Kernkompetenz“ und eine „Randkompetenz“. 198 6. Zusammenfassung und vorläufiges Fazit Eine rein terminologische Lösungsstrategie wäre die Annahme, dass die Abgrenzung hinfällig ist, da es nur Artikel gibt: – intrinsisch-definiter Definitartikel – phorisch-definiter Definitartikel – distanzneutraler Demonstrativartikel – distanzmarkierter Demonstrativartikel Im Schweizerdeutschen handelt es sich beim intrinsisch-definiten Definitartikel um den reduzierten Artikel, beim phorisch-definiten Definitartikel um den vollen Artikel, der distanzneutrale und der distanzmarkierte Demonstrativartikel fallen formal zu- sammen – inhaltlich wird der Demonstrativartikel distanzneutral klassifiziert in nicht kontrastiven Kontexten und distanzmarkiert im direkten Vergleich mit dese ‘jener’. Im Standarddeutschen existiert der intrinsisch-definite Definitartikel nur in Verschmel- zungsformen, der phorisch-definite Definitartikel ist der gewöhnliche Artikel, bei den Demonstrativartikeln gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder ist dér der distanzneu- trale Demonstrativartikel und dieser der distanzmarkierte oder beide können beide Funktionen einnehmen (dér distanzmarkiert allerdings nur mit hier, dort). Zum Schluss soll neben diesen terminologischen Überlegungen die konkrete Abgren- zung zwischen den Formen auf den verschiedenen grammatischen Ebenen (Phonolo- gie, Morphologie, Syntax, Semantik) und der jeweilige grammatische Status der ein- zelnen Paradigmen noch einmal in konzentrierter Form zusammengefasst werden. 6.2.2. Reduzierter Artikel – Voller Artikel Nicht alle Grenzen zwischen reduziertem Artikel und vollem Artikel sind gleich schwer zu ziehen. Einerseits bestehen Unterschiede zwischen der Morphophonologie, der Syn- tax und der Semantik, andererseits sind nicht alle Formen des Paradigmas gleich stark von der Abgrenzungsproblematik betroffen. 6.2.2.1. Phonologie und Morphologie Die morphophonologischen Grenzen zwischen den reduzierten Formen und den vollen Formen sind zwar nicht immer einfach zu ziehen. Allerdings muss unterschieden wer- den zwischen den Formen in ihrem mündlichen Gebrauch und den Formen in ihrer Verschriftlichung. Während der Gebrauch der Formen ein relativ geringes Problem darstellt und die Grenzen zwischen dem reduzierten Artikel und dem vollen Artikel 199 6. Zusammenfassung und vorläufiges Fazit in den allermeisten Fällen problemlos gezogen werden können (Details vgl. unten), kommt es bei der Verschriftlichung zu schwerwiegenderen Problemen. Häufig kann nicht oder kaum entschieden werden, welche Form durch welche Verschriftlichung re- präsentiert wird. Dieser Umstand hat eine schriftliche Befragung der einschlägigen Formen erschwert und die Auswertung der Daten aus den Fragebogen für die SADS-Befragung teilwei- se unmöglich gemacht (vgl. Kapitel 4.2.1.1). Linguistisch ungeschulte Personen legen zwar bei der Verschriftlichung der Formen meistens sehr wohl eine grosse Konsistenz an den Tag, sie berücksichtigen aber bei der Wahl der Vokale keine morphophonologi- schen Regeln der Verschriftlichung. Für gewöhnlich sind weder die Dieth-Schrift als Verschriftlichungsgrundlage noch das IPA-System oder andere Möglichkeiten der sys- tematischen und reidentifizierbaren Verschriftlichung bekannt. Da die meisten Per- sonen aber eine starke Intuition bezüglich der (idiosynkratischen) Verschriftlichung aufweisen, stellt meist auch die Vorgabe von Verschriftlichungsregeln keinen gangba- ren Weg dar. Der Versuch, die Verschriftlichungen zu deuten, wird zusätzlich dadurch erschwert, dass zwischen den verschiedenen Dialekten diesbezüglich Unterschiede be- stehen (vgl. zu den Dialektunterschieden Kapitel 4.1): Die Verschriftlichung dä bei- spielsweise kann je nach Dialekt die volle oder die reduzierte Form darstellen. Gleichwohl sind insgesamt nur eine Minderheit der Formen betroffen. Phonologisch und morphologisch gibt es zwischen den einzelnen Formen des Paradigmas grosse Un- terschiede. Mit einem Blick auf die verschiedenen Formen ergibt sich konkret das Bild in Tabelle 6.2. Mask. Fem. Neutr. Nom. / Akk. Sing. de / dä d(i) / di(e) (d)s / das Dat. Sing. em / däm de / dere em / däm Nom. / Akk. Plur. d / di(e) d(i) / di(e) d / di(e) Dat. Plur. de / dene de / dene de / dene Tabelle 6.2.: Phonologisch-morphologische Abgrenzung Problematisch sind einzig die Formen für Nom. / Akk. Sing. Mask., bei den übrigen Formen sind die morphophonologischen Unterschiede in der Regel (und für die ver- 200 6. Zusammenfassung und vorläufiges Fazit schiedenenen Dialekte) für eine klare Grenzziehung genügend gross.4 Zusätzlich un- terstützt wird die Grenzziehung dadurch, dass die reduzierten Formen – nicht aber die vollen Formen – häufig durch ihre Umgebungswörter umgedeutet werden oder mit diesen verschmelzen. Dadurch wird die morphophonologische Distanz zusätzlich ver- grössert: (1) a. pFrou versus di Frou die-Frau versus die Frau b. i Gaarte versus i dä Gaarte in-den Garten versus in den Garten c. uffm Boum versus uff däm Boum auf-dem Baum versus auf dem Baum Bei denjenigen Fällen, in denen eine Grenzziehung anhand der morphophonologischen Unterschiede möglich ist, kann bei der Verschriftlichung allerdings ein weiteres er- schwerendes Moment dazukommen: Durch die vorherrschene Präsenz der Standard- sprache als Schriftsprache kann es bei der Verschriftlichung von gesprochener Spra- che im Schweizerdeutschen zu einer Interferenz durch die standarddeutschen Formen kommen. Die Konkurrenz der beiden konfligierenden Grundtendenzen bei der Ver- schriftlichung von gesprochener Sprache – einerseits so nahe an der gesprochenen Sprache wie nötig, anderseits so nahe an der geschriebenen Sprache wie möglich (und damit einfacher zu verstehen) – wird im Falle des Schweizerdeutschen häufig zuguns- ten der Nähe zur Schriftsprache entschieden.5 Anders verhält es sich hingegen bei der Interpretation von gesprochener Sprache. In diesem Falle ist die Grenzziehung zwischen den reduzierten Formen und den vollen Formen im ganzen Paradigma fast immer unproblematisch. Aus diesem Grund han- delt es sich bei der Datenbasis für diese Arbeit zu einem grossen Teil um mündlich gewonnene Daten. 4Die reduzierte Form d wird vor Adjektiven, wie gezeigt wurde, zu di. In diesem Fall fällt die reduzier- te Form in einigen Dialekten mit der vollen Form zusammen. Aus diesem Grund müssen alle Daten unberücksichtigt bleiben, bei denen di vor einem Adjektiv steht. 5Dieth wählt hier den goldenen Mittelweg, indem er einen Kompromiss zwischen den beiden Tendenzen anstrebt (vgl. zur Gegenüberstellung weiterer Positionen Nübling 1992:315ff.). 201 6. Zusammenfassung und vorläufiges Fazit 6.2.2.2. Syntax und Semantik In der Literatur zu doppelten Artikelparadigmen in deutschen Dialekten wird teilwei- se behauptet, dass zwischen der semantisch-syntaktischen Verteilung der beiden For- men kein Unterschied besteht (vgl. Vater 1979, Schaub 1979, Dedenbach 1987). Ich ar- gumentiere wie andere (vgl. z.B. Heinrichs 1954, Hartmann 1978, 1982, Ebert 1971a, 1971b u.a.) dafür, dass sehr wohl ein Unterschied besteht zwischen der semantisch- syntaktischen Verteilung doppelter Artikelparadigmen.6 Wie gezeigt, handelt es sich bei den beiden Artikelformen nicht um in jedem Kontext austauschbare Varianten, vielmehr unterscheiden sie sich in ihrer semantischen Funktion und damit in den syn- taktischen Kontexten, in denen sie auftreten. Die Abgrenzungsproblematik betrifft in diesen Fällen jedoch weniger die Unschärfe der semantischen Bestimmung, als viel- mehr die Ambiguität der Kontexte: Häufig können Kontexte auf verschiedene Arten gedeutet werden, so dass die eine Interpretation den reduzierten Artikel verlangt, die andere Interpretation hingegen den vollen.7 Während die Grundunterscheidung zwischen den beiden Paradigmen anhand der Da- ten zweifelsfrei gefunden werden kann, gibt es Einzelfälle, die nicht ganz einfach zu- zuordnen sind oder bei denen sich die beiden Paradigmen zu überschneiden scheinen. Ziel dieser Arbeit ist es, diese Spezialfälle unter die Lupe zu nehmen und eine Klas- sifizierung zu finden, die auch Spezialfälle klar zuordnen kann. Die Beschreibung der Normalverteilung und der Spezialverteilung wurde in den Kapiteln 3.3.2 und 3.3.3 vorgenommen. Neben der Beschäftigung mit den semantischen und syntaktischen Kontexten, in de- nen die beiden Artikelparadigmen auftreten, soll ausserdem untersucht werden, ob sich die syntaktische Struktur von Nominalphrasen mit dem reduzierten Artikel von der syntaktischen Struktur von Nominalphrasen mit dem vollen Artikel unterschei- det. Ein Analysevorschlag dazu wird im zweiten Teil meiner Arbeit vorgestellt. 6.2.2.3. Status Bei der Abgrenzung zwischen reduziertem und vollem Artikel interessiert auch der morphophonologisch-syntaktische Status der beiden Formen: Handelt es sich um freie 6Die meisten hier zitierten Autoren und Autorinnen behandeln entweder andere deutsche Dialekte oder andere Sprachen. Häufig handelt es sich bei den „Artikelparadigmen“ um Vollformen und Verschmel- zungsformen (und nicht um freie Reduktionsformen) - wie in Kapitel 5.1 und Kapitel 5.2 beschrieben wurde. 7Auch dies war bei der Befragung ein Problem, da zur genauen Analyse der Verwendungskontexte Mini- malpaare gebildet werden müssen, die bezüglich ihres minimalen Unterschieds keinen Zweifel zulassen. 202 6. Zusammenfassung und vorläufiges Fazit Wörter, um Klitika oder um Affixe? Wie gezeigt wurde, erfüllt der volle Artikel die Kri- terien des freien Wortes, beim reduzierten Artikel handelt es sich um ein Klitikon. Bei einer genaueren Klassifizierung fällt der reduzierte Artikel unter die spezielle Klise, die je nach Kontext zur M-Klise oder zur S-Klise tendiert (vgl. Nübling 1992). Die Kri- terien zur Klassifizierung des Artikels als Affix (entweder als flektierende Präposition oder als Noun Marker) sind im Schweizerdeutschen nicht erfüllt. 6.2.3. Voller Artikel – Demonstrativum Die Grenze zwischen dem vollen Artikel dä, di, das und dem Demonstrativum dää, die, daas ist aus verschiedenen Gründen nicht einfach zu ziehen. Erstens haben die bei- den Formen eine sehr grosse morphologische Nähe, sie unterscheiden sich nur durch Dehnung und Betonung. Zweitens können sie in ähnlichen Kontexten auftreten, und es gibt einige semantische Überschneidungen zwischen den beiden Paradigmen. 6.2.3.1. Phonologie und Morphologie Da das schweizerdeutsche Demonstrativum für standarddeutsches dieses denselben Wortstamm aufweist wie der volle Artikel, beruht der Unterschied zwischen diesen beiden Paradigmen einzig auf der Betonung und Dehnung des Demonstrativums. Die- ser Umstand macht eine genaue Abgrenzung schwierig. Allerdings bestehen auch hier Unterschiede bei den verschiedenen Formen des Paradigmas: Während sich die For- men für Maskulinum und Neutrum Singular nur in der Betonung und Dehnung un- terscheiden, weist das Femininum und der Nom. Plural aller Geschlechter zumindest in einigen Dialekten eine etwas grössere morphophonologische Distanz auf: di versus die. Aber auch hier ist der Fall nicht ganz so eindeutig: Di ist zwar tatsächlich aus- schliesslich die Form für den Artikel, aber die stellt nicht ganz so eindeutig immer die Demonstrativ-Form dar. Die Möglichkeit der Ergänzung eines verstärkenden Elemen- tes wie do ‘da’ oder döt ‘dort’ hilft dabei leider auch nicht weiter, da diese periphrasti- schen Konstruktionen sowohl mit dem Artikel als auch mit dem Demonstrativum auf- treten. Ähnlich wie bei der Unterscheidung zwischen reduziertem Artikel und vollem Artikel besteht allerdings auch hier ein grosser Unterschied im konkreten Gebrauch und in der Verschriftlichung der beiden Paradigmen: Während bei der Verschriftli- chung eine grosse Nähe konstatiert werden muss, ist die Dehnung und Betonung des Demonstrativums im konkreten Gebrauch gut erkennbar. 203 6. Zusammenfassung und vorläufiges Fazit 6.2.3.2. Syntax und Semantik Genau wie bei der Abgrenzung zwischen reduziertem Artikel und vollem Artikel kann auch hier gefragt werden, ob sich die beiden Paradigmen in ihrer semantisch-pragma- tischen Funktion unterscheiden. Es konnte aufgezeigt werden, dass der volle Artikel in phorischen und das Demonstrativum in deiktischen Kontexten verwendet wird. In Ausnahmefällen kann der volle Artikel deiktisch und das Demonstrativum eventuell auch phorisch verwendet werden. Zudem konnte eine Spezialfunktion des deiktischen resp. des intrinsischen Gebrauchs eruiert werden: die problematisch/emotional int- rinsische Funktion, bei der eine auf- oder abwertende Zusatzbedeutung ausgedrückt werden kann (vgl. die Funktionsfelderanalyse in Kapitel 3.3). 6.2.3.3. Status Bei der Abgrenzung zwischen vollem Artikel und Demonstrativum kann nach dem grammatischen Status der beiden Paradigmen gefragt werden. Traditionell gramma- tisch steht die Frage im Raum, ob es sich bei den beiden Formen um Begleiter oder Stellvertreter handelt: Der Artikel wird traditionell als Begleiter des Nomens, als at- tributiv oder adjektivisch klassifiziert, das Demonstrativum wird als Stellvertreter des Nomens, als pronominal oder substantivisch bezeichnet. Zwar ist diese Klassifizierung nützlich, sie weist aber verschiedentlich Mängel auf. Erstens wird der Artikel in der Grammatik zu den Pronomen gerechnet, obwohl er nach dieser Klassifizierung gerade kein Pronomen sein sollte. Zweitens wird nicht unterschieden zwischen echt pronomi- nal/substantivisch und elliptisch. Drittens kann der Artikel teilweise auch pronomi- nal/substantivisch und das Demonstrativum auch attributiv/adjektivisch verwendet werden. Viertens ist die Terminologie aus generativer Sicht verfehlt, da in Folge der DP-Hypothese der Artikel den Kopf der Nominalphrase bildet und deshalb nicht als Begleiter bezeichnet werden kann. Für eine generative syntaktische Analyse stellt sich zudem die Frage, um welchen syntaktischen Status es sich bei den beiden Paradigmen handelt. Zwei Möglichkeiten werden diskutiert: Entweder handelt es sich bei beiden um Köpfe oder der Unterschied besteht darin, dass der Artikel einen Kopf, das Demonstrativum jedoch eine Phrase darstellt. Dies wird Gegenstand des zweiten Teils meiner Arbeit sein. 204 6. Zusammenfassung und vorläufiges Fazit Nachdem ich im ersten Teil meiner Arbeit die verschiedenen Artikelparadigmen des Schweizerdeutschen mit ihren unterschiedlichen Gebrauchsweisen dargelegt habe, wer- de ich im zweiten Teil untersuchen, ob die verschiedenen Paradigmen und/oder die ver- schiedenen Funktionen in der syntaktischen Struktur der Nominalphrase einen Nie- derschlag finden. Für eine MSSK (Morphologie-Semantik-Syntax-Korrelation) wäre es wünschenswert, wenn sich der Unterschied in Form und Funktion von Artikelparadig- men in einem Unterschied in der syntaktischen Struktur wiederfinden würde. Für die Beantwortung dieser Frage wird die Generative Grammatik (Government- Binding nach Chomsky 1981, 1986 resp. Minimalistisches Programm nach Chomsky 1995a, 1995b, 2001, 2006) als Theorierahmen verwendet. Bevor Analysevorschläge für die Daten des schweizerdeutschen Artikelsystems vorgestellt werden, wird ein kurzer Abriss zur Idee und Entwicklung der Generativen Grammatik gegeben. Ausserdem wird eine kurze Replik zur Entwicklung der Nominalphrasenanalyse und zur Inter- pretation der grammatischen und semantischen Funktion der Kategorie DET, deren prototypischer Vertreter der Artikel darstellt, gegeben. Von besonderem Interesse ist dabei die Definition von Definitheit und deren Abgrenzung vom Konzept der Spezifizi- tät. Für die Bestimmung dieser beiden Konzepte werden Antworten aus der Analyti- schen Sprachphilosophie beigezogen. Obwohl ich die Grundidee und die Grundbegriffe der Generativen Grammatik als Ein- stieg in den zweiten Teil meiner Arbeit referiere, empfehle ich für das Verständnis der Analysen Einführungen wie Haegeman (1994), Webelhuth (1995), Radford (1997), Grewendorf (2002), Boeckx (2008), Sternefeld (2006) oder Bo⇥ković & Lasnik (2007). 205 Teil II. Artikelparadigmen: Syntaktisch-semantische Analyse 206 7. Das Grammatikmodell 7.1. Platons Problem1 7.1.1. Kognitives Wissen: Autonomie und Modularität Anders als traditionelle Grammatiken proklamiert die Generative Grammatik neben der Beschreibungsadäquatheit zusätzlich Erklärungsadäquatheit als eines ihrer Haupt- anliegen. Sprachdaten werden nicht als reiner, bloss zu beschreibender Output ver- standen und der Geist wird nicht behavioristisch als black box behandelt. Vielmehr war und ist es Ziel, die kognitiven Sprachfähigkeiten des Menschen zu entschlüsseln und die Sprachdaten anhand dieser zu erklären. Die für dieses Programm verant- wortliche so genannte kognitive Wende ist insbesondere als Umkehr und Gegenbewe- gung zum Behaviorismus zu verstehen. Der Behaviorismus ging davon aus, dass der menschliche Geist eine ununtersuchbare black box ist, und dass einzig der Output – verstanden als Produkt eines Reiz-Reaktionsschemas – linguistischer Untersuchung offen steht. Gegen diese Auffassung tritt Chomsky in seiner frühen Schrift A Review of B.F. Skinner’s Verbal Behavior (1959) an: Um die sprachlichen Fähigkeiten eines Menschen beschreiben und erklären zu können, ist es unumgänglich, nach deren ko- gnitiven Realität zu fragen und neben dem sprachlichen Output auch den Geist zu untersuchen. Dieses Anliegen bleibt (als biolinguistisches Programm) – neben dem Ziel, verschiedenste Sprachen zu untersuchen und zu vergleichen und der Ausarbei- tung eines dafür brauchbaren Theorieapparates – auch in der Folge und bis heute im Zentrum des Interesses. Chomsky (1986b) beruft sich auf der Suche nach der kognitiven Realität des menschli- chen Sprachwissens auf Platons Problem: Platon zeigt in seinem Dialog Menon anhand eines Sklaven, der ohne geometrische Kenntnisse in der Lage ist, ein Quadrat der Flä- che 2n aus einem Quadrat der Fläche n zu konstruieren, dass der Mensch gänzlich unabhängig von seiner Erfahrung und seinem Bewusstsein unzugänglich (so genannt implizit oder tacit) über angeborenes kognitives Wissen verfügt.2 1Vgl. zur Grundidee der Generativen Grammatik ausführlicher z.B. Chomsky & Lasnik (1993), Fanselow & Felix (1987a), Stechow & Sternefeld (1988), Grewendorf et al. (1987). 2„In dem Nichtwissenden also sind von dem was er nicht weiß dennoch richtige Vorstellungen.“ (Menon, 85c) 207 7. Das Grammatikmodell Dieses Wissen bezieht sich auf verschiedene kognitive Fähigkeiten, wie z.B. mathe- matisches oder geometrisches Wissen. Die Sprachfähigkeit stellt dabei eine kognitive Fähigkeit unter anderen dar: Bei der Beschreibung der menschlichen Sprachfähigkeit wird eine so genannte Autonomiehypothese angenommen, die besagt, dass die Sprach- fähigkeit des Menschen von den allgemeinen kognitiven Fähigkeiten unabhängig ist. Zusätzlich wird eine Modularitätshypothese postuliert, die besagt, dass die Sprach- fähigkeit modular aufgebaut ist, dass es unterschiedliche Komponenten für unter- schiedliche Kompetenzen gibt. Diese Komponenten spielen in einer Weise zusammen, die eine umfassende sprachliche Kompetenz erst möglich macht. Evidenz für die Autonomiehypothese und die Modularitätshypothese kommt erstens aus dem Spracherwerb und zweitens aus der Aphasieforschung. Der Spracherwerb findet unabhängig vom Erwerb anderer kognitiver Fähigkeiten statt und kann unab- hängig von anderen kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigt sein. Dies spricht für ei- ne Autonomie der Sprachfähigkeit. Bei Spracherwerbsstörungen können unterschied- liche Komponenten der Sprache betroffen sein (Sprachverstehen, Sprachproduktion etc.). Dies spricht für einen modularen Aufbau der Sprachfähigkeit. Die Aphasiefor- schung zeigt, dass gänzlich unterschiedliche Aphasietypen (mit unterschiedlicher Lo- kalisierung der Läsion im Gehirn) auftreten, die ganz unterschiedliche Teile der Spra- che betreffen (Sprachproduktion, Sprachverstehen, Grammatik, Wortvertauschungen oder Wortfindungsstörungen). Die Sprachstörung tritt zudem unabhängig von Beein- trächtigungen anderer kognitiver Fähigkeiten auf. Dieser Umstand deutet ebenfalls darauf hin, dass die Sprache autonom ist. 7.1.2. Universalgrammatik Die Annahme einer angeborenen Sprachfähigkeit beruht auf der Tatsache, dass der Er- werb und der Gebrauch von Grammatikwissen ohne Zuhilfenahme einer solchen nur schwer erklärbar ist. Das so genannte logische Spracherwerbsproblem deutet darauf hin, dass der menschliche Geist kein unbeschriebenes Blatt (keine so genannte tabula rasa) sein kann und dass nur eine Angeborenheitshypothese die Frage beantworten kann, wie Grammatik so schnell, mühelos und quasi „nebenher“ gelernt werden kann. Verschiedene Fakten beim Spracherwerb zeigen auf, dass es sich nicht einfach um Nachahmung handeln kann, sondern dass der Erwerb einer ausgereiften Grammatik auf der Grundlage von bereits angeborenen Sprachfähigkeiten stattfinden muss: Der Input ist in verschiedenen Aspekten unzulänglich (poverty of stimulus). Erstens ist er in Bezug auf seine Quantität unterdeterminiert, da er endlich ist und deshalb nie alle verschiedenen Konstruktionstypen, geschweige denn alle möglichen Äusserungen ent- halten kann, die ein Kind in seinem Leben (virtuell) produzieren könnte. Zweitens ist 208 7. Das Grammatikmodell er in Bezug auf seine Qualität unterdeterminiert, da es nicht möglich ist aufgrund von gehörten realen Sprachdaten (induktiv) auf die zugrundeliegenden Regeln zu schlies- sen. Drittens ist er oft degeneriert durch hohes Sprechtempo, undeutliche Aussprache, Versprecher und dergleichen, ohne dass das Kind darauf hingewiesen wird. Viertens fehlt negative Evidenz, d.h. dem Kind wird nicht mitgeteilt, wenn es einen Fehler gemacht hat. Nichtsdestoweniger lernt ein Kind mit erstaunlicher Geschwindigkeit (binnen weniger Jahre) die Grammatik seiner Muttersprache. Dass der natürliche Erstspracherwerb ein Teil eines genetisch fixierten Bioprogramms ist, wird dadurch nahegelegt, dass es nur dann zur Ausbildung einer vollständigen Kompetenz kommt, wenn der Erwerb in einem eng begrenzten Zeitfenster (bis zum vierten oder fünften Lebensjahr) stattfindet. Da der Spracherwerb zudem eine grosse Systematizität auf- weist (die Fehler, die ein Kind produziert, sind nicht einfach willkürlich, sondern wei- sen bestimmte Muster auf) und in verblüffender Einheitlichkeit verläuft (verschiedene Kinder lernen verschiedenste Sprachen in sehr ähnlicher Art und Weise), liegt es nahe, eine angeborene Sprachfähigkeit anzunehmen. Zusätzliche Evidenz für eine angeborene Universalgrammatik liefert die Untersuchung von so genannten Pidgin- und Kreol-Sprachen. Wo Menschen verschiedenster Sprach- herkunft zusammenkommen und darauf angewiesen sind, rasch miteinander kommu- nizieren zu können, bilden sich Pidginsprachen, einfache Behelfssprachen ohne Funk- tionswörter und ohne grammatische Regeln. Lernen Kinder von pidginsprechenden Eltern Pidgin als Muttersprache, so kommt es zu einem verblüffenden Phänomen: Der Behelfssprache wird eine vollständige Grammatik unterlegt, so dass innerhalb einiger Generationen eine neue Sprache entsteht, die in Bezug auf ihre grammati- sche Komplexität und Ausgereiftheit einer anderen Sprache in nichts nachsteht – ei- ne Kreolsprache ist entstanden. Dieser Umstand macht deutlich, dass Spracherwerb nicht bloss Nachahmung ist, sondern dass eine angeborene Fähigkeit mit im Spiel sein muss. Aus all diesen Gründen scheint es naheliegend und gerechtfertigt, eine angebo- rene Universalgrammatik anzunehmen.3 Wie die Universalgrammatik auszusehen hat, wird seit den Anfängen und bis heute unterschiedlich beantwortet. So gab es im Laufe der Zeit verschiedene Änderungen des generativen Theorieapparates. Es werden grob drei durch Chomsky induzierte Theoriestufen unterschieden: die frühe Generative Transformationsgrammatik, auch Standardtheorie genannt (vgl. Chomsky 1957 und 1965, Lees 1960), die Government- Binding-Theorie (Chomsky 1981, 1982 und 1986b) und das Minimalistische Programm 3Dennoch wird die Generative Grammatik von verschiedenen Seiten heftig kritisiert, einerseits von alternativen linguistischen Theorien wie z.B. der kognitiven Linguistik oder dem Konnektionismus, an- dererseits von sprachphilosophischen Theorien in der Tradition Wittgensteins (vgl. etwa Kripke 1982). 209 7. Das Grammatikmodell (Chomsky 1993, 1995b). Neueste minimalistische Weiterentwicklungen finden sich in Chomsky (1995a, 1995b, 2001, 2006). 7.2. Von der Standardtheorie zum Minimalismus4 7.2.1. Standardtheorie: Transformationsgrammatik5 In den Anfängen der Generativen Grammatik (Chomksy 1957, 1965) wird davon aus- gegangen, dass die Universalgrammatik aus einer kleinen lexikalischen Basis und zahlreichen so genannten Phrasenstrukturregeln (PS-Regeln) und Transformations- regeln besteht. Phrasen werden mittels verschiedener PS-Regeln gebildet und kön- nen aus dieser so erzeugten (zugrundeliegenden) Tiefenstruktur (D-Struktur) mittels Transformationen (Harris 1951) in verschiedene Oberflächenstrukturen (S-Strukturen) transformiert werden. Für jede Konstruktion wird eine eigene Transformationsregel bereitgestellt: In early work in generative grammar it was assumed, as in traditional grammar, that there are rules such as ‘passive’, ‘relativization’, ‘question- formation’ etc. These rules were considered to be decomposable into more fundamental elements: elementary transformations that can compound in various ways, and structural conditions (in the technical sense of transfor- mational grammar) that are themselves formed from more elementary con- stituents. (Chomsky 1981:7) In diesem frühen Modell der Generativen Grammatik standen neben dem technischen Apparat der Phrasenstruktur- und Transformationsregeln insbesondere auch konzep- tionelle Überlegungen zur Sprachfähigkeit des Menschen im Zentrum. So wurde die Autonomie der Sprachfähigkeit diskutiert oder die Unterscheidung in Kompetenz (das prinzipielle sprachliche Können eines Idealen Sprechers) und Performanz (die Fähig- keiten in einer konkreten Sprechsituation) geprägt. Der Begriff Transformationsgrammatik wird einerseits für diese frühe Theoriestu- fe der Generativen Grammatik verwendet, da hier die Transformation eine, wenn nicht die zentrale Modell-Komponente darstellt, andererseits wird aber auch allge- mein für alle Entwicklungsstufen der Generativen Grammatik der Begriff Transfor- mationsgrammatik verwendet, um dieses Grammatikmodell von anderen, z.B. rein 4Vgl. als geschichtlichen Überblick zur Generativen Grammatik z.B. Newmeyer (1996). 5Vgl. für eine ausführlichere Darstellung dieser frühen Theoriestufe z.B. Radford (1981). 210 7. Das Grammatikmodell deskriptiven oder deklarativen Modellen abzugrenzen, die jede Struktur basisgene- rieren. Häufig wird auf diese frühe Ausprägung der Generativen Grammatik auch mit Tiefenstrukturgrammatik (da neben der Oberflächenstruktur von Sätzen und Phrasen eine Tiefenstruktur angenommen wird), mit Standardtheorie (in Abgrenzung zu den folgenden Theoriestufen der Erweiterten Standardtheorie (1960-70) und der Revidier- ten Erweiterten Standdardtheorie (1970-80)) oder mit Aspekte-Modell (in Anlehnung an Chomskys für diese Theoriestufe relevante Werk Aspects of the Theory of Syntax) referiert (vgl. Figur 7.1). Syntaktische Komponente Basis Transformationsregeln (Phrasenstrukturregeln, Lexikon) Tiefenstruktur Oberflächenstruktur Semantische Phonologische Komponente Komponente Semantische Phonetische Interpretation Interpretation Abbildung 7.1.: Aspekte-Modell 7.2.2. P&P-Modell I: Government-Binding6 Da das Aspekte-Modell bei der Behandlung von nicht englischen Sprachen versagte und nicht zuletzt auch aus konzeptionellen Gründen, kommt es zu einer Umorientie- rung der Theorie (Erweiterte Standardtheorie und Revidierte Erweiterte Standard- theorie). Die kontextsensitive und dadurch zu mächtige Transformationsgrammatik wird zugunsten eines neuen Ansatzes aufgegeben. Ausgehend von Chomsky’s Remarks on Nominalization (1970) gewinnt die Annahme an Bedeutung, dass die Universal- grammatik nicht aus zahlreichen Einzelregeln, sondern aus einigen allgemeinen Prin- zipien und dazugehörenden Parametern besteht. Aus diesem Grund wird auf diese Theoriestufe häufig mit Prinzipien-und-Parameter-Modell (P&P) referiert. Im Spra- cherwerb müssen nur die für die eigene Muttersprache geltenden Parameter gelernt 6Vgl. für eine ausführliche Diskussion dieser Theoriestufe z.B. Haegemann (1994), Fanselow & Felix (1987b), Webelhuth (1995). 211 7. Das Grammatikmodell werden. Zu diesem Zweck wird die lexikalische Basis vergrössert und die einzelnen Phrasenstrukturregeln durch ein kontextfreies Phrasenprinzip ersetzt: The obvious suggestion, then, is to separate the lexicon from the syntax, as a separate component; syntactic phrase structure rules are then context-free, so that their possible variety is sharply reduced. (Chomsky 1986b:80) Die Reduzierung der zahlreichen Transformationsregeln geht Hand in Hand mit einer stärkeren Gewichtung des Lexikons. Erstens wird dieses nun als eigenständige Kom- ponente des Syntaxmodells konzipiert und zweitens übernimmt das Lexikon durch seinen Subkategorisierungsrahmen einen Teil der „Grammatik“, wodurch kontextfreie Strukurregeln möglich werden. Aufgrund dieser Aufwertung des Lexikons wird hier auch von der lexikalistischen Hypothese (im Gegensatz zur transformationalistischen Hypothese) gesprochen. Aus diesen Grundüberlegungen resultieren die Government-Binding-Theorie (Choms- ky 1981) und die Barrieren-Theorie (Chomsky 1986a). Sie unterscheiden zwischen ver- schiedenen Komponenten: Das Modell besteht aus dem Lexikon, der Syntax, der Pho- netischen Form (PF) und der Logischen Form (LF). Das Lexikon liefert die Wörter in- klusive Subkategorisierung, die Syntax regelt die Grammatikalität der Phrase und die Beziehungen der einzelnen Phrasenteile untereinander, die PF ist für die phonetische Gestalt der Phrase zuständig und auf LF erhält sie ihre semantische Interpretation. Ausserdem ersetzen das allgemeine X-bar-Schema und die allgemeine Bewegungsre- gel move- („Bewege irgendetwas irgendwohin“) die einzelnen Phrasenstrukturregeln der Transformationsgrammatik. Durch das X-bar-Schema werden alle Phrasentypen unter dasselbe hierarchische Schema subsumiert – alle Phrasentypen sind gleich auf- gebaut, es braucht nicht für jede Phrase und jede Konstruktion eine eigene Strukturre- gel. Jede Phrase besteht aus einem Phrasenkopf, einer Komplementposition und einer Spezifiziererposition. Each lexical category X (X = N, V, A, P) heads a category X0 (X-bar) consis- ting of X and its complements. Call X0 a projection of X. We assume a further projection X00 consisting of X0 and a specifier of X0, where the specifier of N0 is the determiner (Det: articles, quantifier, possessive NP). We call X00 the maximal projection of X and X the head of X00 (and of X0); [...] (Chomsky 1981:160)7 Die lineare Abfolge von Kopf, Komplement und Spezifizierer ist im X-bar-Schema nicht festgelegt, sie unterliegt kategoriellen und sprachlichen Unterschieden. Welche 7Vgl. zu einer unabhängigen Phrasenstrukturregel auch Stowell (1981) und Jackendoff (1977). 212 7. Das Grammatikmodell Komplemente eine Phrase selegiert, wird durch den Subkategorisierungsrahmen im Lexikon oder durch das Zusammenspiel weiterer Prinzipien der GB-Theorie (Theta- Theorie, Kasusfilter, Bindung etc.)8 zusätzlich festgelegt. Da die Regel move- sehr allgemein ist, wird sie in Bezug auf den Landeplatz und die Länge der Bewegung ebenfalls durch diese Prinzipien eingeschränkt. Die wichtigen Operationen Govern- ment (Rektion) und Binding (Bindung), die die strukturellen Relationen der einzelnen Phrasenteile untereinander regeln, geben diesem Theoriemodell seine Bezeichnung. Neben den lexikalischen Kategorien Nomen, Verb, Adjektiv und Präposition werden seit dieser Theoriestufe in zunehmendem Mass funktionale Kategorien angenommen. Funktionale Kategorien haben nicht wie lexikalische Kategorien einen semantischen Gehalt, sondern in erster Linie eine grammatische Bedeutung. Durch die Einführung der funktionalen Kategorie I für Inflection (die Position für Flexion und Kongruenz) und der funktionalen Kategorie C für Complementizer (Komplementiererposition im Nebensatz und Landeplatz für die Verbbewegung im Hauptsatz) wird es möglich, auch die Kategorie Satz ins X-bar-Schema zu integrieren. Für die lexikalische Kategorie No- men wird spätestens seit Abney (1987) von der funktionalen Kategorie D für Determi- ner (die Position für den Artikel oder ein possessiv-markierendes Element) ausgegan- gen. Weitere funktionale Kategorien wie DegP (DegreePhrase als Kategorie über der AP), QP (QuantifierPhrase als Kategorie für Quantifizierung) u.ä. wurden und werden im Zuge der zahlreichen Theorieänderungen immer wieder diskutiert – einige Kate- gorien kommen neu hinzu, andere werden abgeändert, untergliedert oder auch wieder verworfen (vgl. zur Enwicklung der Nominalphrasenanalyse und ihrer diskutierten funktionalen Kategorien die Ausführungen in Kapitel 8). Vgl. für diese Theoriestufe Figur 7.2. 7.2.3. P&P-Modell II: Minimalismus9 Eine weitere Änderung erfährt das Theoriegebäudes der Generativen Grammatik im Minimalistischen Programm (Chomsky 1995a, 1995b). Im Minimalistischen Programm werden nur noch Modellkomponenten angenommen, die unbedingt notwendig sind (conceptual necessity). Die Unterscheidung von S-Struktur und D-Struktur wird aufge- geben. Das Modell besteht nur noch aus dem Lexikon, das eine Numeration von lexika- lischen Einheiten für die Verarbeitung bereitstellt, und dem Verarbeitungssystem CHL 8Vgl. die Ausführungen dazu in Chomsky (1981) oder die Einführungen von Haegeman (1994), Fanselow & Felix (1987b), Webelhuth (1995) u.a. 9Vgl. für eine ausführlichere Darstellung z.B. Radford (1997), Grewendorf (2002), Boeckx (2006), Bo⇥ko- vić & Lasnik (2007). 213 7. Das Grammatikmodell Syntaktische Komponente D-Struktur Transformationen S-Struktur PF LF Phonetische Interpretation Semantische Interpretation Abbildung 7.2.: Government-Binding-Modell (Computation of Human Language), das die Phrasen deriviert. Alle Transformationsre- geln sind durch eine einzige Operation ersetzt, die generalisierte Transformation. Die Derivation besteht aus den drei Komponenten Select, Merge und Move. Select wählt die Wörter aus dem Lexikon, Merge setzt diese zu Phrasen zusammen und Move bewegt sie, falls nötig. Das X-bar-Schema verliert an Bedeutung, da nicht mehr wie in der GB-Theorie angenommen wird, dass jeder Kopf immer zu einer Phrase projiziert und alle Positionen des X-bar-Schemas immer vorhanden sein müssen, egal ob der Kopf ein overtes Komplement oder einen overten Spezifizierer hat oder nicht (wie in Bare Phrase Structure (Chomsky 1995a) und folgenden Theoriestufen dargelegt). PF und LF bilden so genannte Schnittstellen zur phonetischen Gestalt (als artikulatorisch- phonetische Schnittstelle A-P) und zur semantischen Interpretation (als konzeptuell- intentionale Schnittstelle C-I). Dadurch, dass das komputationale System als optima- le Lösung für die Vermittlung von Form (PF) und Inhalt (LF) angesehen wird, wird die Rolle der Schnittstellen (Interfaces) gestärkt. Der Moment der phonetischen Rea- lisierung wird Spell-Out genannt. Gewisse Operationen werden overt (vor Spell-Out), andere covert (nach Spell-Out) ausgeführt. Das Ökonomieprinzip gilt auch für die De- rivation. Alle Operationen (z.B. Bewegung) finden nur statt, wenn sie nicht vermieden werden können (als Last Resort). Die mächtige Bewegungsregel move- wird zudem in Bezug auf die mögliche Distanz der Bewegung weiter eingeschränkt. Ausserdem findet Bewegung nicht mehr statt, um funktionale Merkmale abzuholen – es wird an- genommen, dass die Wörter vollspezifiziert aus dem Lexikon kommen –, sondern um diese mit den Merkmalen der jeweiligen funktionalen Kategorie abzugleichen (zu che- cken) und anschliessend zu löschen. Gecheckt und gelöscht werden nur Merkmale, die mit den Merkmalen der funktionalen Kategorie übereinstimmen (Agree). Dabei wird vom Prinzip der vollständigen Interpretation ausgegangen: Im Laufe der Derivation 214 7. Das Grammatikmodell müssen alle nicht interpretierbaren bzw. redundanten Merkmale gecheckt und getilgt werden. Dabei wird zwischen starken und schwachen Merkmalen unterschieden. Star- ke Merkmale müssen bereits in der overten Syntax, schwache Merkmale können auch erst in der coverten Syntax gecheckt werden. Enthält eine Phrase uninterpretierbare Merkmale, so kommt es zu einem Crash – die Derivation ist ungrammatisch. Erfüllt sie hingegen die Forderung der vollständigen Interpretation, so konvergiert die Phrase. Vgl. für diese Theoriestufe Figur 7.3. Lexikon (Numeration) Select Merge Move Spell-Out PF LF Abbildung 7.3.: Minimalismus-Modell 7.2.4. Neueste Entwicklungen In der Folge des Minimalistischen Programms sind weitere verschiedene Entwicklun- gen und Richtungsänderungen vorgenommen worden. Direkt im Anschluss an das Minimalistische Programm (Chomsky 1993, 1995b) wurde in Bare Phrase Structure (Chomsky 1995a) der Phrasenaufbau, wie er im Minimalismus angedacht wurde, aus- gearbeitet. Das X-bar-Schema der GB-Theorie wurde im Hinblick auf verschiedene konzeptionelle und empirische Mängel verworfen. Es wurde dafür argumentiert, dass Phrasen gerade nicht nach dem X-bar-Schema aufgebaut werden. Als wichtigster Un- terschied zwischen dem Konzept des X-bar-Schemas und der Bare-Phrase-Struktur kann der Umstand gelten, dass BP-Strukturen strikt derivationell, X-bar-Strukturen hingegen repräsentationell sind: Beim X-bar-Schema steht die Struktur immer schon bereit (inklusive Komplement- und Spezifizierer-Stelle), bei der BP-Struktur hinge- gen wird die Struktur Schritt für Schritt aufgebaut – und zwar immer nur soviel, wie tatsächlich benötigt wird. Aus diesem Grund gibt es in BP-Strukturen auch kei- ne Leerstellen und der Unterschied zwischen Kopf und Phrase verliert an Bedeutung, da ein lexikalisches Element (wenn es keine Komplemente und keine Spezifizierer hat) gleichzeitig Kopf und Phrase sein kann (d.h. es sind nicht nur binär-verzweigende, son- 215 Derivation 7. Das Grammatikmodell dern auch nicht verzweigende Knoten möglich). Im folgenden Beispiel wird die Phrase der Hund nach X-bar-Schema (in der Baumstruktur a.) und nach BP-Struktur (in der Baumstruktur b.) dargestellt: (1) a. DP b. DP D NP/N Spec D0 der Hund D NP der Spec N0 N XP Hund Als Alternative zu BP-Strukturen wurde von Kayne (1994) eine radikale Neuerung des X-bar-Schemas in Form des LCA (Linear Correspondence Axiom) vorgeschlagen: Es wird angenommen, dass Phrasenstrukturen strikt linear aufgebaut sind, indem der Kopf immer genau ein Komplement und ein Adjunkt besitzt und das Komple- ment immer rechts des Kopfes generiert wird und das Adjunkt immer links. Das allge- meinere Konzept des Adjunkts ersetzt das Konzept des Spezifizierers: Es gibt keinen strukturellen Unterschied mehr zwischen Adjunkten und Spezifizierern. Die Ordnung Spezifizierer-Kopf-Komplement soll für alle Phrasen in allen Sprachen gelten. Sie wird durch ein antisymmetrisches C-Kommando gesteuert: (2) X c-kommandiert Y asymmetrisch, gdw. a. X c-kommandiert Y b. Y c-kommandiert X nicht Dies impliziert, dass alle terminalen Knoten, die von X dominiert werden, allen ter- minalen Knoten, die von Y dominiert werden, linear vorangehen: „Let X, Y be non- terminals and x, y terminals such that X dominates x and Y dominates y. Then if X asymmetrically c-commands Y, x precedes y“ (Kayne 1994:33). 216 7. Das Grammatikmodell Die Konsequenzen einer Antisymmetrie-Hypothese sind insbesondere für Sprachen, die oberflächlich keine Adjunkt-Kopf-Komplement-Struktur aufweisen, durch die strik- te Abfolgeregelung immens: Jede Struktur, die vom LCA abweicht, muss durch Bewe- gung entstanden sein, d.h. es braucht eine Vielzahl von zusätzlichen Transformati- onsregeln, die die Oberflächenstrukturen erklären können. Aus diesem Grund gibt es (gerade für Sprachen wie das Deutsche) heftigen Widerstand gegen Kaynes Antisym- metrie: Das Deutsche (wie alle anderen Sprachen auch) muss dieser Theorie zufol- ge eine Subjekt-Verb-Objekt(SVO)-Sprache sein. Es versteht sich von selbst, dass wir dieser Extremposition nicht gefolgt sind. Die Begründung hierfür kann aber keine rein empirische sein: Das Problem der Abstraktheit besteht ja gerade darin, dass Liebhaber von Extremsportarten soviel Strukturver- änderungen in (m.E. empirisch ansonsten unmotivierte) Bewegungstrans- formationen stecken, dass die D-Struktur einer empirischen Verifizierung nicht mehr zugänglich ist. (Sternefeld 2006:311) Da Rechtsadjunktionen (und Rechtsverschiebungen) durch das LCA ausgeschlossen sind, entstehen weitreichende Konsequenzen z.B. für die Relativsatzanalyse: Rela- tivsätze können nicht, wie in der Standardanalyse angenommen wurde, rechts an die NP adjungiert sein. Gegen Kaynes Relativsatzanalyse (mit dem Relativsatz als D- Komplement) gibt es deshalb ebenfalls zahlreiche Kritik (vgl. vor allem Borsley 1997) und sie wird insbesondere für die deutsche Relativsatzanalyse abgelehnt (vgl. Heck 2005, Salzmann 2006 und meine Ausführungen im Kapitel 9.3.2). Obwohl die morphologische Merkmalsüberprüfung als Motivation für Bewegung eine aussersyntaktische Legitimation erhält, wurde das Konzept der Bewegung in den An- fängen des Minimalistischen Programms kritisiert, da es den geforderten Ökonomie- prinzipien nicht standhalten kann und deshalb als „Unvollkommenheit“ des Sprach- systems abgetan werden müsse (vgl. z.B. Grewendorf 2002:153f. oder Chametzky 2000: 115f). Aus diesem Grund wurde die Operation Move als internal Merge (im Gegensatz zu external Merge) reformuliert: Da Move immer schon eine strukturell bereitstehende Leerstelle als Landeplatz suggeriert, passt diese Operation nicht in ein Theoriegebäu- de, das davon ausgeht, dass Phrasenstrukturen nicht von vornherein (repräsentatio- nell) in Form des X-bar-Schemas vorhanden sind, sondern Schritt für Schritt im Laufe der Derivation aufgebaut werden. Durch diese Umformulierung rückt internal Merge sowohl begrifflich als auch konzeptionell in die Nähe der Operation (external) Merge, welche ohne Kosten (und dadurch mit dem Ökonomieprinzip konform) abläuft. 217 7. Das Grammatikmodell Anknüpfend an frühere Vorstellungen über ein zyklisches Prinzip, wonach CP und NP (und eventuell auch PP, vgl. Riemskdijk 1978) „Zyklen“ und damit Grenzknoten für Bewegung sind, wird seit Derivation by Phase (Chomsky 2001) und On Phases (Choms- ky 2006) ausserdem davon ausgegangen, dass der Strukturaufbau in Phasen vonstat- ten geht: Die durch Merge entstandenen „Struktureinheiten“ erhalten eine phoneti- sche Gestalt und eine semantische Interpretation und werden an die entsprechen- den Schnittstellen weitergegeben. Dabei wird angenommen, dass deren Information gemäss der Phase Impenetrability Condition nach dem Transfer nicht mehr zugäng- lich ist. Solche Struktureinheiten (syntaktischen Objekte) werden Phasen genannt. Als Phasen kommen auf Satzebene die CP und die im Minimalismus vorgeschlagene little vP (für so genannte light verbs) und in der Nominalphrasensyntax die DP und evt. die little nP (vgl. die Ausführungen in Kapitel 9) infrage. 7.3. Antagonismen Die einzelnen Theoriestufen haben grosse Richtungswechsel und Umstrukturierun- gen erfahren. Während gewisse Konzepte beim Übergang zu einer neuen Theoriestu- fe spurlos verschwanden, blieben einige Fragen immer wieder Diskussionsthema. So wurde z.B. die Grösse der Core Syntax, oder die Fragen, ob es sich beim Generativen Modell um ein repräsentationelles oder ein derivationelles handelt und wann und aus welchen Gründen Bewegung stattfindet, immer wieder neu und rege diskutiert und häufig oszillierte die Meinung zwischen zwei Konzepten von Theoriestufe zu Theorie- stufe. Im Folgenden werden ein paar typische Diskussionspunkte kurz aufgegriffen. 7.3.1. Von der Derivation zur Repräsentation und zurück In den Anfängen der Generativen Grammatik (in der frühen Transformationsgramma- tik) wurde ein derivationelles Modell angenommen: Sprachstrukturen wurden gene- riert und mittels Transformationen umgewandelt. Man spricht in diesem Zusammen- hang auch von Bottom-up-Prozess. Einzelne Teile werden zu wohlgeformten Phrasen und Sätzen zusammengesetzt. Aufgabe des Grammatikmodells in dieser Konzeption ist es, zu erklären, wie wohlgeformte Phrasen entstehen, oder umgekehrt, wie ungram- matische Phrasen bei der Produktion ausgeschlossen werden. In späteren Modellen (im G&B-Modell) hingegen nahm man an, dass nicht die Gene- rierung und die Transformation von Phrasen im Zentrum stehen. Vielmehr ging man davon aus, dass bereits vorhandene Sätze auf ihre Wohlgeformtheit hin überprüft wer- den müssen. Bei diesem Prozess, bei dem von Anfang an die ganze Phrasenstruktur (in 218 7. Das Grammatikmodell Form des X-bar-Schemas) vorhanden ist, handelt es sich um einen Top-Down-Prozess. Diese Konzeption bedingt ausserdem, dass Transformationen immer bedeutungserhal- tend sind. Transformationen generieren nur unterschiedliche Oberflächenstrukturen – die Sätze (und ihre Bedeutung) sind von Anfang an gegeben. Dass dies jedoch nicht so ist, zeigen zahlreiche Umformulierungsbeispiele, bei denen die Bedeutung nicht konstant bleibt. In dieser Theoristufe wird davon ausgegangen, dass ungrammati- sche Phrasen bei der Überprüfung anhand der Wohlgeformtheitsbedingungen ausge- schieden werden können. Aufgabe in diesem Modell ist es, herauszufinden, wie diese Wohlgeformtheitsbedingungen zur Überprüfung von bereits vorhandenen Strukuren formuliert werden müssen. In den neusten Ansätzen (Minimalistisches Programm, Phasentheorie) kommt es zu einem erneuten Wechsel und zu einer Rückkehr zum derivationellen Modell: Phrasen werden aus einzelnen Bausteinen durch Merge zusammengesetzt. Sie werden nicht auf ihre Wohlgeformtheit hin überprüft, ungrammatische Phrasen scheiden vielmehr bereits im Laufe der Derivation aus. 7.3.2. Die Komponenten: Alles Syntax oder was? Immer wieder rege diskutiert wurde das Verhältnis zwischen der Syntax und anderen sprachlichen Komponenten: So wie eine Autonomiehypothese und eine Modularitäts- hypothese für die Abgrenzung zwischen allgemeinen kognitiven Fähigkeiten und spe- zifischen sprachlichen Fähigkeiten formuliert wurde, wurde auch von einer Modulari- tät und einer bedingten Autonomie einzelner sprachlicher Fähigkeiten ausgegangen. Die Frage, welche Komponenten grundsätzlich angenommen werden müssen, welche dieser Komponenten „ausserhalb“ der Syntax und damit in gewissem Sinne autonom sind und welche Komponenten zur eigentlichen, enggefassten Syntax (Core Syntax) gehören, wurde im Laufe der verschiedenen Enwicklungsschritte unterschiedlich be- antwortet. Damit hängt auch die Frage zusammen, was die Generative Grammatik leisten muss oder wofür sie Theorie sein soll: Obwohl die Generative Grammatik immer schon und immer noch eine eigentliche Sprachtheorie ist, indem sie sich die Frage der kognitiven Realität von Sprache und damit verbunden die Frage der Möglichkeiten und Anforde- rungen einer Theorie für den Spracherwerb stellt und nicht bei einem engen Begriff von Grammatik haltmacht, war sie doch auch immer schon genuin eine Syntaxtheorie. Dabei schwankten die Meinungen zwischen der Annahme eines grossen, weitgefassten Grammatikbegriffs (oder einer weit gefassten Universalgrammatik, die viel beinhaltet 219 7. Das Grammatikmodell und leisten muss) und der Annahme einer kleinen Core Syntax (die weniger beein- haltet und leisten muss und durch weitere Module unterstützt wird). Trotzdem oder gerade deswegen steht immer wieder zur Diskussion, welche Komponenten auf wel- che Weise mit der Core Syntax verbunden sind. So wie bei der Phrasengenerierung in gewissen Entwicklungsschritten eine Trennung zwischen D-Struktur und S-Struktur postuliert wurde, wurde von eigenen Ebenen für die phonetische Realisierung und für die semantische Interpretation ausgegangen.10 Während es bei der D-Struktur und der S-Struktur unumstritten war, dass sie zur Syntax-Komponente gehören, ist das bei der PF- und der LF-Ebene bereits nicht mehr so eindeutig. Nimmt man einen wei- ten Syntax-Begriff an, wie das in der GB-Theorie der Fall war, werden diese beiden Ebenen zur Syntax gerechnet, bei einem eher engen Syntax-Begriff, stehen die pho- netische und die semantische Realisierung eher ausserhalb der Syntax-Komponente – wie das im Minimalismus durch den Begriff der Schnittstelle (Interface) angedeutet wird. Eine Sonderstellung in der Frage, welche sprachlichen Komponenten existieren, nimmt zweifelsohne das Lexikon ein. Neben der Frage, ob das Lexikon zur Syntax gehört oder eine eigene Komponente bildet, stehen zwei mögliche Konzepte eines mentalen Lexi- kons und seiner Interaktion mit der Syntax zur Diskussion: Entweder ist die Basis (das Lexikon) klein und ein grosser Regelapparat leistet die Hauptarbeit. Diese Konzepti- on wurde in den Anfängen der Generativen Grammatik mit der transformalistischen Hypothese (v.a. von Lees 1960) angenommen. Oder aber die Basis ist gross und leistet die Hauptarbeit, während die Regeln auf ein Minimum reduziert werden. Diese Kon- zeption liegt späteren Theoriestufen – seit der lexikalistischen Hypothese (und in einer radikaleren Weise der Lexical Functional Grammar LFG) – zugrunde. Eng mit die- ser Unterscheidung hängt die Konzeption der Lexikoneinträge zusammen: Kommen die Wörter noch roh aus dem Lexikon und werden im Laufe der Derivation morpho- syntaktisch angereichert oder stellt das Lexikon Wörter zur Verfügung, die bereits vollspezifiziert in die Derivation eintreten. Die beiden Konzepte der Merkmalsabho- lung im GB-Modell und der Merkmalsüberprüfung des Minimalismus tragen diesem Unterschied Rechnung.11 10D-Struktur und S-Struktur wurden allerdings mit dem Minimalistischen Programm als überflüssige Komponenten verworfen, was logisch aus dem strikten Derivationalismus des Minimalistischen Pro- gramms folgt. 11Beim lexikalistischen Ansatz wird die Morphologie als von der Syntax getrennte Komponente, als Sub- modul des Lexikons konzipiert. Die Distributed Morphology (Halle & Marantz 1993) lehnt diese Kon- zeption des Lexikons ab: Sie geht gerade nicht davon aus, dass vollspezifizierte Wörter in syntaktische Positionen eingesetzt werden können und damit syntaktische Köpfe mit dem Begriff des Wortes überein- stimmen. Vielmehr nimmt sie an, dass die phonologische, morphologische und semantische Information eines „Wortes“ über die verschiedenen Komponenten verteilt wird. 220 7. Das Grammatikmodell 7.3.3. Kartografie oder Koprojektion? Seit den 80er-Jahren hatten funktionale Kategorien Hochkonjunktur. Die verschie- denen ursprünglich „atomaren“ Domänen (CP, IP, DP) wurden in verschiedene Pro- jektionen gesplittet: Für jede grammatische Funktion wurde eine eigene funktionale Kategorie angenommen; wie z.B. T(ense) oder Agr(eement) (vgl. Split-Infl nach Pollock 1989). Der so genannte kartografische Ansatz seit Ende der 90er-Jahre (Cartography, vgl. Rizzi 1997, Cinque 2002, Belletti 2004) hat zum Ziel, die „funktionale Landschaft“ der Phrasen anhand einer 1:1-Relation zwischen funktionaler Projektion und morpho- syntaktischem Merkmal aufzufächern. Dabei wird davon ausgegangen, dass nur be- stimmte Elemente bestimmte Positionen einnehmen können und dass im Gegenzug für jedes Element eine bestimmte Position bereitsteht.12 Der kartografische Ansatz ist häufig mit der Schwierigkeit der externen Evidenz für diese Kategorien konfrontiert. Ausserdem ist die Generierung von „unnötigen“ Projek- tionen nicht im Sinne der dem Minimalistischen Programm eigenen Ökonomie. Eine Alternative zum kartografischen Ansatz stellt der Koprojektion-Ansatz dar (Giorgi & Pianesi 1997): Bei der Koprojektion wird dafür geworben, dass morphosyntaktische Merkmale nicht nur in bestimmten funktionalen Projektionen ausgedrückt werden können, sondern verschiedene Ausdrucksmöglichkeiten haben. Merkmale sollen kei- nen fixen Platz in der Kartografie der Phrase einnehmen und eine Projektion soll nicht nur ein Merkmal, sondern mehrere beherbergen können. Dadurch wird die Einfüh- rung verschiedenster funktionaler Kategorien teilweise überflüssig. Es wird jeweils nur soviel Struktur generiert, wie absolut notwendig ist. Die Idee einer strikten, inva- riablen Phrasenstruktur, die pro Merkmal eine funktionale Kategorie annimmt, wird zugunsten einer flexiblen „minimalen“ Struktur, die mehrere Merkmale pro Kategorie und mehrere Kategorien pro Merkmal erlaubt, aufgegeben. Die Frage nach der Konzeption von Phrasenstrukturen kann letztlich nur auf Basis empirischer Forschung beantwortet werden. Im Folgenden soll unter Berücksichtigung dieser beiden Stossrichtungen denn auch geprüft werden, wie viel Struktur für die DP (im Schweizerdeutschen) angenommen werden muss. 12Teilweise wurden neben den zwar inflationären aber doch begründbaren Kategorien wahllos und bis ad absurdum funktionale Kategorien generiert, deren wissenschafltiche Daseinsberechtigung mehr als fragwürdig war und die als ad hoc-Lösungen heftiger Kritik ausgesetzt waren. 221 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute 8.1. Von der NP zur DP1 In den Anfängen der Generativen Grammatik wurden Nominalphrasen als NPs ana- lysiert: Nominalphrasen hatten ein Nomen als Kopf, der zu einer lexikalischen Phra- se NP expandierte. Der Determinierer war genau wie Possessivkonstruktionen in der Spec-Position der NP angesiedelt. (1) a. NP b. NP Spec N0 Spec N0 Der N XP Omas N XP Hund Hund Im Laufe der Theorieumstrukturierungen in den 80er-Jahren kam es zu grundle- genden Änderungen: Verschiedene AutorInnen, allen voran Brame (1982), Hudson (1984), Hellan (1986), Horrocks & Stavrou (1985), Fukui & Speas (1986) und vor al- lem und umfänglich Abney (1987) und Szabolcsi (1981, 1983, 1987, 1994) schlugen eine neue Nominalphrasenanalyse vor – die so genannte DP-Hypothese. Grundidee der DP- Hypothese ist die Annahme, dass nicht das Nomen der Kopf der Nominalphrase ist, sondern vielmehr der Determinierer: The question is, how should we analyse the dependency relations between determiners and nouns? The traditional assumption is that the noun is head (hence the common therm ‘head-noun’), whereas I shall argue for the deter- miner being head. (Hudson 1984:90) 1Ich werde hier nur auf die wichtigsten Gründe für den Wechsel von der traditionellen NP-Analyse zur neuen (mittlerweilen allerdings bereits auch schon traditionellen) DP-Analyse eingehen. Eine detail- lierte Auseinandersetzung der ersten Stunde findet sich beispielsweise in Abney (1987) oder Szabolcsi (1987). Kurze Zusammenfassungen und Übersichten bieten Bernstein (2001), Coene & D’Hulst (2003) u.a. 222 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute Dafür wird für gewöhnlich eine funktionale Projektion über der NP angenommen, de- ren Kopf die funktionale Kategorie Det oder D ist: I would go even farther to suggest that linguists’ shorthand in terms of NP is misleading. Since DET is the head-selector of DET(N), or to use more tra- ditional terminology, since DET is the head of NP, and not N as customarily supposed, it would be better to abbreviate DET(N) as DP, not as NP, and to speak of determiner phrases, rather than noun phrases. (Brame 1982:325) Nominalphrasen sind demnach als funktionale Projektionen von D aufzufassen, die als Komplement eine NP selegieren: (2) DP Spec D0 D NP die Katze Im Folgenden werden kurz der Wechsel von der NP- zur DP-Analyse und die wichtigs- ten Argumente für die DP-Hypothese aufgezeigt. 8.1.1. Konzeptionelle Argumente 8.1.1.1. X-bar-Schema für funktionale Kategorien In den 70er-Jahren wurde im Zuge der Erneuerung der Erweiterten Standardtheo- rie in Richtung GB-Theorie eine für alle Phrasen identische Phrasenstruktur vorge- schlagen (Chomsky 1970, Jackendoff 19772, Stowell 1981 u.a.): das X-bar-Schema (vgl. Kapitel 7.2.2). Dieses wurde anfänglich nur für die lexikalischen Kategorien N, V, A und P3 angenommen. Später wurde dieses Konzept auf funktionale Kategorien aus- 2Jackendoff ging in seiner Uniform Three-Level Hypothesis allerdings nicht von zwei, sondern von drei Projektionsstufen für alle Phrasentypen aus. 3Es ist nicht unumstritten P zu den lexikalischen Kategorien zu zählen. Traditionell kam es zu dieser Zuordnung durch die Merkmalverteilung der beiden zugrundeliegenden Merkmale± verbal und± nomi- nal. Folgende Merkmalverteilung soll die vier lexikalischen Kategorien voneinander abgrenzen: Verben sind [+verbal –nominal], Nomen sind [–verbal +nominal], Adjektive sind [+verbal +nominal] und Präpo- sitionen (oder allgemeiner Partikel) sind [–verbal –nominal]. Dennoch ist es fraglich, ob die Kategorie 223 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute geweitet. Im Unterschied zu den lexikalischen Kategorien, die grundsätzlich mehre- re Komplemente selegieren können, wird bei funktionalen Kategorien angenommen, dass ihre Komplement-Selektion auf ein Argument beschränkt ist. Die ursprüngliche Annahme, dass bei funktionalen Kategorien und ihren Komplementen von bikonditio- nalen Beziehung ausgegangen werden kann, kann allerdings nicht aufrechterhalten werden (vgl. dazu Grimshaw 1991). Diese Annahme hatte bereits in ihren Anfängen und bis heute Gegner. So hat Haider (1988) dafür argumentiert, dass D im Prinzip jede Phrase als Komplement selegieren kann. Folgende Beispiele sollen dies belegen (Haider 1988:42f.):4 (3) a. Ø-Komplement: der sagte dies, und die sagte das b. NP-Komplement: die [neue Analyse] c. PP-Komplement: der [von gestern] d. CP-Komplement: der [der das glaubt] e. VP-Komplement: das [bei Rot ohne zu Schauen über die Strasse Laufen] Ausserdem wird in neueren Relativsatzanalysen (vgl. die so genannte Head-Raising- Analyse) davon ausgegangen, dass D nicht eine NP (mit einem Relativsatzadjunkt), sondern direkt den Relativsatz als CP selegiert (vgl. dazu Kayne 1994 und die Ausfüh- rungen in Kapitel 9.3).5 Da auch verschiedene funktionale Kategorien zwischen DP und NP diskutiert werden (vgl. Kapitel 8.3.2), wird die Frage, welche und wie viele Komplemente die DP – und funktionale Kategorien im Allgemeinen – selegieren können, weiterhin heiss disku- tiert. P die Eigenschaften von lexikalischen Kategorien, wie z.B. die Eigenschaft, eine offene Klasse zu sein, teilt. Da es sich tendenziell um eine geschlossene Klasse handelt und da sie die Selektionseigenschaf- ten funktionaler Kategorien aufweist, wie. z.B. die Eigenschaft immer nur ein einziges Komplement zu selegieren, wird sie häufig zu den funktionalen Kategorien gezählt (vgl. zur Klassifizierung und Unter- scheidbarkeit von C(ategory)-Projektionen und S(emantic)-Projektionen z.B. Abney (1987:38-44). Bayer & Bader (2007) zeigen auf, dass Präpositionen semi-lexikalisch oder semi-funktional im Sinne von Cor- ver & van Riemsdijk (2001) sind, indem sie sowohl lexikalisch-semantische als auch formal-funktionale Merkmale aufweisen. 4Gegen die Auffassung, dass es sich dabei nicht um verschiedene Phrasen, sondern um „elliptische“ NPs handelt, hat wiederum Felix (1988) argumentiert, indem er für alle diese Fälle verkappte NPs mit pro als leerem nominalem Kopf angenommen hat. 5Sternefeld (2006) geht davon aus, dass D sowohl eine Nominalphrase als auch einen Relativsatz als Komplement selegieren kann. Treten beide gleichzeitig auf, bildet der Relativsatz das Komplement der intermediären Projektion D0. Wie sich diese Komplementposition von der Spezifiziererposition abhebt, wird nicht ausgeführt. 224 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute 8.1.1.2. Von Köpfen und Phrasen Wie in Beispiel (1) gezeigt, wurde in der traditionellen NP-Analyse die Spec-Position einerseits für den Determinierer, andererseits für possessive Genitivattribute verwen- det. Dies war aus konzeptioneller Sicht mehr als unbefriedigend: Spec-Positionen sind für phrasale Kategorien gedacht, nicht für Köpfe. Also wäre ein D-Kopf in dieser Posi- tion unerwünscht oder es müsste angenommen werden, dass D immer zu einer Phrase projiziert, ungeachtet der Tatsache, dass seine Komplement- und seine Spec-Position immer unrealisiert bleiben. Da in der DP-Analyse zwei distinkte Positionen zur Verfügung stehen, kann dieses Problem gelöst werden: Die possessive XP steht in Spec,DP, der lexikalische Deter- minierer steht in D. Dadurch wird auch der unschöne Umstand der NP-Analyse ver- mieden, dass D nie ein Komplement oder einen Spezifizierer hat: Das Komplement ist die NP, die Spec-Position steht für Possessivkonstruktionen zur Verfügung. Durch die Annahme, dass in Possessivkonstruktionen der D-Kopf durch ein POSS-Markierer besetzt ist (entweder ein possessives s oder ein abstraktes Kongruenzmerkmal AGR), kann mit der DP-Analyse auch erklärt werden, warum possessive Genitive und Deter- minierer gewöhnlich komplementär verteilt sind. Das X-bar-Schema hat im Minimalistischen Programm allerdings an Bedeutung verlo- ren. Mit Bare Phrase Structure (Chomsky 1995a) wird nicht mehr davon ausgegangen, dass ein Kopf immer zu einer Phrase expandiert und dass diese Struktur quasi – reprä- sentationell – immer schon zur Verfügung steht. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass immer nur so viel Struktur aufgebaut wird, wie nötig, und dass ein syntakti- sches Element nicht immer X oder immer XP sein muss (vgl. dazu auch Bayer 2002). Deshalb mag dieses Argument für den heutigen Theoriestand nicht mehr mit gleicher Kraft überzeugen wie zu GB-Zeiten. Dieser Umstand ändert allerdings nichts an dem Ziel, funktionale Kategorien und ihre Ähnlichkeiten zueinander genau beschreiben zu wollen. Die Vereinheitlichung der verschiedenen Phrasen ist auch unter minimalisti- schem Gesichtspunkt ein Gewinn. 8.1.1.3. Parallele Satz – Nominalphrase Im GB-Modell (Chomsky 1981) wurden Nominalphrasen als NPs, als maximale Pro- jektionen eines nominalen Kopfes analysiert und es wurde angenommen, dass der Artikel als Spezifizierer der NP generiert wird. Im Zuge der Einführung des X-bar- Schemas, der Subsumierung des Satzes unter das X-bar-Schema und der Einführung von funktionalen Kategorien wurden verschiedene Anstrengungen unternommen, die 225 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute Nominalphrasensyntax diesen Neuerungen anzupassen. Da Nomen und Verb als die oppositionellen Einheiten par excellence gelten, wurde dem Ziel, die Nominalphrasen- syntax der Satzsyntax anzugleichen, besondere Aufmerksamkeit geschenkt (vgl. ins- besondere Abney 1987, Szabolcsi 1987): The solution I have proposed is, in effect, to assign a more sentence-like structure to the English noun phrase than is commonly assumed. This is attractive for conceptual reasons, in addition to the empirical advantages it provides. Verb versus noun is the most fundamental opposition in grammar, and it is appealing to be able to assign the phrases built on them – sentence and noun phrase, respectively – parallel structure. (Abney 1987:21) Um die Parallelität zwischen Satz und Nominalphrase einzufangen, werden unter- schiedliche Analysen vorgeschlagen. Es wird davon ausgegangen, dass sich D in der Nominalphrase entweder wie C oder wie I im Satz verhält oder dass wie im Satz zwei funktionale Positionen (für C und I) existieren. 1. D wie C: Für die Parallelität zwischen D und C spricht die Tatsache, dass D und C dieselbe Funktion übernehmen, indem beide eine Position fürs Subjekt bereitstellen und der Spezifizierer sowohl als Landeplatz für Operatoren als auch als escape hatch für Bewegung gebraucht werden kann. So wird z.B. in der DP-Analyse von Horrocks & Stavrou (1985) für griechische Nominalphrasen eine wh-Bewegung erstens aus ei- ner postnominalen Position in eine pränominale und zweitens aus dieser Position in eine höher gelegene Position im Satz angenommen. Ausserdem besteht auch eine se- mantische Parallele, da sowohl D als auch C der Phrase ermöglichen, als Argument zu fungieren (vgl. dazu Szabolcsi 1994, Longobardi 1994, 1996, Zamparelli 2000 und die Ausführungen dazu in Kapitel 8.2.1). 2. D wie I: Eine alternative Analyse für die Nominalphrasensyntax erinnert an die VP-interne-Subjekt-Hypothese (Fukui & Speas 1986): Diese besagt, dass Subjekte in der NP (wie Subjekte in der VP) basisgeneriert und aus dieser Position – aus merk- maltechnischen Gründen – nach DP (in Analogie zu IP) angehoben werden. In einem weiteren Schritt können sie in eine höher gelegene Landeposition im Satz (Spec,CP) bewegt werden. Für die Parallelität zwischen D und I spricht zudem wiederum die se- mantische Funktion: Sowohl D als auch I sind für die Referenz zuständig. Während der Determinierer das richtige Referenzobjekt aus der Menge der möglichen Referen- zobjekte (der Extension des Nomens) kennzeichnet, übernimmt I diese Funktion fürs Verb. Zudem ist das morphologische Phänomen der Kongruenz in der Nominalphrase ähnlich wie dasjenige in der IP (vgl. dazu Abney 1987). 226 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute 3. D wie C und I: Eine andere Möglichkeit besteht in der Annahme, dass genau wie in der Satzstruktur auch in der Nominalphrasensyntax zwei funktionale Kategorien – für I und C – vorhanden sind. Szabolcsi (1983, 1987, 1994) hat dafür argumentiert, dass eine Kategorie IN für die Kasusvergabe in der Nominalphrase zuständig ist, genauso wie I im Satz dem Subjekt Nominativ zuweist. Die CN-Projektion ist das Pendant zu C, da sie der IN-Projektion ermöglicht, als Argument aufzutreten, und sie als escape hatch für das Subjekt dient (vgl. Szabolcsi 1987:168). Neben den konzeptionellen Gründen sprechen auch empirische – morphologische, syn- taktische und semantische (im Speziellen referenztheoretische) Gründe für die DP- Analyse. Teilweise gehen die konzeptionellen mit den empirischen Gründen – wie be- reits angedeutet – einher. Im nächsten Abschnitt wird noch einmal kurz explizit auf die empirische Motivation für den Wechsel zur DP-Analyse eingegangen. 8.1.2. Morphologische Argumente Aus morphologischer Perspektive gelten zwei Phänomengruppen als ausschlaggebend für den Wechsel zur DP-Hypothese: 1. so genannte POSSing-Gerundivkonstruktionen und 2. die Kongruenzrelation zwischen Nomen und Possessor in verschiedenen Spra- chen. Zudem wird angenommen, dass D der (prototypische) Ort für den Ausdruck der morphosyntaktischen Merkmale ist. 1. POSSing-Gerundive: Abney (1987) hat durch die Einführung einer AGR-Position in der Nominalphrase das alte Rätsel der POSSing-Gerundive gelöst, die sich bis anhin weder als Sätze noch als Nominalphrasen analysieren liessen: (4) * NP (Abney 1987:15) NP VP John’s V NP building a spaceship 227 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute (5) XP (Abney 1987:19) XP X0 John’s X VP AGR V XP building a spaceship In späteren Analysen wird davon ausgegangen, dass sich nicht ein abstraktes POSS- Merkmal, sondern das lexikalische POSS-Merkmal ’s in der AGR-Position befindet. In beiden Fällen wird angenommen, dass die AGR-Position dem Subjekt Kasus zuweist (im Falle von Englisch oder Deutsch den Genitiv, vgl. aber unten), genau wie I im Satz dem Subjekt Nominativ zuweist. Die Analyse, die Abney für Gerundivkonstruktionen vorschlägt, wird nun auf alle Nominalphrasen angewendet: Die funktionale Katego- rie X wird dabei durch die Kategorie D realisiert.6 Die Annahme, dass X in Posses- sivkonstruktionen durch ein lexikalisches oder abstraktes POSS-Merkmal besetzt ist, ermöglicht es zudem, die komplementäre Verteilung von Determinierer und Possessor zu erklären, da in diesem Falle X doppelt besetzt wäre. 2. Nomen-Possessor-Kongruenz: Als weitere empirische Evidenz für eine Agreement- Position in der Nominalphrase gelten in erster Linie Sprachen, die overte Kongruenz zwischen dem Subjekt und dem Nomen aufweisen, wie z.B. das Ungarische oder das Türkische. Szabolcsi hat gezeigt (1981, 1983, 1987, 1994), dass in der ungarischen No- minalphrase nur dann ein overtes Subjekt erscheinen kann, wenn das Nomen Kongru- enzmerkmale (Person und Numerus) des Subjekts trägt. Zwischen dem Subjekt und dem Nomen besteht demnach eine Kongruenzbeziehung ganz ähnlich wie zwischen Subjekt und Verb im Satz. (6) a. az én kalap-om the I hat-POSS-1sg ’my hat’ 6Gerundivkonstruktionen stellen einen Spezialfall dar, indem sie als Komplement eine VP und nicht eine NP selegieren (vgl. aber dazu die Diskussion, ob D immer eine NP selegieren muss oder ob alle Kategorien infrage kommen). 228 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute b. a te kalap-od the you hat-POSS-2sg ’your hat’ c. a Péter kalap-ja the Peter hat-POSS-3sg ’Peter’s hat’ (Szabolcsi 1987:171) Türkisch verhält sich in Bezug auf Kongruenz in der Nominalphrase sehr ähnlich wie Ungarisch: Hier kongruiert das Subjekt mit dem Nomen ebenfalls bezüglich Person und Numerus (Beispiele aus Underhill 1976, zitiert nach Abney 1987): (7) a. (sen-in) el-in you-GEN hand-2sg ’your hand’ b. (on-un) el-i he-GEN hand–3sg ’his hand’ (Abney 1987:35) Ähnliche Muster zeigen sich auch in verschiedenen anderen Sprachen, wie Inuitspra- chen, z.B. Yup’ik, und Maya-Sprachen, z.B. Tzutujil (vgl. Abney 1987). Unterschiede zwischen den verschiedenen Sprachen ergeben sich unter anderem durch unterschied- liche Kasuszuweisungen: Während Sprachen wie Englisch, Deutsch und Türkisch dem Possessor immer Genitiv zuweisen, wird dem Possessor im Ungarischen entweder No- minativ oder Dativ zugewiesen (vgl. dazu ausführlicher Szabolcsi 1987). In anderen Sprachen wiederum wird dem Subjekt derselbe Kasus zugewiesen wie dem Nomen (in diesem Fall besteht die Kongruenz nicht nur für die Merkmale Person und Numerus, sondern darüber hinaus auch für Kasus). Ausserdem trägt das Subjekt der Nominal- phrase in diesen Sprachen häufig denselben Kasus wie das Subjekt des Satzes. Abney (1987) hat diesen Umstand z.B. bei Yup’ik festgestellt: (8) a. angute-t kiputa-a-t man-ERG-(Plur) buy-OM-SM ’the men (Plur) bought it’ 7 b. angute-t kuiga-t man-ERG-(Plur) river-SM ’the men’s (Plur) river ’ (9) a. angute-k kiputa-a-k man-ERG-(Dual) buy-OM-SM 7SM = ’subject agreement marker’, OM = ’object agreement marker’ 229 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute ’the men (Dual) bought it’ b. angute-k kuiga-t man-ERG-(Dual) river-SM ’the men’s (Dual) river (Abney 1987:35) 3. D für morphosyntaktische Merkmale: Darüber hinaus gelten als Belege für die DP- Hypothese auch Sprachdaten, die zeigen, dass in der Nominalphrase häufig der Deter- minierer und nicht das Nomen für den Ausdruck von morphosyntaktischen Merkma- len, wie Genus, Numerus oder Kasus, zuständig ist. Typischer Exponent dieser Spra- chen ist das Deutsche: (10) a. der Mann, die Frau, das Kind der-MASK Mann-Ø, die-FEM Frau-Ø, das-NEUTR. Kind-Ø b. der Koffer, die Koffer der-SING Koffer-Ø, die-PLUR Koffer-Ø c. der Mann, dem Mann, den Mann der-NOM Mann-Ø, dem-DAT. Mann-Ø, den-Akk. Mann-Ø Die morphosyntaktischen Merkmale werden jedoch nicht ausschliesslich am Deter- minierer markiert, teilweise werden sie stattdessen oder zusätzlich am Nomen oder an einem pränominalen Adjektiv ausgedrückt (vgl. zur Steuerung der Flexion in der deutschen Nominalphrase Olsen 1990, Gallmann 1996 und zur Realisierung von mor- phosyntaktischen Merkmalen im Allgemeinen Emonds 1987, Löbel 1990). 8.1.3. Syntaktische Argumente Aus syntaktischer Perspektive spricht die Parallelität zwischen Sätzen und Nominal- phrasen in Bezug auf 1. die externe Distribution und 2. die interne Struktur und die Trennung zwischen Determinierer und Possessor für die DP-Hypothese. 1. externe Distribution: Sätze und Nominalphrasen scheinen dieselbe externe Distribu- tion aufzuweisen. Beide können als Subjekte (11) oder Objekte (12) oder in Passivkon- struktionen (13) auftreten (allerdings ist es nich unumstritten, dass es sich in diesen Fällen tatsächlich um CPs handelt): (11) a. Die Aufgabe ist mühsam. b. Dass du immer zu spät kommst ist mühsam. 230 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute (12) a. Ich sehe das Auto. b. Ich sehe dass das Auto zu klein ist. (13) a. Die Schwierigkeit wurde von vielen erkannt. b. Dass es schwierig werden würde wurde von vielen erkannt. 2. interne Struktur: Sätze und Nominalphrasen weisen eine ähnliche interne Struktur auf, indem beide interne und externe Argumente (Subjekt und Objekte) haben kön- nen. Dies veranlasst dazu, für die Nominalphrase eine resp. zwei funktionale Katego- rien in Anlehnung an IP und CP anzunehmen: Eine nominale IP für die Kasusvergabe ans Subjekt und eine nominale CP für Bewegungen (mit Spec,CP als escape hatch). Als hervorstechender Unterschied zum Satz ist hier allerdings zum einen die häufi- ge Optionalität eines Subjektes und zum anderen die Unmöglichkeit von expletiven Subjekten zu nennen: (14) a. *liebt das Dorf seiner Jugend b. die Liebe zum Dorf seiner Jugend (15) a. Es spielen Moritz Bleibtreu und Franka Potente. b. *Es Spiel von Moritz Bleibtreu und Franka Potente. Dass Nominalphrasen genau wie Sätze über interne und externe Argumente verfügen können und dass deren Abfolge – wie Bindungs- und Kontrolldaten zeigen – hierar- chisch strikt geregelt ist, verstärkt die Motivation, die Parallelität zwischen Sätzen und Nominalphrasen strukturell zu erfassen (vgl. für eine ausführliche Argumentati- on Abney (1987)8 und für unterschiedliche Analysevorschläge Grimshaw (1991), Valois (1991), Giorgi & Longobardi (1991), Siloni (1997) u.a.). 3. Trennung Det und Poss: Durch die DP-Hypothese kann ausserdem eine Trennung zwischen Possessor-Phrase und Determinierer erreicht werden, welche sich in der NP- Analyse beide in der Spec,NP-Position befinden. Szabolcsis Vorschlag zweier funktio- naler Kategorien in der Nominalphrase kann zudem den Umstand erklären, dass im Ungarischen zwei verschiedene Artikeltypen bestehen: Einerseits der Artikel a(z), der immer vor dem Possessor steht – in der Kopfposition von CN, und andererseits alle übrigen Artikel, wie minden ‘jeder’, die immer nach dem Possessor stehen – in der 8In der Verbsyntax haben vor allem Sportiche (1983, 1995), Sportiche & Koopman (1991) u.a. strikte hierarchische Strukturen vorgeschlagen. 231 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute Kopfposition von IN. Durch die Annahme, dass die verschiedenen Artikeltypen in un- terschiedlichen Positionen generiert werden, kann erklärt werden, warum im Ungari- schen der Artikel a(z) und andere Artikel nicht notwendig komplementär verteilt sind. Durch Szabolcsis Analyse kann so auch der Spezialfall every im Englischen eingeord- net werden: Every, das als einziger Determinierer nicht komplementär zum posses- siven ’s auftritt (vgl. die Beispiele in Szabolcsi 1987:170), wird wie die ungarischen Artikel in IN basisgeneriert, alle übrigen englischen Determinierer werden wie a(z) in CN generiert. 8.1.4. Semantische Argumente Für einen Wechsel von der NP- zur DP-Analyse zählen ausserdem Argumente, die aufzeigen, dass eine funktionale Kategorie über der NP auch aus semantischen Grün- den motiviert ist: Erst durch den Determinierer wird die Nominalphrase befähigt, „im Satz zu agieren“. Zu den prominentesten Thesen gehören 1. die Argument Conversion- Hypothese und 2. die Referentiality Conversion-Hypothese (Coene & D’Hulst 2003:6). 1. Argument-These: Sie besagt, dass ein Determinierer der Nominalphrase ermöglicht, als Argument zu agieren (Szabolcsi 1994:214, Abney 1987). Hier wird eine weitere Parallelität zwischen Sätzen und Nominalphrasen sichtbar: Was C im Satz leistet, übernimmt D in der Nominalphrase – Argumente müssen durch einen Subordinator (C oder D) eingeleitet werden. Genau wie in Hauptsätzen allerdings die C-Position frei bleiben kann (es handelt sich in diesem Fall um eine IP, die semantisch als Proposition gedeutet wird), kann auch in der Nominalphrase die D-Position unbesetzt bleiben (es handelt sich in diesem Fall um eine NP, die semantisch als Prädikat gedeutet werden kann). Dies ist z.B. der Fall beim Vokativ. In Dialekten, die Eigennamen mit einem Determinierer einleiten (wie z.B. das Schweizerdeutsche), bleibt die D-Position im Vo- kativ leer: (16) a. De Paul goot uf ne Wanderig. Der Paul geht auf eine Wanderung. b. (*De) Paul, chasch mer gschnäu d Ziitig überegää! (*Der) Paul, kannst-du mir schnell die Zeitung rübergeben! Die Argument-These kann in dieser Form allerdings nicht erklären, warum Vokative nicht – wie gewöhnlich Nominalphrasen mit leerem D-Kopf – generisch oder existen- tiell interpretiert werden. Umgekehrt müsste für diesen Ansatz geklärt werden, wie es uneingeleiteten Nominalphrasen möglich ist, als Argumente aufzutreten, wie dies 232 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute z. B. bei Eigennamen im Standarddeutschen und anderen Sprachen der Fall ist. Für diese Fälle (und für artikellose Sprachen im Allgemeinen) ist deshalb vorgeschlagen worden, eine N-nach-D-Bewegung (Longobardi 1994) anzunehmen. Das Nomen in D soll dabei dasselbe leisten wie ein Determinierer, indem durch die lexikalische Reali- sierung der D-Position diese sichtbar und die Nominalphrase argumentfähig gemacht wird. 2. Referenz-These: Sie besagt, dass der Determinierer aus einer prädikativen Nominal- phrase einen referenzfähigen Ausdruck macht (Longobardi 1994, Stowell 1991).9 Dass dafür der Determinierer zuständig ist, machen insbesondere koordinierte Strukturen sichtbar, wie folgendes Beispiel zeigt: (17) a. Der Politiker und Autor gab gestern Autogramme. b. Der Politiker und der Autor gaben gestern Autogramme. Während es sich bei Beispiel (17-a) um ein einziges Referenzobjekt handelt (die beiden Nomen werden mittels eines einzigen D-Kopfes eingeführt), wird in Beispiel (17-b) auf zwei verschiedene Objekte referiert. Dies wird durch die Verbkongruenz deutlich. Das Problem der Vokative besteht auch bei der Referenz-These. Es muss deshalb auch hier angenommen werden, dass (entgegen Longobardis Annahme) eine komplette DP aufgebaut wird und eine N-nach-D-Bewegung stattfinden muss, wie dies für andere uneingeleitete, aber referenzfähige Nominalphrasen postuliert wird (Longobardi 1994, Gallmann 1997). Eine abgeschwächte Form der Referenz-These geht davon aus, dass der Determinierer zwar nicht die Referenz erst ermöglicht, dass er aber immerhin als Signal für eindeuti- ge Referenz gesehen werden kann. Dies leuchtet gerade beim Gebrauch von Determi- nierern mit Eigennamen ein, kann aber auf alle definiten Beschreibungen übertragen werden, vgl. dazu etwa Strawson (1950:13): „But one of the conventional functions of the definite article is to act as a signal that a unique reference ist being made [...]“ oder Oomen (1977:54): „Zu betonen bleibt, dass der bestimmte Artikel in definiten Beschrei- bungen [...] dazu dient, ein Signal für die beabsichtigte eindeutige Referenz zu setzen.“ Ich werde in Kapitel 8.2.1 eingehender auf die semantische Funktion des Artikels resp. der Kategorie Det eingehen. 9In der Analytischen Sprachphilosophie wird davon ausgegangen, dass die eindeutige Referenz einer definiten Beschreibung die Existenz und die Einzigkeit des Referenzobjekts voraussetzt (Russell 1905) und dass dies durch den bestimmten Artikel signalisiert wird. Vgl. die Ausführungen dazu in Kapitel 8.2.1. 233 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute Diese Thesen machen ausserdem deutlich, dass eine DP-Hypothese auch unter dem Merkmal-Aspekt naheliegend ist: Verschiedene semantische Merkmale wie Referen- zialität, Definitheit oder Determination, aber auch Spezifizität, Einzigkeit, Totalität/ Inkludiertheit, Deixis u.ä. werden für die funktionale Kategorie D proklamiert (vgl. zu den verschiedenen Vorschlägen Hawkins 1978, Vergnaud & Zubizarreta 1992, Ihsane & Puskás 2001, Vangsnes 2001, Longobardi 1994, 1996, 2001, Zamparelli 2000 u.a.). 8.2. Die Kategorie D(et) In der Diskussion um den Aufbau der DP muss neben der internen Struktur insbeson- dere der Kategorie D(et) Aufmerksamkeit geschenkt werden. Zum einen muss debat- tiert werden, welche Merkmale für D relevant sein könnten und welche syntaktisch- semantische Funktion D in der Nominalphrase übernimmt. Zum anderen muss disku- tiert werden, welche Rolle der bestimmte Artikel einnimmt und ob die zur Diskussion stehenden Eigenschaften der Kategorie D oder dem Artikel (als prototypisches D) zu- zusprechen sind (vgl. dazu die eruierten Funktionen des Artikels in Kapitel 2.2). Aus- serdem muss geklärt werden, worin sich der Artikel „als gewöhnlicher Determinierer“ vom Demonstrativum unterscheidet. Dafür wird unter anderem ein weiteres seman- tisches Konzept – dasjenige der Indexikalität resp. der Deixis von Determinierern – diskutiert. Es muss die Frage geklärt werden, inwiefern Determinierer indexikalische Elemente sind und wie die Abgrenzung zwischen Definitartikel und Demonstrativum genau beschrieben werden kann. 8.2.1. Syntaktisch-semantische Funktion der Kategorie D Für die Funktion der Kategorie D resp. des Definitartikels wird in der Literatur Ver- schiedenens vorgeschlagen: Als syntaktische Funktion wird der Ausdruck der morpho- syntaktischen Merkmale (phi-Merkmale und Kasus) gesehen. Zudem wird diskutiert, ob die Kategorie Definitheit, die für gewöhnlich als semantisch-pragmatische Grösse gehandelt wird, ebenfalls zu den grammatischen Komponenten gezählt werden sollte (vgl. Lyons 1999:277f.). Als semantische Funktion kommen neben dem Merkmal für Definitheit (im weitesten Sinne) auch der semantische Komplex Referenzialität (Refe- renzfähigkeit) infrage. Zudem wird dafür argumentiert, dass das Konzept der Definit- heit zu wenig weit greift und deshalb einerseits differenzierter beschrieben (z.B. mit- tels Einzigkeit) und andererseits abgegrenzt werden muss gegenüber konkurrierenden Konzepten wie Spezifizität oder Deixis. Da insbesondere die semantische Funktion re- ge diskutiert wird, werde ich im Folgenden auf die einzelnen Funktionen und Merk- 234 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute male kurz einzeln eingehen und insbesondere die verschiedenen Differenzierungsmög- lichkeiten kritisch prüfen. Als semantische Funktion des Definitartikels resp. der Kategorie D werden folgende Grundfunktionen diskutiert (Abney 1987, Szabolcsi 1994, Stowell 1991, Longobardi 1994, 1996 und 2001, Lyons 1999 u.a, vgl. auch die Ausführungen zu den semantischen Argumenten für eine DP-Hypothese in Kapitel 8.1.4): 1. Der Definitartikel in D kann das Nomen in ein Argument verwandeln. 2. Der Definitartikel in D ermöglicht die Referenz der Nominalphrase. 3. Der Definitartikel in D kodiert in der Nominalphrase das Konzept Definitheit. 8.2.1.1. Referenzialität und Argumentstatus Die Thesen unter 1. und 2. präsupponieren, dass das Nomen von sich aus kein Argu- ment darstellt und nicht referenziell ist. Erst durch die Eigenschaften des D-Kopfes erreicht die Nominalphrase Referenzialität und wird von einem Prädikat in ein Argu- ment umgewandelt: „[...] assuming the quasi-referential, indexical character of a noun phrase to be a property of the D head of DP, NP being a kind of predicate“ (Chomsky 1995b:337). Dieser Quasi-Prädikat-Status des Nomens gibt Anlass dazu, den Artikel als Subordinator in der Nominalphrase zu betrachten, der das Nomen in ein Argument verwandelt, genau wie ein Komplementierer den Satz in ein Argument verwandelt: „Both the complementizer and the article are subordinators in the sense that they ena- ble the clause or noun phrase to act as arguments“ (Szabolcsi 1994:214). Bei dieser Auf- fassung erfüllt der Artikel die Aufgabe, die Nominalphrase mit der aussersprachlichen Welt zu verknüpfen. Die Kategorie D wird parallel zur Kategorie Tense gesehen, die ihrerseits die Verbphrase mit der aussersprachlichen Welt verknüpft (vgl. dazu auch die Überlegungen in Kapitel 8.2.1.4 zur deiktischen Komponente von Determinierern, die es ermöglicht, eine Nominalphrase örtlich und zeitlich in der aussersprachlichen Welt zu verorten). Die beiden Konzepte Referenzialität und Argumentstatus werden direkt miteinander verlinkt gesehen, indem der Wechsel von Prädikat- zu Argument- status die Referenzialität der Nominalphrase erst ermöglicht oder umgekehrt Referen- zialität der Nominalphrase auf einen Argumentstatus hindeutet. Die beiden Konzepte werden insofern auseinandergehalten, als sie nicht auf derselben sprachlichen Ebene angewendet werden – vielmehr manifestiert der Argumentstatus einer Nominalphrase syntaktisch, was semantisch die Referenzialität einer Nominalphrase ausmacht. Die Ansicht, dass der Argumentstatus und die Referenzialität einer Nominalphrase in dieser Weise miteinander verbunden sind, ist allerdings äusserst heikel. Erstens 235 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute können auch andere Elemente als der Definitartikel für den Argumentstatus der No- minalphrase zuständig sein (wie z.B. ein Indefinitartikel). Zweitens kann der D-Kopf in artikellosen Sprachen per definitionem niemals overt durch einen Definitartikel be- setzt sein, der Argumentstatus von Nominalphrasen in diesen Sprachen muss zwangs- läufig ohne Definitartikel erreicht werden. Drittens suggeriert die obige These, dass nur Nominalphrasen Argumente sein können. Dies ist natürlich nicht der Fall: Auch andere Phrasen wie APs etc. können in Argumentposition auftreten. Dass der Definitartikel als D-Kopf für die Referenzialität der Nominalphrase zustän- dig sein kann, ist Antrieb und Konsequenz der DP-Hypothese gleichermassen. Der Artikel als prototypischer D-Kopf ermöglicht die Referenz auf genau ein Objekt. Ko- ordinationen von Nominalphrasen machen diesen Umstand deutlich: Wird für die Ko- ordination als Ganzes ein Artikel gesetzt, referiert die Nominalphrase auf ein Objekt, auf das die Bedeutung beider Nomen zutreffen muss (18-a), wird für jede Nominal- phrase ein Artikel gesetzt, so referiert die Nominalphrase hingegen auf zwei Objekte – es ist nicht möglich, dass die Koordination auf ein einziges Objekt referiert (18-b): (18) a. Die Sekretärin und Mitarbeiterin geht / *gehen aus. b. Die Sekretärin und die Mitarbeiterin gehen / *geht aus. In Sprachen wie dem Italienischen, die mehrfache Determinierersetzung erlauben, unterscheidet diese Eigenschaft den Definitartikel von anderen Determinierern10 wie zum Beispiel Possessivpronomen. Es wird angenommen, dass diese nicht dieselbe „re- ferenzielle Kraft“ (Giorgi & Longobardi 1991:200) wie der Artikel besitzen. Erst durch die Setzung des Artikels kann auf zwei Objekte Bezug genommen werden – oder stär- ker formuliert: durch die Setzung des Artikels muss auf zwei Objekte Bezug genommen werden (Giorgi & Longobardi 1991:200, vgl. dazu auch Longobardi 1994): (19) a. La mia segretaria e tua collaboratrice sta / *stanno uscendo. Die meine Sekretärin und deine Mitarbeiterin geht aus / *gehen aus. b. La mia segretaria e la tua collaboratrice stanno / *sta uscendo Die meine Sekretärin und die deine Mitarbeiterin gehen / *geht aus. Das Deutsche erlaubt mehrfache Determinierersetzung mit dem Definitartikel im Ge- gensatz zum Italienischen nicht: 10Darüber, was alles zur Kategorie der Determinierer zählen soll, herrscht keine Einigkeit: Entweder wird dafür argumentiert, nur den Definitartikel als Determinierer zu bezeichnen und andere Kandida- ten wie Indefinitartikel, Possessivpronomen, Demonstrativa etc. eigenen Kategorien zuzuordnen, oder es wird davon ausgegangen, dass alle diese Elemente zur Kategorie Determinierer zu rechnen sind. 236 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute (20) a. la tua madre b. *die deine Mutter Deshalb kann der Umstand, dass der Determinierer die Referenz auf genau ein Objekt festlegt, allein mit dem Demonstrativum gezeigt werden (Bsp. (21-a) und (21-b)). Aller- dings scheint sich das Deutsche in diesem Punkt vom Italienischen zu unterscheiden, da auch ein Possessivpronomen genügend referenzielle Kraft aufweisen kann, um die Referenzialität des Nomens zu erreichen. In Beispiel (21-c) kann auf ein Objekt oder auf zwei Objekte Bezug genommen werden – im Gegensatz zu einer Setzung mit Defi- nitartikel oder Demonstrativum, wo auf zwei Objekt referiert werden muss (21-d): (21) a. diese meine Sekretärin und deine Mitarbeiterin geht / *gehen aus. b. diese meine Sekretärin und diese deine Mitarbeiterin gehen / *geht aus. c. meine Sekretärin und deine Mitarbeiterin gehen / geht aus. d. die Sekretärin und die Mitarbeiterin gehen / *geht aus. Dies deutet darauf hin, dass nicht ausschliesslich der Definitartikel für die Referen- zialität der Nominalphrase verantwortlich ist, sondern dass auch andere lexikalische Instantiierungen diese Aufgabe übernehmen können. Allerdings besteht zwischen De- finitartikel und Demonstrativum einerseits und Possessivpronomen andererseits dies- bezüglich ein deutliches Gefälle. Die referenzielle Kraft des Possessivpronomens ist schwächer, sodass es bei der Referenz von Koordinationsstrukturen zu Ambiguitäten kommt, wie Beispiel (21-c) zeigt. Der Unterschied zwischen Deutsch und Italienisch kann damit erklärt werden, dass im Deutschen das Possessivpronomen ein Determi- nierer ist (vgl. z.B. Olsen 1989b), im Italienischen hingegen ein Adjektiv. Die Eigenschaft, die Referenz der Nominalphrase zu bestimmen, trifft zudem wie er- wähnt nicht nur auf den Definitartikel (inkl. Demonstrativum und eventuell Posses- sivpronomen) zu, sondern auch auf den Indefinitartikel: (22) a. eine Sekretärin und Mitarbeiterin geht / *gehen aus. b. eine Sekretärin und eine Mitarbeiterin gehen / *geht aus. Die Ausführungen haben gezeigt, dass der Definitartikel eine Nominalphrase argu- mentfähig und referenzfähig machen kann. Es wurde aber auch deutlich, dass der De- finitartikel nicht die einzige Möglichkeit ist, die Argumentfähigkeit und die Referen- zialität der Nominalphrase zu erreichen und das diesbezüglich Unterschiede bestehen 237 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute zwischen verschiedenen Sprachen. Zudem ist Vorsicht geboten bei der Annahme, dass diese beiden Konzepte miteinander direkt verknüpft sind. Die dritte These zur Funktion des Definitartikels resp. des D-Kopfes wird im Folgen- den besprochen. 8.2.1.2. Definitheit: Einzigkeit und Verwandtes Der indefinite Artikel wird prototypisch mit Nominalphrasen verwendet, wenn ein Ob- jekt in den Diskurs eingeführt wird (23-a). Soll diese Referenz wieder aufgenommen werden, wird der definite Artikel gebraucht (23-b): (23) a. Nora hat sich einen Hund gekauft. b. Der Hund ist süss, aber noch nicht stubenrein. Obwohl diese Unterscheidung klar ist und kaum Probleme bereitet, ist die Frage, wie Definitheit zu charakterisieren ist, damit nicht beantwortet. Darüber, was unter Defi- nitheit zu verstehen ist, wurde und wird viel diskutiert. Von den verschiedenen Kon- zepten, die zur Debatte stehen, sind 1. Einzigkeit, 2. Inkludiertheit, 3. Identifizierbar- keit, 4. Familiarität und 5. Salienz besonders hervorzuheben. Dabei wird entweder die These vertreten, dass eines dieser Konzepte als das einzig richtige angesehen werden muss, während die anderen aus verschiedenen Gründen verworfen werden sollten (vgl. die anschliessenden Argumente), oder Definitheit wird als „Umbrella“-Term verstan- den, der verschiedene Konzepte subsumiert, die je nach Kontext zum Tragen kommen. Bei der Annahme eines Umbrella-Terms entsteht zwar eine gewisse Redundanz,11 gleichzeitig ermöglicht die Auffächerung des Begriffs Definitheit eine differenziertere Beschreibung. Sprachdaten verschiedener Sprachen und Dialekte untermauern diese Konzeption, indem sie die Auffächerung teilweise durch unterschiedliche Artikelpara- digmen auch morphosyntaktisch ausdrücken. Wie in Kapitel 2 und Kapitel 5 gezeigt, kann im Schweizerdeutschen und anderen deutschen Dialekten und anderen Sprachen wie dem Skandinavischen je nach Art der Bezugnahme auf verschiedene Definitarti- kelparadigmen zurückgegriffen werden. Inwiefern der Unterschied dieser Artikelfor- men anhand der hier vorgestellten Konzepte zum semantisch-pragmatischen Begriff 11Lyons (1999: 274) beklagt, dass es bis jetzt nicht gelungen ist, eine der beiden Varianten Identifizier- barkeit und Inkludiertheit für jeden definiten Gebrauch zu verwenden. Er schlägt im Folgenden einen neuen Weg ein, indem er die Definitheit von einer semantisch-pragmatischen Beschreibung wegbringt und davon ausgeht, dass sie eine grammatische Kategorie darstellt wie Tense, Numerus, Genus etc. 238 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute der Definitheit festgemacht werden kann und ob und inwieweit dieser semantisch- pragmatische Unterschied syntaktisch manifestiert sein könnte, ist Gegenstand der folgenden Kapitel. Ich werde kurz auf die wichtigsten Konzepte eingehen und ihre Vor- und Nachteile prüfen.12 1. Einzigkeit: Das Konzept der Einzigkeit (Uniqueness) hat seinen Ursprung in der Analytischen Sprachphilosophie.13 Die Analytische Sprachphilosophie setzt sich in- tensiv mit der Frage auseinander, wie mit einem sprachlichen Ausdruck auf einen Gegenstand Bezug genommen werden kann. Frege (1892) nähert sich dieser Frage, indem er vom Problem des Informationsgewinns in Identitätsaussagen ausgeht: (24) a. Der Morgenstern ist der Morgenstern. b. Der Morgenstern ist der Abendstern. Während der erste Satz (24-a) eine Tautologie ist – er drückt eine analytische Wahrheit a priori aus, drückt der zweite Satz (24-b) einen Erkenntnisgewinn aus – die empiri- sche Entdeckung, dass der Morgenstern und der Abendstern ein und derselbe Planet sind, nämlich die Venus. Wäre mit einem Ausdruck nur seine Bedeutung (der Gegen- stand) verbunden, könnte der Erkenntnisgewinn in Beispiel (24-b) gar nicht ausge- drückt werden. Deshalb erweitert Frege die Bedeutungsrelation ,Ausdruck, Bedeu- tung‘ um die Kategorie Sinn als Art des Gegebenseins. Die Frage, wie man sich mit einem Ausdruck auf einen Gegenstand beziehen kann, beantwortet Frege deshalb mit „vermittels des Sinns gelangen wir vom Ausdruck zum Gegenstand“. Russell (1905) baut auf Frege auf, kritisiert aber die Anwendung der Frege’schen Kategorie Sinn auf Eigennamen. Er unterscheidet zwischen Eigennamen und Kenn- zeichnungen. Eigennamen referieren, ohne damit gleichzeitig eine Eigenschaft auszu- drücken. Ihre einzige Funktion besteht darin, auf einen Gegenstand Bezug zu nehmen. 12Gute Übersichten der Debatte finden sich in Lyons (1999), Abbott (2004) und insbesondere fürs Deut- sche in Bisle-Müller (1991). Wegweisend sind ausserdem die linguistischen Abhandlungen zur Definit- heit in Christophersen (1939), Krámsk⇤ (1972), Hawkins (1978), Löbner (1985), Chesterman (1991), Lewis (1979), von Heusinger (1996) und von einem diskurs-semantischen Standpunkt aus Heim (1982, 1991). In der sprachphilosophischen Debatte um eine Bedeutungs- und Referenztheorie waren insbe- sondere die Arbeiten von Frege (1892), Russell (1905, 1918), Strawson (1950), Donnellan (1966, 1974), Kripke (1977, 1980) und Burge (1973) bahnbrechend. Eine Rekonstruktion der Diskussion findet sich z.B. in Bencivenga (1987). 13Einzigkeit als das konstituierende oder eines der konstituierenden Merkmale für definite Nominal- phrasen anzusehen, findet in syntaktischen Analysen Niederschlag, indem viele AutorInnen entweder eine eigene Phrase ansetzen oder innerhalb einer funktionalen Phrase wie z.B. K(ase)P das Merkmal Uniqueness annehmen (vgl. z.B. Vangsnes 1999, 2001). 239 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute Daraus kann geschlossen werden, dass es nach Russell keine leeren Eigennamen ge- ben kann. Da die meisten Ausdrücke bisweilen keine Referenz aufweisen, geht Russell davon aus, dass die meisten Eigennamen verkappte Kennzeichnungen sind. Als Eigen- namen kommen nur Demonstrativa infrage, da hier die Referenz immer gewährleistet ist (Russell 1918:62). Russell unterscheidet so drei Sorten von Ausdrücken: echte Ei- gennamen, indefinite Beschreibungen (der Form ein so-und-so) und definite Beschrei- bungen (der Form der so-und-so). Definite Beschreibungen analysiert er logisch als Konjunktionen von Existenz- und Einzigkeitsbedingungen. Die logische Form von de- finiten Beschreibungen ist wie folgt: (25) 9x (Px & 8y (Py ! y=x)) Russells Einzigkeitsbedingung wird teilweise aus den eigenen Reihen, teilweise auch in linguistischen Arbeiten kritisiert und weiterentwickelt. Der wichtigste Kritikpunkt von linguistischer Seite betrifft den Umstand, dass Russell mit seiner Einzigkeit zwar die eindeutige Referenz auf ein Objekt gewährleisten kann, dass dieses Konzept aber nur bei ganz bestimmten Ausdrücken Anwendung finden kann. Diese Kritik wird z.B. von Hawkins (1978) formuliert, der Russell dreierlei vorwirft: Erstens bemängelt er, dass in Russells Zugang der pragmatische Aspekt der Referenz gänzlich ausgeklam- mert wird. Zweitens macht er darauf aufmerksam, dass Russells Analyse unvollstän- dig ist, da der Artikel nur in Zusammenhang mit zählbaren Nomen im Singular unter- sucht wird. Drittens – als Folge der ersten beiden Kritikpunkte – ist er nicht einver- standen mit Russells Einzigkeitsbedingung für definite Beschreibungen. 2. Inkludiertheit: Um das Problem zu entschärfen, dass der pragmatische Aspekt der Referenz zu kurz kommt, schlägt Hawkins in seiner Location-Theorie vor, den Kon- text von SprecherIn und HörerIn miteinzubeziehen. Falls so etwas wie Einzigkeit eine Rolle spielen soll, dann nur relativ zur Diskursdomäne, die sich SprecherIn und Höre- rIn teilen. Um das Konzept der Definitheit über zählbare Nomen im Singular hinaus brauchbar zu machen, setzt er diese nicht mit Einzigkeit gleich, sondern mit Totalität oder Inkludiertheit. Eine definite Beschreibung referiert immer auf die Totalität der infrage kommenden Objekte der Diskursdomäne; alle infrage kommenden Objekte der Diskursdomäne sind bei der Referenz inkludiert. Mit dem Konzept der Totalität resp. der Inkludiertheit wird es möglich, sämtliche Verwendungungen des bestimmten Arti- kels einzubeziehen. Zählbare Nomen im Singular bilden einen Spezialfall, indem hier die Totaliät mit der Einzigkeit zusammenfällt: In der Diskursdomäne gibt es genau ein Element, das als Referenzobjekt infrage kommt. Hawkins liefert mit seiner Loca- tion-Theorie ein neues Konzept der Definitheit: Während er die Einzigkeit als blossen Spezialfall entlarvt, prägt er die Konzepte der Inkludiertheit aller Referenzobjekte der 240 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute Diskursdomäne und der Identifizierbarkeit im Sinne der Lokalisierung des Referenz- objekts.14 Eine ähnliche Richtung schlägt auch Kripke (1980) mit seinen Natural Kind Terms ein, wodurch die Bezugnahme auf eine natürliche Klasse möglich wird. Dies ist für die Untersuchung des Artikelsystems insofern relevant, als generische Aussagen dadurch als Spezialfall der Bezugnahme auf ein Einzelding verstanden werden können (vgl. dazu auch Chierchia 1998 und die Verwendungsweisen der Artikelparadigmen in Kapitel 2). 3. Identifizierbarkeit: Strawson (1950) stimmt Russell zu, dass Ausdrücke der Form der P mit Einzigkeit zu tun haben. Contra Russell vertritt Strawson den Standpunkt, dass solche Ausdrücke nicht Einzigkeit ausdrücken, sondern, dass unser Gebrauch Einzig- keit präsupponiert. Er wirft Russell vor, dass er der Verwechslung von Bedeutung und Nennen zum Opfer fällt. Stattdessen plädiert er dafür, zwischen dem Satz, dem Ge- brauch eines Satzes und der Äusserung eines Satzes zu unterscheiden: Die Bedeutung ist die Funktion eines Satzes, die Wahrheit/Falschheit und das Nennen resp. Referie- ren sind Funktionen seines Gebrauchs. Der Satz ist also niemals wahr oder falsch, er wird vielmehr gebraucht, um eine wahre oder falsche Aussage zu machen. Dadurch, dass der Satz damit in einer konkreten Situation festgemacht wird, wird die Existenz des Gegenstandes beim Referenzakt vorausgesetzt. Mit der Annahme, dass die Refe- renz vorausgesetzt werden kann, rückt sein Vorschlag in die Nähe von Freges Ansatz. Strawson distanziert sich aber gleichzeitig auch vom Konzept der Einzigkeit, indem er dem Artikel die Fähigkeit, selber Einzigkeit auszudrücken, abspricht. Indem der Arti- kel als Signal der eindeutigen Referenz gesehen wird, stellt Strawson das Konzept der Identifizierbarkeit ins Zentrum: But one of the conventional functions of the definite article is to act as a signal that a unique reference is being made [...]. When we begin a sentence with ‘the such-and-such’ the use of ‘the’ shows, but does not state, that we are, or intend to be, referring to one particular individual of the species ‘the such-and-such’. Which particular individual is a matter to be determined from context, time, place, and other features of the situation of utterance. (Strawson 1950:13f.) In Strawsons Folge hat Searle (1969) ebenfalls dafür plädiert, dass die Bezugnahme auf einen Gegenstand mittels Identifizierbarkeit zustande kommt, allerdings kann 14Indefinitheit wird nach Hawkins mittels Exkludiertheit ausgedrückt. Bei Nominalphrasen mit dem unbestimmten Artikel wird gerade nicht auf die Gesamtheit der infrage kommenden Objekte der Dis- kursdomäne referiert; ein Teil der möglichen Referenzobjekte muss exkludiert werden. Ich gehe hier nicht weiter auf den indefiniten Artikel ein, da dieser für unsere Zwecke nicht weiter relevant ist. Für eine eingehendere Auseinandersetzung verweise ich auf Hawkins (1978), Bisle-Müller (1991) und Lyons (1999). 241 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute nach Searle das Glücken der Referenz nicht garantiert werden, solange keine iden- tifizierende Beschreibung mitgeliefert wird. Darin unterscheidet sich Searles Ansatz von denjenigen Kripkes (1980) und Wimmers (1979), die betonen, dass für die Referenz keine (zusätzliche) Beschreibung nötig ist (vgl. Fussnote 15). 4. Familiarität: Einer ähnlichen Richtung ist das Konzept der Familiarität verpflich- tet, weshalb es häufig unter die Identifizierbarkeit subsumiert wird. Eine erste um- fängliche linguistische Arbeit dazu liefert Christophersen (1939), in seiner Linie ar- gumentiert auch Jespersen (1933), der zusätzlich verschiedene Stufen der Familiari- tät von „komplett unvertraut“ bis „komplett vertraut“ unterscheidet. Es wird davon ausgegangen, dass die Bezugnahme gelingt, wenn der Referenzgegenstand genügend bekannt ist. Dies ist der Fall, wenn es der Hörerin oder dem Hörer möglich ist, den Gegenstand zu identifizieren. Beim Gebrauch mit dem definiten Artikel geht die Spre- cherin oder der Sprecher davon aus, dass die verwendete Nominalphrase dem Hörer genügend vertraut ist, so dass die Referenz glücken kann. Als Opposition zur Fami- liarität gilt die Neuheit, die durch den indefiniten Artikel signalisiert wird. Beim Ge- brauch mit dem indefiniten Artikel nimmt der Sprecher an, dass diese Vertrautheit (noch nicht) besteht. Es liegt damit in seiner Verantwortung abzuschätzen, wie viel Familiarität er beim Hörer voraussetzen kann. Familiarität kann auf verschiedene Weise zustande kommen: Entweder handelt es sich bei der Familiarität um Allgemein- wissen (general knowledge) oder um Kontextwissen (contextual knowledge). Zum All- gemeinwissen wird auch assoziatives Wissen oder Frame-Wissen (bridging knowledge) gezählt, das es erlaubt, auf in der Rede zwar (noch) nicht eingeführte, aber durch die Bekanntheit des Frames als vertraut geltende Entitäten zu referieren. Kontextuel- les Wissen kann entweder sprachlich durch Vorerwähnung (Anaphorizität) oder nicht- sprachlich durch Kennen der (familiären) Situation (situational knowledge) erreicht werden. Nach Lyons (1999) ist das Konzept der Familiarität inadäquat, da der Artikel nicht in der Lage ist, das Referenzobjekt (durch Bekanntheit) aus einer Menge „herauszu- picken“ (engl. pick out oder single out). Der Artikel gibt nach Lyons einzig zu verste- hen, dass „der Referent gefunden werden kann, dass es möglich ist, den Referenten zu identifizieren“ (vgl. Lyons 1999:6) – bisweilen kann er dies durch die Bekanntheit des Referenzobjektes erreichen. Indem er den Artikel als Signal der eindeutigen Refe- renz wertet, stellt sich Lyons in die Tradition Strawsons (1950), vgl. dazu auch Oomen (1977). 5. Salienz: Das Konzept der Einzigkeit scheint zu rigide, aber auch die Bedingungen für Familiarität und Identifizierbarkeit können in vielen Fällen nicht eingelöst wer- den. Eine Alternative zu diesen Beschreibungen der Definitheit liefert die Salienzhier- 242 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute archie nach Lewis (1979), die von Heusinger (1996, 1997) aufnimmt und weiterentwi- ckelt. Lewis zeigt auf, dass in vielen Fällen einzig das Konzept der Salienz eine richtige Analyse von Definitheit liefert: It is not true, that a definite description ‘the F’ denotes x if and only if x is the one and only x in existence. [...] The proper treatment of descriptions must be more like this: ‘the F’ denotes x if and only if x is the most salient F in the domain of discourse, according to some contextually determined salience ranking. (Lewis 1979:178) Sätze wie der folgende zeigen, dass die Einzigkeit manchmal gerade nicht erfüllt sein darf (Lewis 1979:178): (26) The pig is grunting, but the pig with floppy ears is not grunting. Beide Vorkommnisse von pig werden mit dem definiten Artikel eingeleitet. Die Be- dingung, dass es ein und nur ein Schwein gibt, soll hier gerade nicht erfüllt werden, vielmehr muss angenommen werden, dass es mindestens zwei verschiedene Schwei- ne gibt. Das salienteste Schwein grunzt, das salienteste Schwein mit Schlappohren grunzt nicht. Die Salienzhierarchie wird dabei als Auswahl anhand unterschiedlich starker Fokussierung beschrieben: Je salienter ein Referent, desto wahrscheinlicher wird er ausgewählt. Diese Auswahlfunktion wird durch den so genannten Epsilon- Operator bestimmt, der als verallgemeinerter Iota-Operator verstanden wird, für den weder eine Existenz- noch eine Einzigkeitsbedingung gilt. Er kann umgangssprach- lich umschrieben werden mit „das ausgewählte x, derart dass“ (vgl. Egli 1991:16, vgl. auch von Heusinger 1993, 1995). Durch die Annahme, dass bei mehreren potenziel- len Referenten der salienteste ausgewählt werden kann, da sie auf einer Salienzskala angeordnet sind, löst das Problem der nicht einlösbaren Einzigkeit. Obwohl das Konzept der Definitheit nicht erschöpfend beschrieben werden kann, wird deutlich, dass es drei Komplexe gibt, die (vorläufig) nebeneinander bestehen bleiben: dasjenige der Inkludiertheit (mit dem Spezialfall der Einzigkeit), dasjenige der Identi- fizierbarkeit (inklusive Familiarität und Signalstatus des Artikels) und dasjenige der Salienz. Als weiterer Punkt stellt sich die Frage, wie der semantisch-pragmatische Be- griff der Definitheit mit dem (morpho)syntaktischen Merkmal [DEF] korreliert. Laut Lyons (1999) ist Definitheit eine semantisch-pragmatische Entität, die universell ist und durch das Merkmal [DEF] syntaktisch repräsentiert wird (vgl. dazu auch Felix 1988 und Alexiadou et al. 2007). Das Merkmal [DEF] ist demnach die morphosyn- taktische Entsprechung des semantischen Konzepts Definitheit. Dieses kann sprach- spezifisch unterschiedlich ausgedrückt werden. Eine prototypische Möglichkeit dafür 243 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute stellt der Definitartikel dar. In Sprachen, in denen Definitheit nicht morphosyntak- tisch grammatikalisiert ist, muss die Markierung von Definitheit informationsstruktu- rell resp. diskursorganisatorisch gelöst werden. Dass bei der Realisierung der eingangs aufgestellten Thesen zur Funktion des Definitartikels resp. der D-Position (Argument- fähigkeit, Referenzialität, Definitheit) sprachspezifisch grosse Unterschiede bestehen, macht deutlich, dass diese in einer strengen Form nicht haltbar sind und der Definit- artikel für diese Aufgaben nur eine Möglichkeit unter anderen ist. 8.2.1.3. Definitheit und Spezifizität Das Konzept der Spezifizität ist ein dem Konzept der Definitheit verwandter Begriff, der – obwohl oder gerade weil er häufig mit der Definitheit gleichgesetzt oder zumin- dest nicht hinreichend von ihr unterschieden wird – klar abgegrenzt werden muss. Dass es sich bei Spezifizität tatsächlich um eine eigenständige Grösse handelt, kommt besonders deutlich in Sprachen zum Ausdruck, die Spezifizität grammatikalisiert ha- ben, indem sie zwei Artikelformen unterscheiden (Lyons 1999, Aboh 2004): eine unspe- zifische und eine spezifische – wie z.B. das Samoanische mit einem spezifischen Artikel le und einem unspezifischen Artikel se (vgl. Lyons 1999:57f.). Während bei der Definitheit wie gezeigt die Referenzfixierung (vgl. Wimmer 1979)15 durch den Hörer im Zentrum steht, steht bei der Spezifizität der Sprecher im Zentrum. Spezifizität wird – vortheoretisch gesprochen – dadurch bestimmt, was der Sprecher „im Kopf“ hat.16 Bei einer spezifischen Nominalphrase hat er ein ganz bestimmtes Ob- jekt im Sinn, auf das er mittels dieses Ausdrucks referiert (vgl. z.B. Hellan 1981, Ioup 1977). Anders als bei Definitheit spielt die Auffindbarkeit durch den Hörer bei der Spe- zifizität keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Ob eine Nominalphrase spezifisch 15Wimmer geht davon aus, dass weder eine zutreffende Beschreibung noch eine direkte Identifikation notwendig ist, um auf einen Gegenstand zu referieren, sondern vielmehr eine Taufe à la Kripke (1980) in seiner Theorie der starren Bezeichnungsausdrücke (rigid designators). Sich auf Quine berufend, betont auch Bisle-Müller (1991:36), dass es nicht eines raumzeitlichen Koordinatensystems bedarf, sondern vielmehr eine gemeinsame Kommunikationsgeschichte bestehen muss. Er vereint damit die Leistung von SprecherIn und HörerIn, die mittels der Begriffe Definitheit und Spezifizität auseinandergenommen werden. 16Von Heusinger (2002) lehnt diese Bestimmung von Spezifizität entschieden ab, da sie erstens verwir- rend und zweitens zu stark sei. In Fällen von relativer Spezifizität ist die Referenz der Nominalphra- se nicht (notwendig) geklärt, trotzdem kann sie durchaus spezifisch sein (Beispiel nach Higginbotham 1987): (i) George trifft eine bestimmte Studentin von ihm. Diejenige Person, die diesen Satz äussert, hat normalerweise die Referenz von eine bestimmte Studentin nicht „im Kopf“, dennoch ist die Nominalphrase spezifisch zu interpretieren. 244 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute oder unspezifisch ist, hängt auch nicht damit zusammen, ob sie definit ist oder indefi- nit.17 Indefinite Nominalphrasen können unspezifisch und spezifisch sein und definite Nominalphrasen können unspezifisch und spezifisch sein: (27) a. Ich brauche ein Abendkleid (ganz egal wie teuer mich das zu stehen kommt). unspez. indef. b. Ich habe gestern ein Abendkleid anprobiert (das muss ich unbedingt haben). spez. indef. c. Der Student mit der besten Note kriegt einen Preis (ich möchte wissen, wer das ist). unspez. def. d. Der Student mit der besten Note hat so liebe Augen (mit dem würd ich gern mal ausgehen). spez. def. Bei diesen Beispielen wird zudem ersichtlich, dass Spezifizität (im Gegensatz zu Defi- nitheit) erst im Satzzusammenhang bestimmt werden kann. Ein und dieselbe Nomi- nalphrase kann je nach Kontext und Interpretation spezifisch oder unspezifisch ver- wendet werden. Häufig wird als Gegenstück zur spezifischen Lesart die generische Lesart postuliert (Bisle-Müller 1991, Himmelmann 1997 u.a.): (28) Ihsane & Puskás (2001:44) a. Anna geht zu der Schule. spezifisch b. Anna geht zur Schule. generisch Dies ist allerdings problematisch, wie die Beispiele in (27) und (28) zeigen: Zwar kön- nen generisch interpretierte Nominalphrasen als unspezifisch klassifiziert werden, da wie in Beispiel (28-b) nicht eine spezifische Schule gemeint ist, sondern gesagt werden will, dass Anna überhaupt in eine Bildungseinrichtung geht. Aber unspezifische Nomi- nalphrasen müssen nicht notwendig generisch sein, wie in den unspezifischen Beispie- len in (27) deutlich wird – es handelt sich bei dem Studenten mit der besten Note ja sehr wohl um ein bestimmtes Individuum und diesem Individuum kommt die Eigen- schaft zu, Student mit der besten Note zu sein. Prince (1981) hat aufgezeigt, dass die 17Das Begriffspaar spezifisch/unspezifisch wurde ursprünglich für indefinite Nominalphrasen eingeführt, um den Unterschied zwischen referenziell/nicht referenziell, wie er für definite Nominalphrasen postu- liert worden war, auch für indefinite Nominalphrasen beschreibbar zu machen (vgl. Quine 1960, Fillmo- re 1967, Givón 1978). Dies mag auch der Grund sein, dass Spezifizität in der Literatur vorwiegend für indefinite Nominalphrasen verhandelt wird (vgl. Fodor & Sag 1982, Farkas 1994). 245 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute unspezifische Lesart neben der generischen auch die prädikative Lesart, die attributi- ve Lesart (die im engeren Sinne unspezifische) und die Negative Polarity Idiom-Lesart (die nur in negativen Kontexten auftritt) umfasst. Aus diesem Grund plädiere ich da- für, die beiden Gegenüberstellungen spezifisch/unspezifisch und spezifisch/generisch nicht zu vermischen. Um Missverständnissen vorzubeugen, sollte im Begriffspaar spe- zifisch/generisch spezifisch ersetzt werden durch individuell oder partikulär (vgl. von Heusinger 2002, Breu 2004 u.a.). Es sind verschiedene Versuche unternommen worden, den Unterschied zwischen De- finitheit und Spezifizität zu beschreiben. Zur Definition von Spezifizität werden ver- schiedene (sprachphilosophische) Konzepte beigezogen (vgl. z.B. Lyons 1999:168): 1. weiter Skopus – enger Skopus, 2. referenziell – attributiv, 3. de re – de dicto, 4. exten- sional – intensional und 5. rigid – nicht rigid. 1. Skopus: Eine gängige Beschreibung von Spezifizität wird mithilfe von Skopus vorge- nommen (vgl. z.B. Fodor & Sag 1982, Hawkins 1978, Hintikka 1986, Hornstein 1988): Hat eine Nominalphrase weiten Skopus z.B. über einen Subjekt-Quantifizierer, so ist die Nominalphrase spezifisch (29-a); hat hingegen der Subjekt-Quantifizierer weiten Skopus über die Nominalphrase, so ist die Nominalphrase unspezifisch (29-b) (vgl. Enç 1991): (29) Jede Linguistin spricht eine Fremdsprache. a. Es gibt eine Fremdsprache, so dass jede Linguistin sie spricht. b. Für jede Linguistin gibt es irgendeine Fremdsprache, die sie spricht. Je nachdem, ob eine Nominalphrase wie eine Fremdsprache weiten Skopus oder en- gen Skopus hat, wird sie spezifisch oder unspezifisch interpretiert. Eine (halb-)formale Schreibweise zeigt den Unterschied wie folgt: (30) a. 9x 8y sprechen(x, y) weiter Skopus von eine Fremdsprache: spezifisch b. 8y 9x sprechen(x, y) enger Skopus von eine Fremdsprache: unspezifisch Als „Erkennunsgsmerkmal“ für spezifische Nominalphrasen wurde vorgeschlagen, Ad- jektive wie spezifische, gewisse, besondere, bestimmte einzusetzen (Fodor & Sag 1982, Hintikka 1986, Hornstein 1988): 246 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute (31) Es gibt eine spezifische / gewisse / besondere / bestimmte Fremdsprache, die jede Linguistin spricht. Allerdings können diese Adjektive auch in Nominalphrasen auftauchen, die engen Skopus haben (Beispiel nach Hintikka 1986): (32) Each husband had forgotten a certain date – his wife’s birthday. In diesem Beispiel hat die Phrase a certain date engen Skopus, d.h. für jeden Ehemann gibt es ein (anderes) bestimmtes Datum, das er vergisst. Dennoch taucht diese Phrase mit dem Adjektiv certain auf. Aus diesem Grund schlägt Enç (1991) vor, die These, dass spezifische Nominalphrasen weiten Skopus haben müssen, fallenzulassen. Sie plädiert stattdessen dafür, Spezifizität erstens überhaupt nicht über Skopus zu definieren und zweitens nicht anhand obiger Adjektive identifizieren zu wollen. Wie erwähnt, können nicht nur bei indefiniten, sondern auch bei definiten Nominal- phrasen spezifische und unspezifische Lesarten unterschieden werden: (33) Der Student mit der besten Abschlussarbeit kriegt einen Preis. a. ... dieser hat sich über diese Ehre sehr gefreut. b. ... ich bin ja gespannt, wer es dieses Jahr ist. Ähnliche Beispiele können auch für opake Kontexte wie Propositionale Einstellungen, Fragen, Verneinungen, intensionale Verben, Modalverben oder Konditionale angege- ben werden (vgl. Lyons 1999:167f.):18 18Opake Kontexte (d.h. nicht transparente Kontexte) sind z.B. intensionale Kontexte, die durch inten- sionale Verben wie glauben, hoffen, fürchten ausgelöst werden, oder modale Kontexte, die durch Modal- verben wie wollen, müssen oder Modaloperatoren wie möglich, notwendig hervorgerufen werden. Opake Kontexte zeichnen sich dadurch aus, dass bedeutungsgleiche Ausdrücke in einem Satz nicht salva ve- ritate, d.h. unter Erhaltung des Wahrheitswertes, ausgetauscht werden können. Bei folgendem Satz handelt es sich um einen transparenten Kontext. Der Ausdruck Morgenstern kann durch den Ausdruck Abendstern salva veritate ausgetauscht werden, d.h. der Wahrheitswert wahr bleibt durch die Ersetzung erhalten: (i) a. Der Morgenstern ist die Venus. b. Der Abendstern ist die Venus. Erscheint dieser Satz aber in einem opaken Kontext, kann Morgenstern nicht mehr salva veritate durch Abendstern ersetzt werden: (ii) a. Mona glaubt, dass der Morgenstern die Venus ist. b. Mona glaubt, dass der Abendstern die Venus ist. 247 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute (34) Die Universität möchte dem besten Studenten einen Preis verleihen. a. ... dieser hat sich über diese Ehre sehr gefreut. b. ... ich bin ja gespannt, wer es dieses Jahr ist. Während bei opaken Kontexten die Ambiguität zwischen einer spezifischen und ei- ner unspezifischen Lesart von definiten Nominalphrasen durch die logische Struktur zustande kommt, indem zwei mögliche logisch-semantische Repräsentationen beste- hen – einmal mit engem, einmal mit weitem Skopus des Existenzquantors über den zweiten Quantor (Frage-, Negations-, belief-Operator etc.), muss der Unterschied bei transparenten Kontexten woanders liegen: Da normalerweise nur ein Quantor vor- kommt, kann der Unterschied nicht auf Skopusambiguitäten beruhen. Tatsächlich scheint bei transparenten Kontexten die oben gemachte allgemeine Behauptung, dass es bei der Spezifizität darauf ankommt, ob der Sprecher ein bestimmtes Referenzob- jekt im Kopf hat oder nicht, im Vordergrund zu stehen. Auch bei opaken Kontexten besteht dieser Unterschied, allerdings kann er zusätzlich an der Skopusambiguität logisch festgemacht werden. Opake Kontexte sind demnach in der Frage nach der (Nicht-)Spezifizität von Nominalphrasen nicht der Normal-, sondern ein Spezialfall. Um dem Begriff der Spezifizität auf die Spur zu kommen, müssen transparante Kon- texte anhand weiterer Spezifizitätskonzepte geprüft werden. 2. referenziell/attributiv: Donnellan (1966) unterschiedet zwischen referenziellem und attributivem Gebrauch eines kennzeichnenden Ausdrucks. Um es mit Donnellans Bei- spiel zu verdeutlichen: (35) Der Mörder von Smith ist verrückt. In seinem attributiven Gebrauch meint dieser Satz, dass wir zwar (noch) nicht wissen, wer Smith ermordet hat, wir aber über diese Person urteilen, dass sie verrückt ist (z.B. aufgrund des grauenhaften Blutbads, das sie angerichtet hat): (36) Der Mörder von Smith, wer auch immer es ist, ist verrückt. Es könnte sein, dass Mona zwar weiss, dass der Morgenstern die Venus ist, dass sie aber nicht weiss, dass der Abendstern ebenfalls mit der Venus identisch ist. In diesem Fall ist der erste Satz wahr, der zweite Satz aber falsch. Zur Bestimmung opaker Kontexte gehört ferner, dass das Prinzip der Existenzgeneralisierung einge- schränkt ist: Aus dem Umstand, dass Mona fürchtet, dass sich im Keller ein Gespenst versteckt hält, folgt nicht, dass es Gespenster gibt. 248 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute Die Eigenschaft ,Mörder von Smith‘ muss dieser Person notwendig zukommen, geht es doch bei diesem Gebrauch gerade um die Attribuierung dieser Eigenschaft – wem sie attribuiert wird, spielt keine Rolle (und kann solange die Untersuchung nicht ab- geschlossen ist, eventuell auch gar nicht beantwortet werden). Anders beim referen- ziellen Gebrauch: Hier wird auf eine ganz bestimmte Person referiert, z.B. Jones, von der wir annehmen, dass sie Smith ermordet hat (obwohl dies vielleicht noch gar nicht bewiesen ist). Ob also Jones die Eigenschaft ,Mörder von Smith‘ tatsächlich zukommt, ist nicht relevant. Es geht nur darum, mittels einer Beschreibung die Referenz festzu- legen – identifiziert der Hörer dank dieser Beschreibung den richtigen Referenten, ist der Zweck erfüllt.19 Nach Bisle-Müller (1991) kann das Begriffspaar referenziell/attributiv allerdings nicht gleichgesetzt werden mit dem Begriffspaar spezifisch/unspezifisch, da zwar referenzi- ell immer spezifisch ist, aber attributiv sich nicht mit unspezifisch deckt. Vielmehr sei attributiv zwar nicht lokalisiert (wir wissen nicht, welche Person der Mörder von Smith ist), aber dennoch spezifisch (es gibt genau eine ganz spezifische Person, auf die die Beschreibung ,Mörder von Smith‘ zutrifft und diese ist damit für HörerIn und SprecherIn kommunikativ fixiert). Unspezifische Nominalphrasen hingegen sind we- der lokalisiert noch kommunikativ fixiert. Auch Himmelmann (1997) vertritt diese Auffassung von Spezifizität. Ich vermute hier indessen eine Verwechslung von defi- nit und spezifisch und halte dieses Verständnis deshalb für fehlgeleitet. Alexiadou et al. (2007:143) scheinen eine ähnliche Unterscheidung zu treffen. Sie vertreten aber die gegenteilige Sicht, indem sie behaupten, dass das Verhältnis zwischen referenziell und spezifisch nicht eindeutig ist, da spezifisch zwar immer referenziell sein muss, aber re- ferenziell nicht notwendig spezifisch.20 Lyons macht – allerdings aus anderem Grund – ebenfalls darauf aufmerksam, dass sich die Begriffspaare nicht genau decken. Er nutzt die Begriffsdiversität zur Differenzierung: Das Begriffspaar ,weiter Skopus/enger Sko- pus‘ verwendet er in opaken Kontexten, ,referenziell/nicht referenziell‘ allein in trans- parenten Kontexten und ,spezifisch/unspezifisch‘ als (informaler) Überbegriff für beide Kontexte. 3. de re/de dicto: Ein weiteres Begriffspaar, das im Zusammenhang mit der Unter- scheidung spezifisch/unspezifisch häufig zur Sprache kommt, ist die Unterscheidung zwischen de dicto (als Pendant zum unspezifischen Gebrauch) und de re (als Pendant 19Von Heusinger (1997) weist darauf hin, dass attributive Lesarten nur bei Kennzeichnungen möglich sind. In Beispielen wie Der Mann ist verrückt kann der Mann nur referenziell verstanden werden. 20Allerdings legen auch sie unter Berufung auf Ihsane & Puskás (2001) nahe, dass unspezifisch mit generisch gleichgesetzt werden kann. Ihsane & Puskás vertreten dies zwar nicht explizit, die Beispiele, die sie wählen, lassen aber auf dieses Verständnis schliessen: Anna geht zur Schule (unspezifisch = generisch) versus Anna geht zu der Schule (spezifisch). 249 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute zum spezifischen Gebrauch). Die Unterscheidung geht ursprünglich auf Abelard zu- rück, dem aufgefallen ist, dass bei der Interpretation von Sätzen mit den Modalope- ratoren möglich und notwendig Ambiguitäten auftreten können: Die Möglichkeit oder die Notwendigkeit kann sich entweder auf den sprachlichen Ausdruck beziehen (über das Gesagte: de dicto) oder sie kann dem Gegenstand (über die Sache: de re) zukom- men. Die Unterscheidung von de dicto und de re wurde z.B. von Kripke anhand des folgenden Beispiels besprochen:21 (37) The number of planets is necessarily odd. (Kripke 1977:258) Wird dieser Satz de dicto interpretiert, wird gesagt, dass es notwendigerweise eine ungerade Anzahl Planeten gibt. De dicto gelesen ist dieser Satz natürlich falsch, da auch eine gerade Anzahl von Planeten denkbar ist.22 Wird der Satz hingegen de re interpretiert, wird über die tatsächliche Anzahl der Planeten (nämlich 9) ausgesagt, dass sie notwendig ungerade ist. De re gelesen ist dieser Satz wahr, da es nicht denkbar ist, dass die Zahl 9 gerade ist. Kripke hält für Kontexte wie Beispiel (37) die Unterscheidung zwischen de dicto und de re für unumgänglich (vgl. Kripke 1980), warnt jedoch davor, sie mit Donnellans Un- terscheidung von attributiv und referenziell zu vermischen (vgl. Kripke 1977).23 Bis- weilen wird zwar dafür argumentiert, dass der referenzielle Gebrauch mit dem de re- Gebrauch zusammenfällt, da in beiden Fällen eine Aussage über einen (bestimmten) Gegenstand gemacht werde, wohingegen beim attributiven Gebrauch wie bei der de dicto-Verwendung gerade nicht über einen bestimmten Gegenstand gesprochen wird (sondern über eine Eigenschaft, die dem einen oder anderen Gegenstand nicht not- wendig, sondern nur kontingent zukommt). Kripke zeigt aber auf, dass es Fälle gibt, in denen die de dicto-Verwendung weder attributiv noch referenziell ist, und Fälle, in denen die de re-Verwendung nicht der referenziellen, sondern der attributiven Verwen- dung gleichkommt. Aus denselben Gründen ist auch die Gleichsetzung von de re/de dicto mit unspezifisch/spezifisch problematisch. 21Das Beispiel stammt von Quine (1956). Quine hat sich später – in Word and Object (1960, § 41) – von der de re-Verwendung distanziert und diese als unnütz eingestuft. Er macht darauf aufmerksam, dass es keinen Sinn ergibt (und vor allem mitunter gar nicht möglich ist), Eigenschaften in notwendig und kontingent zu unterteilen, soweit es darum geht, über einen Gegenstand zu sprechen. 22De facto hat sich dies sogar bewahrheitet, indem Pluto im August 2006 der Planetenstatus aberkannt wurde. 23Kripke betont mit seiner Unterscheidung von semantischer Referenz (für attributiv) und Sprecher- Referenz (für referenziell) den Umstand, dass nur die semantische Referenz die eigentliche Semantik von Kennzeichnungen betreffe, die Sprecher-Referenz hingegen nur durch die pragmatische Intention des Sprechers bestimmt sei. 250 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute 3. extensional/intensional: Auf ähnlichen Gründen basiert die Gleichsetzung von spe- zifisch/unspezifisch mit extensional/intensional. Die Unterscheidung zwischen Intensi- on und Extension geht auf Carnap (1947) zurück, der versucht hat, Freges Unterschei- dung zwischen Sinn und Bedeutung systematisch greifbar zu machen. Die Intension bezeichnet den Begriffsinhalt, d.h. die Summe aller Eigenschaften, die den Begriff aus- machen. Die Extension ist der Begriffsumfang, d.h. die Menge aller Gegenstände, die unter den Begriff fallen (die die Eigenschaften aufweisen, die den Begriff ausmachen). Es wird dafür argumentiert, dass die Extension eines sprachlichen Ausdrucks dem spezifischen Gebrauch entspricht, da auf einen konkreten Gegenstand Bezug genom- men wird, und dass die Intension dem unspezifischen Gebrauch entspricht, da über irgendeinen Gegenstand gesprochen wird, der eine bestimmte Eigenschaft aufweist. Bei dieser Gegenüberstellung stösst man allerdings auf ähnliche Probleme in der Ab- grenzung, wie oben für referenziell/attributiv und de re/de dicto festgehalten wurden. Zudem ist auch eine Gleichsetzung von Intension/Extension und Sinn/Bedeutung pro- blembehaftet: 1. stellen Intension und Extension landläufig die Bedeutungsaspekte von Prädikatausdrücken dar, Sinn und Bedeutung werden hingegen auch auf Eigen- namen und Sätze angewendet und 2. sind mit der Extension eines Ausdrucks (z.B. Planet) die einzelnen Gegenstände (die einzelnen Planeten) gemeint, Frege (1891) hin- gegen versteht unter dessen Bedeutung den abstrakten Begriff ,( ) ist ein Planet‘. 4. rigide/nicht rigide: Zu diesen Analogie-Versuchen gehört ausserdem das Begriffs- paar rigide (als Pendant zu spezifisch) und nicht rigide (als Pendant zu unspezifisch). Kripke hat in Naming and Necessity (1980) Namen als so genannte starre Bezeich- nungsausdrücke (rigid designators) definiert; das sind Ausdrücke, die in allen mögli- chen Welten auf denselben Gegenstand Bezug nehmen. In einem Satz wie (38) wird angenommen, dass in allen möglichen Welten mit dem Namen Aristoteles auf diesel- be Person Bezug genommen wird – ganz abgesehen von ihrer Beschaffenheit in der jeweiligen Welt. (38) Aristoteles mochte Hunde. (Kripke 1993:12) Mit der Theorie der starren Bezeichnungsausdrücke hat Kripke allen Bündeltheorien eine Absage erteilt (vgl. Kripke 1980:60ff.24), indem er gezeigt hat, dass die Bedeu- tung eines Namens nie von Eigenschaften (Russells Kennzeichnungen, Freges Sinn) abhängen kann, da diese dem Gegenstand, den der starre Bezeichnungsausdruck be- zeichnet, eventuell in einer möglichen Welt nicht zukommt. Dies schliesst nicht aus, 24„[Die Bündeltheorie] ist wirklich eine hübsche Theorie. Der einzige Mangel, den sie meiner Meinung nach aufweist, ist wahrscheinlich allen philosophischen Theorien gemein. Sie ist nämlich falsch“ (Kripke 1993:76), vgl. Argumente für die Bündeltheorie bei Strawson (1959), Searle (1958). 251 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute dass beim Referenzakt resp. beim Taufakt eine Beschreibung verwendet wurde, um den Referenten zu bestimmen (vgl. Kripke 1980:57). Diese kommt dem Gegenstand aber nur kontingent zu und kann deshalb nicht die Bedeutung des Namens ausma- chen. Während es bei Kripke um Namen geht und um ihre Bezeichnungsstarrheit über mögliche Welten hinweg, beschäftigt sich Donnellan gerade nicht mit Namen, sondern mit Kennzeichnungen – und zwar in transparenten Kontexten. Obwohl teilweise nicht ausgeschlossen wird, dass es auch möglich ist, mit Kennzeichnungen starr zu referie- ren (vgl. Donnellan 1966), so besteht dennoch ein grundlegender Unterschied, indem Kennzeichnungen auch nicht rigide verwendet werden können, Namen hingegen aus- schliesslich rigide (Kripke 1980:6, Fussnote 8). Diese Ausführungen zeigen, dass zwar eine oberflächliche Übereinstimmung zwischen spezifisch, weitem Skopus, referenziell, de re, extensional und rigide resp. unspezi- fisch, engem Skopus, attributiv, de dicto, intensional und nicht ridige besteht. Bei der deckungsgleichen Verwendung ist allerdings wie gezeigt Vorsicht geboten. Ich plädiere deshalb dafür, wenn möglich nur das Begriffspaar spezifisch/unspezifsch zu verwenden und den Begriff Spezifizität im Sinne von Lyons (1999), d.h. mit einer Existenzprä- supposition, und anders als Bisle-Müller (1991) und Himmelmann (1997), d.h. ohne Existenzprässupposition, zu verstehen. Zudem halte ich es für relevant, unspezifisch von generisch abzugrenzen. Deshalb plädiere ich für die Begriffe partikulär oder indi- viduell statt spezifisch als Gegensatz zu generisch – in Übereinstimmung z.B. mit von Heusinger (2002) und Breu (2004) und anders als z.B. Nübling (1992) und Ihsane & Puskás (2001). Der Unterschied zwischen der Definitheit und der Spezifizität von Nominalphrasen ist bei der Konzeption der syntaktischen Struktur der DP von besonderem Interesse – insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob im Schweizerdeutschen dieser Unterschied morphologisch und/oder syntaktisch sichtbar gemacht wird. Gute Kandidaten für eine Unterscheidung wären im Schweizerdeutschen mit den beiden Artikelparadigmen ge- geben. Allerdings ist die Differenz der beiden Artikelformen weder in der Definitheit (beide sind definit) noch in der Spezifizität (beide können spezifisch und unspezifisch gebraucht werden) und auch nicht in der Möglichkeit der generischen Lesart begrün- det: (39) a. Das söu d Sekretärin vom Carl mache. D Linn... red. spez. Das soll dier Sekretärin von Carl machen. Linn... b. Das söu d Sekretärin mache. I kenn die zwar ned... red. unspez. Das soll dier Sekretärin machen. Ich kenne die zwar nicht... 252 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute c. D Sekretärin weiss hüüfig besser Bscheid as de Chef. red. generisch Dier Sekretärin weiss häufig besser Bescheid als der Chef. (40) a. Di Sekretärin, wo Franz cha, het schööni Hoor. voll spez. Diev Sekretärin, die Französisch kann, hat schöne Haare. b. Di Sekretärin, wo Franz cha... E kenne die zwar ned... voll unspez. Diev Sekretärin, die Französisch kann... Ich kenne die zwar nicht... c. Di Sekretärin, wo Franz cha, fend i de Regu e Job. voll generisch Diev Sekretärin, die Französisch kann, findet in der Regel einen Job. Ihsane & Puskás (2001) haben dem Umstand, dass die beiden semantisch-pragma- tischen Begriffe Definitheit und Spezifizität klar unterschieden werden können, syn- taktisch Rechnung getragen, indem sie für die beiden Konzepte zwei verschiedene morphosyntaktische Merkmale ([DEF] und [SPEZ]) postuliert und in der DP-Analyse zwei syntaktische Positionen (DefP und TopP) angenommen haben. Andere AutorIn- nen (z.B. Julien 2005) nehmen zwar nicht zwei distinkte Positionen an, sie gehen aber davon aus, dass es prototypische Positionen für den Ausdruck von Definitheit und von Spezifizität gibt. Julien nimmt fürs Skandinavische an, dass der suffigierte Artikel in einer funktionalen Projektion (nP) unterhalb von D generiert wird und dass dies der prototypische Ort ist, um Spezifizität auszudrücken. Spezifizität kann aber auch durch den präadjektivischen Artikel in D ausgedrückt werden. Ich gehe in Kapitel 9 genauer auf Vorschläge zur syntaktischen Struktur der Nominalphrase und die Verteilung der syntaktisch-semantischen Merkmale ein. 8.2.1.4. Indexikalität und Deixis Ein weiteres semantisch-pragmatisches Konzept, das für den Definitartikel und insbe- sondere fürs Demonstrativum eine grosse Rolle spielt, ist die Deixis resp. die Indexika- lität. Wie in Kapitel 2 und 3 deutlich wurde, wird für den Artikel und fürs Demonstra- tivum zwischen einem phorischen (d.h. im Text verweisenden) und einem deiktischen (d.h. im Raum verweisenden) Gebrauch unterschieden.25 25 Diese beiden Begriffe werden teilweise nicht systematisch auseinandergehalten oder es werden zu- sätzliche Unterscheidungen getroffen. So wird beispielsweise im Grammatik-Duden (2005) neben ana- phorisch auch anadeiktisch (für eine zweite Variante des Verweises im Text) verwendet. Glück (2000) warnt sowohl davor, den Begriff Deixis zu eng zu fassen, indem nur Verweise im realen Raum zuge- lassen werden, als auch davor, ihn zu weit zu fassen, indem z.B. auch die Verweismöglichkeiten des Artikels darunterfallen. Ich verwende phorisch (als Überbegriff für anaphorisch und kataphorisch) für den Textverweis und deiktisch für den räumlichen Verweis. 253 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute Deiktische oder indexikalische Ausdrücke beziehen ihre Bedeutung und ihre Referenz aus der konkreten Sprechsituation. Nach Bühler (1934) setzen sich die Koordinaten der Sprechsituation aus den drei Bestimmungspunkten ich – jetzt – hier, der so ge- nannten Sprecher-Origo, zusammen. Diese Koordinaten werden begrifflich in die so genannten demonstrationes ad oculos unterteilt: Personendeixis (ich), Temporaldeixis (jetzt) und Ortsdeixis (hier). Zusätzlich wird der Raum häufig nach den Koordinaten Nähe und Ferne genauer gegliedert. Ausserdem werden weitere Kategorien zur Dis- kussion gestellt, wie z.B. die Deixis am Phantasma zur Bestimmung der Origo inner- halb eines irrealen, nur vorgestellten Raumes oder die Sozialdeixis zur Bestimmung der sozialen Relation zwischen SprecherIn und HörerIn mittels sozialdeiktischer Ope- ratoren, so genannter Honorifika (vgl. ausführlicher z.B. Fillmore 1997). Des Weiteren stehen in der jüngeren Deixis-Diskussion auch grammatische Marker wie Tempus- oder Modusmarkierungen als Schnittstelle zwischen Grammatik und Deixis zur De- batte (vgl. Zifonun 1997, Fabricius-Hansen 1991, Klein 1992, 1994). Falls solche gram- matischen Marker tatsächlich als deiktische Elemente klassifiziert werden können, würde die Klassifizierung des Artikels als eventuell ausschliesslich grammatische Ka- tegorie, wie dies z.B. Giusti (1994, 1997, 2002) vorschlägt, kein Problem darstellen (vgl. aber Fussnote 25). Kaplan (1978, 1989) und Perry (1977, 1997) vertreten die These, dass Personendeixis, Temporaldeixis und Ortsdeixis als die drei hauptsächlichen deiktischen Koordinaten unter anderem deshalb zu kurz greifen, da die deiktischen Elemente dieses und jenes nicht enthalten sind (vgl. auch Weissenborn & Klein 1982:2). Ausserdem können die Deixiskategorien Zeit und Ort in einem einzigen deiktischen Element auftreten (vgl. z.B. im Deutschen da). Kaplan unterscheidet deshalb zwischen character, content und context eines deiktischen Ausdrucks: Anders als sprachliche Elemente wie Haus oder Ball, die über einen mehr oder weniger klaren semantischen Gehalt (content) verfü- gen, werden indexikalische Ausdrücke über den Charakter (character) definiert. Der Charakter wird zwar kontextunabhängig beschrieben. Dennoch kommt zum Ausdruck, dass die Referenz und damit auch der eigentliche semantische Inhalt von indexikali- schen Ausdrücken kontextabhängig ist. Der Charakter von ich beispielsweise wäre dementsprechend in etwa ‘die sprechende Person’; wer der Referent dieses Ausdrucks ist, kann nur in Bezug auf den Kontext bestimmt werden. Mit der Einführung des Cha- rakters zur Beschreibung des „semantischen Inhalts“ von indexikalischen Ausdrücken wird meiner Meinung nach allerdings deutlich, dass indexikalische und nicht indexika- lische Ausdrücke diesbezüglich gar nicht so weit auseinanderliegen: Allen Ausdrücken ist gemeinsam, dass sie einerseits einen Inhalt und andererseits eine Referenz haben, wobei ihnen der Inhalt kontextunabhängig zukommt und die Referenz von Kontext zu Kontext unterschiedlich ist oder sein kann. Der einzige Unterschied scheint darin 254 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute zu bestehen, dass bei deiktischen Ausdrücken diese Kontextabhängigkeit systematisch ist und im semantischen Gehalt kodiert ist (vgl. zu dieser Behauptung auch Bussmann 2002). Artikel und Demonstrativum26 können demnach als deiktische oder indexikalische Ausdrücke gelten, da sie keinen (kontextunabhängigen) semantischen Inhalt haben wie Haus oder Ball. Vielmehr dienen sie gerade prototypisch dazu, in einer bestimm- ten Situation deiktisch auf ein Objekt zu verweisen. Diese Bestimmung erinnert an die in Kapitel 8.2.1.2 vorgetragene Idee, nach der der Artikel als Wegweiser oder Signal für die eindeutige Referenz gewertet wird. Ich werde die (vorwiegend philosophische) Diskussion um indexikalische Ausdrücke hier nicht weiter ausführen. Ich verwende die griechischen Begriffe Deixis und deik- tisch resp. die lateinischen Begriffe Demonstrativa und demonstrativ wie in der lin- guistischen Debatte üblich im Sinne einer Begriffsdifferenzierung: Von Demonstrativa spreche ich, wenn es mir um die grammatische Kategorie der Demonstrativa geht – im Falle des Schweizerdeutschen für die Demonstrativa dää (‘dieser‘), dese (‘jener‘) u.ä. Von Deixis oder deiktischen Elementen spreche ich, wenn es mir um die semantisch- pragmatische Funktion geht – die deiktische Funktion der Definit-Determinierer in Abgrenzung z.B. zur phorischen Funktion. Zu untersuchen gilt es allerdings, ob die semantisch-pragmatische Funktion der Deixis syntaktisch Niederschlag findet. So soll in Kapitel 9 zur Sprache kommen, ob ein funk- tionales Merkmal [deikt] oder eventuell eine funktionale Projektion DxP (vgl. Vangs- nes 1999, 2001) in der DP-Syntax angenommen werden muss. Für die Position die- ses Merkmals wurden verschiedene Vorschläge gemacht. Brugè (2002) hat z.B. vor- geschlagen, dass das Demonstrativum einer funktionalen Projektion unterhalb von D (zwischen NP und DP) entspringt. Ihsane & Puskás (2001) postulieren eine Projektion oberhalb der D(ef)P, da Deixis sehr weit oben ausgedrückt werden muss. Giusti (1997, 2002) geht davon aus, dass das Demonstrativum in einer nicht funktionalen Projekti- on unterhalb von FPmax generiert und nach Spec,FPmax angehoben wird. Ich werde auf diese Vorschläge in Kapitel 8.3 eingehen. 26Nach Giusti (1997) hat der Artikel überhaupt keinen semantischen Inhalt, Demonstrativa haben im- merhin deiktische Bedeutung. Zahlreiche Beispiele können allerdings die Behauptung zumindest fürs Deutsche widerlegen, dass der Artikel niemals deiktische Funktion übernehmen kann (vgl. dazu aus- führlicher Kapitel 3). 255 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute 8.2.2. Artikel und Demonstrativum als prototypische D? Die Frage, ob die in Kapitel 8.2 dargelegten Eigenschaften der Kategorie D zukommen oder ob sie dem Definitartikel (als prototypische lexikalische Entsprechung zur Kate- gorie D) zugesprochen werden sollen, ist nicht einfach zu beantworten und hängt nicht zuletzt auch von der Konzipierung der Nominalphrasen-Kartografie ab. Während die Eigenschaften einer funktionalen Kategorie durch den Definitartikel erfüllt werden, kann beispielsweise das Demonstrativum nur schwer als Lexikalisierung der funk- tionalen Kategorie D angesehen werden. Nach Abney (1987:64f.) erfüllen funktionale Elemente folgende Eigenschaften: (i) Functional elements constitute closed lexical classes. (ii) Functional elements are generally phonologically and morphologically depen- dent. They are stressless, often clitics or affixes, and sometimes even phonolo- gically null. (iii) Functional elements permit only one complement, which is in general not an argument. [...] (iv) Functional elements are usually inseparable from their complement. (v) Functional elements lack [...] ‘descriptive content’. [...] In Bezug auf diese Eigenschaften scheint der Definitartikel tatsächlich eine funktio- nale Kategorie par excellence zu sein. Er gehört zu einer geschlossenen Klasse, er ist phonologisch und morphologisch abhängig. Im Schweizerdeutschen (und zahlreichen anderen Dialekten und Sprachen) ist zumindest der reduzierte Artikel unbetont und in vielen Fällen ein Klitikon (vgl. die Diskussion in Kapitel 3.2.2.2).27Auch erlaubt der Definitartikel wie gewünscht nur ein Komplement und dieses ist wie oben gezeigt tat- sächlich kein Argument. Die Bestimmung, dass nur ein bestimmter Phrasentyp als Komplement möglich ist, kann beim Artikel allerdings nicht unreflektiert bestätigt werden (vgl. Kapitel 8.1.1.1). Eigenschaft (iv) grenzt Definitartikel von Quantifizie- rern ab, die durch so genanntes Quantifier Floating von ihrem Komplement getrennt werden können: (41) a. Kaffee trink ich noch einen, bevor ich gehe. b. *Kaffee trink ich noch den, bevor ich gehe. 27Ob der reduzierte Artikel und der volle Artikel im Schweizerdeutschen zur selben Klasse gehören, ob sie in derselben Position generiert werden und inwieweit sie dieselben grammatischen und semantischen Aufgaben übernehmen, muss im Detail geklärt werden. Vgl. dazu Kapitel 2 und 3 und Kapitel 9. 256 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute Für Demonstrativa oder betonbare Artikel gilt die Nicht-Trennbarkeit allerdings nicht: (42) Kaffee trink ich noch diesen / dén da bevor ich gehe. Obwohl der Artikel semantische Aufgaben übernimmt und wie oben beschrieben auch für semantische Merkmale steht, verfügt er nicht wie ein so genanntes Inhaltswort über einen deskriptiven Inhalt. Dies veranlasst Giusti (1994, 1997, 2002) dazu, den bestimmten Artikel (im Gegensatz zum Demonstrativum) als funktionalen Kopf in der DP zu bestimmen, dessen einzige Aufgabe im Ausdruck der morphosyntaktischen Merkmale besteht (vgl. auch Krámsk⇤ 1972). Die enklitischen Artikelformen, die in einigen Sprachen wie z.B. dem Skandinavischen Double Definiteness zulassen, nimmt Giusti als Beweis, dass dem Artikel die Fähigkeit, Definitheit auszudrücken, abzu- sprechen ist. Da bei dieser doppelten Artikelsetzung auf nur ein Referenzobjekt Be- zug genommen wird, muss es Artikelformen geben, die gerade nicht Definitheit aus- drücken. Aus diesem Grund werden diese Artikelformen häufig expletiv genannt, da sie nichts zur semantischen Interpretation des nominalen Ausdrucks beitragen. An- dererseits muss bei den semantischen Merkmalen, wie oben gezeigt, genauer unter- schieden werden. Der Artikel steht nicht nur für Definitheit, sondern für zusätzliche semantische Merkmale – die in vielen Dialekten durch unterschiedliche Artikelfor- men ausgedrückt werden können. Aus diesem Grund halte ich den Schluss, den Giusti aus der doppelten Artikelsetzung (resp. dem Determiner Spreading) zieht, für verfehlt. Ausserdem sollte in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden, dass es ein Prinzip zu geben scheint, wonach die Morphologie immer Vorrang vor der Semantik hat. Auch wenn ein Determinierer zuerst „nur“ morphosyntaktisch fundiert ist, ist es dennoch möglich, seine Präsenz für semantische Zwecke zu Nutzen, ohne dass dadurch ein Wi- derspruch entsteht. Beispiele wie das folgende machen diesen Unterschied deutlich (vgl. Bayer et al. 2001): (43) a. Man sollte Planzen nicht ??(der) Kälte aussetzen. b. (Die) Kälte stört mich nicht. Kontinuativa treten normalerweise im Deutschen ohne Artikel auf. In Beispiel (43-a) wird der Artikel allerdings aus morphosyntaktischen Gründen gesetzt: Da der Dativ als obliquer Kasus morphologisch ausgedrückt werden muss, das Nomen Kälte aber den Dativ nicht ausdrücken kann, übernimmt der Artikel die Kasusmarkierung. Die Morphologie wird also stärker gewertet als die Semantik. Dies schliesst aber nicht aus, dass der Artikel in Fällen, in denen er morphosyntaktisch nicht gefordert ist, aus se- mantischen Gründen gesetzt wird. In Beispiel (43-b) kann der Artikel zu semantischen 257 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute Zwecken gebraucht werden: Da der Nominativ morphologisch nicht ausgedrückt wer- den muss, ist die Einsetzung des Artikel nicht gefordert. Wird er dennoch gesetzt, zeigt er den semantischen Unterschied zwischen einer generischen Lesart des Kontinuati- vums (Kälte im Allgemeinen) und einer partikulären Lesart (die momentane Kälte) an. Abgesehen von diesen Vorbehalten, bin ich mit Giusti, Krámsk⇤ u.a. einig, dass der Ar- tikel den prototypischen Determinierer darstellt. Zusätzlich gehe ich davon aus, dass zwischen den beiden Artikelparadigmen im Schweizerdeutschen und anderen Dialek- ten genau differenziert werden muss bezüglich ihrer grammatischen und semanti- schen Aufgabe (vgl. dazu ausführlich Kapitel 8.2.1). Für Demonstrativa sieht die Situation anders aus. Für die Nominalphrasenanalyse sind viele Versuche unternommen worden, die beiden Paradigmen Artikel und De- monstrativum auseinanderzuhalten und ihre syntaktischen Unterschiede zu beschrei- ben. Dabei können zwei Grundtendenzen ausgemacht werden: Entweder wird davon ausgegangen, dass sich die beiden Paradigmen syntaktisch nicht relevant unterschei- den, oder es wird angenommen, dass sie sich syntaktisch gänzlich unterschiedlich ver- halten. Im ersten Fall wird angenommen, dass sich das Demonstrativum wie ein Ar- tikel verhält. Es wird im D-Kopf generiert und kann ein (nominales) Komplement se- legieren. Wird das Demonstrativum als Pronomen verwendet, ist es allerdings intran- sitiv, d.h. es tritt ohne Komplement auf. Obwohl Unterschiede zwischen den beiden Paradigmen Artikel und Demonstrativum (in der morphologischen Form, in der (In- )Transitivität, im semantischen „Gehalt“ und eventuell in der Merkmalsstruktur) be- stehen, haben sie in dieser Konzeption keine Auswirkung auf die syntaktische Struk- tur. Im zweiten Fall hingegen wird angenommen, dass es sich bei den beiden Paradig- men um gänzlich unterschiedliche Elemente handelt und dass sich die Unterschiede in der syntaktischen Struktur auswirken. Der Artikel stellt einen funktionalen Kopf dar, der in der D-Position generiert wird (vgl. oben). Beim Demonstrativum hingegen wird angenommen, dass es sich nicht um einen lexikalischen Kopf, sondern um ei- ne Phrase handelt. Diese Ansicht wird häufig aus konzeptioneller Sicht abgelehnt, da Widerstände bestehen gegen die Vorstellung, dass ein lexikalisches Element wie ein Demonstrativum kein Kopf sein soll, sondern immer eine Phrase. In der Generativen Grammatik hat diese Diskussion wie erwähnt seit Bare Phrase Structure (Chomsky 1995a) etwas an Bedeutung verloren, da davon ausgegangen wird, dass die Entschei- dung Kopf oder Phrase nicht im Voraus gefällt werden muss. Für einen Phrasenstatus von Demonstrativa sprechen z.B. periphrastische Konstruktionen wie dieser da. Die Datenlage in verschiedenen Sprachen deuten ausserdem darauf hin, dass Demonstra- tiva nicht in der D-Projektion, sondern in einer tieferen Projektion (zwischen DP und 258 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute NP) basisgeneriert werden. Ich werde auf die syntaktische Analyse von Demonstrativa in Kapitel 9 genauer eingehen. 8.3. Um die DP herum In der Nominalphrase wurden neben der funktionalen Kategorie D zahlreiche weitere Kategorien für die verschiedenen morphosyntaktischen und semantischen Merkmale vorgeschlagen. Wie viele und welche Kategorien genau nötig sind, wird kontrovers diskutiert. 8.3.1. Über der DP Seit Giusti (1993) wird über der DP eine funktionale Kategorie K für Kasus ange- nommen. Die Annahme, dass K oberhalb von D angesiedelt ist, beruht darauf, dass K für die Selektionsmerkmale und für die Kongruenzmerkmale zuständig sein soll. Es wird davon ausgegangen, dass eine Bewegung von D-nach-K stattfindet, damit die Kasusmerkmale am Artikel gecheckt werden können. Teilweise wird anstelle einer KP als höchste funktionale Kategorie in der Nominalphrase eine Kasusphrase wie CaseAgrP, CaseP oder AgrGenP (für Genitivsubjekte) unterhalb von D angenommen (Kayne 1989, Valois 1991 u.a.). Die Annahme, dass sich über der DP eine eigene Projektion für das morphosyntakti- sche Merkmal Kasus befindet, beruht darauf, dass Kasus bei den morphosyntaktischen Merkmalen (Person, Genus, Numerus (= phi-features) und Kasus) insofern eine Son- derstellung einnimmt, als es sich dabei nicht wie bei Person und Genus um eine fixe Grösse handelt, sondern (ähnlich wie beim Numerus) je nach Gebrauch im Satz festge- legt wird und damit (anders als der Numerus) auch die Unterscheidung zwischen Sub- jekt und Objekt gewährleistet resp. die Verteilung der thematischen Rollen zu einem gewissen Grad ermöglicht wird. Darüber hinaus ist Kasus im Unterschied zu den phi- Merkmalen nicht interpretierbar. Dennoch sind auch für die übrigen morphosyntak- tischen Merkmale teilweise eigene Projektionen angenommen worden. Diese werden normalerweise zwischen DP und NP postuliert (vgl. dazu den folgenden Abschnitt). Unter der Annahme, dass in DP nur Artikel stehen (und nicht auch Quantifizierer, Demonstrativa, Possessivpronomen u.ä.) wird es für artikellose Sprachen fraglich, ob eine KP und/oder eine DP gerechtfertigt ist. Aus diesem Grund wird häufig statt ei- ner KP oder DP neutraler eine FP (allgemein für funktionale Kategorie) angenommen. 259 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute Wenn ein overter Artikel vorhanden ist, steht dieser in F0. Bei Annahme zweier funk- tionaler Projektionen FP und DP wird er nach F angehoben (D-nach-F). Wenn kein overter Artikel vorhanden ist, attrahiert F0 das Nomen (N-nach-F). Neben KP werden verschiedene funktionale Phrasen (teilweise als nicht weiter spezi- fizierte FPs) und teilweise auch iterierende DPs debattiert (mit jeweils unterschied- lichen Funktionen resp. Merkmalen, wie z.B. [dem] / [deikt]). Da meistens als ab- schliessende Projektion eine DP postuliert wird (vgl. Ihsane & Puskás 2001, Laenzlin- ger 2005), werden die verschiedenen funktionalen Projektionen in der DP im nächsten Abschnitt behandelt, ohne dem Umstand Rechnung zu tragen, dass sie teilweise über einer (ersten) DP generiert werden. 8.3.2. Zwischen DP und NP Zwischen DP und NP werden Projektionen angenommen für morphosyntaktische Merk- male (NumP, GenP etc.), für semantische Merkmale (DefP, DeixP/DxP etc.), für modifi- zierende Kategorien (ModP, DegP, QP etc.) und für informationsstrukturelle Angaben (TopP, FocP etc.). 1. morphosyntaktische Merkmale: Ritter (1991) hat aufgrund von Nominalphrasendaten im Hebräischen vorgeschlagen, zwischen DP und NP eine NumP anzunehmen, die für die Numerus-Spezifikation der Nominalphrase zuständig ist. Die NumP ist das Komplement von D.28 Ganz ähnlich wie im Satz das Verb seine Tense-Merkmale in TP checkt, kann das Nomen seine Numerus-Merkmale in NumP checken. Ebenfalls für eine NumP haben sich u.a. auch Valois (1991), Picallo (1991), Bernstein (1991) oder Delfitto & Schroten (1991) ausge- sprochen.29 Etwas weniger akzeptiert und deshalb kontroverser diskutiert ist die Annahme einer funktionalen Kategorie für Genus (GenP) wie sie z.B. Picallo (1991) vorschlägt. Häufig wird hierfür auch eine neutralere Kategorie Word Marker (WMP) angenommen (z.B. Harris 1991). Aufgrund der Merkmalsabfolge (Genus-Affixe werden gewöhnlich näher 28Die Annahme von weiteren funktionalen Kategorien in der Nominalphrase, die zwischen DP und NP liegen, macht die Diskussion, ob DPs immer NPs selegieren oder ob auch andere Phrasen infrage kom- men (vgl. 8.1.1.1, Haider 1988:42), hinfällig – ausser wenn für diese Frage alle funktionalen Kategorien unter eine lexikalische Kategorie subsumiert werden und die Diskussion nur Nominalphrase, Verbphra- se, Adjektivphrase und Präpositionalphrase als Kategorien berücksichtigt. 29Letztere drei gehen davon aus, dass Numerus-Affixe nicht die Num-Köpfe sind, sondern unterhalb der Wortebene eingefügt werden (X1). 260 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute am Wortstamm gebildet als Numerus-Affixe) wird angenommen, dass sich diese Pro- jektion zwischen NumP und NP befindet. An Akzeptanz fehlt es in erster Linie durch mangelnde empirische Evidenz – häufig wird deshalb dafür argumentiert, dass Nume- rus und Genus in derselben Projektion (z.B. für Word Marker) und nicht in gesonder- ten Projektionen realisiert werden. Angeregt durch die Distributed Morphology (Halle & Marantz 1993), wird auch für eine Zusammenfassung aller morphosyntaktischen Merkmale in einer FP direkt über der NP plädiert (vgl. z.B. Bernstein 1997). 2. semantische Merkmale: Neben den Vorschlägen für die morphosyntaktischen Merkmale in der Nominalphrase wurden verschiedene semantisch motivierte funktionale Kategorien diskutiert. Abge- sehen von der DP (für Determination) wurde vorgeschlagen, in Anlehnung an FinP im Satz eine eigene Projektion DefP für Definitheit anzunehmen. Ausserdem wurde diskutiert, ob auch semantische Konzepte wie Spezifizität oder Einzigkeit berücksich- tigt werden sollten. So haben Ihsane & Puskás (2001) für das Merkmal [SPEZ] eine TopP angenommen, Vangsnes (1999, 2001) hat vorgeschlagen, das Merkmal [unique] in der KP abzugleichen und für Demonstrativa eine DxP (für die deiktische Kompo- nente) anzunehmen. Für die Relation Possession wurde eine PossP vorgeschlagen (vgl. z.B. Valois 1991) resp. eine nP in Anlehnung an vP (Julien 2005). 3. modifizierende Merkmale: Ebenfalls zur Diskussion stehen spezielle funktionale Kategorien für verschiedene mo- difizierende Elemente in der Nominalphrase. So wurde immer wieder diskutiert, ob Quantifizierer eine eigene Kategorie QP bilden oder ob sie wie Artikel als D-Köpfe gel- ten sollen. Ausserdem steht zur Debatte, ob sie wie Adjektive der Modifikation dienen und was für eine Position sie einnehmen (eine Adjunkt-Position der NP resp. von N oder in Spec,NP).30 Für die lexikalische Kategorie Adjektiv wurde eine funktionale Projektion Deg(ree)P (Abney 1987, Bhatt 1990 u.a.) oder AgrP (Giusti 1993) vorgeschlagen. Degree kann entweder in Deg0 als Gradwort realisiert sein, als Affix auftreten oder auch morpho- logisch unausgedrückt bleiben. Die Adjektivphrase bildet das Komplement von Deg0. Für die NP wird angenommen, dass sie in der Spec-Position der AP oder als Komple- ment der AP (vgl. Abney 1987, Vangsnes 2001 und die Ausführungen in Kapitel 9.3)31 30Vgl. dazu ausführlicher Szabolci (1987), Abney (1987), Cardinaletti & Giusti (1989), Sportiche (1988) und die Zusammenfassung der Diskussion in Coene & D’Hulst (2003). 31Insbesondere aufgrund der skandinavischen Daten wird als alternative Adjektivanalyse die Kopfanaly- se (die bereits Abney 1987 vorgeschlagen hat) motiviert. Diese geht davon aus, dass die Adjektivphrase die NP als Komplement selegiert. Durch die Blockierung von N-nach-D-Bewegung durch das intervenie- 261 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute generiert wird. Eine andere Möglichkeit der Adjektivphrasen-Generierung ist die AP- Adjunktion an die NP oder die Spec-Position einer funktionalen Kategorie zwischen D und N. Aus verschiedenen Gründen (vgl. Crisma 1993, Cinque 1993) wird die zweite Möglichkeit vorgezogen, obwohl insgesamt mehr Projektionen postuliert werden müs- sen. Darüber hinaus wird von einer strikten semantisch-motivierten hierarchischen Abfolge der Adjektive ausgegangen, ganz ähnlich wie dies für Adverben in der Verb- phrase vorgeschlagen wurde (Cinque 1993, Crisma 1993).32 Neben der Analyse der Adjektivmodifikation wird der Zusammenhang zu anderen Mo- difikationen diskutiert: Zur Debatte steht, ob sich Adjektive wie andere Modifikatio- nen verhalten oder nicht – oder allgemeiner, was Modifikationen vereint und was sie voneinander unterscheidet. Rubin (2002) schlägt beispielsweise vor, statt für jede Mo- difikationsform eine eigene Kategorie anzunehmen, eine allgemeine für alle Modifika- tionen gültige ModP zu postulieren. Diese Idee ist nicht gänzlich neu, so wurden im- mer schon Vorschläge gemacht, die einen Modifikationen aus den anderen abzuleiten. So wurde z.B. dafür argumentiert, dass Adjektive verkappte Relativsätze sind (vgl. Motsch 1964) oder dass Relativsätze verkappte Adjektive sind (vgl. Fanselow 1986). Neu bei Rubin ist aber das Vorhaben, nicht nur Adjektive und Relativsätze, sondern sämtliche Modifikationen zusammenzufassen. 4. informationsstrukturelle Merkmale: Eine weitere Gliederung der Nominalphrase bildet die informationsstrukturell moti- vierte Einführung von verschiedenen funktionalen Kategorien für die linke Periphe- rie der Nominalphrase: In Anlehnung an Rizzis (1997) Split-CP-Analyse mit den vier Projektionen ForceP, TopP, FocP und FinP für die linke Peripherie des Satzes haben Dimitrova-Vulchanova & Giusti (1998), Ihsane & Puskás (2001), Haegeman (2004), Aboh (2004), Svenonius (2004) u.a. eine ähnliche Aufspaltung für die DP-Struktur vor- geschlagen (mit DefP für FinP und DP für ForceP). Für Spezifizität oder Anaphorizität, die als alte Information gedeutet werden, wird angenommen, dass sie in Top(ik)P codiert werden (vgl. z.B. Ihsane & Puskás 2001). Neben topikalisierten Phrasen der Nominalphrase wird auch der spezifische resp. pho- rische Artikel nach TopP angehoben, um das [SPEZ]- oder [ANAPH]-Merkmal zu che- cken. Neue Information hingegen wird in FocP kodiert. Fokussierte Elemente der No- rende Adjektiv soll die Einführung eines Determinierers und die damit zusammenhängende Stellungs- regularität erklärt werden können. 32Dies ist mitunter ein Argument gegen die Annahme, dass sich Adjektive in der NP in Adjunkt-Position oder in Spec,NP befinden, da so die semantisch bedingte Abfolge syntaktisch nur schwer motiviert wer- den kann. 262 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute minalphrase wie emphatisierbare Numeralia oder Possessiva checken ihr [FOKUS]- Merkmal in FocP. Zamparelli (2000) hat eine Dreiteilung der DP in SDP (Strong Determiner Phrase), PDP (Predicate Determiner Phrase) und KiP (Kind Phrase) vorgeschlagen. In der SDP befinden sich neben Artikel, Possessoren, Quantoren und referenziellen Elementen wie Eigennamen oder Pronomen auch Elemente ohne semantischen Gehalt wie expletive Artikel oder phonetisch leere Köpfe. In der PDP befinden sich Indefinita, schwache Artikel, Possessiva etc. Die KiP ist der Ort für Nomen, Komplemente und restriktive Modifikatoren. In Kapitel 9 werde ich eine Analyse der (schweizerdeutschen) Nominalphrase vorstel- len, die je nach Bedarf von einer flachen Struktur (mit einer FP und einer D(ef)P) oder einer ausgedehnteren Struktur (mit einer zusätzlichen linken Peripherie mit AnaphP und DxP) ausgeht. 8.4. Nominalphrasenanalyse fürs Deutsche Obwohl die DP-Hypothese in erster Linie durch Sprachen motiviert worden ist, die overte Kongruenz zwischen dem Nomen und dem Genitivattribut aufweisen, wurden bald Anstrengungen unternommen, die DP-Analyse auf die deutsche Nominalphrase zu adaptieren. Haider (1988, 1992), Vater (1986b, 1991)33, Olsen (1989a, 1990, 1991), Bhatt (1990), Löbel (1990) und Gallmann (1996) haben aufgezeigt, dass es auch fürs Deutsche angebracht ist, anzunehmen, dass D und nicht N den syntaktischen Kopf der Nominalphrase darstellt: Sowohl die AGR-Merkmale als auch semantische Merkmale wie Definitheit, Referenz etc. werden in erster Linie an D ausgedrückt. Diese Idee ist allerdings nicht gänzlich neu: So hat bereits Erben (1972:280) eine Ana- lyse für die Nominalphrase vorgeschlagen, in der der Artikel (inkl. der Kasus- und Numerusmerkmale) eine prominente Rolle spielt, indem er hierarchisch „an höchster Stelle“ steht: 33Vater hat sich in zahlreichen weiteren Artikeln dieses Themas angenommen – allerdings ohne grosse Neuerungen gegenüber seinen ersten Arbeiten. 263 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute (44) Artikel(+Kasus-+Numeruszeichen) manche Kern Lehrer Anglied des Englischen Auch in Engel (1988:523) scheint mit der folgenden Formulierung eben dieses Verhält- nis zwischen Determinierer und Nominalphrase angedeutet zu werden: „Die Haupt- funktion des Determinativs besteht darin, dass es das Nomen zur Nominalphrase macht.“ Was also bereits in verschiedenen traditionellen Ansätzen angelegt war, wur- de in der generativen Analyse (ausgehend von den Abhandlungen zu nicht deutschen Sprachen wie in Hellan 1986, Abney 1987 oder Szabolcsi 1987) systematisiert. Der D-Kopf kann im Deutschen unterschiedlich besetzt sein: Entweder befindet sich in D0 ein overter Determinierer (ein Artikel oder ein Pronomen) – oder der D-Kopf beherbergt grammatische Information in Form eines Affixes, das via Affigierung mit einem Element der Spec-Position (z.B. einem Possessivpronomen) verschmilzt, oder in Form von abstrakten Merkmalen, die via Inkorporation oder Adjunktion mit einem lexikalischen Kopf (N) „verschmelzen“. 8.4.1. Artikel in D Prototypisch für den overten Determinierer im D-Kopf ist auch im Deutschen der be- stimmte Artikel.34 Diskutiert wird, ob sich weitere Determinierer oder Quantifizierer, wie der indefinite Artikel, ebenfalls in D0 befinden oder ob diese in einer eigenen funk- tionalen Projektion stehen – wie QP, DegP oder für Demonstrativa DeixP/DxP. Vater (1982, 1986a) geht davon aus, dass der indefinite Artikel Kopf der QP und nicht Kopf der DP ist. Grund für diese Annahme ist in erster Linie der Umstand, dass ein indefi- niter Artikel immer quantifiziert – er drückt immer eine Quantität, nämlich die Einer- menge aus. Diese Ansicht ist allerdings umstritten. So haben Heim (1982) und Kamp (1981) die Annahme, dass der indefinite Artikel immer die Einermenge ausdrückt, im Rahmen der Diskurssemantik widerlegt. 34Gallmann (1996) argumentiert allerdings (um die Distribution der stark/schwach-Adjektivflexion im Deutschen erklären zu können) dafür, den Artikel nicht in der Kopfposition der DP, sondern in der Spezifizierer-Position anzunehmen. Kritik an dieser Analyse findet sich z.B. in Demske (2001). 264 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute Anders als Vater gehen z.B. Bhatt (1990) oder Gallmann & Lindauer (1994) davon aus, dass D sowohl +definit als auch -definit sein kann und somit nicht nur definite Artikel oder Demonstrativa, sondern auch indefinite Artikel und Indefinitpronomen in D ste- hen können. Ausschlaggebend für diese Annahme ist die komplementäre Verteilung von definitem Artikel und Indefinitpronomen (im Gegensatz zu anderen Quantifizie- rern):35 (45) a. *die manchen Äpfel b. die vielen Äpfel Der Umstand, dass zwei Elemente nicht kookurrieren, beweist zwar nicht, dass sie in unterschiedlichen Positionen stehen (vgl. dazu Giusti 1997), es kann aber in diesem Fall zumindest als Indiz gewertet werden. Ausserdem liefern die Flexionsverhältnis- se Hinweise auf einen Unterschied zwischen Indefinitpronomen und Quantifizierern: Das Adjektiv weist bei Indefinitpronomen (genau wie beim definiten Artikel) schwache Flexion auf, bei Quantifizierern hingegen starke: (46) a. manche roten Äpfel Indefinitpronomen – schwaches Adj. b. viele rote Äpfel Quantifizierer – starkes Adj. Bhatt schlägt vor, die fraglichen Elemente als Homonyme zu verstehen: Sie können sowohl als Determinierer auftreten als auch als Quantifizierer (quantifizierende Ad- jektive). Diese Annahme wird durch die Tatsache gestützt, dass in vielen Dialekten für die Homonyme des Standarddeutschen zwei distinkte Formen vorkommen: (47) Schweizerdeutsch a. e Maa [D ein] Mann b. ei Maa [Q ein] Mann (48) Bairisch a. a Biachl [D ein] Buch 35Eine Ausnahme von dieser Regel scheint das Indefinitpronomen beide zu sein. Es kann mit dem defini- ten Artikel kookkurieren: die beiden Äpfel. 265 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute b. oa Biachl [Q ein] Buch Ich werde auf diese Kategorisierungsdebatte nicht weiter eingehen, da in meiner Ar- beit die definiten Artikelwörter im Zentrum stehen (vgl. ausführlicher z.B. Bhatt 1990). 8.4.2. Pronomen in D Neben dem bestimmten Artikel können auch Personalpronomen in D stehen (vgl. ur- sprünglich Postal 1969, später auf das Deutsche adaptiert von Olsen 1989a, 1990, 1991). Im Gegensatz zu Artikeln, die gewöhnlich transitiv sind, indem sie ein Kom- plement selegieren, sind Pronomen intransitive DPs, da sie gewöhnlich kein Komple- ment selegieren.36 Pronomen sind in einer DP-Analyse demnach weniger Pro-Nomen, sondern eher Pro-Dets, indem sie Proformen einer DP, nicht einer NP darstellen. Die Abgrenzung zwischen Artikel und Pronomen, die eine Herausforderung für bisherige Analysen war, kann im Rahmen der DP-Analyse problemloser vorgenommen werden. Dieser Umstand zählt zu den wichtigen Vorteilen der DP-Hypothese. (49) a. DP b. DP D NP D er der Hund Durch die Annahme, dass nicht nur Artikel, sondern auch Pronomen im D-Kopf ste- hen, kann erklärt werden, warum Personalpronomen und Artikel nicht kookkurieren: Da eine einzige Position nur einmal besetzt sein kann, kann sie nur entweder durch einen Artikel oder durch ein Pronomen besetzt sein. Im Weiteren wurde diskutiert, ob auch Possessivpronomen zu den Determinierern ge- hören und in D0 generiert werden (Olsen 1989b, 1991, Bhatt 1990). Wenn Possessivpro- nomen allerdings in D0 stehen, müssen sie widersprüchliche Merkmale beherbergen: einerseits ihre inhärenten Merkmale für Person, Numerus und Genus und anderer- seits die von aussen zugewiesenen Merkmale (Person- und Numerus-Merkmale des 36Vgl. allerdings die Bemerkung in Gallmann & Lindauer (1994:7, Fussnote 10), wonach die fehlende nominale Komponente unter Berücksichtigung von Bakers Inkorporation (1988) durch die Anhebung des N-Kerns nach D ausgeglichen werden kann. 266 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute Nomens und den POSS-Kasus Genitiv). Um dies zu verhindern, wird angenommen, dass das Possessivpronomen nicht in D generiert wird, sondern wie ein pränominaler Genitiv in Spec,DP sitzt – als intransitive DP. Die Kongruenzmerkmale der Matrix- DP, die unter D keinen morphologischen Ausdruck finden, werden ans Possessivum affigiert (vgl. Olsen 1989b:139f.): (50) a. D0 b. DP D NP DP D0 dein-e N0 dein D NP 0/POSS N e N0 2Ps 2Ps/3Ps Erfolge Sg N Sg/Pl POSS Gen Gen/Nom 3Ps Erfolge 3Ps 0/Mask Pl Pl Nom 3Ps Nom Mask Pl Mask Nom Mask 8.4.3. Merkmale in D In D können sich lexikalische Elemente wie Artikel oder Pronomen befinden. Zusätz- lich wird angenommen, dass der D-Kopf auch der Ort verschiedener grammatischer Merkmale ist, wie die Kongruenzmerkmale für Person, Numerus und Genus (die in- ternen relationalen Merkmale oder Phi-Merkmale) und eventuell die Kasusmerkmale (die externen relationalen Merkmale). Alternativ wird dafür argumentiert, dass sich nur die Phi-Merkmale in D befinden und dass für das Kasusmerkmal eine eigene Pro- jektion KP zur Verfügung steht (Giusti 1993). Bayer et al. (2001) haben für die deut- sche DP zumindest für die obliquen Kasus Dativ und Genitiv, die im Deutschen mor- phologisch ausgedrückt werden müssen, die Notwendigkeit einer KP nachgewiesen. 267 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute Neben morphosyntaktischen Merkmalen wird auch für die deutsche DP zusätzlich von semantischen oder informationsstrukturellen Merkmalen wie Definitheit, Referenzia- lität oder Deixis ausgegangen. Ob sich diese in der D-Position befinden oder ob eigene Kategorien angenommen werden müssen, wird rege diskutiert und kann abschliessend wohl nur anhand von analysierten Daten, die Evidenz für die eine oder andere Annah- me liefern, entschieden werden. Da im Deutschen, anders als in anderen Sprachen wie z.B. in romanischen Sprachen, weniger Phänomene innerhalb der Nominalphrase (wie Stellungsregularitäten u.ä.) auf unterschiedliche Positionen hindeuten, können aus konzeptionellen Gründen eingeführte funktionale Kategorien häufig nur indirekt oder kaum motiviert werden (vgl. dazu auch Kapitel 9). Falls ein Artikel oder ein Pronomen vorhanden ist, werden diese Merkmale overt aus- gedrückt. Ansonsten wird von abstrakten Merkmalen ausgegangen, die durch N-nach- D-Bewegung entweder in der overten Syntax (vor PF/Spell-Out) oder in der coverten Syntax (auf LF/nach Spell-Out) gecheckt werden. N-nach-D-Bewegung wurde in erster Linie von Longobardi (1994) aufgrund der Daten im Italienischen angenommen: Bei fehlendem Artikel in D (wie z.B. bei Eigennamen) wird N angehoben, um ein Merkmal R (für Referenzialität) zu checken. Longobardi (2005) hat zwar an der Notwendigkeit der N-nach-D-Bewegung in diesen Fällen festgehalten, er hat aber das Merkmal R als reine Stipulation wieder verworfen. Bei der N-nach-D-Bewegung wird unterschieden zwischen Inkorporation (Baker 1988) und Adjunktion. Bei der Inkorporation wird der N-Kopf direkt in den leeren D-Kopf angehoben. Bei der Adjunktion wird der N-Kopf an D adjungiert. Dies ist der Fall, wenn ein overter D-Kopf vorhanden ist und dem- nach keine Substitution stattfindet (vgl. für Analysen zu Eigennamen im Deutschen Gallmann 1997, Sturm 2005a, 2000b). In jüngeren Arbeiten zur Nominalphrasensyn- tax wird die N-nach-D-Bewegung allerdings kritisiert und durch alternative Analy- sen ersetzt (vgl. Lamarche 1991, Bouchard 1998, 2002, Dimitrova-Vulchanova 2003, Laenzlinger 2005). Im Falle eines possessiven Subjekts in Spec,DP ist D durch ein abstraktes Merkmal POSS gefüllt. Ähnlich wie Abney (1987) für englische Konstruktionen angenommen hat, dass entweder ein POSS-Merkmal oder der POSS-Markierer ’s in D steht, haben Haider (1988), Olsen (1989b) u.a. dies auch für die deutsche Nominalphrase vorge- schlagen. Wie im Englischen bestehen zwei Analysemöglichkeiten: Entweder befindet sich ein POSS-Merkmal oder der genitivische POSS-Markierer ’s in D; anders als im Englischen muss allerdings fürs Deutsche im zweiten Falle angenommen werden, dass der POSS-Markierer ans possessive Subjekt affigiert wird. Dies erklärt auch den fol- genden Unterschied: 268 8. Nominalphrasenanalyse einst und heute (51) a. Uncle Tom from Berlin’s car b. *Onkel Tom aus Berlins Auto c. *Onkel Toms aus Berlin Auto Während im Englischen das Subjekt (Uncle Tom) durch eine PP (from Berlin) modifi- ziert sein kann, darf das Subjekt im Deutschen nicht durch eine PP erweitert werden, da der POSS-Markierer für die Affigierung adjazent zum Kopf stehen muss. 8.5. Zusammenfassung In diesem Kapitel wurde erstens aufgezeigt, auf welchen Beweggründen der Wechsel von einer NP-Analyse zu einer DP-Analyse für Nominalphrasen beruht. Ich habe in erster Linie anhand einer Arbeit der ersten Stunde (Abney 1987) demonstriert, dass neben konzeptionellen Gründen auch morphologische, syntaktische und semantische Motivation für diesen Wechsel sprechen. Anschliessend wurde die Konzeption der Kategorie D beleuchtet. Dafür wurde einer- seits ihre syntaktische Funktion und andererseits ihre semantische Funktion bespro- chen. Bei der semantischen Funktion stand die Bestimmung der Begriffe Definitheit, Spezifizität und Deixis im Zentrum. Hierfür habe ich unter anderem verschiedene Konzepte aus der Analytischen Sprachphilosophie beigezogen. Zum Schluss wurden Überlegungen angestellt, ob der Artikel und das Demonstrativum prototypische Ver- treter der Kategorie D darstellen, mit dem Ergebnis, dass der Artikel ein prototypi- sches D darstellt und das Demonstrativum nicht als D-Kopf analysiert werden soll- te. Neben der Kategorie D werden in der Nominalphrasensyntax weitere funktionale Ka- tegorien diskutiert. Ich habe aufgezeigt, welche morphosyntaktischen, semantischen, modifizierenden und informationsstrukturellen Merkmale zur Diskussion stehen. Obwohl in erster Linie Sprachen wie das Türkische oder das Ungarische den Aus- schlag für den Wechsel von der NP- zur DP-Analyse gaben, wurde die DP-Analyse für die deutsche Nominalphrase adaptiert. Ich habe kurz aufgezeigt, dass eine DP-Analyse auch fürs Deutsche gewinnbringend ist. Ausserdem wurde diskutiert, welche Elemen- te (Artikel, Pronomen, abstrakte Merkmale) in D stehen können und wie die jeweiligen Analysen aussehen könnten. Im Folgenden werde ich Vorschläge für eine DP-Analyse im Schweizerdeutschen ma- chen, die die Datenlage, wie sie in Teil I dargelegt wurde, erklären kann. 269 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen 9.1. Daten Summarium 9.1.1. Normalfälle Wie in Teil I dargelegt, existieren im Schweizerdeutschen drei Paradigmen von Definit- Determinierern – ein reduzierter Artikel, ein voller Artikel und ein einfaches Demon- strativum. Für diese drei Paradigmen kann anhand ihrer Funktion eine Normalver- teilung eruiert werden. Während zwar alle drei Paradigmen der Bezugnahme auf ein Referenzobjekt dienen, kann diese unterschiedlich bewerkstelligt werden. Der redu- zierte Artikel nimmt Bezug unter Rekurs auf Wissen, er ist intrinsich-definit. Der volle Artikel nimmt Bezug unter Rekurs auf den Text, er ist phorisch-definit. Das Demon- strativum nimmt Bezug unter Rekurs auf die Welt, es ist deiktisch-definit. (1) a. De Beni het hüt Geburtsdaag. red. Art. / intrinsisch Derr Beni hat heute Geburtstag. b. Dä Maa, wo geschter aaglüütet het, ... voller Art. / phorisch Derv Mann, der gestern angerufen hat, ... c. Wo cha-n-i die Böuder do heschtöue? Dem. / deiktisch Wo kann ich diese Bilder da hinstellen? Der reduzierte Artikel leitet Nominalphrasen ein, die intrinsisch unik sind, d.h. dass ihre Referenz intrinsisch eindeutig ist. Das Wissen, dass ein nominaler Ausdruck in- trinsisch unik ist, wird dabei von SprecherIn und HörerIn geteilt. Der volle Artikel wird verwendet, wenn der nominale Ausdruck gerade nicht intrinsisch unik ist. Damit die Bezugnahme glückt, muss der nominale Ausdruck auf lexikalisches Material ana- phorisch oder kataphorisch zugreifen. Erst durch dieses zusätzliche Material kann der richtige Referent bestimmt werden. Das Demonstrativum wird verwendet, wenn die eindeutige Referenz des nominalen Ausdrucks dadurch zustande kommt, dass mittels Demonstrativum (und Zeigegeste) Rekurs auf die Welt genommen wird. 270 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen Die drei Paradigmen können durch ihre Merkmalsstruktur voneinander abgegrenzt werden resp. kann jedes Paradigma durch ein Merkmal von den anderen beiden unter- schieden werden (vgl. die Funktionsfeldanalyse in Kapitel 3.3.2): Der reduzierte Arti- kel weist keine Verweiskraft auf, der volle Artikel und das Demonstrativum hingegen besitzen Verweiskraft. Der volle Artikel erreicht die eindeutige Referenz innertextu- ell, der reduzierte Artikel und das Demonstrativum erreichen die eindeutige Referenz hingegen aussersprachlich. Das Demonstrativum kann die Nominalphrase definit ma- chen, der reduzierte Artikel und der volle Artikel hingegen können die Nominalphrase nur als definit kennzeichnen. In Merkmalen ausgedrückt zeigt sich folgende Vertei- lung: Der reduzierte Artikel weist die Merkmalsstruktur [DEF][DET] auf, der volle Artikel [ANAPH][DEF][DET], das Demonstrativum [DEIKT][DEM/DEF][DET] (vgl. dazu ausführlich Kapitel 3.2.3). In Kapitel 9.2 werde ich untersuchen, inwiefern die unterschiedlichen Merkmale die syntaktische Struktur der Nominalphrase beeinflussen. 9.1.2. Spezialfälle Neben der beschriebenen Normalverteilung konnten Fälle aufgezeigt werden, die zei- gen, dass alle drei Paradigmen zusätzliche Funktionen übernehmen können und damit eine partielle Verwischung der Funktionsfelder stattfindet. Diese Verwischung ist aber nicht willkürlich, sondern folgt beschreibbaren Regeln. Der reduzierte Artikel kann nicht nur intrinsisch, sondern auch phorisch (2-a), der volle Artikel nicht nur phorisch, sondern auch deiktisch (2-b), das Demonstrativum nicht nur deiktisch, sondern auch problematisch/emotional intrinsisch (2-c)/(2-d) und eventuell phorisch (2-e) verwendet werden. (2) a. Es esch emou e König gsi. De König het e Tochter ghaa. phor. red. Es war einmal ein König. Derr König hatte eine Tochter. b. Wo cha-n-i di Böuder heschtöue? deikt. voll Wo kann ich diev Bilder hinstellen? c. Es get doch die Creme... probl.intr. Dem. Es gibt doch diese Creme... d. dää blööd Hund emot.intr. Dem. dieser blöde Hund e. De König het e Tochter ghaa. Die Tochter esch schön gsi. phor. Dem. Der König hatte eine Tochter. Diese Tochter war schön. 271 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen Neben diesen Aufweichungen der Funktionsgrenzen bestehen aber auch klare Schran- ken. So kann der reduzierte Artikel zwar phorisch, aber niemals deiktisch verwen- det werden. Der volle Artikel kann zwar deiktisch gebraucht werden, aber niemals (normal) intrinsisch. Das Demonstrativum (inkl. deiktischer Artikel) kann zwar pro- bl./emot. intrinsisch, aber niemals normal intrinsisch verwendet werden. Nicht ganz klar ist die Datenlage beim phorischen Gebrauch des Demonstrativums. Dieser Ge- brauch kann nicht hinreichend belegt, aber auch nicht widerlegt werden. Vgl. hierzu Figur 3.5 in Kapitel 3.3. In Merkmalen ausgedrückt zeigt sich für die Spezialverteilung folgendes Bild: Der re- duzierte Artikel in phorischer Verwendung erhält ein zusätzliches Merkmal [ANAPH], seine Merkmalsverteilung entspricht damit der Merkmalsverteilung des vollen Arti- kels. Beim vollen Artikel in deiktischer Verwendung wird das [ANAPH]-Merkmal zu [DEIKT] verstärkt. Beim phorischen Demonstrativum wird das [DEIKT]-Merkmal zu [ANAPH] abgeschwächt.1 Für das Demonstrativum (und den deiktischen Artikel) in der problematisch/emotional intrinsischen Funktion wird je nach Interpretation ent- weder dieselbe Merkmalsverteilung wie beim deiktischen Demonstrativum (resp. dem deiktischen Artikel) angenommen (bei einer virtuell-deiktischen Analyse) oder es wird davon ausgegangen, dass das deiktische und das demonstrative Merkmal verblasst ist (bei einer intrinsischen Analyse). 9.2. Die syntaktische Struktur der DP Nachdem aufgezeigt wurde, inwiefern sich die drei Paradigmen in ihren semantischen Gebrauchskontexten und in ihrer Merkmalsstruktur unterscheiden, stellt sich nun die Frage, ob sich die Merkmalsstruktur der drei Paradigmen in einem merkmalsgetrie- benen minimalistischen Syntaxmodell auswirkt und wie die syntaktische Struktur für die schweizerdeutsche Nominalphrase aussehen könnte. Im Mittelpunkt der Untersu- chung soll die Frage stehen, welche der in Kapitel 8.3 diskutierten funktionalen Kate- gorien angenommen werden müssen und wie komplex die syntaktische Struktur sein muss, damit sie die beschriebenen Fälle erklären kann. Ich werde zuerst eine Struktur für die Normalverteilung der drei Paradigmen vorschlagen und im nächsten Abschnitt auf die Spezialverteilung eingehen. 1Während Lehmann (2002) in der Merkmalsstruktur des Demonstrativums von zwei Merkmalen aus- geht für das Deiktische und für das Demonstrative, wird häufig nur ein Merkmal angenommen – ent- weder das deiktische (vgl. z.B. Vangsnes 1999, 2001) oder das demonstrative (vgl. z.B. Lyons 1999). Ich gehe wie Lehmann von zwei Merkmalen aus. [DEM] kommt allen Demonstrativa zu, [DEIKT] hingegen nur den deiktisch verwendeten. Während [DEIKT] auch dem vollen Artikel zukommen kann, können nur Demonstrativa ein [DEM]-Merkmal haben. 272 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen 9.2.1. Die funktionalen Kategorien Auch bei einer „flachen“ Nominalphrasenstruktur muss von mindestens zwei funktio- nalen Kategorien über der NP ausgegangen werden: von einer funktionalen Kategorie für die morphosyntaktischen Merkmale und von einer funktionalen Kategorie für De- finitheit (DP oder DefP). Wie in Kapitel 8.3 gezeigt, werden für die morphosyntakti- schen Merkmale entweder verschiedene Projektionen (NumP, GenP, KP) angenommen oder es wird davon ausgegangen, dass eine Projektion (WMP, FP) für alle Merkmale zuständig ist. Im Deutschen, das morphosyntaktische Merkmale kaum einzeln aus- drückt, genügt eine Kategorie F für alle morphosyntaktischen Merkmale – diese kann unter Umständen auch mit der DP zusammenfallen. Die FP nimmt die NP als Kom- plement. Eine Bewegung des Nomens (wie die N-nach-D-Bewegung, vgl. Longobardi 1994, 1996) muss im Schweizerdeutschen nicht stattfinden, da D (oder Spec,D) bei referenziellem Gebrauch nicht leer ist.2 Es deuten auch keine Stellungsregularitäten (wie postnominale Artikel, spezielle doppelte Artikelsetzungen oder postnominale Ad- jektive) auf eine Bewegung des Nomens hin.3 Die Kategorie D ist für die Definitheit der Nominalphrase zuständig. Da im Schweizer- deutschen sowohl der volle Artikel als auch der reduzierte Artikel neben Definitheit auch Spezifizität ausdrücken kann, ist es naheliegend anzunehmen, dass D zusätzlich für Spezifizität zuständig ist. Darin ist die DP im Schweizerdeutschen der little nP bei Julien (2005) ähnlich. Julien (2005) nimmt an, dass der suffigierte Artikel im Skan- dinavischen in n generiert wird, wo Definitheit und Spezifizität ausgedrückt werden kann. Im Skandinavischen findet obligatorische N-nach-n-Bewegung statt, wodurch die Struktur ,Nomen-suffigierter Artikel‘ zustande kommt. Für die Daten des Schwei- zerdeutschen könnte zwar grundsätzlich auch von einer nP ausgegangen werden, da Parallelen zwischen dem suffigierten Artikel im Skandinavischen und dem reduzierten Artikel im Schweizerdeutschen bestehen. Zwei Gründe sprechen allerdings dagegen, von einer nP fürs Schweizerdeutsche auszugehen: Erstens erscheint der Artikel im Schweizerdeutschen nie postnominal. Zweitens ist nicht hinlänglich klar, worin genau die Analogie zur little vP bestehen soll, solange keine possessive Konstruktion vor- liegt. Alternativ könnten zwei eigenständige Projektionen für [SPEZ] und [DEF] an- genommen werden, allerdings gibt es dafür (zumindest im Schweizerdeutschen) keine externe Evidenz. 2Eine Ausnahme stellen Ortschaftsnamen und einige Ländernamen dar. Diese stehen im Schweizer- deutschen (wie im Standarddeutschen alle Namen) ohne Artikel: Frankriich esch mis Lieblingsland ‘Frankreich ist mein Lieblingsland’. 3Vgl. dazu auch neuere generelle Kritik an der N-nach-D-Bewegung und alternative Analysen zur Er- klärung von speziellen Wortstellungsregularitäten (Lamarche 1991, Bouchard 1998, 2002, Dimitrova- Vulchanova 2003, Laenzlinger 2005). 273 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen Bei einer „flachen“ Nominalphrase schliesst diese DP die Nominalphrase ab: (3) DP D (FP) NP N XP Die Datenlage im Schweizerdeutschen legt nahe, zusätzlich zu dieser Struktur weitere Positionen anzunehmen, die die Merkmalsstruktur der Artikelparadigmen widerspie- geln. Neben einer Projektion für [DEF] wären also Projektionen für [ANAPH] und [DEIKT] gefragt. Wie in Kapitel 8.3 dargelegt, werden für die Nominalphrasenstruk- tur Projektionen für Anaphorizität und für Deixis angenommen. In Anlehnung an die Phrasen im Satz (ForceP, TopP, FocP und FinP) wird für die Nominalphrase von einer DxP, einer TopP, einer FocP und einer DefP ausgegangen. Die DxP steht für deiktische Elemente oder Diskursrelevantes i.w.S. zur Verfügung, die TopP für Diskursbekann- tes oder „alte Information“ i.w.S., die FocP für fokussierte Elemente. In Anlehnung an diesen Vorschlag (vgl. Dimitrova-Vulchanova & Giusti 1998, Ihsane & Puskás 2001, Haegeman 2004, Svenonius 2004 u.a.) könnte für die linke Peripherie der schweizer- deutschen Nominalphrase zusätzlich zur DP von einer TopP, einer FocP und einer DxP ausgegangen werden. Ihsane & Puskás (2001) gehen davon aus, dass in TopP das Merkmal [SPEZ] gecheckt wird.4 Für die schweizerdeutschen Daten ist dies nicht anzunehmen, da das Merkmal [SPEZ] bereits in DefP gecheckt werden kann. Da in TopP Anaphorizität ausgedrückt werden kann, bietet sich für die schweizerdeutsche Nominalphrase an, eine TopP für das Merkmal [ANAPH] anzunehmen. Inwiefern eine Topik-Position in der Nominal- phrase allerdings tatsächlich mit Anaphorizität (oder auch Spezifizität) zusammen- hängt und ob eine TopP in der DP parallel gedacht werden kann zur TopP im Satz, 4Ihsane & Puskás (2001:40) definieren [SPEZ] als „pre-established in the discourse“ und ihre Beispiele suggerieren ein Verständnis von spezifisch, das auf nicht generisch reduziert werden kann. Ausserdem setzen sie Fokus mit „neuer Information“ gleich und definieren Fokus als Gegensatz zu Topik. Fokus und Topik können aber nicht als sich ausschliessende informationsstrukturelle Konzepte gelten, viel- mehr werden Fokus – Hintergrund und Topik – Kommentar als Gegensatzpaare neben Thema – Rhema gehandelt (vgl. dazu ausführlich Molnar 1993, Jacobs 1992). 274 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen ist nicht leicht zu beantworten und mehr als fraglich (vgl. aber die Argumentation in Alexiadou et al. 2007:129f., 140f.). Die Argumentation, dass es sich sowohl bei Ana- phorizität als auch bei Topik um alte Information handelt, überzeugt nur bedingt, da Topik nicht mit alter Information gleichgesetzt werden kann. Zusätzlich ist die Paral- lele problematisch, da das Merkmal [ANAPH] im Falle des vollen Artikels nicht nur den Rückverweis, sondern auch den Vorverweis (den kataphorischen Bezug) mitein- schliesst. Wird Topik nicht als „alte Information“ gedeutet, sondern als „das, worüber etwas gesagt wird“ – im Gegensatz zum Kommentar, der als „das, was darüber gesagt wird“ verstanden wird (vgl. Molnar 1993, Jacobs 1992) –, so wird die Gleichsetzung et- was plausibler. Da mir dieses Verhältnis aber zu ungeklärt erscheint und der Vergleich zu unausgegoren, weiche ich auf eine unverfänglichere Option aus, indem ich für die schweizerdeutsche DP von einer AnaphP ausgehe: (4) DxP AnaphP D(ef)P (FP) NP Ob eine FocP angenommen werden muss, ist ebenfalls nicht einfach zu beantworten, da zwar im Schweizerdeutschen fokussierte Phrasen vorkommen können. Es deutet aber keine externe Evidenz darauf hin, dass diese in einer eigenen Projektion FocP (und nicht einfach in DP) stehen:5 5Ich verwende der Übersichtlichkeit zuliebe die für die GB-Theorie typischen koindizierten Spuren ti zur Darstellung von Bewegungen und nicht die im MP-Modell üblichen durchgestrichenen Kopien. 275 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen (5) DP PPi D0 vom Peter D NP d N XP Schwöschter ti Da im Schweizerdeutschen, anders als in anderen Sprachen wie dem Skandinavischen oder dem Griechischen, keine Wortstellungsreguläritäten darauf hindeuten, dass die linke Peripherie in einzelne Projektionen (Dx, Foc und Top resp. Anaph) aufgespaltet sein muss, hat eine kartografische Auffächerung eher den konzeptionellen Nutzen, die drei Artikelparadigmen des Schweizerdeutschen und ihre unterschiedliche Verwen- dungsweisen und ihre unterschiedliche Merkmalsstrukturen zu verdeutlichen. Unter einer Koprojektion-Analyse könnten die Merkmale [ANAPH] und [DEIKT] grundsätz- lich auch in ein und derselben Projektion gecheckt werden. 9.2.2. Normalverteilung 9.2.2.1. Reduzierter Artikel: D(ef)P über NP Wie in Teil I meiner Arbeit gezeigt, handelt es sich beim reduzierten Artikel im Schwei- zerdeutschen um die gebräuchlichste Artikelform.6 Wenn immer möglich, d.h. wenn immer die Referenz des nominalen Ausdrucks geklärt ist, wird der reduzierte Artikel eingesetzt. Der reduzierte Artikel hat ein Merkmal [DEF] (vgl. Himmelmann 1997, Lehmann 2002), das abgeglichen werden muss. Deshalb nehme ich an, dass der reduzierte Ar- tikel als Kopf der DefP generiert wird. In dieser Position kann das [DEF]-Merkmal 6Diese Einschätzung deckt sich mit der Regel für die Dreiteilung von Pronomen nach Cardinaletti & Starke (1999:216): „the most deficient element possible is preferred“. Eine Erklärung für diesen Um- stand liefern die Strukturen der unterschiedlichen Paradigmen: Je defizitärer das Element, desto weni- ger Struktur muss aufgebaut werden. Ich strebe für die Artikelparadigmen dieselbe Begründung an. 276 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen und bei Spezifizität zusätzlich das [SPEZ]-Merkmal abgeglichen werden.7 Wie gezeigt, stellt der reduzierte Artikel nur ein Signal für die eindeutige Referenz dar. D.h. er macht die Nominalphrase nicht definit. Da die Nominalphrase von sich aus intrinsisch unik ist, muss er sie nur als definit kennzeichnen. Dies spiegelt sich in der Annahme wider, dass beim reduzierten Artikel keine komplexe funktionale Struktur aufgebaut werden muss, sondern eine einzige Kategorie für den Ausdruck von Definitheit (und von Spezifizität) ausreicht. Diese Annahme bedingt allerdings die Möglichkeit, die lin- ke Peripherie nur dann auszubauen, wenn Merkmale wie [ANAPH] und [DEIKT] ge- checkt werden müssen. Wird davon ausgegangen, dass sich die linke Peripherie im- mer aufbaut und die DefP durch Spec,TopP (oder Spec,AnaphP) und Spec,FocP nach Spec,DxP angehoben werden muss, um die linke Peripherie sichtbar zu machen (vgl. z.B. Ihsane & Puskás 2001), kann natürlich nicht davon die Rede sein, dass beim re- duzierten Artikel weniger Struktur aufgebaut werden muss. Da diese Konzeption al- lerdings unter minimalistischem Gesichtspunkt fraglich ist, gehe ich davon aus, dass die linke Peripherie nur aufgebaut wird, wenn sie tatsächlich gebraucht wird. Die Frage, ob es sich bei dieser tiefstmöglichen funktionalen Projektion um eine DP oder um eine andere funktionale Kategorie handelt, kann unterschiedlich beantwortet werden. Brugger & Prinzhorn (1995) gehen für die Position des reduzierten Artikels im Bairischen von einer AgrP aus. Julien (2005) postuliert für die skandinavische No- minalphrase eine nP für den suffigierten Artikel. Ihsane & Puskás (2001) nehmen in Analogie zur linken Peripherie des Satzes eine FinP (= DefP) an. Da die Position für den reduzierten Artikel im Schweizerdeutschen für die Definitheit der Nominalphrase zuständig ist, nenne ich sie ebenfalls DefP. Durch die Annahme einer D(ef)P als Projektion für den reduzierten Artikel kann der Anspruch eingelöst werden, dass die NP durch die Projektion des Artikels referenzfä- hig gemacht werden kann und die Nominalphrase als Argument einsetzbar wird. 9.2.2.2. Voller Artikel: AnaphP über D(ef)P Im Gegensatz zum reduzierten Artikel wird der volle Artikel im Schweizerdeutschen immer dann eingesetzt, wenn die eindeutige Referenz des nominalen Ausdrucks nicht intrinsisch gegeben ist. Der volle Artikel wird verwendet, wenn die Referenz erst durch zusätzliches lexikalisches Material gewährleistet werden kann. Seine Verweiskraft er- langt der volle Artikel durch ein [ANAPH]-Merkmal (Himmelmann 1997, Lehmann 7Zwischen dem reduzierten Artikel und dem Nomen in NP können sich weitere determinierende, quanti- fizierende oder modifizierende Elemente in verschiedenen funktionalen Kategorien (z.B. für Numeralia oder Adjektive) befinden. 277 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen 2002). Für das Merkmal [ANAPH] kann nun angenommen werden, dass es nicht in DefP gecheckt wird, sondern in AnaphP. Der volle Artikel wird aus seiner Basisposition in DefP, wo das [DEF]-Merkmal (und je nachdem das [SPEZ]-Merkmal) gecheckt wer- den kann, nach AnaphP angehoben, wo er sein [ANAPH]-Merkmal abgleichen kann. Soll die Phrase fokussiert werden, erfolgt eine zusätzliche Bewegung nach FocP. Je nachdem, ob eine Phrase phorisch ist oder nicht und ob sie fokussiert ist oder nicht, entsteht erstens eine andere Struktur und zweitens sind unterschiedliche Bewegun- gen notwendig. Ist die Phrase phorisch und fokussiert, findet eine Bewegung durch AnaphP und FocP statt, ist die Phrase hingegen zwar phorisch, aber nicht fokussiert, findet nur eine Bewegung nach AnaphP statt, ist sie nur fokussiert, findet nur eine Bewegung nach FocP statt.8 Die Frage, ob der volle Artikel wie der reduzierte Artikel im Def-Kopf oder in Spec,DefP generiert wird und ob im ersten Fall Kopfbewegung (von Def nach Anaph) oder Phra- senbewegung (von DefP nach Spec,AnaphP) stattfindet, kann nicht abschliessend be- antwortet werden. Für die Annahme, dass der volle Artikel einen Kopf darstellt, spre- chen zwei Gründe: 1. ist der volle Artikel wie gezeigt dem reduzierten Artikel näher als dem Demonstrativum (für das eine Phrasenstruktur angenommen wird, vgl. den nächsten Abschnitt), 2. erscheint er für gewöhnlich nicht intransitiv und erreicht des- halb allein kaum Phrasenstatus. Für den vollen Artikel muss unter dieser Analyse mehr funktionale Struktur als für den reduzierten angenommen werden, indem über der DefP mindestens eine weitere funktionale Kategorie aufgebaut werden muss. Falls davon ausgegangen wird, dass immer nur so viel Struktur aufgebaut wird, wie tatsächlich benötigt wird, so wird klar, warum der volle Artikel nicht als „Normalartikel“ eingesetzt wird: Bei Nominalphra- sen mit dem reduzierten Artikel muss eine weniger komplexe funktionale Struktur aufgebaut werden als beim vollen Artikel. 9.2.2.3. Demonstrativum: DxP Das Demonstrativum in seiner deiktischen Grundfunktion verfügt über ein Merkmal [DEIKT]. Es wird angenommen, dass Deixis immer am linken Rand der Nominalphra- 8Ihsane & Puskás (2001) nehmen an, dass Top und Foc inkompatible Merkmale beherbergen. Sie müs- sen deshalb von zwei verschiedenen Bewegungsarten (einer referenziellen und einer quantifikationellen) ausgehen, damit ein Element von DefP nach FocP bewegt werden kann, ohne durch TopP bewegt zu wer- den und ohne die Lokalität der Bewegung zu verletzen. Eine andere Möglichkeit wäre es, anzunehmen, dass auch negative Merkmale existieren und dass diese ebenfalls gecheckt werden müssen. Ihsane & Puskás (2001) gehen davon aus, dass negative Merkmale ([– SPEZ] und [– FOC]) möglich sind, dass diese aber nicht gecheckt werden. Die Annahme von negativen Merkmalen ist aber mit dem Credo des Minimalistischen Programms nur schwer vereinbar. 278 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen se ausgedrückt wird. In der eigens dafür vorgesehenen DxP (oder DemP oder DP) kann das für das Demonstrativum konstitutive Merkmal [DEIKT] gecheckt werden. Aufgrund der Datenlage in Sprachen wie dem Griechischen oder dem Skandinavischen wird allerdings angenommen, dass Demonstrativa nicht in dieser hohen Position ba- sisgeneriert werden, sondern in einer tiefen funktionalen Phrase zwischen DP und NP (vgl. Brugè 2002, Giusti 2002). Bernstein (1997) hat für französiche Nominalphra- sen angenommen, dass das Demonstrativum in einer tiefen Position FP zwischen DP und NP basisgeneriert und anschliessend nach Spec,DP angehoben wird. Aufgrund der Wortstellung mit so genannten Reinforcern (wie ci ‘da’) schlägt sie zudem vor, dass sich der Reinforcer im Kopf und das Demonstrativum im Spezifizierer dieser FP befinden und dass für die Wortfolge ’Demonstrativum – Nomen – Reinforcer’ eine Bewegung der NP durch ein Merkmal F in diese FP getriggert wird. Für die schweizerdeutsche DP könnte aufgrund der Wortstellung mit so genannten Reinforcern wie do ‘da’ und döt ‘dort’, die im Schweizerdeutschen ebenfalls postnominal auftreten, dieselbe Struktur angenommen werden:9 (6) DP dääi FP NPj FP grooss Maa t 0i F do tj Eine solche Analyse ist allerdings aus verschiedenen Gründen problematisch: 1. ist nicht ersichtlich, warum das Demonstrativum (mit seinem Reinforcer) gerade in FP basisgeneriert werden sollte resp. um was für eine funktionale Kategorie es sich han- deln könnte. Anstelle einer FP könnte eine zusätzliche tiefe Position für das Demons- 9Die Adjektivmodifikation wird hier als innerhalb der NP generiert dargestellt. In Kapitel 9.3 werde ich eingehender auf die Struktur von Modifikationen eingehen. Die hier dargestellte Struktur für die DP könnte auch aufrechterhalten werden, wenn angenommen wird, dass das Adjektiv in einer funktionalen Projektion zwischen FP und NP generiert wird. Dann müsste allerdings davon ausgegangen werden, dass nicht die NP, sondern diese funktionale Projektion an FP adjungiert wird. 279 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen trativum (z.B. DemP) über der FP (für die morphosyntaktischen Merkmale) angenom- men werden. Allerdings ist es aus konzeptioneller Sicht nicht wünschenswert, ver- meidbare Projektionen zu generieren. In diesem Fall könnte die Phrase durch das Merkmal [DEM] motiviert sein, das allen Demonstrativa zukommt – auch denjenigen ohne deiktischer Kraft. Dieses muss ohne die Annahme einer tiefen DemP stattdessen in DefP als komplexes Merkmal [DEM/DEF] gecheckt werden.10 2. bleibt unklar, was der Trigger für die Anhebung der NP sein soll. Nach Bernstein (1997) handelt es sich dabei um ein starkes Merkmal F – was dieses Merkmal F allerdings genau bedeutet, bleibt ungeklärt. Zudem ist die Unterscheidung von starken und schwachen Merk- malen in einem strikt derivationellen Phasen-Modell fragwürdig. Sie ist in neuesten Ansätzen dementsprechend auch aufgegeben worden. 3. ist es nicht gänzlich unpro- blematisch, die NP an einen „leeren“ Spezifizierer resp. an einen durch eine Spur oder eine Kopie des Demonstrativums gefüllten Spezifizierer zu adjungieren. 4. sprechen Daten wie in (7) gegen eine Analyse, wie sie oben gezeigt wurde: (7) *[Maa do]i ha-n-i dää ti gsee. Mann da habe ich diesen gesehen. Aufgrund der Derivation müsste (7) grammatisch sein. Es könnte angenommen wer- den, dass das Demonstrativum nach Spec,DP und die NP nach Spec,FP angehoben wird (wie oben vorgeschlagen). Anschliessend könnte die FP [Maa do] topikalisiert werden (die Box könnte sich als Gesamtes nach links verschieben): 10Vangsnes (1999) geht von einer eigenen tiefen Position für Demonstrativa aus (dort: DxP). Eine zusätz- liche DxP in der linken Peripherie wird hingegen in seiner Analyse nicht angenommen (vielmehr soll die KP das Merkmal [+/– u] für Uniqueness beherbergen, wodurch eine Anhebung an den linken Rand der Nominalphrase erklärt wird). 280 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen (8) DP dääi FP NPj FP Maa t F0i do tj Da diese Derivation nicht ausgeschlossen werden kann, wird nicht ersichtlich, warum (7) ungrammatisch sein soll. Obige Gründe veranlassen dazu, von einer Analyse, in welcher der Reinforcer mit der NP eine Konstituente bildet, abzurücken und anzunehmen, dass dieser „ausserhalb“ generiert wird. Auch die Annahme eines zwischen DP und NP basisgenerierten De- monstrativums ist für die schweizerdeutschen Daten nicht zwingend (vgl. aber für eine Analyse mit einer tiefen FP für das Demonstrativum im Schweizerdeutschen Leu 2007). Es kann auch davon ausgegangen werden, dass das Demonstrativum in DefP generiert wird. Falls es kein deiktisches Merkmal aufweist, verbleibt es dort, andern- falls wird es nach DxP angehoben. 9.2.3. Spezialverteilung 9.2.3.1. Reduzierter Artikel: phorisch Obwohl der reduzierte Artikel normalerweise verwendet wird, wenn der nominale Ausdruck intrinsisch unik ist, kann er, wie in Teil I gezeigt, auch in Kontexten auf- tauchen, in denen der volle Artikel erwartet wird. (9) Es esch emou e König gsi. De König het e Tochter ghaa... Es war einmal ein König. Derr König hatte eine Tochter... Für diese Daten bieten sich zwei Erklärungen an: Entweder wird ein nominaler Aus- druck im Schweizerdeutschen solange als intrinsisch unik betrachtet, solange es keine 281 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen Gegenevidenz gibt. Nur wenn die Referenz gefährdet ist, wird der volle Artikel als pho- risches Signal gesetzt. Bei dieser Deutung der Daten wird nicht angenommen, dass der reduzierte Artikel bisweilen phorisch sein kann, sondern dass ein Nomen häufiger als unik interpretiert wird (auch wenn es dies de facto vielleicht gar nicht ist). Bei dieser Erklärung dringt der reduzierte Artikel nicht ins phorische Funktionsfeld des vollen Artikels ein. Er verfügt dementsprechend auch nicht über ein phorisches Merkmal. Obwohl mit dieser Erklärung das Phänomen beschrieben werden kann, ist die Erklä- rung, dass der reduzierte Artikel ins Funktionsfeld des vollen Artikels eingreift, für die Datenlage dennoch adäquater. Der reduzierte Artikel verfügt bei dieser Erklärung über ein zusätzliches phorisches Merkmal, was einem Degrammatikalisierungspro- zess entspricht, indem ein verblasstes Merkmal wieder gestärkt wird. Die Datenla- ge deutet darauf hin, dass der reduzierte Artikel im Schweizerdeutschen häufig (und häufiger als in anderen Sprachen) mit einem phorischen Merkmal lexikalisch spezi- fiziert wird. Da die Daten zusätzlich darauf hinweisen, dass dialektale und darüber hinaus auch idiolektale Unterschiede bestehen, tendiere ich dazu, diese Erklärung ei- ner Erklärung, die das Nomen betrifft, vorzuziehen. Ich gehe demnach davon aus, dass die semantisch-pragmatischen „Schwankungen“ eher beim Artikel denn beim Nomen zu suchen sind, indem die Merkmalsstruktur des reduzierten Artikels im Wandel be- griffen ist (und sich dieser Wandel bei den übrigen Artikelparadigmen regelhaft wei- terzieht). Das Phänomen solcher Verschiebungen und ihre dialektale und idiolektale Ausprägung ist auch aus anderen Sprachen bekannt, wie z.B. aus dem Obersorbischen oder dem Skandinavischen (vgl. Breu 2004, Julien 2005). In diesen Sprachen verläuft die Verschiebung allerdings meistens zugunsten der stärkeren (weniger grammatika- lisierten) Form. Der reduzierte Artikel tritt, wenn er phorisch verwendet wird, mit einem Merkmal [ANAPH] in die Derivation ein. Für die syntaktische Struktur der DP im Schweizer- deutschen bedeutet dies, dass er aus diesem Grund aus seiner Basisposition im Def- Kopf nach AnaphP angehoben wird, wo das [ANAPH]-Merkmal abgeglichen wird. Da der reduzierte Artikel nie kontrastiv und nie deiktisch verwendet wird, wird er nicht weiter angehoben. 9.2.3.2. Voller Artikel: deiktisch Der volle Artikel kann neben seiner phorischen Grundfunktion auch in deiktischen Kontexten eingesetzt werden. Auch hier muss eine Degrammatikalisierung angenom- men werden, da ein geschwächtes Merkmal [ANAPH] zu [DEIKT] gestärkt wird. Da dieser Gebrauch allerdings nicht die Normalverwendung des vollen Artikels, sondern 282 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen eher der Ausnahmefall darstellt, scheint auch hier die Degrammatikalisierung nicht abgeschlossen zu sein, was die Schwankungen im Gebrauch auslösen kann. Der volle Artikel tritt, wenn er deiktisch verwendet wird, mit einem Merkmal [DEIKT] in die Derivation ein. Für die syntaktische Struktur der DP im Schweizerdeutschen bedeutet dies, dass er aus diesem Grund aus seiner Basisposition im Def-Kopf nach DxP angehoben wird, wo das [DEIKT]-Merkmal abgeglichen wird. Für die Derivation kommen verschiedene Anhebungsprozesse infrage: 1. Der volle Artikel kann sich als Kopf aus dem Def-Kopf in den Dx-Kopf bewegen. Dann muss allerdings angenommen werden, dass er auch durch Anaph bewegt wird (um die Lokalität der Bewegung nicht zu verletzen). 2. Der volle Artikel kann aber auch im Def-Kopf basisgeneriert sein und anschliessend als DefP zur Abgleichung des [DEIKT]-Merkmals durch Spec,AnaphP nach Spec,DxP angehoben werden (vgl. für unterschiedliche Anhebungsprozesse Ihsa- ne & Puskás 2001 und die Bemerkungen in Kapitel 9.2.2.2). 9.2.3.3. Demonstrativum: phorisch Obwohl nicht abschliessend gezeigt werden kann, dass das Demonstrativum im Schwei- zerdeutschen neben seiner deiktischen Grundfunktion auch phorisch verwendet wer- den kann – wie dies z.B. im Standardeutschen der Fall ist –, liegt die Vermutung nahe, dass ein phorisches Demonstrativum im Schweizerdeutschen zumindest nicht ausge- schlossen ist. So soll hier kurz aufgezeigt werden, wie die syntaktische Struktur für eine DP mit phorischem Demonstrativum aussehen könnte. Auch hier muss angenom- men werden, dass die Merkmalsstruktur im Wandel ist, d.h. dass der Grammatikali- sierungsprozess nicht vollständig abgeschlossen ist und dass die Funktionsfelder von Demonstrativum und vollem Artikel Überschneidungen aufweisen. Beim phorischen Demonstrativum tritt das deiktische Merkmal abgeschwächt als [ANAPH] auf. Für die syntaktische Struktur bedeutet dies, dass das Demonstrativum zwar wie ein deik- tisches Demonstrativum generiert wird (je nach Analyse in FP oder in DefP), aller- dings wird es anschliessend nur nach AnaphP angehoben, da es nicht zur Abgleichung eines [DEIKT]-Merkmals nach DxP angehoben werden muss. Der Merkmalsunterschied der verschiedenen Demonstrativverwendungen findet zwar im hier konzipierten Strukturbaum Niederschlag, wie erwähnt deuten die Wortstel- lungsregularitäten an der Oberfläche allerdings nicht auf diesen Umstand hin. Evi- denz, dass es dennoch gerechtfertigt ist, das deiktische Merkmal höher als das ana- phorische Merkmal anzunehmen, kommt aus Sprachen wie z.B. dem Griechischen. In diesen Sprachen können Demonstrativa pränominal und postnominal auftreten. 283 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen Das pränominale Demonstrativum wird deiktisch interpretiert, das postnominale hin- gegen phorisch (vgl. Alexiadou et al. 2007:120ff. und die dort zitierte Literatur). Das postnominale (tiefergelegene) Demonstrativum hat demnach keine deiktische, sondern nur phorische Kraft. Es kann nicht betont werden und deshalb auch nicht kontrastiv verwendet werden. Ausserdem kann es nicht intransitiv gebraucht werden.11 Für die Derivation der postnominalen Stellung des Demonstrativums ergeben sich zwei Mög- lichkeiten: entweder durch N-Bewegung oder durch Def-Bewegung. Da N-Bewegung in Kritik geraten ist, plädieren Alexiadou et al. (2007) für die zweite Möglichkeit, in- dem sie annehmen, dass sich die gesamte DefP (dort: DP2) nach Spec,DxP (dort: DP1) bewegt, um die DxP sichtbar zu machen. Im Schweizerdeutschen müsste angenom- men werden, dass sich immer die höchstmögliche Phrase – im Falle des phorischen Demonstrativums die AnaphP – nach Spec,DxP bewegt. 9.2.3.4. Deixis: „intrinsisch“ Beim problematisch/emotional intrinsischen Gebrauch des Demonstrativums (und des deiktischen Artikels) hängt die Analyse von der pragmatisch-semantischen Interpre- tation ab. Entweder wird angenommen, dass es Spezialfälle des deiktischen Gebrauchs sind, indem in einem imaginären Verweisraum deiktisch verwiesen wird, oder es wird angenommen, dass es Spezialfälle des intrinsischen Gebrauchs sind, indem die Refe- renzfindung bereits geklärt ist. Bei der Annahme eines imaginären Verweisraumes ändert sich an der Analyse nichts – genau wie bei normalen deiktischen Demonstrativa wird von einem deiktischen Merk- mal ausgegangen, das in DxP gecheckt werden muss. Wird allerdings angenommen, dass sich das intrinsische Demonstrativa so verhält wie der intrinsisch-definite redu- zierte Artikel, dann verfügt es nicht über ein Merkmal für verweisende Kraft ([DEIKT] resp. [ANAPH]), sondern nur über das Merkmal [DEF].12 Dieses kann in DefP ge- checkt werden. Dass das Demonstrativum in diesen Fällen häufig mit nachgestell- tem Demonstrativum auftritt, könnte angenommen werden, dass das Demonstrativum doch in einer tieferen Phrase (FP oder DemP) generiert wird und die Verdoppelung da- 11Diese Charakteristik von Demonstrativa steht in direkter Parallele zur Analyse von starken und schwa- chen Pronomen, wie sie Cardinaletti & Starke (1999) vorgeschlagen haben. Bei Pronomen ist die Wort- stellung allerdings genau umgekehrt: schwache (reduzierte) Pronomen sind pränominal, starke Prono- men sind postnominal. 12Vangsnes (2001) nimmt hingegen an, dass auch das intrinsische Demonstrativum (dort: indefinit) ein [DEIKT]- (dort: [DEIX]-) Merkmal aufweist. Mit der Merkmalsstruktur nach Lehmann (2002), wie ich sie in Kapitel 3.2.3 vorstelle, ist es möglich, hier eine Differenzierung zu machen zwischen dem deikti- schen Merkmal, das die Zeigefunktion ausdrückt, und dem demonstrativen Merkmal, das im komplexen Merkmal [DEM/DEF] Demonstrativa kennzeichnet (im Gegensatz zu Artikeln, die nur [DEF] sind). 284 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen durch zustande kommt, dass das Demonstrativum einmal in der Kopf-Position und einmal im Spezifizierer generiert wird: (10) [DefP [DemP dää [Dem0 dää ]]] Alternativ kann angenommen werden, dass das nachgestellte Demonstrativum (wie der Reinforcer) „ausserhalb“ als eigenständige Konstituente gebildet wird. 9.3. Die syntaktische Struktur von Modifikationen Wie wir in Teil I gesehen haben, kann die Nominalphrase durch verschiedene Phrasen (APs, PPs, CPs etc.) modifiziert werden. Dabei können zwei Grundfunktionen ausge- macht werden: die appositive und die restriktive. Für die restriktive Funktion gibt es zusätzliche Gliederungsvorschläge wie gegenstandsbestimmend/begriffsbildend (Leh- mann 1984) oder definitorisch/nicht definitorisch (Gunkel 2007). Für die Artikelset- zung konnte gezeigt werden, dass im Normalfall die Modifikation nicht den Ausschlag für die Wahl des Artikels gibt: Nominale Ausdrücke, die unmodifiziert mit dem redu- zierten Artikel auftreten, treten auch bei Modifikation mit dem reduzierten Artikel auf. Nominale Ausdrücke, die unmodifiziert mit dem vollen Artikel auftreten, treten auch bei Modifikation mit dem vollen Artikel auf. Dies deutet darauf hin, dass sich die Erreichbarkeit des Artikels normalerweise über den gesamten nominalen Ausdruck erstreckt. Allerdings gibt es Ausnahmen: Gewisse Relativsätze und Adjektivmodifika- tionen beeinflussen die Artikelsetzung. Bei den Relativsätzen wird je nach Funktion der Modifikation manchmal der volle, manchmal der reduzierte Artikel verwendet (vgl. Kapitel 3.4.2). Bei der Adjektivmodifikation wird zwar immer der reduzierte Artikel verwendet, allerdings muss die reduzierte Form d zu di gestärkt werden (bei gleich- bleibender Funktion). Im Folgenden soll untersucht werden, was Modifikationen für eine syntaktische Struktur aufweisen und wie sich diese in die syntaktische Analyse des Artikelsystems im Schweizerdeutschen einbinden lässt. 9.3.1. Modifikationen: Gemeinsamkeiten und Unterschiede Für die syntaktische Analyse von Modifikationen können zwei konträre Annahmen getroffen werden: Entweder haben alle Modifikationen ursprünglich ein und dieselbe Struktur (und die unterschiedlichen Oberflächenstrukturen werden durch Ableitun- gen erreicht) oder jede Modifikation hat eine eigene Struktur. Die Annahme einer ein- zigen Struktur ist kaum motiviert und wird durch das Verhalten der einzelnen Modi- 285 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen fikationen auch nicht nahegelegt. Nichtsdestoweniger gibt es Ansätze, die eine allum- fassende Struktur für Modifikationen vertreten (vgl. z.B. die für alle Modifikationen vorgesehene ModP bei Rubin 2002). Auch wenn nicht für alle Modifikationen ein und dieselbe Struktur angenommen wird, können gewisse Ähnlichkeiten konstatiert werden resp. ist es durchaus naheliegend, dass sich einige Modifikationen in ihrer Struktur näher sind als andere. Als Krite- rien für eine Gliederung kommt Verschiedenes infrage: 1. die Stellung bezüglich des Nomens (pränominal versus postnominal), 2. die Fügungsenge der Modifikation (nahe zum Nomen versus lose und beweglich) oder auch 3. die Funktion, die die Modifikation in der Nominalphrase einnimmt (appositiv versus restriktiv). 1. Stellung zum Nomen: Bei der Stellung der Modifikation kommen im Schweizerdeut- schen folgende (Oberflächen-) Varianten vor: – pränominal: APs und „innernominal“ Kompositionsglieder – postnominal: enge und weite Appositionen, PPs und CPs Genitivattribute spielen im Schweizerdeutschen in doppeltem Sinne eine Spezialrolle: Erstens kommen sie grundsätzlich selten vor, da sie durch Ersatzkonstruktionen ab- gelöst worden sind, zweitens treten sie nie mit einem Artikel gemeinsam auf, sondern immer anstelle eines solchen. Für die Ermittlung von Regeln für die Artikelsetzung bei Modifikationen sind sie deshalb nicht gewinnbringend. Aus diesem Grunde werde ich hier nicht weiter auf Genitivattribute eingehen (vgl. für eine syntaktische Analyse von Genitivattributen z.B. Lindauer 1995). Kompositionsglieder, die als Modifikatio- nen des Nomens auf Wortebene („innernominal“) agieren, sind für eine syntaktische Analyse von Nominalphrasen ebenfalls nur bedingt von Interesse. Da die Wortbildung unterhalb der Phrasenebene stattfindet, tritt ein Kompositum immer bereits inklu- sive der Modifikation in die Derivation ein. Auf diese Weise wird es unmöglich, dass die Modifikation zur Erklärung der Artikelsetzung beigezogen wird. Deshalb bleiben Wortbildungen hier ebenfalls unbehandelt (vgl. zur Wortbildung etwa Olsen 1986). Adjektive stehen zwar im Schweizerdeutschen (fast) immer zumindest oberflächlich zwischen Artikel und Nomen – und damit immer im Wirkungsbereich (Skopus) des Ar- tikels – dennoch ist die syntaktische Analyse für Adjektivmodifikationen doppelt inter- essant: Erstens bestehen unterschiedliche Analyseansätze für Adjektive. Sie werden als Phrasen (als Adjunkte oder Spezifikatoren) oder als Köpfe (mit NP-Komplementen) gehandelt und je nachdem innerhalb der NP oder über der NP generiert. Zweitens be- stehen auch Vorschläge, Adjektive je nach Funktion unterschiedlich zu analysieren 286 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen (z.B. pränominal bei appositiver Funktion versus postnominal bei restriktiver Funkti- on). Deshalb muss untersucht werden, welche Analyse für die Erklärung der schwei- zerdeutschen Daten am besten geeignet ist. Ich werde deshalb in Kapitel 9.3.3.1 de- taillierter auf die Adjektivmodifikation eingehen. Postnominale Modifikationen verhalten sich anders als pränominale Modifikationen. Da sie nicht zwischen Artikel und Nomen generiert werden, muss geklärt werden, in welchen Fällen sie im Wirkungsbereich des Artikels stehen resp. wann und wo sie in die Derivation eintreten (vor oder nach dem Artikel) und mit welcher Phrase sie gemergt werden. Interessant ist dabei die Frage, inwiefern dies einen Einfluss auf die Artikelsetzung haben kann. Während Appositionen eng ans Nomen gekoppelt sind und deshalb immer als Adjunkte der NP resp. als Komplemente von N generiert werden, ist der Fall für PP- und Relativsatzmodifikationen nicht so eindeutig: Sie scheinen eine grössere Bewegungsfreiheit zu besitzen, die sich darin ausdrückt, dass sie nicht nur an die NP adjungiert werden können, sondern auch an Phrasen, die über der NP generiert werden. Ich werde PP- und Relativsatzmodifikationen eingehender in Kapitel 9.3.2 behandeln. 2. Fügungsenge: Wie bereits angedeutet, scheint auch die Fügungsenge eine Rolle zu spielen. Sie verrät etwas über den Zeitpunkt des Eintretens der Modifikation in die Derivation. Je grösser die Fügungsenge, je „näher“ die Modifikation am Nomen, desto eher ist sie im Skopus des Artikels und desto unbeweglicher scheint sie zu sein (vgl. dazu auch Kapitel 3.4). Kompositionsglieder weisen eine sehr grosse Fügungsenge auf, sie werden bereits präsyntaktisch mit dem Nomen verknüpft. Appositionen weisen eine grosse Fügungsenge auf, sie treten früh in die Derivation ein (spätestens kurz vor dem Artikel). PP-Modifikationen und insbesondere Relativsatzmodifikationen weisen die geringste Fügungsenge auf, sie können früh oder spät in die Derivation eintreten (vgl. für so genanntes Late Insertion Lebeaux 1988). Je nachdem können sie einen Einfluss auf den Artikel haben – und auf die Interpretation der Nominalphrase (vgl. Kapitel 9.3.2). 3. Funktion: Neben der Stellung und der Fügungsenge könnte zudem die Funktion für die Struktur ausschlaggebend sein. Häufig wird angenommen, dass appositive und restriktive Modifikationen unterschiedliche syntaktische Strukturen aufweisen. Teil- weise kann dieser Unterschied an der Oberfläche abgelesen werden, wie im Falle der Adjektive im Französischen – sie erscheinen pränominal, wenn sie appositiv sind, und postnominal, wenn sie restriktiv sind (vgl. Bouchard 2002). Teilweise ist der Unter- schied an der Oberfläche nicht sichtbar, wie im Falle von Relativsätzen – dennoch wird in verschiedenen Analysen angenommen, dass restriktive Relativsätze pränominal, appositive Relativsätze hingegen postnominal generiert werden (vgl. z.B. Fanselow 287 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen 1986, Heck et al. 2008). Andere Analysen gehen davon aus, dass Relativsätze je nach Funktion an unterschiedliche Phrasen adjungiert werden: restriktive Relativsätze an NP und appositive an DP (vgl. Jackendoff 1977, Demirdache 1991).13 Grundsätzlich wäre es möglich, eine einheitliche Struktur für alle appositiven Modifikationen und ei- ne einheitliche Struktur für alle restriktiven Modifikationen anzunehmen. Allerdings scheint dies – aufgrund der vielen Zusatzannahmen, die die „unmotivierten“ Anhe- bungen und Extrapositionen erklären müssten – nicht erstrebenswert. Dennoch halte ich es für sinnvoll, zumindest für Relativsätze (und eventuell für PP-Modifikationen) davon auszugehen, dass die Funktion die Struktur beeinflussen kann. Dasselbe kann eventuell (besonders in Sprachen wie dem Französischen) für AP-Modifikationen pos- tuliert werden.14 Es ist mir im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, alle Ähnlichkeiten, Unterschiede und Abhängigkeiten zwischen den verschiedenen Modifikationen in der Nominalphra- se zu erforschen und darzustellen, ich kann einzig andeuten, inwiefern die verschie- denen Modifikationen durch ihre unterschiedliche Gestalt, Struktur und Funktion un- terschiedlich stark in die Artikelsetzung eingreifen können. Für diesen Zweck bleibt festzuhalten, dass 1. ein Unterschied besteht zwischen pränominalen und postnomi- nalen Modifikationen, indem bei pränominalen Modifikationen die Artikelsetzung nie von der Modifikation abhängen kann (abgesehen vom Spezialfall d), dass 2. lose Fü- gungen im Gegensatz zu engen Fügungen bedingt auf die Wahl des Artikels Einfluss haben können und dass 3. zumindest bei Relativsätzen und bedingt auch bei PPs die Funktion der Modifikation einen Unterschied in der syntaktischen Struktur bedingt, der die Artikelsetzung in den verschiedenen Kontexten modulieren kann. Ich werde auf diesen letzten Punkt etwas genauer eingehen, um damit die Fälle, die ich in Kapi- tel 3.4 beschrieben habe, erklären zu können. 13In der Relativsatzsyntax sind in den letzten Jahren stark voneinander abweichende Analysen debat- tiert worden. Ich werde in Kapitel 9.3.2 auf die konfligierenden Ansätze kurz eingehen. 14Für die Adjektivmodifikation wird entweder (im „separationistischen“ Vorschlag, vgl. z.B. Lamarche 1991, Bouchard 2002) angenommen, dass die postnominale Position des Adjektivs eine spezielle Position für restriktive Adjektive darstellt oder (im „reduktionistischen“ Vorschlag, vgl. z.B. Kayne 1994) dass die Struktur durch N-Bewegung zustande kommt. 288 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen 9.3.2. Relativsatzmodifikation 9.3.2.1. Relativsatzanalysen einst und heute Für die Syntax der Relativsätze wurden in den letzten vierzig Jahren in der Hauptsa- che drei konkurrierende Analysevorschläge gemacht: die HEA (Head External Analy- sis), die HRA (Head Raising Analysis) und die MA (Matching Analysis).15 1. Head External Analysis: Die HEA, die Standardanalyse vor allem der GB-Theorie in den 80er-Jahren (auf Chomsky 1977 basierend), geht davon aus, dass das Nomen ausserhalb des Relativsatzes basisgeneriert wird (Head External) und der Relativsatz adjungiert wird. Da keine Bewegung stattfindet, ist innerhalb des Relativsatzes kei- ne Spur resp. Kopie vorhanden – Nomen und Relativpronomen (oder Relativopera- tor) sind lediglich miteinander koindiziert. Die HEA ist geeignet, um die Skopus- Verhältnisse zwischen Determinierer, Nomen und Relativsatz auszudrücken: Der De- terminierer hat wie gewünscht sowohl Skopus über das Nomen als auch über den Re- lativsatz. Allerdings bestehen z.B. Probleme in Bezug auf Bindung (Prinzip C-Verlet- zungen) und Strong Crossover (vgl. dazu Safir 1999, Sauerland 1998, 2000). 2. Head Raising Analysis: Im Zuge der Antisymmetrie-Hypothese (Kayne 1994), die die Rechtsadjunktion generell ausschliesst, kam die HEA in Verruf und die HRA, die erstmals unter anderem von Schachter (1973) und Vergnaud (1974) (teilweise auch als Promotion-Theory) vorgeschlagen wurde, erlebte eine Wiederbelebung. Die HRA geht davon aus, dass der Relativsatz das Komplement des Determinierers ist und dass das Nomen innerhalb des Relativsatzes basisgeneriert wird.16 Das Nomen muss obligato- risch angehoben werden (Head Raising), um adjazent zum Determinierer zu stehen zu kommen. Für die Kongruenz zwischen Determinierer und Nomen muss ausserdem auf LF N-nach-D-Bewegung stattfinden. Obwohl die HRA, wie die neuere Relativsatz- literatur zeigt, eine gewisse Popularität hat, gibt es mit dieser Analyse verschiedene Probleme, wie z.B. den doppelten Kasus (innerhalb des Relativsatzes und zusätzlich im Matrixsatz) oder die Tatsache, dass Determinierer und Nomen keine Konstituente bilden (vgl. die Argumente gegen Kaynes HRA in Borsley 1997). 15Ich beschränke mich hier auf Headed Relative Clauses und lasse so genannte freie Relativsätze ausser Acht, da sie insofern für die Diskussion hier nicht relevant sind, als sie nicht mit dem Artikel auftreten. Ich gehe auch nicht näher auf pränominale, circumnominale und correlative Relativsätze ein. Vgl. für eine Übersicht zu anderen Relativsatztypen de Vries (2002), Alexiadou et al. (2000), Bianchi (2002) und für eine eingehende Beschäftigung mit der Relativsatzanalyse (auch fürs Schweizerdeutsche) Salzmann (2006). 16Eine ähnliche Analyse wird auch für pränominale Adjektive vorgeschlagen (Fanselow 1986, Kayne 1994): Es wird angenommen, dass Adjektive durch so genanntes Predicate-Fronting aus ihrer Prädikat- stelle nach Spec,CP angehoben werden: [DP D [CP APi [IP DP ti]]]. Vgl. dazu Kapitel 9.3.3.1. 289 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen 3. Matching Analysis: Gewissermassen eine Zwischenposition nimmt die MA ein, ur- sprünglich von Lees (1960) und Chomsky (1965), später wiederentdeckt und weiter- entwickelt von Munn (1994) und Sauerland (1998, 2000), vgl. auch Borsley (1997), Citko (2001). Sie geht wie die HEA von einem externen N-Kopf aus, der Relativsatz wird adjungiert. Gleichzeitig geht sie wie die HRA davon aus, dass ein interner N- Kopf vorhanden ist, der in Argumentposition generiert wird und anschliessend in die Operator-Position innerhalb des Relativsatzes angehoben wird. Der interne Kopf wird dort unter Identität mit dem externen Kopf getilgt. Obwohl die MA empirisch nur schwer von der HEA zu trennen ist, bringt sie den konzeptionellen Vorteil, dass die Bindungsprobleme, mit der die HEA behaftet ist, nicht auftreten. Ich gehe in meiner Untersuchung von einer Matching Analyse aus, da die HRA be- sonders für deutsche Relativsätze aus verschiedenen Gründen problematisch ist: Wie Heck (2005) und Salzmann (2006) zeigen, wird die HRA im Deutschen neben den er- wähnten Problemen bei der Kasusflexion und der Konstituentenbildung mit weiteren Schwierigkeiten konfrontiert, so z.B. bei der Adjektivflexion oder bei diversen Koordi- nationsstrukturen. Die MA ist von dieser Problematik nicht betroffen. Neben der Frage, ob das Nomen innerhalb oder ausserhalb des Relativsatzes gene- riert wird, stehen zwei weitere Fragen im Zentrum der Relativsatzdebatte: 1. Welchen syntaktischen Status haben Relativsätze: Sind es Komplemente oder Adjunkte? und 2. Welche „Andockstellen“ stehen für den Relativsatz zur Verfügung? Obwohl diese Fragen theoretisch mehr oder weniger unabhängig voneinander beantwortet werden können resp. sämtliche Kombinationen denkbar sind (und in der Geschichte der Rela- tivsatzanalyse auch angenommen wurden), sind gewisse Abhängigkeiten dennoch zu erwarten. So ist z.B. ein Zusammentreffen von Head Raising und Komplementstatus naheliegend, da gewöhnlich angenommen wird, dass der Relativsatz bei der HRA di- rekt vom D-Kopf selegiert wird. Ein Komplementstatus wird aber teilweise auch in Analysen angenommen, die nicht von einer Raising-Struktur ausgehen (vgl. für ei- ne N-Komplement-Analyse Platzack 2004, für eine D-Komplement-Analyse Schmitt 2004 und Sternefeld 2006). Bezüglich des Attachment-Ortes kommen bei Komplement- Analysen N und D als Köpfe infrage, bei Adjunktion-Analysen wurden alle Positionen (N0, NP, D0, DP) vorgeschlagen, insbesondere aber die maximalen Phrasen NP und DP (vgl. dazu detaillierter Alexiadou et al. 2000). Seit Jackendoff (1977) werden zu- dem Vorschläge gemacht, die für unterschiedliche Relativsatztypen unterschiedliche Attachment-Orte proklamieren (z.B. Demirdache 1991). Ich argumentiere in dieser Arbeit dafür, dass die „Andockstelle“ vom Relativsatztyp abhängig ist und dass der Status der Relativsätze immer die Adjunktion ist. Für Rela- tivsätze, die eine sehr enge Bindung mit dem Nomen eingehen (wie z.B. bei relationa- 290 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen len Nomen) wäre es zwar grundsätzlich denkbar, einen Komplementstatus anzuneh- men, allerdings erscheint es mir aus zwei Gründen attraktiver, auch hier von einem Adjunktstatus auszugehen: Erstens lässt sich dadurch eine Einheitlichkeit sowohl in Bezug auf den Relativsatztypen als auch in Bezug auf eine einheitliche Behandlung von Modifikationen in der Nominalphrase aufrechterhalten. Zweitens handelt es sich zwar in diesen Fällen semantisch um eine Art Selektion, nicht aber syntaktisch. 9.3.2.2. Relativsatz und Artikelsetzung: Analysevorschläge Wie gezeigt wurde, bestehen bezüglich der Artikelsetzung bei den Relativsatztypen gewisse Unterschiede: Appositive Relativsätze treten (beinahe) immer mit dem re- duzierten Artikel auf, restriktive Relativsätze treten im Normalfall mit dem vollen Artikel auf (vgl. Kapitel 3.4 und Kapitel 4.2). Dieser Unterschied beruht auf der Tat- sache, dass appositive Relativsätze für die Referenz nicht ausschlaggebend sind (der nominale Ausdruck ist auch ohne Relativsatz eindeutig unik und wird deshalb vom re- duzierten Artikel eingeleitet). Restriktive Relativsätze hingegen sind für die Referenz ausschlaggebend (der nominale Ausdruck ist ohne Relativsatz nicht eindeutig unik und braucht das zusätzliche lexikalische Material für die eindeutige Referenz). Wäh- rend appositive Relativsätze demnach nicht im Skopus des Artikels stehen müssen, ist dies für die Interpretation von restriktiven Relativsätzen Bedingung sine qua non. Da Skopus syntaktisch als C-Kommando verstanden wird, heisst dies, dass appositi- ve Relativsätze ausserhalb und restriktive Relativsätze innerhalb der C-Kommando- Domäne des Artikels stehen müssen. Für appositive Relativsätze wird deshalb in der Standardanalyse angenommen, dass sie an DP (resp. an die höchste Phrase der Nominalphrase) adjungiert werden. Damit steht der Relativsatz ausserhalb des Skopus des Artikels. Für restriktive Relativsätze wird in der Standardanalyse hingegen angenommen, dass sie an NP adjungiert wer- den. Damit steht der Relativsatz innerhalb des Skopus des Artikels. Mit dieser Analyse kann die Wahl des reduzierten Artikels bei appositiven Relativsätzen und die Wahl des reduzierten Artikels bei restriktiven Relativsätzen erklärt werden: Appositive Rela- tivsätze sind nicht in der C-Kommando-Domäne des reduzierten Artikels und deshalb nicht in seinem Skopus, restriktive Relativsätze sind in der C-Kommando-Domäne des reduzierten Artikels und deshalb in seinem Skopus. Wie aber kann erklärt werden, dass im Normalfall der volle Artikel bei restriktiven Relativsätzen auftritt? Da die Kombination von vollem Artikel und restriktivem Rela- tivsatz wie gezeigt die eindeutig präferierte darstellt (vgl. Kapitel 4.2), muss geklärt 291 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen werden, inwiefern die Standardanalyse angepasst werden müsste oder wie die schwei- zerdeutschen Daten in die Standardanalyse eingegliedert werden könnten. Als Lösung bieten sich verschiedene Möglichkeiten an: 1. ein phorischer Kontext, 2. eine zwischen- geschaltete DP oder 3. verschiedene Attachment-Orte. 1. Phorischer Kontext: Es ist denkbar, dass in diesen Fällen der phorische Artikel ver- wendet wird, weil es sich um einen phorisch-definiten Kontext handelt (insofern Re- lativsätze als kataphorisch gelten können, vgl. Duden 2005). Dies braucht abgesehen von der Merkmalsstruktur (der volle Artikel hat ein Merkmal [ANAPH]) keinen wei- teren Niederschlag in der Struktur zu haben.17 Die Kombination von reduziertem Artikel und restriktivem Relativsatz wird damit erklärt, dass der reduzierte Artikel im Schweizerdeutschen häufig phorisch auftreten kann (vgl. Kapitel 3.1.1). Zusätz- lich muss angenommen werden, dass der Spezialfall des phorischen reduzierten Arti- kels dialekt- und personenabhängig unterschiedlich stark zum Normalfall avancieren kann. Es muss für diesen Fall davon ausgegangen werden, dass die Degrammatikali- sierung des reduzierten Artikels nicht in allen Dialekten und nicht bei allen Personen gleich stark fortgeschritten ist – oder anders formuliert, dass in einigen Dialekten und bei einigen Personen quasi eine „Übergeneralisierung“ stattgefunden hat, indem der reduzierte Artikel immer häufiger mit dem Merkmal [ANAPH] aus dem Lexikon kommt. Dass es diesbezüglich Unterschiede zwischen den Dialekten gibt, erstaunt na- türlich nicht. Dass auch Unterschiede zwischen verschiedenen Personen einer Dialekt- region bestehen, scheint auch nicht ganz ungewöhnlich zu sein und kann verschiedene Ursachen haben (wie z.B. Alter, Geschlecht): Julien (2005) weist fürs Skandinavische darauf hin, dass nicht nur dialektale, sondern auch idiolektale Unterschiede bei der Kombination von Artikel und Relativsatz bestehen. 2. Zwischengeschaltete DP: Zur Erklärung des vollen Artikels bei restriktivem Rela- tivsatz könnte eine Struktur angenommen werden, die von der gewöhnlichen Adjunk- tionsanalyse abweicht, indem der Relativsatz nicht direkt an die NP adjungiert wird, sondern eine DP quasi „zwischengeschaltet“ wird: 17Adjektivmodifikationen hingegen können nicht als phorisch-definite Kontexte gelten, da sie zwischen dem Artikel und dem Nomen generiert werden. Deshalb treten sie im Schweizerdeutschen auch in re- striktiver Funktion nicht mit dem vollen Artikel auf (vgl. aber die Analyse zur Adjektivmodifikation, Kapitel 9.3.3.1). 292 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen (11) DefP däi NP NP DP Maa D CP ti wo geschter aaglüütet het Die zwischengeschaltete DP beherbergt den vollen Artikel, der für die Abgleichung der Merkmale anschliessend nach DefP und nach AnaphP angehoben wird. Durch die Einsetzung des vollen Artikels in einer „tiefen“ DP und seiner Anhebung nach DefP wird eine Generierung des reduzierten Artikels unnötig resp. blockiert. Die Erklärung der Fälle mit dem reduzierten Artikel erfolgt hier in derselben Art wie oben: Da der reduzierte Artikel in einigen Dialekten und bei einigen Personen häufig ein Merk- mal [ANAPH] mitbringt, wird angenommen, dass er in die tiefe DP eingesetzt werden kann. Da auch der reduzierte Artikel aus merkmalstechnischen Gründen nach DefP und AnaphP angehoben wird, wird die Generierung eines zweiten Artikels vermie- den. 3. Verschiedene Attachment-Orte: Des Weiteren kann die Frage berücksichtigt werden, was strukturell der Fall sein muss, dass ein voller Artikel notwendig wird: Da die In- terpretation des Relativsatzes vom Skopus des Artikels abhängt, wird ein voller Arti- kel notwendig, wenn der Relativsatz nicht im Skopus des reduzierten Artikels ist. Der Relativsatz ist im Skopus des Artikels, wenn er in der C-Kommando-Domäne des Ar- tikels steht. Dies ist immer dann der Fall, wenn der Relativsatz an eine Phrase adjun- giert wird, die unterhalb der Phrase liegt, die den reduzierten Artikel enthält. Da für restriktive Relativsätze angenommen wird, dass sie an NP adjungiert werden, steht der Relativsatz in der Standardanalyse im Skopus des reduzierten Artikels. Nicht im Skopus des reduzierten Artikels steht der Relativsatz dann, wenn angenommen wird, dass restriktive Relativsätze nicht immer an NP adjungiert werden, sondern manch- mal auch an eine höhere Projektion (wie z.B an DefP). Ist der Relativsatz an eine Phrase adjungiert, die über dem reduzierten Artikel liegt, steht er nicht im Skopus des Artikels. In diesen Fällen muss der volle Artikel, der in eine höhere Position als 293 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen der reduzierte Artikel zu stehen kommt, eingesetzt werden. Nicht geklärt ist allerdings die Frage, warum restriktive Relativsätze manchmal an die NP, manchmal an die DefP adjungiert werden. Dieser Umstand könnte mit den unterschiedlichen Funktionen von restriktiven Relativsätzen in Verbindung gebracht werden (vgl. Kapitel 3.4): In denje- nigen Fällen, in denen der restriktive Relativsatz gegenstandsbestimmend oder defini- torisch verwendet wird, wird der Relativsatz nicht an NP, sondern an DefP adjungiert. In denjenigen Fällen, in denen der restriktive Relativsatz begriffsbildend gebraucht wird, wird er hingegen wie in der Standardanalyse angenommen an NP adjungiert. Dieser Unterschied kann damit begründet werden, dass gegenstandsbestimmende und insbesondere definitorische Relativsätze obligatorisch sind. Dies wird besonders deut- lich bei standarddeutschem derjenige, das ohne Relativsatz ungrammatisch ist:18 (12) a. *Derjenige Kunde soll sich bitte an der Kasse melden. b. Derjenige Kunde, der einen gelben VW hat, soll sich an der Kasse melden. Da der Relativsatz obligatorisch ist, sind sogar dann Extrapositionen möglich, wenn eine valable und damit normalerweise präferierte Anbindungsposition interveniert: (13) Ich habe [demjenigen Kunden]i [den Tisch]j gezeigt [der oben stand]i/⇤j . Allerdings darf die Extraposition des Relativsatzes die Satzgrenze nicht überschreiten (so genannte Right Roof Constraint, Ross 1967, Soames & Perlmutter 1979), d.h. der geforderte Relativsatz muss in einem lokalen Bereich auftauchen. Ausserhalb dieses Bereichs ist eine Anbindung ans Antezedens nicht mehr möglich, wodurch der Satz ungrammatisch wird: (14) *[Wenn [derjenige Kunde ti] kommt] schreit die Verkäuferin [der einen VW hat]i. Für die schweizerdeutschen Daten gelten in etwa dieselben Grammatikalisierungsur- teile. Allerdings ist die Sachlage weniger eindeutig, da das Schweizerdeutsche nicht über ein Pendant zu standarddeutschem derjenige verfügt. D.h. es gibt keinen Deter- minierer, der obligatorisch mit Relativsätzen und ausschliesslich phorisch auftritt. In Fällen, in denen im Standarddeutschen derjenige verwendet wird, wird im Schweizer- deutschen der volle Artikel (oder pronominal das phorische Demonstrativum) gesetzt. Da dieser aber neben seiner kataphorischen Funktion auch anaphorisch und deiktisch 18Diesem Umstand trägt Sternefeld (2006) Rechnung, indem in seiner Analyse diese obligatorischen Re- lativsätze direkt mit derjenige (zu D0) gemergt werden. 294 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen verwendet werden kann, treten nie so eindeutige Kontexte auf wie im Standarddeut- schen. Zudem wird die Interpretation zusätzlich beeinflusst durch die Wahl des Arti- kels bei der intervenierenden Nominalphrase: (15) a. E ha em Chund de Tesch zeigt, wo dobe schtoot. red. / red. b. E ha däm Chund de Tesch zeigt, wo dobe schtoot. voll / red. c. E ha em Chund dä Tesch zeigt, wo dobe schtoot. red. / voll d. E ha däm Chund dä Tesch zeigt, wo dobe schtoot. voll / voll In Beispiel (15-a) werden beide nominalen Ausdrücke mit dem reduzierten Artikel ein- geleitet. Es handelt sich demnach in beiden Fällen um intrinsisch-definite Ausdrücke. Der Relativsatz wird in diesem Fall am ehesten appositiv interpretiert. In Beispiel (15-b) kann sich der Relativsatz auf däm Chund beziehen (wie im Standarddeutschen), däm Chund kann aber auch anaphorisch oder deiktisch verweisen, dann wird der Re- lativsatz auf de Tesch bezogen. In Beispiel (15-c) wird der Relativsatz am ehesten an dä Tesch angebunden (wie im Standarddeutschen). Verweist allerdings dä Tesch ana- phorisch oder deiktisch, dann kann der Relativsatz nur auf de Chund bezogen sein. Diese Lesart ist aber zumindest stark markiert. In Beispiel (15-d) wird der Relativsatz am ehesten auf dä Tesch bezogen. Wird dä Tesch allerdings anaphorisch oder deiktisch verwendet, kann sich der Relativsatz auch auf dä Chund beziehen. Allerdings ist diese Lesart wiederum markiert. Obwohl die Interpretationsmöglichkeiten für die schweizerdeutschen Daten vielfälti- ger sind, stimmt die Beurteilung überein, dass obligatorische Relativsätze bei Extrapo- sitionen uneingeschränkter sind. Deutlich wird dies im Schweizerdeutschen vor allem in eindeutigen Kontexten wie bei unspezifischen Nominalphrasen: (16) Jede bechonnt di Frou, wo-n-er verdient. Jeder bekommt diev Frau, die er verdient. Auch hier ist eine Extraposition bis zur Satzgrenze (aber nicht darüber hinaus) mög- lich: (17) a. [Dass jede [di Frou ti] bechonnt [wo-n-er verdient]i] esch es Natuurgsetz. Dass jeder diev Frau bekommt, die er verdient, ist ein Naturgesetz. b. *[Dass jede [di Frou ti] bechonnt] esch es Natuurgsetz] [wo-n-er verdient]i. Dass jeder diev Frau bekommt, ist ein Naturgesetz, die er verdient. 295 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen Dies zeigt, dass diese Relativsätze mobiler zu sein scheinen als restriktive Relativsät- ze, die nicht in dem Sinne obligatorisch sind. Die RC-Adjunktionen an unterschiedli- chen Orten in einer (leicht vereinfachten) DP-Struktur sähe wie folgt aus: (18) DxP DxP CP APP. RC D-deix AnaphP D-voll DefP DefP CP DEF/IDENT. RESTR. RC D-red FP NP NP CP BEGRIFF. RESTR. RC In dieser Struktur werden appositive Relativsätze (APP. RC) an DxP adjungiert, de- finitorische oder „identifizierende“ restriktive Relativsätze (DEF/IDENT. RESTR. RC) an DefP, „begriffsbildende“ restriktive Relativsätze (BEGRIFF. RESTR. RC) an NP. Dies kann funktional damit erklärt werden, dass der Relativsatz bei der appositiven 296 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen Funktion zur Referenz der Nominalphrase nichts beizutragen hat, bei der restriktiven Funktion hingegen schon. Da der Relativsatz bei den unterschiedlichen Unterfunktio- nen unterschiedlich enge Beziehungen mit dem Nomen eingeht, wird er auch unter- schiedlich eng ans Nomen gebunden: bei der begriffsbildenden Funktion handelt es sich um eine enge Fügung. Deshalb wird der Relativsatz direkt an die NP adjungiert. Bei der identifizierenden und definitorischen handelt es sich um eine losere (bewegli- chere) Fügung. Deshalb wird der Relativsatz an die DefP adjungiert. Die Adjunktion an DefP lässt den Relativsatz im Skopus des vollen Artikels zu stehen kommen, nicht aber des reduzierten Artikels. Wird ein reduzierten Artikel generiert, obwohl es der Einsetzung eines vollen Artikels in AnaphP bedarf, muss zusätzlich ein Tilgungsme- chanismus angenommen werden. Der Ansatz, dass reduzierte Artikel nach AnaphP angehoben und dadurch morphologisch gestärkt werden, entfällt unter einer mini- malistischen Analyse. Der Umstand, dass diese Verteilung nicht in allen Dialekten und bei allen InformantInnen auftritt, kann zwei verschiedene Gründe haben: 1. die Mobilität von Relativsätzen, d.h. die Auswahlmöglichkeit der Andockstelle, kann un- terschiedlich ausgebildet sein. In Dialekten, in denen der Relativsatz immer mit dem reduzierten Artikel auftritt, muss Immobilität angenommen werden. 2. die zugrunde- liegende Struktur ist in allen Fällen die obige. In Dialekten, in denen der reduzierte Artikel anstelle des vollen Artikels auftritt, ist dies in der Merkmalsstruktur des re- duzierten Artikels ([+ANAPH]) begründet. Es ist mir nicht möglich in meiner Untersuchung definitive Lösungen zur Relativsatz- modifikation zu liefern – insbesondere auch deshalb nicht, da in diesem Gebiet wie er- wähnt sehr unterschiedliche Ansätze verfolgt werden und die Diskussion um die „rich- tige“ Relativsatzanalyse alles andere als erschöpfend behandelt ist. Zusammenfassend kann Folgendes festgehalten werden: Der dritte Vorschlag, in dem die unterschiedli- che Artikelsetzung bei Relativsätzen dadurch gelöst wird, dass nicht alle restriktiven Relativsätze denselben Attachment-Ort aufweisen, kann zwar die Gegebenheiten wie- dergeben, die externe Motivation für diese Unterscheidung in der Derivation bleibt diese Analyse allerdings schuldig resp. kann sie soweit nur immanent durch die Fü- gungsenge und die Skopusverhältnisse motiviert werden. Der zweite Vorschlag, in dem die unterschiedliche Artikelsetzung dadurch gelöst wird, dass (einige) restriktive Re- lativsätze nicht an NP, sondern an eine zwischengeschaltete DP adjungiert werden, kann die Gegebenheiten ebenfalls wiedergeben. Die Motivation für diese Analyse liegt konzeptionell darin, dass der Relativsatz in diesen Fällen (d.h. bei definitorischen und gegenstandsbestimmenden Kontexten) unabhängig vom Nomen mit dem Artikel eine starke Verknüpfung eingeht ([der, welcher]) – erst in einem zweiten Schritt wird die Verknüpfung (resp. die Intersektion) mit der Nominalbedeutung vorgenommen (vgl. dazu auch die Analyse in Sternefeld (2006), in der obligatorische Relativsätze als Kom- 297 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen plemente von D generiert werden). Strukturell liegt die Motivation darin, dass zum Merge-Zeitpunkt von Artikel und Relativsatz die eindeutige Referenz noch nicht be- stimmt ist – erst indem die untere DP mit der NP gemergt wird, wird die Referenz bestimmt. Der Einsatz des vollen Artikels ist in diesem Kontext zu erwarten. Der ers- te Vorschlag, in dem kein Unterschied in der syntaktischen Struktur angenommen wird, ist der unproblematischste. Allerdings ist er für die Annahme einer MSSK auch der unattraktivste, da in dieser Analyse einem Unterschied in der Morphologie und der Semantik keine Konsequenzen für die syntaktische Struktur erwachsen. Abschliessend soll noch einmal der Frage nachgegangen werden, was Relativsätze von anderen Modifikationen unterscheidet und inwieweit die oben beschriebenen Analy- semöglichkeiten auch auf andere Modifikationen übertragen werden können. 9.3.3. Andere Modifikationen in der Nominalphrase Nicht nur Relativsätze, sondern auch andere Modifikationen wie Adjektive, Präpo- sitionalphrasen etc. können sowohl appositive als auch restriktive Funktion haben. Dennoch kann der volle Artikel einzig bei Relativsätzen und teilweise bei PPs auf- treten (vgl. Kapitel 3.4 und 4.2). Dies veranlasst zu folgender These: Zwar können semantisch-pragmatische Aspekte (d.h. die Funktionen) die Artikelsetzung beeinflus- sen, der syntaktische Aspekt (d.h. die Struktur) ist aber dominant. Grundsätzlich wäre es denkbar und einleuchtend, anzunehmen, dass die Funktion ei- ner Modifikation bei allen Modifikationsformen denselben Effekt hat – nämlich, dass die Artikelsetzung entweder immer oder nie durch die Modifikation beeinflusst werden kann. Falls sie beeinflusst wird, wäre die naheliegendste Vermutung, dass restriktive Modifikationen bei der Artikelsetzung (aufgrund der intendierten Nicht-Einzigkeit des Referenten bei restriktiver Modifikation) immer die volle Form auslösen. Unabhängig von der syntaktischen Struktur würden demnach alle restriktiven Modifikationen im- mer mit dem vollen Artikel auftreten. Dies ist im Schweizerdeutschen nicht der Fall. Deshalb muss angenommen werden, dass die syntaktische Struktur stärkeren Ein- fluss hat als die semantisch-pragmatische Funktion der Modifikation.19 Für enge Fügungen ist es unschwer zu erklären, warum immer der reduzierte Artikel auftritt: Die Modifikation kann nicht als anaphorische oder kataphorische Informati- on dienen, da sie eng mit dem Nomen verknüpft ist und das Nomen mit der engen 19Interessant in diesem Zusammenhang wäre es, Sprachen mit doppelter Artikelführung zu untersuchen, in denen die Funktion der Modifikation eine bestimmte syntaktische Struktur fordert, wie dies z.B. bei den restriktiven Adjektiven im Französischen der Fall ist. Da aber das Französische nicht über zwei Artikelparadigmen verfügt, kann sich der dieser Unterschied in der Artikelform nicht zeigen. 298 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen Fügung zusammen einen uniken nominalen Ausdruck bildet. In diesen Fällen ist der reduzierte Artikel erwartbar. Bei einer engen Fügung steht die Modifikation zwangs- läufig im Skopus des Artikels. Besonders deutlich ist dies bei Kompositionsgliedern (Modifikationen auf Wortebene) und bei pränominalen Modifikationen, die zwischen Artikel und Nomen stehen. Adjektive stehen im Deutschen oberflächlich (fast) immer pränominal. Dennoch gibt es Adjektivanalysen, die davon ausgehen, dass Adjektive (teilweise) postnominal generiert werden und durch Bewegung in eine pränominale Position gelangen. Aus diesem Grund muss überprüft werden, ob die Skopusverhält- nisse für diese Strukturen anders sind als für basisgenerierte pränominale Adjekti- ve. Da für die Adjektivmodifikation ähnlich viele Analysevorschläge gemacht wurden wie für die Relativsatzmodifikation, werde ich darauf etwas näher eingehen (für eine aus- führlichere Zusammenfassung der Debatte verweise ich auf Alexiadou & Wilder 1998, Alexiadou 2001 und Alexiadou et al. 2007:284-394). 9.3.3.1. Adjektivmodifikation Für die Adjektivmodifikation sind verschiedene Analysevorschläge gemacht worden. Grundsätzlich kann unterschieden werden zwischen Analysen, in denen Adjektive pränominal generiert werden, und Analysen, in denen Adjektive postnominal gene- riert werden. Da in vielen Sprachen Adjektive je nach Funktion pränominal und post- nominal auftreten können, wird manchmal auch von einer gemischten Analyse aus- gegangen: Restriktive Adjektive werden postnominal generiert. Sie bilden mit dem Nomen eine Intersektion (vgl. z.B. der alte Baum, das sich auf die Schnittmenge von ‘alt’ und ‘Baum’ bezieht). In Sprachen wie dem Deutschen, in denen auch restriktive Adjektive oberflächlich pränominal erscheinen, muss eine Bewegung des Adjektivs vor das Nomen angenommen werden. Relationale oder intensionale Adjektive werden prä- nominal generiert. Sie bilden mit dem Nomen keine Intersektion, sondern eine neue „Einheit“ (vgl. z.B. der kleine Elefant, die sich nicht auf die Schnittmenge von ‘klein’ und ‘Elefant’, sondern auf einen relativ zur durchschnittlichen Grösse von Elefanten kleinen Elefanten bezieht, oder der starke Raucher, das sich nicht auf die Schnittmen- ge von ‘stark’ und ‘Raucher’ bezieht, also nicht auf ein Individuum, das stark ist und Raucher ist, sondern auf ein Individuum, das eine überdurchschnittliche Menge Ziga- retten raucht). Pränominale Adjektive: Bei den Analysen mit pränominalen Adjektiven werden im Wesentlichen fünf verschie- dene Typen diskutiert: 299 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen 1. das Adjektiv wird direkt mit N gemergt [N0 A N] Diese Variante wird in erster Linie für intensionale Adjektive postuliert, die mit dem Nomen eine Einheit bilden und nicht intersektiv interpretiert werden kön- nen (vgl. z.B. Lamarche 1991, Bouchard 2002). 2. die AP ist ein NP-Adjunkt [NP AP [NP N]] Diese Variante spiegelt die Ansicht wider, dass Modifikationen syntaktisch nicht notwendig sind und deshalb nicht als Komplemente, sondern als Adjunkte in der NP verstanden werden sollten. 3. die AP ist der Spezifierer von NP (Spec,NP) [NP AP [N0 N]] Diese Variante spiegelt die Ansicht wider, dass Modifikationen nicht als Adjunk- te, sondern als Spezifizierer in der NP verstanden werden sollten. 4. die AP ist der Spezifizierer einer funktionalen Projektion über NP (Spec,FP) [FP AP [F0 F [NP]] Diese Variante geht davon aus, dass die AP gerade nicht Spezifizierer der NP, sondern einer höheren funktionalen Kategorie ist. Motivation für diese Analyse ist die strikte semantisch-bedingte Abfolge bei multipler Adjektivmodifikation, die in Variante 2 und 3 kaum erklärt werden kann (vgl. Cinque 1993). 5. die AP wird über der NP generiert, die NP ist das Komplement von A [AP A [NP]] Diese Variante wurde bereits in den Anfängen der DP-Analyse postuliert (vgl. Abney 1987). Sie wurde vor allem für die Daten im Skandinavischen zur Er- klärung der Einsetzung des präadjektivischen Artikels wieder aufgegriffen (vgl. Vangsnes 2001). Allen diesen Analysen ist gemeinsam, dass das Adjektiv zwischen Artikel und Nomen steht. Der Artikel hat also Skopus sowohl über das Adjektiv als auch über das No- men. Adjektiv und Nomen bilden einen uniken nominalen Ausdruck. Die Setzung des reduzierten Artikels im Schweizerdeutschen ist in diesen Fällen also erwartbar. Postnominale Adjektive: Bei den Analysen mit postnominalen Adjektiven kann grob unterteilt werden in Ana- lysen, die von einer eigenen postnominalen Position für Adjektive in der NP ausgehen, und Analysen, die davon ausgehen, dass postnominale Adjektive reduzierte (Relativ-) Sätze sind. Diese Relativsätze werden bis auf das Prädikat (i.e. das Adjektiv) gekürzt. 300 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen In Sprachen wie dem Deutschen muss zusätzlich angenommen werden, dass das Prädi- kat nach vorne bewegt wird und ein Mechanismus für die korrekte Flexion bereitsteht (vgl. Motsch 1964):20 (19) [der Baum [der alt ist]] ! [der Baum [alt]] ! [der [alte] Baum] Es bestehen verschiedene Möglichkeiten, wie diese reduzierte satzähnliche Struktur für die AP aussehen könnte: 1. die AP ist ein reduzierter restriktiver Relativsatz als NP-Adjunkt [DP D [NP [NP N] [CP A]]] Diese Variante geht davon aus, dass restriktive Relativsätze und restriktive Ad- jektive dieselbe Struktur aufweisen, dass diese bei Adjektiven jedoch auf das Prädikat gekürzt wird. Das Nomen und der Relativsatz bilden zusammen einen uniken nominalen Ausdruck. Dieser steht im Skopus des reduzierten Artikels. Der reduzierte Artikel ist in dieser Struktur erwartbar. Obwohl diese Struktur für Adjektive grundsätzlich denkbar wäre, hat für eine solche Analyse meines Wissens niemand argumentiert. 2. die AP ist ein Relativsatz als D-Komplement in einer Raising-Struktur [DP [CP APi [IP DP ti]]] Diese Variante beruht auf der HRA für Relativsätze: Es wird davon ausgegangen, dass ein satzartiges Adjektiv als D-Komplement auftritt. Bei dieser Analyse wird das Adjektiv an den linken Rand der CP angehoben (vgl. Kayne 1994). Da das Nomen und der Relativsatz beide innerhalb des Komplementes von D sind, hat hier der reduzierte Artikel Skopus über den nominalen Ausdruck. Der reduzierte Artikel ist in dieser Struktur erwartbar, wenn davon ausgegangen wird, dass eine Reduktionsform eine CP selegieren kann. Da für Relativsätze im Deutschen allerdings von einer Raising-Struktur abgesehen wird, ist diese Adjektivstruktur eher auszuschliessen. 3. die AP ist das Komplement von D in einer DP-Shell, die NP ist in Spec,DP [DP Di [DP [DP NP [D0 ti [AP]]]]] Diese Variante wird angenommen, um den Unterschied zwischen inneren Ad- jektiven (die N modifizieren) und äusseren Adjektiven (die D modifizieren) zu 20Bei Motsch werden nicht nur Adjektive, sondern auch postnominale Attribute, wie possessive Genitive oder Präpositionalphrasen aus Relativsätzen erzeugt (vgl. ausführlich Motsch 1964:114f): (i) a. [Der Hund [den der Nachbar besitzt]] ⇥ [Der Hund [des Nachbarn]] b. [Der Hund [der vor meiner Tür sitzt]] ⇥ [Der Hund [vor meiner Tür]] 301 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen unterscheiden. In einem ersten Schritt wird in der tiefsten DP der Artikel mit dem Adjektiv gemergt, die NP steht im Spezifizierer dieser DP. In einem zweiten Schritt wird der Artikel (je nachdem alleine oder mit dem Adjektiv) in eine hö- here DP-Schale angehoben (vgl. Larson 1988, 1991). Da hier der Artikel mit dem Adjektiv gemergt wird, ist der reduzierte Artikel nicht unbedingt erwartbar. 4. die AP bildet mit der NP einen Small Clause [DP [NP e [SC NP AP]]] Diese Variante geht davon aus, dass ein Small Clause aus Nomen und Adjek- tivphrase das Komplement eines leeren N-Kopfes bildet. Das Adjektiv wird an- schliessend in den Kopf einer höheren funktionalen DegPhrase angehoben (De- monte 1999). Da hier wiederum das Nomen mit dem Adjektiv einen uniken nomi- nalen Ausdruck bildet, bevor der Artikel gemergt wird, ist der reduzierte Artikel erwartbar. 5. die AP bildet mit dem Artikel (= Pred) eine PredP [DP [FP [PredP Pred AP]]] Diese Variante ist eine Abwandlung der 4. Variante. Sie wurde vor allem zur Er- klärung von Artikelmehrfachsetzung im Griechischen (so genanntes Determiner Spreading) herangezogen. In dieser Analyse wird angenommen, dass ein Artikel mit dem Adjektiv eine Prädikatphrase bildet. Im D-Kopf steht das lexikalische Subjekt aus Artikel und Nomen. Im Deutschen, das kein Determiner Spreading kennt, muss angenommen werden, dass entweder nur ein Artikel gesetzt wird (im D-Kopf oder im Pred-Kopf) oder dass der Artikel im Pred-Kopf getilgt wird. Da der Artikel einmal mit dem Nomen und einmal mit dem Adjektiv eine Einheit bilden, ist der reduzierte Artikel nicht unbedingt erwartbar. 6. die AP bildet mit D eine DP unterhalb der NP [DP [NP NP [DP D AP]]] Diese Variante ist die Weiterführung meines zweiten Lösungsvorschlags für die Relativsatzanalyse. Unterhalb der NP wird eine DP mit einem Relativsatz re- sp. einer Adjektivmodifikation zwischengeschaltet. Die Grundidee ist dabei ver- wandt mit der 4. und der 5. Variante. Sie unterscheidet sich von der 4. allerdings (unter anderem) darin, dass nicht nur das Adjektiv, sondern in Sprachen mit pränominalen Adjektiven auch der Artikel angehoben wird. Dies hat sie mit Va- riante drei gemeinsam. Da hier der Artikel mit dem Adjektiv gemergt wird, ist der reduzierte Artikel nicht unbedingt erwartbar. Zusammenfassend kann festgehalten werden: Variante 1 und Variante 2 sind aus kon- zeptionellen Gründen eher auszuschliessen. Bei den Varianten 3, 5 und 6 ist der redu- 302 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen zierte Artikel zwar nicht auf Anhieb einleuchtend, er ist aber auch nicht grundsätzlich unmöglich. Die Erklärung, warum in diesen Fällen der reduzierte Artikel und nicht der volle auftaucht, muss zusätzlich begründet werden. In Variante 4 ist der redu- zierte Artikel grundsätzlich erwartbar. Sie ist aus diesem Grund die favorisierte zur Erklärung der Artikelsetzung bei Adjektivmodifikation im Schweizerdeutschen. Aller- dings könnten zwei Gründe gegen diese Analyse sprechen: Erstens ist es nicht oh- ne Weiteres einleuchtend, warum der N-Kopf in dieser Analyse leer bleibt. Zweitens kommt die Parallele zwischen restriktiven Relativsätzen und restriktiven Adjektiven nicht zum Ausdruck. Bei der Variante mit der zwischengeschalteten DP wird dieser Parallele Rechnung getragen. Allerdings braucht es hier eine Erklärung, warum bei der Relativsatzmodifikation der volle Artikel gesetzt wird, bei der Adjektivmodifikati- on hingegen der reduzierte. (20) a. DefP b. DefP däi NP dei NP NP DP NP DP D CP Maa D CP/APMaa ti ti wo morn chont schöön Obwohl es sich bei diesen beiden modifizierten DPs um dieselbe syntaktische Struk- tur und dieselbe semantische Interpretation zu handeln scheint, muss zur Erklärung der unterschiedlichen Artikelsetzung ein Unterschied angenommen werden, insofern nur CPs nicht aber APs mit dem vollen Artikel auftreten können. So scheint nur eine vollständige, nicht aber die zur AP verkürzte Satzstruktur, den vollen Artikel zuzulas- sen. 303 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen 9.3.3.2. PP-Modifikationen PPs verhalten sich bei der Artikelsetzung ganz ähnlich wie Relativsätze:21 Sie können mit dem reduzierten Artikel und mit dem vollen Artikel auftreten. Wenn sie mit dem vollen Artikel auftreten, dann handelt es sich eher um restriktive gegenstandsbestim- mende PPs. Bei appositiven und restriktiv begriffsbildenden wird eher der reduzierte Artikel gesetzt. PP-Modifikationen werden in der Standardanalyse als Adjunkte an NP gesehen. Sie sind demnach im Skopus des Artikels. Die reduzierte Form ist also erwartbar. Wie kön- nen nun aber die Fälle erklärt werden, in denen der volle Artikel bei PP-Modifikationen auftritt? Hier kommen ähnlich wie bei der Relativsatzmodifikation verschiedene Lö- sungen infrage. 1. phorischer Kontext: Auch bei der PP-Modifikation ist es grundsätzlich denkbar, dass in diesen Fällen der phorische Artikel verwendet wird, da kataphorisch auf die Infor- mation der PP zugegriffen wird. Dies braucht abgesehen von der Merkmalsstruktur (der volle Artikel hat ein Merkmal [ANAPH]) keinen weiteren Niederschlag in der Struktur zu haben. Für die Fälle, in denen doch der reduzierte Artikel auftritt, wird angenommen, dass der reduzierte Artikel im Schweizerdeutschen häufig phorisch ver- wendet werden kann. 2. zwischengeschaltete DP: Auch bei der PP-Modifikation könnte zur Erklärung des vollen Artikels angenommen werden, dass die PP nicht direkt an die NP adjungiert wird, sondern eine DP quasi „zwischengeschaltet“ wird: 21Leider bestehen zur PP-Modifikation keine gesicherten Daten, die belegen, dass sich PPs wie Rela- tivsätze verhalten. Es bestehen aber auch keine Daten, die widerlegen würden, dass sich PPs ähnlich wie Relativsätze verhalten. Als sicher kann gelten, dass der volle Artikel bei PPs nicht dieselbe Ungram- matikalität wie bei APs auslöst: (i) a. dä Maa vo geschter derv Mann von gestern b. dä geschtrig Match dasv gestrige Spiel Während Beispiel (i-a) in einer restriktiven Lesart möglich ist, ist Beispiel (i-b) nur grammatisch unter einer emotional intrinsischen Lesart, nicht aber wenn die AP-Modifikation restriktiv verstanden wird. 304 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen (21) DefP däi NP NP DP Maa D CP/AP ti vo geschter Die zwischengeschaltete DP beherbergt den vollen Artikel, der für die Abgleichung der Merkmale anschliessend nach DefP und nach AnaphP angehoben wird. Auch hier wird durch die Einsetzung des vollen Artikels in einer „tiefen“ DP und seiner Anhebung nach DefP eine Generierung des reduzierten Artikels unnötig resp. blockiert. In den Fällen, in denen dennoch der reduzierte Artikel gesetzt wird, handelt es sich um den phorischen reduzierten Artikel. 3. Unterschiedliche Attachment-Orte: Es könnte auch für PPs angenommen werden, dass sie mobiler sind als andere Modifikationen. Genau wie Relativsätze könnten sie entweder an NP oder an eine höhere Projektion adjungierbar sein. Werden sie z.B. an die DefP adjungiert, stehen sie nicht mehr im Skopus des reduzierten Artikels. Für die Fälle, in denen sie für die Interpretation der Nominalphrase wichtig sind, muss der volle Artikel in einer höheren Position eingesetzt werden. Mit der Bewertung dieser drei Vorschläge für die PP-Modifikation steht es ähnlich wie für die Relativsatzmodifikation. Abschliessend kann festgehalten werden, dass die ers- te Variante am unproblematischsten ist, aber für die MSSK nicht gerade wünschens- wert. Die zweite Variante kann konzeptionell und strukturell motiviert werden und sie kann die Gegebenheiten richtig wiedergeben. Die dritte Variante kann die Gege- benheiten ebenfalls richtig wiedergeben. Allerdings fehlt hier die externe Motivation für die unterschiedlichen Merge-Orte. 9.4. Zusammenfassung Ich habe in diesem Kapitel einen Vorschlag für eine (merkmalsgetriebene) Nominal- phrasenstruktur im Schweizerdeutschen aufgezeigt. Für den „Normalfall“ des redu- 305 9. Analyse zur Nominalphrase im Schweizerdeutschen zierten Artikels in intrinsisch-definiten Kontexten wird von einer „flachen“ Struktur ausgegangen, bei der über der NP eine DP (DefP) für Definitheit und zusätzlich oder mit der DP zusammenfallend eine FP für die morphosyntaktischen Merkmale proji- ziert wird. Diese flache Struktur muss nur erweitert werden, wenn anstelle des redu- zierten Artikels andere Determinierer mit anderer Merkmalsstruktur ins Spiel kom- men. Ist der Kontext nicht intrinsisch-definit, sondern phorisch-definit oder deiktisch- definit, müssen Determinierer verwendet werden, die über ein Merkmal [ANAPH] re- sp. ein Merkmal [DEIKT] verfügen. Für diese Fälle schlage ich eine linke Peripherie für die Nominalphrase vor, die aus einer AnaphP und einer DxP besteht. Determi- nierer mit einem [ANAPH]-Merkmal können dieses in der AnaphP abgleichen, De- terminierer mit einem [DEIKT]-Merkmal können dieses in der DxP abgleichen. Für die Daten des Schweizerdeutschen kann die Existenz dieser Projektionen nicht an- hand von Wortstellungsregularitäten o.ä. bewiesen, sondern nur anhand der Merk- male motiviert werden. Neben der Evidenz für die Existenz einer linken Peripherie in der Nominalphrasen aus anderen Sprachen, werden die Projektionen AnaphP und DxP insbesondere dadurch motiviert, dass sie die zusätzliche innertextuelle resp. aus- sersprachliche Verweisfunktion, die dem vollen Artikel (mit dem Merkmal [ANAPH]) resp. dem Demonstrativum (mit dem Merkmal [DEIKT]) – im Gegensatz zum redu- zierten Artikel – eröffnet wird, strukturell verdeutlichen. Neben der Analyse der verschiedenen Artikelparadigmen in ihren verschiedenen Funk- tionen, wurde der Modifikation in der Nominalphrase besondere Aufmerksamkeit ge- schenkt: In Teil I (Kapitel 3.4.2) wurde gezeigt, dass sich die Artikelsetzung insbeson- dere bei der Relativsatzmodifikation nicht in allen Fällen so verhält wie auf Anhieb erwartet. Deshalb sollte geprüft werden, ob die Artikelsetzung durch die syntaktische Struktur von Modifikationen erklärbar gemacht werden kann. Zu diesem Zwecke ha- be ich allgemeine Überlegungen angestellt, worin sich Modifikationen in der Nominal- phrase unterscheiden könnten. Verschiedene Unterscheidungsmerkmale wurden hier- für berücksichtigt: 1. die Stellung zum Nomen (pränominal versus postnominal), 2. die Fügungsenge (eng am Nomen versus lose und beweglich), 3. die Funktion der Modifi- kation (appositiv versus restriktiv). Im Speziellen habe ich verschiedene Analysen für Relativsätze, Adjektivphrasen und Präpositionalphrasen vorgestellt und geprüft, ob das unterschiedliche Verhalten der Modifikationen in der Nominalphrase auf die syn- taktische Struktur zurückzuführen ist. Es ist mir zum jetzigen Stand der Forschung nicht möglich, eine abschliessende Antwort zur Modifikationsstruktur zu geben. Statt- dessen habe ich versucht, aufzuzeigen, welcher Analyse für welche Modifkationen in der Erklärung der schweizerdeutschen Daten den Vorrang gegeben werden sollte. Ab- schliessend sollen die Kernpunkte dieser Arbeit zusammengefasst und ein Resümee gezogen werden. 306 10. Resümee Ziel der vorliegenden Arbeit war es, die Paradigmen de, d, s (derr, dier, dasr), dä, di, das (derv, diev, dasv) und dää, die, daas (dieser, diese, dieses) morphologisch, seman- tisch und syntaktisch zu beschreiben und voneinander abzugrenzen. In einem zweiten Schritt sollte eine Analyse im Rahmen der Generativen Syntax erarbeitet werden, die den morphologischen und semantischen Unterschied der Paradigmen syntaktisch er- klären kann. Die zugrundeliegende Hypothese dieses Bestrebens war die Annahme einer 1:1:1-Korrelation zwischen Morphologie, Semantik und Syntax (MSSK). Diese Annahme besagt, dass jeder Unterschied in der morphologischen Form einem Un- terschied in der semantischen Funktion und einem Unterschied in der syntaktischen Struktur entspricht. Hierfür habe ich zuerst aufgezeigt, wodurch sich die drei Paradigmen morphologisch auszeichnen und worin die semantisch-pragmatischen Funktionen von Definit-Deter- minierern bestehen. Anhand verschiedener Datenkorpora konnte eine Form-Funktion- Korrelation eruiert werden: Der reduzierte Artikel wird in intrinsisch-definiten Kon- texten verwendet (in denen auf Wissen rekuriert wird), der volle Artikel in phorisch- definiten Kontexten (in denen auf den Text rekuriert wird) und das Demonstrativum in deiktisch-definiten (in denen auf die Welt rekuriert wird). Dieses Resultat deckt sich mit Aussagen in den Dialektgrammatiken und Monographien (sofern drei Paradigmen erwähnt werden). Anhand dieser Resultate habe ich eine Funktionsfelder-Analyse vorgeschlagen, die die drei Formen reduzierter Artikel, voller Artikel und Demonstrativum und die drei Funktionen intrinsisch, phorisch und deiktisch in einen geordneten Zusammenhang bringt und es ermöglicht, jeweils ein Paradigma durch eine Eigenschaft von den üb- rigen beiden Paradigmen abzugrenzen: Der reduzierte Artikel unterscheidet sich von den beiden anderen Paradigmen dadurch, dass er keine Verweiskraft aufweist (oder positiv formuliert, dass er durch die intrinsische Definitheit der Nominalphrase kei- ner Verweiskraft bedarf). Der volle Artikel unterscheidet sich von den beiden anderen Paradigmen dadurch, dass die Eindeutigkeit der Referenz innertextuell (anaphorisch oder kataphorisch) und nicht aussersprachlich gelöst wird. Das Demonstrativum un- terscheidet sich von den beiden anderen Paradigmen dadurch, dass es demonstrativ ist, d.h. dass es durch einen ostensiven Zeigeakt eine Nominalphrase definit machen 307 10. Resümee kann (und nicht eine bereits eindeutig referierende Nominalphrase als definit kenn- zeichnet). Offensichtlicher Vorteil dieser Analyse im Gegensatz zu anderen Kategori- sierungen wie welt-definit versus kontext-definit (Krifka 1984) oder semantisch-definit versus pragmatisch-definit (Löbner 1985), ist die Möglichkeit, nicht nur den reduzier- ten Artikel von den beiden anderen Paradigmen abzugrenzen, sondern auch den vollen Artikel und das Demonstrativum voneinander unterscheiden zu können. Die Daten haben des Weiteren gezeigt, dass diese Korrelationen (red. Art./intrinsisch, voll. Art./phorisch und Dem./deiktisch) zwar sehr stark sind und deshalb klar als Nor- malverteilung gelten können, dass sie aber nicht als strikte (bikonditionale) Korrela- tionen verstanden werden dürfen, da auch Fälle auftreten, in denen die beschriebenen Korrelationen nicht aufrechterhalten werden können. So kann der reduzierte Artikel auch in phorischen Kontexten, der volle Artikel auch in deiktischen und das Demons- trativum auch in problematisch/emotional intrinsischen Kontexten auftreten. D.h. im vorgeschlagenen Funktionsfelder-Modell kommt es durch diese Spezialverteilung zu einer Verschiebung. Diese Verschiebung ist aber regelhaft und deshalb gut beschreib- bar. Neben dieser Spezialverteilung wurde zudem auch deutlich, dass gewisse Form- Funktion-Kombinationen blockiert sind. So kann der reduzierte Artikel nie deiktisch und der volle Artikel nie normal intrinsisch verwendet werden. Beim Demonstrati- vum ist der Fall unklar: Sein Auftreten in phorischen Kontexten kann weder zur Ge- nüge belegt noch widerlegt werden. Dennoch wird deutlich, dass die Verschiebungen und die Schranken „gerichtet sind“, d.h. in die eine Richtung findet eine Verschiebung von intrinsisch zu phorisch (red. Art.), von phorisch zu deiktisch (voll. Art.) und von deiktisch zu probl./emot. intrinsisch (Dem.) statt und in die andere Richtung bestehen Schranken von phorisch zu intrinsisch (voll. Art.), von intrinsisch zu deiktisch (red. Art.) und eventuell von deiktisch zu phorisch (Dem.). Die Funktionsfelder der drei Definit-Determinierer und die Verschiebungen und Schranken habe ich in Figur 3.5 (Kapitel 3.3.3) visualisiert. Es zeichnete sich ab, dass die Artikelsetzung bei Modifikationen, insbesondere bei Re- lativsätzen, nicht durchgängig den Erwartungen entspricht. Da der volle Artikel (im Gegensatz zum reduzierten Artikel) phorisch auf Relativsätze zugreifen kann, wur- de die Setzung des vollen Artikels bei (restriktiven) Relativsätzen erwartet. Zudem wird in zahlreichen Untersuchungen zum Artikelsystem in deutschen Dialekten und anderen Sprachen eine Korrelation zwischen vollem Artikel und restriktivem Rela- tivsatz beschrieben. Diese Korrelation konnte in den Grundzügen durch die Daten- korpora auch fürs Schweizerdeutsche bestätigt werden (mit 85% bei den SADS-Daten, mit 67% bei den Nacherhebungen, mit 88% bei den Interviews und in allen Fällen bei den Hörbelegen – vgl. ausserdem Penner 1993), allerdings kann auch hier nicht 308 10. Resümee von einer strikten Korrelation ausgegangen werden. Aus diesem Grund habe ich die- sen Spezialfällen besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Da die Häufigkeit (und teil- weise die Systematizität) des reduzierten Artikels darauf hindeutet, dass diese Fäl- le nicht allein auf performanzbedingten Verunreinigungen beruhen können, habe ich nach Antworten gesucht auf die Frage, warum teilweise mit restriktiven Relativsät- zen wider Erwarten der reduzierte Artikel gesetzt wird. Verschiedene Lösungsansätze kristallisierten sich heraus: 1. bestehen grosse dialektale und idiolektale Unterschie- de, die aufzeigen, dass die Auftretensbedingungen der Artikelparadigmen je nach Dia- lekt und je nach Person unterschiedlich sein können. Dieses Resultat wird durch die Angaben in den Dialektgrammatiken insofern bestätigt, als in einigen Grammatiken (Bern, Basel) beinahe ausschliesslich der volle Artikel bei der Relativsatzmodifikation vorkommt und in einigen Grammatiken (Zürich, Luzern) vorwiegend der reduzierte Artikel gesetzt wird. 2. habe ich aufgrund der unterschiedlichen Charaktere der Rela- tivsätze zwei verschiedene Subklassifizierungen beigezogen, die die Unterschiede bei restriktiven Relativsätzen verdeutlichen: Einerseits die Unterteilung in gegenstands- bestimmende und in begriffsbildende restriktive Relativsätze nach Lehmann (1984) und andererseits die Unterteilung in definitorische und nicht definitorische restrik- tive Relativsätze nach Gunkel (2007). Diese beiden Subklassifizierungen helfen, die unterschiedliche Artikelsetzung (auch über dialektale und idiolektale Klassifizierun- gen hinweg) plausibler zu machen: Definitorische Relativsätze treten beinahe nur mit dem vollen Artikel auf, gegenstandsbestimmende treten vorwiegend mit dem vollen Artikel auf, begriffsbildende treten gehäuft mit dem reduzierten Artikel auf. Für eine merkmalorientierte Analyse der drei Paradigmen habe ich zudem anhand des Grammatikalisierungspfades, der für definite Determinierer vorgeschlagen wird (Leh- mann 2002, Himmelmann 1997), für jedes Paradigma sowohl für die Normalverteilung als auch für die Spezialverteilung eine Merkmalsstruktur eruiert. Diese Merkmalss- trukturen helfen einerseits, die drei Paradigmen und ihre verschiedenen Verwendun- gen eindeutig voneinander abzugrenzen, andererseits machen sie deutlich, über wel- che „Fähigkeiten“ die einzelnen Formen verfügen: Der reduzierte Artikel ist die mor- phologisch schwächste Form. Dies spiegelt sich in der Merkmalsstruktur wider, indem der reduzierte Artikel nur über die Merkmale [DET] (für Determiniertheit) und [DEF] (für Definitheit) verfügt. Der volle Artikel ist morphologisch stärker. Er verfügt über die Merkmale [DET] [DEF] und zusätzlich [ANAPH] (für die textuelle Verweiskraft). Das Demonstrativum ist morphologisch durch die Dehnung und Betonung am stärks- ten. Es verfügt neben den Merkmalen [DET] [DEF] zusätzlich über ein kategoriales Merkmal [DEM] (für demonstrativ) und über ein Merkmal [DEIKT] (für die ausser- sprachliche Verweiskraft). Durch die Möglichkeit der Stärkung resp. Schwächung der Merkmalsstrukturen der einzelnen Paradigmen können einerseits die Zwischenstufen 309 10. Resümee plausibel gemacht werden, die zur beschriebenen Spezialverteilung führen, anderer- seits können dialektale und idiolektale Unterschiede erklärt werden: Je nach Dialekt und Person kann eine Form überdurchschnittlich häufig ein zusätzliches Merkmal auf- weisen. Wird dieses Merkmalsraster auf andere deutsche Dialekte und andere Spra- chen übertragen, die ebenfalls ein doppeltes Artikelsystem für den Definitartikel auf- weisen, können Unterschiede und Gemeinsamkeiten beschrieben werden. Es hat sich gezeigt, dass das Schweizerdeutsche im Vergleich zu anderen deutschen Dialekten (wie z.B. dem Dialekt von Amern) und zu anderen Sprachen (wie z.B. der obersorbischen Umgangssprache) etwas häufiger den reduzierten Artikel einsetzt. Dies deutet dar- auf hin, dass im Schweizerdeutschen der reduzierte Artikel eher mit einem Merkmal [ANAPH] ausgestattet sein kann als in den Vergleichssprachen. Anhand der eruierten Merkmalsstruktur der drei Paradigmen habe ich im Rahmen der merkmalsgetriebenen Generativen Grammatik eine Analyse vorgeschlagen, die für die drei Paradigmen drei funktionale Projektionen in der Nominalphrasenstruktur annimmt: Eine D(ef)P über der NP, die für die Definitheit der Nominalphrase zustän- dig ist, eine AnaphP über der DefP, die für die phorische Kraft steht, und eine DxP über der AnaphP, die die deiktische Kraft ausdrückt. Diese Nominalphrasenstruktur spiegelt wiederum die „Fähigkeiten“ der einzelnen Paradigmen wider: Je höher das Merkmal, desto mehr Verweiskraft besitzt die Form und desto grösser ist der Wir- kungsbereich (Skopus). Der reduzierte Artikel verbleibt bedingt durch seine Merk- malsstruktur in DefP. Der volle Artikel hingegen wird durch sein Anaph-Merkmal in die AnaphP angehoben. Dadurch vergrössert sich sein Wirkungsbereich. Das Demons- trativum wird durch sein Deikt-Merkmal in die DxP angehoben. Dadurch erreicht es maximale Verweiskraft. Diese Analyse arbeitet ausserdem der MSSK in die Hand, in- dem sie für jede Form und jede Funktion eine eigene Strukturposition annimmt. Die Unterschiede bei der Nominalphrasenmodifikation können ebenfalls anhand die- ser Merkmale erklärt werden. Wird die Nominalphrase durch ein Adjektiv modifiziert, geht das Adjektiv mit dem Nomen eine enge Verbindung ein. Für den Zugriff auf die In- formation des Adjektivs ist deshalb kein Merkmal [ANAPH] nötig. Aus diesem Grund werden Nominalphrasen mit AP-Modifikationen immer mit dem reduzierten Artikel gebildet. Wird die Nominalphrase hingegen durch einen restriktiven Relativsatz mo- difiziert, wird für die eindeutige Referenz kataphorisch auf den Relativsatz verwiesen. Diese Verweiskraft leistet der volle Artikel mit seinem Merkmal [ANAPH]. Bei apposi- tiven Relativsätzen wird die Information für die eindeutige Referenz nicht benötigt. Da der Artikel in diesen Fällen nicht Zugriff auf den Relativsatz haben muss, braucht er auch keine Verweiskraft. Aus diesem Grund werden appositive Relativsätze mit dem reduzierten Artikel verwendet. PP-Modifikationen bilden eine Zwischenposition. Sie 310 10. Resümee sind weniger eng mit dem Nomen verknüpft als Adjektive, aber weniger beweglich als Relativsätze. Deshalb treten sie teilweise mit dem vollen Artikel (wenn Verweiskraft gefordert ist) und teilweise mit dem reduzierten Artikel (wenn keine Verweiskraft ge- fordert ist) auf. Da aber erstens die Rede von „enger und loser Fügung“ in einem hierarchischen und derivationellen Modell wie der Generativen Syntax ungenau und irreführend ist und zweitens das unterschiedliche Gebahren des Artikels bei restriktiven Relativsätzen eventuell auf unterschiedlichen (Sub-)Klassen beruht, habe ich zusätzlich verschiede- ne Analysen zur Relativsatzmodifikation und zur Adjektivmodifikation getestet – mit dem Ergebnis, dass 1. nicht alle Modifikationen dieselbe Struktur aufweisen, 2. die Funktion einer Modifikation die Struktur beeinflussen kann, 3. die Oberflächenstruk- tur teilweise nicht mit der Basisgenerierung (Merge) übereinstimmt. Bei der Rela- tivsatzanalyse habe ich für eine Matching-Analyse mit unterschiedlichen Strukturen für die verschiedenen Funktionen argumentiert. Dabei habe ich für (definitorische) re- striktive Relativsätze eine Analyse mit zwischengeschalteter DP favorisiert, in der der Artikel direkt mit dem Relativsatz gemergt wird. Für die PP-Modifikation habe ich dieselben Schlüsse gezogen, wie für die Relativsatzanalyse. Bei der Adjektivanalyse habe ich aufgezeigt, dass grundsätzlich unterschieden werden kann zwischen Analy- sen, die Adjektive generell pränominal generieren, und Analysen, die Adjektive je nach Funktion pränominal (appositiv) oder postnominal (restriktiv) generieren. Ausserdem bestehen unterschiedliche Ansätze in Bezug auf den Status von Adjektiven (Köpfe von APs über NPs, Phrasen in Adjunkt- oder Spezifizierer-Position der NP oder einer funk- tionalen Kategorie über der NP). Ich habe gezeigt, dass die schweizerdeutschen Daten am besten erklärt werden können, wenn entweder angenommen wird, dass Adjektive immer pränominal generiert werden, oder wenn sie postnominal mit der NP als Small Clause auftreten. Ich ziehe Bilanz: Die Unterschiede zwischen den drei Artikelparadigmen im Schwei- zerdeutschen können morphologisch, semantisch und syntaktisch abschliessend be- schrieben werden. Wenn die hier vorgeschlagene syntaktische Analyse taugt, dann muss die zukünftige Forschung weitere externe Evidenz erbringen, die die Auffäche- rung der Nominalphrasensyntax in einzelne Projektionen belegt. Ausserdem ist und bleibt die Analyse von Relativsatz- und Adjektivmodifikationen eine Knacknuss. Ei- ne abschliessende Bewertung meiner syntaktischen Analyse erfordert den Nachweis, dass die favorisierten Lösungsansätze auch unabhängig vom Artikelsystem Bestand haben. 311 A. Fragebogen 312 A. Fragebogen FRAGEBOGEN 1 ARTIKELSYSTEM SCHWEIZERDEUTSCH ÜBERSETZUNGEN/ MULTIPLE CHOICE MIT KONTEXTEN 1. Peter war mit seiner Frau bei der Nachbarfamilie zum Abendessen eingeladen. Auf dem Heimweg schaut er in den Nachthimmel. Entzückt sagt er zu seiner Frau: ! Bitte übersetzen Sie den folgenden Satz in Ihren Dialekt und schreiben Sie ihn so auf, wie Sie ihn sagen würden! Schau mal, wie wunderschön der Mond heute scheint. _______________________________________________________________________ 2. Den ganzen Vormittag hat Anton vor dem Haus Holz gehackt. Seine Frau Mathilda bemerkt, dass er ziemlich erschöpft ist. Deshalb ruft sie den ältesten Sohn und fragt ihn: ! Bitte übersetzen Sie den folgenden Satz in Ihren Dialekt und schreiben Sie ihn so auf, wie Sie ihn sagen würden! Könntest du dem Vater helfen, das Holz reinzutragen? _______________________________________________________________________ 3. Sie verbringen mit Ihrer Arbeitskollegin Marianne die Mittagspause im Freien. Sie setzen sich auf eine Bank an die Sonne. Marianne holt ihre Sonnencreme hervor und sagt: ! Bitte übersetzen Sie den folgenden Satz in Ihren Dialekt und schreiben Sie ihn so auf, wie Sie ihn sagen würden! Die Sonne brennt heute ja wieder ganz extrem. _______________________________________________________________________ 4. Als Martin bei den Grosseltern die Füsse auf den Couchtisch legen will, ermahnt ihn seine Mutter zu mehr Anstand. Genervt brummt Martin etwas vor sich hin. Da sagt der Grossvater streng: ! Bitte übersetzen Sie den folgenden Satz in Ihren Dialekt und schreiben Sie ihn so auf, wie Sie ihn sagen würden! Der Mutter sollte man aber nicht widersprechen. _______________________________________________________________________ 313 A. Fragebogen 5. Obwohl Sie nicht gerade ein Fussballfan sind und sich auch kaum ein Spiel anschauen, schauen Sie sich das Qualifikationsspiel Schweiz-Türkei an. Nach dem Match sagen Sie: ! Bitte übersetzen Sie den folgenden Satz in Ihren Dialekt und schreiben Sie ihn so auf, wie Sie ihn sagen würden! Ich gönne es den Schweizern, dass sie es an die WM geschafft haben! _______________________________________________________________________ 6. Katrin arbeitet an einem Werbestand, an dem man einen Wettbewerb ausfüllen kann. Ihr fällt auf, dass der Mann, der gerade einen Wettbewerb ausfüllen will, bereits teilgenommen hat. Da man nur einmal mitmachen darf, flüstert sie ihrer Arbeitskollegin zu: ! Bitte übersetzen Sie den folgenden Satz in Ihren Dialekt und schreiben Sie ihn so auf, wie Sie ihn sagen würden! Dieser Mann war gestern schon hier. ________________________________________________________________________ 7. Sie sind am Einkaufen und wollen eine PET-Flasche entsorgen. Leider können Sie die Entsorgungsstelle einfach nicht finden. Als ein Angestellter an Ihnen vorbeieilt, fragen Sie: ! Bitte übersetzen Sie den folgenden Satz in Ihren Dialekt und schreiben Sie ihn so auf, wie Sie ihn sagen würden! Entschuldigung, wo kann ich bitte diese PET-Flasche entsorgen? ________________________________________________________________________ 8. Tanja und Esther sind auf Shoppingtour. Tanja ist mit ein paar Kleidungsstücken in der Kabine verschwunden. Nach einer Weile kommt sie in einem etwas gewagten Kleid raus und fragt Esther: ! Bitte übersetzen Sie den folgenden Satz in Ihren Dialekt und schreiben Sie ihn so auf, wie Sie ihn sagen würden! Was meinst du: Soll ich mir das Kleid kaufen? ________________________________________________________________________ 314 A. Fragebogen 9. Sie ziehen in eine Wohnung. Ein paar Freunde helfen Ihnen beim Umzug. Ihr Freund Carl kommt mit zwei Bildern ins Wohnzimmer und fragt Sie: ! Bitte übersetzen Sie den folgenden Satz in Ihren Dialekt und schreiben Sie ihn so auf, wie Sie ihn sagen würden! Wo soll ich die Bilder hinstellen? 10. Raffael fragt seinen Bruder Tim, ob er mit dessen Eisenbahn spielen darf. Da Tim ihm dies verbietet, macht Raffael im Spielzimmer absichtlich Unordnung. Die Mutter bittet Tim, beim Aufräumen zu helfen. Erbost meint der grosse Bruder: ! Bitte übersetzen Sie den folgenden Satz in Ihren Dialekt und schreiben Sie ihn so auf, wie Sie ihn sagen würden! Diesem Trottel werde ich bestimmt nicht helfen! 11. Patricia hat sich mit ihrer Nachbarin zerstritten. Nun hat diese ihr als Entschuldigung Blumen aus ihrem Garten vor die Tür gelegt. Dennoch sagt Patricia zu ihrem Mann: ! Bitte übersetzen Sie den folgenden Satz in Ihren Dialekt und schreiben Sie ihn so auf, wie Sie ihn sagen würden! Ich traue dieser Hexe von Nachbarin nicht über den Weg! 12. Annika ist mit ihrem Bruder an einem Fussballspiel. Als sie unter den Zuschauern ihren alten Lehrer entdeckt, zeigt sie diesen ihrem Bruder. Der fragt, ob sie denjenigen mit dem roten Pulli meint. Sie antwortet ihm: ! Bitte übersetzen Sie den folgenden Satz in Ihren Dialekt und schreiben Sie ihn so auf, wie Sie ihn sagen würden! Nein, nicht diesen meine ich, sondern den, der gleich daneben steht. 315 A. Fragebogen 13. Susanne räumt ihr Büro auf. Sie sitzt inmitten von Büchern und Papierstapeln. Susanne fragt ihre Kollegin, ob sie ihr das Buch auf dem Ablagetisch reichen könnte. Da diese ihr das falsche gibt, sagt Susanne: ! Bitte übersetzen Sie den folgenden Satz in Ihren Dialekt und schreiben Sie ihn so auf, wie Sie ihn sagen würden! Nein, nicht dieses Buch, sondern das andere, das gleich daneben liegt. _______________________________________________________________________ 14. Irene ist beim Kuchenbacken. Ihr Mann schaut ihr zu. Irene fragt ihren Mann, ob er ihr das Mehl aus dem Regal geben kann. Er gibt ihr fälschlicherweise das Vollkornmehl. Irene sagt: ! Bitte übersetzen Sie den folgenden Satz in Ihren Dialekt und schreiben Sie ihn so auf, wie Sie ihn sagen würden! Nein, nicht dieses, sondern jenes, das gleich daneben steht. _______________________________________________________________________ 15. Sie sind mit einer Kollegin in einer Ausstellung. Nachdem Sie Bilder aus dem 18.Jhdt. angeschaut haben, kommen Sie in einen Raum mit moderner Kunst. Sie sagen: ! Bitte übersetzen Sie den folgenden Satz in Ihren Dialekt und schreiben Sie ihn so auf, wie Sie ihn sagen würden! Diese Bilder hier finde ich viel schöner als jene im ersten Raum! _______________________________________________________________________ 16. Hannes fährt morgen in die Ferien. Seine Schwester hilft ihm beim Packen. Hannes fragt sie: ! Bitte übersetzen Sie den folgenden Satz in Ihren Dialekt und schreiben Sie ihn so auf, wie Sie ihn sagen würden! Kannst du mir bitte das Kleid dort geben? _______________________________________________________________________ 316 A. Fragebogen 17. Manuel zeigt seinem Freund Otto Urlaubsfotos. Auf einem ist ein Panorama der Alpen zu sehen. Er zeigt mit dem Finger auf den grössten Berg und sagt: ! Bitte übersetzen Sie den folgenden Satz in Ihren Dialekt und schreiben Sie ihn so auf, wie Sie ihn sagen würden! Schau, auf dem Berg war ich. _______________________________________________________________________ 18. Claudia sitzt mit ihrer Freundin Andrea in einem Strassencafé. Auf der gegenüber liegenden Strassenseite geht ein Mann vorbei. Claudia sagt zu ihrer Freundin: ! Bitte übersetzen Sie den folgenden Satz in Ihren Dialekt und schreiben Sie ihn so auf, wie Sie ihn sagen würden! Das ist doch der Mann, den wir gestern schon gesehen haben. _______________________________________________________________________ 19. Tim wartet mit seiner Mutter an einer Strassenkreuzung auf grünes Licht. Auf der anderen Seite steht eine alte Frau. Tim glaubt, diese wiederzuerkennen. Er fragt seine Mutter: ! Bitte übersetzen Sie den folgenden Satz in Ihren Dialekt und schreiben Sie ihn so auf, wie Sie ihn sagen würden! Ist das nicht die Frau, die früher in unserer Strasse gewohnt hat? _______________________________________________________________________ 20. Ivana und Monika sind an einer Party. Monika bewundert Ivanas Kleid und fragt, ob das das Kleid sei, das sie für Marcs dreissigsten Geburtstag gekauft hätte. Ivana antwortet ihr: ! Bitte übersetzen Sie den folgenden Satz in Ihren Dialekt und schreiben Sie ihn so auf, wie Sie ihn sagen würden! Nein, das ist das Kleid, das ich mir für Mayas Hochzeit gekauft habe. _______________________________________________________________________ 317 A. Fragebogen 21. Tabea hänselt ihre Freundin Betty, die schon länger Single ist. Tabea ist überzeugt, dass Betty ständig versucht, neue Männer kennen zu lernen. Etwas beleidigt meint Betty: ! Bitte übersetzen Sie den folgenden Satz in Ihren Dialekt und schreiben Sie ihn so auf, wie Sie ihn sagen würden! Den Mann, mit dem du mich gestern gesehen hast, kenne ich schon lange. _______________________________________________________________________ 22. Jan war gestern mit seinem Arbeitskollegen in der Stadt und hat sich eine Jacke gekauft. Am nächsten Tag erzählt er ganz frustriert: ! Bitte übersetzen Sie den folgenden Satz in Ihren Dialekt und schreiben Sie ihn so auf, wie Sie ihn sagen würden! Die Jacke, die ich mir gestern gekauft habe, hat schon einen Knopf verloren. _______________________________________________________________________ 23. Sie waren mit Ihrer Cousine im Kino. Nachher jammert Ihre Cousine, dass sie den Film zwar gut gefunden habe, dass aber die Kinosessel eine Katastrophe seien. Sie antworten ihr: ! Bitte übersetzen Sie den folgenden Satz in Ihren Dialekt und schreiben Sie ihn so auf, wie Sie ihn sagen würden! Das Kino, in dem wir Shrek gesehen haben, finde ich noch viel schlimmer. _______________________________________________________________________ 24. Hanna und Franz sitzen am Küchentisch. Vor ihnen liegt ein Buch, das sie beide lesen wollten. Hanna sagt zu ihrem Freun: ! Bitte übersetzen Sie den folgenden Satz in Ihren Dialekt und schreiben Sie ihn so auf, wie Sie ihn sagen würden! Ich habe das Buch, das übrigens ziemlich teuer ist, bereits gelesen. _______________________________________________________________________ 318 A. Fragebogen 25. Bruno redet mit Matthias über ihren gemeinsamen Freund Peter. Matthias beklagt sich, dass dieser sich schon ewig nicht mehr gemeldet habe. Bruno sagt zu ihm: ! Bitte übersetzen Sie den folgenden Satz in Ihren Dialekt und schreiben Sie ihn so auf, wie Sie ihn sagen würden! Ich habe Peter, der sich übrigens nach dir erkundigt hat, grad gestern gesehen. 26. Sie und Ihre Freundin sind Henning-Mankell-Fans. Sie haben alle Bücher von ihm gelesen, ausser das neueste. Sie sagen bei einem Gespräch zu Ihrer Freundin: ! Bitte übersetzen Sie den folgenden Satz in Ihren Dialekt und schreiben Sie ihn so auf, wie Sie ihn sagen würden! Jetzt habe ich das neue Buch von Henning Mankell immer noch nicht gelesen. 27. Ihr Nachbar erzählt Ihnen, dass er in seiner Wohnung neue Bilder aufhängen will. Sie sagen zu ihm: ! Bitte übersetzen Sie den folgenden Satz in Ihren Dialekt und schreiben Sie ihn so auf, wie Sie ihn sagen würden! Mir hat das Bild über dem Sofa nie gefallen. Auch das kleine Bild in der Küche finde ich nicht besonders schön. 28. Ihre Schwester fragt Sie, welches Kleid sie anziehen soll, das rote oder das blaue. Sie antworten ihr: ! Bitte übersetzen Sie den folgenden Satz in Ihren Dialekt und schreiben Sie ihn so auf, wie Sie ihn sagen würden! Ich würde das rote Kleid anziehen; das steht dir besser als das blaue. 319 A. Fragebogen _______________________________________________________________________ 29. Ihre Freundin Sophia hat wie Sie einen Italienischkurs belegt. Da ihr der Termin nicht so gut passt, wechselt sie in ihren Kurs. Nach der ersten Lektion schwärmt Sophia: ! Welche der folgenden Sätze können Sie in Ihrem Dialekt sagen („ja“), welche sind nicht möglich („nein“)? Ja Nein 1) ! ! De Herr Schulz esch eifach de viel de besser Leerer. 2) ! ! De Herr Schulz esch eifach viel de besser Leerer. 3) ! ! De Herr Schulz esch eifach de viel besser Leerer. ! Welche der Varianten ist für Sie die natürlichste? Nr._______ ! Würden Sie den Satz normalerweise in einer Form sagen, die nicht aufgeführt ist? ! ja ! nein ! Wenn „ja“: Bitte notieren Sie den Satz so, wie Sie ihn normalerweise sagen würden: ___________________________________________________________________ 30. Martha hat sich kürzlich entschieden, ein Studium zu machen. Nun ist sie unsicher, ob das wirklich das Richtige ist für sie. Ihre Freundin Nadja bekräftigt sie in ihrer Entscheidung: ! Welche der folgenden Sätze können Sie in Ihrem Dialekt sagen („ja“), welche sind nicht möglich („nein“)? Ja Nein 1) ! ! Das esch doch di ganz di rechtig Entscheidig. 2) ! ! Das esch doch ganz di rechtig Entscheidig. 3) ! ! Das esch doch di ganz rechtig Entscheidig. ! Welche der Varianten ist für Sie die natürlichste? Nr._______ ! Würden Sie den Satz normalerweise in einer Form sagen, die nicht aufgeführt ist? ! ja ! nein ! Wenn „ja“: Bitte notieren Sie den Satz so, wie Sie ihn normalerweise sagen würden: ___________________________________________________________________ 320 A. Fragebogen 31. Paul hat schreckliche Kopfschmerzen. Er schaut in Ritas Medikamentenschrank und fragt, ob er sich eine Tablette gegen Übelkeit nehmen darf. Rita antwortet ihm: ! Welche der folgenden Sätze können Sie in Ihrem Dialekt sagen („ja“), welche sind nicht möglich („nein“)? Ja Nein 1) ! ! Das esch doch jetzt s total s falsche Mettel! 2) ! ! Das esch doch jetzt total s falsche Mettel! 3) ! ! Das esch doch jetzt s total falsche Mettel! ! Welche der Varianten ist für Sie die natürlichste? Nr._______ ! Würden Sie den Satz normalerweise in einer Form sagen, die nicht aufgeführt ist? ! ja ! nein ! Wenn „ja“: Bitte notieren Sie den Satz so, wie Sie ihn normalerweise sagen würden: ___________________________________________________________________ 32. Sie stehen im Garten und schwatzen mit Ihrem Nachbarn. Ihr Nachbar lobt, wie schön gepflegt Ihr Garten doch sei. Bescheiden sagen Sie: ! Bitte übersetzen Sie den folgenden Satz in Ihren Dialekt und schreiben Sie ihn so auf, wie Sie ihn sagen würden! Du hast doch den viel schöneren Garten. _______________________________________________________________________ 321 A. Fragebogen FRAGEBOGEN 2 ARTIKELSYSTEM IM SCHWEIZERDEUTSCHEN ÜBERSETZUNGEN VORBILD ARTIKELUNTERSUCHUNGEN 1. Ich meine nicht den Peter, der Schneider ist, ich meine den Bäcker. 2. Die rechte Hand ist die Hand, wo der Daumen links ist. 3. Das Buch, das er zuerst geschrieben hat, ist gut. 4. Das zweite Buch, das er geschrieben hat, ist schlecht. 5. Paul hat ein Pferd gekauft. Das Pferd lahmt. 6. Der Hengst, den Peter gekauft hat, lahmt. 7. Paul hat sich den Hengst gekauft, der lahmt 8. Die Mädchen, die nicht melken können, kriegen keinen Mann. 9. Den reichen Bauern ging es gut, aber den armen Bauern gar nicht. 10. Auf meinem Bauernhof gibt es ein Pferd und einen Hund. Das Pferd kann schneller laufen als der Hund. 11. Auf meinem Bauernhof gibt es ein Pferd und einen Hafersack. Das Pferd steht auf der Weide, der Hafersack steht in der Scheune. 12. Peter hat sich ein Pferd gekauft. Das Pferd lahmt, aber sonst geht es ihm gut. 13. Paul hat sich ein Pferd gekauft. Das Pferd lahmt, aber das Wetter ist gut. 14. Es war einmal ein König und eine Königin. Der König sagte zur Königin... 15. Es war einmal ein König und eine Königin. Die hatten eine Tochter. 16. Es war einmal ein König. Der König hatte eine Tochter. Die Tochter war schön. 17. Es war einmal ein König. Dieser König hatte eine Tochter. Diese Tochter war schön. 18. Unser Lehrer hat uns ein Buch gezeigt. Er kennt den Autor persönlich. 19. Wir sind hinter einem LKW hergefahren. Der Rauch war schrecklich. 20. Was hat er denn? – Die Frau, mit der er weg war, hat ihn beleidigt. 322 A. Fragebogen 21. Wer war denn der Mann, der dich gestern angerufen hat? 22. Die Zeiten, als ich bis in die Nacht gelernt habe, sind lange vorbei. 23. Jeder bekommt die Frau, die er verdient 24. Zuerst ist der grössere Schuft weggelaufen. 25. Welchen Apfel willst du? – Ich will den grossen (Apfel). 26. Ich will den grösseren von den Äpfeln. 27. So ist das mit den Äpfeln: die kleinen schmecken besser als die grossen. 28. Die Grossen wissen immer alles besser als die Kleinen. 29. Es ist Frühjahr. Die Sonne scheint. 30. Drinnen ist es zu voll, wir können den Tisch rausstellen. 31. Die Tatsache, dass Jan erst morgen kommt, gefällt mir gar nicht. 32. Der beste Lehrer ist Herr Scholze. 33. Der erste Bus fährt um fünf. 34. Er war der Sohn eines armen Bauern. 35. Es ist Frühjahr. Die Sonne brennt. 36. Es ist schönes Wetter. Wir können den Tisch rausstellen 37. Paul kam mit dem Zug. Der Zug war um zwölf in Zürich. 38. die alte Frau und der alte Mann 39. wie die Alten sungen... 40. Die Alterswohnungen in Zürich sind viel zu teuer. 323 A. Fragebogen FRAGEBOGEN 3 ARTIKELSYSTEM IM SCHWEIZERDEUTSCHEN ÜBERSETZUNGEN VOM SCHWEIZERDEUTSCHEN INS STANDARDDEUTSCHE 1. Wo söli di Fläsche versoorge? 2. Die Fläsche ghöört doch is Autglaas! 3. Und di(e) Fläsche do? 4. Die ghöört secher ned is Autglas, oder? 5. Wäm ghöört das Glaas? 6. Wö söli das Glaas do versorge? 7. Wo söli dä Täuer do versorge? 8. Dä Täuer ha-n-i uf s Hochset überchoo. 9. Es isch emou e Maa gsii. Dää het es chliises Huus ghaa. Daas het drüü Fänschter ghaa. 10. Die blööd Chue het mer geschter vergässe de Schlüssu zgää. 11. Was dänket Si eigentlech über das neue Baanscheneprojekt wo de Bund chürzlech beschlosse het? 12. Grad bi dere Froog beni mer jetzt gar ned secher gsii. 13. Händ Si no Kontakt zo dene Fründinne, wo Si vo ganz früener kenne? 14. Die vo Bärn, wo-n-i met ne ufgwachse be, gsee-n-i nur no seer säute. 15. Wär esch dä Maa, wo geschter be üch vor em Huus gstande-n-esch? 16. Esch das net dä Maa gsii, wo letscht Woche scho mou glüütet het? 17. Nenei, dasch dä Maa gsii, wo jede morge Ziitig brenggt. 18. Gfauts de Maria eigentlech i dere Schueu, wo si chürzlech aagfange het? 19. Jo, s gfaut ere, eifach die vele Prüefige, wo si muess schriibe, fend si chli übertrebe. 20. Si esch scho eher die, wo gärn praktisch schaffet. 324 Literaturverzeichnis Abbott, Barbara (2004): Definiteness and Indefiniteness. In: Horn, Lawrence & Ward, Gregory (Hrsg.), Handbook of Pragmatics. Malden, Mass.: Blackwell, 122–149. Abegg, Emil (1912/13): Die Mundart von Ursenen. Band 4, Beiträge zur schweizerdeutschen Grammatik. Frauenfeld: Huber. Abney, Steven (1987): The English Noun Phrase in Its Sentential Aspect. Dissertation, MIT, Cambridge, MA. Aboh, Enoch (2004): Topic and Focus within D. Linguistics in the Netherlands, 21, 1–12. 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