Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW Hochschule für Soziale Arbeit HSA Bachelor-Studium in Sozialer Arbeit Muttenz Politische Partizipation als Menschenrecht für Menschen mit kognitiver Entwicklungsbeeinträchtigung Eine theoriegeleitete Darstellung des Zugangs am politischen Leben und Wahlen in der Schweiz für Menschen mit einer kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung und eine Auslegeordnung für adressatengerechte politische Bildung. Bachelor-Thesis BA 115 vorgelegt von Eingereicht bei Micha-Joël Seitz Frau Dr. Prof. Dorothea Lage Matrikelnummer: 17-977-604 Muttenz, am 26 Juni 2020 Abstract In dieser Bachelorthesis wird das Thema der politischen Partizipation von Menschen mit einer kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung behandelt. Noch heute bestehen in der Schweiz Barrieren für Menschen mit einer Beeinträchtigung hinsichtlich der Wahlen, der Wahrnehmung politischer Ämter oder der anderweitigen Beteiligung an gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen. Aufgrund dieser Barrieren entstehen verschiedene Problemfel- der, die durch Ungleichbehandlung und Diskriminierung gekennzeichnet sind. Diese Prob- lemfelder werden hier näher betrachtet. Neben dem Stimm- und Wahlrecht, dem Zugang zu politischer Meinungsbildung, der Stimmabgabe, der Unterzeichnung und dem Zugang zu politischen Ämtern geht es auch um den Einbezug der Menschen mit einer Beeinträch- tigung in politische Entscheidungen, welche sie indirekt oder direkt betreffen. Ziel der politischen Bildung ist es, Bürger/-innen die Kompetenzen für eine selbstbestimmte Teilnahme an der Politik zu vermitteln. Anhand des Kompetenzmodells für Politik nach Mei- ßeno et al. werden die Elemente der politischen Bildung von Menschen mit einer kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung beschrieben. Die Zielgruppe muss erreicht werden und me- thodische Ansätze müssen dieser entsprechend gestaltet werden. Orte, bspw. ein politi- scher Stammtisch, oder ein Verfahren zur Beteiligung am lokalen Gemeinwesen können Anknüpfungspunkte bilden. Schlüsselbegriffe: Menschen mit kognitiver Entwicklungsbeeinträchtigung, politische Partizipation, politische Bildung, UN-Menschenrechtskonvention, Demokratie Abstract in Leichter Sprache In diesem Text schreibe ich über politische Partizipation. Das bedeutet: Es geht um das Mitmachen bei allen Entscheidungen. Das ist wichtig: Denn da geht es um die Regeln. Wie wir zusammen leben in der Gemeinschaft. Jeder Mensch muss und soll dabei mitmachen dürfen. Oft können Menschen mit Beeinträchtigung nicht mitmachen. Weil es Barrieren gibt. Welche Barrieren gibt es in der Schweiz? Zum Beispiel: Viele wichtige Informationen sind sehr kompliziert geschrieben. Es geht um Informationen, die auch für dich wichtig sein können. Oder: Es dürfen nicht alle Menschen in der Schweiz wählen. Das ist ungerecht. Weil alle Menschen das Recht haben sollten mitbestimmen zu können. Um wählen zu können, muss man wissen wie und wo man das macht. Das nennt man Politische Bildung. Das ist wichtig, damit man entscheiden kann. Man kann nicht gut wählen, wenn man sich nicht auskennt. Angelehnt an: (Naue/Wegscheider 2015: 1) Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 8 1.1 Fragestellung und Erkenntnisinteresse 9 1.2 Abgrenzung 9 1.3 Methodik 10 1.4 Aufbau der Arbeit 10 1.5 Relevanz für die Soziale Arbeit 10 1.5.1 Menschenrechtsprofession 11 1.5.2 Berufskodex 11 1.5.3 Demokratie 11 1.5.4 Soziale Kohäsion 13 1.5.5 Gerechtigkeit 15 2 Adressat/-innen 16 2.1 Beeinträchtigung im geschichtlichen Kontext 16 2.2 Beeinträchtigung im Kontext von Teilhaberäumen 17 2.3 Definition von Behinderung und Beeinträchtigung 19 2.4 Prävalenz 20 2.5 Fazit 21 3 Rahmenbedingungen für politische Partizipation 22 3.1 Forderungen von Selbstvertreter/-innen 22 3.2 Herleitungen von Begriffen 24 3.2.1 Herleitung des Begriffs der Menschenrechte 24 3.2.2 Herleitung des Begriffs der Politik 25 3.2.3 Herleitung der Begriffe Teilhabe und Partizipation 26 3.3 Einleitung der Rahmenbedingungen der politischen Partizipation in der Schweiz 29 3.3.1 Verfassungsgrundlagen für politische Rechte der Schweizer Bevölkerung 30 3.3.2 Vorgaben der UN-BRK 31 3.4 Erstes Problemfeld 32 3.4.1 Stimm- und Wahlrecht für alle Menschen mit einer Beeinträchtigung 32 4.4.2 Zugang zu politischer Meinungsbildung 33 3.4.3 Zugang zur Stimmabgabe- und Unterzeichnung 34 3.4.4 Politische Ämter und öffentliche Mandate 34 3.5 Zweites Problemfeld 35 3.5.1 Wer soll einbezogen sein? 36 3.5.2 Wie soll der Einzug stattfinden? 36 3.5.3 Selbstvertreterorganisationen 36 3.5.4 Erhebung von Daten zur Messung der politischen Teilhabe 38 3.6 Fazit 39 4 Politische Bildung 40 4.1 Einleitung 40 4.1.1 Ziele und Aufgaben politischer Bildung 41 4.1.2 Zielgruppenorientierung vs. inklusive politische Bildung? 43 4.2 Begründung für die Wahl des Kompetenzmodells 44 4.3 Kompetenzmodell für Politische Bildung 45 4.4 Didaktische Zugänge 48 4.4.1 Zielgruppe erreichen 48 4.4.2 Orte für politische Bildungsangebote 49 4.4.3 Methodische Ansätze 49 4.4.4 Dem realen Leben ähnlich gestaltete Aufgaben 50 4.4.5 Spiel und Praxisnähe 50 4.4.6 Lerntagebücher 51 4.4.7 Einbezug von Multiplikator/-innen und advokatorischen Assistenten/-innen 51 4.4.8 Aufsuchende Bildungsarbeit 51 4.4.9 Politischer Stammtisch 52 4.4.10 Beteiligungsverfahren im lokalen Gemeindewesen 52 4.4.11 Leichte Sprache 52 4.4.12 Haltung der Lehrer/-innen 53 5 Schlussfolgerung 54 6 Literaturverzeichnis 58 Ehrenwörtliche Erklärung 69 Abkürzungen UN-BRK – UN Behindertenrechtskonvention BehiG: Behindertengleichstellungsgesetz BV: Bundesverfassung IV: Invalidenversicherung BPR: Bundesgesetz über politische Rechte ICF: Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Fachkonzepte Politik (eigene Darstellung in Anlehnung Inhaltsverzeichnis Meißeno et al. 2010)…………………………………Seite 48 Abbildung 2: Stufen Civic Literacy (eigene Darstellung, nach Weißeno et al. 2010: 19)………...………………………….Seite 49 Vorwort Das Thema der politischen Partizipation von Menschen mit einer kognitiven Entwicklungs- beeinträchtigung wurde in der Schweiz bisher noch nicht oft diskutiert und beschrieben. Weder in den Medien, der wissenschaftlichen Literatur und der Politik noch bei den Be- troffenen selbst scheint es besondere Beachtung zu finden. Dabei wird in der einschlägigen Literatur die politische Partizipation als bedeutend für das Gemeinwesen, die Demokratie und die Individuen beschrieben. Im Zusammenhang mit dieser Arbeit unterhielt ich mich in persönlichen Gesprächen über die politische Partizipation von Menschen mit einer kognitiven Entwicklungsbeeinträchti- gung. Dabei spiegelten die Reaktionen der Gesprächsteilnehmer/-innen das Ausmass der gesellschaftlichen Wahrnehmungen im Hinblick auf das Thema wider. Sie reagierten mit Erstaunen, realisierten die Existenz der Problematik, stritten deren Relevanz ab oder frag- ten interessiert nach. Mit Abstreitung reagierte der Bruder einer Frau mit einer kognitiven Entwicklungsbeein- trächtigung. Er nannte zwei Gründe für seine Reaktion: Einerseits sprach er seiner Schwes- ter die Fähigkeit zur politischen Partizipation ab, andererseits sah er die Gefahr des Wahl- betrugs. Anschliessend führte er aus, dass ihr Vater über drei Jahrzehnte hinweg die Wahlunterlagen für sie ausgefüllt hatte. Damit wird die Diskussion über die politische Partizipation von Menschen mit einer kogniti- ven Entwicklungsbeeinträchtigung passend eröffnet: Die Mehrheitsgesellschaft hat feste, paternalistische Vorstellungen, die nun durch Menschenrechte herausgefordert werden. Darüber hinaus sind praktische Fragen hinsichtlich einer Durchsetzung des barrierefreien Zugangs zur politischen Partizipation zu klären. Herzlich bedanken möchte ich mich – für Hinweise, Links, Dokumente und die Beantwor- tung einzelner Fragen – bei Frau Steck von Sensability, Herrn Spalinger vom Verband für anthroposophische Heilpädagogik und Sozialtherapie (VAHS), Herrn Krauss von der Koor- dinationsstelle Behindertenrechte im Kanton Zürich, Herrn Steiner von Insieme, Frau Vogt von AGILE.CH und Frau Breu von der Institution für Menschen mit einer Beeinträchtigung HPV Rohrschach. Sie haben mir geholfen, die einzelnen der Thematik zusammen fügen zu können. Ebenfalls herzlich bedanken möchte ich mich bei Frau Prof. Dr. Lage für die anregenden Gespräche, Tipps und Hinweise sowie die gesamte Begleitung der vorliegenden Arbeit. 1 Einleitung «Also ich gehöre halt nicht dazu, zum Abstimmen.» (Nunes in FHS Broadcast 2018: 05:08–05:13) Menschen, die unter vollumfassender Beistandschaft stehen, sind in der Schweiz von Wahlen ausgeschlossen. Dies zieht auf mehreren Ebenen Konsequenzen nach sich. Es findet eine Ungleichbehandlung gegenüber der Mehrheitsgesellschaft statt. In der Bundesverfassung wird allen Schweizer/-innen ab dem 18. Lebensjahr ein Wahlrecht zugesprochen. Diese de- mokratische Selbstverständlichkeit gilt jedoch nicht für die Menschen unter vollumfassender Beistandschaft, d. h. die Betroffenen werden nicht als vollwertige Bürger/-innen anerkannt (vgl. Palleit 2012: 2). Insbesondere bei politischen Aushandlungsprozessen über Themen, die sie direkt betreffen, sind die Betroffenen nicht ausreichend repräsentiert. Dazu gehören z. B. die Pränataldiagnostik, die IV-Revision oder die Dauer von Berufsausbildungen (Hüsler 2018: 3). Entwicklungen hin zu einer Angleichung von Teilhabemöglichkeiten und Verwirklichungschan- cen für Betroffene sind in der Schweiz im Gange. Von besonderer Bedeutung sind dabei recht- liche Erneuerungen. Am 18. Mai 2003 fand die Abstimmung zum Prinzip «Gleiche Rechte für Menschen mit Behinderung – ja zum freien Zugang» statt (Hüsler 2018: 3). Das daraus ent- standene Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) hat zum Ziel, Benachteiligungen von Menschen mit einer Beeinträchtigung zu verringern und zu beseitigen. Wesentlich für die Um- setzung der gleichberechtigten Teilhabe in der Schweiz war ausserdem die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) im Jahr 2014. Das Recht zur politischen Partizi- pation für Menschen mit einer Beeinträchtigung wird in Art. 29 der UN-BRK formuliert und gilt für die Schweiz. Dabei soll es zu einer «wirklichen Teilhabe an einer freien Gesellschaft» (Art. 24 Abs. 1c UN-BRK) kommen, «ohne Diskriminierung und auf Grundlage der Chancengleich- heit» (Art 24 Abs. 1c UN-BRK). Trotzdem bleibt der Wahlrechtsausschluss bestehen. Menschen mit einer Beeinträchtigung sind bei politischen Aushandlungsprozessen kaum sichtbar (vgl. Dönges/Hilpert/Zurstrassen 2015: 9). Nach dem Schattenbericht von Inclusion Handicap und der Forderung von weiteren Dachorganisationen sowie von Selbstvertreter/-innen soll sich dies aber ändern. Im Rahmen des Staatenberichtsverfahrens, bei welchem die Vertragsstaaten dem UN-BRK-Ausschuss Bericht über die Umsetzung erstatten müssen, wird es im Herbst 2020 zur nächsten Anhörung in Genf kommen (vgl. edi.admin 2020: o. S.). 8 1.1 Fragestellung und Erkenntnisinteresse Eine Beeinträchtigung löst bei Menschen ohne Beeinträchtigung noch heute eine Abgren- zungs- und Differenzerfahrung aus (vgl. Ackermann 2015: 41). Die UN-BRK wird heute weite- gehend anerkannt und die Themen Inklusion sowie Barrierefreiheit werden in vielen Berei- chen, z. B. in der Schule, diskutiert. Dennoch besteht weiterhin ein Ausschluss bzw. eine Nichtbeachtung des Themas der politischen Partizipation (vgl. Aichele 2010: 13–15). Es be- steht eine Divergenz zwischen den Forderungen der UN-BRK und den rechtlichen Möglichkei- ten auf Ebene der Bundesverfassung. Letztere werden aktuell als diskriminierend angesehen, sodass Handlungsbedarf besteht. In diesem Zusammenhang sollen folgende Fragen bearbei- tet werden: Welche Rahmenbedingungen für die Teilhabe am politischen Leben bestehen für Menschen mit einer kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung in der Schweiz? Was sind mögliche didaktische und inhaltliche Elemente für politische Bildung und welche Räume gibt es dafür? 1.2 Abgrenzung Politische Teilhabe und politische Bildung können hinsichtlich verschiedener Schwerpunkte thematisiert werden. Menschen, die von einer Ungleichbehandlung bzgl. der politischen Parti- zipation betroffen sind, können bspw. auch einen Migrationshintergrund haben oder Jugendli- che sein. In dieser Arbeit stehen jedoch Erwachsene mit einer kognitiven Entwicklungsbeein- trächtigung im Fokus. Die politische Partizipation von Menschen mit einer kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung ist nicht nur eine rechtliche Angelegenheit. Vielmehr erfordern Fragen nach dem Empower- ment, der Inklusion, der Bildung, der Haltung der Mehrheitsgesellschaft gegenüber Menschen mit Beeinträchtigung etc. eine gesellschaftliche Diskussion. In dieser Arbeit wird bewusst eine Einschränkung vorgenommen. Es werden die Rahmenbedingungen betrachtet, d. h. die Bar- rieren, Diskriminierungen und Orte, an welchen eine Ungleichbehandlung stattfindet.. Bei der zweiten Fragstellung wird auf die politische Bildung geschaut. Dies ist nur eine Mög- lichkeit, Barrieren bei der politischen Teilhabe von Menschen mit einer Beeinträchtigung ab- zubauen. Andere Möglichkeiten sind auf gesetzlicher Ebene zu finden, z. B. bzgl. der Informa- tionsaufbereitung in den Medien und der politischen Sozialisierung. 9 In der Arbeit wird Bezug auf verschiedene Themen genommen – auf die Menschenrechte, die UN-BRK, die Demokratie, die soziale Kohäsion, die Gerechtigkeit und den Berufskodex von Avenir Social. Auch hier handelt es sich um eine Auswahl. Weitere Zugänge wären z. B. der Empowerment-Ansatz, die Inklusion oder der Capability-Ansatz. 1.3 Methodik Im Zusammenhang mit dieser Bachelorarbeit wurde die Methode der Literaturarbeit und -re- cherche gewählt. Dazu wurden das Bibliotheksportal NEBIS, Google Scholar sowie weitere offene Uni-Datenbanken zu den Themen politische Partizipation, politische Inklusion, inklusive Bildung und politische Bildung von Menschen mit einer kognitiven Entwicklungsbeeinträchti- gung durchsucht. Es wird vorwiegend der schweizerische und der deutschsprachige Raum betrachtet, wobei einzelne Monographien auch aus dem angloamerikanischen Raum stam- men. Bei der Analyse der rechtlichen Möglichkeiten bzgl. der politischen Partizipation der Ad- ressat/-innen wird zudem Bezug genommen auf Erkenntnisse der Agentur European Union Agency for Fundamental Rights in Österreich und des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Festzustellen ist, dass es im Vergleich zu anderen Themen, z. B. der inklusiven Bildung, wenig Literatur gibt. 1.4 Aufbau der Arbeit Schwerpunkt der Arbeit ist das Thema der politischen Partizipation von Menschen mit einer kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung. Im ersten Kapitel wird die Relevanz des Themas aufgezeigt und eine Einordnung vorgenommen. Das zweite Kapitel ist den Adressat/-innen gewidmet. Es wird auf Beeinträchtigung im Kontext der Geschichte und der Teilhaberäume geschaut. Im dritten Kapitel wird auf die Rahmenbedingungen der politischen Partizipation eingegangen. Es werden hier anfangs bedeutende Begriffe wie Menschenrechte und Teil- habe/Partizipation definiert. Im vierten Kapitel werden die Zugänge und Elemente für eine ad- ressatengerechte politische Bildung betrachtet. Jedes Kapitel wird mit einem Fazit abge- schlossen, was der Lesbarkeit dienen soll. Abschliessend wird eine Schlussfolgerung gezogen. 1.5 Relevanz für die Soziale Arbeit Politische Partizipation und inklusive politische Bildung können bzgl. verschiedener Schwer- punkte thematisiert werden. Es gibt verschiedene Zugänge und Fragen, die eine gesellschaft- liche Diskussion zum Thema erfordern. Im Folgenden wird dessen Relevanz aus Sicht der Sozialen Arbeit sowie der Gesellschaft und der Demokratie beschrieben. 10 1.5.1 Menschenrechtsprofession Aufgrund der Diskussion von Studierenden und Sozialarbeiter/-innen zu den Themen der ex- kludierenden Institutionen, der Einzelfallhilfe und des Problems der gesellschaftlichen Aus- grenzung entwickelte Staub-Bernasconi in den 1970er bis 1990er Jahren den Ansatz der So- zialen Arbeit als Menschenrechtsprofession (vgl. Kuhlmann 2012: 38–39). Dabei geht es v. a. darum, «Bedingungen zu schaffen, unter denen Menschen individuell verschieden bleiben dürfen» (ebd.: 40). Jedes Individuum soll in der Gesellschaft Solidarität erfahren und zugleich in seinen eigenen Freiheiten und Rechten nicht eingeschränkt werden. Laut Staub-Bernasconi ist die Aufgabe der Sozialarbeiter/-innen, dass diese sich als Anwälte für Menschenrechte ver- stehen und für die Bedürfnisse der Adressat/-innen einsetzen (vgl. ebd.: 40). Dieser Ansatz bietet einen passenden Zugang zur Auseinandersetzung mit den diskriminierenden politischen Rahmenbedingungen für Menschen mit kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigungen. 1.5.2 Berufskodex Der Berufskodex für die Soziale Arbeit vom Dachverband Avenir Social ist mit seinen ethi- schen Grundlagen und Normen eine Orientierungshilfe. Gemäss des Berufskodex soll sich die Soziale Arbeit «insbesondere an diejenigen Menschen oder Gruppen [richten], die vorüberge- hend oder dauernd in der Verwirklichung ihres Lebens illegitim eingeschränkt [sind] oder deren Zugang und Teilhabe an gesellschaftlichen Ressourcen ungenügend [ist]» (Avenir Social 2010: 6). Die Soziale Arbeit soll sich dabei an den Grundsätzen der Gleichbehandlung, Selbst- bestimmung, Partizipation, Integration und Ermächtigung ausrichten. Dabei soll Diskriminie- rung zurückgewiesen werden, Ressourcen sollen gerecht verteilt und ungerechte Praktiken aufgedeckt werden, Verschiedenheit soll anerkannt und Solidarität soll eingesetzt werden (vgl. ebd.: 8–10). Besondere Aufmerksamkeit soll auch folgende Verpflichtung bekommen: Die Menschenrechte sollen jeder Person gewährt werden und alle sollen mittels der Wahl- und Entscheidungsfreiheit zu gesellschaftlicher Teilhabe befähigt werden. Adressart/-innen sollen sich autonom am Gemeinwesen beteiligen können (vgl. ebd.). Laut Berufskodex orientiert sich die Soziale Arbeit dabei an einem Menschenbild, bei dem die Integrität des Menschen im Vor- dergrund steht. Soziale Probleme in gesellschaftlichen Strukturen werden gesehen und dar- aus wird soziale Gerechtigkeit abgeleitet (vgl. ebd.: 6–9). 1.5.3 Demokratie Eine weitere Herleitung des Themas soll anhand des Demokratiegedankens erfolgen. Dies ergibt sich nicht aus der Sozialen Arbeit, aber aus dem Selbstverständnis einer menschen- rechtlich orientierten Demokratie. 11 Mittlerweile gibt es verschiedene Demokratieverständnisse. Hinter allen Konzepten steht aber immer die Vorstellung, dass Partizipation die Basis des Gemeinwesens ist. Eine Demokratie ist ohne Formen aktiver Beteiligung ihrer Bürger/-innen nicht funktionsfähig (vgl. Weisser 2012: 173). Wie Benhabib aufzeigt, beruht die Geschichte moderner Demokratien auf einer zweifa- chen Ausrichtung – einerseits der menschenrechtlichen Orientierung und andererseits der An- erkennung des Prinzips der Volkssouveränität bzw. der politischen Selbstbestimmung. «Ide- alerweise bedeutet demokratische Herrschaft, dass alle Glieder eines souveränen Körpers als Träger von Menschenrechten anerkannt werden und dass die Gesellschaftsglieder dieser Souveränität [...] eine Ordnung der Selbstführung gründen, in der jede und jeder gleicherma- ßen Gesetzgeber und den Gesetzen unterworfen ist [...]. Moderne Demokratien begreifen [...] ihre Bürger als mit Rechten ausgestattete Gesellschaftsglieder» (Benhabib 2008: 38). Laut Benhabib beruhen die Bürgerrechte dabei auf den Menschenrechten. Das Demokratiever- ständnis dieser Arbeit basiert somit auch auf dem Konzept der Beteiligungsgesellschaft nach Husi. Husi geht davon aus, dass sich die Grundwerte der modernen Demokratie an den pri- mären Werten Freiheit, Gleichheit und Sicherheit sowie den sekundären Werten Toleranz, Frieden und Solidarität ausrichten (vgl. Husi 2012: 115). In diesen Werten bildet sich der «Geist des Demokratismus» ab (ebd.). Wie Benhabib sagt, beinhaltet die demokratische Idee, dass alle Bürger/-innen, die den Normen und Regeln eines Gemeinwesens unterliegen, zu- gleich auch als Träger/-innen der politischen Entscheidungsmacht angesehen und anerkannt werden. Sind bei der politischen Willensbildung nicht alle Menschen gleichberechtigte Träger/- innen ihrer Stimmen, höhlt sich das demokratische Selbstverständnis aus. Entscheidungen lassen sich nicht mehr politisch legitimieren, wenn Einzelne ausgeschlossen sind (vgl. Benha- bib 2008: 14–15). Daher haben Demokratien auch ein Inklusionsproblem zu lösen (vgl. Trescher 2013: o. S.). Die gleichberechtigte Teilhabe am Herrschaftssystem ist bis heute ein kontrovers diskutiertes Thema und, wie in dieser Arbeit ersichtlich wird, ein noch nicht vollständig gelöstes Problem. Der amerikanische Politwissenschaftler Benjamin R. Barber beschreibt dies im Rahmen seiner Arbeit über starke Demokratien als Lebensform mit folgendem Bild: «The equality of thin de- mocracy is the equality of boxers placed in common weight classes to ensure fair and equal competition» (vgl. Barber 2003, zit. nach Beck/Feuser/Wachtel 2012: 172). Dieses Ungleich- gewicht zeigt sich bspw. in der Untervertretung von Menschen mit einer Beeinträchtigung in politischen Ämtern. Die Frage der Zulassung zur Politik unterliegt dem gesellschaftlichen Wandel. Sie stösst auf Repressionen im Hinblick auf die Merkmale Geschlecht und Herkunft, was auch heute noch der Fall ist. Als Beispiele können das erst 1971 eingeführte Frauenwahlrecht und der bis heute geltende Ausschluss von Ausländer/-innen bei Wahlen in der Schweiz genannt werden. Die Frage der Zulassung entwickelt sich immer mehr zu einem Partizipationsverständnis, welches 12 nicht mehr auf einem Katalog individueller Eigenschaften aufbaut, sondern sich über die sozi- ale Bürgerrolle definiert. Barber sieht Politik als Lebensweise, bei der Menschen mit konkur- rierenden und überlappenden Interessen die Gesellschaft gestalten und dabei nicht nur zum eigenen Vorteil, sondern auch zum Vorteil des Gegenübers beitragen möchten (vgl. ebd.: 171– 173). Die UN-BRK möchte die Zulassung zur Politik durch ein unbedingtes Wahlrecht allen Bürger/- innen ermöglichen. Die Gründe für den Wahl- und Stimmausschluss (z. B. die defizitären Zu- schreibungen und die bezweifelte Einsichtsfähigkeit) von Menschen mit einer kognitiven Ent- wicklungsbeeinträchtigung sind für Palleit, der die UN-BRK in Bezug auf das Wahlrecht disku- tiert, zwar historisch erklärbar, können aus Sicht der UN-BRK in einer Demokratie aber nicht länger aufrechterhalten werden (vgl. Palleit 2011: 12). Das Wahlrecht gilt auch nach Morlok in einem demokratischen Gemeinwesen als das bedeutendste Grundrecht und muss demnach allen Bürger/-innen eines Staates gewährleistet werden (Morlok 2006, zit. nach ebd.: 13). So hält Korfkamp auch fest, dass Demokratie keine Angelegenheit für Expert/-innen, sondern eine Sache aller ist (vgl. Korfkamp 2015: 256–257). Palleit verstärkt diesen Gedanken für die Men- schen mit einer kognitiven Beeinträchtigung nochmals und betont, dass im Hinblick auf das gesellschaftliche Klima die aktive Partizipation für die Betroffenen am öffentlichen und politi- schen Leben nicht nur toleriert, sondern ausdrücklich erwünscht wird. Die Teilhabe soll Wert- schätzung erhalten und ein breites Bewusstsein für bestehende und zu überwindende Barrie- ren muss sich etablieren (vgl. Palleit 2011: 13). Dies erfordert aber einen Lernprozess. Als Demokrat/-innen werden laut Negt keine Menschen geboren. Er hält fest, dass die Demokratie die einzige Herrschaftsform ist, in welcher die verfasste Gesellschaftsordnung von den Bür- ger/-innen erlernt werden müsse (vgl. Korfkamp 2015: 257). 1.5.4 Soziale Kohäsion Wird die politische Partizipation als normativer Professionsauftrag der Sozialen Arbeit und der Diskussion um demokratische Werte betrachtet, sollte trotz einer thematischen Redundanz zum vorigen Kapitel die Frage nach dem Mehrwert auf gesellschaftlicher und individueller Ebene gestellt werden. Schon im Jahr 2003 wies die Mitbegründerin der deutschen Disability Studies Anne Wald- schmidt auf die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der politischen Mitbestimmung von Men- schen mit einer Beeinträchtigung hin. Waldschmidt stellte klar, dass ein gesamtgesellschaftli- cher Perspektivenwechsel nicht möglich sei, wenn der Januskopf der Autonomieforderung nicht bedacht wird. Die traditionelle Auffassung politischer Selbstbestimmung zeige ihr unauf- geklärtes Gesicht, sobald Menschen mit einer Beeinträchtigung als autonome Subjekte, aber in einem historisch gewachsenen, unreflektierten Verständnis mit der Forderung nach gleich- berechtigter politischer Teilhabe verbunden werden. Die Vorstellung eines rationalen und 13 selbstbestimmten Subjekts «als quasi naturgegeben vorauszusetzen und von diesem Ansatz aus zu untersuchen, wieviel Selbstbestimmung denjenigen zugestanden werden kann, die von der Gesellschaft eigentlich gar nicht als autonomiefähig angesehen werden» (Waldschmidt 2003, zit. nach Jentsch 2012: 2–3), bedeute, dass bestehende Deutungsmonopole kritisch reflektiert und konstruktive Alternativen entwickelt werden müssen (vgl. Waldschmidt 2003, zit. nach ebd.). Soziale Kohäsion umfasst Ressourcen, die sich auf zwischenmenschlicher und gesamtgesell- schaftlicher Ebene ansiedeln. Auf individueller Ebene gewährleistet soziale Kohäsion gleiche Chancen und gleiche Zugänge zu Bildung, Gütern und weiteren sozialen Einheiten. Die Teil- habe wird für den Menschen berechenbar und erwerbbar. Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene werden Strukturen geschaffen, die es den Menschen ermöglichen, sich zu organisieren und Entwicklungen zu verarbeiten (vgl. Beck et al. 2012: 139). Im Aktionsplan des Europarats für soziale Kohäsion wird betont, dass die demokratische Teilhabe aller Menschen eine massge- bende Strategie für soziale Kohäsion ist. Letztere wird folgendermassen formuliert: Soziale Kohäsion ist ein dynamischer Prozess und eine wesentliche Bedingung für soziale Gerechtigkeit, demokratische Sicherheit und nachhaltige Entwicklung. Gesellschaften, in denen es Spaltung und Ungleichheit gibt, sind nicht nur ungerecht, sie können auf lange Sicht auch keine Stabilität garantieren (Europarat 2010: 10). Nationaler Zusammenhalt und soziale Kohäsion ergeben sich aus der Bereitwilligkeit der Be- völkerung, sich für die Allgemeinheit einzusetzen. Soziale Kohäsion kann als ein partizipatori- sches und öffentliches Gut angesehen werden. Je mehr Menschen sich aktiv dafür einsetzen, desto mehr ergeben sich Stabilität und Sicherheit für alle (vgl. Vogt/Wüst 2018: o. S.). Der französische Schriftsteller Ernest Renans betont in einem Vortrag, dass sich ethisch-kulturelle Merkmale kaum eignen, um zu definieren, was eine Nation ist. Vielmehr beschreibt er die Nation als ein geistiges Prinzip, welches seine Kraft aus gemeinsamen Solidarerfahrungen und gemeinsamen Anstrengungen zur Erreichung bestimmter Ziele erhalte (vgl. ebd.). Das politische Milizsystem der Schweiz, bei dem sich Staatsbürger/-innen aus unterschiedlichen Gegenden und sozialen Milieus zusammenfinden, um gemeinsame Aufgaben zu lösen, ist für die Förderung der sozialen und politischen Kohäsion prädestiniert (vgl. ebd.). Solange in einer Gesellschaft Menschen mit einer Beeinträchtigung ausgeschlossen werden – durch soziale und physische Barrieren sowie die Vorstellung, dass sich aus den verschiedenen Möglichkei- ten, den Verstand zu gebrauchen, unterschiedlich starke Chancen auf politische Partizipation bzw. Ausnahmen von der Allgemeinheit der Wahl rechtfertigen lassen –, ist soziale Gerech- tigkeit im Sinne der sozialen Kohäsion nicht geschaffen. Dies birgt Gefahren für Diskriminie- rung und kann eine Spaltung in der Gesellschaft hervorrufen (vgl. ebd.). 14 1.5.5 Gerechtigkeit Gerechtigkeit ist eine Ordnung, die beinahe alle sozialen Zusammenhänge berührt und sie gehört in den westlichen Kulturen zu den fundamentalsten Kriterien bzgl. der Regelung des Zusammenlebens von Menschen (vgl. Dyckerhoff 2013: 24). Menschen mit einer Beeinträch- tigung, aber auch weitere gesellschaftlich marginalisierte Menschen, kämpften häufig darum, dass ihre Anliegen Gehör finden (vgl. Felder 2012: 31). Gerechtigkeit betrifft die Fragen, durch welche sozialen und politischen Strukturen das Gemeinwesen organisiert ist und wie Men- schen darin behandelt werden. So gehört eine gerechte Ordnung zu den Grundvoraussetzun- gen, um ein gelingendes Leben in Würde, Freiheit und Selbstbestimmung führen zu können (vgl. Dederich et al. 2013: 8). In der Sozialen Arbeit gehört das Aufdecken von sozialen Miss- ständen und das Eintreten für soziale Gerechtigkeit zu den Leitprinzipien. Dies wird immer wieder betont, so auch am Welttag der Sozialen Arbeit, am 17.03.2015 (vgl. Avenir Social 2016: 1–2). Gerechtigkeit beruht auf dem Verständnis, dass Gleiches gleichbehandelt werden soll. Dies impliziert, dass Konflikte nicht durch Kräfteverhältnisse gelöst werden sollen, da das Recht des Stärkeren nicht dessen tatsächliches Recht ist (vgl. Gigon 2004, zit. nach Dyckerhoff 2013: 25). Der Gegenbegriff zur Gerechtigkeit ist die soziale Willkür (vgl. Forst 2015: 45). Die Gefahr sozialer Willkür wird in einer demokratischen Gesellschaft durch verschiedene Rechtferti- gungsverfahren gebannt. Diese müssen nach Forst nicht nur eine bestimmte Qualität hinsicht- lich der Verteilung der Gerechtigkeit aufweisen, sondern auch durch Verfahren gegangen sein, bei denen Betroffene ausreichend Beteiligungschancen hatten (vgl. ebd.). Gerechtigkeits- gründe gewinnen ihre besondere Qualität dadurch, dass sie auch vor den Menschen, die so- zial schlechter gestellt sind, bestehen können. Forst betont: «Denn die Frage der Gerechtigkeit – ist ihre Frage» (ebd.). Die Pointe besteht darin, dass die Demokratie eine besondere Recht- fertigungsschwelle verlangt, nämlich reale Beteiligungschancen an der Aushandlung aller Ge- rechtigkeitsfragen. «Die Gerechtigkeit spricht nicht an [Stelle der sozial Schwachen], sondern sie verlangt zunächst, ihnen eine Stimme zu geben» (vgl. ebd.). Zu den Ungerechtigkeiten gehört das Ignorieren der Sprachlosen (vgl. ebd.). Gerechtigkeit entsteht nicht durch die Verteilung von Gütern an Empfänger/-innen und Empfängern, sondern erst, wenn der Blick darauf gelenkt wird, wer und was wo und wie über die Gerechtigkeit be- stimmt. So ist die Frage nach Gerechtigkeit auch eine politische Frage nach der Beteiligung an der Macht (vgl. ebd.: 47). 15 2 Adressat/-innen «Es ist ein Gefühl, nicht richtig verstanden zu werden von der Gemeinde und von den Behörden.» (Vock in FHS Broadcast 2018: 05:01--05:07) Der politischen Beteiligung von Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung soll in der vorliegende Arbeit nachgegangen werden. In diesem Kapitel werden die Bürger/-innen mit einer kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung betrachtet. 2.1 Beeinträchtigung im geschichtlichen Kontext Jegliche Klassifizierung von Menschen und/oder ihrem Verhalten birgt ein grosses Potential für Stigmatisierung1. Trotzdem ist es wesentlich, die Personengruppe, um die es in der Arbeit gehen soll, zu beschreiben. Damit eine Einordnung gemacht werden kann, wird anfangs auf historische Entwicklungen geschaut, anschliessend wird der Begriff Behinderung bzw. Beein- trächtigung definiert. Die Auseinandersetzung geschieht in dem Bewusstsein, dass jeder Be- griff relativ ist. Das Verständnis über Behinderung und damit auch über die Behindertenhilfe, hat sich in den vergangenen vier Jahrzehnten stark verändert. Sowohl die Sicht der Betroffenen als auch die der Angehörigen und Professionellen hat sich zusammen mit den Idealen und Normen der Gesellschaft verändert (vgl. Röh 2018: 14–16). Früher standen v. a. individualethische Prob- lemstellungen, wie z. B. der moralische Status schwerstbehinderter Menschen und deren Le- bensrecht, im Zentrum der Diskussion, in der heutigen Debatte wird meist auf sozialethische Theorien zurückgegriffen (vgl. Dederich 2013: 21–22). Im Folgenden werden historische Mei- lensteine bzgl. der Lebenslagen von Menschen mit einer Beeinträchtigung innerhalb der Ge- sellschaft aufgezeigt. In antiken Quellen finden sich kaum Hinweise zur gesellschaftlichen Stellung von Menschen mit einer Beeinträchtigung. Die Beschreibungen sind von mystisch-religiösen Abwehrmecha- nismen geprägt. Es kam zur sozialen Selektion und zu Kindstötungen – die Menschenwürde wurde nicht anerkannt (vgl. Speck 2012: 17). Im christlichen Mittelalter zeigten sich einerseits heidnische Überlieferungen und zugleich Grundsätze der Nächstenliebe, Seelsorge und Erziehung. Heidnische Aberglauben finden sich z. B. in Überlieferungen zu den Wechselbälgen, d. h. kognitiv und körperlich beeinträchtigten 1 Stigma und Stigmatisierung: Physisches, psychisches oder soziales Merkmal, welches eine Person von anderen Gruppenmitgliedern negativ unterscheidet und aufgrund dessen eine soziale Deklas- sierung oder allgemeine Verachtung droht (vgl. DUDEN 2020: o.S.). 16 Kindern, von denen geglaubt wurde, der Teufel habe diese gegen ein gesundes Kind ausge- tauscht (vgl. Röh 2018: 15). Im 16. Und 17. Jahrhundert lebten Betroffene in Zucht- und Armenhäusern oder in Familien. Stigmatisierung und Kontaktvermeidung waren die Regel. Das derzeit vorherrschende Arbeits- ideal «Erziehung der Armen durch Arbeit» schloss Menschen mit einer Beeinträchtigung durch Sanktions- und Interventionsformen in besonderer Weise aus (vgl. Mürner/Sierck 2012: 49). In den 1920er Jahren gewannen eugenische Vorstellungen an Bedeutung. Mit dem National- sozialismus folgte in Deutschland das «Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses». 1939 folgte die Euthanasie2, der bis 1954 schätzungsweise 250’000 zum Opfer fielen (vgl. ebd.: 54–55). 2.2 Beeinträchtigung im Kontext von Teilhaberäumen Einflussfaktoren wie Bildung, Gesundheit, Mobilität und Wohnen sind Spielräume zur Bedürf- nisbefriedigung und ermöglichen Teilhabe und Verwirklichungschancen. Auch in der heutigen Gesellschaft bleiben Menschen mit Behinderung von zahlreichen Lebensbereichen ausge- schlossen oder sind in ihrer selbstbestimmten Lebensführung beeinträchtigt3 (vgl. Sche- fer/Hess-Klein 2014: 4). Dies ist zum Teil nach wie vor eine Folge von Vorurteilen und Abnei- gungen. Beispielsweise werden Betroffene in Restaurants teilweise nicht bedient, weil sie die übrige Kundschaft stören. Seit den 1970er Jahren finden jedoch in drei Bereichen Bemühun- gen hinsichtlich einer Angleichung der sozialen Lage statt (vgl. Rudloff 2016: 56–58): 1. Arbeit und Beschäftigung: Gesellschaftliche Integration geschieht in der Schweiz hauptsächlich über Arbeit. In Institutionen der Behindertenhilfe wurden geschützte Be- schäftigungsangebote geschaffen. Bis heute sind die Möglichkeiten für eine berufliche Integration im Arbeitsmarkt aber nicht ausreichend. Die Niveaus niederschwelliger An- gebote verbessern sich kaum (vgl. Insieme 2020: o. S.). 2. Bildung: Bis zu den 1960er Jahren galten behinderte Kinder als bildungsunfähig. Es entstand jedoch ein Bewusstsein für den Aufholbedarf im Bildungsbereich; er wurde als eine zentrale Integrationsschiene erkannt. Somit kam es zum Ausbau von Sonder- schulheimen. Bis heute ist die Bildung von Kindern mit einer Beeinträchtigung in der 2 Die Systematische Ermordung psychisch und körperlich kognitiv Beeinträchtigter im Nationalsozialis- mus (vgl. DUDEN 2020: o.S.) 3 Auf globaler Ebene geht diesen Fragen der World Report on Disability nach. 17 Dialektik von Förderung und Ausgrenzung zu betrachten. Einerseits wird die individu- elle Isolierung zwar gemindert, andererseits besteht die Gefahr der Gettoisierung (vgl. Rudloff 2016: 66–67). 3. Wohnen: Der Bereich Wohnen bildet einen Mittelpunkt der privaten Lebensführung und ist Ausdruck persönlicher Lebensqualität. In den 1950er Jahren existierten als Wohn- form jenseits von Familie und Elternhaus nur Anstalten für Abnorme und Schwachsin- nige. Damals gab es nur Massenschlafsäle sowie grosse Wasch- und Speiseräume. Mit den 1970er Jahren kam es jedoch zu Modernisierungen und einer Auflockerung der Strukturen. Selbstständige Wohneinheiten, Einzelzimmer und dezentralisierte Sa- nitäreinrichtungen gehören heute zum Standard. Viele Einrichtungen befinden sich im- mer noch ausserhalb von Siedlungsgebieten (vgl. ebd.: 71–72). Es zeigt sich, dass Menschen mit einer Beeinträchtigung bis heute mit Diskriminierung und gesellschaftlicher Ausgrenzung zu kämpfen haben. Fremdbestimmung und defizitäre Zu- schreibungen bestimmten lange Zeit das Bild der Betroffenen und sind bis heute zu finden. Aber auch die Professionsausgestaltung und die Wissenschaft4 der Sozialen Arbeit mussten trotz ihrer relativ jungen Geschichte mehrere Veränderungsprozesse durchlaufen, um der In- klusion und gesellschaftlichen Teilhabe besser zu entsprechen. Auf Grundlage medizinisch- naturwissenschaftlicher Ansätze, christlicher und humanitärer Impulse sowie pädagogischer Versuche sind heute besonders zwei Entwicklungen für eine Definition5 von Beeinträchtigung massgeblich. Zum einen setzt sich ein Definitionsmodell für Behinderung durch, bei dem nicht nur individu- elle, situative und biografische Kontexte, sondern auch gesellschaftliche und kulturelle Fakto- ren als relevant erachtet werden (vgl. Dederich 2013: 21). Eine solche Betrachtungsweise führt zu anderen normativen Fragestellungen hinsichtlich einer gesellschaftlichen Inklusion und Teilhabe. Zum anderen verdeutlichte die Inkraftsetzung der UN-BRK im Mai 2014 in der Schweiz, dass sich die Grundlagendiskurse stärker an gesellschaftlichen Entwicklungen orientieren müssen. 4 Eine wissenschaftliche Richtung, welche neue Sichtweisen und Entwicklungen ermöglicht hat, bilden die Disability Studies. Es handelt sich um einen interdisziplinären Ansatz (Otto et al. 2018: 90). 5 Definitionen erfüllen die Funktion von gedanklichen Arbeitsinstrumenten, mit welchen ausgewählte Wirklichkeitsausschnitte geordnet werden können (vgl. Osbahr 2003: 99). 18 Auf eine Definition von Behinderung soll im Folgenden anhand der internationalen Klassifika- tion der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) eingegangen werden. 2.3 Definition von Behinderung und Beeinträchtigung Das Thema der Behinderung und Beeinträchtigung ist vielschichtig. So gibt es für den Begriff Behinderung bisher noch keine unangefochtene Definition (vgl. Welti 2005: 7). Auch in der Präambel der UN-BRK ist diese Erkenntnis wiederzufinden. So heisst es dort, «in der Erkennt- nis, dass das Verständnis von Behinderung sich ständig weiterentwickelt» (Vereinte Nationen 2006: Zif. e). Hinsichtlich der Vorstellung von Beeinträchtigung und der Art und Weise, wie Menschen damit umgehen, entwickelten sich im vergangen Jahrhundert unterschiedliche De- finitionsmodelle: Bekannt ist das medizinisch-biologische Modell aus dem 19. Jahrhundert. Beeinträchtigung ist hier ein individuelles medizinisches Problem. Es werden Schädigungen, Fehlbildungen und Krankheiten klassifiziert (vgl. Speck 2012: 39–40). Beim sozialen Modell wird Behinderung als ein kollektives Problem der Gesellschaft bezeich- net. Sie entsteht nach diesem Verständnis dann, wenn eine Person durch ihr Umfeld an einem voll integrierten sozialen Leben gehindert wird (vgl. Theunissen et al. 2007: 175). 6 Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) versucht seit ihrer Gründung diese beiden Modelle zusammenzuführen. Mit der ICF wurde ein Kompromiss geschaffen. Behinderung wird dabei nicht genau definiert, sondern als ein nachteiliges Wechselverhältnis zwischen einer Person (Lebenssituation, Persönlichkeit), ihren Körperfunktionen (physisch, geistig, sinnlich) und ih- rem Umfeld (kulturell, institutionell, baulich) beschrieben (ebd.: 176–177). Nach Theunissen ist die ICF keine Klassifikation, sondern eine Orientierung an einer ganzheitlichen Betrach- tungsweise, wobei eine starke Gewichtung von Aktivitäten und kontextbezogenen Faktoren zur Geltung kommen (vgl. ebd. 178). Im Folgenden wird von Beeinträchtigung geredet, wenn es um die individuellen Einschränkun- gen geht, und der Begriff Behinderung wird als der soziale Prozess der Teilhabeeinschränkung verstanden.7 Behinderung ist dabei als gesellschaftliche Nichtteilhabe zu verstehen. In der folgenden Auseinandersetzung wird bzgl. der angesprochenen Adressat/-innen der Be- griff der kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung verwendet. Er steht für die somatisch, psy- chisch und/oder sozial bedingte Beeinträchtigung der Entwicklungsmöglichkeiten und Teil- habe einer Person. Es wird damit explizit Bezug auf das ICF-Modell der WHO genommen. 6 Es gibt weitere Modelle, z. B. rechtliche, philosophische, administrative, entwicklungspsychologische und heilpädagogische Modelle (vgl. Theunissen 2016: 11–22; Gazareth 2009: 10–15) 7 i. A. a. Röh 2018: Kap. 3.1 und 3.2.5 19 Vom Begriff der geistigen Behinderung (vgl. Speck 1990: 39), welcher im Sprachgebrauch breit akzeptiert war und bis heute Verwendung findet, wird dagegen Abstand genommen. Ab- gesehen von den negativen Assoziationen und Stigmatisierungen deckt sich der Begriff nicht mit dem Selbstkonzept der Betroffenen. Selbstvertreter/-innen präferieren den Begriff der Lernbeeinträchtigung (vgl. People First e. V. 2020: o. S.). Jedoch wird bei den Kostenträgern als Grundlage für ihre Leistungen weiterhin der negativ behaftete Begriff des geistigen Ge- sundheitsschadens verwendet (vgl. Invalidenversicherung 2020: o. S.). Zudem werden auch im Zusammenhang mit dem Ausschluss der politischen Rechte in der Bundesverfassung (Art. 8 Abs. 2) die Begriffe Geisteskrankheit und Geistesschwäche genannt. Im Wissen darum, dass ein reiner «Etikettenwechsel» (Speck 1990: 40) die Exklusion von Betroffenen noch nicht be- seitigt, möchte ich zu einer Sensibilisierung beitragen und daher den Begriff der kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung bzw. die Beschreibung «Personen, die mit einer kognitiver Ent- wicklungsbeeinträchtigung bezeichnet werden»8 hervorheben. Aus Gründen des Umfangs wird in dieser Arbeit auf Letztere verzichtet. Fornefeld zeigt auf, dass bei Menschen mit einer kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung die organischen, seelischen und sozialen Folgen individuell sind (vgl. Fornefeld 2004: 46). Eine bspw. leichte kognitive Entwicklungsbeeinträchtigung wird anhand eines Intelligenzquotienten (IQ) mit dem Intelligenzalter einer neun- bis zwölfjährigen Person verglichen. Betroffene erlan- gen meist Unabhängigkeit im Hinblick auf die Selbstversorgung und heimische Tätigkeiten. Dabei ist jedoch die Entwicklungsgeschwindigkeit meist verlangsamter als bei der gesell- schaftlichen Norm. Affektive, motivationale, soziale und motorische Möglichkeiten zur Assimi- lation und Akkommodation an die Umwelt können beeinträchtigt und/oder verlangsamt sein (vgl. Spreen 1978: 25–26). Dies kann sich im konzeptionellen (abstraktes Denken), sozialen (verbale Fähigkeiten) und praktischen Bereich (Erledigung alltäglicher Aufgaben) zeigen (vgl. Insieme 2020b: o. S). Analog zur o. g. Definition des ICF entsteht eine Behinderung auch hier durch externe Umweltfaktoren und eine gesellschaftliche Nichtteilhabe. Feuser betonte bereits vor dreissig Jahren mit ihrem Postulat «Geistig Behinderte gibt es nicht!» (1990, zit. nach Klamp-Gretschel 2016: 17). Demnach handelt es sich bei den Adres- sat/-innen um eine heterogene Gruppe. 2.4 Prävalenz Eine offizielle Zahl bzgl. Menschen mit einer kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung existiert in der Schweiz nicht. Dies liegt an der beschriebenen Vielfalt der Definitionsmodelle und an 8 Theunissen (2011: 32) weist darauf hin, benutzt aber den Begriff «Menschen, die als geistig behindert bezeichnet werden». 20 der Unklarheit darüber, ab wann eine kognitive Entwicklungsbeeinträchtigung bzw. Lernbeein- trächtigung gilt. Insieme9 schätzt die Zahl laut einer persönlichen E-Mail auf ca. 50'000 Perso- nen. Dabei wird auf das Bundesamt für Statistik (BFS) Bezug genommen, laut dem 25'000 Personen wohnhaft in Institutionen sind (vgl. BFS 2020: o. S.). Aufgrund der Annahme, dass ca. 50 % der Betroffenen stationäre Angebote wahrnehmen, multipliziert Insieme diese Zahl für die Schätzung mit zwei. Laut der KOKES-Statistik, einer zentralen Datenbank der Kindes- und Erwachsenenschutzbe- hörden (KESB) aller Kantone, gab es 2018 15’232 Personen unter umfassender Beistand- schaft nach Art. 398 ZGB (vgl. KOKES 2018: 435). Diese Zahl beschreibt demnach die vom Wahlausschluss betroffenen Frauen und Männer. 2.5 Fazit Menschen mit einer Beeinträchtigung werden in vielen gesellschaftlichen Lebensbereichen diskriminiert und benachteiligt. Fehlende Barrierefreiheit in der Umwelt und bei Dienstleistun- gen sowie Trennungen im Alltag durch Wohnheime, Sonderschulen etc. führen zu Stigmati- sierungen und sozialer Ausgrenzung. In jeder Zeitepoche wurde politisch und gesellschaftlich unterschiedlich mit dem Merkmal einer Beeinträchtigung umgegangen. In den vergangenen Jahrzehnten überwiegte der Fürsorgege- danke. Heute wird zunehmend die Menschenrechtsthematik aufgegriffen. 9 Dachverband für Eltern von Kindern mit einer Beeinträchtigung 21 3 Rahmenbedingungen für politische Partizipa- tion «Vielleicht, wenn es einfacher formuliert wäre, wäre es vielleicht für uns Menschen mit einer Beeinträchtigung auch leichter zum abstimmen.» (Son- deregger in FHS Broadcast: 05:13–05:26) In diesem Kapitel werden die Forderungen nach politischer Mitbestimmung durch Selbst- vertreter/-innen dargestellt sowie die Begriffe Menschenrechte, Politik und Partizipa- tion/Teilhabe definiert. Anschliessend werden die bestehenden Rahmenbedingungen beschrieben. 3.1 Forderungen von Selbstvertreter/-innen In Deutschland griff Anfang der 1980er Jahre die Krüppelbewegung10 zu drastischen Mass- nahmen, um auf diskursivem Weg politische Partizipation zu erlangen. So reagierten Men- schen mit einer Beeinträchtigung auf das 1981 von der UNO ausgerufene Jahr der Behinder- ten mit Kritik. Sie warfen den Politiker/-innen Desinteresse bzgl. der nichtsichtbaren Probleme vor und argumentierten, dass Jahr der Behinderten sei in Wirklichkeit das Jahr der nichtbehin- derten Wohltäter (vgl. Kallehauge 2009: 202). Mitglieder der Aktionsgruppe gegen das UNO- Jahr der Behinderten besetzten folglich, öffentlichkeitswirksam Festrednerbühnen und forder- ten u. a. die Anerkennung ihrer Selbstvertretungsrechte (Brück 2020: o.S.). In der Schweiz ist die Bewegung der Selbstvertreter/-innen im Vergleich zu Deutschland noch jung. Die meisten dieser Organisationen finden sich in der Deutschschweiz (vgl. Heinzmann 2018: 41). Der eigenen Recherche nach zu urteilen, existiert hierzu kaum Literatur; das Gebiet scheint noch unerforscht zu sein.11 In den vergangenen Jahren kam es nichtsdestotrotz zu Forderungen für politische Partizipation von Seiten der Selbstvertreter/-innen: Im Rahmen der ersten Bodenseedeklaration, an welcher Selbstvertreter/-innen aus Deutsch- land, Österreich und der Schweiz teilnahmen, wurde hinsichtlich politischer Teilhabe Barriere- freiheit gefordert (z. B. Abstimmungsunterlagen in leichter Sprache). Diese Forderung wurde 10 Die Krüppelbewegung ist eine Emanzipationsbewegung von Betroffenen der 1970er Jahre, die sich aktiv für Chancengleichheit und Selbstbestimmung einsetzte (vgl. Tümer 2007: 1). 11 Nennenswert scheinen nur die Bachelorarbeit von Manuela Breu (vgl. Breu 2010) und die Masterar- beit von Anita Heinzmann (vgl. Heinzmann 2018). Vereinzelte Informationen finden sich auf den Webseiten von Selbstvertreterorganisationen. Genannt werden kann Peter Wehrli vom mittler- weile nicht mehr aktiven Zentrum für Selbstbestimmtes Leben (vgl. ZSL Schweiz 2020). 22 im März 2017 der St. Galler Regierung übergeben (vgl. SRF 1 2017: o. S.). In der Deklaration heisst es: Auch wir sind Bürger. Deswegen nehmen wir unser Wahlrecht wahr und haben auch das Recht an politischen Prozessen, die uns betreffen, teilzunehmen. Wir fordern, dass Selbst- vertreter auf allen politischen Ebenen an Entscheidungsprozessen beteiligt sind. Wir hoffen, dass sich Menschen mit Behinderungen dafür entscheiden, als Politikerinnen und Politiker tätig zu sein. (Bodenseedeklaration 2016: 1) 2015 protestierten Selbstvertreter/-innen unter dem Motto «Menschen mit Behinderung wäh- len und sind wählbar» vor dem Bundeshaus. Im Anschluss reichten sie eine Petition im Parla- ment ein. Darin forderten sie die Politik auf, politische Teilhabe von Menschen mit einer Be- einträchtigung zu fördern (vgl. AGILE.CH/Procap 2017: o. S.). Daraufhin reichte die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit ein Postulat ein. Der Bundesrat wird darin beauftragt zu prüfen, mit welchen Hindernissen (baulich, technisch, sprachlich, kommunikativ) Menschen mit einer Beeinträchtigung konfrontiert sind (vgl. ebd.: o. S.). Die Selbstvertreterorganisation MENSCH ZUERST.CH fordert: Wir wollen wählen können. Das schwierige Wort heisst: Wir wollen Inklusion. Wir wollen dazu gehören. Wir wollen ernst genommen werden. Wir wollen an Orten des täglichen Lebens teilnehmen. (vgl. MENSCH ZUERST 2020: o. S.) Die Organisation AGILE.CH arbeitet unter dem Motto «Wir bestimmen mit!». Die Mitarbeiter/- innen engagieren sich auf verschiedenen Ebenen. Bei Vernehmlassungen zu Gesetzesent- würfen und Anhörungen, aber auch im Stände- und Nationalrat vertreten sie die Interessen von Menschen mit Beeinträchtigung (vgl. AGILE.CH 2020: o. S.). 2018 reichten die Grünen eine Motion mit der Forderung nach leichter Sprache für Abstim- mungsunterlagen und weiteren Informationen des Bundes ein. Der Bundesrat entschied sich dazu, davon abzusehen. Es soll jedoch geprüft werden, welche Informationen in leichter Spra- che veröffentlicht werden können. Auch wurde auf die Erklärungsvideos zu Abstimmungen verwiesen, welche die Bundeskanzlei seit 2016 regelmässig veröffentlicht (vgl. Motion 18.4395 2018: o. S.). 23 Im Rahmen des Aktionsplans UN-BRK luden die drei Dachverbände Curaviva, INSOS und VAHS Selbstvertreter/-innen zur Teilnahme an einer Inklusionskommission ein. In vier ganz- tägigen Workshops wurden Ziele bzgl. der Themen Arbeitswelt, Bildung, Lebensgestaltung und Teilhabe formuliert. Ein Schwerpunktergebnis war u. a. die Forderung an die Verbände, bis Ende 2020 beim Bund Abstimmungsunterlagen in leichter Sprache zu erreichen (vgl. Aktionsplan UN-BRK 2019: o. S.). Nach Lindmeier waren die Protestaktionen der Krüppelbewegung 1981 nötig, da Menschen mit einer Beeinträchtigung damals in Europa nicht die reale Möglichkeit besassen, eigene Mei- nungen so zu artikulieren, dass diese im öffentlichen politischen Prozess gehört wurden (Lind- meier 2013). Die aktuellen politischen Rahmenbedingungen für die Teilhabe am politischen Leben und an den Wahlen für Menschen mit einer Beeinträchtigung werden im folgenden Abschnitt darge- legt. Dabei stellt sich die Frage, ob die Feststellung von Lindmeier heute noch genauso gilt. In folgendem Kapitel soll die Forschungsfrage, welche gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Teilhabe am politischen Leben in der Schweiz für Menschen mit einer kognitiven Entwick- lungsbeeinträchtigung bestehen, beantwortet werden. 3.2 Herleitungen von Begriffen Es werden die Begriffe des Titels – Menschenrechte, Politik und Teilhabe/Partizipation – ein- geführt. Letzterer wird dabei fokussiert. 3.2.1 Herleitung des Begriffs der Menschenrechte Menschenrechte sind Rechte, die jedem Menschen ab der Geburt zustehen und an keine Leistungskriterien gebunden sind (vgl. Hedderich 2016: 18). Noch im 19. Jahrhundert galt Kri- tik an Menschenrechtsverletzungen als verbotene Einmischung in innere Angelegenheiten (vgl. Kälin et al. 2008: 7). Für das Verhältnis zwischen Staat und Individuum hatten Menschen- rechte damals keine Bedeutung. Auch Grundrechte wurden nicht universell verstanden, son- dern als Rechte der Belgier oder der Deutschen (vgl. Hofmann, zit. nach Wohlgensinger 2014: 26). Als anerkannter Katalog für allgemeingültige Menschenrechte gilt heute die Internationale Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1948. Seit ihrer Verabschiedung wurden weitere Konventionen und Abkommen zu verschiedenen Themen verabschiedet. Be- sondere Bedeutung haben das Abkommen zur Beseitigung von Rassendiskriminierung (1965), das Abkommen zur Beseitigung aller Formen von Diskriminierung von Frauen (1979) und das internationale Übereinkommen über die Rechte von Kindern (1989). Aber auch auf 24 Menschenrechtsdokumente dazu. Hierbei sind die vom Europarat verabschiedete Europäi- sche Menschenrechtskonvention (1950) und die Grundrechtscharta der Europäischen Union (2000) zu nennen. Ende Dezember 2006 verabschiedete die UN-Generalversammlung die Konvention über die Rechte von Personen mit Behinderung (UN-BRK). Diese wurde 2014 durch die Schweiz ratifiziert (Eidgenössisches Amt des Innern 2020: o. S.). Die UN-BRK gewann in der breiten Öffentlichkeit an Bedeutung und steht für einen Paradig- menwechsel bei den Hilfesystemen für Betroffene – weg von Fürsorgegedanken und hin zu Menschenwürde, emanzipatorischen Gedanken und Autonomie. Bei der UN-BRK handelt es sich nicht um neue Sonderrechte12, sondern um die Bekräftigung und konkrete Umsetzung der allgemeinen Menschenrechte. In Art. 3 UN-BRK werden Prinzipien formuliert, die einen Rah- men für die Rechte vorgeben. Neben der Achtung der Menschenwürde sind das die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft, die Nichtdiskriminierung, die Achtung der Unter- schiedlichkeit von Betroffenen, die Akzeptanz menschlicher Vielfalt, die Chancengleichheit, die Barrierefreiheit und die Gleichberechtigung der Geschlechter. Die genannten Prinzipien verkörpern das menschenrechtliche Verständnis von Autonomie, Nichtdiskriminierung, Inklu- sion und Partizipation (vgl. Hedderich 2016: 18). Wie anhand der späteren Darstellung der politischen Partizipationsmöglichkeiten ersichtlich wird, besteht zwischen dem Anspruch und der Realität von Menschenrechten eine Differenz. 3.2.2 Herleitung des Begriffs der Politik Der Ursprung des Begriffs Politik liegt im alten Griechenland. Er bezeichnet die Gesamtheit eines griechischen Stadtstaates. Dabei war aber nicht der bewohnte Raum des Staates, son- dern die gemeinsame Lebensform entscheidend, welche die Bürger/-innen frei wählten und gestalteten. Die Qualität der Politik wurde in Verbindung mit der Qualität der Fähigkeiten und Tugenden der Bürger/-innen gebracht (vgl. Reheis 2016: 7–8). Politik hat verschiedene Dimensionen. Es gibt keinen einheitlichen Politikbegriff und jede De- finition verweist auf eine bestimmte wissenschaftliche Theorie. Die angloamerikanischen Be- griffe Policy, Politics und Polity sind nun auch in den deutschsprachigen Raum übergegangen. Sie werden hier als Grundlage genommen. Policy beschreibt die Auseinandersetzung mit politischen Inhalten. Es geht um die Gegen- stände, Aufgaben und Ziele, welche Involvierte realisieren wollen. Somit zielt Policy auf die Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse ab und ist auch Ausdruck von Ziel- und Interessen- konflikten. Die Wertmassstäbe sind relevant (vgl. Dederich et al. 2013: 10). 12 Kälin et al. weisen darauf hin, dass es bei der UN-BRK vereinzelt zu neuen Verpflichtungen kommt, wie dem Recht auf unabhängige Lebensführung und der Einbeziehung der Gemeinschaft (Art. 19) (vgl. Kälin et al. 2008: 38 f.). 25 Beim Begriff Politics hingegen stehen Prozesse politischer Willensbildung im Fokus, wie Lob- byismus, Wahlen und Abstimmungen. Es geht um Entscheidungsbildungsprozesse, d. h. da- rum, wie Interessensgruppen ihre Ziele durchsetzen. Politics haben einen massgeblichen Ein- fluss auf die Policy, die Umsetzung der Ziele (vgl. ebd.). Polity umfasst die formalen und institutionellen Ordnungen einer Gesellschaft. Damit sind Re- gierungssysteme, aber auch deren Rechtsordnung gemeint, d. h. die Verfassung und Ge- setze, welche den Handlungsspielraum, die Zuständigkeiten, und die Abläufe festlegen. Die institutionellen und formalen Rahmenbedingungen haben einen massgeblichen Einfluss auf die Prozesse der politischen Willensbildung und darauf, wie politische Konflikte bearbeitet und gelöst werden. Inhaltliche und normative Dimensionen der Politik werden durch den formalen und institutionellen Rahmen mitgeformt (vgl. ebd.). Das politische System der Schweiz zeichnet sich durch die direkte Demokratie und den Föde- ralismus aus. Es gibt drei politische Ebenen: den Bund, die Kantone und die Gemeinden. Diese Ebenen dienen der Machtteilung. Verbindendes Glied sind die Parteien, von denen 15 im Parlament vertreten sind (vgl. Eidgenössisches Amt des Innern 2020b: o. S.). Politische Partizipation von Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung meint die Teilhabe auf allen drei Ebenen. Es stellt sich die Frage, inwieweit die Politik in der Schweiz einen Rahmen und ein Klima für Selbstbestimmung, Teilhabe und Anerkennung von Menschen mit einer kogniti- ven Beeinträchtigung ermöglicht. 3.2.3 Herleitung der Begriffe Teilhabe und Partizipation In diesem Kapitel sollen die Begriffe der Partizipation bzw. der Teilhabe ausführlich erläutert, da diese als ein wesentlich für die Selbstbestimmung von Betroffenen sind. Im Titel der Arbeit wird die Partizipation als ein Menschenrecht bezeichnet, auch darauf wird eingegangen. Zuerst wird auf ein grundlegendes Verständnis von Teilhabe geschaffen. Partizipation wird überall dort thematisiert, wo sich Menschen organisieren. Der Begriff umschreibt, ob und wie eine Person in die Ausgestaltung des gesellschaftlichen Lebens einbezogen ist (vgl. Cari- giet/Mäder/Bonvin 2003: 222). Die international übliche Bezeichnung für die Teilhabe ist die Partizipation. Der Begriff lässt sich aus dem Lateinischen participation (pars = Teil, cipere = nehmen) herleiten und kann mit Teilnahme oder Teilhabe übersetzt werden (vgl. Welti 2005: 537).13 Definitionen von Teilhabe gibt es verschiedene, eine stellt die ICF dar. Denn Behinde- rung wird hier als Defizit bzgl. der Teilhabe beschrieben. Nichtteilhabe wird somit in einen direkten Zusammenhang mit einer Behinderung gesetzt. Sie bezieht sich auf das Problem 13 Hirschberg weisst begriffsklärend darauf hin, dass in der englischen und völkerrechtlich bindenden Fassung der Begriff Partizipation (participate) genutzt wird. In deutschen Übersetzungen, Teilhabe und Teilnahme, gehen Aspekte verloren, z. B. die Mitbestimmung ( vgl. Hirschberg 2010: 2). 26 eines Menschen, nicht in Lebenssituationen eingebunden zu sein (vgl. ebd.). Den Begriff der Teilhabe beschreibt Niess als das Verhältnis zwischen einem Individuum und seiner Umwelt. Anhand der Möglichkeiten zur Einflussnahme und dem Zugang zu Lebensbereichen kann der Grad der Teilhabe beschrieben werden (vgl. Niess 2016: 69). Die Forderung nach gleichberechtigter und voller Teilhabe am politischen, wirtschaftlichen und sozialen Leben ist fest mit der Idee der Menschenrechte verbunden. Auf den Zusammenhang zwischen Menschenrechten und Partizipation wird nun eingegangen. Menschenrechte wurden von Menschen erkämpft, die von gesellschaftlicher Teilhabe ausge- schlossen waren (vgl. Rudolf 2017: 13). Dabei stehen Menschenrechte nicht nur historisch, sondern auch konzeptionell mit Teilhabe in Verbindung. Sie sollen die Selbstbestimmung ei- nes jeden Menschen in all seinen Lebensbereichen ermöglichen (Art. 3a UN-BRK). Diese For- derung gewinnt für Menschen mit einer Beeinträchtigung besonders an Bedeutung, da diese, wie aufgezeigt, bis heute mit gesellschaftlichem Ausschluss konfrontiert sind,. Bedeutsam für das Verständnis der Teilhabeforderung in der UN-BRK ist der Begriff der Inklu- sion (s. Kapitel 4.1.2). Es ist festzuhalten, dass die tragenden Begriffe für ein umfassendes Verständnis gesellschaftlicher Partizipation laut UN-BRK die Inklusion bzw. Integration14 sind. Zentraler ist dabei die Verpflichtung, in politischer, praktischer und wissenschaftlicher Hinsicht, Teilhabe für Menschen mit einer Beeinträchtigung zu ermöglichen und umzusetzen. Kern der UN-BRK ist das umfassende Recht auf effektive und sinnvolle Einbeziehung Betroffe- ner in alle Lebensbereiche (vgl. SKMR 2019: 5). Zu den Lebensbereichen gehören u. a. die Rechts- und Handlungsfähigkeit (Art. 12 UN-BRK), das Recht auf Leben in Gemeinschaft (Art. 19 UN-BRK), die Teilhabe am Arbeitsleben (Art. 27) und der gleichberechtigte Zugang zu Bil- dungsmöglichkeiten. Die politische Teilhabe wird in der UN-BRK u. a. in Art. 4 Abs. 3 gefordert. Organisationen werden hier aufgerufen, Menschen mit Beeinträchtigung in politische Ent- scheidungsprozesse mit einzubeziehen (vgl. Hirschberg/Papadopoulos 2017: 108). Politische Teilhabe beschränkt sich dabei nicht ausschliesslich auf das Ausfüllen von Wahlzetteln. Wie Wacker ausführt, ist neben der Teilnahme an Wahlen auch die Partizipation im Netzwerk des Wohnorts, der Nachbarschaft, der Arbeit und der Familie gemeint (vgl. Wacker 2005: 337). Laut des Schattenberichts von Inclusion Handicap umfasst die politische Teilhabe neben dem Stimm- und Wahlrecht den barrierefreien Zugang zu politischen Informationen und politische Mandate (vgl. Bartelheimer 2007: 5–8). 14 Die Übersetzung des englischen Begriffs inclusion mit Integration und Inklusion ist umstritten. Beson- ders der Begriff Integration wird kritisiert, da die Konvention nicht das Einbeziehen von Aussen- stehenden zum Ziel hat, sondern von einer unmittelbaren Zugehörigkeit aller Menschen ausgeht (vgl. Kulig/Theunissen/Schirbort 2007: 51). 27 Wird das Teilgebiet der politischen Partizipation von Menschen mit einer Beeinträchtigung be- trachtet, treten besonders die Möglichkeiten für Mitbestimmung, d. h. das Einwirken auf Ent- scheidungen, deren Folgen alle betreffen, in den Vordergrund (vgl. Husi 2012: 110). Nach Weisser (2012: 170) umfasst diese Partizipationsform die Mitwirkung an der öffentlichen Mei- nungsbildung und an den Einrichtungen der Politik wie dem Parlament, den Parteien und der Regierung. Dabei wird zwischen der repräsentativ-demokratischen (Ausübung des Wahl- rechts) und der direkt-demokratischen (Initiativ- und Referendumsrecht) Partizipationsform un- terschieden. Innerhalb beider Formen kann nochmals unterschieden werden zwischen legalen Formen (z. B. öffentliche Kundgebung) und illegalen Formen (z. B. verbotene Demonstration) (vgl. Höcker 2006, zit. nach Husi 2012: 112.). Politische Partizipationsrechte dienen der demokratischen Teilhabe aller Bürger/-innen eines Staates. Sie sind für diese meist universell ausgestaltet und unterliegen einem strengen Gebot der Gleichheit (vgl. Welti 2005: 554). Nach Alexy ist jede Ungleichbehandlung beim Wahlrecht eine Verweigerung der politischen Autonomie (vgl. Alexy 1995, zit. nach: ebd.). Welti führt aus, dass der Staat dazu verpflichtet ist, Voraussetzungen für die Teilhabe zu schaffen. Wird ein rechtlicher und tatsächlicher Ausschluss von politischer Teilhabe für Menschen mit einer Be- einträchtigung geschaffen, unterliegt dies den strengen Rechten der staatsbürgerlichen Gleichheitssätze (vgl. Welti 2005: 554–555). Dazu führt Welti weiter aus, dass der Staat aus dem Gedanken der Gleichheit heraus barrierefreie Wahllokale schaffen muss, damit Men- schen mit einer Beeinträchtigung an Abstimmungen und damit an der Willensbildung des Staa- tes teilnehmen können. Gleiches gilt für die Teilhabe an politischen Ämtern und an gerichtli- chen Verfahren (vgl. ebd.: 555). Rechtlich gesehen schaut politische Partizipation auf eine lange Geschichte zurück und stand häufig zur Debatte (FRA Bericht 2010: 9). Auf europäischer Ebene wurde dieses Recht nach einer feierlichen Verkündung in Art. 21 in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung (EMRK) in weitere Konventionen und Pakten aufgenommen. Als entscheidendes Urteil gilt auch die Rechtsache Hirst gegen das Vereinigte Königreich Nr. 2. Dabei ging es um den Ausschluss verurteilter Häftlinge bei Wahlen. Das EMRK erklärte dazu: [Das] Wahlrecht ist kein Privileg. Im einundzwanzigsten Jahrhundert muss in einem demo- kratischen Staat die Rechtsvermutung zugunsten der Eingliederung ausfallen [...]. Das all- gemeine Wahlrecht ist zum Grundprinzip geworden [...]. Jedes Abweichen von diesem Prinzip birgt die Gefahr einer Aushöhlung der demokratischen Validität des so gewählten Gesetzgebers und der von ihm erlassenen Gesetze. (vgl. EGMR, Hirst gegen Vereinigtes Königreich 2005, zit. nach ebd.: 10)15 15 In den USA, bleibt auch nach Haftentlassung das Wahlrecht eingeschränkt, in der Schweiz jedoch nicht. Andere europäische Länder wie Frankreich, Deutschland und Italien erlauben die Aufhe- bung des Wahlrechts durch einen Gerichtsentschluss (vgl. Stephens 2019: o. S.). 28 Für die Schweiz sind die anfangs genannten Themen Wahlrecht bei Frauen und bei Auslän- der/-innen zu nennen. Die Verpflichtung der UN-BRK gegenüber den Vertragsstaaten, Menschen mit einer Beein- trächtigung in die politische Mitsprache mit einzubeziehen, soll im Folgenden dargestellt wer- den. Dass die Schweiz diese Vorgabe bisher ungenügend umsetzte, wird anschliessend auf- gezeigt. Abschliessend soll auf einen problematischen Nebengehalt bei unkritischer Leseart hingewie- sen werden. Integrationspolitik, speziell die im kommenden Kapitel expliziten Forderungen für eine politische Teilhabe, soll sich nicht als Beschränkung auf eine einseitige Anpassung einer gesellschaftlichen Randgruppe an die funktionierende Mehrheitsgesellschaft verstehen (vgl. Kronauer 2006, zit. nach Bartelheimer 2007: 7). Vielmehr handelt es sich, wie beim Benach- teiligungsverbot, nicht um ein besonderes Gruppenrecht, sondern darum, ein allgemeines Gleichheitsrecht in der definierten Situation der politischen Rechte für alle umzusetzen (vgl. Sacksofsky 1996, zit. nach Welti 2012: 373). 3.3 Einleitung der Rahmenbedingungen der politischen Partizipation in der Schweiz Der Einbezug von Menschen mit einer Beeinträchtigung in Entscheidungen, welche sie direkt betreffen, gehört zu den allgemeinen Grundsätzen der UN-BRK (Art. 3c). Er entspricht der Forderung «Nothing about us, without us.» der Behindertenrechtsbewegung (vgl. General Comment No. 7 2018: Rz. 4). Damit einher geht der anfangs genannte Paradigmenwechsel von Betroffenen als Objekte staatlicher Fürsorge hin zu Subjekten als Träger von Grund- und Menschenrechten (vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte 2018: 12). Im Sommer 2016 legte die Schweiz als Vertragsstaat der UN-BRK dem Ausschuss für die Rechte von Menschen mit einer Behinderung ihren ersten Staatenbericht zur Umsetzung vor. Solche Berichte gehören zum Protokoll nach einer Ratifizierung eines Abkommens in allen Ländern. Problematische oder kritische Erkenntnisse in Bezug auf politische Partizipation von Menschen mit einer Beeinträchtigung waren darin aber nicht zu finden (vgl. Heinzmann 2018: 4). Inclusion Handicap sah den Staatenbericht kritisch und erarbeitete parallel dazu in Zusam- menarbeit mit 25 Mitgliederorganisationen, Fachpersonen sowie Betroffenen einen Schatten- bericht. Anhand ihrer Analysen zum Stand der Situation, stellten sie fest, dass der politische Wille zur Umsetzung für viele Bereiche, darunter die politische Teilhabe von Menschen mit einer Beeinträchtigung, noch fehlt (vgl. Inclusion Handicap 2017: o. S.). 29 2019 veröffentlichte das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte (SKMR) eine Kurzstudie zu den Vorgaben und Umsetzungen der Behindertenrechtskonvention (vgl. SKMR 2019). Auf europäischer Ebene befasste sich insbesondere die European Union Agency for Fundamental Rights mit dem Recht auf politische Teilhabe von Menschen mit einer Beeinträchtigung. Dazu wurden Daten aus 28 europäischen Ländern erfasst. Es folgte ein Bericht und Indikatoren für das Recht auf politische Teilhabe wurden veröffentlicht (vgl. FRA Bericht 2010). Zu nennen ist auch der General Comment Nr. 7, der mittels konkreter Beispiele zur Umsetzung der Verpflichtungen zur Orientierung beiträgt (vgl. General Comment No. 7 2018). 3.3.1 Verfassungsgrundlagen für politische Rechte der Schweizer Bevölkerung In diesem Kapitel soll das verfassungsmässige Recht auf politische Teilhabe, welches allen Schweizer/-innen zusteht, betrachtet werden. Dies wird aufgezeigt, um belegen zu können, dass ein Recht auf politische Teilhabe für die Schweizer Bürger/-innen besteht. Dieses Recht ergibt sich aus dem Demokratiegedanken der Verfassung. Schon in der Präam- bel der Bundesverfassung, wird im Bestreben die Freiheit und Demokratie zu stärken, die De- mokratie als Grundlage für das Zusammenleben und das politische System benannt. Diese gelte es zu stärken und alle Bürger/-innen mit einzubeziehen (vgl. BV 1999: SR 101). Der Partizipationsgedanke findet sich dagegen nicht als ausgeschriebener Artikel in der Verfas- sung, wird aber in den folgenden Artikeln näher bestimmt. Konkreter wird die Bundesverfassung in Art. 34 Abs. 1 und Abs. 2. Hier wird deutlich, dass es ein politisches Bürgerrecht gibt («Die politischen Rechte sind gewährleistet» (Art. 34 Abs. 1 BV)). Dieser Artikel garantiert die politischen Rechte. Er verleiht den Bürger/-innen grundsätz- lich Rechte auf institutioneller Ebene, um ihre Interessen zu vertreten. Dabei haben grundsätz- lich alle die gleichen politischen Rechte und Pflichten. Dies wird in Abs. 2 desselben Artikels deutlich. Es wird verdeutlicht, dass es nicht zu einer Bevorzugung einzelner Menschengrup- pen kommen soll. Es heisst dort: «Die Garantie der politischen Rechte schützt die freie Wil- lensbildung und die unverfälschte Stimmabgabe» (Art. 34 Abs. 2 BV). Das politische Recht steht demzufolge allen Schweizer/-innen und Schweizern ab 18. Jahren in gleicher Weise zu. Laut des Diskriminierungsverbots in Art. 8 Abs. 2 BV dürfen Menschen mit einer Beeinträchti- gung bei der Wahrnehmung ihrer politischen Rechte nicht diskriminiert werden. Wird Betroffe- nen der Zugang erschwert oder verhindert, schreibt das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) die Beseitigung oder Unterlassung der Benachteiligung vor (Art. 8 Abs. 1 BehiG). Wie Weisser erwähnt, wird die demokratische Partizipation meist auf die Stimmabgabe redu- ziert (vgl. Weisser 2012: 170–171). Daher wird hier noch auf weitere Artikel bzgl. politischer 30 Partizipation hingewiesen. Es handelt sich dabei mehr um informelle Möglichkeiten, sich zu beteiligen. Dazu zählen u. a. die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 15 BV), die Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 16 BV), der Anspruch auf Grundschulunterricht (Art. 19 BV), die Kunstfreiheit (Art. 21 BV), die Versammlungsfreiheit (Art. 22 BV) und die allgemeinen Verfah- rensgarantien (Art. 29 BV).16 Eine Einschränkung dieser politischen Grundrechte bedarf nach Art. 36 BV einer gesetzlichen Grundlage. Diese muss durch öffentliches Interesse oder zum Schutz von Grundrechten Drit- ter gerechtfertigt werden (Art. 36 Abs. 2) und die Einschränkung muss verhältnismässig sein (Art. 36 Abs. 3). Eine Ausnahme sieht die Bundesverfassung aber vor. Das Stimmrecht gilt nur für alle über 18-Jährigen, die nicht wegen «Geisteskrankheit und Geistesschwäche entmün- digt» (Art. 136 BV) sind. Das Bundesgesetz über politische Rechte (BPR) enthält in Art. 4 eine analoge Bestimmung, nimmt aber Bezug auf das neue Erwachsenenschutzrecht, indem der Stimmrechtsentzug anstatt an eine Entmündigung an eine wegen dauernder Urteilsunfähigkeit errichtete umfassende Beistandschaft geknüpft wird (vgl. Inclusion Handicap 2017: 135).17 Dieser Stimm- und Wahlrechtsauschluss auf Verfassungsebene gilt für die anfangs ge- nannten ca. 15'000 Betroffenen unter umfassender Beistandschaft. Die Diskriminierung von Menschen mit einer Beeinträchtigung beschränkt sich aber nicht hierauf. Auf die Problemfelder der politischen Meinungsbildung, den Zugang zur Stimmabgabe und zu politischen Mandaten sowie auf den Einbezug von Betroffenen in sie explizit betreffende Prozesse wird nun eingegangen. 3.3.2 Vorgaben der UN-BRK Anhand der UN-BRK und diesbezüglichen Kommentaren sollen die Möglichkeiten für politi- sche Teilhabe ersichtlicher werden. Besondere Bedeutung hat Art. 29 der UN-BRK. Konkreti- siert wird dieser v. a. durch Kommentare des Behindertenrechtsauschusses der UN. Die Vorgaben der UN-BRK können in zwei bestehende Problemfelder unterteilt werden. Zum ersten geht es darum, eine Umsetzungsverpflichtung bzgl. gleichberechtigter Möglichkeiten bei der politischen Einflussnahme zu schaffen. Dazu gehören z. B. Wahlen und politische Äm- 16 Zudem: Medienfreiheit (Art. 17 BV), Sprachfreiheit (Art. 18 BV) Wissenschaftsfreiheit (Art. 20 BV), Vereinigungsfreiheit (Art. 23 BV), Koalitionsfreiheit (Art. 28 BV), Rechtsweggarantie (Art 29a), Pe- titionsfreiheit (Art. 33 BV) und Verwirklichung der Grundrechte (Art. 35 BV). 17 Während die Kantone dies für ihr Stimm- und Wahlrecht rezipieren, besteht im Kanton Waadt ein formalisiertes Verfahren zur Wiedererlangung der politischen Rechte und im Kanton Genf können politische Rechte bei dauernder Urteilsunfähigkeit nur richterlich entzogen werden (vgl. Inclusion Handicap 2017: 135) 31 ter. Das zweite Problemfeld umfasst den expliziten Einbezug Betroffener in Entscheidungs- prozesse, die sie direkt betreffen. Dies können bspw. Themen wie die Umsetzung der UN- BRK, die persönliche Unterstützung, die Deinstitutionalisierung, die Sozialversicherung, die Invalidenrente, der Zugang zu Bildung, die Arbeit oder die Gesundheit sein (vgl. SKMR 2019: 8). 3.4 Erstes Problemfeld Im Hinblick auf den menschenrechtlichen Grundsatz, zu wählen und gewählt zu werden, kon- kretisiert Art. 29 der UN-BRK die Ausgestaltung des Wahlrechts für die Schweiz. Die Vertrags- staaten müssen aufgrund ihrer Gewährleistungspflicht aktiv tätig werden (vgl. Palleit 2011: 7). In diesem Zusammenhang kritisiert der Schattenbericht von Inclusion Handicap folgende Punkte: 3.4.1 Stimm- und Wahlrecht für alle Menschen mit einer Beeinträchtigung Die grösste Diskriminierung bei der Ausübung der politischen Rechte erfahren Menschen, die auf Grundlage von Art. 136 Abs. 1 BV und Art. 2 BPR gänzlich vom Wahl- und Stimmrecht ausgeschlossen sind. Für Inclusion Handicap ist dies insofern besonders problematisch, da diesem Ausschluss stereotype Vorstellungen von Unfähigkeit bei Menschen mit einer Beein- trächtigung zugrunde liegen. Durch die Forderung des unbedingten Wahlrechts für alle wird die Annahme kritisiert, dass sich aus den verschiedenen Weisen, den Verstand zu gebrau- chen, unterschiedliche Wirkungsfelder auf politische Partizipation ergeben. Dies trägt nicht zur Perfektibilität des Menschen bei, d. h. der Grundannahme der Aufklärungsphilosophie, nach welcher alle Menschen gleichermassen entwicklungsbedürftig sind (vgl. Jentsch 2012: 13). Es finden sich verschiedene Argumente gegen ein Wahlrecht für Menschen mit einer kogniti- ven Beeinträchtigung. So nennen Kritiker einer Anerkennung des Wahlrechts die Miss- brauchsgefahr. Durch die Abhängigkeit vom Helfersystem, könnten die Wahlunterlagen nicht im Sinne des Betroffenen ausgefüllt werden. Palleit (2012: 2) entgegnet, dass es in der Praxis tatsächlich schwierig sei sicherzustellen, dass das Wahlrecht von Betroffenen persönlich aus- geführt wird. Weiter führt er aber aus, dass dieses Risiko bereits bei der Briefwahl in Pflege- heimen hingenommen wird. Ein weiteres Argument, welches von Kritikern genannt wird, ist die Idee, die Wahlkompetenz bei Menschen mit einer Beeinträchtigung zu testen. Da die Fähigkeit zum Wählen aber bei niemand anderem getestet wird, käme ein solcher Test einer Diskriminierung gleich (Hammer- berg 2006, zit. nach Palleit 2012: 13). In diesem Sinn kann auch festgehalten werden, dass es sich beim Wahlrecht um ein Recht handelt, welches nicht nach der Beschaffenheit des Indivi- duums fragt. Palleit führt weiter aus: «Entweder Menschen sind trotz Unterstützung nicht in 32 der Lage zu wählen, dann braucht man ihnen auch das Recht dazu nicht abzuerkennen; oder aber sie können wählen, dann ist es aus menschenrechtlicher Perspektive nicht hinnehmbar, wenn sie es nicht dürfen» (ebd.: 2). «Entscheidend ist nicht, welche Fähigkeiten jemand hat oder nicht [hat], sondern ob die für sie oder ihn jeweils notwendige Unterstützung generiert werden kann» (ebd.: 12). Die Willkür und Widersprüchlichkeit der Kritik gegenüber einem Wahlrecht für Menschen mit umfassender Beistandschaft zeigt sich auch darin, dass politische Entscheidungen in der Mehrheitsgesellschaft häufig weniger durch konkrete Gründe, sondern mehr durch Interessen, Bedürfnisse, spontane Neigungen wie Machtstreben, Neid, Sympathie oder Hilfsimpulse ge- troffen werden. All diese Gründe scheinen aber zugleich in der Kritik bzgl. des Wahlrechts für Betroffene mit kognitiven Beeinträchtigungen als Ausschlusskriterium verwendet zu werden. Die Interessen, die sich am Ende in der Politik durchsetzen, sind meist eine Frage der realen Machtverteilung und basieren selten auf einem offenen Austausch freier, vernunftgeleiteter Anerkennung von Argumenten (vgl. ebd.: 13). In diesem Sinne scheint es schwer nachvoll- ziehbar, dass die Politik nicht vermehrt auch durch die Neigungen, Bedürfnisse und Sympa- thien von Menschen mit einer Beeinträchtigung mitgestaltet wird. Ein weiterer Aspekt wird im Schattenbericht anhand eines Erfahrungsberichts thematisiert. So kam es vor, dass Menschen ein Anrecht auf Wahlunterlagen hatten, diese jedoch nicht zuge- stellt bekamen.18 Der Schattenbericht fordert die Streichung des systematischen Ausschlus- ses in Art. 136 Abs. 1 BV und Art. 4 BRP sowie die entsprechenden Bestimmungen auf kan- tonaler Ebene19 (vgl. Inclusion Handicap 2017: 136–139). 4.4.2 Zugang zu politischer Meinungsbildung Der barrierefreie Zugang zu politischen Informationen dient der Gewährleistung für die Aus- übung des politischen Rechts (vgl. Palleit 2011: 7). Inclusion Handicap hält fest, dass die öf- fentliche Meinungsbildung in den Medien, aber auch die eigentlichen Wahl- und Abstimmungs- unterlagen nicht durchgehend auf die Bedürfnisse von Menschen mit einer Beeinträchtigung 18 Auf europäischer Ebene hat sich das Bewusstsein zu diesem Ausschluss in den letzten Jahren ge- schärft. Als wegweisend ist hierzu das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EGMR) vom Mai 2010 zu nennen. Ungarn wurde für die Einschränkung des Wahlrechts gerügt. Das EGMR unter- strich dabei, dass die Einschränkung mit Blick auf die von Diskriminierung geprägte Vergangenheit von Menschen mit einer kognitiven Lernbeeinträchtigung besonders schwer wiege. Einen Über- blick dazu liefert die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (vgl. FRA Bericht 2010: 12– 14). 19 Als erster Kanton hat Genf im Feb. 2020 entschieden, dass Menschen mit einer Beeinträchtigung nicht länger vom Wahl- und Kandidatenrecht ausgeschlossen werden sollen. Genf war bisher ei- ner der wenigen Kantone mit einer differenzierten Regelung. Das Genfer Parlament hat beschlos- sen, die Bestimmung «dauerhaft unfähig» aufzuheben. Menschen, denen das Stimmrecht entzo- gen wurde, bekommen dieses auf kantonaler und kommunaler Ebene zurück. Das letzte Wort dazu hat nun noch das Stimmvolk (vgl. Inclusion Handicap 2020: o. S.). 33 ausgerichtet sind. Zwar stellen der Bund, die Kantone und wenige Gemeinden die offiziellen Unterlagen als Audio-CD zur Verfügung, es fehlen aber Materialien in Brailleschrift, Gebär- densprache und leichter Sprache (vgl. Inclusion Handicap 2017: 137). Für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung sind die Teilhabemöglichkeiten zudem aufgrund fehlender politischer Bildung besonders beschränkt. Der Bund sieht bisher keine Notwendigkeit für politische Informationen in leichter Sprache. Er begründet dies mit der Schwierigkeit, Erläuterungen vollständig, sachlich und transparent in die leichte Sprache zu übersetzen (vgl. Motion 18.4395 2018: o. S.). Im Oktober 2019 wider- legten Insieme und Easyvote dieses Argument mit einer Wahlbroschüre. Inclusion Handicap fordert weiterhin die Schaffung von Strukturen auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene, um den Betroffenen die selbstbestimmte Teilhabe mit ggf. notwendiger Unterstützung zu er- möglichen. Neben der Sicherstellung des barrierefreien Zugangs zu Stimm- und Wahllokalen wird zudem die Verpflichtung zur Gewährleistung eines barrierefreien Zugangs zu Gebäuden politischer bzw. amtlicher Gremien und damit zu Debatten und Verhandlungen in Parlament, Exekutive und Judikative gefordert (vgl. Inclusion Handicap 2017: 140). 3.4.3 Zugang zur Stimmabgabe- und Unterzeichnung Einige Kantone sehen die Stimmabgabe bei Menschen mit einer Beeinträchtigung mittels einer anderen stimmberechtigten Person oder einer Person mit behördlicher Funktion vor. Die UN- BRK sieht die Stimmabgebe mit Hilfe einer Vertrauensperson als Möglichkeit vor. Inclusion Handicap betrachtet die damit einhergehende Abhängigkeit zu der Unterstützungsperson und das Missbrauchsrisiko als problematisch und fordert die Förderung von Stimm- und Wahl- schablonen und die Förderung von E-Voting und E-Collecting.20 Eine Unterstützung durch Dritte sieht der Schattenbericht im Bedarfsfall vor – unter der Bedingung, dass die Person durch den Betroffenen selbst gewählt wird und Sicherheitsmassnahmen gegen Missbrauch bestehen (vgl. ebd.: 138–140). 3.4.4 Politische Ämter und öffentliche Mandate Bisher fanden wenig Bemühungen hinsichtlich der politischen Partizipation von Menschen mit einer Beeinträchtigung als politische und öffentliche Mandatsträger/-innen statt. Die Heraus- forderungen für die Wahrnehmung solcher Ämter sind nicht nur technischer, sondern auch sozialer Art. Je schwerer die Einschränkung beim Betroffenen und je höher die Position des 20 Es gab verschiedene Projekte für E-Collecting und E-Voting, u. a. im Kanton Genf und Basel-Stadt. Die Projekte wurden sistiert. Es bestehen Sicherheitsbedenken. Das Thema gilt als Herausforde- rung für die direkte Demokratie (vgl. Bisaz/Serdült 2017). Laut einem Telefonat mit einer betroffe- nen Person ist nicht nachvollziehbar, warum für Auslandschweizer/-innen das E-Voting möglich sein soll, nicht aber als barrierefreier Zugang für Menschen mit einer Beeinträchtigung. 34 Amtes, desto grösser scheinen die Herausforderungen zu werden (vgl. ebd.: 138). So gibt es nur wenige Politiker mit einer Beeinträchtigung. Bekannt sind z. B. Christian Lohr, Manuele Bartoli und Helene Jarmer mit körperlichen Beeinträchtigungen. Laut einer Umfrage von AGILE.CH im Oktober 2019 bei den acht grossen Parteien der Schweiz besteht kaum Unterstützung der Parteien für Menschen mit einer Beeinträchtigung. Gefragt wurde, wie viele Betroffene sich politisch in der Partei engagieren, wie viele davon ein Amt inne haben, ob die Partei konkrete Schritte unternimmt, Menschen mit einer Beeinträch- tigung für die Partei zu motivieren, und ob Fördermassnahmen und Unterstützungen für Inte- ressierte an einem Amt vorhanden sind. Die Ergebnisse zeigten, dass der Begriff Inklusion ein Fremdwort für die Parteien zu sein scheint. Differenzierte und konkrete Unterstützungsange- bote scheinen kaum zu bestehen. Durch die Umfrage zeigten sich die Grünen dann aber mo- tiviert, in Institutionen für Menschen mit einer Beeinträchtigung zu gehen, um dort den Kontakt aufzubauen (vgl. AGILE 2018: 12–23). 3.5 Zweites Problemfeld Das zweite Problemfeld sind politische und öffentliche Entscheidungsprozesse, die sich direkt auf Menschen mit einer Beeinträchtigung beziehen. Der Behindertenrechtsausschuss nennt dazu die eingangs erwähnten Themen von Deinstitutionalisierung, Zugänglichkeitsanforderun- gen etc. Indirekten Einfluss auf Menschen mit einer Beeinträchtigung hat zudem das staatliche Budget. Nach Ansicht des Behindertenrechtsausschusses sollten Betroffene auch hier einbe- zogen werden (vgl. General Comment Rz. 18, zit. nach SKMR 2019: 8). Im «Report of the Special Rapporteur on the Rights of Persons with Disabilities» wird diesbe- züglich darauf hingewiesen, dass Betroffene nicht nur bei der Politikformulierung zu Wort kom- men müssen, sondern dass sich der Einbezug auf alle Stadien der öffentlichen Entscheidungs- findung bezieht. Konkret umfasst dies vorbereitende Studien und Analysen, Entwürfe für Gesetze, die Umsetzung von Gesetzen und Politiken (z. B. die Rekrutierung Betroffener in die Administration) und die Evaluation der Gesetze, Politiken und Programme. Dabei sollte zudem die Beteiligung Betroffener ausgewertet werden (vgl. Report Rz. 64, zit. nach ebd.). Art. 33 Abs. 3 der UN-BRK verweist auf den Überwachungsprozess sowie die Schaffung staat- licher Anlaufstellen und Rahmenbedingungen zu den Umsetzungen der UN-BRK. Auch hier sollten Menschen mit einer Beeinträchtigung und betroffene Organisationen eingebunden sein (vgl. Report Rz. 89-90, zit. nach ebd.: 9). Das SKMR befasst sich in der o. g. Studie mit diesem Problemfeld. Es werden der persönliche Anwendungsbereich (wer) und die Modalitäten der Beteiligung (wie) betrachtet. 35 3.5.1 Wer soll einbezogen sein? Auf die Frage, wer Einbezug finden soll, wird im Bericht der SKMR hingewiesen. In der Studie wird unterschieden zwischen Organisation für Menschen mit einer Beeinträchtigung und Or- ganisationen von Menschen mit einer Beeinträchtigung. Bei ersterer, so erwähnt der Behin- dertenrechtsauschuss regelmäßig, kann es zu Konflikten zwischen den Interessen der Dienst- leister und den Rechten von Menschen mit einer Beeinträchtigung kommen. In der Schweiz sind da die Dachverbände, wie Insieme, Curaviva oder der VAHS angesprochen. Mehr und direktere Legitimation zur Vertretung von Menschen mit Beeinträchtigung geniessen daher Organisationen, die von Betroffenen geleitet und zum Großteil aus Mitgliedern mit einer Be- einträchtigung bestehen (vgl. General Comment Rz. 12 (c), zit. nach ebd.: 9–10). Das sind z. B. AGILE.CH, Selbstbestimmung.ch oder Mensch-zuerst.ch. 3.5.2 Wie soll der Einzug stattfinden? Der General Comment betont den Einbezug auf allen Ebenen der Regierung (lokal, regional, national, international) und dies sowohl in legislativen und exekutiven Prozessen. Neben Sit- zen in Gremien (temporär und permanent) sollen Menschen mit einer Beeinträchtigung auch an Konsultationsprozessen, runden Tischen, partizipativen Dialogen und öffentlichen Anhö- rungen teilnehmen. Gefördert werden sollen zudem zugängliche digitale Partizipationsmetho- den (vgl. General Comment 54, 94, zit. nach ebd.: 11). Das Recht, Petitionen und Referenden zu unterzeichnen oder auch selber zu initiieren, ergibt sich auch aus Art. 29 UN-BRK. Damit die Partizipation sich als wirksam (meaningful) erweisen kann, empfiehlt der Behinder- tenrechtsauschuss, den geäußerten Ansichten von Menschen mit einer Beeinträchtigung an- gemessenes Gewicht (due weight) und demensprechend Priorität zuzusprechen. Die anderen Teilnehmer werden im General Comment ausdrücklich darauf hingewiesen, ihre Überlegun- gen, Argumente und Ansichten in verständlicher und zugänglicher Form zu präsentieren (vgl. General Comment Rz. 23 und 48, zit. nach ebd.: 12). Für die Berücksichtigung von Kindern mit einer Beeinträchtigung schlägt der Behinderten- rechtsauschuss den Staaten vor, Seminare speziell für Kinder zu veranstalten und diese dazu zu ermutigen, Essays zu spezifischen Themen zu schreiben, welche dann als Stellungsnah- men berücksichtigt werden (vgl. General Comment Rz. 26, zit. nach ebd.: 11). 3.5.3 Selbstvertreterorganisationen In Kommentaren des Schattenberichts von Inclusion Handicap, dem Bericht des SKMR, den Berichten der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte aber auch in Berichten des Deutschen Instituts für Menschenrechte (welche sich auf Deutschland beziehen), 36 wird – meist nicht in eigenen Kapiteln, aber in Anmerkungen – die Bedeutung von Selbstver- treterorganisationen hervorgehoben. Da diese als Ansprechpartner/-innen für die Politik und als Vertreter/-innen für die Interessen der Betroffenen Bedeutung haben, wird auf sie einge- gangen.21 Für Deutschland haben Kniel und Windisch 2005 People-First-Gruppen untersucht. Sie haben diese auf formale Kriterien, Gruppenziele, Aktivitäten und Unterstützung hin untersucht. Bei den Organisationsstrukturen wurden Ähnlichkeiten mit typischen Selbsthilfegruppen festge- stellt. Überwiegend handelte es sich um Zusammenschlüsse auf lokaler Ebene, ohne formalen Status, oder um eingetragene Vereine. Die Arbeit der Selbstvertreter/-innen ist meist im Kon- text von Organisationen der Behindertenhilfe angesiedelt (vgl. Kniel und Windisch 2005, zit. nach Niess 2016: 51). Diese Merkmale scheinen auch in der Schweiz zutreffend. Die «Gruppe Mitsprache Zürich» entstand bspw. durch den damaligen Leiter des Bildungsclubs Pro Infirmis Zürich, der für eine Tagung zum Thema Selbstbestimmung warb. Seitdem trifft sich diese Gruppe regelmäßig (vgl. Heinzmann 2018: 42). Die Gruppe «Wir für uns» entstand auch im Rahmen einer Konferenz und besteht angegliedert an die Institution HPV Rohrschach weiter- hin (vgl. Breu 2010: 47–48). Goodly unterscheidet nach einer Rezeption des People First Washington State vier Typologien für Selbstvertreterorganisationen. Im autonomen Modell agieren Gruppen unabhängig von Or- ganisationen. Beim Bereichsmodell handelt es sich um Gruppen, die Verbänden wie einer Elternvereinigung angeschlossen sind. Im Koalitionsmodell entstammen die Gruppen anderen Zusammenschlüssen Betroffener. Im vierten Modell handelt es sich um Gruppen, die sozialen Diensten angeschlossen sind, also im Kontext von Einrichtungen der Behindertenhilfe verord- net sind (vgl. Goodly 2001, zit. nach Niess 2016: 51). In der Literatur wird häufig davon aus- gegangen, dass nach dem autonomen Modell strukturierte Gruppen am vorteilhaftesten sind, da eine Anbindung an Einrichtungen Probleme verursacht und Interessenvertretungen unmög- lich macht (vgl. ebd.: 52). Kniel und Windisch verordnen eine generelle Schwierigkeit für Selbstvertreterorganisationen in der materiellen Ausstattung (Kniel und Windisch zit. nach ebd.: 56). Diese Herausforderung scheint auch in der Schweiz zu bestehen. Einzelne Projekte werden unterstützt, aber es han- delt sich dabei meist um individuelle Lösungen. Das Zentrum für Selbstbestimmtes Leben (ZSL) wurde zu 70 % vom Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) mit einem Leistungs- auftrag finanziert (vgl. ZSLschweiz 2020: o. S.). Der Verein Mitsprache wird finanziell durch Pro Infirmis Zürich unterstützt. Er kann damit Löhne für Assistent/-innen bezahlen (vgl. Gruppe Mitsprache 2020: o. S.). Die Zuwendungen aber nicht kostendeckend. Private Spenden und 21Das European Network on Independent Living (ENIL) repräsentiert auf europäischer Ebene die Be- wegung und setzt sich für Demokratie, Selbstvertretung, soziale Inklusion, Deinstitutionalisierung, etc. ein (s. http://enil.eu). 37 finanzielle Zuwendungen von Organisationen bringen zudem Abhängigkeiten. Insgesamt ist festzuhalten, dass der Bund zwar Dachverbände für Menschen mit einer Beeinträchtigung fi- nanziell unterstützt, dieses Geld aber hauptsächlich zur Finanzierung von Hilfsangeboten für die Betroffenen gedacht ist. Direktzahlungen an Selbstvertreterorganisationen scheinen nicht vorgesehen. Selbstvertreterorganisationen sind daher gezwungen, die Mittel selber zu be- schaffen. Da Selbstvertreterorganisationen zudem keine karitativen Angebote haben, sind diese nicht steuerbefreit. Ohne diese Steuerbefreiung ist es schwierig, Spenden zu generieren (vgl. Tagesanzeiger 2019: o. S.). Mit der Argumentation von Welti, der in seinem Beitrag zur kritischen Justiz betont: «Die Mehr- heitsgesellschaft muss nicht immer wissen, was Gleichberechtigung und Zugänglichkeit für behinderte Menschen sichert – sie soll sich aber angewöhnen, vorher nachzufragen» (Welti 2012: 375), kann argumentiert werden, dass es eine solide Finanzierung und Förderung von Weiterbildungen für Selbstvertreter/-innen braucht. Einzelne Initiativen sind bisher nichtsdes- totrotz entstanden. Sensability bietet den Fachkurs «Wir vertreten uns selbst!» für Selbstver- treter/-innen an. 3.5.4 Erhebung von Daten zur Messung der politischen Teilhabe Insbesondere die Agentur der europäischen Union für Grundrechte hebt in ihrem Bericht die Notwendigkeit der Erhebung von Daten zur Messung der politischen Teilhabe von Menschen mit einer Beeinträchtigung hervor. In ihrem Bericht stellen sie für die europäische Union fest, dass es aufgrund des Mangels an Informationen noch nicht möglich ist, den Sachverhalt in Bezug auf die politische Teilhabe von Menschen mit einer Beeinträchtigung abschätzen zu können. Dort, wo Daten bestehen, sind vergleichende Analysen zudem schwierig, da kein gemeinsames Verständnis von Beeinträch- tigung zwischen den Ländern besteht. Zudem beziehen sich die Daten meist nur auf Men- schen mit körperlichen Beeinträchtigungen und schliessen damit andere Menschen mit weni- ger sichtbaren Hindernissen aus (vgl. FRA Bericht 2010: 10). In der Schweiz sind mir neben dem Bericht der SKMR nur das Projekt «Disabled in Politics» der Universität Zürich bekannt.22 Bei beiden handelt es sich um qualitative Arbeiten zur Schaf- fung von Bewusstsein, nicht um eine systemische Erfassung von Daten. Werden die Daten des Amts für Statistik (BFS) angeschaut, ist nicht ersichtlich, ob sie zutreffend sind. Menschen mit einer Beeinträchtigung wird in der Statistik zur politischen Teilhabe ein ähnlich politisches Interesse und eine ähnliche Teilnahme an Wahlen wie der Mehrheitsgesellschaft bescheinigt. 22 s. https://www.ife.uzh.ch/de/research/gpb/forschung/Partizipative-Forschung/Disabled-in-Poli- tics.html 38 So seien Unterschiede von Menschen, die in ihrem Alltag stark eingeschränkt sind, nicht sig- nifikant (vgl. BFS 2015: o. S.). Das BFS legt seiner Statistik das medizinische Modell von Be- hinderung zugrunde. Es kann davon ausgegangen werden, dass nur Menschen mit einer kör- perlichen Beeinträchtigung Eingang gefunden haben, nicht aber Menschen mit einer kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung. 3.6 Fazit Politische Teilhabe von Menschen mit einer Beeinträchtigung findet in der Schweiz als gesell- schaftliches Thema noch kaum Eingang in den Diskurs (vgl. Heinzmann 2018: 9). Es wurde gezeigt, dass auf Verfassungsebene Diskriminierung und Ausschluss für Betroffene besteht. Wird über die Landesgrenze hinausgeschaut, zeigt sich in einzelnen Staaten, wie z. B. in Ös- terreich, den Niederlanden und Großbritannien, dass die Schweiz bei der Gleichstellung schlechter dasteht.23 Dies erstaunt, denn der Föderalismus und die plebiszitäre Demokratie gehören zum nationalen Selbstverständnis der Schweiz. Im März 2012 hat der UN-Menschenrechtsrat in einer Resolution alle Staaten aufgefordert, dringend ihre Gesetze auf Diskriminierung, Ausschließung oder Beschränkung politischer Rechte von Menschen mit einer Beeinträchtigung, einschließlich solcher mit psychosozialer, psychischer und kognitiver Entwicklungsbeeinträchtigung, hin zu überprüfen. Es sollen dabei alle gesetzgeberischen Maßnahmen zur Beseitigung diskriminierender Gesetze, Bräuche und Praktiken ergriffen werden (vgl. Palleit 2012: 2–3). Die im letzten Kapitel dargelegten Problem- felder zeigen, dass diese Aufforderung auch die Schweiz betrifft und ein Nachholbedarf be- steht. Gleichstellung bei der politischen Partizipation ergibt sich aber nicht allein durch die Streichung der betreffenden diskriminierenden Gesetzesartikel. Es braucht Barrierefreiheit in politischen Diskursen, bei Unterlagen sowie bei politischer Bildung, und Betroffene müssen in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Nur so kann der Anspruch der UN-BRK erfüllt werden. Die Relevanz des Themas der politischen Partizipation von Menschen mit einer Beeinträchti- gung ist dabei aus vielerlei Hinsicht gegeben. Hirschberg fasst dies treffend zusammen: Partizipation bei politischen Prozessen zu gewähren bedeutet, menschenrechtliche Anfor- derungen zu erfüllen. Darüber hinaus gründet sich sinnvoll gestaltete Partizipation auf die Anerkennung des Menschen als Rechtssubjekt und Träger der menschlichen Würde. So kann die Partizipation von behinderten Menschen zu qualitativ besseren Resultaten politi- scher Prozesse führen, je stärker die Meinungen und Erfahrungen behinderter Menschen beachtet werden. […] Eine Politik, die die betreffende Gruppe einbezieht, wird von dieser eher akzeptiert. Partizipation im Sinne von Mitbestimmung eröffnet mehr Kontrolle über das eigene Leben mit Behinderung. Daher haben partizipative Prozesse für alle involvier- ten Akteure nachhaltige Effekte. So fördert Partizipation, verstanden als gleichberechtigte Einbeziehung, die Humanisierung der Gesellschaft. (vgl. Hirschberg 2010: 3–4) 23 Für einen europäischen Vergleich, s. FRA 2010: 15–20 39 4 Politische Bildung «Ich verstehe es schon sehr gut. Ich brauche einfach den gesamten Mor- gen mit den Wahlbüchlein, dann ist der Morgen schon fast vorbei. Aber da- für weiss ich auch, um was geht. Wenn ich eben nicht verstehe, dann gehe im Internet schauen.» (Bright in SRF 2019a: 00:01–00:21) Im kommenden Kapitel soll auf mögliche Ansatzpunkte einer politischen Bildung für Menschen mit einer kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung eingegangen werden. Anfangs werden die Ziele politischer Bildung beschrieben, dann wird auf ein Politik Kompetenzmodell geschaut und zuletzt Zugänge für adressatengerechte politische Bildung ausgelegt. 4.1 Einleitung Durch die Literaturrecherche und Nachfragen bei verschiedenen Organisationen wie AGILE.CH, Procap oder Sensability bestätigte sich der Eindruck, dass es bisher nur begrenzt Bestrebungen gibt, Menschen mit einer kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung in der Wahr- nehmung ihrer politischen Pflichten zu unterstützen. Das verbreitete Vorurteil ihnen gegen- über, sie besässen keine politische Bildungs- und Urteilsfähigkeit, erschwert den Zugang zu politischer Partizipation augenscheinlich (vgl. Dönges et al. 2015: 9). Bei der Literaturrecherche wurde wenig Literatur zu Thema politische Bildung von Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung gefunden. Neben der sich auf Deutschland beziehenden Arbeit von Klamp-Gretschel «Politische Teilhabe von Frauen mit geistiger Behinderung. Be- deutung und Perspektiven der Partizipation», einzelnen Berichten im Rahmen der Demokra- tieWEBstatt in Österreich findet sich nur noch der von der deutschen Bundeszentrale für poli- tische Bildung herausgegebene Sammelband «Didaktik der inklusiven politischen Bildung» von Dönges, Hilpert und Zurstrassen. Dieser entstand im Nachgang zu einem inklusiven poli- tischen Workshop der Bundeszentrale für politische Bildung. In der UN-BRK wird Menschen mit einer Beeinträchtigung das Recht auf Bildung «ohne Dis- kriminierung auf Grundlage der Chancengleichheit» zugesprochen und die Befähigung zur «wirklichen Teilhabe an der freien Gesellschaft» (Art. 24 Abs. 1c) als Ziel genannt. Es ist dabei die Aufgabe des Staates «aktiv ein Umfeld [...] fördern, in dem Menschen mit Behinderungen ohne Diskriminierung und gleichberechtigt mit anderen wirksam und umfassend an der Ge- staltung der öffentlichen Angelegenheiten mitwirken können« (Artikel 29 Absatz 1a). Das fol- gende Kapitel widmet sich nun der zweiten Fragestellung dieser Arbeit, nämlich der Frage: 40 Was sind mögliche didaktische und inhaltliche Elemente für politische Bildung und wo sind Räume dafür? Die Relevanz dieser Fragestellung soll durch die nun folgende Ausführung eröffnet werden. Wie zu Beginn dieser Literaturarbeit festgestellt wurde, leben noch heute die meisten Men- schen mit einer kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung in für sie geschaffenen institutionel- len Strukturen. Damit einhergehend sind zwangsläufig die Zugänge zu gesellschaftlichen Räu- men eingeschränkt (vgl. ebd.). Politische Sozialisation aber bedingt das «nicht absichtsvolle Beeinflussen durch das gesellschaftliche Umfeld» (vgl. Detjen 2013: 3). Detjen benennt dabei die politische Sozialisation als grundlegend, damit das Individuum seine politische Rechte und Pflichten wahrnehmen kann. Er führt aus, dass die politische Sozialisation stärker als gemein- hin angenommen das politische Verständnis und Weltbild prägen. Zu den Sozialisationsinstan- zen zählt er u.a. Peergroups, Medien, Nachbarschaft aber auch Institutionen wie der Arbeit- geber, Militär und Schule (vgl. ebd.). Die Bedeutung der politischen Sozialisation kann nach Sanders nicht hoch genug für die politische Partizipationsmöglichkeiten angesetzt werden (vgl. Sanders 2008, zit. nach ebd.). Durch die institutionellen Strukturen sind viele Lebensräume, die eine solche politische Sozialisation ermöglichen würden, für Betroffene aber verschlossen. Die Bedeutung der Sozialisation für Menschen mit einer Beeinträchtigung scheint im deutsch- sprachigen Raum auch noch nicht an Beachtung gefunden zu haben. Nach über 40 Jahren hat Jantzen im Jahr 2018 seine Monographie «Sozialisation und Behinderung» mit dem iden- tischen Inhalt von 1974 neu aufgelegt. Daraus wird geschlossen, dass sich seit 1974 nicht viel in dieser Hinsicht getan hat. 4.1.1 Ziele und Aufgaben politischer Bildung «Demokraten fallen nicht vom Himmel» (Eschenburg o.J. zit. nach Weißeno et al. 2010: 7). Mit einer solchen Aussage wird darauf hingewiesen, dass in einer Demokratie viele Kompe- tenzen zu erlernen sind. Politische Bildung24 ist ein breites Feld und kann sehr ausdifferenziert werden. Eine erste Unterscheidung findet sich zwischen der staatsbürgerlichen Erziehung und auf der anderen Seite der politischen Bildung (vgl. Detjen 2013: 3). Die staatsbürgerliche Erziehung möchte das politische Verhalten prägen. In der Vergangen- heit gehörte zur staatsbürgerlichen Erziehung, der Obrigkeit Gehorsam zu erbringen. So möchte die Erziehung in erster in erster Linie den Fortbestand des Herrschersystems sichern. Politische Bildung dagegen meint eine Formung und ein Sich-Verhalten zur Welt und strebt 24 Bildung wird für die vorliegende Arbeit als grundlegende vom Individuum zu erwerbende Erfahrung beschrieben. Bildung resultiert aus der Auseinandersetzung des Individuums mit der Umwelt (vgl. Dörpinghaus,/Poenitsch,/Wigger, 2012: 9). Bildung befähigt das Individuum dabei zur Mündigkeit und Autonomie (vgl. ebd.: 54). In Bezug zur politischen Bildung kann Bildung als Befähigung zur aktiven politischen Teilhabe beschrieben werden (vgl. Klamp-Gretschel 2016: 30). 41 Bildung an. Politische Bildung möchte laut Detjen den Menschen mündig machen, sodass dieser sich selbst moralisch bestimmen kann und am öffentlichen Leben teilnimmt (vgl. ebd.: 4). Auch wenn das vermittelte Wissen nicht losgelöst von historischen Konstellationen und aktuellen politischen Themen sich definiert, so bestehen doch viele Wissensthemen für die politische Bildung aus epochenübergreifenden Leitthemen (vgl. Reheis 2016: 10–11). Zu nen- nen sind da Menschenwürde und auch die im Kapitel zur Demokratie dieser Arbeit genannten Grundwerte. So hat politische Bildung zwei Ziele: Sie soll erstens Bürgerinnen und Bürgern Kompetenzen für die Bildung eigenständiger Urteile vermitteln. Zum zweiten soll sie die Bürgerinnen und Bürgern dazu befähigen die eigene Situation zu reflektieren und Selbstverantwortung und Ver- antwortlichkeit für die Gesellschaft zu erkennen sowie auf Prozesse gestaltend einzuwirken (vgl. BMI 2020: o. S.) Hier gehört zu den Zielen der politischen Bildung auch das Interesse an Politik zu erwecken (vgl. Ackermann/Breit/Cremer/Massing/Weinbrenner 1994, zit. nach Det- jen 2013: 211). Dies wird für die politische Bildung bei Menschen mit einer kognitiven Entwick- lungsbeeinträchtigung besonders bei einer ersten Annäherung an das Thema der Politik als wichtig angesehen. Die beiden Ziele politischer Bildung sollen Teilnehmende dann zur politischen Mündigkeit be- fähigen. Diese ergibt sich nach Detjen aus drei Kriterien. Zunächst gehört für politische Mün- digkeit ein Bestand an politisches Wissen. Es handelt sich aber nicht um vereinzeltes Fakten- wissen, sondern mehr um konzeptionelles Deutungswissen welches eine Orientierung im grossen und unübersichtlichen Feld der Politik ermöglicht (vgl. ebd.: 214). Als zweites ist das politische Verantwortungsbewusstsein zu nennen. Einzelne Individuen haben im Regelfall keine rechtliche Verantwortung für ihr politisches Handeln. Das Verantwortungsbewusstsein spricht mehr die moralische Verantwortung und ein Mindestmass an Aufmerksamkeit dem Wohl des demokratischen Gemeinwesens an (vgl. ebd.). Das dritte Kriterium findet sich schliesslich in Partizipation und Engagement. Das politische Engagement ist aber nicht als ein Zwang zur Aktivität zu verstehen. Dies wäre mit der Mündigkeit im selbständigen Denken und Handeln nicht vereinbar. Vielmehr ist politische Mündigkeit dann gegeben, wenn der Einzelne weiss, wie er gegebenenfalls politisch aktiv werden könnte (vgl. ebd.: 215). Im Gegensatz zu Deutschland, wo sich ein umfangreiches Netz Institutionen, Organisationen und Träger von Politikbildung für obligatorische Schulen sowie in der Erwachsenenbildung etabliert hat (vgl. ebd.: 10–11), kann politische Bildung in der Schweiz mit dem Prädikat Mau- erblümchen bezeichnet werden (Kuenzi 2019: o.S.). Im Kontext der aktuellen Klimaschutzbe- wegung, befasste sich das Parlament nun aber auch neu mit dem Thema der politischen Bil- dung. Im Parlament wurde im Herbst 2019 mit der Überlegung gespielt, den Kantonen die 42 politische Bildung aus der Hand zu nehmen und beim Bund anzugliedern. Damit wäre eine Aufwertung des Themas «als besondere Leistung im öffentlichen Interesse» verbunden (ebd.). Im Lehrplan 21 gibt es kein eigenständiges Politikfach. Als eines von sieben fächerübergrei- fenden Themen finden Politik, Menschenrechte und Demokratie aber Anwendung (vgl. EDK 2018: 1–2). Anzumerken ist, dass die konkrete Ausgestaltung der politischen Bildung an den Schweizer Volksschulen noch ungeklärt ist (vgl. Bürgler/Hodel 2012: 51). 4.1.2 Zielgruppenorientierung vs. inklusive politische Bildung? Ein wichtiges Stichwort dieser Arbeit ist die Inklusion. Der Begriff wird terminologisch unter- schiedlich verwendet da er in der Wissenschaft und Forschung sowie in den Medien nicht einheitlich definiert wird (vgl. Bürli 2009 zit. nach Jordan/Becker 2019: 153). Als soziologischer Begriff beschreibt Inklusion eine Gesellschaft in der alle Menschen unabhängig ihrer Herkunft, ihres Geschlechts, der Beeinträchtigung etc. als gleichberechtigte und selbstbestimmte Mit- glieder teilhaben können (vgl. Wehrfritz 2020: o. S.). Für die Arbeit ist die Abgrenzung zur Integration wichtig. Integration ist als eine einseitige Assimilationsleistung zu verstehen um Zutritt zu einem Teilhabeort zu bekommen (vgl. Siller 2015: 29–30). Das Recht auf Inklusion dagegen begründet sich nicht aus der Unterschiedlichkeit und einer Anpassungsleistung, son- dern aus der Annahme der Irrelevanz der Unterschiede für den gleichen Zugang. Das Ziel von Inklusion kann als Beseitigen der Barrieren, welche durch Unterscheidungen definiert sind, verstanden werden (vgl. ebd.: 37). Bezogen auf politische Erwachsenenbildung ist als erstes die Freiwilligkeit der Teilnahme fest- zuhalten (vgl. Ackermann/Ditschek 2015: 248). Anschliessend stellt sich die Frage, ob ein An- gebot ausschliesslich für Menschen mit einer kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung oder offen für alle Interessierten angeboten wird. Die Zielgruppenorientierung kam in den 1970er Jahren auf. Damit sollten besonders Gruppen ohne Bildungsprivilegien angesprochen werden (vgl. Degen-Zelasny 1977 zit. nach Hufer 2015: 247). Dieses Konzept ist mittlerweile aufgegeben worden. Auch in der Erwachsenenbil- dung wird der Begriff der Zielgruppenorientierung nur noch als Marketingbegriff benutzt (vgl. Gieseke 1999 zit. nach ebd.). Kronauer schreibt in seinem Band Inklusion und Weiterbildung, dass gesellschaftlich exkludierende Verhältnisse überwunden werden müssen (vgl. Kronauer 2010: 56). Mit diesem Hintergrund richtet sich inklusive Bildung an alle Menschen und nicht spezifisch an Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung. Ditschek und Ackermann for- mulieren es zugespitzt aus, nämlich dass politische Bildung immer auf soziale Inklusion aus- gerichtet ist, da sie sich mit dem Zusammenhalt der Menschen in einer Gesellschaft auseinan- dersetzt (vgl. 2015: 335). Gleichwohl ist konkret auf die Realität zu schauen. Richtet sich das Angebot an politischer Bildung offen an alle Menschen, erfordert dies evtl. professionelle Mo- derationsrollen. Hufer weist darauf hin, dass es bei Beispielen aus der Praxis zu Konflikten 43 gekommen ist. Teilnehmende beschwerten sich über die Verhaltensauffälligkeiten anderer Teilnehmenden (vgl. Hufer 2015: 252). 4.2 Begründung für die Wahl des Kompetenzmodells Im folgendem soll dargelegt werden, warum für die inhaltliche Gestaltung (z.B. Fachkonzepte für Demokratie, Rechtsstaat, Wahlen etc.) weder auf ein allgemein inklusives noch auf ein Konzept, welches speziell für Menschen mit einer kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung zugeschnitten ist, zurückgegriffen wird. Eine allgemein inklusive Didaktik für den Politikunterricht gibt es bisher nicht (Kronauer 2010: 56). In der politikdidaktischen Forschung wird jedoch den politikdidaktischen Prinzipien ein hohes Potential zugesprochen auch für inklusiven Unterricht geeignet zu sein. Es wird darauf hingewiesen, dass bei der Anwendung bei marginalisierten Gruppen, dann die Themen be- sonders der Lebenswelt und den Interessen der Teilnehmerinnen und Teilnehmern entspre- chend zu konzipieren sind. Eine inklusive Bildung zeichne sich beispielsweise durch die Arbeit in Unterrichtsprojekten aus. Unterschiedliche Rollen könnten in Makromethoden, wie gespiel- ten Talkshows, Pro-Contra Debatten und Planspielen geübt werden. Zimpel weist darauf hin, dass es zu inklusiver Didaktik mittlerweile immer mehr Beiträge gibt. Er betont aber, dass im Kontext der Auseinandersetzung mit Fragen der Elementarisierung und der Lebensweltorien- tierung die Konzepte noch weiter zu entwickeln seien (vgl. Zimpel 2012 zit. nach Thorweger 2019: 175–176). Eine Didaktik, die speziell auf die Bedürfnisse von Menschen mit einer kognitiven Entwick- lungsbeeinträchtigung zugeschnitten ist, findet sich nach Hoffmann nur zum Teil. Hoffmann hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, ob sich für eine entwicklungsorientierte Didaktik, also einer Didaktik bei welcher gleiche Inhalte bei unterschiedliche Entwicklungsniveaus ver- mittelt werden sollen, eine Grundlage in pädagogisch-psychologischen Entwicklungsmodellen findet (vgl. Hoffmann 2016: 91). Dafür hat er verschiedene Modelle untersucht. Er kommt zum Schluss, dass das Ideal einer universellen und sämtliche Entwicklungsniveaus und Lernbe- dürfnisse antizipierenden Didaktik in keiner der von ihm untersuchten Modelle zu finden ist. Trotz Beiträgen speziell zu inklusiven Fragen, führt eine Orientierung an Entwicklungsmodel- len immer zu Exklusion und Segregation. Auch in modernen Ansätzen finden sich Widersprü- che ( vgl. ebd.: 104). 44 Daher wird für die vorliegende Arbeit das Kompetenzmodell nach Weißeno et al. als inhaltliche Grundlage einer Didaktik genommen. Es wird vorgeschlagen sich für die inhaltliche Ausarbei- tung eines politische Bildungskonzeptes hieran zu orientieren. Auf spezifische Zugänge für die Adressatinnen und Adressaten dieser Arbeit, wird im darauffolgenden Kapitel eingegangen. 4.3 Kompetenzmodell für Politische Bildung Weißeno et al. haben ein theoretisches Modell erarbeitet, welches den Anspruch erhebt, in- haltlich den Kernbereich politischer Bildung zu klären (vgl. Weißeno et al. 2010: 9). Das Modell wurde 2010 als Kompetenzmodell durch die Bundeszentrale für politische Bildung in Deutsch- land veröffentlicht. Das Modell beschreibt inhaltsbezogen die kognitiven Fähigkeiten, um fach- lich politische Probleme lösen zu können. Es werden dabei nicht direkt Lernprozesse beschrie- ben und das Modell versteht sich auch nicht als Kerncurriculum für eine Schule (vgl. ebd.: 13). Die Fokussierung erfolgt mittels Darstellungen von Basis- und Fachkonzepten. Ausgegangen wird von den Basiskonzepten. Die Basiskonzepte bezeichnen zentrale Prinzipien und Para- digmen des politischen Systems. Weißeno et al. beziehen sich auf die drei folgenden Prinzi- pien, nämlich Ordnung, Entscheidung und Gemeindewohl. Diese sind zum Verständnis des Politischen wichtig, da sie eine Struktur des gesamten Systems vermitteln (vgl. ebd.: 9–10). Anhand der drei Prinzipien werden in einem zweiten Schritt Fachkonzepten dazu erläutert. Die Fachkonzepte erklären z.B. das Prinzip der Wahlen oder die Massenmedien. Die Auflistung aller Fachkonzepte findet sich untenstehend. Trotz der Ausrichtung des Kompetenzmodells auf Deutschland, ist eine Adaption an das Schweizer Politiksystem denkbar, da es sich meist um grundsätzliche Fachkonzepte handelt. Das Buch operiert mit dem Begriff der Kompetenz. Dieser Zugang wurde von Weißeno et al. gewählt um die Legitimationsbasis ihres Konzeptes gegenüber induktiv erarbeiteten Konzep- ten zu erhöhen (vgl. ebd.: 9). Anhand der Kompetenzen sollen Maximalstandards geschaffen werden. Diese Standards sollen der Überprüfung der Lernfortschritte dienen. So definieren Weißeno et al. den Kompetenzbegriff nach Baumert mit «prinzipiell erlernbaren, mehr oder minder bereichsspezifischen Kenntnissen, Fertigkeiten und Strategien» (Baumert 2001 zit. nach ebd.: 17–18). Der Politikkompetenzbegriff bezieht sich darauf, fachlich politische Fragen diskutieren zu können, oder wie Weinert es definiert affektionale, motivationale, volitionale, soziale und kognitive Fähigkeiten zu entwickeln (vgl. Weinert 2001, zit. nach ebd.: 16–17). In Anlehnung an den Begriff der Civic Literacy werden die zu erlernenden Kompetenzen folgen- dermassen definiert (ebd.: 19): Untenstehend sind die vier Stufen an Kompetenzen, die nach Weißeno et al. in der politischen Bildung erlernt werden können, aufgelistet. 45 Nominale Civiv Literacy: Kenntnis politischer Themen, Namen und Wörter. Funktionale Civic Literacy: Korrekte Verwendung von Begriffen. Faktenwissen. Konzeptuelle & prozedurale Civic Verständnis zentraler politischer Konzepte und der Literacy: Bedeutung politischer Verfahren. Herstellung von Be- ziehungen zwischen Fakten, Begriffen und Prinzipien. Multidimensionale Civic Literacy: Verständnis der Besonderheiten politischen Den- kens; Fähigkeit zur Einordnung in wirtschaftliche, so- ziale und kulturelle Zusammenhänge. Abbildung 1: Stufen Civic Literacy (eigene Darstellung, nach Weißeno et al. 2010: 19) Bei der Anwendung im Rahmen der politischen Bildung von Menschen mit einer kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung kann eine Auswahl der Themen getroffen werden. Die Auswahl sollte sich nach Interessen, aktuellen Fragestellungen im lokalen Gemeinwesen, Bekanntem und der realen Lebenswelt der Adressatinnen und Adressaten richten. Im folgendem die Auf- listung der von Weißeno et al. vorgeschlagenen Fachkonzepte. Diese werden hier als Beant- wortung der Fragestellung nach inhaltlichen Elementen politischer Bildung betrachtet: Fachkonzepte Fachkonzepte Fachkonzepte Ordnung Entscheidung Gemeinwohl Demokratie Europäische Akteure Freiheit Europäische Integration Interessengruppen Frieden Gewaltenteilung Konflikt Gerechtigkeit Grundrechte Legitimation Gleichheit Internationale Beziehun- Macht Menschenwürde gen Massenmedien Nachhaltigkeit Markt Öffentlichkeit Öffentliche Güter Rechtsstaat Opposition Sicherheit Repräsentation Parlament Sozialstaat Parteien Staat Regierung Wahlen Abbildung 2: Fachkonzepte Politik (Eigene Darstellung in Anlehnung an das Inhaltsverzeichnis von Mei- ßeno et al. 2010) Das vorgeschlagene Modell wird im folgendem nun auf seine Vor- und Nachteile betrachtet. Danach werden spezifische Elemente und Zugänge für die Zielgruppe angetönt. 46 Vorteil Die Konzeption des Kompetenzorientierten Modells eröffnet Möglichkeiten für einen struktu- rierten Unterricht. Das Modell zeigt sich auch für einen inklusiven Politikunterricht geeignet, weil es zum ersten eine gute Orientierung über das gesamte politische Feld gibt. Zum Zweiten beschreibt es ausschliesslich Anforderungen, welche es für die politische Teilhabe braucht. Dies ermöglicht es, die Ausgestaltung des Unterrichtes auf die Bedürfnisse der Teilnehmen- den anzupassen. Die Fokussierung des kompetenzorientierten Modells auf eindeutig defi- nierte Kompetenzen kann zu einem späteren Zeitpunkt den Teilnehmerinnen und Teilnehmern eines Kurses den Vorteil bieten, ihr angeeignetes konzeptuelles Wissen in konkreten Anwen- dungssituationen auch ohne Erfahrungswissen anzuwenden: Wer über ein Fachkonzept zum Thema Wahlen verfügt, kann dieses in konkreten Momenten nutzen um einen ersten Überblick zu gewinnen (vgl. Weißeno 2015: 79). Die Ausrichtung an Mindeststandards bringt im Ver- gleich zu herkömmlichem sonderpädagogischem Unterricht für die Lehrkräfte den Vorteil einer klaren Orientierung. Auch Teilnehmende von zielgruppenspezifischen Angeboten politscher Bildung haben das Anrecht auf die Erreichung von Standards (vgl. ebd.: 79–80). Inklusiver Politikunterricht braucht klare Fachsprache und möglichst wenig segregierende Un- terrichtsformen (vgl. ebd.: 82). Die 30 vorgeschlagenen Fachkonzepte ermöglichen eine Be- griffsraum mit zusammenhängenden Begriffen, welche Assoziationen untereinander ermög- licht (vgl. Solso 2005 zit. nach ebd.). Im Idealfall kommt es im Verlauf des Lernprozesses zu einer ausbreitenden Aktivierung unter den Begriffen. Ändert sich die Tagespolitik, dann kön- nen die erlernten Fachkonzepte auch auf neue Situationen angewendet werden. Es ist auch festzuhalten, dass nur der oder die, welche die politische Fachsprache kennt, dem Geschehen auf angemessenem Niveau folgen kann (vgl. ebd.: 83-84). Insgesamt bietet das Kompetenz- modell einen übersichtlich strukturierten Aufbau für politische Bildung. Herausforderungen In der Anwendung bei Menschen mit einer kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung ist dann auf eine geordnete Anwendung und die kognitive Zugänglichkeit zu achten (vgl. Schiefer 2011 zit. nach ebd.: 83). Beim kumulativen Kompetenzaufbau, wie es das Kompetenzmodell vor- schlägt, gibt es auch Hürden. So treten beispielsweise die Bedürfnisse, Interessen und auch die Vorstellungen und Deutungen über Politik aus der jeweiligen Lebenswelt der Adressatin- nen und Adressaten in den Hintergrund. Hier sind daher die Lehrenden besonders in die Pflicht genommen. Ihre Kreativität im professionellen Handeln sowie das Ausmass, bzw. die Intensi- tät entscheiden letzten Ende über ein erfolgreiches Lehr- und Lehrarrangement für die Teil- nehmende mit einer kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung (vgl. Richter 2015: 173–174). Es wird auf die evtl. selektive Aufmerksamkeit bei Lernaufgaben zu achten sein. Auch die 47 möglichen kurzen Aufmerksamkeitspannen der Teilnehmenden spielt eine Rolle. Das Erlernen von Faktenwissen ist zudem kaum in Anforderungssituationen selbständig von den Teilneh- menden zu nutzen. Vernetztes Wissen dagegen ermöglicht einen Wissensaufbau. Desto mehr Begriffe mit den Fachkonzepten verknüpft werden können, desto ausgegliederter wird das Wissen. Die konstituierenden Begriffe, auch die scheinbar bekannten, sind zu erklären und die Komplexität zu reduzieren. Bei der Reduktion ist jedoch darauf zu achten, dass der Unterricht gleichzeitig eine Herausforderung ist (vgl. ebd.: 175–176). Das Kompetenzmodell hegt ein weiteres Risiko. Durch den Aufbau der Mindeststandards bei den Kompetenzen können womöglich exkludierende Prozesse gefördert werden. Es ist unklar, was genau passiert, wenn trotz Förderung das Kompetenzerleben, die Erfolgszuversicht und Lernfreude ausbleiben (vgl. Schwier 2015: 205). 4.4 Didaktische Zugänge Schon die politische Bildung an sich kann für Menschen mit einer kognitiven Entwicklungsbe- einträchtigung eine Barriere darstellen. In ihrer Komplexität schwer zu erfassen und in ihren Wirkmechanismen sehr subtil sind Barrieren die beim Inhalt als auch bei den Vermittlungswe- gen von politischen Bildungsprozessen auftreten können. Diese können für eine gleichberech- tigte Teilhabe oftmals schon eine unüberwindbare Barriere darstellen (vgl. Korfkamp 2015: 256). Ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, soll auf einige mögliche didaktische Ele- mente eingegangen werden. 4.4.1 Zielgruppe erreichen Die erste Frage, die sich stellt, ist wie und wo die Adressatinnen und Adressaten erreicht wer- den können. Bietet man Erwachsenenkurse an, dann finden sich zu den meisten, angebote- nen Themenbereichen leicht Gründe, die für eine Motivation am Kurs sprechen. Handelt es sich beispielsweise um einen Fremdsprachenkurs, so stehen die erweiterten Kommunikati- onsmöglichkeiten im Vordergrund, bei einem Tanzkurs evtl. die Freude am Tanzen (vgl. Acker- mann/Ditschek 2015: 230–231). Begründungen für politische Bildung dagegen finden auch sich sehr wohl in der Literatur, bei der konkreten Anwendung dagegen, wird die Relevanz für die Adressatinnen und Adressaten aufzuzeigen zu sein. Sollen Menschen mit einer kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung erreicht werden, so kann die Sozialraumorientierung ein Zu- gang sein. Der Lebensweltbezug, der Kompetenzzuwachs und die Erweiterung der Handlungsoptionen können den Adressatinnen und Adressaten aufgezeigt werden (vgl. ebd.). Viele Menschen sehen keine Notwendigkeit für politische Bildung da ihnen die eigene Betroffenheit nicht er- sichtlich ist. Dies kann sich ändern, wenn sich Kursanbieter als selber Betroffene zeigen und 48 sich empathisch mit den Adressierten solidarisieren. Durch das Aufzeigen des eigenen politi- schen Engagements und der Möglichkeit auf eine Verbesserung der Lebensbedingungen, bzw. auch der Lebensbedingungen einer gesamten sozialen Gruppe, kann die Betroffenheit für Adressatinnen und Adressaten hergestellt werden (vgl. ebd.: 233). Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung sind, wie Felder festhält, mit tendenziell besonders grossen und qualitativ starken sozialen Exklusionen, Benachteiligungen und Separationen konfrontiert (vgl. Felder 2012: 21). Diese bieten gute Anknüpfungspunkte und können aufgezeigt werden. Men- schen mit einer kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung sind oft, weil sie es so gelernt haben oder weil es ihnen so verinnerlicht wurde, aber nicht gewöhnt ihre Lebenswirklichkeit beein- flussen zu können (vgl. Heiden 2014 zit. nach Hufer 2015: 253). Daher kann davon ausgegan- gen werden, dass das Aufzeigen der Relevanz und Möglichkeiten der politischen Bildung, zentral ist. Um Adressatinnen und Adressaten erreichen zu können, braucht es daher Werbung und eine gezielte Ansprache. Individuelle Einladungen zur Teilnahme könnten verschickt werden. Diese könnten auch an Adressierte versandt werden, welche sich schon politisch interessiert zeigen, wie z.B. in der Funktion der Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe. Hilfreich ist sicherlich auch, den Kontakt über Personen im Helfersystem der Betroffenen herzustellen. 4.4.2 Orte für politische Bildungsangebote Bei einer sozialraumorientierten Programmplanung sind auch die «spezifischen materiellen, institutionellen und sozialen Gegebenheiten und Ressourcen eines Gebietes» (Hoffmann und Mania 2013 zit. nach Ackermann/Ditschek 2015: 235) zu berücksichtigen. Angebote für Men- schen mit einer kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung finden quantitativ betrachtet über- wiegend bei stationären und ambulanten Anbietern im Sozialwesen (Wohneinrichtungen und Werkstätten) statt. Politische Bildung gehört eigentlich nicht in diesen Bereich, sondern in den Bereich der öffentlich verantworteten Bildung. Zur Entwicklung von spezifischen Angeboten ist aber auf die Expertise institutionellen Strukturen zurück zu greifen. Diese ist mit Fachpersonen aus der Erwachsenbildung zu verbinden (vgl. ebd.: 238–239). 4.4.3 Methodische Ansätze Wie komplexe Inhalte erfahrbar werden, ist eine zentrale Frage für die politische Bildung bei Menschen mit einer kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung. Politische Bildung verbindet sich herkömmlicherweise mit intellektuellen Ansprüchen und stellt oftmals sinnlich nicht erfahr- bare Ansprüche. Diese müssen dargestellt und verstanden werden. Die Herausforderung ist, in wie weit dies ohne Substanzverlust gemacht werden kann. Die Themen müssen angemes- sen präsentiert, die dahinter stehenden Gründe und Interessen nachvollziehbar werden und handlungsorientiert in die eigene Lebenswelt übersetzt werden können (vgl. Hufer 2015: 250). 49 Die Teilnehmenden sollen bei qualitativ nicht unterschiedlichen Zielen und Praktiken zugleich in ihrer Individualität zu ihrem Recht kommen. Bei der Auswahl der fachdidaktischen Methoden ist auf die kognitive und emotionale Entwicklung zu achten. Trotz der anthropologische Prä- misse der Bildsamkeit aller Menschen, stellt Weißeno das Gelingen dieser fachdidaktischen Aufgabe in Frage (vgl. Weißeno 2015: 78). 4.4.4 Dem realen Leben ähnlich gestaltete Aufgaben Die Aufgaben im Politikunterricht sollten der realen Lebenswelt relativ ähnlich sein. Der be- kannte Kontext wirkt sich auf die Glaubwürdigkeit und das Interesse aus. In Methodensamm- lungen finden sich ein grosser Fundus an kreativen und Freude vermittelnden Lernwegen. Diese können zielgruppenspezifisch eingesetzt werden. Hierfür braucht es Freiräume für die Lehrenden und ihre Experimentfreude (vgl. Hufer 2015: 252). Die kognitive Aktivierung ist eine bedeutende Dimension. Wenig aktivierende Methoden sind z.B. das Auswendiglernen oder Übungsaufgaben nach dem gleichen Schema. Aufgaben die kognitiv aktivierend sind, sind z.B. Aufgaben die im Widerspruch zu Bekanntem stehen und bei denen es mehrere Lösungen gibt und damit bereits vorhandene Konzepte erweitert werden müssen (vgl. Weißeno 2015: 84). 4.4.5 Spiel und Praxisnähe Die Schwierigkeit angemessene Methoden zu finden kann auch Ansporn sein. Veranstaltun- gen müssen entweder methodisch sehr attraktiv gestaltet sein (Spielelemente, Filmaus- schnitte, Musikdarbietungen, Quizeinlagen, Lernen von Peer zu Peer) oder sie können in an- deren Veranstaltungsformen, wie dem Besuch des Schweizer Parlaments oder dem Beisitzen im Staatenberichtsverfahren zur UN-Behindertenrechtskonvention in Genf, wie z.B. im Herbst 2020, eingebettet sein. Der andere Zugang besteht im Anknüpfen an die Lebenswelt der Teilnehmenden und der Ak- tivierung für Veränderung der Lebenswelt (vgl. Ackermann/Ditschek 2015: 332). So kann die Teilnahme an Klimastreik Demonstrationen ein Demokratielernen sein. Demokratie kann auf diesem Weg nicht nur als abgehobene Regierungsform, sondern auch als Lebenszusammen- hang erlebt werden. Klee, der in Deutschland den ersten Volkshochschulkurs in den 1970er Jahren zum Thema «Bewältigung der Umwelt» leitete, kann hier als Positiv Beispiel genom- men werden. Mit einer Gruppe von Rollstuhlfahrern zeigte er in öffentlichen Aktionen, darunter Blockaden von Strassenbahnen oder der Deutschen Bundesbahn, öffentlich wirksam vielfäl- tige Barrieren auf (vgl. Hufer 2015: 249). 50 4.4.6 Lerntagebücher Nach Mashuhr ist das Anlegen individueller Lerntagebücher oder einer anderen Form von Kompetenzrastern hilfreich. Lerntagebücher sollen benutzt werden, um fachsprachliche Be- griffe zu notieren und diese in neuen Kontexten wiederholend weiter anzuwenden. Der Unter- richt lässt sich den Lerntagebüchern anpassen, indem z. B. fehlende kognitive Voraussetzun- gen direkt gefördert oder ausgleichend umgangen werden (vgl. Masuhr 2013 zit. nach Weißeno 2015: 84–85). 4.4.7 Einbezug von Multiplikator/-innen und advokatorischen Assistenten/-innen Ziel könnte sein, Multiplikator/-innen aus der Personengruppe der Menschen mit einer kogni- tiven Entwicklungsbeeinträchtigung für politische Bildungsprojekte zu gewinnen. Diese könn- ten als Lernbegleiter/-innen, Coaches und Kursanbieter/-innen verschiedene Rollen überneh- men. Interessierte Personen könnten auch als Akteure im öffentlich-politischen Raum für die Anliegen der Menschen mit einer Beeinträchtigung auftreten (vgl. Dönges et al. 2015: 274– 275). Advokatorische Assistent/-innen sind als Assistent/-innen aus dem professionellen Feld der Sozialen Arbeit zu verstehen. Für Menschen, die z. B. für die Ansteuerung einzelner Buchsta- ben eines Sprachcomputers viel Zeit brauchen, können diese von Nutzen sein. Im Rahmen einer von der Deutschen Bundeszentrale für politische Bildung durchgeführten Politikreihe für Menschen mit einer Beeinträchtigung hat sich auch gezeigt, dass solche advokatorischen As- sistent/-innen, bspw. assoziativ und unsortiert wirkenden Äusserungen von Menschen mit ei- ner kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung bei Podiumsdiskussionen verständlich «überset- zen» konnten (vgl. Dönges 2015: 274). Stellvertreter/-innen sind nach Musenberg und Riegert angesichts der paternalistischen Ge- schichte aber kritisch zu sehen. Gerade aus der Perspektive der Selbstvertretungsbewegung muss hinterfragt werden, ob angesichts der integritätsverletzenden Fremdbestimmung im Sys- tem der Behindertenhilfe Fachpersonen aus dem System der Sozialen Arbeit und Sonderpä- dagogik die richtige Besetzung für diese Aufgabe sind (vgl. Musenberg/Riegert 2015: 267– 268). 4.4.8 Aufsuchende Bildungsarbeit Aufsuchende Bildungsarbeit bietet eine Möglichkeit, um Adressat/-innen zu erreichen. Der Vorteil zeigt sich darin, Bildungs- und Lernprozesse dort zu verorten, wo Alltagsnähe und damit Praxisrelevanz besteht (vgl. Korfkamp 2015: 259). 51 Das Konzept der aufsuchenden Bildungsarbeit basiert auf einem Konzept nach Rogge aus dem Jahr 1999. Es sieht vor, die sozial benachteiligten Menschen im Sinne einer Feldfor- schung vor Ort als Fachleute ihrer Lebenssituation zu befragen und daraus Inhalte abzuleiten. So können die Themen, welche die Adressat/-innen beschäftigen, ermittelt werden und es findet ein Lernen vor Ort statt (Bear 2014 zit. nach Hufer 2015: 253). 4.4.9 Politischer Stammtisch Die Idee eines barrierefreien Politikstammtisches entstand an einem Seminar des Instituts für Sonderpädagogik der Universität Koblenz-Landau. Der Stammtisch wurde als offenes Ange- bot konzipiert, um Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungsformen zusammenzu- bringen und niederschwellig in die Politik der Stadt hineinzuwirken. Seit Dezember 2012 trifft sich der politische Stammtisch ca. einmal im Monat. Ein Ergebnis des Stammtisches war die Ausarbeitung eines Programms für Barrierefreiheit. Die konkreten Ziele dieses Programms wurden der Stadt präsentiert (vgl. Kuhn/Köhler 2015: 289). 4.4.10 Beteiligungsverfahren im lokalen Gemeindewesen Dienel entwickelte Anfang der 1970er Jahre an der Universität Wuppertal ein Beteiligungsver- fahren bzw. Bürgergutachten. Dieses wurde seither in Deutschland vielfach umgesetzt. Die Stärke seines Modells ist die starke Mobilisierung von Minoritäten. In Form von mehrtägigen Anlässen diskutieren Bürger/-innen im Vorfeld definierte Anliegen ihres lokalen Gemeinwe- sens. Die Auswahl der Bürger/-innen für die Teilnahme erfolgt mittels einer geschichteten Stichprobenziehung in der Gemeinde/Stadt. So können im Verfahren bestimmte Menschen (z. B. die mit einer kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung) stärker gewichtet werden. Diese gewinnen nach Dienel bei Diskussionen dadurch mehr Vertrauen und mehr Durchsetzungs- kraft. Adressat/-innen aus z. B. bildungsfernen Schichten werden über Schlüsselpersonen di- rekt angesprochen. Diese Schlüsselpersonen beteiligen sich auch unterstützend, z. B. als Übersetzer/-innen, am Beteiligungsverfahren. Solche Anlässe können barrierefrei gestaltet werden, indem bei der Wahl der Lokalität und in der Ausarbeitung von Dokumenten in leichter Sprache auf die Bedürfnisse der Teilnehmer/-innen eingegangen wird. Ein solcher Ansatz bie- tet ein hohes Mass an Inklusion (vgl. Böhm/Heinrich-Böll-Stiftung 2015: 216–217). 4.4.11 Leichte Sprache Aus dem Betrachtungswinkel von Menschen mit einer kognitiven Entwicklungsbeeinträchti- gung kann die Standardsprache eine entscheidende Hürde darstellen. In diesem Zusammen- hang kann leichte Sprache den Zugang zu Informationen in schriftlicher und mündlicher Form und damit die Beteiligung an politischen Aushandlungsprozessen erleichtern (vgl. Seitz 2014 52 zit. nach Musenberg/Riegert 2015: 264). Leichte Sprache zeichnet sich durch die Beachtung besonderer typografischer und orthografischer Regeln und Empfehlungen hinsichtlich des Vo- kabulars aus. Menschen mit kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigungen sollen «sich Informa- tionen eigenständig und ungefiltert zugänglich machen und hiernach selbstbestimmt […] han- deln» (Wessels 2005 zit. nach ebd.). Texte in leichter Sprache verlieren jedoch an inhaltlicher Komplexität und Detailliertheit. Der Anspruch eines ungefilterten Zugangs durch leichte Spra- che ist daher als idealistisch zu bezeichnen (vgl. ebd.: 266). Andere Ansätze für einen vereinfachten Zugang zu den Informationen können auch die viel- fältigen Methoden der unterstützten Kommunikation bieten. 4.4.12 Haltung der Lehrer/-innen Lehrer/-innen politischer Bildung müssen das schon genannte Überwältigungsverbot berück- sichtigen. Seit der Beutelsbacher Tagung 1976 gilt dieses in der politischen Bildung. Es ver- bietet, Schüler/-innen mit Meinungen zu überrumpeln und sie damit an der Gewinnung eines eigenständigen Urteils zu hindern (vgl. Weißeno et al. 2010: 7). Lehrer/-innen sollten sich nach Hufer nicht als belehrend verhalten. Dies widerspräche der Realität, dass sich in den Lektionen immer Gleichberechtigte gegenübersitzen. Die professionelle Aufgabe setzt den Fokus darauf, die Sichtweisen der Teilnehmer/-innen wahr- und aufzunehmen und daraus auch Konsequen- zen für die Bildungspraxis zu ziehen (vgl. Hufer 2015: 246). Die Gefahr, politische Urteile von Teilnehmer/-innen zurückzuweisen oder zu hinterfragen liegt darin, dass politische Einstellun- gen zwar partikuläre Persönlichkeitsaspekte abbilden, aber für die gesamtpersonale Selbst- darstellung herangezogen werden (vgl. May 2014: 588). Die zweite Herausforderung besteht darin, die Angebote verständlich zu präsentieren und bei inklusiven Angeboten alle Teilnehmer/-innen anzusprechen. Da die Teilnahme immer auf Frei- willigkeit basiert, resultiert sie in erster Linie aus der jeweiligen Bedeutung die Einzelne dem Besuch sich beimisst. Der Bezug zur Lebensrealität und den sich daraus ergebenden Bedürf- nissen spielen daher eine wesentliche Rolle. Die Themen müssen durch die Lehrer/-innen eventuell heruntergebrochen werden und für die Teilnehmer/-innen sehend, hörend, emotional und sozial verständlich aufbereitet werden, ohne dass der Inhalt an Wert einbüsst (vgl. Acker- mann/Ditschek 2015: 234). Dazu müssen die auch die Teilnehmer/-innen mit einer kognitiven Beeinträchtigung als Weltenbürger/-innen angesehen werden. Um das Interesse anzuspre- chen, könnte zur Haltung der Lehrer/-innen gehören, gemeinsam mit den Teilnehmer/-innen im Sinn einer als Lebensform gelebten Demokratie, gesellschaftliche Probleme aufzudecken und demokratisches Handeln aktiv zu fördern (vgl. ebd.: 231). 53 5 Schlussfolgerung «Ich wünsche mir in der Zukunft, dass Menschen mit einer Beeinträchti- gung Politiker sind oder Politiker unsere Meinung vertreten.» (Bright in SRF 2019b: 00:01–00:21.) Das Kompetenzmodell von Meißeno et al. bietet einen inhaltlichen Rahmen und ist übersicht- lich erarbeitet. Da Menschen mit einer kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung weiterhin mit Diskriminierung und segregierenden Umständen konfrontiert sind, könnte in einer weiterfüh- renden inhaltlichen Ausarbeitung eines Ansatzes für politische Bildung ein verstärkter Fokus auf die Menschenrechte gelegt werden. Dieser bietet einen Werterahmen, der zeitüberdau- ernd ist. Nicht die wechselnde Tagespolitik steht im Vordergrund, sondern ein Bezug auf die eingängig normativen Werte. Der Bezug auf Menschenrechte könnte ein emanzipatorischer Zugang für mehr Bewusstsein zu den noch heute bestehenden segregierenden Lebensum- ständen sein. Dies könnte eine Basis für Selbstvertreter/-innen sein, um sich für die Rechte von Menschen mit einer Beeinträchtigung öffentlich wirksam einzusetzen. Die angesprochenen Elemente für eine adressatenorientierte politische Bildung sind als Bau- steine zu betrachten. Für eine konkretere Ausarbeitung in Richtung eines Konzeptes für poli- tische Bildung bräuchte es tiefergehende methodische Ansätze. Die Herausgeber/-innen des Sammelbands zur Didaktik inklusiver Bildung sehen dafür die Didaktik politischer Bildung in die Pflicht genommen. Diese soll ihre Angebote für Menschen mit einer kognitiven Beeinträch- tigung nutzbar machen und so zum Empowerment, sprich zu einer gleichberechtigten politi- schen Teilhabe, beitragen (vgl. Dönges et al. 2015: 10). Dieser Ansatz, sich für ein Bildungsangebot auf eine vulnerable gesellschaftliche Gruppe zu fokussieren, bleibt aber im Spannungsfeld einer potentiellen Diskriminierung. Etikettierungen, diskriminierende Adressierungen und auch Kategorisierungen sollten daher diskutiert und mit- gedacht werden (vgl. Jahr 2019: 25). Dies kann am Beispiel der leichten Sprache veranschau- licht werden. Einerseits kann leichte Sprache als Schlüssel für politische Bildung betrachtet werden, zugleich aber verfestigt sie den (exkludierenden) Sonderstatus, wenn sie als unum- gängliche Methode bei der politischen Bildung von Menschen mit einer kognitiven Beeinträch- tigung definiert wird. Der Gebrauch von speziellen Methoden fördert das Alleinstellungsmerk- male bei einer adressatenorientierte Didaktik politischer Bildung (vgl. ebd.: 23). Politische Bildung aus Sicht von Inklusion gedacht, formuliert so gesehen eine besondere di- daktische Herausforderung. Es gilt, bestehende Methoden und Konzepte auf ihre Nutzbarkeit hin zu überprüfen und gegebenenfalls für die Adressat/-innen passend zu gestalten. 54 Ein inklusiv gedachter Zugang zu gerechter politischen Bildung können politische Räume sein. Räume können dazu führen, sich selbst als politisches Wesen zu erfahren und zu identifizie- ren. Diese können für eine politische Identitätsbildung förderlich sein (vgl. Boger 2015: 55). Die Teilnahme an Demonstrationen oder an Gemeindeversammlungen könnten Räume im Sinne eines Lernens in der Praxis sein. Neben dem Abbau von Hemmschwellen auf Seiten der Mehrheitsgesellschaft, kann es sich dabei für die Teilnehmer/-innen um eindrückliche Er- lebnisse handeln, bei denen Politik erlebbar wird. Es bleiben trotzdem noch viele praktische Fragen für die Umsetzbarkeit politischer Bildung. So ist sehr unklar, wie für Menschen mit besonders eingeschränkten kommunikativen und informationsaufnehmenden Beeinträchtigungen, die Barrieren abgebaut werden können. Hier schliesst sich ein wichtiges Thema an, welches vertieft werden müsste. Es braucht zudem Kostenträger, Lehrende müssen sich für adressatengerechte politischer Politik qualifizieren und wenn es sich um inklusive Angebote handeln soll, dann ist die Brücke in das lokale Gemeindewesen konkret zu schlagen. Politische Teilhabe für Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung beginnt aber nicht beim Besuch eines Kurses für politische Bildung oder dem Ausfüllen der Wahlunterlagen. Im Gegenteil beginnt die politische Teilhabe im konkreten Alltag von Betroffenen. Dies können Teilhabemöglichkeiten an Entscheidungsprozessen innerhalb der Institution sein oder wie an der HPV Rohrschach die Schaffung von Selbstvertreterstellen. Politische Teilhabe ist ein Aus- druck von Selbstbestimmung. So ist das Spektrum der Teilhabe für den Einzelnen und die Einzelne breit. Es kann von Interesse an Politik, Beteiligung an Wahlen, Mitgliedschaft und oder Engagement in Parteien, Politik und Bürgerinitiativen bis hin zu den sogenannten unkon- ventionellen Formen der politischen. Partizipation (Hausbesetzung, Protestbewegung etc.) ge- hen (vgl. Waldschmidt 2009: 123). Aber erst eine Kultur in der die Mehrheitsgesellschaft, im konkreten Bezug zu den Betroffenen, also die Angehörigen, Beistände, das Helfersystem, Freunde aber auch die Institutionen und Heime die politische Teilhabe ausdrücklich wünschen, bauen sie die gesellschaftlichen Barrieren ab. Es könnten in Hinblick auf Abstimmungen und Wahlen zum Beispiel Informationsabende direkt an den Wohnorten der Betroffenen veranstal- tet werden. Politikerinnen und Politiker könnten eingeladen werden, es könnten Kurse mit An- leitungen für das Ausfüllen der Wahlunterlagen veranstaltet werden und Betroffene könnten gemeinsam am Wahlsonntag zu den Urnen gehen. 55 Um den Bezug zu der ersten Fragestellung dieser Arbeit zu knüpfen, zeigt sich, dass der Ab- bau der vielfältigen Barrieren, nicht Aufgabe der Menschen mit einer kognitiven Beeinträchti- gung ist. Aus persönlicher Sicht formuliert, sind die politischen Akteure aufgerufen gemeinsam mit den Professionellen der Sozialen Arbeit die Problemfelder konkret zu identifizieren. Eine barrierefreie Teilhabe an politischen Aushandlungsprozessen bedarf einen Abbau von Sprachbarrieren bei Informationen zu politischen Parteien, Gesetzen, politischen Programmen und Debatten. Die Informiertheit ist eine unerlässliche Grundlage für die Teilhabe an Politik. Hier sind die politischen Parteien, die Medien, der Bund, Gemeinden aber auch Dozentinnen und Dozenten aufgerufen. Ein Ansatz ist die der Digitalisierung. Aus der eigenen Praxis schliessend, wird festgestellt, dass digitale Möglichkeiten auch bei Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung immer mehr und öfters als barrierefreier Zugang und als Lebensweltzugehörig empfunden werden. E-Voting, Kurzfilme, Apps etc. ermöglichen schnell einen Zugang zu Informationen und kön- nen oft selbstbestimmt angewendet werden. Hier könnte sich ein weiterführendes Thema er- schliessen. Die Lebenshilfe Berlin hat beispielsweise ein eingängiges Videoformat zum Thema der Wahlen entwickelt.25 Ein weiterer Zugang ist die der Leichten Sprache. Die Vereinfachung bei Schrift und Lautspra- che auf die relevanten Informationen, können eine Erleichterung sein. Ein good practise Bei- spiel dazu zum Fazit: Im Rahmen einer inklusiven Wahlkampfveranstaltung in Wilhelmsdorf Deutschland präsentierte der dortige Bürgermeister eine Rede in Leichter Sprache. Im An- schluss wertete ein Bürger ohne Beeinträchtigung diese Rede als beste Wahlkampfveranstal- tung, die er je erlebt hatte. Bei der Wahlkampfveranstaltung wurde nach seiner Aussage klar, sachlich und ohne Polemik argumentiert. Barrierefreie politische Formate können auch für die Mehrheitsgesellschaft ein Gewinn sein (vgl. Dönges 2015: 275–276). Politische Bildung ist aber nicht nur als Selbstzweck zu betrachten. Im Gegenteil, es geht auch um die Weiterentwicklung der Demokratie (vgl. Pohl 2014 zit. nach Jahr 2019: 23). Wird poli- tische Bildung mit dem Ziel des Einbezuges in die politische Normalität der demokratischen Grundordnung verbunden, dann geht es letzten Endes um die Mitgestaltung der Gesellschaft. Im Zentrum politischer Bildung stehen die Förderung der Urteilskraft, des kritischen Denkens und die Befähigung zur Partizipation. Dieses Ziel bleibt auch bestehen, möchte man Adressat/- innen gerechte politische Bildung erarbeiten. Eine lebendige und gelebte Demokratie ist die Aufgabe der politischen Bildung (Wehling 1977 zit. nach ebd.: 24). Die Ausrichtung der politi- schen Bildung auf Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung ist somit ein Empower- ment-Ansatz für die Individuen, damit diese die Gesellschaft mitgestalten können. 25 https://www.youtube.com/watch?v=e9Ga_2uUwFw 56 Diese Relevanz zeigt Bude auf. Im Folgenden soll nochmals auf die am Anfang der Arbeit festgestellten Problembereiche bei der politischen Teilhabe, aber auch auf die anfangs darge- stellten diskriminierenden Lebenswelten Bezug genommen werden. Bude betont, dass die emanzipatorischen Gesellschaftstheorien das dialektische, das unab- dingbare und die produktive Spannung zwischen den Individuen und der Gesellschaft als Triebfeder für Impulse, Ideen und Initiativen bezeichnen. Die Gesellschaft entsteht aus uner- messlich vielen Ichs, die alle ihr Eigenartiges und Einzigartiges in die Waagschale geben. Ohne die Differenz bei den Einzelnen Ichs bestünde keine Identität im Ganzen (vgl. Bude 2015: 38). Eine Gesellschaft des persönlichen Glücks und eine Atmosphäre der Freiheit bedarf einer Verfassung und eines Gemeindewesens, welche den Eigensinn aller Bürger/-innen und Bürger erwarten und begrüssen (vgl. ebd.: 38–39). Goffmann hat in seinem 1963 vorgelegten Buch Stigma aufgezeigt, dass am Element der diskreditierten Nicht-Identität eines Einzelnen, die Menschenrechte ihre besondere und nachdrückliche Geltungskraft gewinnen (vgl. ebd.: 39–40). Politische Teilhabe für Menschen mit einer kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung sind keine Erweiterung von Anrechtstiteln, sondern eine Frage der Gerechtigkeit, Demokratie, sozialen Kohäsion, Menschenrechten und nach dem innersten der Gesellschaft und des ein- zelnen Individuums. Die Zitate von Menschen mit kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigungen aus dem Schweizer Fernsehen und einem Video der HPV Rohrschach jeweils zu Beginn der Hauptkapitel, drücken ein sehr genaues Realisieren der Barrieren und der Ungleichbehand- lung aus. So erstaunt es, wird Menschen mit einer kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung nicht schon viel mehr die volle Partizipation durch Abbau der Barrieren zugesprochen. Andere Entwicklungen, wie bspw. die Abschaffung der Basler Fachstelle für Behinderte im Jahr 2015 suggerieren zugleich aber immer wieder, dass mit der Ratifizierung der UN-BRK die Barrieren beseitigt wären und die Politik sowie die Departemente sich kompetent für die Interessen beeinträchtigter Menschen einsetzten würden. Martin Haug, der ehemalige Leiter dieser Fachstelle, widerspricht dem aber vehement und betont, dass es keine Lobby für die Interessensvertretung gibt und viele Barrieren in verschiedenen Bereichen noch bestehen (vgl. Tagesanzeiger 2016: o. S.). So sind auch die Professionellen in ihrem Mandat gegenüber den Adressat/-innen aufgerufen, die Barrieren zu erkennen und gemeinsam mit den Betroffenen auf diese aufmerksam zu machen und diese abzubauen. 57 6 Literaturverzeichnis Ackermann, Karl-Ernst (2015). Politische Bildung im inklusiven Bildungssystem - grundsätzli- che Fragen. Didaktik der inklusiven politischen Bildung. Bonn: Bundeszentrale für politi- sche Bildung. S. 30–44. Ackermann, Karl-Ernst/Ditschek, Eduard Jan (2015). Voraussetzungen, Ziele und Orte inklu- siver politischer Erwachsenenbildung. Didaktik der inklusiven Bildung. Bonn: Bundes- zentrale für politische Bildung. S. 230–241. Agile.ch (2018). Schwerpunkt: Wir bestimmen mit! Über das Recht auf politische Partizipation von Menschen mit Behinderungen – und die praktische Umsetzung von Artikel 29 der UNO-BRK. Agile.ch (2020). Politik. URL: https://www.agile.ch/politik [Zugriffsdatum: 13. April 2020]. Agile.ch/Procap (2017). Medienmitteilung Politische Partizipation von Menschen mit Behinde- rungen soll gefördert werden. URL: https://aspr-svg.ch/wp-content/uplo- ads/2017/11/20171027_MM_Petition-politische-Partizipation_Postulat_D.pdf [Zugriffs- datum: 26. April 2020]. Aichele, Valentin (2010). Behinderung und Menschenrechte: Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung. In: APuZ Aus Politik und Zeitgeschichte. S. 13– 18. Aktionsplan UN-BRK (2019). Inklusionskommission der Verbände. URL: https://www.aktions- plan-un-brk.ch/admin/data/files/project/project_document/34/v22-pdf-verbande-inklusi- onskommission_at.pdf?lm=1562321456 [Zugriffsdatum: 25. April 2020]. Avenir Social (2010). Berufskodex Soziale Arbeit Schweiz. URL: https://ave- nirsocial.ch/union_brochures/kostenpflichtig-berufskodex-soziale-arbeit-schweiz/ [Zu- griffsdatum: 03. April 2020]. AvenirSocial (2016). Soziale Arbeit setzt sich für soziale Gerechtigkeit ein. URL: https://ave- nirsocial.ch/wp-content/uploads/2018/12/MM_WorkSocialDay_17032015_de.pdf [Zu- griffsdatum: 08. Mai 2020]. Bartelheimer, Peter (2007). Politik der Teilhabe. Ein soziologischer Beipackzettel. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung. Forum Berlin. Beck, Iris/Feuser, Georg/Wachtel, Peter (2012). Lebenslage und Lebensbewältigung. Behin- derung, Bildung, Partizipation. Enzyklopädisches Handbuch der Behindertenpädagogik. 1. Auflage. Aufl. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer. Benhabib, Seyla (2008). Kosmopolitismus und Demokratie. Eine Debatte mit Bonnie Honig, Jeremy Waldron und Will Kymlicka. Frankfurt am Main: Campus Verlag. 58 BFS (2015). Politische Partizipation. URL: https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statisti- ken/wirtschaftliche-soziale-situation-bevoelkerung/gleichstellung-menschen-behinderun- gen/gesellschftliche-teilhabe/politik.html [Zugriffsdatum: 08. März 2020]. BFS (2020). Menschen mit Behinderungen Anzahl Menschen mit Behinderungen Schätzung der Anzahl Menschen mit Behinderungen. URL: https://www.bfs.ad- min.ch/bfs/de/home/statistiken/wirtschaftliche-soziale-situation-bevoelkerung/gleichstel- lung-menschen-behinderungen/behinderungen.html [Zugriffsdatum: 04. Februar 2020]. Bisaz, Corsin/Serdült, Uwe (2017). E-Collecting als Herausforderung für die direkte Demokra- tie der Schweiz. Bern: Weblaw LeGes. URL: https://leges.weblaw.ch/dam/publicationsys- tem_leges/2017/3/LeGes_2017_3_531-545.pdf [Zugriffsdatum: 28. Februar 2020]. BMI, Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (2020). Politische Bildung. Artikel zu Heimat & Integration. URL: https://www.bmi.bund.de/DE/themen/heimat-integration/ge- sellschaftlicher-zusammenhalt/politische-bildung/politische-bildung-node.html [Zugriffs- datum: 10. Mai 2020]. Bodenseedeklaration (2016). Bodensee-Deklaration: Nichts über uns ohne uns. Diese Dekla- ration wurde von Selbstvertretern aus drei Ländern der Bodenseeregion am 21.06.2016 erarbeitet. URL: https://www.hpv.ch/fileadmin/hpv.ch/data/News/Anlaesse/Selbstvertre- tung/2016/ErsteBodenseeDeklaration/BodenseeDeklaration_final_mit_Namen.pdf [Zu- griffsdatum: 03. März 2020]. Boger, Mai-Anh (2015). Theorie der trilemmatischen Inklusion. In: Schnell, Irmtraud (Hg.). Her- ausforderung Inklusion. Theoriebildung und Praxis. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. S. 51–62. Böhm, Birgit/Heinrich-Böll-Stiftung (2015). Wie kann Bürgerbeteiligung inklusiv sein? Eine Analyse am Beispiel des Verfahrens Planungszelle/Bürgergutachten. Inklusion. Wege in die Teilhabegesellschaft. Frankfurt, New York: Campus Verlag. Breu, Manuela (2010). Politische Teilhabe von Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung. Wie kann die politische Teilhabe von Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung durch sozialpädagogisches Handeln unterstützt beziehungsweise begleitet werden? Kann politische Teilhabe dabei ein Ausdruck von Selbstbestimmung sein? FHS St.Gallen Hochschule für Angewandte Wissenschaften Studiengang Sozialpädagogik. Sr. Gallen. Bright in SRF (2019a). Damian Bright: «Ich verstehe es schon, sehr gut sogar. Aber ich brau- che den ganzen Morgen mit dem Wahlbüchlein.» URL: https://www.srf.ch/play/tv/news- clip/video/damian-bright-ich-wuensche-mir-fuer-die-zukunft-dass-es-politiker-mit-beein- traechtigungen-gibt-?id=49e84708-6587-4bf8-93cc-e46080bbc7d6 [Zugriffsdatum: 15. Mai 2020]. Bright in SRF, Schweizer Radio und Fernsehen (2019b). Damian Bright: «Ich wünsche mir für die Zukunft, dass es Politiker mit Beeinträchtigungen gibt.» URL: 59 https://www.srf.ch/play/tv/news-clip/video/damian-bright-ich-wuensche-mir-fuer-die-zu- kunft-dass-es-politiker-mit-beeintraechtigungen-gibt-?id=49e84708-6587-4bf8-93cc- e46080bbc7d6 [Zugriffsdatum: 15. Mai 2020]. Brück, Markus (2020). Krüppelbewegung. URL: https://sonderpaedagoge.quibbling.de/ge- schichte/wiki/index.php?title=Krüppelbewegung#Die_Entstehung_der_.22Kr.C3.BCp- pelbewegung.22_1970_-_1981 [Zugriffsdatum: 15. Februar 2020]. Bude, Heinz (2015). Was für eine Gesellschaft wäre eine «inklusive Gesellschaft»? In: Hein- rich-Böll-Stiftung (Hg.). Inklusion, Wege in die Teilhabegesellschaft. Aufl. Frankfurt am Main: Campus Verlag. S. 37–43. Bürgler, Beatrice/Hodel, Jan (2012). Die «politische Perspektive» im UNterricht - Erkenntnisee einer Videoanalyse von Geschichts- und Politikunterricht. In: Allensbach, Dominik/Zieg- ler, Béatrice (Hg.). Forschungstrends in der politischen Bildung. Beiträge zur Tagung «Politische Bildung empirisch 2010». Glarus/Chur: Rüegger Verlag. Band 1. BV (1999). Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft. vom 18. April 1999 (Stand am 1. Januar 2020). URL: https://www.admin.ch/opc/de/classified-compila- tion/19995395/202001010000/101.pdf [Zugriffsdatum: 25. März 2020]. Carigiet, Erwin/Mäder, Ueli/Bonvin, Jean-Michel (2003). Wörterbuch der Sozialpolitik. Zürich: Rotpunktverlag. Dederich, Markus (2013). Recht und Gerechtigkeit. Behinderung und Gerechtigkeit. Heilpäda- gogik als Kulturpolitik. Gießen: Psychosozial-Verlag. S. 21–36. Dederich, Markus/Greving, Heinrich/Mürner, Christian/Rödler, Peter (2013). Einleitung: «Be- hinderung und Gerechtigkeit - Heilpädagogik als Kulturpolitik». Behinderung und Gerech- tigkeit. Heilpädagogik als Kulturpolitik. Gießen: Psychosozial-Verlag. S. 7–20. Detjen, Joachim (2013). Politische Bildung. Geschichte und Gegenwart in Deutschland. 2. ak- tualisierte Auflage. Aufl. München: Oldenbourg Verlag. Deutsches Institut für Menschenrechte (2018). Berlin: Deutsches Institut für Menschenrechte. Dönges, Christoph (2015). Politik einfach verstehen. Didaktik der inklusiven politischen Bil- dung. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. S. 272–85. Dönges, Christoph/Hilpert, Wolfram/Zurstrassen, Bettina (2015). Einleitung: Didaktik der inklu- siven politischen Bildung. Didaktik der inklusiven politischen Bildung. Bonn. S. 18–29. Dörpinghaus, Andreas/Poenitsch, Andreas/Wigger, Lothar (2012). Einführung in die Theorie der Bildung. 4. Auflage. Aufl. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. DUDEN (2020). Euthanasie, die. URL: https://www.duden.de/rechtschreibung/Euthanasie [Zugriffsdatum: 01. Juni 2020]. Dyckerhoff, Valentin (2013). Behinderung und Gerechtigkeit: Demokratische Gleichheit für die gerechtigkeitstheoretische Inklusion von Menschen mit Schädigungen auf der Basis ei- nes interaktionistischen Modells von Behinderung. (Working Paper / Center for Political 60 Theory & History of Political Ideas, 2). Freie Universität Berlin, FB Politik- und Sozialwis- senschaften, Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft, Arbeitsbereich Politische Theorie und Ideengeschichte. Berlin. URL: https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/37941 [Zugriffsdatum: 02. Mai 2020]. edi.admin, Eidgenössisches Departement des Innern (2020). Staatenberichtsverfahren. Das Staatenberichtsverfahren und die innerstaatliche Umsetzung der UNO-Behinderten- rechtskonvention. URL: https://www.edi.admin.ch/edi/de/home/fachstellen/ebgb/recht/in- ternational0/uebereinkommen-der-uno-ueber-die-rechte-von-menschen-mit-be- hinde/staatenbericht.html [Zugriffsdatum: 15. Mai 2020]. EDK, Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektion (2018). Politische Bildung im Lehrplan 21. URL: https://www.sz.ch/public/upload/assets/35443/Politische%20Bil- dung%20im%20Lehrplan%2021.pdf [Zugriffsdatum: 10. Mai 2020]. Eidgenössisches Amt des Innern (2020a). Übereinkommen der UNO über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. URL: https://www.edi.admin.ch/edi/de/home/fachstel- len/ebgb/recht/international0/uebereinkommen-der-uno-ueber-die-rechte-von-men- schen-mit-behinde.html [Zugriffsdatum: 03. März 2020]. Eidgenössisches Amt des Innern (2020b). Politisches System der Schweiz - Fakten und Zah- len. URL: https://www.eda.admin.ch/aboutswitzerland/de/home/politik/uebersicht/politi- sches-system-der-schweiz---fakten-und-zahlen.html [Zugriffsdatum: 25. April 2020]. Europarat (2010). Die neue Strategie und Aktionsplan des Europarates für soziale Kohäsion. URL: https://www.coe.int/t/dg3/socialpolicies/source/Die%20neue%20Strate- gie%20und%20Aktionsplan%20des%20Europarates%20für%20soziale%20Kohä- sion%20dt-%20Version.pdf [Zugriffsdatum: 23. März 2020]. Felder, Gerechtigkeit (2012). Inklusion und Gerechtigkeit. Das Recht behinderter Menschen auf Teilhabe. Frankfurt, New York: Campus Verlag. FHS Broadcast (2018). Wie können Menschen mit Beeinträchtigung mitbestimmen? (FHS Es- say). URL: https://www.youtube.com/watch?v=-RvZUy-05Pw&feature=youtu.be [Zu- griffsdatum: 15. Mai 2020]. Fornefeld, Barbara (2004). Einführung in die Geistigbehindertenpädagogik. München: Rein- hardt Verlag. Forst, Rainer (2015). Die erste Frage der Gerechtigkeit. In: Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.). Inklu- sion. Wege in die Teilhabegesellschaft. Frankfurt, New York: Campus Verlag. S. 44–53. FRA Bericht (2010). The right to political participation for persons with disabilities: human rights indicators. Wien: European Union Agency for fundamental rights. URL: https://fra.eu- ropa.eu/sites/default/files/fra-2014-right-political-participation-persons-disabilities_en.pdf [Zugriffsdatum: 23. Februar 2020]. 61 General Comment No. 7 (2018). UN, Committee on the Rights of Persons with Disabilities (2018): General Comment No. 7 (2018) on the participation of persons with disabilities, including children with disabilities, through their representative organizations, in the im- plementation and monitoring of the Convention, UN Doc. CRPD / C / GC / 7. URL: https://tbinternet.ohchr.org/_layouts/15/treatybodyexternal/Download.aspx?sym- bolno=CRPD/C/GC/7&Lang=en [Zugriffsdatum: 13. März 2020]. Gruppe Mitsprache (2020). Wir über uns. URL: http://gruppe-mitsprache.ch/wir-ueber-uns/ [Zugriffsdatum: 10. April 2020]. Hedderich, Ingeborg (2016). Teilhabe und Vielfalt: Herausforderungen einer Weltgesellschaft. Eine Einführung im Kontext der UN-Behindertenrechtskonvention. Teilhabe und Vielfalt: Herausforderungen einer Weltgesellschaft. Beiträge zur Internationalen Heil- und Son- derpädagogik. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt Verlag. Heinzmann, Anita (2018). „Nichts über uns ohne uns!“ Beteiligung von Menschen mit Lern- schwierigkeiten am politischen und öffentlichen Leben – eine qualitative Untersuchung zu den Voraussetzungen für Beteiligung mit Fokus auf die Selbstvertretung. Fachhoch- schule Nordwestschweiz. Hochschule für Soziale Arbeit. Olten. URL: https://www.fhnw.ch/de/studium/soziale-arbeit/master/media/hsa_ma_the- sis_2018_heinzmann_anita.pdf [Zugriffsdatum: 13. März 2020]. Hirschberg, Marianne (2010). Partizipation. Ein Querschnittsanliegen der UN-Behinderten- rechtskonvention. Partizipation. Ein Querschnittsanliegen der UN-Behindertenrechtskon- vention. Berlin: Deutsches Institut für Menschenrechte. S. 1–8. Hirschberg, Marianne/Papadopoulos, Christian (2017). Partizipation behinderter Menschen. Teilhabe für alle ?! Lebensrealtiäten zwisschen Diskriminerung und Partizipation. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. 10155. Jg. S. 103–129. Hoffmann, Thomas (2016). Entwicklungsorientierte Begründungen der Didaktik im Span- nungsfeld von Inklusion und Exklusion. In: Musenberg, Oliver/Riegert, Judith (Hg.). Di- daktik und Differenz. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. S. 91–110. Hufer, Klaus-Peter (2015). Politische Jugend- und Erwachsenenbildung – auch für Menschen mit Teilnahmeeinschränkung? Didaktik der inklusiven politischen Bildung. Bonn: Bundes- zentrale für politische Bildung. S. 243–256. Husi, Gregor (2012). Auf dem Weg zur Beteiligungsgesellschaft. Zwischen Sicherheitserwar- tung und Risikoerfahrung. Vom Umgang mit einem gesellschaftlichen Paradoxon in der Sozialen Arbeit,. Bielefeld: Transcript. S. 75–119. Hüsler, Stephan (2018). Gleichstellung ist Knochenarbeit. In: Behinderung & Politik. (2). S. Inclusion Handicap (2017). Schattenbericht. Bericht der Zivilgesellschaft anlässlich des ersten Staatenberichtsverfahrens vor dem UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Be- hinderungen. Bern: Dachverband der Behindertenorganisationen Schweiz. URL: 62 http://www.inclusione-andicap-ticino.ch/wp-content/uploads/2017/08/schattenbe- richt_unobrk_inclusion_handicap_barrierefrei.pdf [Zugriffsdatum: 13. Februar 2020]. Inclusion Handicap (2020). Le canton de Genève est le premier à mettre fin à la privation des droits politiques des personnes handicapées. URL: https://www.inclusion-handi- cap.ch/fr/actualite/actualite_0/2021/droit-de-vote-et-dreligibilite-pour-toutes-et-tous-le- canton-de-geneve-precurseur-488.html [Zugriffsdatum: 15. März 2020]. Insieme (2020a). Berufliche Integration. URL: https://insieme.ch/politisches-engagement/be- rufliche-integration/ [Zugriffsdatum: 24. April 2020]. Insieme (2020b). Definition von Behinderung. URL: https://insieme.ch/geistige-behinde- rung/definitionen/ [Zugriffsdatum: 12. April 2020]. Invalidenversicherung (2020). Was bedeutet Invalidität im Sinne der IV? URL: https://www.ahv-iv.ch/de/Sozialversicherungen/Invalidenversicherung-IV/Allgemei- nes#qa-1207 [Zugriffsdatum: 02. März 2020]. Jahr, David (2019). Zur (Re-)Politisierung der Inklusionstheorie Umgang mit unausweichlichen Widersprüchen in der inklusiven politischen Bildung. In: Hölzel, Tina/Jahr, David (Hg.). Konturen einer inklusiven politischen Bildung. Konzeptionelle und empirische Zugänge. Wiesbaden: Springer VS. S. 15–33. Jentsch, Sabine (2012). Behinderung ohne Behinderte?! Perspektiven der Disability Studies. Präsentation am 10. Dezember 2012. Universität Hamburg. URL: https://www.psychoso- zial-verlag.de/23124 [Zugriffsdatum: 14. März 2020]. Jordan, Annemarie/Becker, Becker (2019). Bausteine inklusiver Pädagogik. Anregungen aus der Grundschulpädagogik für die inklusive politische Bildung. Konturen einer inklusiven politischen Bildung Konzeptionelle und empirische Zugänge. Wiesbaden: Springer VS. S. 151–170. Käch Studhalter, Esther/Köppel Hafen, Luzia/Bühler, Ursula (2008). Eltern sein mit geistiger Behinderung Unterstützungsangebote in Erziehungsfragen für Eltern mit leichter geistiger Behinderung. Lucerne University of Applied Sciences and Arts. Luzern. URL: http://docplayer.org/17716808-Unterstuetzungsangebote-in-erziehungsfragen-fuer- eltern-mit-leichter-geistiger-behinderung.html [Zugriffsdatum: 24. April 2020]. Kälin, Walter/Künzli, Jörg/Wyttenbach, Judith/Schneider, Annina/Akagündüz, Sabiha (2008). Mögliche Konsequenzen einer Ratifizierung der UN-Konvetion über die Rechte von Men- schen mit Behinderung durch die Schweiz. Gutachten zuhanden des Generalsekretariats GS-EDI / Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen EBGB. Bern: Universität Bern. Kallehauge, Holger (2009). Die Entstehungsgeschichte einer neuen Menschenrechtskonven- tion. Die UN-Konvention der Rechte von Menschen mit Behinderung. Gemeinsam leben. Weinheim: Gemeinsam leben. S. 195–202. 63 Klamp-Gretschel, Karoline (2016). Politische Teilhabe von Frauen mit geistiger Behinderung. 1. Aufl. Verlag Barbara Budrich. KOKES (2018). KOKES-Statistik 2018 Anzahl Personen mit Schutzmassnahmen per 31.12.2018. Luzern. URL: https://www.kokes.ch/application/fi- les/7615/7682/7735/03_KOKES-Statistik_2018_DE.pdf [Zugriffsdatum: 13. Februar 2020]. Korfkamp, Jens (2015). Erfordernisse und Perspektiven einer inklusiven politischen Jugend- und Erwachsenenbildung Anstöße zum Weiterdenken – eine Replik. Didaktik der inklusi- ven politischen Bildung. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. Kronauer, Martin (2010). Inklusion – Exklusion. Eine historische und begriffliche Annäherung an die soziale Frage der Gegenwart. Inklusion und Weiterbildung Reflexionen zur gesell- schaftlichen Teilhabe in der Gegenwart. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag GmbH & Co. S. 24–58. Kuenzi, Renat (2019). Politische Bildung soll in der Schweiz Chefsache werden. URL: https://www.swissinfo.ch/ger/direktedemokratie/politische-bildung_politische-bildung- soll-in-der-schweiz-chefsache-werden/45217944 [Zugriffsdatum: 10. Mai 2020]. Kuhlmann, Carola (2012). Der Begriff der Inklusion im Armuts- und Menschenrechtsdiskurs der Theorien Sozialer Arbeit – eine historisch-kritische Annäherung. Wiesbaden: Springer VS. Kuhn, Andreas/Köhler, Jan Markus (2015). Kommunale Teilhabeplanung und bürgerschaftli- che Interessenvertretung in Rheinland-Pfalz. Didaktik inklusiver politischer Bildung. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. S. 286–293. Kulig, Wolfram/Theunissen, Georg/Schirbort, Kerstin (2007). Handlexikon Geistige Behinde- rung Schlüsselbegriffe aus der Heil- und Sonderpädagogik, Sozialen Arbeit, Medizin, Psychologie, Soziologie und Sozialpolitik. Stuttgart: Kohlhammer. Lindmeier, Christian (2013). Gerechtigkeit, politische Inklusion und Behinderung. Behinderung und Gerechtigkeit. Heilpädagogik als Kulturpolitik. Gießen: Psychosozial-Verlag. S. 77– 93. May, Michael (2014). Politische Bildung als Beruf – Oder: Welche professionellen Herausfor- derungen stellen politische Bildungsprozesse an die Lehrenden? 63. S. 585–596. mensch-zuerst (2020). Wir sollen. URL: https://mensch-zuerst.ch/schweiz/de/4.0.0/wir/wir- wollen.html [Zugriffsdatum: 09. April 2020]. Motion 18.4395 (2018). Leichte Sprache in Abstimmungserläuterungen und weiteren Informa- tionen des Bundes. URL: https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/ge- schaeft?AffairId=20184395 [Zugriffsdatum: 13. März 2020]. Mürner, Christian/Sierck, Udo (2012). Behinderung. Weinheim Basel: Belz Juventa. 64 Musenberg, Oliver/Riegert, Judith (2015). Wege zur Öffnung des politischen Raums für Men- schen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Didaktik der inklusiven politischen Bildung. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. S. 261–271. Naue, Ursula/Wegscheider, Angela (2015). Politische Partizipation von Menschen mit Behin- derungen in Österreich. Erschienen am 18. April 2020. In: http://www.juridikum.at/. Heft Nr. 1. Jg. S. URL: https://www.academia.edu/23195513/Politische_Partizipa- tion_von_Menschen_mit_Behinderungen_in_Öster- reich_2015_?email_work_card=view-paper [Zugriffsdatum: 18. April 2020]. Niess, Meike (2016). Partizipation aus Subjektperspektive. Zur Bedeutung von Interessenver- tretung für Menschen mit Lernschwierigkeiten. Wiesbaden: Springer VS. Osbahr, Stefan (2003). Selbstbestimmtes Leben von Menschen mit einer geistigen Behinde- rung. Beitrag zu einer systemtheoretisch-konstruktivistischen Sonderpädagogik. Luzern: Schweizerische Zentralstelle für Heilpädagogik. Otto, Hans-Uwe/Thirsch, Hans/Treptow, Rainer/Ziegler, Holger (2018). Handbuch Soziale Ar- beit. Grundlagen der Sozialen Arbeit und Sozialpädagogik. München: Ernst Reinhardt Verlag. Palleit, Leander (2011). Gleiches Wahlrecht für alle? Menschen mit Behinderungen und das Wahlrecht in Deutschland. Berlin: Deutsches Institut für Menschenrechte. URL: https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/uploads/tx_commerce/policy_pa- per_18_gleiches_wahlrecht_fuer_alle.pdf [Zugriffsdatum: 04. April 2020]. Palleit, Leander (2012). Deutschland braucht endlich ein inklusives Wahlrecht. Berlin: Deut- sches Institut für Menschenrechte. URL: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168ssoar- 317931 [Zugriffsdatum: 06. März 2020]. People First e.V. (2020). Wir wollen «Menschen mit Lernschwierigkeiten» genannt werden! URL: Mensch zuerst - Netzwerk People First Deutschland e.V. [Zugriffsdatum: 13. April 2020]. Reheis, Fritz (2016). Politische Bildung. Eine kritische Einführung. 2. Auflage. Aufl. Wiesba- den: Springer VS. Richter, Dagmar (2015). Inklusive politische Bildung in der Schule. Didaktik der inklusiven po- litischen Bildung. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. S. 168–181. Röh, Dieter (2018). Soziale Arbeit in der Behindertenhilfe. 2. Aufl. München: Ernst Rheinhardt. Rudlof, Wielfried (2016). Lebenslagen, Aufmerksamkeitszyklen und Periodiserungsprobleme der bundesdeutschen Behindertenpolitik bis zur Wiedervereinigung. Kontinuitäten, Zäsu- ren, Brüche? Lebenslagen von Menschen mit Behinderung in der deutschen Zeitge- schichte. Frankfurt, New York: Campus Verlag. S. 54–81. 65 Rudolf, Beate (2017). Teilhabe als Menschenrecht - eine grundlegende Betrachtung. Teilhabe für alle ?! Lebensrealitäten zwischen Diskriminierung und Partizipation. Bonn: Bundes- zentrale für politische Bildung. S. 13–43. Schefer, Markus/Hess-Klein, Caroline (2014). Behindertengleichstellungsgesetz. Bern: Stämpfli Verlag. Schwier, Volker (2015). Auf der Suche nach inklusionssensiblen Lehr-/Lernarrangements. An- stöße zum Weiterdenken – eine Replik. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. S. 204–211. Siller, Peter (2015). Was heisst Inklusion. In: Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.). Inklusion. Wege in die Teilhabegesellschaft. Frankfurt, New York: Campus Verlag. S. 25–37. SKMR (2019). Mitsprache von Menschen mit Behinderungen in politischen Prozessen. Vorga- ben und Umsetzung der Behindertenrechtskonvention. Kurzstudie. Bern: Schweizeri- sches Kompetenzzentrum für Menschenrechte. URL: https://www.skmr.ch/cms/up- load/190924_Mitsprache_Menschen_mit_Behinderungen.pdf [Zugriffsdatum: 20. Februar 2020]. Speck, Otto (1990). Menschen mit geistiger Behinderung und ihre Erziehung. Ein heilpädago- gisches Lehrbuch. München Basel: Ernst Reinhardt Verlag. Speck, Otto (2012). Menschen mit geistiger Behinderung. Ein Lehrbuch zur Erziehung und Bildung. Basel: Ernst Rheinhardt Verlag. Spreen, Otfried (1978). Psychologische Klassifizierung nach dem adaptiven Verhalten. Geis- tige Behinderung. SRF 1 (2017). Erste Bodenseedeklaration. Barrieren in den Köpfen abreissen. URL: https://www.srf.ch/news/regional/ostschweiz/barrieren-in-den-koepfen-abreissen [Zu- griffsdatum: 13. März 2020]. Stephens, Thomas (2019). Wer in der Schweiz wählen kann – und wer nicht. URL: https://www.swissinfo.ch/ger/direktedemokratie/wahlen-2019_wer-in-der-schweiz-waeh- len-kann---und-wer-nicht/45254760 [Zugriffsdatum: 18. April 2020]. Tagesanzeiger (2019). Behindertenverbände ohne Behinderte. URL: https://www.tagesanzei- ger.ch/zuerich/region/behindertenverbaende-ohne-behinderte/story/31307653 [Zugriffs- datum: 22. März 2020]. Tagesanzeiger, Annika Bangert (2016). Fachstelle für Behinderte hätte noch lange genug Ar- beit gehabt. Erschienen am 19. Mai 2020. In. URL: https://www.bzbasel.ch/basel/basel- stadt/fachstelle-fuer-behinderte-haette-noch-lange-genug-arbeit-gehabt-129982295 [Zu- griffsdatum: 19. Mai 2020]. Theunissen, Georg (2011). Geistige Behinderung und Verhaltensauffälligkeiten. Ein Lehrbuch für Schule, Heilpädagogik und ausserschulische Behindertenhilfe. 5. Aufl. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt Verlag. 66 Theunissen, Georg (2016). Geistige Behinderung und Verhaltensauffälligkeiten. Ein Lehrbuch für Schule, Heilpädagogik und ausserschulische Unterstützungssysteme. 6. Aufl. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt Verlag. Thorweger, Jan Eike (2019). Politikunterricht in der inklusiven Schule. Wissenschaftliche und alltagsdidaktische Vorstellungen über inklusiven Politikunterricht als Zugang zur Kompe- tenzentwicklung von Fachlehrkräften. Konturen einer inklusiven politischen Bildung Kon- zeptionelle und empirische Zugänge. Wiesbaden: Springer VS. S. 171–187. Trescher, Hendrik (2013). Behinderung als demokratische Konstruktion. Zum objektiven Sinn und ‚cultutral impact‘ der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderun- gen. URL: http://bidok.uibk.ac.at/library/inkl-04-13-trescher-demokra- tisch.html#idp2646272 [Zugriffsdatum: 14. April 2020]. Tümer, Susan Deniz (2007). Die Krüppelbewegung - eine Emanzipationsbewegung der 1970er Jahr. München: Grin Verlag. Vereinte Nationen (2006). Präambel Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Be- hinderungen. URL: https://www.behindertenrechtskonvention.info [Zugriffsdatum: 22. März 2020]. Vogt, Salomè/Wüst, Fabio (2018). Der Milizgedanke als Motor sozialer Kohäsion Miliz heute Die politische Kultur der Schweiz ist geprägt vom Gedanken gegenseitiger Hilfe und Zu- sammenarbeit. URL: https://www.avenir-suisse.ch/der-milizgedanke-als-motor-sozialer- kohaesion/ [Zugriffsdatum: 08. April 2020]. Wacker, Elisabeth (2005). Alter und Teilhabe. Teilhabe. Wir wollen mehr als nur dabei sein. Marburg: Lebenshilfe Verlag. S. 337–366. Waldschmidt, Anne (2009). Politische Partizipation von Menschen mit Behinderungen und Be- nachteiligungen. In: Orthmann Bless, Dagmar/Stein, Roland (Hg.). Lebensgestaltung bei Behinderungen und Benachteiligungen im Erwachsenenalter und Alter. Hohengehren: Schneider Verlag. S. 118–152. Wehrfritz (2020). Definition Inklusion. URL: http://www.inklusion-schule.info/inklusion/defini- tion-inklusion.html Weißeno, Georg (2015). Inklusiver Politikunterricht – Förderung der Politikkompetenz. Didaktik der inklusiven politischen Bildung. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. S. 78–86. Weißeno, Georg/Detjen, Joachim/Juchler, Ingo/Massing, Peter/Richter, Dagmar (2010). Kon- zepte der Politik - ein Kompetenzmodell. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. Weisser, Jan (2012). Politische und soziale Partizipiation. In: Beck, Iris/Greving, Heinrich (Hg.). Lebenslage und Lebensbewältigung. 1.Auflage. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer. S. 170– 178. Welti, Felix (2005). Behinderung und Rehabilitation im sozialen Rechtstaat. Freiheit, Gleichheit und Teilhabe behinderter Menschen. Tübingen: Mohr Siebeck. 67 Welti, Felix (2012). Behinderung und Rehabilitation: Ist das Besondere von allgemeinem Inte- resse für Recht und Politik? Kritische Justiz. Auflage 4. Aufl. Baden-Baden: Nomos Ver- lagsgesellschaft mbH. 45. Jg. S. 366–378. Wohlgensinger, Corinne (2014). Behinderung und Menschenrechte: Ein Verhältnis auf dem Prüfstand. Berlin Toronto: Budrich UniPress Ltd. ZSLschweiz (2020). URL: http://www.zslschweiz.ch [Zugriffsdatum: 27. März 2020]. (2017). Politische Partizipation von Menschen mit Behinderung. URL: https://www.parla- ment.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20173972 [Zugriffsdatum: 19. April 2020]. 68