Fachhochschule Nordwestschweiz Hochschule für Soziale Arbeit Bachelorstudium in Sozialer Arbeit Olten, Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration Welche Bedeutung kommt dem Engagement von Freiwilligen mit Fluchthintergrund und der Freiwilligenarbeit im Flüchtlingsbereich zu? MODUL BA115 – BACHELOR THESIS VORGELEGT VON EINGEREICHT BEI Rahel Kunz Prof. Dr. Thomas Geisen Im Juli 2016 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration Abstract Gegenwärtig sorgen die steigenden Flüchtlingszahlen für grosse Herausforderungen in den Aufnahmeländern. Die prekären Lebenslagen und die erschwerten Integrationsbedingungen der Geflüchteten erfordern Unterstützung. Professionelle Akteure im Flüchtlingsbereich befinden sich zusehends an den Grenzen ihrer Kapazität. In dieses Spannungsfeld treten Angebote aus dem Freiwilligensektor. Neue Programme zur Unterstützung von Geflüchteten sowie Angebote, bei denen Geflüchtete sich selbst engagieren können, werden geschaffen. Diese Bachelor Thesis widmet sich dem Phänomen der Freiwilligenarbeit im Kontext der Fluchtmigration. Fachwissenschaftliche Erkenntnisse zu Freiwilligenarbeit, Migration und Fluchtmigration im Besonderen werden dargelegt und somit die relevanten Forschungsbereiche umrissen. Anhand verschiedener Studien aus Deutschland, England, der Schweiz und den USA werden empirische Erkenntnisse über Freiwilligenarbeit von und mit Geflüchteten erörtert und verglichen. Es stellt sich heraus, dass diese Form von Freiwilligenarbeit sowohl Chancen als auch Herausforderungen bietet. Die Vielzahl an Möglichkeiten zur Integration, Inklusion und Partizipation bergen grosses Potenzial. Andererseits werden durch freiwilliges Engagement bestehende Hierarchien weitergeführt und gängige Strukturen nicht hinterfragt. Schlussendlich erweist sich das freiwillige Engagement als neues Tätigkeitsgebiet der Sozialen Arbeit, in der diese sich mit ihren beruflichen Kompetenzen in einer vermittelnden und koordinierenden Rolle befindet. 2 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration Inhaltsverzeichnis ABSTRACT ............................................................................................................................. 2 1 EINLEITUNG ..................................................................................................................... 4 2 FREIWILLIGENARBEIT ALLGEMEIN UND DIE SOZIALE ARBEIT ............................... 9 2.1 WANDEL DER FREIWILLIGENARBEIT .............................................................................. 11 2.2 FUNKTION UND WIRKUNG VON FREIWILLIGENARBEIT ..................................................... 12 2.3 ENGAGIERTE UND DEREN MOTIVE ............................................................................... 14 2.4 FREIWILLIGENARBEIT UND DIE SOZIALE ARBEIT ............................................................ 17 3 ZUR UNTERSCHEIDUNG VON FLUCHT UND MIGRATION ........................................ 19 3.1 WELTGESCHICHTLICHER BLICK AUF MIGRATION ........................................................... 23 3.2 FLUCHTMIGRATION ...................................................................................................... 26 3.3 PROBLEMATIKEN DER FLUCHTMIGRATION ..................................................................... 28 4 GEFLÜCHTETE UND DIE FREIWILLIGENARBEIT ...................................................... 31 4.1 FUNKTION UND WIRKUNG VON FREIWILLIGENARBEIT IM FLÜCHTLINGSBEREICH .............. 33 4.2 MOTIVE DER FREIWILLIGEN .......................................................................................... 37 4.2.1 Extrinsische Motivation ........................................................................................ 38 4.2.2 Intrinsische Motivation ......................................................................................... 42 4.3 DAS BILD DER GEFLÜCHTETEN .................................................................................... 43 4.4 PROFESSIONELLE ROLLE DER SOZIALEN ARBEIT .......................................................... 46 5 FAZIT UND SCHLUSSFOLGERUNG ............................................................................. 50 6 LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS ................................................................ 55 6.1 JUDIKATUR .................................................................................................................. 60 6.2 ABBILDUNGEN UND TABELLEN ...................................................................................... 60 ANHANG ............................................................................................................................... 61 6.3 BUNDESAMT FÜR STATISTIK: ARMUTSQUOTE ................................................................ 61 6.4 BUNDESAMT FÜR STATISTIK: ERWERBSLOSENQUOTE NACH ILO ................................... 61 6.5 STATISTIK DER UNHCR: AUFNAHMELÄNDER ................................................................ 62 EHRENWÖRTLICHE ERKLÄRUNG ZUR BACHELOR THESIS ......................................... 66 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis ABBILDUNG 1: Typologie der Wanderungen nach Petersen (1972) ................................... 21 TABELLE 1: Übersicht über die verschiedenen Motivgruppen ............................................. 38 TABELLE 2: Gezeichnete Bilder von Geflüchteten in den beigezogenen Studien ............... 46 3 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration 1 Einleitung Das Thema Freiwilligenarbeit hat an gesellschaftlicher Bedeutung gewonnen. Dies zeigen zahlreiche Publikationen und Forschungsarbeiten zu diesem Thema. Statistische Erkenntnisse aus der Arbeitskräfteerhebung (SAKE) des Bundesamts für Statistik unterstreichen den Wert der Freiwilligenarbeit: In der Schweiz wird rund 14 Prozent mehr unbezahlte Arbeit verrichtet, als bezahlte (vgl. Kobler 2015: 9). Zur unbezahlten Arbeit zählen Haus- und Familienarbeit, wie auch Freiwilligenarbeit. Fakt ist, dass gerade Angebote der Sozialen Arbeit und des Gesundheitsdienstes ohne ehrenamtlich tätige Mitarbeitende nicht mehr auskommen könnten (vgl. Rosenkranz/Weber 2002: 7). Doch nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Öffentlichkeit wird Freiwilligenarbeit breit diskutiert. Anlässe dafür waren beispielsweise das „Internationale Jahr der Freiwilligen 2001“ oder das „Europäische Jahr der Freiwilligentätigkeit 2011“ (vgl. Olk/Hartnuß 2011: 5). Dabei werden diverse Wirkungsmechanismen der Freiwilligenarbeit diskutiert: Erstens kann freiwilliges Engagement das Sozialkapital von Einzelnen und der Gesellschaft als Ganzes erhöhen und sozialintegrativ wirken. Es wird in der heutigen Gesellschaft als Gegensteuer der Individualisierung gesehen und könne „die Gemeinwohlorientierung einer zunehmend egoistisch geprägten Gesellschaft wieder herstellen“ (Stadelmann-Steffen/Freitag/Bühlmann 2007: 31). Durch Freiwilligenarbeit lassen sich politische, ökonomische und gesellschaftliche Problemlagen besser überwinden (vgl. Freitag/Manatschal/Ackermann/Ackermann 2016: 225). Zweitens unterliegt der Sozialstaat hohen Anforderungen, da ihm wenig finanzieller Spielraum gelassen wird. Der Umfang des staatlichen Auftrags bezüglich sozialer Sicherheit wird in der Politik fortlaufend diskutiert und gegebenenfalls werden gesetzliche Anpassungen vorgenommen. Von diesen Aushandlungen hängt wiederum ab, welche Arten von Freiwilligenarbeit überhaupt erbracht werden sollten und wo kein Bedarf an zivilgesellschaftlichem Engagement besteht (vgl. Ammann 2004: 21ff). Momentan gibt es in vielen europäischen Ländern die Tendenz, dass der Sozialstaat wieder schlanker werden soll. Verschiedene soziale Sicherungssysteme unterliegen Sparmassnahmen. Es entstehen personelle Engpässe oder fehlende Strukturen, um soziale Probleme angemessen anzugehen. Um Versorgungslücken zu füllen, tritt die Freiwilligenarbeit als Ergänzung von Staat, Markt und Familie. Die Nähe zur Bevölkerung, sowie das Wegfallen von Bürokratie und Hierarchie gelten als deren Vorteile (vgl. Efionayi-Mäder/Truong/D’Amato 2015: 33, Freitag et. al. 2016: 26, Stadelmann-Steffen et. al. 2007: 32). Drittens kann Freiwilligenarbeit als eine Art Protest gegen das Vorherrschen der Arbeitsgesellschaft betrachtet werden. Die Lohnarbeit steht gegenwärtig im Fokus und ist für die soziale Integration zentral. Die Zunahme der Bedeutung unentgeltlicher Arbeit könnte 4 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration einen Wandel hin zu einer Tätigkeitsgesellschaft fördern. Dies würde vor allem jenen zugute kommen, welche nicht im Arbeitsmarkt integriert sind (vgl. Kühnlein/Böhle 2002 a: 93f., Stadelmann-Steffen et. al. 2007: 33). Viertens ist die Initiative und das Engagement der Zivilgesellschaft Ausdruck einer starken Demokratie. Tocqueville vertritt die Ansicht, dass der Verein eine „Schule der Demokratie“ sei (zit. in Kriesi 2004: 72). Freiwilligenorganisationen können in dreifacher Weise zu einer starken Demokratie beitragen: Der Zugang zu Informationen und Ressourcen wird erleichtert, politisches Engagement wird als Norm gefördert und die Organisationen können selbst zu politischen Akteuren werden, welche die Interessen ihrer Mitglieder vertreten und die Politik mitgestalten (vgl. Stadelmann-Steffen et. al. 2007: 33f.). Die Freiwilligenarbeit weist also aufgrund der genannten vier Punkte grosses Potential auf: Im freiwilligen Engagement kann Sozialkapital erworben werden, es dient als Ergänzung des Sozialstaats, plädiert für eine neue Sicht der Gesellschaft und ist Ausdruck einer starken Demokratie. Auch im gegenwärtigen Flüchtlingsgeschehen ist das Thema der Freiwilligenarbeit bedeutsam. Derzeit befinden sich rund 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht, was etwa der Einwohnerzahl von ganz Italien entspricht. Davon sind etwa zwei Drittel Binnenflüchtlinge, welche innerhalb ihres Heimatlandes auf der Flucht sind. Rund 20 Millionen Menschen flüchten jedoch ins Ausland. Wesentliche Gründe für die momentanen hohen Flüchtlingszahlen sind der Bürgerkrieg in Syrien und der Terror des Islamischen Staats in Syrien und dem Irak (vgl. Stalinski 2015: o.S.). Durch den Anstieg der Asylgesuche sind vorhandene Sozialstrukturen in den Aufnahmeländern stark gefordert, Platz- und Personalmangel verstärken die angespannte Lage (vgl. Mey/Keller 2016: 20). In dieser Arbeit wird zwischen dem Motiv der Flucht und anderen Migrationsmotiven unterschieden. Migration kann ein Privileg sein, wenn sie freiwillig ist, beispielsweise aufgrund von Bildungsambitionen, Heirat oder Abenteuerlust. Aufgrund einer Notsituation, wie Verfolgung, Krieg oder Konflikten, kann Migration zwangsläufig zur einzigen Alternative werden (vgl. Eppenstein/Kiesel 2008: 31). Eine Flucht ist risikoreich und kann mit Verlust von kulturellem Kapital und von ökonomischen Ressourcen einhergehen. Schwierige Erlebnisse im Heimatland oder unterwegs können traumatisch sein und bergen gesundheitliche Risiken (vgl. ebd.: 30). Im Gastland angekommen besteht für die Migrationsbevölkerung ein tendenziell grösseres Risiko, sozial unterschichtet zu werden. Dies bedeutet, dass Eingewanderte im Verhältnis vermehrt von sozialem Abstieg betroffen sind als Einheimische. Dieser Abstieg kann in den Bereichen Ausbildung, Arbeit, Einkommen, Partizipation oder Wohnen stattfinden (vgl. ebd.: 36). Laut dem Bundesamt für Statistik macht die ausländische Bevölkerung der Schweiz im Jahre 2014 26,6 Prozent der Armutsbevölkerung aus. Zugleich beträgt der Anteil der 5 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration ausländischen Bevölkerung 23,3 Prozent der Gesamtbevölkerung. Ausländerinnen und Ausländer sind also häufiger von Armut betroffen (siehe Bundesamt für Statistik 2016 a). Menschen mit Migrationshintergrund sind somit eine grosse Adressatengruppe der Sozialhilfe und folglich bedeutsam für die Soziale Arbeit. Die International Labour Organization (ILO) macht Hochrechnungen zur Erwerbslosigkeit. In der Schweiz wurden im Jahre 2015 113'200 erwerbslose Schweizerinnen und Schweizer geschätzt, welchen 106'000 erwerbslose Ausländerinnen und Ausländer gegenüber stehen. Bei einem Ausländeranteil von 23,3 Prozent zeigt dies das erhöhte Risiko der Erwerbslosigkeit für Ausländerinnen und Ausländer auf. Dabei werden nicht nur Arbeitslose mitgezählt, welche bei einem Amt gemeldet sind, sondern alle erwerbslose, stellensuchende Personen (siehe Bundesamt für Statistik 2016 b: o.S.). Im Vergleich zur restlichen Migrationsbevölkerung sind Flüchtlinge zusätzlich benachteiligt. Studien aus England zeigen, dass sie noch einmal eine höhere Arbeitslosenquote aufweisen (vgl. Tomlinson 2010: 279). Geflüchtete, welche Asyl suchen, dürfen in den ersten Monaten nicht arbeiten und auch nach dieser Zeit führen sprachliche Lücken und nicht anerkannte Qualifikationen dazu, dass viele Schwierigkeiten haben, Arbeit zu finden. „Und um selbstständig Telefonate zu führen und Bewerbungsschreiben zu verfassen, sind deren Deutschkenntnisse zu schlecht. Es ist schwer, sich gut zu verkaufen, wenn man die Sprache nicht beherrscht (...)“ (Senn 2016: 23). In der Asylberatung und in Arbeitsintegrationsprogrammen versucht die Soziale Arbeit diesen Menschen Unterstützung zu bieten. Die vorhandenen Lebenschancen werden oft eingeschränkt, weil armutsbetroffene und armutsgefährdete Menschen in benachteiligten Quartieren leben. Dies kann unter anderem Rückzug in die eigene ethnische Gruppe zur Folge haben. In den Medien wurde das Phänomen unter dem Begriff der „Parallelgesellschaften“ bekannt (vgl. Eppenstein/Kiesel 2008: 35f.). Die nicht abschliessend genannten Risiken, wie Armut, Erwerbslosigkeit und fehlende Wohnqualität bergen die Gefahr des sozialen Abstiegs und des gesellschaftlichen Ausschlusses. Solche prekären Lebenslagen können ihren Ursprung also in schwierigen Migrationsverläufen wie der Flucht haben und den inneren Zusammenhalt eines Landes ernsthaft gefährden (vgl. ebd.). Freiwilligenarbeit findet auch im Flüchtlingsbereich statt. So zeigt die Schweizer Studie über das Zivilgesellschaftliche Engagement im Flüchtlingsbereich, dass sich eine Vielzahl von Akteuren für Geflüchtete einsetzt (vgl. Efionayi-Mäder et. al. 2015: 5). Es können drei verschiedene Arten von Engagement unterschieden werden. Erstens sollen geflüchtete Menschen in ihren prekären Lebenslagen unterstützt werden. Dies zeigen zahlreiche von professioneller, wie auch von ehrenamtlicher Seite ins Leben gerufene Projekte. Einige Angebote sollen den Kontaktaufbau und die Inklusion fördern, wie beispielsweise 6 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration gemeinsame Aktivitäten, Patenschafts-Vermittlungen oder Orte der Begegnung. In der Quartierarbeit werden marginalisierte Quartiere in den Blick genommen und Teilhabe ermöglicht. Sprach- oder Bildungsprogramme sollen wiederum Unterstützung in der Arbeitsintegration bieten (vgl. Bindschedler 2016: 15, Efionayi-Mäder et al. 2015: 6). Hilfswerke und Sozialdienste wurden von Freiwilligen geradezu überrannt, was dazu führte, dass Hilfeleistungen besser koordiniert werden mussten (siehe Bindschedler 2016: 15). Neben den Unterstützungsleistungen kommt als zweiter Aspekt Freiwilligenarbeit auch dann ins Spiel, wenn arbeitslose Flüchtlinge oder Asylsuchende ohne Arbeitsbewilligung beschäftigt werden sollen. Etwas provokativ beschrieb die Neue Zürcher Zeitung im Bericht über eine Asylunterbringung folgenden Mechanismus: „je grösser die Bereitschaft zu gemeinnütziger Arbeit, desto grösser die Akzeptanz seitens der Einheimischen“ (Jankovsky 2015: o.S.). Sichtbares Engagement von Asylsuchenden scheint also der Akzeptanz und im weiteren Sinne der Integration dienlich. Die Beschäftigung von Geflüchteten in der Freiwilligenarbeit soll der Integration dienen und dem Rückzug in die eigene ethnische Gruppe entgegenwirken. Drittens betätigen sich manche Geflüchtete aus eigener Initiative ehrenamtlich. Denn Freiwilligenarbeit hat Potenzial. Sprachliche Fähigkeiten können verbessert, Arbeitserfahrung im Gastland gesammelt und Kompetenzen erworben, wie auch ausgebaut werden. Freiwilligenarbeit als Selbsthilfe kann dazu beitragen, die eigene Lebenslage zu verbessern und individuelle Bedürfnisse zu befriedigen (vgl. Tomlinson 2010: 279). Aufgrund des aktuellen Flüchtlingsgeschehens hat die Freiwilligenarbeit im Flüchtlingsbereich stark zugenommen. Auch in der Sozialen Arbeit fanden diesbezüglich grosse Veränderungen statt. Doch welche Rolle spielt die Soziale Arbeit bezüglich der Freiwilligenarbeit im Kontext von Flucht und Migration? Sie weist als Profession auf soziale Probleme hin und findet Lösungen dafür. Die prekäre Lebenslage von geflüchteten Menschen ist eine solche Problemlage in der heutigen Gesellschaft. Darin besteht nun der Auftrag der Profession, die Notlage zu vermindern und Teilhabe für alle Menschen zu ermöglichen. Geflüchtete sollen unterstützt werden, ihre existenziellen Bedürfnisse zu befriedigen und sich in ein soziales Umfeld zu integrieren. Wie in der Schweiz gesetzlich verankert, ist die Offenheit der Gesellschaft Voraussetzung für die Integration von Ausländerinnen und Ausländern (vgl. Art. 4 Abs. 3 AuG). Diese Offenheit kann von der Sozialen Arbeit gefördert werden. Ob in der Betreuung in Asylunterkünften, der Asylberatung oder im Kontext von Gemeinwesenarbeit, das Asylwesen gehört zum Aufgabenbereich der Sozialen Arbeit. Vielerorts agiert die Soziale Arbeit als Koordinatorin von Projekten, welche mithilfe von ehrenamtlich Tätigen durchgeführt werden. Eppenstein und Kiesel (2008: 34) bezeichnen Menschen mit Migrationshintergrund und somit auch Geflüchtete als eine 7 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration wichtige Adressatengruppe der Sozialen Arbeit. Freiwilliges Engagement in der Sozialen Arbeit wird auch kritisch betrachtet. Kritisiert wird, dass die Freiwilligenarbeit anstelle von professioneller Arbeit tritt, da in der sozialen Sicherheit gespart wird. Somit würde ein Lastenausgleich stattfinden. Leistungen, welche gegenwärtig über den Steuerzahler finanziert werden, würden dann in der Verantwortung von Freiwilligen stehen und von deren Wohlwollen abhängen. Problematisch dabei ist, dass die Arbeit von Freiwilligen sozial nicht abgesichert ist. Dies steht dem Versuch entgegen, ehrenamtliches Engagement aufzuwerten (vlg. Badelt 2004: 51f.). Wenn es um die Beschreibung des Phänomens Freiwilligenarbeit im Kontext von Flucht und Migration geht, spielen zwei Forschungsbereiche eine entscheidende Rolle: Freiwilligenarbeit und Migration. Im zweiten Kapitel folgt die Auseinandersetzung mit der Freiwilligenarbeit. Erörtert werden Funktion und Wirkung des freiwilligen Engagements sowie die Akteure und deren Motive. Im dritten Kapitel wird Migration im Allgemeinen und Fluchtmigration im Besonderen thematisiert. Dies geschieht durch die Darlegung von migrationssoziologischen Ansätzen, einem Blick in die Weltgeschichte und durch Ausführungen zur Fluchtmigration und deren Problematiken. Daraus erwächst die Frage: Welche Bedeutung kommt dem Engagement von Freiwilligen mit Fluchthintergrund und der Freiwilligenarbeit im Flüchtlingsbereich zu? Das Thema Freiwilligenarbeit wurde in der Fachliteratur bereits umfassend diskutiert. Auch das Thema Flucht und Migration ist momentan hochaktuell und wurde vielseitig untersucht. Das Phänomen der Freiwilligenarbeit im Kontext von Flucht und Migration ist im Gegensatz dazu erst spärlich erforscht. Es stellen sich die Fragen, welche Funktion und Wirkung die Freiwilligenarbeit im Flüchtlingsbereich hat, wer sich engagiert und aus welchen Motiven, wie Geflüchtete in den Studien dargestellt werden und welche Rolle die Soziale Arbeit in diesem Bereich einnimmt. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich im vierten Kapitel mit diesen Fragen und zieht dabei verschiedene Studien aus Deutschland, England, der Schweiz und den USA bei. Die Auseinandersetzung mit dem Thema soll Anstoss für die kritische Reflexion von Freiwilligenarbeit im Flüchtlingsbereich bieten und es sollen Schlussfolgerungen für die Soziale Arbeit gezogen werden. 8 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration 2 Freiwilligenarbeit allgemein und die Soziale Arbeit Wenn Freiwilligenarbeit zum Thema gemacht wird, kommen oft verschiedenste Begriffe ins Spiel. Bürgerschaftliches Engagement, Freiwilligkeit, bénévolat und unbezahlte Arbeit sind einige Beispiele dafür. Bei all diesen geht es um die Arbeit, welche auf freiwilliger Basis und unentgeltlich erbracht wird. Im englischen Sprachraum hat sich der Begriff „volunteering“ durchgesetzt. Im Gegensatz dazu gibt es im deutschen Sprachraum noch keinen einheitlichen Begriff. In Deutschland wird oft von bürgerschaftlichem Engagement gesprochen, wobei die formelle und informelle Freiwilligenarbeit gemeint ist. In der Schweiz wird überwiegend der Begriff Freiwilligenarbeit verwendet und strikter unterschieden zwischen formeller und informeller Tätigkeit (vgl. Freitag et. al. 2016: 33f. Stadelmann- Steffen et. al. 2007: 23). Freiwilligenarbeit umfasst grob definiert jegliche Aufwendung von Zeit, Geld und Energie, welche ohne erwartete Gegenleistung erbracht wird und als Dienst des Individuums der Gesellschaft, einer bestimmten Gruppe oder einer Person ausserhalb des eigenen Haushalts zugutekommt. Kennzeichnend ist, dass diese Arbeit unbezahlt erbracht wird. Der Grad an Verpflichtung ist je nach Aufgabe sehr unterschiedlich, meist aber geringer als in der Erwerbsarbeit. Erwartet wird lediglich, dass gemachte Zusicherungen bezüglich Arbeitsleistung und -umfang eingelöst werden (vgl. Ammann 2004: 16, Freitag et. al. 2016: 33f.). Freiwilligenarbeit bietet einen Weg, um Materialismus, Individualismus und der Wirtschaftlichkeit um jeden Preis entgegenzuwirken (vgl. Bierhoff 2002: 24, Keupp 2002: 31). Sie ist ein Zeichen der Solidarität und Mitmenschlichkeit und gilt als ein Symbol für Gemeinschaft. Durch Freiwilligkeit ist prosoziales Handeln trotz Individualisierung, Pluralisierung und der Erosion von religiösen Werten möglich (vgl. Nadai 1996: 14f.). Soziologisch betrachtet gibt es zwei unterschiedliche Zugänge, um das Phänomen der Freiwilligenarbeit zu beschreiben: Die individuelle Interessensverfolgung (Selbstbezug) und die Gemeinwohlorientierung. Diese können nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Beide sind für die Erklärung freiwilligen Engagements bedeutend (vgl. Olk 2004: 32). Hinsichtlich der Gemeinwohlorientierung ist freiwilliges Engagement Ausdruck von Zugehörigkeit und hat eine sozialintegrative Funktion. Indem Menschen sich freiwillig anderen zuwenden oder ihnen Hilfe erweisen, wird eine gesellschaftliche Verantwortung übernommen (vgl. ebd.: 31). Man könnte dies auch als eine Reaktion auf ein gesellschaftliches Anliegen bezeichnen (vgl. Boothe 2004: 56). Ein solches soziales Handeln ist in der heutigen von Individualismus und Pluralismus geprägten Gesellschaft gesucht und erwünscht (vgl. Nadai 1996: 15f.). 9 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration Durch die Freiwilligenarbeit kann man sich als „guten Bürger“1 beweisen (vgl. Olk 2004: 39ff). Bürgerschaft bezeichnet die Zugehörigkeit zu einer selbstorganisierten Gesellschaft. Zugehörigkeit wird gesellschaftlich definiert und schliesst jene Individuen ein, welche soziale und moralische Verantwortung übernehmen und an der Gesellschaft partizipieren. Der Zugang zu Politikwissen steuert in gewissem Masse die Partizipation (vgl. Yin Yap/Byrne/Davidson 2010: 161). Bürgerschaft bietet verschiedene Konstruktionsformen. Bürgerinnen und Bürger haben die Möglichkeit sich von Aussenstehenden abzugrenzen und es kann zwischen guten und schlechten Bürgerinnen und Bürgern differenziert werden. Ein „guter Bürger“ erweist sich als gesetzestreu, solidarisch, ökonomisch produktiv und leistet seinen Beitrag an die Gesellschaft. Die Freiwilligenarbeit bietet somit einen Weg, sich als „guten Bürger“ unter Beweis zu stellen (vgl. ebd.: 161f.). Die Perspektive des Selbstbezugs ist ein zweiter soziologischer Zugang, um Freiwilligenarbeit zu erklären. In einem sozialen Tauschprozess werden Kosten und Nutzen abgewogen und dabei die eigenen Interessen verfolgt (vgl. Olk 2004: 28). Folglich könnte Freiwilligenarbeit als eine Investition in die Zukunft gesehen werden. Es wird Hilfe geleistet und Reziprozität erhofft. Zum Tausch werden utilitaristische, soziale und normative Anreize geboten. Erstere sind auf den Nutzen ausgerichtet und können in Form von materiellen oder immateriellen Gütern auftreten. Soziale Anreize in der Freiwilligenarbeit sind beispielsweise die Ermöglichung von Kontaktpflege. Wenn das Engagement Zugang zu öffentlichen Gütern ermöglicht, wie Prestige oder Einfluss, dann werden normative Anreize geboten (vgl. Nadai 1996: 30f.). Eine sehr nutzenorientierte Sichtweise vertritt Wallimann (1995: 16), welcher die Freiwilligenarbeit als Strategie des Individuums sieht, Sozialkapital anzuhäufen. Der Zusammenhang von Freiwilligenarbeit und Sozialkapital wird im Kapitel 2.2 genauer erläutert. Das freiwillige Engagement ist seiner Meinung nach Kalkül und dient dazu, schichtspezifische Defizite zu verringern (vgl. ebd.). Laut Nadai (1996: 29f.) ist dies eine verkürzte Sichtweise, da nicht jede Art von Engagement dafür geeignet ist, Sozialkapital anzusammeln. Anonyme Spenden oder die spontane Hilfsbereitschaft können beispielsweise nicht mit diesem Motiv erklärt werden (vgl. Olk 2004: 28). Olk betont in Bezug auf die Individualisierungsthese von Beck die selbstbezogene Freiwilligenarbeit (vgl. ebd.). Traditionelle Muster von pflichtbewusstem Engagement verlieren aus seiner Sicht immer mehr an Bedeutung und an deren Stelle tritt ein Engagement, welches für das Individuum sinnstiftend und befriedigend sein soll. Die eigenen Präferenzen und eine optimale Passung mit der Aufgabe stehen dabei im Vordergrund (vgl. ebd.: 28ff). 1 Der Ausdruck des „guten Bürgers“ entstammt dem Diskurs über gute Bürgerschaft. Im Folgenden wird einfachheitshalber nur die männliche Form genannt, wobei jedoch beide Geschlechter gemeint sind. 10 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration 2.1 Wandel der Freiwilligenarbeit Für den Wandel der Freiwilligenarbeit in den letzten Jahrzehnten gibt es individuelle und strukturelle Erklärungsmuster. Der Wandel des Sozialstaats gilt als strukturelle Ursache. Zwischen Ende des 19. Jahrhunderts und Mitte des 20. Jahrhunderts wurde der Sozialstaat in vielen europäischen Ländern gestärkt (vgl. Ammann 2004: 21f.). Verantwortungen, welche zuvor die Allgemeinheit, die Familien oder die Kirchen getragen haben, wurden dem Staat übergeben und die soziale Sicherheit ausgebaut. Der Schutz vor Risiken wie Alter, Invalidität oder Armut - also die Sorge für die Schwachen der Gesellschaft - und das Schaffen von Ausgleich waren Teile davon (vgl. ebd.). Die daraus resultierende Professionalisierung sozialer Dienstleistungen hatte einen grossen Einfluss auf das freiwillige Engagement (vgl. Kriesi 2004: 75f.). In den letzten Jahren haben die Sozialversicherungen jedoch immer mehr an Vertrauen eingebüsst und die Sozialhilfe steht unter einem Spardruck (vgl. Niederberger 2015: 28). Ein schlankes Sozialsystem und Sparmassnahmen werden gefordert. Die professionelle Soziale Arbeit steht deshalb vor der Herausforderung, möglichst wirksame Interventionen anzubieten und gleichzeitig an Personal und Ressourcen zu sparen. Durch diese Engpässe können soziale Probleme nicht mehr angemessen bearbeitet werden. Freiwilligenarbeit ist dadurch vermehrt gefragt und in den Fokus öffentlicher Diskussionen gerückt (vgl. Stadelmann-Steffen et. al. 2007: 32). Mit der Einführung des aktivierenden Sozialstaats wurde seitens der Politik Eigenverantwortung propagiert. Ein gewisser Teil der sozialen Sicherungen bleibt erhalten, soll sich aber auf die Verantwortung des Einzelnen und der Zivilgesellschaft stützen (vgl. ebd.: 24). Im Bezug auf strukturelle Ursachen diagnostiziert Lukas Niederberger (2015: 28), Geschäftsleiter der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG), einen überforderten Sozialstaat und einen sinkenden Gemeinsinn. Dies begründet er mit verschiedenen Tatsachen: Kirchen, Parteien oder Militär, welche früher als normgebende und gesellschaftsbildende Institutionen galten, haben an Vertrauen und Reiz eingebüsst und leiden unter Kritik. Viele traditionelle Organisationen und Vereine haben mit Mitgliederschwund zu kämpfen. Der Sozialstaat steckt in finanziellen Schwierigkeiten und das Vertrauen der Gesellschaft in die Wirtschaft ist erschüttert. Bürgerinnen und Bürger erweisen sich immer mehr als passiv und nutzen eher einen „Shitstorm“, um ihre Meinung kundzutun, als politische Wahlen (vgl. ebd.: 28f.). Die Auflösung von traditionellen Milieus gilt als individuelle Ursache für den Wandel der Freiwilligenarbeit, wie auch die Pluralisierung der Lebensformen und Biografien (vgl. Olk 2004: 39). Früher waren Werte wie Ehre, Pflichtgefühl und der Dienst an der Gesellschaft die grundlegenden Antreiber, sich freiwillig zu engagieren. Heute ist der gesellschaftliche Druck nicht mehr so hoch und die Beweggründe, sich zu engagieren, wurden individueller (vgl. 11 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration Nadai 1996: 23). Die Passung der Freiwilligenarbeit zu den persönlichen Lebensumständen ist zentral geworden. Freiwilligenarbeit bietet einen Ort, wo Menschen sich einbringen und eigene Ideen verwirklichen können (vgl. Olk 2004: 39ff). Diese Veränderungen in den Lebensformen und Motivationen von Freiwilligen hatte auch Auswirkungen auf die Landschaft der Organisationen und Vereine. Einerseits klagen traditionelle Verbände, wie Kirchen und Parteien, über Mitgliederschwund, andererseits wächst die Zahl der Vereine in Westeuropa. Gefragt sind eher kleine, spezifische und flexible Vereine, da die Mitglieder weniger Kontinuität aufweisen (vgl. Kriesi 2004: 76). Keupp (2002: 41) beschreibt einen Wandel weg von den traditionellen Organisationen und Verbänden hin zu Alltagssolidarität in den betreffenden Lebenswelten der Freiwilligen. In der Schweiz nahm die Zahl der ehrenamtlich Tätigen in den letzten zwanzig Jahren ab. In den Neunzigerjahren war rund ein Drittel der Bevölkerung ehrenamtlich tätig. Anfang des 21. Jahrhunderts handelt es sich vergleichsweise nur noch um einen Viertel der Bevölkerung (vgl. Vogt-Holliger 2004: 103). Grund dieser Entwicklung könnte die zunehmende Belastung in Beruf und Familie sein und folglich fehlende Zeit für nebenberufliches Engagement. Möglicherweise liegt dieser Veränderung jedoch ein Wertewandel in der Gesellschaft zugrunde. Laut Vogt-Holliger ist heute vermehrt eine Konsumhaltung verbreitet. Der Individualismus zeigt sich im Streben nach Selbstverwirklichung, was andere persönliche Zielsetzungen zur Folge hat, als sich zu engagieren (vgl. ebd.). Keupp (2002: 31) vertritt eine andere Ansicht. Seiner Meinung nach führt der gesellschaftliche Strukturwandel zu mehr Eigeninitiative der Bürgerschaft, da der Staat sich immer mehr zurückzieht. 2.2 Funktion und Wirkung von Freiwilligenarbeit Aus wirtschaftlicher Sicht ist es aufschlussreich, den Produktionswert von Freiwilligenarbeit zu erfassen. Dies kann in zwei Schritten geschehen. Als Erstes erfolgt die Erfassung des Arbeitsvolumens, also die Anzahl Stunden freiwillig geleisteter Arbeit (vgl. Badelt 2004: 49). Als zweiter Schritt wird dieser zeitliche Einsatz bewertet, beispielsweise durch die Berechnung der Opportunitätskosten. Diese beschreiben, welchen Produktionswert die betreffende Person in der gleichen Zeit auf dem Arbeitsmarkt hätte erwirtschaften können. Damit wird eruiert, welche finanziellen Einbussen die betreffende Person durch Freiwilligenarbeit erleidet (vgl. ebd.: 50). Alternativ kann eine Bewertung nach Marktpreisen erfolgen. Dabei wird der Wert der geleisteten Freiwilligenarbeit mit einer entsprechenden bezahlten Arbeit verglichen (vgl. ebd.). Hochrechnungen über den Marktwert von geleisteter Freiwilligenarbeit in der Schweiz machen deren Notwendigkeit sichtbar. Der vom Bundesamt für Statistik geschätzte Wert beläuft sich auf 20 Milliarden Schweizerfranken jährlich. Die 12 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration Entlohnung dieser Arbeit würde zu unbezahlbaren Mehrkosten für den Staat führen (vgl. Vogt-Holliger 2004: 102). Freiwilligenarbeit ist somit ein wichtiges ökonomisches Phänomen und gilt als produktive Arbeitsleistung (vgl. Badelt 2004: 45f.). Trotz hohem Gebrauchswert weist diese keinen Tauschwert auf, da sie nicht entlohnt wird (vgl. Kühnlein/Böhle 2002 a: 87). Neben dessen Wirkung auf die Wirtschaft sind individuelle und soziale Aspekte von freiwilligem Engagement ebenso zu beachten. Die Gesellschaft, wie auch das Individuum, können auf verschiedene Kapitalien zurückgreifen. Physisches Kapital besteht in Form von Vermögen oder Sachwerten. Als Humankapital werden die Ressourcen einer Gesellschaft bezüglich Wissen, Know-how und Fähigkeiten bezeichnet (vgl. Freitag 2014: 11). Sozialkapital wiederum steht „für die produktive Nutzung zwischenmenschlicher Beziehungen“ (ebd.: 25). Die Bedeutung von sozialen Kontakten erschliesst sich unter anderem in Form von gegenseitiger Hilfe, dem sogenannten „Vitamin B“ und dem Vertrauen (vgl. ebd.: 12f.). Bourdieu (1983) sieht die Bildung von Sozialkapital als eine Investitionsstrategie des Individuums. Er legt seinen Fokus vor allem auf die Ressourcen, welche durch Sozialkapital zugänglich gemacht werden. Durch Netzwerke, Zugehörigkeiten zu Gruppen und durch Anerkennung werden diese erworben. Der Wert des eigenen Sozialkapitals wird an der Qualität, dem Grad an Einfluss und der Grösse der persönlichen Netzwerke gemessen (vgl. ebd.: 190-193). In Bezugnahme auf Coleman beschreibt Freitag (2014: 16f.) Sozialkapital als nützliches Nebenprodukt sozialer Beziehungen. Es bietet sowohl individuellen, wie auch gesellschaftlichen Nutzen, indem es dem Erreichen von Zielen dient. In Putnams Überlegungen steht die Gesellschaft im Zentrum. Durch Netzwerke und Beziehungen wird Kooperation gefördert. Dadurch werden Gemeinsinn und Vertrauen gestärkt, was eine effektivere Zusammenarbeit ermöglicht (vgl. Putnam 1993: 173f.). Werte und Normen spielen eine grosse Rolle. Die Reziprozität als Norm beschreibt die Hoffnung, dass der erwiesene Dienst in Zukunft erwidert wird und somit ein sozialer Tausch stattfindet. Das Handeln nach dieser Norm erfordert Vertrauen ins Gegenüber (vgl. Freitag 2014: 23). Damit Sozialkapital für alle seine Vorteile entfalten kann, ist es wichtig, freiwilliges Engagement zu fördern, welches Partizipation und Selbstorganisation ermöglicht (vgl. Freitag et. al. 2016: 27). Dieses Ziel verfolgt die Engagementpolitik, welche sich als eigenes Politikfeld der Freiwilligenarbeit herauskristallisiert hat. In der politischen Programmatik wird vermehrt das Potenzial von Freiwilligenarbeit angepriesen: es ermöglicht Lebensqualität, Zusammengehörigkeit und Kompetenzerwerb. Engagementpolitik soll zur Rekrutierung und Mobilisierung von Freiwilligen beitragen, um mit deren Hilfe Herausforderungen in der Gesellschaft zu bewältigen (vgl. Hartnuß/Olk/Klein 2011: 774). In diesem Sinne sollen 13 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration günstige Rahmenbedingungen für freiwilliges Engagement in rechtlicher und finanzieller Hinsicht geschaffen werden. Beispielsweise wurde wiederholt über finanzielle Anreize diskutiert (vgl. ebd.: 768). Durch das Betonen von monetärer Entschädigung als einzige Form der Anerkennung geraten jedoch andere wichtige Elemente der Freiwilligenarbeit, wie die Sinnhaftigkeit, der Spass oder die Gemeinwohlorientierung, in den Hintergrund (vgl. Kühnlein/Böhle 2002 a: 88f.). Laut Hartnuß, Olk und Klein (2011: 768) kann Entlohnung ebenso schädliche Nebenwirkungen auf die Freiwilligenarbeit haben, wie Zwang. Eigenmotivation und Freiwilligkeit sind kennzeichnend für freiwilliges Engagement. Selbstorganisation und Selbstbestimmung können nicht erzeugt oder angeordnet werden, die Politik kann diese lediglich anregen. In Anbetracht der Subsidiarität von staatlichen Massnahmen wird damit den zivilgesellschaftlichen Akteuren eine grosse Rolle zugeschrieben (vgl. ebd.: 766f.). Freiwilligenarbeit kann dazu beitragen, die Partizipation in einem Land zu stärken (vgl. ebd.: 761). Damit wird sie zu einer Form von gelebter und entwickelter Demokratie (vgl. Keupp 2002: 32, Olk/Hartnuß 2011: 5). Diese politische Ordnung bezeichnet die Herrschaft des Volkes. Es gilt die politische Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger (vgl. Celikates 2015: 250). Demokratie ist jedoch nicht nur die politische Ordnung, sondern auch eine Lebensform. Die Selbstverwaltung und Selbstorganisation des Volkes setzt Mitwirkung voraus. Das Zusammenleben wird gemeinsam gestaltet. Dabei wird zwischen zwei Formen von Partizipation unterschieden. Die konventionellen Formen der politischen Partizipation sind Wahlbeteiligung und Aktivität in politischen Parteien. Die Mitwirkung an Bürgerinitiativen, Demonstrationen oder sozialen Bewegungen sind unkonventionelle Formen der Partizipation (vgl. Roth 2011: 77ff). Durch die Mitwirkung in Verbänden, Vereinen oder in einem Ehrenamt wird die Mitgestaltung von Gesellschaft und Politik angeregt. Ein gewisses Mass an Teilhabe wird ermöglicht, was den Bürgerinnen und Bürgern mehr Macht verleiht. Vereine und Organisationen von Freiwilligen bilden eine vermittelnde Instanz zwischen Individuum und Staat (vgl. Carigiet 2004: 107). 2.3 Engagierte und deren Motive Boothe (2004: 57f.) erklärt das Phänomen Freiwilligenarbeit aufgrund der familiären Entwicklung. In der Familie besteht einerseits biologische Mitgliedschaft, andererseits muss Zugehörigkeit auch aktiv hergestellt werden. Kinder, welche durch den Kontakt zu ihrer Bezugsperson eine Einbettung in ein soziales Gefüge – also Zugehörigkeit – erlebt haben, werden solche Erfahrungen weitergeben können. Dies hat Auswirkungen auf das spätere Verhalten bezüglich Freiwilligenarbeit (vgl. ebd.: 57-68). Das sozialkulturelle Milieu spielt ebenfalls eine grosse Rolle dafür, ob jemand sich freiwillig engagiert oder nicht (vgl. Olk 2004: 36f.). 14 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration Neben der Prägung aus Erziehung und Sozialisation spielen Geschlecht, Alter und soziale Schicht eine bedeutsame Rolle. Im Bezug auf Geschlechterverhältnisse kann im Freiwilligen- Monitor der Schweiz 2016 – einer repräsentativen Erhebung, welche durch die SGG initiiert wurde - nicht eindeutig festgestellt werden, ob Frauen oder Männer sich mehr engagieren. Früher waren Geschlechterunterschiede besser sichtbar (vgl. Freitag et. al. 2016: 75). In der formellen Freiwilligenarbeit sind mehr Männer aktiv, in der informellen Freiwilligenarbeit sind Frauen in der Überzahl (vgl. ebd.: 75, 80). Frauen engagieren sich überdurchschnittlich oft im Sozial- und Gesundheitsbereich. Das Klischee, dass Frauen sich mehr in helfenden, betreuenden und pflegerischen Rollen betätigen, bewahrheitet sich folglich (vgl. Nadai 1996: 19f.). Nadai betont jedoch, dass es sich dabei um Geschlechterpraxen handelt, welche sich mit der Zeit manifestiert haben und nicht biologisch begründet sind (vgl. ebd.: 56). Es wird davon ausgegangen, dass steigendes Alter zu mehr Humankapital führt, was für die Freiwilligenarbeit förderlich ist. Wie die Schweizer Studie belegt, betätigen sich 40 bis 64- jährige, welche beruflich, gesellschaftlich und familiär etabliert sind, am häufigsten (vgl. Freitag et. al. 2016: 59). Pensionierte besitzen oft für die Freiwilligenarbeit dienliche Güter, wie Erfahrung und Zeit. Häufig zeichnen sich in hohem Alter jedoch Verluste in den sozialen Netzwerken ab, was wiederum freiwilliges Engagement hindern kann (vgl. ebd.: 57). Dies wird durch die abrupte Abnahme sowohl des formellen, wie auch des informellen Engagements der Altersgruppe 79+ verdeutlicht (vgl. ebd.: 59, 81). Tendenziell engagieren sich häufiger Menschen aus höheren sozialen Schichten in der Freiwilligenarbeit (vgl. ebd.: 60). Indikatoren sozialer Schicht sind das Bildungsniveau, die berufliche Position und das Einkommen (vgl. Nadai 1996: 59). Soziale Schicht kann im Bezug auf Bourdieus (1983) verschiedene Kapitalien betrachtet werden. Es wird davon ausgegangen, dass die Sensibilisierung für gesellschaftliche Probleme mit steigender Bildung zunimmt (vgl. Freitag et. al. 2016: 60). Aufgaben, welche im Freiwilligenbereich übernommen werden, brauchen ein gewisses Mass an Wissen und Fähigkeiten und somit an kulturellem Kapital. Soziales Kapital eröffnet Zugang zu Freiwilligentätigkeiten in bedeutendem Masse. Freiwillige werden zu einem grossen Teil über persönliche Kontakte angeworben (vgl. Freitag et. al. 2016: 60, Nadai 1996: 60f.). Obwohl in einigen Organisationen Spesenentschädigungen gezahlt werden, sind materielle Ressourcen in Form von Finanzen, Arbeitsmittel oder Raum nicht zu unterschätzen. Somit ist auch das materielle Kapital ein wichtiger Faktor, ob Menschen sich engagieren (vgl. Efionayi-Mäder et. al. 2015: 45, Nadai 1996: 62f.). Doch welche Beweggründe animieren Freiwillige? Es lässt sich nicht eindeutig bestätigen, dass früher vor allem das Pflichtgefühl ein wesentlicher Antreiber war und heute hedonistische Motive vorherrschen. Laut Kühnlein und Böhle (2002 b: 267) ist kein 15 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration markanter Wandel in den Beweggründen empirisch feststellbar. Aus ihren empirischen Erkenntnissen bilden sie drei Motivgruppen. Erstens erwiesen sich Haltungen und Überzeugungen als zentrale Beweggründe. Das Erfüllen von eigenen moralischen Werten ist für einige Freiwillige die wichtigste Motivation, sich zu engagieren (vgl ebd.: 272). Bierhoff (2002: 25f.) betont den Einfluss von Religiosität. Je mehr Bedeutung jemand der Religion beimisst, desto mehr Zeit wendet die betreffende Person für ehrenamtliche Tätigkeiten auf. Zweitens dient das Engagement als Bewältigung von eigenen Problemen und Lebenskrisen. Durch die Freiwilligenarbeit kann eine neue Sinnhaftigkeit entdeckt und vom Problem abgelenkt werden (vgl. Kühnlein/Böhle 2002 b: 272). Drittens können durch Freiwilligenarbeit eigene Ziele erreicht werden. Beispielsweise kann sich der Erwerb von neuen Fähigkeiten in der Freiwilligenarbeit im Übergang in eine professionelle Tätigkeit als nützlich erweisen. Mitgestaltung kann durch Engagement angestrebt werden (vgl. ebd.). Neben den vielen verschiedenen Beweggründen, lässt sich festhalten, dass die biografische Passung des Engagements in den meisten Fällen eine zentrale Rolle spielt (vgl. ebd.: 273). Der Freiwilligen-Monitor der Schweiz erfasste verschiedene Beweggründe der Befragten, welche sich teilweise den oben genannten Motivgruppen zuordnen lassen. Selbstbezogene Motivation zeigt sich im Wunsch sich selbst weiterzuentwickeln, neue Kompetenzen anzueignen, persönliche Probleme anzugehen oder die berufliche Laufbahn in Schwung zu bringen. Bei gewissen Freiwilligen stehen gemeinsame Erlebnisse oder die Kontaktpflege im Vordergrund. Andere haben den Wunsch Menschen zu helfen, was oft der persönlichen Haltung oder religiösen Überzeugung entspringt (vgl. Freitag et. al. 2016: 94). In der Studie zeigt sich, dass im formellen Engagement selbstbezogene Motive eine grosse Rolle spielen, während in der informellen Freiwilligenarbeit altruistische Motive stärker gewichtet werden (vgl. ebd.: 104f.). Bierhoff (2002: 26) unterteilt die verschiedenen Motive in die Kategorien intrinsisch oder extrinsisch motiviert, sowie altruistisch oder egoistisch geleitet. Der altruistischen Motivation kann beispielsweise die moralische Verpflichtung zugeordnet werden. Religiöse Werte spielen eine grosse Rolle. Dies kann intrinsisch motiviert sein – als Hinwendung zu Gott – oder extrinsisch motiviert, um Zugehörigkeit zur religiösen Gemeinschaft zu schaffen (vgl. ebd.: 25f.). Bei manchen Freiwilligen besteht der Wunsch, der Gesellschaft etwas zurückzugeben (vgl. Nadai 1996: 24). Zahlreiche Motive für freiwilliges Engagement dienen dem Erreichen von persönlichen Zielen und zählen somit zu den sogenannt egoistischen Motiven (vgl. Bierhoff 2002: 26). Die Ausübung von Freiwilligenarbeit kann mit Streben nach Status, Ehre und Prestige oder dem Aufbau von Sozialkapital in Verbindung gebracht werden. So können lohnenswerte Kontakte entstehen und Beziehungen gepflegt werden, was wiederum der Isolation und Vereinsamung entgegenwirkt. Freiwilligenarbeit kann auch dazu dienen, Berufsfindungs- und Wiedereinstiegsprobleme zu kompensieren (vgl. Nadai 16 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration 1996: 29). Neben der Überbrückung einer Arbeitslosigkeit, kann Freiwilligenarbeit auch eine Alternative oder Ausgleich zur Lohnarbeit darstellen. Erwerbsarbeit und Freiwilligenarbeit können sich gegenseitig verstärken oder ergänzen (vgl. Kühnlein/Böhle 2002 a: 88f., Olk 2004: 38f.). Der Wunsch nach Kontakten, die Suche nach Sinn oder Selbstverwirklichung, sowie die Kompensation von unbefriedigenden anderen Lebensbereichen können individuelle innere Antriebe sein (vgl. Nadai 1996: 24). Han-Broich kritisiert die Unterteilung in altruistische und egoistische Motive. Die Unterscheidung, ob man für sich selbst oder für andere engagiert ist, greift zu kurz (vgl. Han- Broich 2012: 83). Auch Nadai steht dieser Auffassung kritisch gegenüber. Ungeachtet der Motive ist freiwilliges Engagement immer ein Gewinn für die Gesellschaft (vgl. Nadai 1996: 65). Beweggründe der Freiwilligen sind komplexer, als man denkt (vgl. Kühnlein/Böhle 2002 b: 267). Die Ergebnisse aus Han-Broichs Studie bekräftigen eine schlichte Unterteilung in extrinsische und intrinsische Motivation. Extrinsische Motivation entspringt einer äusseren Quelle. Dies kann eine persönliche oder eine gesellschaftliche Situation sein, erwartet werden meist praktische Ergebnisse. Intrinsisch motiviert ist, wer eine Sache um ihrer selbst Willen – als Selbstzweck - tut (vgl. Han-Broich 2012: 83f., Kühnlein/Böhle 2002 b: 268). Es erweist sich als schwierig und wenig sinnvoll, Beweggründe durch Kategorisierung klar voneinander zu trennen (vlg. Han-Broich 2012: 84). Für die Beurteilung von Motiven, welche zur Freiwilligenarbeit bewegen, sollten immer individuelle und gesellschaftliche Gründe einbezogen werden, um ein ganzheitliches Bild zu erhalten. Die biografische Passung und die zur Verfügung stehenden Ressourcen stehen in einem engen Verhältnis zur Motivation (vgl. Nadai 1996: 66). 2.4 Freiwilligenarbeit und die Soziale Arbeit Keupp (2002: 45) bezeichnet den Einbezug von Freiwilligenarbeit in Tätigkeitsbereiche der Sozialen Arbeit als ein Qualitätsmerkmal. Auch Pott und Wittenius (2002: 56) betonen diesen Zugewinn an Qualität, erwähnen jedoch auch die Vorbehalte der Professionellen, dessen Monopol eingeschränkt wird. Solche Abwehrreaktionen gründen auf der Angst, stellenlos und überflüssig zu werden, freiwillige Tätigkeit könnte bessere Wirkungen entfalten als die professionelle. Dies würde die professionelle Identität gefährden (vgl. Keupp 2002: 32). Diese Reflexe haben ihre Berechtigung, dürfen aber nicht zur unreflektierten Haltung werden. Um das Ziel einer Gesellschaft von eigenmächtigen Bürgerinnen und Bürgern zu erreichen, sollten Professionelle offen sein für andere Argumente (vlg. ebd.: 33). In der Sozialen Arbeit besteht die Haltung, dass gute psychosoziale Hilfe einer hohen Professionalität bedarf. Vor einigen Jahren war diese neu aufkommende Haltung sehr 17 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration bedeutsam und bewirkte zentrale positive Veränderungen. Heute muss der Drang nach ständiger Professionalisierung hinterfragt werden. Keupp (2002: 33) zeigt anhand verschiedener Tendenzen die Grenzen der Professionalität auf, welche keine allumfassende Wirkung garantieren kann. Der Boom von Selbsthilfeangeboten weist auf diesen Mangel hin. Unter den Adressaten der Sozialen Arbeit ist eine passive Konsumentenhaltung verbreitet. Die Klientel scheint also entmündigt und nicht in genügendem Masse zur Selbsthilfe motiviert zu werden (vgl. Keupp 2002: 34, Kühnlein/Böhle 2002 a: 101). Die Professionalisierung und das damit verbundene Austragen von Zuständigkeitskämpfen absorbiert die Soziale Arbeit. Wertvolle Ressourcen werden dabei verbraucht. Ausserdem ist das Streben nach besserer Qualität der Angebote durch deren Ausweitung an finanzielle Grenzen gestossen (vlg. Keupp 2002: 34). Alle diese Tendenzen veranlassen zur Schlussfolgerung, dass die Soziale Arbeit mehr für die Herstellung von gesellschaftlicher Solidarität tun sollte. Um der heutigen Gesellschaft gerecht zu werden, braucht es Empowerment (vgl. ebd.: 44f.). Die Qualität von sozialen Unterstützungsleistungen kann nicht nur die Sache von Professionellen sein (vlg. Pott/Wittenius 2002: 56). Die Soziale Arbeit braucht ganz neu den Blick für die Ressourcen der Gesellschaft und der sozialen Netze. Ihr Auftrag besteht dabei darin, Menschen in ihren sozialen Gefügen zu unterstützen und freiwilliges Engagement, sowie eine innovative Freiwilligenkultur zu fördern (vgl. Keupp 2002: 42, 45). Ein solches Vorgehen birgt präventives Potential und fördert Gleichheit. Das soziale Kapital, welches oftmals ungleich verteilt ist, kann so auch weniger privilegierten Bevölkerungsgruppen zugänglich gemacht werden (vgl. ebd.: 35, 41). Freiwilligenarbeit ist in den seltensten Fällen selbstständiger Akteur im Sozialbereich, sondern meist eingebettet in professionelle Organisationen (vgl. Nadai 1996: 12). Die Zusammenarbeit mit Freiwilligen eröffnet ein neues Tätigkeitsfeld für die Soziale Arbeit, wobei Koordination und Triage an Bedeutung gewinnen. Professionelle nehmen die Rolle eines Freiwilligen-Manager oder einer Freiwilligen-Managerin ein. Dies erfordert die Bereitschaft mit Freiwilligen zusammenarbeiten zu wollen (vgl. Biedermann 2002: 80, 86). Die Fachperson fungiert als „Verbindungsperson zwischen Freiwilligen, Hauptamtlichen, Geschäftsführung, Vorstand, Mitgliedern u.a.“ (ebd.: 82). Für diese Aufgabe sind verschiedene Kompetenzen gefragt. Es braucht Fachwissen im Bezug auf die Freiwilligenarbeit, wie auch das Wissen über politische Bedingungen und gesetzliche Bestimmungen. Weiter sollten die betreffenden Fachpersonen über ein Methodenrepertoire für Projektmanagement, Prozessgestaltung, Beratung, Empowerment, Dokumentation und für die Arbeit in Gruppen verfügen. Sozialkompetenzen, wie die Fähigkeit zur Kooperation und Kommunikation, Empathie und Flexibilität sind erforderlich und ein gewisses Charisma und Begeisterungsfähigkeit hilfreich (vgl. Biedermann 2002: 81f.). 18 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration Die Prozessgestaltung dient dazu, die Interessen optimal aufeinander abzustimmen (vgl. ebd.). Die Aufgabe der Sozialen Arbeit besteht darin, Betätigungsmöglichkeiten für Freiwillige zu entwickeln oder von ihnen entwickeln zu lassen (vgl. Pott/Wittenius 2002: 57). Nachdem ein Überblick über die anstehenden Aufgaben geschaffen wurde, folgt die Ausarbeitung konkreter Aufgaben und die Rekrutierung potenzieller Freiwilligen. Für einen optimalen Einstieg dient das Erstgespräch, wobei eine bestmögliche Passung zwischen der ehrenamtlichen Person und der Aufgabe angestrebt wird (vgl. Biedermann 2002: 81). In der Arbeit werden freiwillige Mitarbeiter fortlaufend informiert, begleitet und unterstützt. Dies kann auch in Form von Aus- oder Weiterbildung sein (vgl. ebd.). Benevol Schweiz – die Dachorganisation der Fachstellen für Freiwilligenarbeit in der Schweiz – veröffentlichte Standards für die Freiwilligenarbeit. Die Freiwilligenarbeit soll in die Organisation eingebettet und im Leitbild verankert werden. Die Motivation und Anerkennung der freiwillig Tätigen wird betont, wie auch die Bedeutung einer Begleitung. Eine zuständige Person soll die Einführung übernehmen, sowie Erfahrungsaustausche und Auswertungen machen. Es ist wichtig, dass Rahmenbedingungen getroffen werden, vor allem bezüglich Arbeitszeit. Weiter empfiehlt Benevol den Einsatz von Instrumenten wie Spesenregelungen, Einsatzvereinbarungen und Versicherung (vgl. Benevol 2013: o.S.). 3 Zur Unterscheidung von Flucht und Migration Wechsel und Bewegung gelten laut Treibel (2011: 19) als zentrale Momente der Migration. Räumliche, zeitliche, sowie Aspekte der Freiwilligkeit und des Umfangs spielen dabei eine Rolle. In Bezug auf räumliche Aspekte kann zwischen Binnenmigration und internationaler Migration unterschieden werden. Zeitliche Aspekte betreffen die Dauer, ob es sich um eine vorübergehende Migration oder um eine dauerhafte Ausreise handelt. Die Ursachen lassen Rückschlüsse auf die Freiwilligkeit der betreffenden Wanderung zu. Anhand des Umfangs kann zwischen Einzel-, Gruppen- und Massenmigration unterschieden werden. Beachtet werden muss dabei, dass es oft fliessende Übergänge gibt und diese Kategorien nicht strikt verwendet werden können (vgl. ebd.: 19f.). Eppenstein und Kiesel nennen verschiedene Kategorien von Migration wie Migrationsformen, Migrationsmotive und Migrationsverläufe. Die jeweilige Verflechtung dieser Kategorien sowie auch die individuelle Perspektive der Betroffenen, lässt Aussagen darüber machen, ob eine Wanderung eher freiwillig oder auf Druck von äusseren Einflüssen angetreten wurde. So kann Migration von der Suche nach Asyl, der schlichten Abenteuerlust bis hin zu ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen im Sinne von Menschenhandel reichen (vlg. ebd.: 31). Doch was führt Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen und anderswo ihr Glück zu suchen? Während Lee (1972: 119f.) die Sesshaftigkeit als Normalzustand betrachtet und 19 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration von einer natürlichen Trägheit ausgeht, sehen andere Wissenschaftler in jedem Menschen einen „nomadischen Drang“ (siehe Spencer 1898, Hoffmann-Nowotny 1988). Sesshaft wurde der Mensch erst, als der Ackerbau erfunden wurde. Wanderungsbewegungen hingegen prägten das menschliche Dasein seit je her (vgl. Pries 2011: 10). Auch Faist (1997) dreht die übliche Fragestellung um und fragt sich, weshalb manche Menschen nicht wandern. Treibel hält es für plausibel, dass Menschen in heutigen Gesellschaften eher zu Sesshaftigkeit neigen. Der vertrauten Umgebung wird Vorrang gegeben, wohingegen eine Wanderung nur durch Druck ausgelöst wird (vgl. Treibel 2011: 43). Etwas differenzierter werden mögliche Migrationsmotive durch die Schub- und Sogfaktoren (push- und pull- Faktoren) ergründet, welche besonders durch Lee geprägt wurden (1972). Sogfaktoren beziehen sich auf eine Attraktivität des Ziellandes, wie die Aussicht auf Freiheit, Arbeit oder Luxus. Diese Attraktivität ist meist kombiniert mit einer Unzufriedenheit über die eigene Situation im Heimatland (vgl. Nuscheler 2004: 102f.). Als Schubfaktoren gelten unerträgliche Lebensbedingungen im Herkunftsland, die Menschen dazu bewegen, dieses zu verlassen. Auslöser können Kriege, Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit oder Diskriminierung sein. Der Gedanke solcher Schubfaktoren vertrat auch Eisenstadt (1954: 2), welcher Migration durch unerfüllte Erwartungen in der Heimat erklärte. Diese unerfüllten Erwartungen wies er verschiedenen Kategorien zu wie die Sicherung der physischen Existenz, das Erreichen von einem angestrebten ökonomischen Standard, sowie die politisch-ideologische Identifikation mit der Gesellschaft. Wenn Lebensentwürfe und Ziele in den genannten Bereichen nicht verwirklicht werden können, steigt die Bereitschaft zu migrieren (vgl. ebd.). Für Ravenstein ist der Schubfaktor der Überbevölkerung am bedeutsamsten für Migrationsbewegungen. Er nennt noch andere Ursachen wie schwierige Gesetzeslagen, Unterdrückung, klimatische Bedingungen oder Zwang, welche für ihn aber eine geringere Bedeutung haben (vgl. Ravenstein 1972: 82f.). Migrationsprozesse sind im 21. Jahrhundert komplexer geworden (vgl. Pries 2011: 11), weshalb die Fokussierung auf den Beweggrund der Überbevölkerung aus heutiger Sicht unzureichend scheint. Migration verhält sich nicht wie ein Naturgesetz. Wenn jemand in seinem Heimatland arm ist und Aussicht auf Wohlstand in einem anderen Land hat, führt dies nicht automatisch zu einer Auswanderung. Auch sind nicht grundsätzlich die wohlhabendsten Länder die Zielländer. Die Nähe des Ziellandes, die dort mehrheitlich ausgeübte Religion, sowie schon vorhandene soziale Netzwerke üben grösseren Einfluss auf den Migrationsprozess aus (vgl. Nuscheler 2004: 104). Die Typisierung anhand von Schub- und Sogfaktoren geht zudem davon aus, dass Sesshaftigkeit die Normalität ist. Historisch betrachtet ist dies eher zweifelhaft, da es schon seit je her Wanderungen gab (vgl. Pries 2011: 10, Treibel 2011: 164). Petersen nimmt eine Typologie nach Wanderungsursachen und Wanderungszielen vor. Seine Kategorisierung von Wanderungsursachen erweist sich als differenzierter und 20 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration beschreibt fünf Typen: die ursprüngliche Wanderung, die gewaltsame Wanderung, die zwangsweise Wanderung, die freiwillige Wanderung und die massenhafte Wanderung. Die genannten Ursachen beziehen sich - wie die von Lee beschriebenen Schub- und Sogfaktoren - auf unerfüllte Erwartungen im Herkunftsland und Attraktivität des Ziellandes. Die Wanderungsziele kategorisiert Petersen in konservativ und innovativ. Der konservative Wanderer strebt danach, Ursprüngliches zu bewahren. Seine Migration liegt in einer Reaktion auf Veränderungen in der Heimat begründet und sein Ziel ist die Erhaltung der ursprünglichen Situation. Der innovative Wanderer ist jener, der das Neue sucht (vgl. Petersen 1972: 97). Abbildung 1: Typologie der Wanderungen nach Petersen (1972) Solche innovativen Absichten beschreibt auch Richmond als proaktiven Typus (siehe Treibel 2011: 166f.). Seine Typologie schlägt fliessende Übergänge vor, indem Migrationsursachen auf einem Kontinuum zwischen proaktiv und reaktiv dargestellt werden. Als proaktive Wandernde gelten beispielsweise Pensionäre, welche sich dafür entscheiden, den Lebensabend in einem klimatisch milderen Land zu verbringen. Sie planen ihre Emigration und wägen Vor- und Nachteile ab. Auf der anderen Seite der Skala befänden sich Menschen, welche gewaltsam verschleppt werden. Sie haben nicht den Raum zur freien Entscheidung. Die meisten Migrierten sind jedoch irgendwo zwischen diesen beiden Polen anzuordnen (vgl. ebd.). Die Migrationstheorien des 20. Jahrhunderts gehen überwiegend von einer Bindungswirkung von Gesellschaften aus. Diese Vorstellung von nationaler Identität scheint heute nicht mehr zutreffend (vgl. Pries 2011: 10). Migrationsbewegungen sind komplexer geworden. Durch verbesserte Mobilität und Kommunikationsstrukturen rückte die Welt näher zusammen und 21 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration Wanderbewegungen sind einfacher und wahrscheinlicher geworden (vgl. ebd.: 12). Es erweist sich als schwierig, durch die dargelegten Typisierungen das tatsächliche Migrationsgeschehen zu systematisieren. Sie ermöglichen jedoch verschiedene Perspektiven auf Migrantinnen und Migranten als Akteure (vgl. Treibel 2011: 168). Doch wer sind die Betroffenen und wie werden sie bezeichnet? Im Allgemeinen Sprachgebrauch herrscht Verwirrung hinsichtlich der Verwendung von Begriffen, welche Menschen mit Migrationshintergrund beschreiben. Es gibt eine Bandbreite an eher negativ konnotierten Begriffen, wie Asylantinnen oder Ausländer. Diese nehmen Bezug auf den Status oder die Staatsangehörigkeit (vgl. Eppenstein/Kiesel 2008: 21). Bei der nationalen Zugehörigkeit handelt es sich jedoch nicht um etwas natürlich Gewachsenes, sondern um ein Resultat von Grenzziehungsprozessen (vgl. Treibel 2011: 33). Als Alternative kann der Begriff ausländische Mitbürger verwendet werden. Die Vereinigung von Mitbürgern und Ausländern wirkt beschönigend, da tatsächliche Mitbestimmungsrechte nicht immer gegeben sind. In Gebrauch sind auch Begriffe wie Einwanderinnen oder Zuwanderer. Diese bezeichnen aber nur die Gruppe, welche eingewandert ist und beabsichtigt zu bleiben. Der Begriff Fremdländer soll den ausschliessenden Aspekt des Begriffes Ausländer vermeiden, legt den Fokus auf das Fremde und die Andersartigkeit. Dies schafft Grenzen (vgl. Eppenstein/Kiesel 2008: 21ff). Im heutigen Diskurs ist vor allem der Begriff Menschen mit Migrationshintergrund geläufig. Dadurch werden nicht nur Teilaspekte von Migration erfasst, sondern es wird der Tatsache Rechnung getragen, dass Migrationserfahrungen sehr unterschiedlich sein können. Das Verwenden der genannten Terminologien kann problematisierend sein, da Zuschreibungen gemacht werden. Durch das Betonen von Aspekte, wie Fremdheit, die fehlende Staatsangehörigkeit oder der Migrationshintergrund werden Grenzen gezogen und Differenzen geschaffen (vgl. ebd.: 26). Um treffende Ausdrücke zu verwenden, ohne zu problematisieren, sollten beschreibende Terminologien verwendet werden. Ein solcher wäre beispielsweise der Begriff Menschen mit Migrationserfahrung. Die Erfahrung wird als bedeutend herausgestrichen, ohne dass Zuschreibungen gemacht werden (vgl. ebd.: 23f.). Wichtig zu beachten sind andersartige Verwendungen der Begriffe. Rechtliche Begriffe oder Fachbegriffe sind von Alltagsbegriffen zu unterscheiden (vgl. ebd.: 26). Der Ausdruck Flüchtling wird in der medialen Berichterstattung anders verwendet, als beispielsweise in der Genfer Flüchtlingskonvention. Die Flüchtlingseigenschaft wird laut dieser der Person anerkannt, welche „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet“ (Art. 1 Abs. 2 Abkommen über die Rechtsstellung der 22 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration Flüchtlinge). Umwelt-, Land- und Binnenflüchtlinge zählen somit nicht zwingend dazu, da sie sich nicht ausserhalb ihres Heimatlandes aufhalten. (vgl. Nuscheler 2004: 51). In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff Geflüchtete verwendet. Dieser soll - anders als der Begriff Flüchtling - alle Menschen miteinbeziehen, welche aufgrund von Flucht wandern. Das Thema Fluchtmigration wird im Kapitel 3.2 eingehender behandelt. 3.1 Weltgeschichtlicher Blick auf Migration „Migration ist so alt wie die Menschheit.“ (Pries 2011: 10) Sie taucht schon in den frühsten historischen Überlieferungen auf. Seit Menschen in Gesellschaften leben, kommt es zu Wanderbewegungen. Bereits in der Bibel wird im Exodus die Wanderung des jüdischen Volkes beschrieben (vgl. Nuscheler 2004: 30). Viele aus der Frühgeschichte überlieferten Beweggründe, welche Menschen veranlassten ihre Heimat zurückzulassen, existieren noch heute. Hunger, Krankheit und Verfolgung bewegten ganze Völker dazu, sich anderswo auf die Suche nach einem besseren Leben zu machen (vgl. Treibel 2011: 11). Im Mittelalter waren Wanderarbeiter sehr verbreitet und gesucht. So gab es verschiedene Handwerker und Fachkräfte, welche durch Europa reisten und ihre Dienste anboten (vgl. ebd.: 11). Auch siedelten damals viele Menschen in die Städte über oder wechselten von einem Herrschaftsgebiet in ein anderes. Im 16. und 17. Jahrhundert galt vor allem die Religion als verbreitete Fluchtursache. Zwischen den Jahren 1550 und 1750 waren rund 750'000 Menschen aufgrund religiöser Intoleranz auf der Flucht (vgl. Schilling 2002: 73). Im Altertum verbreitete sich das Phänomen Siedler anzuwerben. So veranlasste König Wilhelm I, dass 15'000 vertriebene Protestanten aus Salzburg nach Litauen übersiedelten, da die dortige Bevölkerung durch die Pest stark dezimiert war (vgl. Treibel 2011: 11). Im Zuge der Kolonialisierung bestand in den Einwanderungsländern ausserhalb Europas der Bedarf nach Immigranten und Siedler. Gesunde und gut ausgebildete Migrantinnen und Migranten konnten mit einem guten Leben, dem Finden einer Arbeitsstelle und einer Einbürgerung im Aufnahmeland rechnen (vgl. Nuscheler 2004: 30f.). Die Schaffung dieses neuen Lebensraums ging jedoch auch mit der Vertreibung der einheimischen Bevölkerung, Massenmorde und kulturelle Zerstörung einher (vgl. ebd.: 30). Im 19. Jahrhundert fanden durch die verbesserte Mobilität grosse transatlantische Migrationsbewegungen statt. Veränderungen von monarchischen Regierungssystemen zu Demokratien bewirkten politische Emigration (vgl. ebd.: 31). Europa galt damals als Auswanderungskontinent. Zahlreiche Menschen verliessen Europa aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen (vgl. ebd.: 33). Die Kolonialisierung begünstigte das Entstehen eines Weltmarkts. Durch die internationalen Handelsbeziehungen entstanden vermehrt multi-ethnische Gesellschaften. Zunehmend wurden auch Arbeitskräfte da hin gebracht, wo sie gebraucht wurden. Die 23 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration Globalisierung in der Wirtschaft förderte somit Arbeitsmigration (vgl. ebd.: 30). Infolge des grossen Wirtschaftswachstums wurden massenhaft Arbeiter benötigt. Im Speziellen aus Südeuropa wurden viele Gastarbeiter angeworben, welche einen unschätzbaren Beitrag zum heutigen Wohlstand Westeuropas beitrugen (vgl. Treibel 2011: 11). Im Zuge der Dekolonialisierung migrierten viele Arbeitskräfte aus den ehemaligen Kolonien nach Europa (vgl. Nuscheler 2004: 33). Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts galt als Jahrhundert der Flüchtlinge. Der Nationalsozialismus führte damals zum Zerfall der Donaumonarchie und des Osmanischen Reiches. Damit einher gingen Zwangsumsiedlungen, die Vertreibung von Minderheiten und Fluchtbewegungen. Auch der Genozid an den Armeniern führte zu zahlreichen Flüchtlingen (vgl. ebd.). Der Machtumsturz in Russland im Jahre 1921 machte zahlreiche Anhänger des Zarenregimes zu Revolutionsflüchtlingen. Ausbürgerungserlasse sorgten dafür, dass viele von ihnen ausgebürgert wurden. Im zweiten Weltkrieg wurden rund 60 Millionen Menschen zur Flucht gezwungen. Dieses Ereignis gilt deshalb historisch gesehen als grösste Entwurzelung der Geschichte (vgl. ebd.: 32). Die Mobilität wurde durch den Flugverkehr immer grösser, die Welt rückte näher zusammen. Es entstand eine immer grösser werdende Kluft zwischen den Industrie- und den Entwicklungsländern (vgl. Treibel 2011: 11f.). In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nahm die Arbeitsmigration stetig ab, der Familiennachzug von niedergelassenen Gastarbeitern oder Flüchtlingen führte zu einem Zuwachs an Migrantinnen und Migranten. Weiter wurden signifikant mehr Asylsuchende verzeichnet. Im Jahr 1973 belief sich die Zahl auf 13'000 Gesuche in Europa, woraufhin sich dies innert weniger als 20 Jahren auf 600'000 erhöhte. Die Zunahme von Asylgesuchen erregte grosse mediale Aufmerksamkeit und führte zu spannungsgeladenen Diskussionen. Die Migrationsbewegungen wurden als Ansturm und Invasion betitelt. Dies schürte Ängste in der Gesellschaft (vgl. Nuscheler 2004: 34). Zunehmend wuchs in den europäischen Ländern ein Anspruch auf ethnische und kulturelle Homogenität. Die Kategorie Nationalität wurde als Ein- oder Ausschlusskriterium gewertet. Die Verknappung von Lebensräumen spielte diesbezüglich eine entscheidende Rolle (vgl. ebd.: 31). Auf diese Ansprüche und Ängste reagierte Europa mit der Einschränkung des Asylrechts und der Einführung von schärferen Grenzkontrollen. Die „Festung Europas“ wurde zum Einwanderungsland, auch wenn sie dies nicht zugeben wollte (vgl. ebd.: 35). Die Tatsachen, dass das kriegsgeschüttelte Europa früher selbst ein Auswanderungskontinent war, scheint wenige Spuren im kollektiven Gedächtnis unserer Gesellschaft hinterlassen zu haben, was die geringe Empathie gegenüber geflüchteten Menschen zeigt (vgl. ebd.: 33). Staaten mit florierender Wirtschaft beginnen immer mehr, sich gegen Geflüchtete abzuschotten, wobei günstige Arbeitskräfte weiterhin willkommen sind. Entgegen der geschürten Angst in den Industrieländern ist es immer noch die Dritte Welt, welche die Hauptlast an Flüchtlingen trägt, da die meisten Menschen in ihre Nachbarstaaten fliehen (vgl. Treibel 2011: 11f.). 24 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration Nuscheler (2004: 35) betont den entscheidenden Einfluss der Globalisierung auf das Migrationsgeschehen. Deren Ursprung liegt in der Kolonialisierung. Europa wäre nicht so florierend ohne dessen Vergangenheit als Kolonialmacht. Die Besiedlung der Kolonien und der Sklavenhandel führten dazu, dass die Arbeitskraft zunehmend mobil wurde. Auch innerhalb der Länder führte die steigende Mobilität zu Migrationsbewegungen vom Land in die Stadt. Im Zuge der Industrialisierung wurden billige Arbeitskräfte von den ländlichen Gebieten angeworben, was die Urbanisierung weiter verstärkte (vgl. ebd.). Durch die Globalisierung fand eine Entgrenzung der Wirtschaft statt. Nationalstaatliche Grenzen wurden für den Fluss von Gütern, Dienstleistungen, Kapital und Kommunikationsmedien geöffnet (vgl. ebd.: 36). Nuscheler nennt sieben Einflüsse der Globalisierung, welche folgend genauer erläutert werden. Erstens nahm die Mobilität zu. Durch technische Errungenschaften wurde das Reisen komfortabler und erschwinglicher, was einen Anreiz für die Migration bot. Zweitens fand eine Marginalisierung von gewissen Gebieten statt. Die Industrie verlegte ganze Arbeitszweige in sogenannte Billiglohnländer. Die neu geschaffene Freizügigkeit der Wirtschaft machte dies möglich. Drittens entstand eine neue soziale Klassifizierung. Gegenüber stehen sich gefragte Menschen, wie qualifizierte Fachkräfte und Billigarbeitskräfte mit geringen beruflichen Qualifikationen. Eine internationale Arbeitsteilung etablierte sich (vgl. ebd.: 36). Viertens trat das neue Phänomen der globalen Wissensgemeinschaft auf. Hochqualifizierte Fachkräfte, beispielsweise aus Wissenschaft und Forschung, werden von gewissen Ländern angeworben und gefördert, was zu einer Elitemigration führt. So erlitten Länder mit weniger Fördermöglichkeiten herbe Verluste von Humankapital. Man nennt dieses Phänomen auch Brain Drain (vlg. ebd.: 37). Fünftens sorgte die weltweite Datenübertragung durch Telefonie, Fernsehen und vor allem dem Internet für neue Migrationsanreize. Wenn sich beispielsweise Menschen aus dem Slum Sendungen über reiche Amerikaner anschauen können, werden neue Konsumreize vermittelt. Die Unterschiede zwischen arm und reich werden verschärft wahrgenommen und können eine Sogwirkung entfalten (vgl. ebd.). Sechstens besteht eine ungleiche Verteilung von Chancen und Risiken auf der Welt. Dies führt zu Abhängigkeiten zwischen benachteiligten Gebieten und florierenden Staaten. Da diese Unterschiede heute durch die Medien viel sichtbarer geworden sind, führt dies auch vermehrt zu politischen Instabilitäten. Siebtens entstehen durch die Globalisierung transnationale Netzwerke, so auch das Schlepperwesen. Dieses mutierte zu einem Steuerungsinstrument der irregulären Migration und übt grossen Einfluss auf das Migrationsgeschehen aus (vgl. ebd.: 38). Irreguläre Migration hängt eng mit dem Migrationsmotiv der Flucht zusammen. Dieser eher allgemeine Blick auf Migration soll im Folgenden ergänzt werden durch spezifische Erkenntnisse zur Fluchtmigration. 25 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration 3.2 Fluchtmigration Schlicht ausgedrückt bedeutet Flucht, sich widrigen Umständen zu entziehen. Es handelt sich dabei nicht um eine Sonderkategorie, sondern lediglich um eine besondere Form von Migration. Es ist schwierig und nicht angebracht klare Unterscheidungen zu machen, da meist verschiedene Migrationsformen ineinander verwoben sind und fliessende Übergänge bestehen (vlg. Treibel 2011: 157). Die Schwierigkeiten beginnen bereits bei der Unterscheidung von freiwilliger und erzwungener Migration. Schub- und Sogfaktoren lassen sich nur schwer trennen. Oftmals sind objektive Fluchtgründe mit subjektiven vermischt. Die individuelle Wahrnehmung der eigenen Lebenssituation, der Zukunftsperspektiven, sowie der Grad der persönlichen Leidensfähigkeit spielen eine grosse Rolle (vgl. Nuscheler 2004: 51f.). Einer Flucht liegen unerträgliche Lebensbedingungen zugrunde, womit die Schubfaktoren eine bedeutende Rolle spielen (vgl. ebd.: 107). Mögliche Fluchtursachen können kriegerische Auseinandersetzungen, Verfolgung, Zwang, Umweltkatastrophen oder Diskriminierung im Heimatland sein (vgl. Eppenstein/Kiesel 2008: 31). Folgend werden diese möglichen Fluchtursachen in Bezugnahme auf Nuscheler (2004) ausgeführt. Kriege gehören zu den Hauptgründen, weshalb zahlreiche Menschen auf der Welt flüchten. Oft befinden sich Kriegsgebiete in Entwicklungsländern oder in den ehemaligen Kolonien. Manche Konflikte haben lange historische Tradition, andere entstanden durch die willkürliche Grenzziehung während der Kolonialzeit. Verschiedene rivalisierende Ethnien mussten daraufhin im selben Land leben, was zu Unruhen, Konflikten, bis hin zu Völkermorden führte (vgl. ebd.: 108f.). In Revolutionen und Machtkämpfen werden die oppositionellen Bevölkerungsgruppen vertrieben. In Kriegen spielen immer interne und externe Faktoren eine Rolle. Die Konflikte können „hausgemacht“ sein oder auch von anderen Staaten angestachelt werden. So kam es immer wieder vor, dass Diktatoren von anderen Ländern in ihrem Regime unterstützt oder Militärhilfe geleistet wurde um gewisse Konflikte aufrecht zu erhalten (vgl. ebd.: 108). Auf etwas spezifischere Art sorgten Diktaturen dafür, dass die Stimmen der Oppositionellen durch Folterung, Vertreibung oder Exil zum Schweigen gebracht wurden. Ethnische Minderheiten sind im Laufe der Geschichte immer wieder das Ziel von Vertreibung und Verfolgung geworden. Die Liste ist lang, als Beispiele dafür gelten die Tibeter, die Kurden oder die Tamilen. Die Forderungen dieser Minderheiten nach Rechten und Autonomie wurden oft brutal zum Verstummen gebracht. Die Geschichte zeugt von vielen Genozide, welche das Ergebnis von Minderheitenkonflikten waren (vgl. ebd.: 107f.). Zu den bedeutendsten Fluchtursachen weltweit gehören Umweltkrisen. Zwischen 2008 und 2013 gab es rund 140 Millionen Umweltflüchtlinge weltweit (vgl. Gourmelon 2015: o.S.). Erdbeben oder Tsunamis führen dazu, dass unzählige Menschen ihre Heimat gezwungenermassen 26 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration verlassen müssen. Dürren verunmöglichen die Ernte, was zu Hungersnöten und weiteren Flüchtlingsströmen führt (vgl. Nuscheler 2004: 110f.). Flucht verhält sich jedoch nicht wie ein Reiz-Reaktions-Mechanismus. Nicht alle Menschen fliehen aus Kriegsgebieten und nicht alle Verfolgten lassen sich auch aus dem Land vertreiben. Finanzielle Mittel haben einen grossen Einfluss darauf, ob eine Flucht möglich ist. Wer sich eine Flucht ins Ausland nicht leisten kann, flieht eher kürzere Distanzen im Heimatland (vgl. Treibel 2011: 171). Eine Flucht kann sowohl geplant, als auch spontan aufgrund eines Notfalls stattfinden (vgl. Eppenstein/Kiesel 2008: 31). Menschen, welche auf ein plötzlich auftretendes Ereignis gezwungenermassen und panikartig fliehen, zählen als akute Flüchtlinge. Sie machen rund neun Zehntel aller Flüchtlinge weltweit aus. Wenn die Flucht geplant wird und in Etappen erfolgt, handelt es sich um planende Flüchtlinge. Der Flucht geht dabei eine Frustration voraus, woraus der Gedanken an die Flucht entspringt. Fluchtmöglichkeiten werden dann abgewogen und in Frage kommende Zielländer ausgesucht. Erst dann, wenn auch Verluste und Gewinne abgewogen wurden, wird die tatsächliche Flucht ausgeführt (vgl. Nuscheler 2004: 107). Flucht muss nicht plötzlich sein, oft wird sie in Etappen durchgeführt. Manche beginnen damit, ihr Haus über Nacht zu verlassen und kehren tagsüber zurück, um beispielsweise den landwirtschaftlichen Betrieb aufrecht zu erhalten. Als zweiter Schritt folgt die Binnenflucht. Wenn diese zu wenig Sicherheit bietet, flüchten Menschen ins Ausland (vgl. ebd.). Kontakte in die Zielländer sind für die Planung massgeblich. Netzwerke erleichtern die Migration und fördern diese auch (vgl. Treibel 2011: 172). Neben diesen soziologischen Erklärungen der Fluchtmigration, bestehen gesetzliche Grundlagen und Definitionen. Laut der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, hat jeder das Recht auf Asyl (Art. 14 Abs. 1 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte). Dieses Recht wird aber von bestimmten Regimes eingeschränkt. Beispiel dafür ist die verbotene Ausreise aus Nordkorea (vgl. Treibel 2011: 157). United Nations High Comissioner for Refugees (UNHCR) ist eine wichtige Organisation was Fluchtmigration anbelangt. Sie wurde 1951 auf Beschluss der Vereinten Nationen gegründet und sollte nur vorübergehend bestehen. Ihr Auftrag bestand im Umgang mit und der Repatriierung von Geflüchteten. Anders als geplant, ist die UNHCR noch heute aktiv (vgl. Treibel 2011: 158f.). 1951 wurde in Genf von den Vereinten Nationen ein Abkommen geschlossen, welches in der Schweiz 1955 in Kraft trat. Als Flüchtling betrachtet wird dabei eine Person, welche „aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Staatszugehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung ausserhalb ihres Heimatlandes befindet und dessen Schutz nicht beanspruchen kann oder wegen dieser 27 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration Befürchtungen nicht beanspruchen will; oder die sich als Staatenlose infolge solcher Ereignisse ausserhalb ihres Wohnsitzstaates befindet und dorthin nicht zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht zurückkehren will“ (Art. 1 Abs. 2 Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge). Nur ein kleiner Teil aller Geflüchteten weisen diese Bedingungen einer individuellen Verfolgung auf. Mittelamerikanische Staaten erwiesen sich als fortschrittlich und haben auch die Massenflucht oder die Störung der öffentlichen Ordnung als Fluchtgründe geltend gemacht (vgl. Treibel 2011: 161). Eine wichtige Gesetzesgrundlage aus dem Völkerrecht ist das Non-Refoulment-Prinzip. Aufgrund dessen ist es untersagt, Geflüchtete in ein Land auszuweisen, wo ihnen möglicherweise unmenschliche Behandlung oder die schwere Verletzung von Menschenrechten droht (Art. 25 Abs. 2-3 BV). 3.3 Problematiken der Fluchtmigration In den meisten Staaten ist die irreguläre Migration das Kernproblem, welches eng mit dem Migrationsmotiv der Flucht zusammenhängt. Da es heute weniger legale Wege zur Migration gibt und der Zugang zu Asyl erschwert wurde, hat die irreguläre Migration in den letzten Jahren zugenommen. Als widerrechtlich gilt die Einreise mit gefälschten Papieren, die unrechtmässige Immigration, ein Aufenthalt, welcher ohne Bewilligung verlängert wird oder das Arbeiten ohne Erlaubnis. Oftmals ist der Schritt von einem legalen Aufenthalt zu einem illegalen relativ klein (vgl. Nuscheler 2004: 57). Irreguläre Migration macht das Schlepperwesen und den Menschenhandel lukrativ. Laut Schätzungen von Experten nutzen jährlich rund vier Millionen Menschen die Dienste von Schleppern, was diesen einen Umsatz von etwa sieben Milliarden US-Dollar beschert. Um von Afghanistan oder dem Iran nach Europa geschleust zu werden, zahlt man rund 5'000 US-Dollar. Diese Schätzungen beweisen, dass arme Menschen sich eine solche Flucht nicht leisten können. Fluchthilfe durch Schlepperbanden birgt die Gefahr von Abhängigkeit und Ausnutzung. Im Besonderen Frauen sind gefährdet, als Leibeigene der Schlepper zu dienen, um die Schulden abzubezahlen. Andere wiederum werden zur Beschaffungskriminalität gezwungen (vgl. ebd.). Mitte 2015 schätzte die UNHCR (2015 b: o.S.) die Anzahl geflüchteter Menschen auf weltweit rund 15 Millionen. Solche Statistiken sind allerdings trügerisch. International gesammelte Daten zur Fluchtmigration sind schwierig zu deuten, da oftmals unterschiedliche begriffliche Definitionen vorliegen und gesetzliche Änderungen mitspielen (vgl. Nuscheler 2004: 54f.). Gleichwohl lassen diese Zahlen das Ausmass der Fluchtmigration erahnen. Doch wohin fliehen die Betroffenen? Die UNHCR ermittelte Belastungsquoten von Aufnahmeländern. Die Länder, welche im Jahr 2015 am meisten Geflüchtete pro 1000 28 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration Einwohner aufwiesen, sind Libanon, Jordanien und Nauru. Libanon und Jordanien sind Nachbarstaaten von Syrien und beherbergen deshalb einen Grossteil der Geflüchteten aus dem Syrienkrieg. Auf dem pazifischen Inselstaat Nauru gibt es ein grosses Flüchtlingslager, welches Geflüchtete auf dem Seeweg nach Australien beherbergt. Aus Europa befinden sich nur die Türkei und Schweden in den Top Ten (vgl. UNHCR 2015 a: o.S.). Aufgrund der grossen Zahl von Flüchtlingen, wird Fluchtmigration vielerorts als Bedrohung gesehen. Dies macht es zu einem wichtigen Thema in der Politik (vgl. Treibel 2011: 159). In dieser spannungsgeladenen Diskussion waren die Ereignisse vom 11. September 2001 sehr prägend. Die Terroranschläge führten dazu, dass Islam, Islamismus und Terrorismus gleichgesetzt wurden und das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber Migrantinnen und Migranten aus arabischen Ländern immens zunahm. Vermehrt wurde nun Migration und besonders Fluchtmigration als Risiko für die innere Sicherheit von Staaten betrachtet. Europa sah seinen Wohlstand und seine Stabilität bedroht. Das Bild von Migrantinnen und Migranten als Kriminelle wurde zunehmend geprägt, sei dies als Akteure im Drogenhandel, als Aktivisten, illegale Einwanderer oder als Transporteure von tropischen Krankheiten (vgl. ebd.: 23). Der Wunsch nach Homogenität im eigenen Land wurde durch diese Abwehrhaltung verstärkt. Gewisse Gesellschaftstheoretiker prägten den Begriff der „Überfremdung“, welcher in der vergrösserten Zuwanderung eine Gefahr der eigenen kulturellen Identität sah (vgl. ebd.: 23f.). Diese Ansichten stehen jedoch in ausgesprochenem Widerspruch zu den Forderungen der Menschenrechte, welche die Solidaritätspflichten von allen Ländern fordern und das Recht eines jeden Menschen auf Asyl (Art. 14 Abs. 1 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte). Problematisch sind nicht nur die strukturellen Bedingungen, sondern auch die Bedingungen des Individuums im Aufnahmeland. Wie bereits in der Einleitung eingeführt, erfahren geflüchtete Personen zahlreiche Benachteiligungen. Asylsuchende sind meist dazu verpflichtet, während der Abklärung ihres Asylantrags in kollektiven Unterkünften zu wohnen, welche sich oft an abgelegenen Orten befinden (vgl. Efionayi-Mäder et. al. 2015: 56, Geiger 2016: 28). Die Teilnahme am öffentlichen Leben ist dadurch erschwert, was Inklusion und Integration hemmt (vgl. Geiger 2016: 28). In der Schweiz ist es für vorläufig Aufgenommene sowie anerkannte Flüchtlinge möglich, in Wohnungen untergebracht zu werden. Das Finden von solchen erweist sich jedoch als grosse Herausforderung (vgl. Eggenberger 2016: 17). Meist befinden sich günstige Wohnungen in benachteiligten Stadtteilen, welche von hoher Lärm- und Umweltbelastung betroffen sind. Ein solches Wohnumfeld hemmt die Integration zusätzlich und fördert den Rückzug in die eigene ethnische Gruppe (vgl. Eppenstein/Kiesel 2008: 35). 29 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration Viele Geflüchtete sind von Armut betroffen. Die kleinen Geldbeträge der Asylsozialhilfe sichern lediglich das Existenzminimum. Befinden sich die Personen noch im Asylprozess, werden oft Sachleistungen anstatt Geldbeträge abgegeben. Ihre Selbstbestimmung wird dadurch einschränkt (vgl. Geiger 2016: 29). Auch im Bezug auf Bildung und Arbeit stellen sich eine Vielzahl von Herausforderungen. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist dadurch erschwert, dass eine Arbeitsbewilligung erst nach einer gewissen Zeit erworben werden kann (vgl. ebd.: 34). Bei vielen Arbeitgebern herrscht diesbezüglich Verwirrung, da das Wissen zu den Möglichkeiten fehlt, Asylsuchende zu beschäftigen (vgl. Yin Yap et. al. 2011: 162). Im Artikel von Senn (2016: 23) wird ein syrisches Ehepaar vorgestellt. Der Universitätsabschluss in Mathematik wurde den beiden in der Schweiz als Bachelorabschluss angerechnet, welcher nicht reicht, um zu unterrichten. Und ohne ausreichende Sprachkenntnisse ist es zusätzlich schwer, sich auf dem Arbeitsmarkt zu verkaufen. Laut Experten sind rund 70% der Geflüchteten traumatisiert (vlg. Geiger 2016: 37). Viele wurden entweder selbst zu Opfern oder waren Zeugen von Gewalt (vlg. Jörg-Zougli/Stucki 2016: 24). Ein Trauma wird umschrieben als Zusammenbruch der persönlichen Integrität, welcher durch äussere Ereignisse bewirkt wurde. Manchen Traumatisierten reicht ein gutes soziales Umfeld und die Möglichkeit, das Leben selbst in die Hand zu nehmen, andere brauchen psychotherapeutische Unterstützung, um das Trauma zu bewältigen. Für Geflüchtete bieten sich diese Optionen kaum an (vgl. Geiger 2016: 37). Schwierige Erfahrungen, wie Diskriminierung, Ausgrenzung, Abhängigkeit, Armut, Nichtstun und fehlende Zukunftsperspektiven können gravierende Auswirkungen auf die Persönlichkeit traumatisierter Menschen haben (vgl. ebd.: 37). 30 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration 4 Geflüchtete und die Freiwilligenarbeit Die in der Folge vorgestellten Studien dienen dazu, den fachlichen Diskurs zum Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Flucht darzulegen und verschiedene Ansichten zu vergleichen. In ihrer qualitativen Studie beschäftigte sich Misun Han-Broich mit „Ehrenamt und Integration“. Ihr Interesse gilt dem Einfluss von freiwilligem Engagement auf die Integration von Flüchtlingen (vgl. Han-Broich 2012: 20). Diese Integrationswirkung wies sie in ihrer Studie empirisch nach, indem sie 44 qualitative Interviews durchführte. Befragte waren zur einen Hälfte Ehrenamtliche und zur anderen Hälfte Flüchtlinge, welche die betreffenden Angebote besuchten, Hauptamtliche, sowie Vertreter der Organisationen und der Verwaltung (vgl. ebd.: 28). Die Ehrenamtlichen wurden in problemzentrierten Interviews zu Inhalten und Formen ihres Engagements, Motiven, Rahmenbedingungen, Zusammenarbeit mit den Hauptamtlichen, sowie der Beziehung zu den begleiteten Flüchtlingen befragt (vgl. ebd.: 30f.). Um die Sicht der Flüchtlinge zu untersuchen, wurden ethnografische Interviews eingesetzt. Dabei standen persönliche Erlebnisse, deren Sicht der Freiwilligenarbeit und wahrgenommene Integrationseffekte im Zentrum des Gesprächs (vgl. ebd.: 31f.). Die Hauptamtlichen und die Vertreter der Organisationen und der Verwaltung wurden mithilfe von Experten-Interviews befragt. Unter anderem wurden Fragen zur Zusammenarbeit mit den Ehrenamtlichen und zu den Effekten von Freiwilligenarbeit auf die Integration der Flüchtlinge gestellt (vgl. ebd.: 32). Han-Broich beabsichtigte durch ihre Forschung einen Beitrag zur Integrationspolitik in Deutschland zu leisten. Sie sieht in der Freiwilligenarbeit ein wirksames Integrationsinstrument (vgl. ebd.: 23). Jennifer Erickson führte von 2007 bis 2008 in Fargo in den USA eine ethnografische Studie durch. Sie untersuchte und hinterfragte die Machtverhältnisse in der Freiwilligenarbeit mit Flüchtlingen (vgl. Erickson 2012: 167). Unter den insgesamt 13 Befragten befanden sich zwölf pensionierte oder teilpensionierte Personen, welche sich in einem dieser beiden Angebote engagierten. Zwei der befragten Personen engagierten sich unabhängig von den genannten Organisationen (vgl. ebd.: 169). Zusätzlich wurden teilstrukturierte und informelle Interviews mit Angestellten und freiwillig Tätigen geführt (vgl. ebd.: 168). Die Studie eröffnet die Möglichkeit kritischer Auseinandersetzung mit Freiwilligenarbeit im Flüchtlingsbereich. Die Autorin erstellte basierend auf ihre Studie ein Handbuch für die betreffenden Organisationen, um deren Praxis des freiwilligen Engagements zu verbessern (vgl. ebd.: 174). Bei der Studie „From Refugee to Good Citizen: A Discourse Analysis of Volunteering“ handelt es sich um die Doktorarbeit von Su Yin Yap in klinischer Psychologie. Bei dem Thema ihrer Arbeit handelt es sich um Flüchtlinge, welche sich freiwillig in Organisationen im 31 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration Asylwesen engagieren. Das Erkenntnisinteresse liegt dabei auf der Art, wie die Flüchtlinge sich selbst in dieser freiwilligen Tätigkeit konstruieren. Die qualitative Untersuchung dazu wurde zwischen 2008 und 2009 in England durchgeführt (vgl. Yin Yap et. al. 2011: 157). Die Studie nimmt eine sozial-konstruktivistische erkenntnistheoretische Perspektive ein. Methodisch gearbeitet wurde mit der Diskursanalyse von Foucault (vgl. ebd.: 159).. Insgesamt wurden mit neun Freiwilligen teilstrukturierte Interviews durchgeführt, wovon fünf Männer und vier Frauen waren (vgl. ebd.: 160). Die Studie von Frances Tomlinson „Marking Difference and Negotiating Belonging: Refugee Women, Volunteering and Employment“ soll ebenfalls einen qualitativen Zugang zum Thema Geflüchtete in der Freiwilligenarbeit ermöglichen. Untersucht wurden Flüchtlingsfrauen in Grossbritannien. Die Autorin stellte sich die Frage, anhand welcher Differenzlinien bezüglich Ausschluss und Zugehörigkeit sich freiwillig engagierende Flüchtlingsfrauen ausdrücken (vgl. Tomlinson 2010: 278). In der Erhebung wurden teilstrukturierte Interviews mit 35 Frauen bezüglich Bildung, Training, Freiwilligenarbeit und Anstellungsbelangen durchgeführt, sowie Fallstudien in sechs Organisationen. (vgl. ebd.: 282f.). In den Organisationen wurden Personen befragt, welche Verantwortung innehatten im Bereich der Human Ressource oder in der Koordination der Freiwilligen tätig waren (vgl. ebd.: 283). Die 2015 veröffentlichte Schweizer Studie über das zivilgesellschaftliche Engagement im Flüchtlingsbereich wurde von Denise Efionayi-Mäder und Jasmine Truong in Zusammenarbeit mit Gianni D’Amato durchgeführt. Die Studie wurde durch den Migros- Kulturproduzent und die SGG in Auftrag gegeben (vgl. Efionayi-Mäder et. al. 2015: 1f.). Im Rahmen der Erhebung wurden Leitfadeninterviews mit Fachpersonen des Asylbereichs, sowie mit verschiedenen Akteuren aus der Zivilgesellschaft und den Behörden durchgeführt. Insgesamt wurden 23 Personen befragt, davon 15 Frauen und acht Männer (vgl. ebd: 17ff). Mit den erhobenen Daten wurde eine Standortbestimmung zum Angebot im Flüchtlingsbereich erstellt (vgl. ebd.: 6). Die Studie beabsichtigt, Stärken und Schwächen darzulegen, sowie eine sinnvolle Koordination der Projekte zu ermöglichen. Zivilgesellschaftliches Engagement soll dadurch gefördert werden (vgl. ebd.: 6). Anders, als in den vorhergehenden Studien, geht es in Kathrin Düseners qualitativer Forschung nicht um Geflüchtete, sondern um Migrantinnen und Migranten, welche sich freiwillig engagieren. Das Erkenntnisinteresse liegt auf den Identitätskonstruktionen und subjektiven Erfahrungen, welche die betreffenden Personen in der Freiwilligenarbeit machten (vgl. Düsener 2010: 17). Die Datenerhebung fand zwischen 2006 und 2007 statt. Der Migrationshintergrund, sowie das freiwillige Engagement für Deutsche waren Kriterien bei der Auswahl von Gesprächspartnern. Da jedoch viele der Befragten sich sowohl für Deutsche, wie auch für Angehörige der Diaspora engagierten, wurde jenes Kriterium für den 32 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration weiteren Verlauf der Studie weggelassen (vgl. ebd.: 84). Die Autorin führte 23 qualitative Interviews durch, wovon sie schlussendlich 14 für die Studie relevante Interviews auswählte und diese auswertete. Die Auswertung fand vor dem Hintergrund der Grounded Theory statt (vgl. ebd.: 87). Düseners Studie soll Erkenntnisse für die Praxis des freiwilligen Engagements liefern, wie auch einen Beitrag an die sozialpolitische Diskussion leisten (vgl. ebd.: 24). Anhand der empirischen Erkenntnisse dieser Studien sollen nun Aussagen in Bezug auf die Motive der freiwillig Tätigen getroffen werden. 4.1 Funktion und Wirkung von Freiwilligenarbeit im Flüchtlingsbereich Im Kapitel 2.2 wurden diverse Funktionen von Freiwilligenarbeit aus der Fachliteratur dargelegt. Die spezifischen Funktionen und Wirkungen von freiwilligem Engagement mit Geflüchteten wurden von Han-Broich in deren Studie untersucht. Sie erkannte zwei Wirkungstypen: Effekte auf der praktischen Ebene und solche auf der Gefühlsebene (vgl. Han-Broich 2012: 91). Praktische Effekte bezeichnen persönliche Gewinne, wie auch das Erreichen von vorgenommenen Zielen. Wenn als sinnvoll empfundenen Tätigkeiten nachgegangen wird, hat dies eine positive Wirkung auf das Wohlbefinden (vgl. ebd.). Die Begegnung mit Menschen aus anderen Kulturen, das Lernen über deren Lebensweisen und die Überwindung von sprachlichen Barrieren wurden von den Befragten als persönliche Gewinne wahrgenommen. Namentlich wurde die Horizonterweiterung genannt, welche durch den Austausch mit Menschen aus anderen Kulturen ermöglicht wurde. Einige der Probanden erlebten, wie sich ihre Persönlichkeit durch das freiwillige Engagement mit Geflüchteten weiterentwickelte. So gewannen sie beispielsweise an Empathie und Toleranz. Die Lebenslagen von Geflüchteten wurden besser verstanden (vgl. ebd.). Das Wegschauen von sich selbst und die Hinwendung zu anderen empfand eine Probandin aus Ericksons Studie als gewinnbringend (vgl. Erickson 2012: 171). Anders erlebte es ein Befragter aus derselben Studie. Er war sehr darauf bedacht, den Geflüchteten alltägliche Dinge beizubringen, welche in seinen Augen nützlich waren (vgl. ebd.: 174). Wenn seine Hilfe nicht angenommen oder gar zurückgewiesen wurde, konnte er seine Ziele nicht erreichen. Die erwartete praktische Wirkung seines Engagements blieb also aus. Sich engagierende Geflüchtete erlebten, dass sie an Anerkennung in der Gesellschaft gewannen. Wurde das Engagement wahrgenommen, steigerte dies die Akzeptanz der engagierten Person im Gastland. Ausserdem konnten Geflüchtete ihre Kompetenzen erweitern und ihre Arbeitsmarktfähigkeit verbessern (vgl. Yin Yap et. al. 2011: 163). 33 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration Die Wirkungen auf der Gefühlsebene sind weniger sichtbare, sondern mehr spürbare Effekte. Die gute Atmosphäre oder die Freude über die Tätigkeit wurde als solche Wirkung wahrgenommen. Bei manchen führte das freiwillige Engagement dazu, das eigene Leben zu reflektieren (vgl. Han-Broich 2012: 91). So erzählte eine Freiwillige davon, wie ein Gespräch mit einer geflüchteten Frau ihr Leben verändert hatte. Sie wurde mit einer schwierigen Lebensgeschichte konfrontiert, was sie traurig stimmte. Gleichzeitig fühlte sie sich geehrt über die Offenheit ihrer Gesprächspartnerin (vgl. Erickson 2012: 173). Befragte empfanden Dankbarkeit und Glück über ihre eigene Situation, wenn sie mit den mannigfaltigen schwierigen Lebenslagen der Geflüchteten konfrontiert wurden. Die Tatsache, diese Geflüchteten unterstützen zu können, führte bei vielen Freiwilligen zu mehr Selbstsicherheit (vgl. Han-Broich 2012: 91). Eine engagierte Geflüchtete betonte die gute Atmosphäre im Umfeld der Freiwilligenarbeit. Die Zurückweisung, welcher sie auf dem Arbeitsmarkt begegnet war, veranlasste sie, sich in der Freiwilligenarbeit zu engagieren (vgl. Tomlinson 2010:286). In Han-Broichs Studie zeigte sich, dass vor allem Freiwillige mit intrinsischer Motivation den Wirkungen auf der Gefühlsebene grosse Bedeutung zuschrieben. Sichtbare Effekte waren für diese Gruppe weniger ausschlaggebend, was dazu führte, dass sie ein höheres Durchhaltevermögen in ihrem Engagement aufwiesen. Extrinsisch Motivierte gewichteten Wirkungen auf der praktischen Ebene stärker (vgl. Han-Broich 2012: 92). In der Forschung von Han-Broich wurde zwischen zwei Hauptfunktionen von Freiwilligenarbeit unterschieden: die politische Funktion und die integrative Funktion. Diese Unterteilung stützt sich auf theoretische Erkenntnisse und Han-Broichs empirische Befunde. Eigenverantwortung und Subsidiarität waren wichtige Schlagworte im Bezug auf die politische Funktion. Bürgerinnen und Bürger sollen einander unterstützen. Die Solidarität wurde dabei von den Freiwilligen nicht nur als Aufgabe des Staates gesehen (vgl. Han- Broich 2012: 107f.). Eine Interviewte aus Ericksons Studie äusserte sich diesbezüglich eher kritisch. Dienste, welche vom Staat erbracht werden müssten, werden von Freiwilligen übernommen. Ihrer Meinung nach entzieht sich der Staat seiner Verantwortung (vgl. Erickson 2012: 171). Dem gegenüber steht die Überzeugung, dass freiwilliges Engagement der Bildung einer gesunden Zivilgesellschaft dient. Es regt Menschen zu sozialer und politischer Teilhabe an (vgl. Han-Broich 2012: 107f.). Dies bekräftigte auch eine Befragte, welche durch Freiwilligenarbeit das politische Engagement bewusst fördern wollte (vgl. Erickson 2012: 172). Von manchen Teilnehmenden der Studie wurde die Selbstverständlichkeit der freiwilligen Hilfe betont, beispielsweise im Bezug auf Nachbarschaftshilfe. Früher sei das die Normalität gewesen, in diese Richtung sollte man sich wieder bewegen. Die Funktion der Freiwilligenarbeit ist diesbezüglich die Prägung von Politik und Gesellschaft (vgl. Han-Broich 2012: 107f.) 34 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration In der Erforschung der integrativen Funktion von Freiwilligenarbeit bezieht sich Han-Broich (2012: 117) auf die Theorie der Migrantenintegration von Esser. Um Indikatoren für eine gelungene Integration herauszuarbeiten, ist seine Theorie aufgrund der Mehrdimensionalität hilfreich. Integration bedeutet für ihn das Zusammenwirken vom eingewanderten Individuum und der Aufnahmegesellschaft. Das Ziel ist das psychische und soziale Gleichgewicht. Mit einem systemischen Blickwinkel beschreibt er die Gesellschaft als Zusammenhalt verschiedener Teile zu einem Ganzen (vgl. Esser 2001: 65). Diese Teile stehen in einem Verhältnis miteinander und sind voneinander abhängig. Die Aufnahme eines neuen Teils und die gegenseitige Anpassung beschreibt er als Integration (vgl. ebd.). Esser nimmt dazu zwei Perspektiven ein. Die Makroperspektive hat die Gesellschaft als Ganzes im Blick und die Mikroperspektive das eingewanderte Individuum. Bei ersterem geht es um das relativ spannungsfreie Miteinander und die gesellschaftliche Identität. Verschiedene Gruppen, Einheimische und Zugewanderte befinden sich in einer gleichgewichtigen Beziehung zueinander (vgl. ebd.: 72f.). Beim zweiten geht es um den Einbezug des Individuums und dessen Beteiligung an der Gesellschaft. Dazu gehört auch dessen Wohlbefinden und Stabilität (vgl. ebd. 67). Han-Broich (2012: 122) leitet im Bezug auf Essers Theorie der Migrantenintegration drei Dimensionen von Integration ab, auf welche sie ihre Forschung aufbaut. Die seelisch- emotionale Integration umfasst die Gefühle des Individuums in Hinsicht auf sich selbst, die Gesellschaft und der gefühlten Nähe (bzw. Distanz) zur Gesellschaft. Die kognitiv-kulturelle Integration beinhaltet Wissen und Kenntnisse über Sprache, Werte und Normen des Gastlandes. Die sozial-strukturelle Integration umfasst verschiedene Möglichkeiten zur Teilhabe. Diese eröffnet sich durch Zugang zum Arbeitsmarkt, dem Wohnungsmarkt oder dem Bildungssystem, sowie durch das Erreichen eines gewissen Status. Kontakte mit Einheimischen sind dabei von Bedeutung (vgl. ebd.: 122f.). Integration ist jedoch nicht nur von der Leistung des eingewanderten Individuums allein abhängig. Hindernisse stellen sich auch auf der strukturellen Ebene. Nicht-Integration von ganzen Gruppen kann sehr schädlich für eine Gesellschaft sein. So zeigt sich mangelnde Integration in interethnischen Konflikten, Rückzug in die eigene ethnische Gruppe oder in Form von Diskriminierung und Kriminalität. Dieses Problem erkannt, bemühen sich verschiedene zivilgesellschaftliche und sozialarbeiterische Organisationen um die Integration von Geflüchteten (vgl. ebd.: 123f.). Die Wirkung von Freiwilligenarbeit auf die seelisch-emotionale Integration wurde anhand positiver Gefühlen wie Zufriedenheit, Geborgenheit, Akzeptanz, Sicherheit, Hoffnung und ähnlichen Indikatoren gemessen. Negative Gefühle wie Angst, Trauer, Unzufriedenheit, Minderwertigkeitsgefühle und gefühlte Distanz zum Gastland wurden in Minuspunkten gemessen. Die kognitiv-kulturelle Ebene wurde anhand der Sprachkompetenz erfasst, sowie dem Orientierungswissen, welches ein selbstständiges Leben ermöglicht. Dazu gehören 35 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration Kenntnisse über die Normen und Werte der Aufnahmegesellschaft und Anpassungsleistungen. Indikatoren für die sozial-strukturelle Integration waren Kontakte zu Einheimischen, Teilnahme an Veranstaltungen (z.B. Elterngesprächen) und Mitgliedschaften in Vereinen und Organisationen. Die Zugänge zu Arbeitsmarkt, Wohnungsmarkt, Bildungswesen und gesellschaftlichen Positionen waren für diese ebenfalls bedeutsam (vgl. Han-Broich 2012: 120). Die Ergebnisse der Studie im Bezug auf die integrative Funktion von Freiwilligenarbeit sind bemerkenswert. So zeigte sich, dass freiwilliges Engagement die seelisch-emotionale Integration um 38% steigern konnte. Das Erleben von negativen Emotionen überwiegte zwar unter den befragten Geflüchteten, durch den Aufbau von vertrauensvollen Beziehungen zu den Freiwilligen konnten jedoch positive Auswirkungen auf die Gefühle Geborgenheit und Wertschätzung festgestellt werden. Geflüchtete wurden in ihrem Selbstvertrauen gestärkt. Es gelang, aggressiven und depressiven Emotionen entgegen zu wirken. Emotionen wie Ablehnung, Unzufriedenheit und Minderwertigkeitsgefühle wirken sich als Blockaden auf die Integrationsbereitschaft und Integrationsfähigkeit aus. Demzufolge trägt Freiwilligenarbeit dazu bei, diese Blockaden aufzuheben (vgl. ebd.: 135ff). Betreffend der kognitiv-kulturellen Integration übt Freiwilligenarbeit vor allem in drei Bereichen Einfluss aus: in der Sprachkompetenz, im Anpassungsdenken und -verhalten, sowie in den Kenntnissen über Normen und Werte der Aufnahmegesellschaft (vgl. ebd.: 139). Die Unterstützung im Erlernen der Sprache wurde von den Geflüchteten als wichtigste Hilfe gewertet (vgl. ebd.: 151). Sicherheit im Sprachgebrauch erleichterte die Kontaktaufnahme zu Einheimischen und förderte damit auch die Integrationsbereitschaft. Laut der Befragung bewirkte das freiwillige Engagement einen um 11% höheren Wert der kognitiv-kulturellen Integration als bei Geflüchteten, welche keine Angebote von Freiwilligen in Anspruch nahmen. Dieser Einfluss wurde sowohl seitens der Geflüchteten wie auch der Ehrenamtlichen subjektiv höher eingeschätzt (vgl. ebd.: 140f.). Am wenigsten Wirkung zeigte das freiwillige Engagement in der sozial-strukturellen Integration. So konnte lediglich eine Verbesserung der Integration um 9% festgestellt werden. Den Geflüchteten fiel die Kontaktaufnahme mit Einheimischen leichter, nachdem sie im Kontext von Freiwilligenarbeit mit Einheimischen in Beziehung treten konnten. Die Teilhabe von Geflüchteten an öffentlichen Einrichtungen, wie beispielsweise der Schule, wurde durch freiwilliges Engagement verbessert (vgl. ebd.: 143f.). Gesamthaft wurde durch Freiwilligenarbeit die Integration um 24% gesteigert. Laut Han- Broich fällt dieser Wert niedriger aus als erwartet. Gleichwohl muss beachtet werden, dass im seelisch-emotionalen Bereich die grössten Auswirkungen festgestellt wurden. Die seelisch-emotionale Integration wirkt sich wesentlich auf die Gesamtintegration aus. Je 36 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration besser eine Person seelisch-emotional integriert ist, desto eher wird sie auch sozial integriert sein. Freiwilligenarbeit zeigt sich also besonders wirkungsvoll bei geflüchteten Personen, welche sich in schwierigen Lebensumständen befinden (vgl. ebd.: 145-150). Abschliessend zur integrativen Funktion von Freiwilligenarbeit dient folgende Erkenntnis aus der Studie von Han-Broich (2012: 156f.): „Die Sichtweise und das Integrationsverständnis der ursprünglich der Aufnahmegesellschaft angehörenden Ehrenamtlichen haben im Laufe der Begleitung der Flüchtlinge einen Wandel erfahren, sodass sie zwar immer noch die Mehrheitsmeinung widerspiegeln, sich aber dennoch die subjektive Sichtweise der Flüchtlinge zu eigen macht. Dieses Ergebnis zeigt, dass gelungene interkulturelle Kontakte zum Abbau von Vorurteilen bzw. negativen Bildern über die (abstrakten) Fremden beitragen und damit auch die entsprechenden einseitigen Erwartungen an die als fremd wahrgenommenen Migrant(inn)en kompensieren. Es ist zugleich ein bedeutendes Indiz dafür, dass die Ehrenamtlichen als Bindeglied zwischen den Flüchtlingen / Migrant(inn)en und der Aufnahmegesellschaft vermittelnd und ausgleichend fungieren können und daher effektiv als Integrationslotsen eingesetzt werden können.“ Oft wird die Integrationsleistung der Geflüchteten selbst zu wenig wahrgenommen. Indem Geflüchtete sich als Akteure in der Freiwilligenarbeit engagieren, wird deren Integrationsleistung besser sichtbar, wie die Darstellung der Geflüchteten in der Literatur zeigt (vgl. Düsener 2010: 181). 4.2 Motive der Freiwilligen Die Beweggründe der Engagierten waren in allen beigezogenen Studien ein zentrales Thema. In Han-Broichs Forschung werden die Motive in zwei Kategorien unterteilt: extrinsische und intrinsische Motivation. Extrinsische Motivation kann sowohl subjektbezogen wie auch gesellschaftsbezogen sein. Freiwillige mit diesen Motiven beabsichtigen, die Gesellschaft zu prägen oder zu verändern (vgl. Han-Broich 2012: 83f.). Gemessen wird der praktische Erfolg. Intrinsische Motivation kann normbezogen oder persönlichkeitsbezogen sein. Auch intrinsisches Engagement kann sich auf die Gesellschaft richten, im Zentrum steht hingegen der Selbstzweck. Der Erfolg des Engagements wird meist an positiven Ergebnissen auf der Gefühlsebene gemessen. Diese Kategorien dienen der Vereinfachung, es gibt jedoch viele Mischformen, weshalb keine starre Einteilung vorgenommen werden kann (vgl. ebd.). 37 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration Tabelle 1: Übersicht über die verschiedenen Motivgruppen Extrinsische Motivation Intrinsische Motivation Subjektbezogen: Normbezogen: Inklusionsbegehren, Selbstpositionierung/-optimierung Religiosität, moralische Verpflichtung Gesellschaftsbezogen: Persönlichkeitsbezogen: Wohltätigkeit, sozialer Wandel Erziehung, Sozialisation, Mitleid, „Helfergen“ 4.2.1 Extrinsische Motivation Die Passung ist ein wichtiger Aspekt der subjektbezogenen extrinsischen Motivation. Das Engagement wird von den Freiwilligen als positiv erlebt, wenn es zu ihrer aktuellen Lebenslage passt. Oftmals befinden sich die Engagierten in einer Phase der Neu- oder Umorientierung und haben den Wunsch etwas Sinnvolles und Nützliches zu tun. Solche Lebensphasen können beispielsweise der Ruhestand oder eine Arbeitslosigkeit sein. Freiwilligenarbeit verspricht persönlichen Nutzen und soll zu Genugtuung, Wohlbefinden und Anerkennung beitragen. Von den Freiwilligen werden Tätigkeiten ausgewählt, die Spass machen und die Möglichkeiten bieten, Kontakte zu knüpfen (vgl. Han-Broich 2012: 85f.). Wenn Geflüchtete sich engagieren, ist das Streben nach Inklusion eine bedeutsame extrinsische Motivation. Inklusionsbegehren als Motivation Düsener stellt in ihrer Forschung fest, dass das Streben nach Zugehörigkeit unabhängig von der Kultur ist. Interviewte mit verschiedenster Herkunft drückten in den Gesprächen den Wunsch aus, Teil einer Gesellschaft zu sein. Inklusion wird von ihnen als aktiver Prozess beschrieben (vgl. Düsener 2010: 165f.). Es scheint nicht leicht zu sein, Zugewanderte in Europa zu sein, wie das folgende Zitat von Münz und Reiterer (2007: 195) zeigt: „Was Zuwanderung für unser kulturelles Selbstverständnis als Europäer und für die zivilgesellschaftliche Zugehörigkeit von Einheimischen und Zuwanderern bedeutet, ist weniger klar. Denn anders als die USA und Kanada besitzen die meisten Gesellschaften Europas kein übergreifendes Selbstverständnis, das Zugewanderte und hier Geborene gleichermaßen mit einschließt. Damit wird unsere historische Identität durch „Fremde“, die zu uns kommen, eher infrage gestellt. Zugleich sind damit die Grenzen der Integration bei uns enger definiert als in Nordamerika.“ Das Zitat bringt zum Ausdruck, wie es um die Macht der Mehrheitsgesellschaft steht, Inklusion zu steuern. Düsener (2010: 169) wirft die Frage auf, welchen Teil Zugewanderte aus eigener Kraft beitragen können, um Zugehörigkeit zu schaffen. Denn es reicht nicht nur das Bestreben der Zugewanderten, es bedarf auch einer Offenheit der Aufnahme- 38 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration gesellschaft (vgl. Tomlinson 2010: 286). Diese Offenheit zeigen einheimische Freiwillige mit karikativen Absichten, indem sie den Fokus ihrer Freiwilligenarbeit auf Kontaktpflege und Beziehungsaufbau legen. Kontakt mit Geflüchteten bieten die Möglichkeit, Ängste und Vorbehalte abzubauen (vgl. Efionayi-Mäder et. al. 2015: 41ff). Ein ausgrenzendes Umfeld kann bei den Betroffenen zu hohen emotionalen Belastungen führen. So verliess eine Probandin aus Tomlinsons Studie ihre Arbeitsstelle, da sie sich unwohl und nicht willkommen fühlte. Solche Belastungen können sich in psychischen und psychosomatischen Erkrankungen niederschlagen (vgl. Tomlinson 2010: 286). Ein wichtiger Einflussfaktor für Inklusion ist die Sprache. Sprache dient als Ausdrucksmittel der eigenen Persönlichkeit und bietet eine gemeinsame kommunikative Basis. Die mangelnde Artikulationsfähigkeit hat einen starken Einfluss auf das Selbstbewusstsein und kann Gefühle, wie Scham oder Hilflosigkeit wecken (vgl. Han-Broich 2012: 55-59). Rückzug ist eine verbreitete Reaktion darauf, welche jedoch auch im Zusammenhang mit Heimweh stehen kann. Diskriminierende Erfahrungen im Gastland und idealisierte Erinnerungen an das Herkunftsland können dieses Heimweh verstärken (vgl. ebd.: 60f.). Ob Inklusion ermöglicht wird, hängt vom Einsatzbereich in der Freiwilligenarbeit, aber auch von der Offenheit der Gesellschaft ab. Eine Probandin aus Düseners Studie beklagte sich über die Zurückhaltung der Einheimischen. Diese erschwere ihr das Aufbauen von Kontakten. Wenn dieser Beziehungsaufbau misslingt, tendieren Eingewanderte dazu, sich in die eigene ethnische Gruppe zurückzuziehen (vgl. Düsener 2010: 169f.). Ein wichtiges Moment von Zugehörigkeit und Teilhabe ist das gemeinsame Handeln. Wenn Zugewanderte selbst zu Akteuren werden können, findet Partizipation statt (vgl. Düsener 2010: 168). Als Barriere für die Teilhabe gelten die geringen „speaking rights“, wie sie von Yin Yap et. al. (2011: 158) bezeichnet werden. Geflüchtete haben im Gastland oft wenig Raum, sich selbst zu artikulieren. Als Folge davon überwiegen die negativen Bilder, welche durch die Medien transportiert werden. Dem Ruf von Geflüchteten wird dadurch geschadet, dass sie als Bedrohung und Last der Gesellschaft bezeichnet und mit Kriminalität in Verbindung gebracht werden. Freiwilligenarbeit kann Geflüchteten eine Plattform bieten, ihre Identität neu zu konstruieren und sich auf eine andere Art und Weise darzustellen. So kann einem Gefühl der Machtlosigkeit entgegengewirkt werden (vgl. ebd.: 158). Auch Freiwillige ohne Fluchthintergrund streben danach, dem vorherrschenden negativ geprägten Bild von Geflüchteten entgegenzuwirken (vgl. Efionayi-Mäder et. al. 2015: 45). Für das Inklusionsbegehren sind Diskriminierungserfahrungen prägend. Ein Befragter aus Düseners Studie unterstreicht die positive Wirkung der Sprache. Durch das Beherrschen der Landessprache erfuhr er weniger Diskriminierung (vgl. Düsener 2010: 193). Indem die Sprache angewendet werden kann, eröffnen sich in der Freiwilligenarbeit Lernfelder (vgl. Yin Yap et. al. 2011: 162). Von den Befragten in Düseners Erhebung wurden auch 39 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration Diskriminierungen aufgrund der Religionszugehörigkeit, der Nationalität oder der Ethnie erlebt. Beispielsweise lösten die Terroranschläge vom 11. September ein Misstrauen gegenüber Menschen mit muslimischem Hintergrund aus (vgl. Düsener 2010: 199). Ablehnende Erfahrungen tauchen auch in der Arbeitswelt auf, wo besonders Geflüchtete grosse Schwierigkeiten haben, Anstellungen zu finden (vgl. Tomlinson 2010: 279). Abweisung wurde auch in der Freiwilligentätigkeit erlebt, beispielsweise wenn die Hilfe der Befragten abgelehnt wurde (vgl. Düsener 2010: 195). Bei der Herstellung von Zugehörigkeit spielen geschlechterspezifische Unterschiede eine Rolle. Diese werden auch in der Freiwilligenarbeit beobachtet. Eine Interviewte aus Tomlinsons Studie erwähnte, dass die Arbeit der Frauen nicht entsprechend wertgeschätzt würde. Oftmals erledigen Frauen die Hintergrundarbeit, sind für die Kinderbetreuung zuständig oder kochen, was als Ausweitung ihrer natürlichen Rolle gesehen wird. Männer sind vermehrt in den leitenden Positionen anzutreffen, wo Entscheidungen gefällt werden. Solche Geschlechterverhältnisse führen dazu, dass Ausschluss auch innerhalb der eigenen ethnischen Gruppe stattfindet (vgl. Tomlinson 2010: 288-291). Im Bezug auf das Inklusionsbegehren ist der Diskurs über Bürgerschaft nicht ausser Acht zu lassen, welcher ebenfalls einen Aspekt der subjektbezogenen extrinsischen Motivation darstellt. Yin Yap et. al. (2011: 161) beschreibt drei Ideale von Bürgerschaft. Erstens erfordert Bürgerschaft ein soziales und moralisches Verantwortungsgefühl der Bürgerinnen und Bürger. Zweitens sind politische Fähigkeiten und Kenntnisse gefragt. Drittens sollen Bürgerinnen und Bürger in die Gesellschaft integriert sein. Um diesem Ideal eines „guten Bürgers“ zu entsprechen, wählen einige Geflüchteten den Weg der Freiwilligenarbeit. Das Engagement dient dabei der Selbstoptimierung und als Abschwächung der vorherrschenden negativen Darstellungen. Selbstpositionierung als Motivation Die Studie von Yin Yap et. al. arbeitet verschiedene Muster heraus, wie sich geflüchtete Menschen in der Freiwilligenarbeit als „gute Bürger“ positionieren. Im Diskurs über den „guten Bürger“ wird die aktive Bürgerschaft betont, demzufolge das tatkräftige Streben nach dem oben beschriebenen Ideal von Bürgerschaft. Die Freiwilligenarbeit bietet Geflüchteten ein Gefäss, sich als „gute Bürger“ zu beweisen (vgl. Yin Yap et. al. 2011: 161). Im Hinblick auf Bürgerschaft schwingen auch ökonomische Gesichtspunkte mit. Wertvolle Bürger sind produktiv. Folglich besteht das erste Muster darin, freiwilliges Engagement als Weg in den Arbeitsmarkt zu nutzen. Freiwilligenarbeit bietet die Möglichkeit, Sprachkenntnisse zu verbessern und Arbeitserfahrungen zu sammeln. Das Bild vom faulen Geflüchteten, welcher dem Staat auf der Tasche liegt, prägt die heutige Gesellschaft. Durch das freiwillige Engagement bietet sich die Möglichkeit, Vorurteile zu entkräften und sich als arbeitswillig und 40 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration fleissig zu beweisen (vgl. ebd.: 162). Ausserdem fördert Freiwilligenarbeit gesellschaftliche Akzeptanz. Harte Arbeit wird in den westlichen Industrieländern positiv gewertet und erhält Anerkennung. Nicht immer ist das Engagement in der Gesellschaft sichtbar. Einer der interviewten Geflüchteten beklagte sich über die fehlende Wahrnehmung des Engagements von Geflüchteten (vgl. ebd.: 163). Das zweite von der Studie herausgearbeitete Muster, sich als „guten Bürger“ zu konstruieren, ist die Selbstoptimierung. Diese Form entspricht der neoliberalistischen Philosophie, welche davon ausgeht, dass jeder der Unternehmer seiner selbst ist. Dies setzt unternehmerische, selbstverwaltende Fähigkeiten voraus und bedingt Handlungsfähigkeit. Aus dieser Perspektive wird durch Engagement, Fortschritt und Optimierung der eigenen Person angestrebt (vgl. ebd.: 164). Eine befragte Geflüchtete handelt nach diesem Muster. Sie sieht sich verpflichtet, aktiv zu werden. Selbstverantwortung ist ihr wichtig, sie stellt klar, dass ihrer Meinung nach nicht der Staat der entscheidende Akteur ist. Ein solches Handeln hat ebenfalls das Potenzial, die oben genannten Vorurteile zu widerlegen (vgl. ebd.). Auch Tomlinson (2010: 287) beschreibt diesen Effekt. Aktive fleissige Geflüchtete können sich von den anderen abgrenzen, welche scheinbar faul sind, nichts tun und lediglich vom Staat profitieren. Die Konstruktion von freiwilligem Engagement als Selbstoptimierung birgt also die Gefahr der Hierarchie. Geflüchtete können sich als „gute Bürger“ positionieren. Sie rücken sich dadurch in ein gutes Licht und unterscheiden sich bewusst von den „schlechten Flüchtlingen“. Es findet eine Art Konkurrenzkampf um die Gunst der Einheimischen statt. Diese Kontrastierung ändert aber nichts daran, dass andere Geflüchtete als hilflos, passiv und ohne eigene Stimme wahrgenommen werden (vgl. Yin Yap et. al. 2011: 165). Freiwilligenarbeit bietet praktischen Nutzen. Die Tätigkeit macht Spass, Zugehörigkeit kann geschaffen oder die eigene Positionierung in der Gesellschaft angestrebt werden. Subjektbezogene extrinsische Motivation entspringt jedoch nicht aus einer egozentrischen Haltung. Sie ist immer mit dem Wunsch nach einer sinnvollen Aufgabe verknüpft (vgl. Han- Broich 2012: 85f.) Gesellschaftlich bezogene extrinsische Motivation Freiwillig Tätige mit diesen Beweggründen streben nach gemeinschaftlichen Problemlösungen. Ursprung dieser Bestrebung kann die eigene Betroffenheit sein (vgl. Han- Broich 2012: 86f.). Im Fokus steht das Wohl der Mitmenschen. Ideale Bürgerschaft enthält das Wahrnehmen von sozialer Verantwortung und setzt Inklusion in die Gesellschaft voraus. Als Wohltäter lässt sich Anerkennung gewinnen und Wertschätzung erfahren (vgl. Yin Yap et. al. 2011: 165f.). Manche Freiwillige streben Veränderungen auf sozialpolitischer Ebene an. Sie sind bereit, Verantwortung zu übernehmen und aktiv Mitzugestalten. Es wird das Ziel verfolgt, wahrgenommene Missstände zu beseitigen. Freiwilliges Engagement kann auch 41 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration dazu dienen, politische Akzente zu setzen. In der Studie äusserten sich einige der Befragten, dass sie die Gesellschaft für den Umgang mit Geflüchteten sensibilisieren wollen (vgl. Han- Broich 2012: 86f.). In der Schweizer Studie wird diese Art des Engagements als aktivistische Bewegung bezeichnet. Freiwillig Tätige äusseren ihre Kritik und Forderungen in den Medien und auf Demonstrationen. Sie übernehmen eine Rolle als Sprachrohr für die Geflüchteten, indem sie Öffentlichkeitsarbeit betreiben und die Gesellschaft für die Lebenslagen der Geflüchteten sensibilisieren (vgl. Efionayi-Mäder 2015: 40f.). Aus diesem Blickwinkel soll Freiwilligenarbeit sozialen Wandel anregen. Die Engagierten sehen sich dabei als Aktivisten und streben Veränderung an. Der Diskurs soll geprägt, die Gesellschaft herausgefordert, Ungerechtigkeiten angeprangert und die Menschenrechte gewahrt werden (vgl. Yin Yap et. al. 2011: 166). Ziviler Ungehorsam dient gelegentlich als Mittel, um dies zu erreichen (vgl. Efionayi-Mäder 2015: 44). Für Geflüchtete bietet sich in der Rolle des Aktivisten besonders grosses Potenzial, von der eigenen Kraft Gebrauch zu machen und Selbstwirksamkeit zu erfahren (vgl. Yin Yap et. al. 2011: 166). Es ist eine Art, dem System zu widerstehen. Die freiwillige Person tritt dabei aktiv auf, fungiert sozusagen als Anwalt der anderen und prangert Ungerechtigkeit an. Ob sich eine Person als Aktivist oder als Wohltäter engagiert, hängt mit verschiedenen Faktoren zusammen. Die eigenen Erfahrungen mit Ungerechtigkeit wie auch der Aufenthaltsstatus üben Einfluss darauf aus. Ein Beispiel aus der Studie von Yin Yap et. al. ist Hakim. Sein Aufenthalt ist gesichert, er wagt es deswegen eher, sich im Kampf gegen Ungerechtigkeit und verletzte Menschenrechte zu engagieren als Ellen, welche als Asylsuchende noch einen unsicheren Aufenthaltsstatus besitzt (vgl. ebd.). 4.2.2 Intrinsische Motivation Normbezogene intrinsische Motivation lässt sich meist auf Glaubensüberzeugungen zurückschliessen. So erklärten viele Befragten ihr Engagement aufgrund von religiösen Überzeugungen, wie beispielsweise der christlichen Nächstenliebe oder der muslimischen Wohltätigkeit (vgl. Han-Broich 2012: 87). Düseners Studie beweist, dass religiöse Motive eine wichtige Rolle in der Freiwilligenarbeit spielen. Alle Befragten erwähnten Glaubensüberzeugungen im Bezug auf ihr Engagement. Einige schöpfen aus religiösen Überzeugungen Kraft für ihre Tätigkeit, andere engagieren sich aus Dankbarkeit gegenüber Gott (vgl. Düsener 2010: 172). Auch Normen, welche durch die Erziehung und die Sozialisation geprägt wurden, spielen für die intrinsische Motivation eine Rolle. Einige Befragten nannten das Pflichtbewusstsein als Motor ihres Engagements. Als privilegierte Bürgerinnen und Bürger mit Wohlstand und Zugang zu Ressourcen wollten sie andere daran teilhaben lassen. Das Mitgefühl gilt dabei für Menschen, die es nicht so gut haben. Diese Haltung zeigt persönliche Werte, wie Mitmenschlichkeit oder Gemeinsinn auf. Ganz im Gegensatz zur voranschreitenden Individualisierung wurde die Überzeugung vertreten, für 42 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration sich selbst zu leben, sei sinnlos (vlg. ebd.: 173). Freiwilliges Engagement ist auch ein Ausdruck von moralischer Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft (vgl. Han-Broich 2012: 87). In denen von Erickson untersuchten Programmen engagierten sich vor allem Pensionärinnen und Pensionäre. Angesichts der wirtschaftlichen Abhängigkeit, welche durch den Bezug der Rente eintrat, entstand ein Pflichtgefühl gegenüber dem Staat. Das freiwillige Engagement diente ihnen als Ausdruck von guter Bürgerschaft (vgl. Erickson 2012: 171). Intrinsische Motivation kann auch auf die Persönlichkeit zurückgeführt werden. Gewisse Befragte sahen den Antrieb für ihr freiwilliges Engagement in der Prägung durch ihre Familie. So können Gewohnheiten in einer Familie viel dazu beitragen, ob Kinder später selbst freiwillig tätig werden, wie im Kapitel 2.3 beschrieben wird. Dieses „Hineinwachsen“ führt dazu, dass freiwilliges Engagement zu einer Selbstverständlichkeit werden kann. Die Bereitschaft sich zu engagieren kann auch charakterlich begründet werden. Gewisse Befragte aus Han-Broichs Studie nannten persönliche Eigenschaften, wie deren fürsorgliche Art oder das „Helfergen“ als Triebkraft für ihr Engagement. Die prekären Lebenslagen von Geflüchteten wecken in ihnen Mitleid, worauf sie nur mit Menschenliebe und Anteilnahme reagieren können (vgl. Han-Broich 2012: 88). 4.3 Das Bild der Geflüchteten In den verschiedenen beigezogenen Studien zur Freiwilligenarbeit von und mit Geflüchteten wird jeweils ein anderes Bild der Geflüchteten gezeichnet. In der Einleitung zu Han-Broichs Studie tauchen die Geflüchteten in Bezug auf die Integration auf. Sie sind jene, an die sich die Bemühungen der Ehrenamtlichen richten (vgl. Han-Broich 2012: 19). Dies birgt die Gefahr, dass ein Bild von passiven Menschen übermittelt wird. Die Freiwilligen sind die Arbeitenden. Die Geflüchteten hingegen werden als Adressaten oder Konsumenten dargestellt. Es ist auch die Rede davon, „was für ihre Eingliederung getan werden müsse“ (ebd.: 23). Das impliziert, dass die Geflüchteten eine passive Rolle in dem Ganzen einnehmen. Die Lebenslagen der Geflüchteten wurden wiederum sehr differenziert dargelegt. Eingegangen wird auf die Herkunft, die Fluchtursache, die Alltagssituation, die aufenthalts- und arbeitsrechtliche Situation, sowie die psychosoziale Situation (vgl. ebd.: 51- 63). Da es in der Studie unter anderem um die Integrationsförderung geht, werden aber vor allem Defizite und prekäre Lebenslagen dargelegt, wie beispielsweise das Leben mit Traumatisierung, Entwurzelung oder Heimweh (vgl. ebd.: 62). Andererseits wird explizit erwähnt, dass viele dieser Geflüchteten in ihrem Heimatland einen Beruf ausgeübt haben, welcher ein Studium erforderte (vgl. ebd.: 49). Dies wirkt dem Bild von Geflüchteten als arme, bildungsferne Leute entgegen. 43 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration Bereits in der Fragestellung werden bei Yin Yap et. al. Geflüchtete als Gestalter ihres eigenen Lebens dargestellt. Sie werden nicht als Patienten, sondern als aktive Akteure betrachtet (vgl. Yin Yap et. al. 2010: 157). In der Kontextualisierung wird die Sicht der Medien in England dargelegt. Diese berichten vielfach sehr negativ über das Flüchtlingsgeschehen. Geflüchtete werden als gesellschaftliche Last, Kriminelle, Gefahr für die öffentliche Sicherheit und als undankbare Begünstigte bezeichnet. Diese Vorstellung ist demnach weit in der Gesellschaft verbreitet. Geflüchteten hingegen bieten sich nur wenige Möglichkeiten, sich zu artikulieren (vgl. ebd.: 158). Ein Befragter der Studie spricht Vorurteile wie die angebliche Faulheit von Geflüchteten an. Er selbst will diese Stereotypen entkräften und sich davon distanzieren. In diesem Zusammenhang spricht Yin Yap et. al. die Konkurrenz zwischen verschiedenen Geflüchteten an. Sie macht darauf aufmerksam, dass Geflüchtete auch Hersteller von Hierarchien sein können. Abgrenzungen zwischen „guten Flüchtlingen“ und „schlechten Flüchtlingen“ bieten den einen die Möglichkeit, besser dazustehen, wohingegen andere abgewertet werden (vgl. ebd.: 165). Spannend ist die veränderte Sichtweise, dass Geflüchtete nicht nur Opfer, sondern auch Täter sein können. Bei Yin Yap et. al. stehen Geflüchtete im Zentrum der Studie und es gilt herauszufinden, wie sie sich selbst und sich als Freiwillige konstruieren. Dabei rückt die bewusste Entscheidung der Betroffenen in den Vordergrund, wie das Streben nach Integration in den Arbeitsmarkt, der Wunsch nach Selbstoptimierung oder der Anstoss zu sozialem Wandel (vgl. ebd.: 161). Während explizit die geflüchteten Personen als Akteure im Fokus stehen, geraten strukturelle einschränkende Bedingungen in den Hintergrund. Etwas anders sieht Ericksons Perspektive aus. Ihre Untersuchung, wie auch die Schweizer Studie, drehen sich vorwiegend um die einheimischen Ehrenamtlichen, welche sich in der Flüchtlingsarbeit engagieren (vlg. Efionayi-Mäder et. al. 2015, Erickson 2012). Eriksons Kritik richtet sich gegen das Bestreben der Freiwilligen, Geflüchtete zu „guten Bürgern“ zu formen (vgl. Erickson 2012: 170). Dies erweckt den Eindruck, dass die Geflüchteten sich in einer eher passiven, hilflosen Rolle befinden. Das tatsächliche Verhalten und Erleben der geflüchteten Personen wird nur am Rande erwähnt. Die Sichtweisen der befragten Freiwilligen geben jedoch Aufschluss über deren Bild von Geflüchteten. Eine Probandin bezeichnete die von ihr betreute Frau zwar als intelligente Person, behandelte diese aber wie ein Kind. Sie drückte ihre Überraschung darüber aus, wie die Frau ihre Erwartungen übertroffen habe. Dies macht die stereotypen Annahmen der Probandin sichtbar (vgl. ebd.: 172). Eine andere Befragte bringt ihre negative Haltung Geflüchteten gegenüber zu Ausdruck. Ihre eigene schwierige Vergangenheit könnte als Ressource für Empathie und Mitgefühl dienen. Sie nimmt die schwierigen Situationen der von ihr begleiteten Geflüchteten jedoch nicht im selben Licht wahr. Dem gegenüber gab es auch Freiwillige, welche den Geflüchteten mit grossem Interesse begegneten (vgl. ebd.). Wenn Geflüchtete nur als 44 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration interessante Wesen betrachtet wurden, fand keine Begegnung auf gleicher Augenhöhe statt. Ein Proband lässt im Interview seine hierarchische Sichtweise offenbar werden. Er sieht sich als Wohltäter und die Geflüchteten als (dankbare) Empfänger und Lernende. Diese Haltung weckte bei einigen Betreuten Widerstand und Ablehnung (vgl. ebd.: 173f.). In den Kommentaren von Erickson schwingt die Haltung mit, dass sie Geflüchtete als vollwertige Personen betrachtet und auch deren Handlungsfähigkeit wahrnimmt (vgl. ebd.: 173). Sie fokussiert aber stark die Perspektive der einheimischen Freiwilligen. Die Rolle der Geflüchteten im Kontext von Freiwilligenarbeit im Flüchtlingsbereich gerät dabei etwas aus dem Blickfeld. Flüchtlinge sollten nicht als passive Opfer betrachtet werden, sondern als handlungsfähige Individuen, welche ebenso ihren Teil zu einer Arbeitsbeziehung beitragen (vgl. Tomlinson 2010: 291). Dies betrifft professionelle, wie auch freiwillige Settings. Tomlinson schafft es, individuelle und umweltspezifische Einflüsse einzubeziehen. Einerseits stellt sie die geflüchteten Frauen als Opfer von intersektioneller Diskriminierung dar, die Benachteiligungen im Bezug auf ihre Ethnie, ihr Geschlecht, ihre Klasse und / oder ihre Nationalität erfahren. Sie zeigt auf, wie geflüchtete Frauen oftmals vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden. Andererseits unterstreicht sie deren Handlungsfähigkeit und betont die Aktivität der Frauen, welche ihre Möglichkeiten ausloten (vgl. ebd.: 278f.). Die Frauen weisen strategisches Geschick auf, wenn es darum geht, Zugehörigkeit herzustellen. Dies zeigt, dass sie nicht Opfer ihrer Lebenssituationen sind (vgl. ebd.: 280). Die Auswahl der Interviews zeigt Geflüchtete, welche ihre Gefühle der Frustration und der Ablehnung in Worte fassen. Die Befragten artikulieren Probleme und reflektieren über die erlebten Diskriminierungen (vgl. ebd.: 283-287). Die Studie rückt damit die Individuen und deren Erleben und Verhalten in den Fokus. Die Geflüchteten streben nach Gleich-Sein und werden doch oft als Fremde behandelt. Dabei ist es Tomlinson wichtig, herauszustreichen, dass sie nicht passive Opfer sind. Die Frauen zeigen Aktivität und nutzen den Handlungsspielraum, der sich ihnen bietet. So bemühen sich einige mithilfe von freiwilligem Engagement, ihre Arbeitsmarktfähigkeit zu verbessern, der Isolation zu entfliehen oder Zugehörigkeit zu schaffen. In den Interviews stehen meist Bildung und Arbeit im Zentrum. Dabei werden andere Lebensbereiche von Geflüchteten ausgeblendet (vgl. ebd.: 192). Die Studie von Düsener wird in diesem Kapitel nicht berücksichtigt, da es sich bei den Befragten nicht explizit um Geflüchtete handelt, sondern um Migrantinnen und Migranten. Im Vordergrund stehen aber auch bei ihr, wie schon bei anderen dargelegten Studien, die Eigenaktivität, der strategische Einsatz und die Handlungsfähigkeit von Menschen mit Migrationshintergrund (vgl. Düsener 2010: 249ff). 45 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration Tabelle 2: Gezeichnete Bilder von Geflüchteten in den beigezogenen Studien Studie Fokus Bild der Geflüchteten Einheimische, die sich freiwillig im Adressaten der Freiwilligenarbeit, eher passive Han-Broich Flüchtlingsbereich engagieren Objekte von Integration und Eingliederung Flüchtlinge, die sich freiwillig Aktive Gestalter des eigenen Lebens, Yin Yap et. al. engagieren Hersteller von Hierarchien Freiwilliges Engagement im Efionayi-Mäder et. al. Nicht erwähnt Flüchtlingsbereich Einheimische, die sich freiwillig im Hilflose und passive Opfer, Konsumenten, Erickson Flüchtlingsbereich engagieren handlungsfähige Individuen Flüchtlingsfrauen, die sich freiwillig Nutzerinnen von Handlungsspielräumen, keine Tomlinson engagieren Opfer von Lebenssituationen Migrantinnen und Migranten, die sich Düsener - freiwillig (für Deutsche) engagieren Abschliessend lässt sich sagen, dass in den Studien, welche das Engagement von Geflüchteten untersuchen, diese tendenziell als aktive und handlungsfähige Subjekte dargestellt werden. In den Studien, welche im Flüchtlingsbereich tätige Freiwillige befragten, kommt diese Sichtweise etwas zu kurz. Geflüchtete wirken dort eher passiv und hilflos. Neben den Geflüchteten spielen in den beigezogenen Studien auch Hauptamtliche eine Rolle, wie folgend erläutert wird. 4.4 Professionelle Rolle der Sozialen Arbeit Angesichts der beigezogenen Studien lässt sich sagen, dass kaum Aussagen über die Rolle der Sozialen Arbeit getroffen werden. Yin Yap et. al. legt ihren Fokus darauf, wie Geflüchtete über sich selbst sprechen und sich durch freiwilliges Engagement selbst konstruieren. Auf die Rolle der Sozialen Arbeit wird dabei kaum Bezug genommen. Es wird lediglich erwähnt, dass die Flüchtlingsorganisationen, bei denen die Befragungen durchgeführt wurden, von Freiwilligen und Hauptamtlichen geführt wurden. Dabei handelte es sich sowohl um Einheimische, wie auch um Menschen mit Fluchthintergrund (vgl. Yin Yap et. al. 2010: 158ff). In einigen Studien lassen sich Aussagen über Hauptamtliche finden, welche auf die Rolle der Sozialen Arbeit übertragen werden können. Han-Broich (2012: 167f.) ist die Einzige, welche explizit auf die Soziale Arbeit zu sprechen kommt. Durch das Darlegen von fachwissenschaftlichen Konzepten begründet Han-Broich die Bedeutung von Sozialer Arbeit in Bezug auf Freiwilligenarbeit mit Geflüchteten. In Bereichen, wo diese zusammenwirken, kommen vor allem alltags-, lebenswelt-, lebenslagen- und lebensbewältigungsorientierte Ansätze zum Zug, namentlich die Gemeinwesenarbeit (GWA), die Lebensweltorientierung und die Sozialraumorientierung. Diese verbinden feld- und ressourcenorientierte Vorgehensweisen (vgl. ebd.). 46 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration In der GWA wird gesellschaftliches Empowerment angestrebt. Handlungsfähigkeit und Selbstorganisation des Kollektivs werden gefördert. Interventionen der Sozialen Arbeit zielen auf den sozialen Raum, wie zum Beispiel Stadtteile oder Quartiere (vgl. Stövesand/Stoik 2013: 16, 21). Durch Niederschwelligkeit können verschiedenste Akteure des Gemein- wesens einbezogen, verborgene Ressourcen erkannt und die Potenziale des Sozialraums ausgeschöpft werden. Auch in der Sozialraumorientierung sollen nahräumliche Ressourcen erschlossen und aktiviert werden (vgl. Han-Broich 2012: 172). Zentrale Arbeitsweisen der GWA und der Sozialraumorientierung sind das Bilden von Netzwerken, Initiieren von Kontakten und Schaffen von Kooperationsstrukturen, besonders zwischen der Bevölkerung und den Entscheidungsträgern (vgl. Han-Broich 2012: 172f., Stövesand/Stoik 2013: 22). Die Soziale Arbeit nimmt also eine Vermittlerrolle wahr. Sie nimmt Einfluss auf gesellschaftliche Prozesse und mischt sich sowohl in die Politik, wie auch in andere Fachbereiche ein (vgl. Han-Broich 2012: 170). Diese Kooperationen und Koalitionen werden auch in der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit gefördert (vlg. Grunwald/Thiersch 2004: 23). Das professionelle Handeln anhand des lebensweltorientierten Ansatzes baut auf fünf Strukturmaximen auf: Prävention, Alltagsnähe, Integration, Partizipation und Vernetzung (vgl. ebd.: 26). Menschen werden darin unterstützt, an der Gesellschaft partizipieren zu können und ihr Leben selbst zu bewältigen (vgl. ebd.: 30, 34). Wenn seitens der Sozialen Arbeit eine solche Vermittlerrolle eingenommen wird, muss Freiwilligenarbeit laut Han-Broich keine Konkurrenz sein, sondern vielmehr ein neues Betätigungsfeld. Professionelle Soziale Arbeit tritt dann als Integrationsagent, Konfliktmanager, Prozessmoderator oder Konstrukteur des Sozialen auf (vgl. Han Broich 2012: 175f.). Diese Auffassung von Zusammenarbeit mit Freiwilligen teilt auch Olk (2002: 250): „Qualität und Wirksamkeit Sozialer Arbeit als einer modernen Dienstleistungsprofession hängen in vielfältigen Hinsichten von dem Zustandekommen einer gelingenden Kooperation von Sozialer Arbeit einerseits und den vielfältigen Formen bürgerschaftlichen Engagements andererseits ab.“ Sozialarbeiterinnen oder Sozialpädagogen prägen die Rahmenbedingungen für freiwillig Tätige. Ein Teil dieser Rahmenbedingungen sind materielle und immaterielle Leistungen. So wurde von den Organisationen beispielsweise Material zur Verfügung gestellt und Spesenentschädigungen angeboten. Diese Entschädigungen wurden nicht von allen genutzt. Als viel wirkungsvoller erwiesen sich die immateriellen Leistungen. Die Möglichkeit des Erfahrungsaustauschs mit den Hauptamtlichen wurde von den Freiwilligen sehr geschätzt. So wurde eine Kommunikationskultur gefördert und ein Gruppengefühl entstand (vgl. Han- 47 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration Broich 2012: 43). Die Bedeutung eines Austausches zwischen den Freiwilligen und den Behörden wurde auch von der Schweizer Studie unterstrichen (vgl. Efionayi-Mäder 2015: 63). Den Spannungen zwischen institutioneller und privater Hilfe soll so entgegengewirkt werden (vgl. ebd.: 58). Als wichtigste Unterstützung wurde in der Studie die Begleitung durch Hauptamtliche genannt. Diese Unterstützung - sei es als Anlaufstelle oder in Form von Feedback - führte dazu, dass freiwillig Tätige bei Problemen weniger schnell aufgaben (vgl. Han-Broich 2012: 44). Erickson bemängelte das Fehlen von solch einer Unterstützung bei den von ihr befragten Organisationen. Freiwillige wurden nur bei den ersten Treffen mit ihren Schützlingen begleitet. Neben einigen Anweisungen für gelingende Kommunikation und der Betonung von gesunder Abgrenzung, gab es keine weitere Unterstützung (vlg. Erickson 2012: 169). Die Begleitung durch Hauptamtliche, wie auch die Möglichkeit zur Weiterbildung gilt als Anerkennung und wichtige immaterielle Leistung für Freiwillige (vlg. Pott/Wittenius 2002: 58). Einladungen an Mitarbeiteressen oder Dankesgeschenke wurden von Ehrenamtlichen jeweils sehr positiv aufgenommen. Die untersuchten Organisationen in Han- Broichs Studie boten ihren freiwilligen Mitarbeitenden Versicherungsschutz, Angebote zur Weiterbildung und Nachweise ihres Engagements (vgl. Han-Broich 2012: 44f.). Freiwillig Mitarbeitende klagen oft über fehlendes Mitspracherecht. Anerkennung zeigt sich auch darin, dass Engagierte Einfluss auf den Entscheidungsprozess ausüben und gleichberechtigt mitgestalten können (vgl. Pott/Wittenius 2002: 60). Hinsichtlich dieser Rahmenbedingungen wurden von Han-Broich (2012: 45) Hauptamtliche genannt, namentlich Sozialarbeitende. Im Bereich der Begleitung von freiwillig Tätigen öffnet sich also ein Feld für die Soziale Arbeit. Im Hinblick auf Erkenntnisse aus den verschiedenen Studien scheint es sehr wichtig, dass für diese Aufgabe verlässliche Hauptamtliche zur Verfügung stehen. Professionelle der Sozialen Arbeit eignen sich aufgrund der oben genannten fachwissenschaftlichen Handlungskonzepte gut für diese Aufgabe. Zwischen freiwilligen und hauptamtlichen Mitarbeitenden bestehen rein schon bezüglich Gehalt und Qualifikation Unterschiede. Trotzdem ist es wichtig, Freiwillige nicht bloss als Ergänzung der professionellen Tätigkeit zu sehen und sie als Lückenfüller einzusetzen (vgl. Pott/Wittenius 2002: 58). Gleichwohl erwähnen Befragte in Düseners Studie, dass sie es schätzen, kaum Verantwortung übernehmen zu müssen. Dies bietet eine gewisse Lockerheit und Freiheit in der Tätigkeit (vgl. Düsener 2010: 178). Fehlende Verantwortlichkeit zeigte sich bei Projekten, welche allein von Freiwilligen geführt wurden. Die mangelhafte Prüfung der Hintergründe von Mitarbeitenden kann Schwierigkeiten verursachen, ebenso wie fehlende Qualifikationen (vgl. Erickson 2012: 169). Erickson erwähnt in ihrer Studie das Beispiel einer Leiterin eines Projekts mit Geflüchteten. Nachdem diese einen Preis für ihr innovatives Sozialprojekt gewonnen hatte, zog sie sich kurz darauf 48 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration aus dieser Arbeit zurück - mit dem Gewinn, welchen sie für sich behielt. Das Projekt hätte diese Gewinnsumme dringend benötigt und musste daraufhin um Spenden kämpfen. Das Abgeben von zu viel Verantwortung an Freiwillige kann also problematisch sein (vgl. ebd.). Es bedarf zuständiger hauptamtlicher Personen, welche sich der Koordination von Freiwilligenarbeit annehmen und Verantwortung übernehmen. Geeignete und attraktive Aufgaben müssen von der Fachperson oder gemeinsam mit den Freiwilligen ermittelt werden. Durch das Führen eines Kontaktgesprächs mit Interessenten und dem Zuteilen von geeigneten Aufgaben, kann Überforderung und fehlender Verantwortlichkeit entgegengewirkt werden (vlg. Pott/Wittenius 2002: 57-60). Wenn geflüchtete Personen in der Freiwilligenarbeit anzuleiten sind, müssen Hauptamtliche besonders feinfühlig und aufmerksam sein. Die oft ungeklärten Zukunftsperspektiven und die fehlenden Sprachkenntnisse können bei Geflüchteten Ängste und Unsicherheiten auslösen. Leistung und Geschwindigkeit werden in verschiedenen Gesellschaften unterschiedlich bewertet. Die Freiwilligen könnten diesbezüglich unter Druck kommen, den Anforderungen nicht zu genügen (vgl. Düsener 2010: 186). Um ihnen Bestätigung zu geben, ist es für Professionelle der Sozialen Arbeit wichtig, dass sie besonders den Freiwilligen Anerkennung zukommen lassen und Raum für Austausch bieten. Mitgestaltungsmöglichkeiten können Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeit der Engagierten fördern (vlg. ebd.: 201ff). Wie wichtig Anerkennung und Annahme für die Engagierten mit Fluchthintergrund sein können, zeigt das bereits genannte Beispiel einer Frau, welche ihre Arbeitsstelle aufgrund fehlender Akzeptanz verliess. Sie betätigte sich daraufhin in der Freiwilligenarbeit, bei der sie Zugehörigkeit erfuhr (vgl. Tomlinson 2010: 286). Die Qualität in der Sozialen Arbeit kann nicht nur im Auftrag von Professionellen liegen. Persönliche Begegnungen und solidarischer Beistand sind wichtig und in der beruflichen Routine nur selten möglich. Freiwillige können den Adressaten der Sozialen Arbeit auf eine andere Art und Weise begegnen, wodurch sie einen bedeutenden Beitrag zur Qualität der Sozialen Arbeit leisten (vgl. Pott/Wittenius 2002: 56). Wie auch in den verschiedenen Studien zum Ausdruck kommt, lohnt es sich für die Soziale Arbeit, der Zusammenarbeit mit Freiwilligen Bedeutung zukommen zu lassen. Kooperative Arbeitsprozesse zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen sind folglich anzustreben (vgl. ebd.: 56f., 62). 49 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration 5 Fazit und Schlussfolgerung Mithilfe der vorausgehenden Erörterungen lassen sich Aussagen hinsichtlich der positiven Wirkungen von Freiwilligenarbeit machen. Freiwilliges Engagement im Flüchtlingsbereich hat Effekte auf die seelisch-emotionale, die kulturell-kognitive und die sozial-strukturelle Integration von Geflüchteten. Gesamthaft konnte so die Integration um 24% gesteigert werden, wobei die subjektive Einschätzung dieser Wirkung höher ausfiel (vgl. Han-Broich 2012: 135-150). Die seelisch-emotionale Integration von Geflüchteten wurde am meisten beeinflusst. Diese wiederum wirkt sich wesentlich auf die Integrationsbereitschaft und Integrationsfähigkeit aus. Es lässt sich somit festhalten, dass Freiwilligenarbeit das Potenzial hat, eine bedeutende Blockade im Integrationsprozess aufzuheben (vgl. ebd.: 135ff). Dies weist auf eine hohe Bedeutung der Freiwilligenarbeit in Bezug auf Integration von Geflüchteten hin. Hinsichtlich der einheimischen Freiwilligen förderte das Engagement mit Geflüchteten die Offenheit und Toleranz gegenüber anderen Kulturen und Lebensweisen. Die Begegnungen zwischen Einheimischen und Geflüchteten ermöglichten beiderseits Horizonterweiterung, förderten das gegenseitige Verständnis und sensibilisierten für die Situation der Geflüchteten. Vorurteile und negative Bilder konnten abgebaut werden. Freiwillige wurden so zu Bindegliedern zwischen den Geflüchteten und der Aufnahmegesellschaft (vgl. Efionayi et. al. 2015: 41ff, Han-Broich 2012: 91,156f.). Laut dem schweizerischen Ausländergesetz soll sich die Gesellschaft durch Offenheit an der Integration von Zugewanderten beteiligen (vgl. Art. 4 Abs. 3 AuG). Freiwilliges Engagement von Einheimischen im Flüchtlingsbereich trägt - wie oben erläutert - zu einer solchen Offenheit bei. Neben diesen positiven Effekten von Freiwilligenarbeit bot das Engagement auch ein hohes Frustrationspotenzial. Sprachliche und kulturelle Barrieren können nicht immer überwunden werden, was Enttäuschung auslöst. Sehr klare Erwartungen an das Ergebnis des Engagements erweisen sich als hinderlich (vgl. Erickson 2012: 174). Neben den sichtbaren Wirkungen führt freiwilliges Engagement von und mit Geflüchteten auf der Gefühlsebene zu positiven Effekten. Das Gefühl sich sinnvoll einbringen zu können und der Gesellschaft etwas zurück zu geben, bewirkt Zufriedenheit und mehr Selbstsicherheit sowohl bei Einheimischen, wie auch bei Geflüchteten (vgl. Han-Broich 2012: 91). Gerade bei Menschen mit Fluchthintergrund ist das Selbstwertgefühl wegen mangelnder Inklusion, Ablehnung oder Arbeitslosigkeit angeschlagen. Die Freiwilligenarbeit kann für Geflüchtete ein Ort sein, wo sie die Annahme und Anerkennung erfahren, welche ihnen andernorts verwehrt bleibt (vgl. Tomlinson 2010: 286). Nach all diesen festgestellten positiven Wirkungen und Funktionen von Freiwilligenarbeit auf der gesellschaftlichen und individuellen Ebene scheint es wichtig, diese zu fördern. Dabei 50 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration soll nicht das Ziel eines möglichst schlanken Sozialstaats im Vordergrund stehen. Der Staat darf sich seiner Verantwortung nicht entziehen. Freiwilliges Engagement hat als Ergänzung das Potenzial, den bestehenden Sozialstaat zu stärken (vgl. Carigiet 2004: 108, Erickson 2012: 171). Durch deren politische Unabhängigkeit haben Freiwilligenorganisationen die Möglichkeit gängige Strukturen kritisch zu hinterfragen und mehr Verantwortung vom Staat einzufordern, wenn diese nötig ist. Hierarchien können durchbrochen und ein neues Bild von würdiger Bürgerschaft diskutiert werden (vgl. Erickson 2012: 170). Die Motivationen Freiwilligenarbeit zu leisten, sind sehr verschiedenartig, wie im Kapitel 4.2 ersichtlich wurde. Das Streben nach Inklusion stach in allen Studien heraus und wurde besonders von den Freiwilligen mit Fluchthintergrund betont. Viele Geflüchtete erleben mannigfaltige Diskriminierungen und sehnen sich nach Zughörigkeit und Gleichsein. Durch Freiwilligenarbeit konnten sprachliche Fähigkeiten verbessert, Arbeitserfahrungen gesammelt und Vorurteile entkräftet werden. Dies ist der Inklusion und Integration dienlich. Dennoch muss angemerkt werden, dass Ausgrenzung und Diskriminierung auch im Freiwilligenbereich vorkommen können, wie Erfahrungen von Befragten zeigen (vgl. Düsener 2010: 195, Tomlinson 2010: 288-291). Freiwilliges Engagement sowohl seitens der Einheimischen wie auch der Geflüchteten dient der Selbstpositionierung. Wenn das freiwillige Engagement von Geflüchteten wahrgenommen wird, erhöht dies deren Akzeptanz in der Aufnahmegesellschaft (vgl. Yin Yap et. al. 2011: 163). Es bietet ihnen die Möglichkeit sich als „gute Bürger“ zu beweisen (vgl. ebd.: 161). Dieses Streben nach Selbstoptimierung rückt das Individuum als Manager seiner selbst ins Zentrum. Selbstorganisation ist ein Instrument, um lenkbare Bürger zu schaffen. Die Pflicht des Staates, das Wohl seiner Bewohnerinnen und Bewohner - in diesem Fall das Wohl der Geflüchteten - zu wahren, rückt in den Hintergrund. Die Zuschreibung, dass Geflüchtete eine Bürde der Wirtschaft und Gesellschaft seien, wird aus dieser Perspektive nicht hinterfragt (vgl. ebd.: 167). Durch das freiwillige Engagement wird von Geflüchteten angestrebt, das eigene Dasein als Last der Gesellschaft zu entschuldigen und die vielen „Gaben“ zurückzuzahlen. Wenn Bürgerschaft und freiwilliges Engagement noch stärker auf diese Weise verknüpft und Freiwilligenarbeit gar verlangt wird, kann dies zu einem weiteren Hindernis für die Inklusion von Geflüchteten werden. Bürgerschaft wird dann zu einem Gut, welches lediglich durch Arbeit verdient werden kann. Der Diskurs über den „guten Bürger“ in Verknüpfung mit freiwilligem Engagement kann sich also für Geflüchtete nachteilig auswirken. Andere Motivationen Freiwilligenarbeit zu leisten - beispielsweise der Wunsch, zu helfen oder das Streben nach sozialem Wandel – können versiegen (vgl. ebd.: 168). Es ist Vorsicht geboten, dass Freiwilligenarbeit nicht durch neoliberalistisches Gedankengut zur moralischen Pflicht „guter Bürger“ wird (vgl. Erickson 2012: 170). 51 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration Netzwerkpflege und das Erwerben von Sprachkenntnissen sind vielgenannte Beweggründe für das Engagement von Geflüchteten. Die Förderung von Sprachkenntnissen und das Knüpfen von Kontakte zu anderen Geflüchteten wie auch zu Einheimischen sind in der Freiwilligenarbeit möglich und tragen zu mehr Teilhabe bei. Die Gesellschaft kann dadurch aktiv mitgestaltet werden. So sind gesellschaftsbezogene extrinsische Motive wie Menschen zu helfen, gemeinsam etwas zu bewirken und in der Gesellschaft etwas zu bewegen, verbreitet. Besonders für Freiwillige mit Fluchthintergrund bietet sich die Möglichkeit, dem System zu widerstehen und die eigene Selbstwirksamkeit zu entdecken (vgl. Yin Yap et. al. 2011: 166). Die Gelegenheit anderen Menschen Unterstützung anzubieten und zu partizipieren, wirkt der Machtlosigkeit entgegen, welche durch die fehlenden Artikulationsmöglichkeiten entsteht. Diesen fehlenden „speaking rights“ wollen auch die einheimischen Freiwilligen entgegentreten, welche durch ihr Engagement und durch Öffentlichkeitsarbeit zum Sprachrohr der Geflüchteten werden (vgl. Efionayi-Mäder et. al. 2015: 40f.). Solche aktivistischen Bewegungen wiederspiegeln die politische Funktion der Freiwilligenarbeit. Das gemeinsame Handeln hat das Potenzial, sozialen Wandel zu ermöglichen. Die eigene Persönlichkeit, die Erziehung und die Sozialisation beeinflussen als intrinsische Beweggründe die Bereitschaft, sich freiwillig zu betätigen (siehe Boothe 2004: 57f., Olk 2004: 36f.). Von Einheimischen wurde das Pflichtgefühl gegenüber der Gesellschaft oder das Mitleid mit den Geflüchteten vermehrt als Grund für das Engagement genannt (vgl. Erickson 2012: 171, Han-Broich 2012: 87). Die Bedeutung von religiösen Werten wird sowohl von Einheimischen wie auch von Geflüchteten betont (vgl. Bierhoff 2002: 25f., Düsener 2010: 172). Ungeachtet der Motive, welche die Freiwilligen antreiben, kommt Engagement immer sowohl dem Individuum, als auch der Gesellschaft zugute (vgl. Nadai 1996: 65). Insbesondere die Beweggründe von Freiwilligen im Flüchtlingsbereich, welche den persönlichen Wertehaltungen entspringen, sollten geprüft und reflektiert werden. Darauf sollten verantwortliche Hauptamtliche achten. Diese Aufgabe könnte Professionellen der Sozialen Arbeit zukommen, beispielsweise im Führen eines Erstgesprächs oder dem regelmässigen Austausch mit den Freiwilligen (vlg. Pott/Wittenius 2002: 57-60). Durch die Untersuchungen der Freiwilligentätigkeiten von Geflüchteten, wird deren Engagement vermehrt wahrgenommen (vgl. Freitag et. al. 2016: 187). Die Beschreibung der Geflüchteten in den verschiedenen Studien fiel unterschiedlich aus. Die Engagierten mit Fluchthintergrund wurden vermehrt als aktive Gestalter ihres Lebens dargestellt, welche die Handlungsspielräume nutzen, die sich ihnen bieten. Diese Sichtweise ist ressourcenorientiert und fokussiert die Handlungsfähigkeit der Betroffenen. Teilweise wurden aus dieser 52 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration Perspektive jedoch die strukturellen Rahmenbedingungen und Hindernisse verschleiert, welche die Handlungsspielräume von Geflüchteten einschränken. In der Studie von Yin Yap et. al. (2011: 165) wurden Geflüchtete zudem als Hersteller von Hierarchien beschrieben. Durch die Thematisierung ihres Engagements machten sie bewusst eine Unterscheidung zwischen fleissigen und faulen Geflüchteten. Die engagierten Geflüchteten konnten sich in ein gutes Licht rücken und galten als aktiv und kompetent. Der Kontrast zwischen den „guten Bürgern“ und den „schlechten Geflüchteten“ wurde dadurch verschärft (vgl. ebd.). In den Studien, welche das Engagement von einheimischen Freiwilligen untersucht wurde, tauchten die Geflüchteten oft in einer Opferrolle oder als Konsumenten auf. Betont wurden deren schwierige Lebenslage und Integrationsdefizite. Durch diese Betrachtungsweise wird ein Bild von passiven und hilflosen Menschen gezeichnet, was der Realität nicht generell gerecht wird. Geflüchtete als Adressaten und Freiwillige führen eine wechselseitige Beziehung, welche von der Aktivität beider Seiten abhängig ist (vgl. Tomlinson 2010: 291). Professionellen der Sozialen Arbeit kommt diesbezüglich eine Rolle als Vermittlungsperson zwischen den Adressaten und den Freiwilligen zu. Soziale Arbeit vermittelt aber auch zwischen Individuum und Gesellschaft und versucht Teilhabe und Partizipation für alle zu ermöglichen. Wie bereits in der Einleitung dargelegt, sind Geflüchtete eine wichtige Adressatengruppe der Sozialen Arbeit. Die Zusammenarbeit mit Freiwilligen eröffnet ein (neues) Tätigkeitsfeld für die Soziale Arbeit, wo es darum geht, geeignete Rahmenbedingungen für Freiwillige zu schaffen (vgl. Han-Broich 2012: 43). Es ist wichtig, dass in der Freiwilligenarbeit Verantwortungen übernommen und Angebote koordiniert werden. Dafür braucht es hauptamtliche Personen. Die beruflichen Kompetenzen wie Kooperation, Prozessgestaltung, Leitungsfähigkeit, Innovation und Dokumentation befähigen Professionelle der Sozialen Arbeit für diese Aufgabe (vgl. Biedermann 2002: 81f.). Im neuen Tätigkeitsfeld fällt ihnen die Rolle von Koordinatoren, Integrationsagenten, Konfliktmanager oder Prozessmoderatoren zu (vgl. ebd.: 175f.). Durch fachwissenschaftliche Konzepte der Alltags-, Lebenswelt-, Lebenslagen- und Lebensbewältigungsorientierung wird die Zuständigkeit der Sozialen Arbeit gestützt. Freiwilligenarbeit trägt nicht nur zu mehr Qualität in der Sozialen Arbeit bei, sie wird in der gegenwärtigen Flüchtlingssituation, welche die bestehenden professionellen Angebote strapaziert, unentbehrlich. Auf die Bedürfnisse und Notlagen von Geflüchteten kann nicht in genügendem Masse eingegangen werden (vgl. Mey/Keller 2016: 20). Flucht ist ein individuell und gesellschaftlich einschneidendes Moment. So sind nicht nur die Geflüchteten selbst betroffen, sondern immer auch deren soziale Umfelder im Herkunfts- und im Aufnahmeland (vgl. Treibel 2011: 13). Im Bezug auf Integration wurde in den letzten Jahren in der Schweiz jedoch viel versäumt, was nun nachgeholt werden muss. Laut Bindschedler (2016: 15) muss 53 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration die Zivilgesellschaft diesbezüglich besser involviert werden. Die Verminderung von sozialer Ungleichheit und die Stärkung des inneren Zusammenhalts einer Gesellschaft – primäre sozialstaatliche Aufgaben – können durch professionelle Stellen immer weniger erreicht werden. Dieser Umstand macht zivilgesellschaftliches Engagement erforderlich (vgl. Düsener 2010: 16). „Menschen wollen sich engagieren und die Gesellschaft mitgestalten. Neben Staat, Markt und Familie braucht es die Zivilgesellschaft, die seit je Motor für gesellschaftliche Innovation und Veränderung war und ist.“ (Eckhardt/Hürzeler/Niederberger 2015: 2) Die vorliegende Arbeit versuchte ein Bild zu zeichnen, welche Bedeutung dem Engagement von Freiwilligen mit Fluchthintergrund und der Freiwilligenarbeit im Flüchtlingsbereich zukommt. Dies gelang, indem Funktionen und Wirkungen von Freiwilligenarbeit, Motive von Engagierten und vorherrschende Bilder von Geflüchteten mithilfe von verschiedenen Studien herausgearbeitet wurden. Dabei wurden Chancen und Herausforderungen von Freiwilligenarbeit von und mit Geflüchteten erörtert. Wenn freiwilliges Engagement von einer Fachperson der Sozialen Arbeit koordiniert und begleitet wird, können Risiken eingedämmt werden. Durch die gemeinsame Reflexion von Beweggründen mit den Freiwilligen werden Enttäuschungen vorgebeugt. Freiwilligenorganisationen haben die Möglichkeit, sich durch ihre staatliche Unabhängigkeit vermehrt politisch zu engagieren und an die Verantwortung des Staates zu appellieren. So kann Freiwilligenarbeit von und mit Geflüchteten ein Zeichen für Solidarität und Gemeinschaft werden. Es wäre spannend die beiden Erkenntnisinteressen noch mehr zu vertiefen, dazu wären weitere Studien erforderlich. Es stellt sich auch die weiterführende Frage, wie die Soziale Arbeit freiwilliges Engagement von Geflüchteten fördern kann, ohne dass es zu einer gutbürgerlichen Pflicht wird. Dazu müsste erforscht werden, wie gute Bürgerschaft und freiwilliges Engagement zusammenhängen. Der Umfang dieser Arbeit reichte nicht aus, um internationale Vergleiche im Bezug auf das Engagement von Geflüchteten zu machen. Auch konnte anhand der beigezogenen Studien nicht darauf eingegangen werden, weshalb manche Geflüchtete auf Freiwilligenarbeit ansprechen und andere nicht. Hinsichtlich des aktuellen Flüchtlingsgeschehens wären solche weiterführenden Studien sinnvoll. 54 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration 6 Literatur- und Quellenverzeichnis Ammann, Herbert (2004). Freiwilligkeit, Gemeinnützigkeit und Sozialstaat. In: Ammann, Herbert (Hrsg.). Freiwilligkeit zwischen liberaler und sozialer Demokratie. Zürich: Seismo Verlag. S. 11-25. Badelt, Christoph (2004). Freiwilligkeit aus der Sicht der Ökonomie. In: Ammann, Herbert (Hrsg.). Freiwilligkeit zwischen liberaler und sozialer Demokratie. Zürich: Seismo Verlag. S. 44-53. Benevol (2013). Benevol-Standards der Freiwilligenarbeit. ULR: http://benevol.ch/fileadmin/pdf/BENEVOL_Standards_2013.pdf [Zugriff: 10.05.2016] Biedermann, Christiane (2002). Die Zusammenarbeit mit Freiwilligen organisieren. Eine Handlungsanleitung. In: Rosenkranz, Doris/Weber, Angelika (Hrsg.). Einführung in das Management von Ehrenamtlichen in der Sozialen Arbeit. Weinheim: Juventa-Verlag. S. 79-87. 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April 1999 (SR 101). [Stand am 1. Januar 2016] 6.2 Abbildungen und Tabellen Abbildung 1: Typologie der Wanderung nach Petersen. ULR: http://www.berlin- institut.org/online-handbuchdemografie/bevoelkerungsdynamik/faktoren/migration.html [Zugriff: 21.05.2016] Tabelle 1: eigene Darstellung Tabelle 2: eigene Darstellung 60 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration Anhang 6.3 Bundesamt für Statistik: Armutsquote Ausschnitt aus der Statistik zu Armutsquote und Bevölkerungsanteil 2014 (Bundesamt für Statistik 2016 a: o.S.) Armutsquote Bevölkerungsanteil +/- +/- gesamt Arme in 1000 [2] in % [2] in % in % Gesamtbevölkerung 533 65 6.6 0.6 100.0 100.0 Geschlecht und Nationalität Frauen 307 37 7.6 0.7 50.4 57.5 Schweizerinnen 239 30 7.6 0.8 39.1 44.8 Ausländerinnen 68 21 7.5 1.5 11.3 12.7 Männer 226 35 5.7 0.6 49.6 42.5 Schweizer 152 23 5.1 0.6 37.1 28.6 Ausländer 74 26 7.4 1.3 12.5 13.9 Nationalität [4] Schweizer/innen 391 45 6.4 0.6 76.2 73.4 Ausländer/innen 142 40 7.4 1.2 23.8 26.6 Nord- und Westeuropa 43 23 7.9 2.2 6.8 8.1 Südeuropa 55 23 8.7 2.3 7.9 10.4 Übrige Länder 43 25 5.9 1.6 9.1 8.1 6.4 Bundesamt für Statistik: Erwerbslosenquote nach ILO Ausschnitt aus der Statistik zu Erwerbslosen gemäss ILO (BFS 2016 b: o.S.) Durchschnittliche Jahreswerte, in 1’000 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Total 203.5 183.7 192.9 204.8 215.5 219.3 Schweizer/innen 115.3 105.5 108.8 108.1 117.1 113.2 15-24 Jahre 33.2 32.8 36.4 35.7 36.5 35.5 25-39 Jahre 32.4 27.4 29.3 29.8 33.2 28.6 40-54 Jahre 33.0 29.9 27.6 29.1 32.0 29.7 55-64 Jahre 15.9 14.8 14.6 12.8 14.6 17.5 65+Jahre (0.6) (0.6) (0.9) (0.7) (0.8) (1.8) Ausländer/innen 88.3 78.2 84.1 96.7 98.4 106.0 15-24 Jahre 15.7 15.8 16.5 18.0 17.2 17.6 25-39 Jahre 41.7 31.4 35.7 41.8 43.7 41.4 40-54 Jahre 23.3 23.2 24.8 27.9 27.9 33.5 55-64 Jahre 7.3 7.5 6.9 8.6 9.3 12.7 65+Jahre (0.3) (0.4) (0.2) (0.4) (0.3) (0.8) 61 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration 6.5 Statistik der UNHCR: Aufnahmeländer Table 14: Indicators of host country capacity and contributions, mid-2015 (UNHCR 2015 a: o.S.) Ratio Rank Refugees Refugees Refugees Refugees Refugees Refugees to to to to to to Country or territory GDP (PPP) 1'000 1'000 GDP (PPP) 1'000 1'000 of asylum per capita inhabitants km2 per capita inhabitants km2 Afghanistan 117.42 7.14 351.87 8 28 38 Albania 0.01 0.05 5.37 129 131 118 Algeria 6.68 2.42 40.59 41 52 74 Angola 2.13 0.64 12.43 59 81 104 Argentina 0.16 0.08 1.27 94 119 143 Armenia 1.93 5.22 530.00 60 32 27 Aruba .. - - .. 161 166 Australia 0.76 1.51 4.62 68 66 122 Austria 1.30 7.13 725.78 64 29 17 Azerbaijan 0.08 0.14 15.74 104 106 94 Bahamas - 0.02 0.52 139 142 151 Bahrain 0.01 0.20 444.62 129 100 33 Bangladesh 69.08 1.46 1'702.96 16 67 11 Barbados - - .. 139 161 .. Belarus 0.08 0.14 6.63 104 106 111 Belgium 0.72 2.77 1'018.19 69 50 14 Belize - - - 139 161 166 Benin 0.26 0.05 4.21 85 131 123 Bolivia (Plurinational State of) 0.12 0.07 0.71 98 122 149 Bosnia and Herzegovina 0.68 1.78 132.96 71 60 56 Botswana 0.13 0.97 3.73 95 71 126 Brazil 0.49 0.04 0.91 78 136 147 British Virgin Islands .. - - .. 161 166 Bulgaria 0.62 1.53 99.64 75 65 58 Burkina Faso 20.36 1.93 123.40 25 58 57 Burundi 69.70 5.00 1'999.63 15 33 7 Cabo Verde - - - 139 161 166 Cambodia 0.02 0.01 0.44 124 150 152 Cameroon 101.54 13.27 645.50 9 12 22 Canada 3.33 4.19 15.18 54 41 96 Cayman Islands .. 0.10 23.08 .. 112 87 Central African Rep. 13.10 1.65 12.69 30 61 99 Chad 193.14 30.97 330.17 5 4 40 Chile 0.08 0.10 2.38 104 112 133 China 22.79 0.22 32.11 23 97 81 China, Hong Kong SAR - 0.02 136.78 139 142 55 China, Macao SAR .. - - .. 161 166 Colombia 0.02 - 0.19 124 161 158 Comoros - - - 139 161 166 Congo, Rep. of 9.75 13.65 179.16 34 11 51 Costa Rica 0.23 0.73 67.56 87 77 69 62 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration Côte d'Ivoire 0.61 0.09 6.10 76 116 113 Croatia 0.03 0.17 12.58 119 101 102 Cuba .. 0.03 2.80 .. 139 129 Curaçao .. 0.28 97.78 .. 96 59 Cyprus 0.24 4.99 621.48 86 34 24 Czech Rep. 0.10 0.30 39.92 102 94 75 Dem. Rep. of the Congo 207.63 2.14 68.55 4 55 68 Denmark 0.40 3.15 402.28 80 45 36 Djibouti 4.47 16.88 679.52 49 8 20 Dominican Rep. 0.05 0.06 12.60 113 127 101 Ecuador 10.68 7.65 472.95 32 26 30 Egypt 21.42 2.53 229.98 24 51 46 El Salvador 0.01 0.01 2.32 129 150 134 Equatorial Guinea - - .. 139 161 .. Eritrea 1.93 0.58 23.90 60 83 84 Estonia - 0.09 2.59 139 116 132 Ethiopia 469.41 7.24 620.86 1 27 25 Fiji - 0.01 0.66 139 150 150 Finland 0.29 2.15 35.26 83 54 77 France 6.56 4.13 484.11 43 42 28 Gabon 0.05 0.60 3.79 113 82 125 Gambia 7.32 6.11 1'086.27 38 30 13 Georgia 0.20 0.41 23.76 89 87 85 Germany 5.39 3.10 703.08 46 46 19 Ghana 4.56 0.69 77.06 48 79 63 Greece 0.32 0.75 62.20 82 76 71 Grenada - - - 139 161 166 Guatemala 0.03 0.01 1.84 119 150 138 Guinea 7.08 0.71 35.40 39 78 76 Guinea-Bissau 6.26 4.82 254.61 44 37 44 Guyana - 0.01 0.05 139 150 162 Haiti - - 0.18 139 161 159 Honduras - - 0.20 139 161 157 Hungary 0.17 0.42 45.15 91 85 73 Iceland - 0.32 1.02 139 93 146 India 35.02 0.15 63.41 22 104 70 Indonesia 0.50 0.02 2.78 77 142 131 Iran, Islamic Rep. of 56.40 12.53 603.45 20 13 26 Iraq 19.31 8.17 650.63 27 24 21 Ireland 0.12 1.25 84.18 98 70 62 Israel 1.12 4.85 1'847.59 66 36 8 Italy 2.62 1.57 311.21 58 64 42 Jamaica - 0.01 1.36 139 150 142 Japan 0.06 0.02 6.48 110 142 112 Jordan 61.64 89.55 7'370.15 19 2 3 Kazakhstan 0.03 0.04 0.25 119 136 156 Kenya 186.30 12.31 944.43 6 14 15 Kuwait 0.01 0.16 34.26 129 103 78 Kyrgyzstan 0.13 0.07 2.18 95 122 135 Lao People's Dem. Rep. - - - 139 161 166 63 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration Latvia 0.01 0.10 3.04 129 112 128 Lebanon 80.83 208.91 113'515.49 13 1 1 Lesotho 0.02 0.02 1.44 124 142 140 Liberia 46.23 8.85 404.03 21 21 35 Libya 1.79 4.47 17.26 62 38 91 Liechtenstein .. 2.89 708.61 .. 49 18 Lithuania 0.04 0.36 16.32 115 91 93 Luxembourg 0.01 2.14 456.36 129 55 31 Madagascar 0.01 - 0.02 129 161 163 Malawi 7.63 0.54 75.63 37 84 64 Malaysia 3.79 3.26 294.62 52 44 43 Mali 9.30 0.88 11.93 35 73 105 Malta 0.18 14.58 19'472.84 90 10 2 Mauritania 19.56 19.36 73.63 26 7 65 Mauritius - - - 139 161 166 Mexico 0.13 0.02 1.10 95 142 144 Micronesia (Federated States of) - - - 139 161 166 Monaco .. 0.87 163.37 .. 74 53 Mongolia - - 0.01 139 161 164 Montenegro 0.41 9.92 451.46 79 18 32 Morocco 0.28 0.06 5.27 84 127 120 Mozambique 3.97 0.17 5.77 50 101 114 Myanmar - - - 139 161 166 Namibia 0.17 0.69 2.01 91 79 137 Nauru .. 50.60 .. .. 3 .. Nepal 15.24 1.29 246.41 29 68 45 Netherlands 1.72 4.89 2'350.06 63 35 6 New Zealand 0.04 0.30 5.00 115 94 121 Nicaragua 0.07 0.06 2.79 108 127 130 Niger 87.14 4.29 69.10 12 40 67 Nigeria 0.22 0.01 1.40 88 150 141 Norway 0.70 9.14 147.40 70 19 54 Oman - 0.03 0.39 139 139 154 Pakistan 322.47 8.33 1'757.21 2 23 10 Palau - 0.05 2.18 139 131 135 Panama 0.87 4.47 229.60 67 38 47 Papua New Guinea 3.82 1.27 20.48 51 69 88 Paraguay 0.02 0.02 0.40 124 142 153 Peru 0.12 0.05 1.09 98 131 145 Philippines 0.04 - 0.85 115 161 148 Poland 0.63 0.41 50.65 74 87 72 Portugal 0.03 0.07 7.61 119 122 110 Qatar - 0.06 11.82 139 127 106 Rep. of Korea 0.04 0.03 13.27 115 139 98 Rep. of Moldova 0.09 0.10 11.54 103 112 107 Romania 0.12 0.12 10.22 98 110 109 Russian Federation 12.64 2.20 18.67 31 53 90 Rwanda 79.66 11.70 5'243.03 14 15 4 Saint Kitts and Nevis - 0.02 3.83 139 142 124 Saint Lucia - 0.01 3.23 139 150 127 64 Rahel Kunz Das Phänomen Freiwilligenarbeit im Kontext von Fluchtmigration Saint Vincent and the Grenadines - - - 139 161 166 Sao Tome and Principe - - - 139 161 166 Saudi Arabia - 0.01 0.11 139 150 160 Senegal 6.14 0.97 72.43 45 71 66 Serbia and Kosovo (S/RES/1244 (1999)) 3.28 3.97 345.43 55 43 39 Sierra Leone 0.68 0.22 18.88 71 97 89 Singapore - - - 139 161 166 Sint Maarten (Dutch part) .. 0.08 88.24 .. 119 61 Slovakia 0.03 0.15 16.33 119 104 92 Slovenia 0.01 0.14 13.96 129 106 97 Solomon Islands - 0.01 .. 139 150 .. Somalia .. 0.34 5.63 .. 92 115 South Africa 8.74 2.12 93.70 36 57 60 South Sudan 134.76 22.32 411.40 7 6 34 Spain 0.17 0.13 11.48 91 109 108 Sri Lanka 0.08 0.04 12.69 104 136 99 State of Palestine .. - .. .. 161 .. Sudan 87.49 9.05 188.85 11 20 50 Suriname - - 0.01 139 161 164 Swaziland 0.06 0.42 31.12 110 85 82 Sweden 3.06 14.66 318.42 56 9 41 Switzerland 1.20 8.45 1'686.19 65 22 12 Syrian Arab Rep. .. 7.95 800.52 .. 25 16 Tajikistan 0.66 0.21 12.55 73 99 103 Thailand 6.99 1.63 213.53 40 63 48 The former Yugoslav Republic of Macedonia 0.06 0.40 32.67 110 89 80 Timor-Leste - - - 139 161 166 Togo 15.26 3.07 381.95 28 47 37 Tonga - - - 139 161 166 Trinidad and Tobago - 0.09 23.59 139 116 86 Tunisia 0.07 0.07 5.31 108 122 119 Turcs and Caicos Islands .. 0.12 .. .. 110 .. Turkey 94.10 23.72 2'355.40 10 5 5 Turkmenistan - 0.01 0.06 139 150 161 Uganda 215.52 11.34 1'767.63 3 16 9 Ukraine 0.39 0.07 5.40 81 122 116 United Arab Emirates 0.01 0.05 5.39 129 131 117 United Kingdom 2.94 1.82 480.66 57 59 29 United Rep. of Tanzania 64.28 3.07 168.13 18 47 52 United States of America 4.92 0.84 28.72 47 75 83 Uruguay 0.01 0.08 1.62 129 119 139 Uzbekistan 0.02 - 0.28 124 161 155 Vanuatu - - - 139 161 166 Venezuela (Bolivarian Rep. of) 9.88 5.68 190.35 33 31 49 Viet Nam - - - 139 161 166 Yemen 66.23 10.05 624.79 17 17 23 Zambia 6.59 1.64 34.13 42 62 79 Zimbabwe 3.40 0.40 15.53 53 89 95 65