100 Jahre Moser-Glaser Ein Bericht aus soziologischer Perspektive LUCA PREITE Der vorliegende Bericht entstammt einer Auftragsstudie des Unternehmens „Moser-Glaser AG“ und fand von Juni bis August 2014 im Produktionsstandort in Kaiseraugst statt. Untersucht wurde Moser- Glaser als Schweizer Klein- und Mittelindustrieunternehmen. Der Fokus lag dabei auf dem Arbeits- und Produktionsprozess, sowie der Betriebskultur. Die eingesetzten Methoden waren Einzel- und Gruppeninterviews, Beobachtungen und Fallstudien. Gesamthaft wurden Interviews mit 24 Mitarbeitern aufgezeichnet, transkribiert und ausgewertet. Ich möchte mich bei dem Geschäftsleiter der Moser-Glaser, Herrn Oliver Härdi, und allen Mitarbeitern dafür bedanken, dass sie dieses Vorhaben unterstützt und sich Zeit genommen haben, meine Fragen ausführlich und mit Geduld zu beantworten. Mein Dank gilt zudem auch dem Präsidenten der Pfiffner Gruppe, Herrn Fritz Hunziker. Luca Preite Basel, 22. Oktober 2014 Impressum Lektorat: Michaela Wehrli Transkription Interviews: Lea Stohler, Yvonne Siemann Druck: Druckerei Thoma AG 2 Inhaltsverzeichnis 1. EINLEITUNG UND KONTEXTUALISIERUNG 4 1.1. STROMSCHIENEN UND DURCHFÜHRUNGEN: DIE PRODUKTE DER MGC 4 1.2. ÜBERNAHME DURCH PFIFFNER MESSWANDLER AG UND UMZUG NACH KAISERAUGST 5 1.3. DIE MOSER-GLASER: EIN SCHWEIZER KMU IM WELTMARKT 11 2. DER ARBEITS- UND PRODUKTIONSPROZESS 13 2.1. VERKAUF UND TECHNISCHER SUPPORT 16 2.2. KONSTRUKTION 17 2.3. BESCHAFFUNG UND ARBEITSVORBEREITUNG 17 2.4. ENTWICKLUNG UND PRÜFFELD 19 2.5. PRODUKTION 28 A) SÄGE/BIEGEN 29 B) ISOLIEREN 30 C) DURESCA UND OFEN 30 D) BEARBEITUNG/SCHWEISSEN 32 E) VERGUSS: TIRESCA/SILICON 33 5.7. SPEDITION, LAGER, WARENEINGANG UND ENDKONTROLLE 33 2.8. ADMINISTRATION UND PERSONALBÜRO 35 2.9. UNTERHALT 36 3. DIE BETRIEBSKULTUR 37 3.1. FORMELLE UND INFORMELLE ARBEITSORGANISATION 37 3.2. TERMINKOORDINIERUNG UND PLATZ: FLEXIBILITÄT UND VERÄRGERUNG 39 4. ARBEIT ALS GESELLSCHAFTLICHER WERT ODER WESHALB WIR ARBEITEN 41 5. FAZIT 45 5.1. DISKUSSION UND AUSBLICK 46 6. GESPRÄCH MIT FRITZ HUNZIKER, PRÄSIDENT PFIFFNER GRUPPE 47 LITERATURVERZEICHNIS 55 3 1. Einleitung und Kontextualisierung Die MGC Moser-Glaser AG ist heute mit ihrem Stromschienensystem und den Wand- und Transformatordurchführungen als rentierende Schweizer Klein- und Mittelindustrie (KMU) in der weltweiten Strombranche tätig. Seit 2001 ist sie Teil der Pfiffner Gruppe und beschäftigt gegenwärtig knapp über 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an ihrem Standort in Kaiseraugst. Dies war nicht immer so. Die Moser-Glaser wurde 1914 in Muttenz gegründet. Als Unternehmen feiert sie aktuell ihr 100-Jahr-Jubiläum und blickt auf eine bewegte und eindrückliche Geschichte zurück. Ende der 1990er Jahre geriet das Unternehmen in starke finanzielle Schieflage und reduzierte ihren Personalbestand von ehemals über 400 Mitarbeitenden auf knapp 50. Der drohende Konkurs konnte nur durch die Übernahme durch die Pfiffner Messwandler AG abgewendet werden. Dieser Bericht setzt bei der Gegenwart an und interessiert sich für die letzten 15 bis 20 Jahre Firmengeschichte. Es ist ein Versuch zu dokumentieren, welche Arbeit in der Moser-Glaser geleistet wird. Der Bericht gliedert sich in sechs Kapitel. Im ersten Kapitel wird dargestellt, welche Produkte die Moser Glaser heute produziert, um darauf aufbauend aufzuzeigen, wie es dazu kam und welche Rolle die Übernahme durch die Pfiffner Messwandler AG spielte. Ebenfalls thematisiert wird dabei die Moser-Glaser als Schweizer KMU im internationalen Umfeld und ihre Position in den sich globalisierenden Märkten. Im zweiten Kapitel wird der arbeitsteilige und interdependente Arbeits- und Produktionsprozess detailliert und nach Abteilung angeschaut. Das dritte Kapitel thematisiert die Betriebskultur in ihrer Ausgestaltung zwischen formeller und informeller Ordnung, um davon ausgehend über Terminkoordinierung, Platz, Verärgerung und Flexibilität zu sprechen. Das vierte Kapitel widmet sich der Frage: Weshalb überhaupt arbeiten? Im fünften Kapitel werden die Resultate der Studie zusammengefasst und diskutiert. Neben der Analyse geht es dabei auch darum Problemstellungen und mögliche Lösungsvorschläge vorzulegen. Der Bericht endet mit der Transkription eines Interviews mit dem Präsidenten der Pfiffner Gruppe, Fritz Hunziker. Dieses Gespräch fand am 3. Juli 2014 in Hirschtal statt. 1.1. Stromschienen und Durchführungen: Die Produkte der MGC Beginnen wir damit aufzuzeigen, was die MGC heute produziert. Bei den Produkten gilt es dabei klar zwischen Stromschienen und Durchführungen zu trennen. Diese lassen sich wiederum in verschiedene Typen und Bauarten aufteilen: Duresca und Tiresca bei den Stromschienen; Travesca, Gaslink und Duresca bei den Durchführungen. Grob gesagt, gilt der Duresca-Typ gegenwärtig als Hauptprodukt. „Letztendlich ist die Duresca eine ziemlich simple Anwendung. Es werden schlichtweg zwei Punkte miteinander verbunden, so dass Strom fliesst. Eigentlich kann man das in verschiedenen Varianten machen. Z.B. durch die Luft oder mit einem Kabel; aber die eleganteste Art ist unsere Duresca-Schiene.“ (Mark Baumann, Verkauf) „Unser Produkt ist sehr interessant. Es ist voll isoliert und man kann es auch bei begrenzten Platzverhältnissen einsetzen. Klar, es kostet auch ein bisschen mehr, aber Qualität hat ihren Preis.“ (Flamur Xhiha, Spedition, Wareneingangs- und Endkontrolle) Die Produkte der MGC sind Teil eines Anlage- und Komponentengeschäfts und als solche interdependent mit nationalen und internationalen Verhältnissen und Entwicklungen in der (Strom- )Wirtschaft verbunden. Der Kauf von Stromschienen hängt immer mit dem Bau oder der Wartung einer übergeordneten Stromanlage zusammen, beispielsweise eines Kraftwerks oder einer Verteilzentrale und so weiter. Die Durchführungen hingegen sind Komponenten eines Transformators und somit ebenfalls Teil einer übergeordneten Anschaffung. Als Zulieferfirma spielt die Moser-Glaser heute mit ihren hochwertigen und langlebigen Produkten mehr denn je in einem globalisierten Weltmarkt mit. Dementsprechend ist sie als Schweizer KMU auch in globale Entwicklungen involviert. 4 „Kraftwerke werden auch in Zukunft gebaut, denn es braucht Strom. Und auch die Energiewende ist gut für uns, denn es wird immer wieder neue Formen der Energiegewinnung geben, die zentral in begrenzten Platzverhältnissen gebaut werden. Dies ist umso besser für unsere Nische: die Duresca. Deshalb bin ich der Meinung, dass wir auch in Zukunft gefragt sind. Wir müssen einfach weiterhin im Schienen- und Durchführungsmarkt der kompetenteste Anbieter sein. Das ist unsere Philosophie.“ (Mark Baumann, Verkauf) Als Schweizer KMU kann die Moser-Glaser sowohl auf eine Vergangenheit zurückblicken, wie auch auf eine Tradition zurückgreifen, vor allem aber möchte sie einen aktiven Part in der Gegenwart und Zukunft einnehmen. Geschichte, Tradition und Swissness kann diesbezüglich als Ausgangslage dienen, vor allem aber geht es darum, diese Begriffe in der alltäglichen Arbeit mit Inhalten zu füllen. Oliver Härdi, Geschäftsführer der Moser-Glaser, Fritz Hunziker, Präsident der Pfiffner-Gruppe und alle Mitarbeiter vom Verkauf, dem technischen Support, der Beschaffung, der Konstruktion, der Produktion, der Entwicklung, der Spedition, der Administration und dem Unterhalt leben dies – wie ich in unzähligen Gesprächen feststellen durfte – in ihrer alltäglichen Arbeit eindrücklich vor. Und so ist es nicht zufällig, dass die Moser-Glaser im Jahr ihres 100-Jahr-Jubiläums sowohl den Ausbau ihrer Produktionshalle in Kaiseraugst, wie auch den Eintritt in die Höchstspannung in Angriff nimmt. „Wir haben uns dafür entschieden, unsere Produktionshalle um eine Produktionsfläche von etwa 2000 Quadratmetern auszubauen. Das ist nicht selbstverständlich. Wir denken aber, dass das Sinn macht, weil wir sehr interessante Produkte haben. Eine Firma, die ursprünglich im Mittelspannungsbereich tätig war, in den letzten sechs Jahren in den Hochspannungsbereich reingekommen ist und jetzt in noch höhere Spannungen reingeht, hat einfach ganz andere Möglichkeiten. Mit 420/550 Kilovolt eröffnen wir uns ein riesiges Marktfenster.“ (Oliver Härdi, Geschäftsleiter) Im folgenden Kapitel blicken wir kurz zurück und schauen die Entwicklung der letzten 15 bis 20 Jahre an. Wie wurde die Moser-Glaser Teil der Pfiffner Gruppe? Was hatte sie zuvor produziert und wie kam sie nach Kaiseraugst? 1.2. Übernahme durch Pfiffner Messwandler AG und Umzug nach Kaiseraugst „Früher haben die Elektronischen Werke einfach nur Apparate gekauft, auf denen die Armbrust abgebildet war, also Schweizer Ware. Damals wurden Transformatoren quasi auf Hallen bestellt und wenn die Verantwortlichen sahen, dass die Hälfte des Lagerbestandes verbraucht war, haben sie einfach nachbestellt. Das hat sich heute komplett verändert. Wir machen eigentlich nur noch das Kerngeschäft, sprich unsere Stromschienen und Durchführungen und da sind die meisten Abnehmer im Ausland. Als ich damals bei der Moser-Glaser angefangen habe, benutzte ich noch eine Schreibmaschine (lacht). Und da klapperst du einfach drauf los. Das hat sich heute alles vereinfacht. Mühsam hingegen ist, dass du im Schriftverkehr einfach zugemüllt wirst. Früher hast du noch überlegt, wenn du einen Brief, ein Telex oder ein Fax geschrieben hast. Aber jetzt bei den Emails wird einfach alles angefragt. Und dann hast du meistens noch 20 Emails im CC. Du kannst also aus dem Büro gehen und wenn du zurückkommst hast du 30, 40 Emails. Also wir hatten ein Projekt, da wurde das Engineering von Indern und Koreanern gemacht. Die Baustelle war in Abu Dhabi. Wir haben da mal nachgeschaut. Gesamthaft haben wir 10’000 Emails herumgeschickt für dieses Projekt.“ (Andreas Rechsteiner, Leitung Spedition) Die Gegenwart der Moser-Glaser ist eng mit ihrer Geschichte verknüpft. Als Ereignisse hervorzuheben sind dabei insbesondere der drohende Konkurs Ende der 1990er Jahre, die Übernahme durch die Pfiffner Messwandler AG im Jahr 2001 und der Standortwechsel nach Kaiseraugst im Jahr 2004. Mit der Übernahme durch die Pfiffner lässt sich die Entwicklung der Moser- Glaser, meiner Meinung nach, vor allem durch folgende drei Entwicklungstendenzen beschreiben: Produktfokussierung, Produktionsintensivierung und Exportorientierung sowie Internationalisierung. 5 Abbildung 1: Tendenzen seit der Übernahme der Moser-Glaser durch die Pfiffner Gruppe im Jahr 2001 Im Vergleich zu den 1990er Jahren lässt sich heute eine klare Produktfokussierung auf Stromschienen und Durchführungen feststellen. Grosse Teile der ehemaligen Produktpalette, wie zum Beispiel Transformatoren und Wandler, wurden zugunsten des heutigen Kerngeschäfts zurückgestellt. „Die Produktpalette war damals in den 1990er Jahren viel grösser als heute. Wir haben Transformatoren produziert, Leistungstransformatoren, Verteiltransformatoren und Beleuchtungstransformatoren. Weiter haben wir Spannungswandler hergestellt, Mittelspannungswandler, Hochspannungswandler, zuerst in Öl und später in SF6-Isolation. Einspeisungsdrosseln und Tonfrequenzdrosseln.“ (Jean Albanesi, Verkauf) Diese Produktfokussierung ist nicht zufällig. Sie trat allmählich ein, war notwendig und ist heute erfolgreich umgesetzt. Ende der 1990er Jahre geriet die damalige Moser-Glaser in akute finanzielle Schieflage. Rückblickend betrachtet, lässt sich jener drohende finanzielle Konkurs vor allem auf eine riskante unternehmerische und strategische Planung der damaligen Geschäftsleitung zurückführen. Die damalige Moser-Glaser versuchte dem steigenden Preisdruck innerhalb des Geschäfts (Transformatoren und Stromwandler) insofern Herr zu werden, indem sie sich einem neuen Tätigkeitsfeld zuwendete: der Plasmatechnologie, sprich, der Verbrennungstechnik hochtoxischer Abfälle. Diese Technologie ist und war innovativ, vor allem aber auch kostenreich.1 1 Mit der Übernahme durch die Pfiffner Messwandler AG wurde der Bereich der Plasmatechnologie seitens der Moser-Glaser endgültig aufgegeben und verkauft. Zugleich ist dazu aber auch zu sagen, dass heute vier dieser Verbrennungsanlagen durch andere Unternehmen weiterhin in Betrieb sind: in Frankreich, Deutschland, Japan und in der Schweiz beim Zwischenlager ZWILAG in Würenlingen. Dies macht auf die Relevanz und Innovativität dieser Technologie aufmerksam und illustriert die Bedeutung und Arbeitsleistung der damaligen MGC-Plasma. Es wäre spannend, mehr darüber zu erfahren. Leider wird in diesem Bericht nicht weiter auf die Plasmatechnologie eingegangen. 6 „Damals in den 1990er Jahren ging die Geschäftsleitung in eine andere Richtung. Es wurde die Plasmatechnologie entwickelt für die Verbrennung von hochtoxischen Abfällen. Leider hat diese Technologie aber nicht richtig funktioniert und man brauchte immer mehr Geld dafür. Die Transformatoren und Wandler wurden ebenfalls ausgelagert. Das heisst, man liess die Trafos in Kroatien fabrizieren und hat in Muttenz lediglich geprüft und die Produkte mit Moser-Glaser- Schilder verkauft. Bevor uns schliesslich die Pfiffner aufgekauft hat, standen wir in den Jahren 2000 und 2001 kurz vor der Pleite. Damals war jeder Mitarbeiter unsicher, wie es weitergeht, ob er am kommenden Tag überhaupt noch Arbeit hat.“ (Jean Albanesi, Verkauf) „Früher haben wir jeden Monat bis zu 100 Transformatoren für die SBB hergestellt. Es waren extra Schlosser dafür angestellt und das Material haben wir auch in der Schweiz gekauft, bei AluSuisse. Ende der 1980er anfangs 1990er Jahre hat es dann angefangen, dass alle geschaut haben, ob es vielleicht noch billiger geht. Die SBB hat dann aufgehört, bei uns zu bestellen und wir haben angefangen Trafokasten aus Deutschland zu importieren. Gegen Ende haben wir die kompletten Trafos dann in Kroatien gekauft und lediglich gefärbt und mit unserer Etikette „Made in Switzerland“ versehen. Das war damals der Anfang vom Ende. Die Duresca- Technologie mit dem Krepppapier und der Alufolie hingegen, das ist unser Patent. Das produzieren wir auch heute noch für die ganze Welt. Ich glaube, das liegt am Produkt und an unserem Know-how, dass das so ist.“ (Oldrich Kucera, Produktion, Verguss: Tiresca/Silicon) Fritz Hunziker, der heutige Präsident der Pfiffner Gruppe und damalige Geschäftsleiter der Pfiffner Messwandler AG erinnert sich an die Übernahme wie folgt zurück. „Damals waren Moser Glaser und Häfeli unsere [Pfiffners] nächstgrösseren Konkurrenten. Irgendwann hat man dann aber gemerkt, dass man Moser Glaser nicht mehr so stark wahrnimmt als Mitstreiter, insbesondere damals, als sie sich entschieden haben, in eine völlig neue Technologie und Tätigkeit hineinzugehen, die Plasma-Verbrennungs-Technik von hochtoxischen Abfällen. Als dann in der Basler Zeitung die Mitteilung kam, dass es Moser Glaser wirklich nicht gut geht [vgl. Abbildung 3: Artikel Basler Zeitung, September 2000], habe ich das Gespräch mit dem damaligen CFO der Moser Glaser gesucht. Daraus hat sich die Übernahme ergeben, die dann per Mitte Februar 2001 erfolgte. Zuvor haben wir im Verwaltungsrat diskutiert, ob die Übernahme für uns Sinn macht, ob es zu uns passt. Schlussendlich war eigentlich ausschlaggebend, dass das Produkt der Moser Glaser anders ist als das, was wir hier in Hirschthal produzieren. Es ist ein Produkt, das, auf eine etwas längere Sicht gesehen, eher überleben wird als die Produkte, die wir hier in Hirschthal machen. Das war dann eigentlich der Grund für die Übernahme." (Fritz Hunziker, Präsident Pfiffner Gruppe) So sehr sich die Reduktion und Aufgabe der breiten Produktpalette bereits Ende der 1990er Jahre abzeichnete und eng mit der finanziellen Lage der damaligen Moser-Glaser und dem Scheitern der Plasmatechnologie zusammenhängt, so sehr ist die eigentliche Produktfokussierung auf Stromschienen und Durchführungen insbesondere anhand der Duresca-Technologie auch massgeblich durch die neue Geschäftsleitung und die Übernahme durch die Pfiffner Messwandler AG bestimmt. Joseph A. Schumpeter, ein deutscher Soziologie des frühen 20. Jahrhunderts, spricht diesbezüglich in allgemeinerem Zusammenhang von der schöpferischen Zerstörung des Kapitalismus. „Die Eröffnung neuer, fremder oder einheimischer Märkte und die organisatorische Entwicklung von Handwerksbetrieben und der Industrie [...] illustriert den gleichen Prozess einer industriellen Mutation [...] der unaufhörlich die Wirtschaftsstruktur von innen heraus revolutioniert, unaufhörlich die alte Struktur zerstört und unaufhörlich eine neue schafft. Dieser Prozess der „schöpferischen“ Zerstörung ist das für den Kapitalismus wesentliche Faktum. Darin besteht der Kapitalismus und darin muss auch jedes kapitalistische Gebilde leben.“ (Schumpeter 2005:137f) Eng verknüpft mit der Produktfokussierung findet seit der Übernahme der Moser-Glaser durch die Pfiffner Gruppe parallel dazu eine Intensivierung und Ausweitung der Produktion im eigenen Unternehmen statt. Exemplarisch lässt sich dies an der Entwicklung des Personalbestands darlegen. Waren es bei der damaligen MGC Mitte der 1990er Jahre etwa 400 Mitarbeiter, so schrumpft diese Zahl durch Entlassungswellen kurz vor dem drohenden Konkurs auf etwa 50 Mitarbeiter; heute hingegen beschäftig die Moser-Glaser wieder knapp über 100 Mitarbeiter und ist Teil der Pfiffner 7 Gruppe, die insgesamt rund 400 Angestellte zählt. Ebenfalls lässt sich die Intensivierungstendenz am Tatbestand erkennen, dass seit der Übernahme diverse Arbeiten vermehrt und kontinuierlich wieder in den eigenen Produktionsprozess der MGC integriert wurden. Diverse zuvor ausgelagerte oder neu hinzukommende Arbeiten, wie zum Beispiel das Biegen der Stromschienen, das Abschirmen der Stromschienen und Durchführungen mit Silikon, der Erhalt der Mechanikabteilung und die Ausweitung des Unterhalts werden gegenwärtig wieder im eigenen „Haus“ selber durchgeführt. Damit einher geht die Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen. Abbildung 2: Schöpferische Zerstörung Langjährige Mitarbeiter erinnern sich heute noch gut an die damaligen Entlassungswellen zurück. Mit ihren Schilderungen machen sie uns dabei aber vor allem darauf aufmerksam, wie wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen, unabhängig davon, wie analytisch sie auch beschrieben sind, an einzelnen Personen ausgetragen werden. Letztendlich sind es Menschen, die die Folgen dieser, wie sie Schumpeter nennt, „schöpferischen Zerstörung“ ertragen und gestalten; und nur in diesem kollektiven Aushalten durch den Einzelnen können gesamtgesellschaftliche Entwicklungen überhaupt stattfinden. "Also der Fast-Konkurs und der massive Abbau damals, das war sehr schlimm. Da kam es periodisch zu Entlassungen. Es wurden Leute, auch langjährige Mitarbeiter, entlassen, die ich länger gekannt hatte. Es war teilweise sehr emotional und die Stimmung war natürlich sehr schlecht in der Firma. [...] Ich glaube so alle drei Monate kam wieder eine Entlassungswelle. Im Hintergrund gab es keinen Sozialplan. Es wurde jedenfalls immer die entsprechende Menge entlassen und nach einer Welle hat man dann wieder gewartet und sich gefragt: wer sind die nächsten, was sind überhaupt die Kriterien dafür? Für mich hat das nicht so eine grosse Rolle gespielt, weil ich noch jung war und das Ingenieurdiplom in der Tasche hatte. Aber die Stimmung war grundsätzlich schlecht, ja sehr schlecht. Und es hat sicher prägende Momente gegeben. Ich musste mitentscheiden, wer in den Abteilungen, für die ich verantwortlich war, entlassen wurde. Das war glaube ich schon hart und prägend. [...] Ich selber musste die Leute nicht entlassen, das hat die Personalabteilung gemacht, aber ich wusste es vorher. Ich denke, 8 ich habe das auch erfolgreich verdrängt, aber wenn dann der Familienvater mit über 50 Jahren heulend vor einem steht, fährt das massiv ein. So etwas möchte ich nicht noch einmal erleben müssen.“ (Frank Brodbeck, Entwicklung) „Es waren viele Kollegen darunter, die entlassen wurde. Das war eine ganz harte Zeit. Das hat gezehrt, wirklich gezehrt, überall, an den Nerven, am Gemüt, das war einfach sehr… das will ich nicht noch einmal mitmachen müssen. Als Vorarbeiter musste ich auch Leute entlassen. Manchmal habe ich meine Frau angerufen und gesagt, dass ich später nach Hause komme. Du musstest Leute entlassen und der Betrieb musste weiterlaufen. Wen entlässt du? Nicht den Spezialisten. Das ist einfach das Problem. Das tat weh. Es sind Schicksale dahinter, Familien. Ich will das nicht mehr erleben müssen.“ (Heinz Ramseyer, Produktion, Gruppenleiter Verguss: Tiresca/Silicon) Neben dem Erhalt und der Schaffung von Arbeitsplätzen bedeutet eine Produktionsintensivierung aber immer auch, dass Einzelne intensiver arbeiten. Immer wieder berichten Mitarbeiter auch davon, wie sich das Produktionstempo in den letzten Jahren intensiviert hat. Dieser Entwicklung stehen sie ambivalent gegenüber: sie wissen sehr wohl über die Verhältnisse, Entwicklungen und Geschichte Bescheid, ebenfalls schätzen sie es, bei der Moser-Glaser zu arbeiten, aber sie sprechen auch davon, wie sich diese Intensivierung auf ihre alltägliche Arbeit auswirkt und liefern eindrückliche Zeugnisse ab. „Du musst hart arbeiten, sonst kriegst du keine Arbeit. Du musst voll dran, sonst geht es nicht. In einer grossen Firma ist das anders. Aber hier bei Moser-Glaser musst du deine ganze Kraft einsetzen. [...] In Muttenz hatten wir nur einen Ofen. Ich habe das Material für diesen Ofen vorbereitet und einmal pro Woche beladen. Jetzt sind es zwei Öfen und wir beladen zwei Mal pro Woche. Aber mit den gleichen Leuten." (Eser Musa, Produktion, Gruppenleiter Duresca) „Heute sind die Termine so kurzfristig. Vor Jahren hatten wir 12 bis 14 Wochen Zeit für eine Produktion, jetzt haben wir nur noch 4 bis 5 Wochen Zeit. Deshalb verträgt es keine Unachtsamkeit oder Fehler. Das ist so. Aber anders geht es kaum. Wenn du dich umschaust, da ist ja so viel Handwerk drin in unseren Schienen und Durchführungen und du kannst nur dadurch Geld einsparen, indem du schneller arbeitest, denn die Zeit wird immer teurer, oder? Und du musst effizienter arbeiten; das könnte aber auch heissen, die Abläufe zu vereinfachen.“ (Heinz Ramseyer, Produktion, Gruppenleiter Verguss: Tiresca/Silicon) Diese Produktionsintensivierung umfasst so gut wie alle Arbeitsbereiche: von der Beschaffung, der Konstruktion, der Entwicklung, über das Lager hin zu Produktion und Spedition. Eng einher geht sie mit der dritten Tendenz, die sich seit der Übernahme der Moser-Glaser durch die Pfiffner Messwandler AG deutlich artikuliert: die Exportorientierung und Internationalisierung der Absatzmärkte. „Als ich hier angefangen habe, haben wir eigentlich etwa 98% in die Schweiz geliefert und lediglich 2% der Aufträge wurden exportiert. Das ist heute alles anders. Heute exportieren wir zu etwa 98%. Wir liefern überall hin, in die ganze Welt, und das ist natürlich sehr papierintensiv. Interessant daran ist, dass du in deiner alltäglichen Arbeit immer Abwechslung hast. Aktuell haben wir einen Kunden, der braucht drei Durchführungen, eine ist ausgefallen bei der Schlussprüfung, und jetzt will er zwei voraus, damit er schon anfangen kann zusammenzubauen. Jetzt muss ich deshalb noch schnell an die Grenze fahren, damit wir diese Spedition abfertigen können. Also das ist jetzt eine Ausnahme.“ (Andreas Rechsteiner, Leitung Spedition) Die Endkunden der Moser-Glaser sind heute in der ganzen Welt zu finden. Dementsprechend wird geliefert, beraten und gearbeitet. Die Entwicklungstendenzen der Produktfokussierung, Produktionsintensivierung und Exportorientierung hängen eng zusammen und bilden eine Entwicklungseinheit. 9 Abbildung 3: Artikel Basler Zeitung, September 2000 10 1.3. Die Moser-Glaser: Ein Schweizer KMU im Weltmarkt Die Moser-Glaser ist als Schweizer KMU in einem globalen Markt tätig. Dass ihr dies gelingt ist Ergebnis ihrer täglichen Arbeit. Zugleich spielen äussere Umstände und Kontexte aber auch eine Rolle. Das erfolgreiche Bestehen im „Markt“ hängt sowohl mit den hochwertigen und langlebigen Kernprodukten, den Stromschienen und Durchführungen, zusammen, ist aber auch dem Tatbestand geschuldet, dass sich die MGC damit in einer besonderen „Nische“ bewegt. „Eigentlich decken wir mit unseren Produktreihen, den Stromschienen und Durchführungen, Nischen ab. Das ist eine Chance für eine Firma, die aus der Schweiz heraus operiert. Würde man es hingegen aus der Schweiz heraus mit Serienprodukten versuchen, dann wäre das extrem schwierig. In der Schweiz zu bleiben, ist nur möglich, wenn man eine Sonderproduktion hat und ein gutes Engineering. Ich bin immer noch der Meinung, das Engineering wird nach wie vor bezahlt. Es ist zwar nicht mehr so hoch dotiert, aber es wird immer noch bezahlt. Und das Sonderwissen, das wir haben, ist halt auch nicht auf dem Trottoir zu finden.“ (Oliver Härdi, Geschäftsleitung) Das wesentliche Merkmal dieser Nische ist somit breiter zu fassen: mit ihren Stromschienen und Durchführungen liefert die Moser-Glaser sehr wohl ein Nischen-Produkt; vor allem aber gelingt es ihr auch in und aus einer Nische heraus zu produzieren. Oliver Härdi spricht in diesem Zusammenhang von einer Sonderproduktion, einem Sonderwissen und einem guten Engineering. Gemeint ist damit der Tatbestand, das den hochwertigen und langlebigen Stromschienen und Durchführungen ein hochgradig spezialisierter, arbeitsteiliger und innovativer Arbeits- und Produktionsprozess vorangeht, der wiederum Wissen und Innovation bedingt wie erzeugt. Verstanden als Gesamtheit der formellen und informellen Betriebsstruktur, Organisation inklusive Maschinen einerseits, sowie den Arbeitserfahrungen und formellen wie informellen Qualifikationen der Mitarbeiter anderseits. Der Produktionsprozess der Moser-Glaser zeichnet sich somit durch seine Wiederholbarkeit, Spezialisierung und Flexibilität zugleich aus. Abbildung 4: Die MGC als Schweizer KMU in einem sich globalisierenden Weltmarkt 11 Zusammengefasst ist diese Nische als Dreieck „Produkt, Produktion und Wissen“ eine Strategie und Ausgangslage zugleich und massgeblich daran beteiligt, dass die Moser-Glaser auch heute noch unter dem Label Swissness erfolgreich in und aus der Schweiz heraus ihre Stromschienen und Durchführungen produzieren und verkaufen kann. Denn obschon der Absatzmarkt zusehends globaler wird, herrschen auf der Welt nicht überall gleiche Verhältnisse. So können etwa Standort- und Personalkosten erheblich variieren, wohingegen sich Materialkosten zunehmend angleichen. Auch können sich weltweite Standorte nach Qualifikationsgrad und Bereitschaft der Arbeitskräfte unterscheiden. In diesem ungleichen Markt gilt es zu bestehen. Die Sonderproduktion, das Sonderwissen und das gute Engineering sind Voraussetzungen hierfür. Die Moser-Glaser ist dementsprechend bestrebt ihre Nische weiterhin zu behaupten. In ihrem Verständnis dienen Nischen keineswegs dazu, sich darin auszuruhen; im Gegenteil: erfolgreiche Nischen sind stets aufs Neue mit Bereitschaft und Einsatz unter Beweis zu füllen und vor allem zu ertragen. „Und das ist natürlich ein Spielchen, das unendlich ist. Diesen Druck, den du hast, der ist so unangenehm, wie er nur sein kann. Heute sind wir nicht mehr in der Situation, dass wir ein Jahr Arbeit im Voraus haben. Wir verfügen lediglich über drei bis vier Monate Vollbeschäftigung; und dahinter ist ein grosses schwarzes Loch. Man gewöhnt sich zwar daran, weil das heute so ist. Früher war das aber nicht so. Vor einem Jahr gab es Verhandlungen, bei denen es dann wirklich unter der Gürtellinie zu und her ging. Kundenseitig wäre ich aufgestanden und hätte gesagt, 'Macht das, mit wem ihr wollt, aber nicht mit uns'. Ich sitze aber da und sage, dass es mir nicht passt, wie wir behandelt werden, bleibe aber sitzen. Das ist schon die Marktstruktur, die sich verändert hat. Also man muss einfach wissen, dass zum Teil unverschämt mit einem umgegangen wird als Zulieferant. Und das ist etwas, das ich gar nicht schätze und ich werde wieder mehr dagegen ankämpfen. Denn das Risiko ist voll bei uns, und das finde ich nicht in Ordnung. Ein Einkäufer hat heute offenbar die Aufgabe, dass er bei den Zulieferern drückt bis zum geht nicht mehr. Und der Erfolg, den er dort abholt, ist der Erfolg, den er hat. Und die Nachhaltigkeit, dass wir als Partner auch noch atmen können, interessiert niemanden." (Oliver Härdi, Geschäftsleitung) Mit ihrer Geschichte und Tradition hat die Moser-Glaser in diesem Spiel eine Ausgangslage, die sie als Swissness zu erhalten, bestrebt ist. Doch Swissness ist keineswegs ein Selbstläufer und reicht als Worthülse nicht aus; vielmehr gilt es sie mit Inhalten und Leistungen zu füllen. Und so kann sich der Schweizer Industriestandort wahrscheinlich noch heute, wie damals während der Industrialisierung im 19. Jahrhundert, vor allem durch und in der Spezialisierung und Intensivierung der Arbeit und Arbeitsleistung behaupten. Solange also bei der Moser-Glaser als Teil der Pfiffner Gruppe auch heute noch in der Schweiz produziert wird, liegt dies unter anderem und vor allem an einer doch auch hervorzuhebenden Verfügbarkeit, Bereitschaft und Mehrarbeit seitens der Mitarbeiter. „Und hinter dem steckt eigentlich Swissness: hochwertig und langlebig. Und zum Schluss sage ich auch noch: Ästhetik, weil es gut ausschaut, wenn jemand Freude an Technik hat. Also von daher kann man Swissness nicht einfach als gegeben anschauen. Man muss dafür arbeiten. Da muss man eben auch hin stehen, wenn es ein Problem gibt. Das gehört alles auch ein wenig zu Swissness. Die Nachhaltigkeit muss auch gelebt werden, indem man die Anlage eben so weit bringt, dass sich wirklich kein Problem mehr zeigt. Das ist der Unterschied zwischen einer guten und einer schlechten Firma. Klar, der Schweizer muss sicher mehr kämpfen als kleines Land mit so teurem Boden. Da musst du einfach einen besseren Job machen, als die anderen. Gleiches auch mit den Löhnen. Hier in der Schweiz zu produzieren, kann ein Wettbewerbsnachteil sein. Zugleich kann es aber auch ein Vorteil sein, weil du gute Leute hast, die eine gute Basis haben, und weil du beispielsweise gegenüber Deutschland vielleicht diese Probleme mit den Gewerkschaften nicht hast. Wir nutzen die Leute nicht aus, aber wir haben eine hohe Verfügbarkeit und auch eine Bereitschaft seitens der Mitarbeiter. Mit der Loyalität gegenüber dem Betrieb kannst du eben auch noch viel erreichen. Dass die Mitarbeiter sagen, 'Das machen wir jetzt, das ziehen wir durch'. Das ist nicht selbstverständlich. (Oliver Härdi, Geschäftsleitung) Wenn Mitarbeiter der Moser-Glaser dementsprechend immer auch davon berichten, wie sie in ihrer gegenwärtigen Arbeit stets gefordert sind dem Feuer hinterher zu rennen, wenn es eigentlich schon lange ausgebrochen ist, so gilt es diesbezüglich, meiner Meinung nach, erstens einmal diese Mehrarbeit hervorzuheben, um dann vielleicht in einem zweiten Schritt auch zu fragen, ob diese 12 Anspannung vielleicht eines Tages auch mit innerbetrieblichen Massnahmen entschärft werden könnte, unabhängig davon, dass unterschiedliche, internationale Verhältnisse in Zukunft vielleicht auch globale Ausgleiche erfahren werden. Fest steht, dass die Moser-Glaser, solange sie als Schweizer KMU in diesem internationalen Spiel bestehen möchten, sich vor allem eines nicht erlauben kann: untätig zu sein. Stete Innovation entwickelt sich dabei zu einer beinahe Notwendigkeit, wie sich dies deutlich am Beispiel der Aneignung, Parametrisierung und Beherrschung komplizierter Prozesse äussert – in diesem Fall: Silikonprozess, Ofenprozess oder die Biegemaschine. In ihren Weiterentwicklungen erarbeitet sich die Moser-Glaser als KMU ein profundes Sonderwissen. „Die Hauptprozesse der Wertschöpfung, also die Kerntätigkeiten, musst du selber machen. Sobald du die Kerntätigkeiten extern vergibst, fällt die Kompetenz weg. Klar, wenn es jemand billiger anbietet, dann musst du es eigentlich extern beschaffen. Aber wieso bringst du die Firma nicht dahin, dass du das auf dem gleichen Preisniveau selber machen kannst? Das muss die Herausforderung sein! Zum Beispiel die Silikonprozesse: solches Wissen kannst du nicht einfach in der Migros kaufen. Das Gleiche auch wenn du eine Maschine anschaffst und diese am Anfang nicht so funktioniert, wie du es willst, z.B. die Biegewinkel nicht so sind, wie sie sein sollten und du das nachher ausprobieren musst, wie viel du überdrücken musst, dass es nachher 90° sind. Das ist Erfahrung! Das ist ein intelligenter Weg eine Firma weiter zu entwickeln. Es braucht Mut zu sagen, 'jetzt investieren wir in Maschinen, jetzt kaufen wir Werkzeug'. Das musst du Schritt für Schritt vorantreiben, Lernen im Prozess. Bei den Produkten, die wir haben, kann man noch Lernen im Prozess. Da kannst und musst du dich weiterentwickeln. Bist du hingegen in der Serienproduktion, kannst du es vergessen; da geht es immer um das gleiche. Da kannst du lediglich eine Fabrik einrichten, die richtig aufgeteilt ist, so dass alles durchgeplant ist. Bei uns geht das hingegen nicht. Das Produkt gibt es nicht her von der Menge und Variabilität. Ströme, Spannung, Innenanwendung, Aussenanwendung: verschiedene Faktoren spielen mit. Der Seriengedanke ist immer ein wenig da, denn der optimiert relativ viel. Trotzdem kannst du ihn nicht voll leben, weil die Variabilität viel grösser ist als bei einer Serienproduktion.“ (Oliver Härdi, Geschäftsleiter) Der Moser-Glaser ist es somit gelungen, sich mit steter Innovation, Mehrarbeit, Leistungsbereitschaft und einer hochwertigen und langlebigen Nische, den Duresca-Stromschienen und Durchführungen, als Akteur neben den marktdominierenden Grossunternehmen zu positionieren und ihre Stellung auch zu nutzen. Ihre Produktions- und Arbeitsprozesse sind hochwertig spezialisiert, widerholbar und äusserts variabel. „Ein grosses Unternehmen wie die ABB oder die Siemens schaut zuerst das Potenzial des Marktes an und wenn es dabei nicht möglich ist, in grossen Mengen zu produzieren, interessiert es sie auch nicht. Nischen werden von Grossunternehmen nicht abgedeckt, weil es zu aufwändig ist. Das ist wiederum unser Vorteil. Wir können die nötige Variabilität, Flexibilität und Anstrengung dafür einbringen. Von daher ist der Weg, den wir heute gehen, stets mit neuem Wissen und Innovation verbunden." (Oliver Härdi, Geschäftsleitung) Nachdem in diesem Kapitel versucht wurde, die Stellung, Geschichte und Position der Moser-Glaser als KMU im internationalen Wirtschaftsfeld zu erarbeiten, geht es im folgenden Kapitel um den Produktions- und Arbeitsprozess in seiner Spezialisierung, Arbeitsteilung und Verschränkung. 2. Der Arbeits- und Produktionsprozess Konstruiert, entwickelt, produziert, kontrolliert und verpackt werden die Stromschienen und Durchführungen am Standort Kaiseraugst. Der Produktionsprozess zeichnet sich dabei vor allem durch seine Spezialisierung, Arbeitsteilung und Wiederholbarkeit aus. Schematisch lässt sich der Arbeitsprozess zusammengefasst wie folgt darstellen. 13 Abbildung 5: Der arbeitsteilige und interdependente Produktionsprozess Die Verkaufsabteilung generiert in Zusammenarbeit mit dem technischen Support Arbeitsaufträge. Diese werden von der Konstruktionsabteilung in Anlage- und Fertigungszeichnungen umgesetzt. Parallel dazu kauft die Abteilung „Beschaffung“ Material und Produkte ein, die über die Eingangs- und Endkontrolle entweder im Lager für den weiteren Produktionsprozess abgelegt, oder direkt über die Arbeitsvorbereitung (AVOR) in den Produktionsprozess eingespiesen werden. Hier beginnt die Fertigung der Produkte in der Produktionswerkstatt: Kupfer und Aluminiumschienen werden nach Länge und Winkel zurecht gesägt und gebogen (Säge/Biegen), mit Aluminiumfolien und Klettpapier isoliert (Isolieren), im Ofen getrocknet und mit Harz vergossen (Ofen/Duresca). Die Schienen und Durchführungen werden mechanisch weiterverarbeitet (Mechanik), lackiert, mit Flansch und Flachanschlüssen versehen und mit Silikonschirmen vergossen sowie elektronisch zwischen- und endgeprüft. Am Ende dieser Fertigungskette werden die Produkte einer Endkontrolle unterzogen, verpackt, verrechnet, versendet und auf der Montage vor Ort für die Inbetriebnahme durch den Kunden angebracht. Dem Arbeitsprozess über- und zugeordnet stehen die Geschäftsleitung, die Administration, die Entwicklung, das Qualitätsmanagment (QM) sowie der Unterhalt sämtlicher Maschinen, Anlagen, Hallen und Räume. Desweiteren bildet die Moser-Glaser Lehrlinge als kaufmännische Angestellte, Konstrukteur und Produktionsmechaniker aus. Neben seiner Arbeitsteilung zeichnet sich der Produktionsprozess vor allem durch seine Interdependenz und Verschränkung aus. Es ist auffallend, wie sehr die einzelnen Abteilungen sowie Fertigungsinseln stets den ganzen Produktionsprozess mitdenken, und mitdenken müssen, solange sie ihre Arbeit termingerecht und richtig anbringen möchten. Begonnen bei der Auftragsgenerierung anhand des Kundentermins mit möglichen Verschiebungen, sowohl seitens der Fertigung als auch seitens der Kunden, über die Konstruktion mit Einbezug von Fertigungsmaschinen und Fertigungsmöglichkeiten (z.B. Ofengrösse, Winkel- und Richtungsbeschränkung der Biegemaschine ab der zweiten und dritten Kurve, usw.), des Antizipierens in der Materialbeschaffung nach Erfahrungswerten, Lager- und Zwischenplatz, der Fertigung, Prüfung und Entwicklung nach Priorität 14 und Notwendigkeit, der Instandhaltung nach und neben dem vorgegebenen Produktionsrhythmus (z.B. Donnerstag und Montag Ofenbeladung) sowie dem Speditions- und Verrechnungsdruck am Freitag: alle Mitarbeiter sind darauf angewiesen, dass alle alles mitdenken; vor allem aber, ist jeder darauf angewiesen, dass jeder seine Arbeitspraxis und Planung anhand des kompletten Prozesses antizipiert und gestaltet. In dieser Hinsicht führt die Arbeitsteilung, sprich die Aufteilung des Arbeitsprozesses in einzelne Schritte, Prozesse und Abteilungen (Verkauf, Konstruktion, Beschaffung, Produktion, Spedition, Administration und Unterhalt) dazu, dass jeder nicht „nur“ seine Arbeit erledigt, sondern vielmehr auch vor-, über- und nachgeordnet denkt und arbeitet. Kurz: der Arbeitsprozess innerhalb der MGC ist mehr als die Summe der einzelnen Teile; er beruht auf der kollektiven Arbeit der einzelnen Mitarbeiter. Dementsprechend ist diese Verschränkung von Arbeitsteilung und Produktionsprozess als Ganzes konstitutiv und macht auf die Arbeitsleistung der einzelnen Mitarbeiter aufmerksam. Ralph Untersee von der Abteilung Arbeitsvorbereitung beschreibt den Arbeitsprozess bildhaft als Eisenbahn. Seiner Meinung nach wird das eigentliche Produktionstempo sowie die komplexe Verschränkung der Arbeitsteilung vor allem bei Fehlermeldungen ersichtlich. „Eigentlich ist es die Aufgabe der Fertigung, für Platz zu sorgen. Aber wenn der Material- und Produktionsfluss stockt, warum auch immer, bleiben die Aufträge eben liegen und das verursacht diese Unordnung. Diese Abnahme von morgen, von der ich dir erzählt habe, das ist zum Beispiel ein Sonderfall. Eigentlich waren wir auch recht früh dran, dann kamen aber Verzögerungen vom Kunden hinzu, weil das Gebäude der Anlage noch nicht fertiggestellt war. Später haben wir es dann versäumt, termingerecht zu liefern. So hat sich die Ware bei uns gestapelt. Wir haben das Ganze ein bisschen stehengelassen und die Priorität auf andere Aufträge gesetzt. Wenn solche Berge bei uns bleiben, müssen wir sie auch immer hin und her bewegen. Das kostet zusätzlich Zeit. Das ist ineffiziente Zeit, verlorene Zeit. Aber wenn der Prozess am Laufen ist, ist es wie ein Zug: wenn er gestartet ist, kannst du nicht mehr vorne ‚Stop‘ sagen. Der Prozess hat eine Inertia, eine Schwerkraft und wenn gewisse Leiter gebogen wurden, wurden andere eben nicht gebogen.“ (Ralph Unterseh, AVOR) Der französische Soziologie Emile Durkheim beschreibt die Arbeitsteilung allgemein als Kernelement moderner Gesellschaften. Im Unterschied zu Adam Smith einerseits und Karl Marx anderseits sieht er die Arbeitsteilung aber weder als Mittel einer automatischen Produktivitätssteigerung, noch führt sie seiner Meinung nach unabdingbar zu einer Entfremdung der Mitarbeiter im Verhältnis zu ihrer Arbeit. Seiner Meinung nach liegt die Funktion der Arbeitsteilung also weniger darin, dass jeder Einzelne nur noch an sich und seine Funktion selber denkt; im Gegenteil: die Arbeitsteilung erfordert gerade ein ganzheitliches und relationales Denken und Überblicken des gesamten Arbeitsprozesses; oder besser gesagt, ein Bewusstsein für die einzelne und eigene Funktion in Relation zum Ganzen. „Normalerweise verlangt die Ausführung einer jeden speziellen Funktion, dass sich das Individuum nicht völlig in ihr einschliesst, sondern in ständigem Kontakt mit den Nachbarfunktionen bleibt, sich deren Bedürfnissen und der dort sich vollziehenden Veränderung bewusst wird. Die Arbeitsteilung setzt voraus, dass der Arbeiter, statt sich ausschliesslich mit seiner Aufgabe zu beschäftigen, seine Mitarbeiter nicht aus den Augen verliert, auf sie einwirkt und von ihnen beeinflusst wird. [...] Er fühlt, dass er zu etwas dient. Dazu ist es nicht nötig, dass er weite Teile des sozialen Horizonts übersieht, es genügt, dass er ihn hinreichend weit überblickt, um zu begreifen, dass seine Handlungen ein Ziel haben, das nicht in ihnen selbst liegt. Wie speziell und wie einförmig seine Tätigkeit auch sein mag, sie ist deshalb immer noch die Tätigkeit eines intelligenten Wesens, denn sie hat einen Sinn, und er weiss um diesen Bescheid.“ (Durkheim 1992:442) Dieses Überblicken des Ganzen, oder wie es Durkheim nennt, die „organische Solidarität“ (ebd.), ist aber keineswegs gegeben, sondern von den einzelnen Mitarbeiter als „soziales Band“ (ebd.) innerhalb und über den Betrieb hinaus überhaupt erst zu schaffen. Diese Solidarität ist also immer auch Produkt einer Aushandlung. Sie benötigt Zeit und basiert auf der formellen und vor allem auf informellen Strukturen und Organisationen eines Betriebs. Im Falle der Moser-Glaser mit ihrer Sonderproduktion und dem Sonderwissen, wie dies Oliver Härdi beschrieben hat, ist dies eine doppelte Herausforderung und Leistung zugleich. Die Wiederholbarkeit des hochspezialisierten, 15 intensiven und äussert flexiblen Arbeitsprozesses hängt massgeblich von dieser „organischen Solidarität“ zwischen den einzelnen Arbeitsschritten und Mitarbeitern ab. 2.1. Verkauf und technischer Support Die Verkaufsabteilung generiert Kundenaufträge im Bereich der Stromschienen und der Durchführungen. Sie arbeitet dabei eng mit der Abteilung „technischer Support“ Zusammen. Diese ist sowohl zuständig für die Montage als auch für die eingangs zu erfolgende Ausmessung der Anlage. Kennzeichen der Moser-Glaser ist es, dass sie fertige Lösungen anbietet. Inbegriffen ist dabei auch die Montage des gesamten Stromschienensystems in der jeweiligen Anlage. In der Abteilung des technischen Supports arbeitet ein qualifiziertes, erfahrenes und äusserst flexibles Montageteam. Ihre Aufgabe ist es, die Inbetriebnahme der Lieferungen zu planen, organisieren wie auch durchzuführen. Die Mitarbeiter sind dabei in weltweiten Einsätzen tätig. Dementsprechend sind sie es sich auch gewohnt, ausserordentliche Herausforderungen mit Ruhe und Flexibilität zu meistern. Generiert werden die Aufträge von der Verkaufsabteilung. Neben den eigentlichen Fähigkeiten als Verkäufer, erfordert das Komponenten- und Anlagegeschäft erweiterte technische Kenntnisse. Denn die Verkäufer antizipieren, beraten, erstellen Offerten, kalkulieren und überwachen Kosten und Ertrag und leiten nach der Freigabe durch die Geschäftsleitung und parallel mit anderen Abteilungen den Fertigungsprozess mit ein. Zusätzlich verfügt die Verkaufsabteilung auch über Vertretungen vor Ort. Dies ermöglicht eine Nähe sowie einen direkten Zugang zu gewissen Weltregionen. Die Vertretungen fungieren sozusagen als verlängerter Arm des Verkaufs. Sie kennen sich mit lokalen Gegebenheiten aus und beherrschen die Landesprache. Insbesondere kümmern sie sich um die Kundenpflege. Neben der Internationalisierung des Absatzmarktes wurde in den Gesprächen der Preis- und Termindruck als grosse Herausforderungen für die Verkaufsabteilung genannt. Von verschiedener Seite wurde hervorgehoben, wie sehr dies in den letzten 10 bis 15 Jahren zugenommen hat. Diese Entwicklung wird von den Verkäufern sowohl als spannende Herausforderung als auch als tendenzielle Überforderung zugleich beschrieben. „Die grösste Herausforderung ist sicherlich, dass man in der ganzen Welt präsent sein muss und mit der ganzen Welt auch verhandeln muss. Und der Unterschied zwischen den Kulturen ist in manchen Bereichen schon sehr gross. Dieser Druck, den man von aussen bekommt, aus Regionen wie Asien oder aus den Emiraten, das ist schon eine Herausforderung. Dieser muss man sich stellen und da muss man aufpassen, dass man daran nicht zerbricht. Das ist eigentlich die Herausforderung, die ich jeden Tag aufs Neue angehe. Urgent urgent urgent. Jede Email hat die Überschrift: matter most urgent, we apply immediately. Also der Druck wird schon da aufgebaut, auch wenn er gar nicht vorhanden ist. Und am Anfang habe ich damit schon Mühe gehabt. Das hat mich schon nervös gemacht und ich habe diesen Stress auch mit nach Hause genommen. Mittlerweile sagen ich mir, alles ist urgent, aber ich fange jeden Morgen damit an, eine Prioritätenliste zu machen und versuche mir so meinen Weg durch den Tag vorzubauen.“ (Mark Baumann, Verkauf) Analytisch lässt sich diesbezüglich eine eigentliche Auslagerung der Terminkoordinierung, technischen Planung sowie der Überwachung der kommerziellen Rahmenbedingungen von Seiten des Auftragsgeber hin zur Verkaufsabteilung, sprich den Verkäufern der Moser-Glaser feststellen. Die Beratung entwickelt sich sozusagen immer mehr zu einem Gesamtlösungspaket, was alle technischen und kommerziellen Aspekte betrifft, mit allen Schwierigkeiten, die dies beinhaltet. "Auch merken wir heute, dass früher bei unseren Kunden, hauptsächlich bei den Grosskonzernen, viel mehr Techniker vorhanden waren beim Einkauf. Das heisst, sie haben die Lösungen zum Teil schon selbst angedacht, und uns lediglich mitgeteilt 'wir brauchen so eine Schiene und so weiter'. Heutzutage haben sie hingegen mehr Leute, die auf der technischen Seite nicht so sattelfest sind. Sie haben diese technische Arbeit sozusagen auf uns ausgelagert. Als Verkäufer muss ich dementsprechend technisches Grundwissen haben. Und beim Kommerziellen muss man in den letzten Jahren mit den Pflichtenheften auch aufpassen. Diese Kundenpflichtenhefte oder Verkaufsbedingungen, die können als Dokument viele Seiten lang 16 sein. Da musst du aufpassen, dass du nicht einfach blind bestätigst. Aber wenn du es gründlich durchlesen möchtest, müsstest du einen Juristen einstellen." (Jean Albanesi, Verkauf) 2.2. Konstruktion Sobald ein Auftrag durch den Kunden bestätigt ist, startet die Konstruktionsabteilung mit der Herstellung von Fertigungs- und Anlagezeichnungen; das heisst: die Stromschienen und Durchführungen werden in einem dreidimensionalen Zeichnungsprogramm nach elektronischen, mechanischen und baulichen Anforderungen konstruiert. Die grosse Herausforderung der Konstruktion ist dabei das Antizipieren aller elektronischen und mechanischen Voraussetzungen wie baulichen und produktionstechnischen Umgebungen, sprich: es genügt nicht, nur die Stromschiene „richtig“ zu konstruieren, auch und vor allem geht es darum, dies in die jeweilige Anlage, beispielsweise ein Stromkraftwerk, so zu planen, dass dies auch tatsächlich umsetzbar produziert, montiert und in Betrieben genommen werden kann. Dementsprechend sind neben den baulichen Verhältnissen der Anlage wie Raumdimension, Anbindungen, Zugangstüre und so weiter immer auch die Gegebenheiten des eigenen Arbeits- und Produktionsprozesses mitzudenken, beispielsweise die Ofendimensionen oder die Biegewinkel. „Bei diesem Schienenauftrag hier sehe ich sofort, dass es nicht in den Ofen passt. Und wenn es nicht passt, kann ich nicht produzieren. Ich muss dann an der richtigen Stelle die Verbindungsmuffe setzen. Heute können wir den Ofen direkt als 3D simulieren und dann sieht man, ob es passt oder nicht. Kritische Schienen prüfen wir aber nochmals extra, denn Schneiden und Schweissen ist nicht möglich. Die Schienen funktioniert nur in einem Stück oder mit der Verbindungsmuffe." (Ostoja Cvijic, Konstruktion) Dies macht uns darauf aufmerksam, wie verschränkt und interdependent der Arbeitsprozess der Moser-Glaser tatsächlich ist. Ein gutes Engineering umfasst dementsprechend weit mehr als die blosse Ingenieurwissenschaft: immer geht es auch darum, die Stromschienen und Durchführungen als Arbeitsprozess in einem Spannungsverhältnis zwischen Wiederholbarkeit, Effizienz und Flexibilität zu konstruieren. 2.3. Beschaffung und Arbeitsvorbereitung Auf der Grundlage der Aufträge basierend auf den Vorbestellungen seitens der Konstruktionsabteilung im hauseigenen ERP-System (Enterprise-Resource-Planning), „SIVAS“, beginnt die Arbeit für die Beschaffungsabteilung. Ihre Aufgabe ist es, wie dies der Leiter Heinrich Strütt deutlich formuliert, der Produktion hochwertiges Material zeit- und termingerecht zur Verfügung zu stellen. Damit dies gelingt, wird die formelle Beschaffungsstruktur und Organisation immer auch mit informellen Arbeits- und Bestellungssystemen wie Praktiken ergänzt; Heinrich Strütt spricht in diesem Zusammenhang vom „Zuruf-Prinzip“. Die grosse Herausforderung im Falle der Moser-Glaser liegt dabei in einer steten Materialbereitschaft trotz relativ geringem Lager- und Bestandesvolumen. Dies bedingt eine äusserst effiziente Planung und Durchführung der Bestellung und Beschaffung. Grundlage und Hilfsmittel hierfür können unter anderem spezifische Rahmenverträge mit Zulieferfirmen sein, beispielsweise für die Alu- und Kupferleiter. Dies wiederum macht auf die interdependente Verschränkung der Moser-Glaser innerhalb der „erweiterten Werkbank“ oder allgemeiner gesprochen, der „Wirtschaft“ aufmerksam. „Wir sind vom Lagerwert her sehr niedrig. Früher hatten wir Lagerbestände von sechs, sieben bis acht Millionen Schweizer Franken. Heute hingegen funktionieren wir mit einem Lagerwert von 1.172 Millionen für das Geschäftsjahr 2012/13. Im Verhältnis zum Umsatz von 28.1 Millionen ist das sehr niedrig. Das funktioniert nur, indem wir unsere Lagerbestände über Rahmenverträge auf unsere Lieferanten ausgelagert haben, ohne dass aber die Lieferbereitschaft unseres Unternehmens beeinträchtigt wird. Das war zum Teil ein wenig 17 Überzeugungsarbeit, aber wir haben es geschafft. Ich halte mich lieber mit der Rahmenmenge ein wenig zurück und bestelle vielleicht schon nach einem Dreivierteljahr wieder nach, dann ist dieser Lieferant auch zufrieden. Wir versuchen es so zu machen, dass wir spätestens in einem Jahr das Zeug auch wieder abnehmen. Oftmals ist es aber auch ein Blick in die Kristallkugel. Man orientiert sich am Vergangenheitsverbrauch, aber der Vergangenheitsverbrauch ist nicht immer gleichzusetzen mit dem Zukunftsverbrauch." (Heinrich Strütt, Leiter Beschaffung) Die Kunst der Beschaffung liegt also darin, ausgehend von Erfahrungswerten, Zukunftswerte zu antizipieren. Die formelle Prozessstrukturierung auf der Grundlage des hauseigenen ERP-System, „SIVAS“, mit den Angaben zu Vorbestellung, Workflow und so weiter können diese Vorannahmen mit Daten füttern; wie jede mathematische Formel entsprich sie letztendlich aber einem Realitätsmodell und ist dementsprechend nur in bedingtem Masse nutzbar, um die tatsächliche Gegenwart und Zukunft darzustellen. Neben dem ERP-System greift die Beschaffungsabteilung dementsprechend immer auch auf die direkte Kommunikation mit den weiteren, am Berechnungsprozess beteiligten Abteilungen (Konstruktion, Verkauf, AVOR, Produktion) zurück. Die allwöchentlichen Terminkoordinierungssitzungen fungieren dabei als offiziell-informelle Prozessstrukturen und Organisationsformen, um den dichten Arbeitsfluss aufrecht zu halten. Denn neben den zeitlichen Vorgaben durch den hausinternen Produktionsrhythmus gilt es für die Beschaffungsabteilung immer auch externe Faktoren und Aspekte zu berücksichtigen, wie zum Beispiel unterschiedliche Lieferzeiten und Bedingungen je nach Standort der Zulieferfirma. „Eine der ersten Aufgaben der Konstruktion ist es, eine sogenannte Vorreservation vorzunehmen. Vorreservation ist nichts anderes als eine Stückliste, bei der das Material schätzungsweise angefordert wird. Dann kann es aber noch lange dauern, bis der Auftrag tatsächlich produziert wird. Manchmal würden wir ja gerne loslegen, aber der Kunde ist noch nicht so weit, weil vielleicht das Gebäude noch nicht fertig ist oder sonst Produkte fehlen. Wenn also der Konstrukteur tatsächlich am Auftrag arbeitet und die einzelnen Schienen detailliert zeichnet, wird der Materialverbrauch mit der Vorreservation verrechnet. Über diese Vorreservation sehe ich zugleich im System, wieviel Material ich theoretisch beschaffen muss. Aber schauen wir uns zum Beispiel diesen Auftrag hier an. Der Auftrag hat den Liefertermin für den 16. Juli. Das wird also sehr knapp. Und in diesem Fall kommt das Material aus Belgien und da ist das Material nicht gleich morgen hier. Deswegen muss ich einfach alles zusammenrechnen und antizipieren. In diesem Fall weiss ich, dass das Material in Belgien bereits verladen wurde und jetzt auf der Strasse ist. Es kommt also noch diese Woche bei uns an." (Heinrich Strütt, Leiter Beschaffung) Als Einkäufer versuchen die Mitglieder der Beschaffungsabteilung den Preisvorteil auf ihre Seite zu ziehen. Zugleich aber müssen sie immer auch übergeordnet die Materialqualität und Liefergarantie berücksichtigen. Der Preis allein erzielt nur bedingt einen Vorteil, denn wenn keines oder nur „schlechtes“ Material eingekauft ist, bedeutet dies für die Moser-Glaser ein Umsatzverlust. Ebenfalls gilt es, Kontakte mit den Zulieferfirmen zu pflegen. Heinrich Strütt umschreibt seine Tätigkeit des Einkäufers dementsprechend als „Geben und Nehmen“. „Wir machen jetzt zum Beispiel mit der Firma Prometall einen Umsatz von einer knappen Million. Aber Prometall ist nicht unser einziger Kupferlieferant. Denn fehlende Konkurrenz passt mir als Einkäufer gar nicht. Mal ist dieser Anbieter günstiger, mal jener. Und so bin ich halt auf der anderen Seite. Unser Verkäufer bekommt den Druck von unseren Kunden und ich schaue, dass ich den Preisdruck unserer Lieferanten weitergebe. Wobei, Preisdruck … der Günstigste kriegt es; keine Frage. Aber wenn ein Lieferant ein Angebot macht, dann investiert er Zeit. Und dann finde ich auch, dass er zwar keinen gesetzlichen, aber doch einen moralischen Anspruch hat, dass ich ihm auch sage, weshalb ich letztendlich wo anders eingekauft habe. Das machen nicht alle meine Einkaufskollegen. Ich mache es aber. Ich frage ihn ja als Zulieferer immer wieder an. Es ist immer ein Geben und Nehmen. Heute habe ich einem geschrieben, dass er 13% zu teuer war. So weiss er es und rechnet vielleicht das nächste Mal besser (lacht).“ (Heinrich Strütt, Leiter Beschaffung) Als Verbindungstück zwischen den planenden, zuliefernden und fertigenden Abteilungen, sprich der Konstruktion und Beschaffung einerseits sowie Produktion und Spedition anderseits, tritt die 18 Arbeitsvorbereitung (AVOR) auf. Ihre Hauptaufgabe ist es, Konstruktionspläne in Fertigungspapiere zu „übersetzen“, um so den Materialbedarf und Produktionsfluss im hausinternen ERP-System, genannt SIVAS, erfassen und zu steuern. Diese Fertigungspapiere, auch Laufkarten genannt, sind für die jeweiligen Fertigungsinseln (Sägen/Biegen; Isolieren; usw.) gedacht und beinhalten Angaben zu den entsprechenden Arbeitsprozessen. Als Verbindungsstück zwischen den einzelnen Abteilungen versucht die AVOR den Arbeitsprozess so gut wie möglich aufzuteilen, vorzubereiten und zu terminieren. Die Idee und Absicht dahinter ist die Effizienzsteigerung durch Vorbereitung, Arbeitsteilung und Zeiterfassung. „Es gibt verschiedene Lager, die den entsprechenden Fertigungsinseln zugeordnet sind. Zum Beispiel sind die Leiter im Paternoster gelagert und dieser gehört zur Abteilung Sägen/Biegen. Das Isolierpapier gehört hingegen zur Wicklerei und die ROPA-Wellen sind in der Duresca-Abteilung. Die restlichen Teile die noch dazu kommen, sind im Magazin bei Hans und Ivica. Zusätzlich zu den Fertigungspapieren erstelle ich eine Stückliste. Da ist für jeden Artikel die Menge, das Gewicht und auch der Lagerplatz angegeben. Mit diesen Informationen wissen die Leute in der Fertigung, wo sie das Material abholen können. Zusätzlich ist auf den Laufkarten auch noch ein Barcode gedruckt. Sobald die Laufkarte abgestempeltist, ist dieser Arbeitsprozess direkt im System abgezeichnet und das Material abgebucht. So ist der Lagerbestand automatisch aktuell.“ (Ralph Unterseh, AVOR) In ihrer Arbeit stossen die Mitarbeiter der AVOR immer wieder an Grenzen der Vorbereitung. Wie sehr auch vorbereitet, strukturiert und geplant wird, die eigentliche Fertigungsarbeit unterliegt der Produktion und die Liefertermine werden durch Kundenwünsche, Arbeits- und Produktionsprozesse diktiert. „Im Moment gefällt es mir nicht so, dass wir sehr chaotisch arbeiten. Wir sind unter Druck, das ist normal. Aber der Druck, den wir im Moment haben, ist stärker als zuvor. Ich habe das Gefühl, die Fertigung muss immer etwas retten, obwohl das Feuer schon gebrannt hat.“ (Ralph Unterseh, AVOR) Dennoch wäre es aber falsch, den Beitrag der AVOR gering zu schätzen. Wie so viele Arbeiten, fällt auch diese vor allem dann auf, wenn sie nicht gemacht wurde. So wie jede Abteilung leistet auch die AVOR ihren Beitrag zum Ganzen. Ihre Aufgabe ist die der Vorbereitung. Gelungen ist die Optimierung, wie folgendes Beispiel zeigt, vor allem dann, wenn sie als solche gar nicht aufgefallen ist: „Bei den Leitern versuchen wir, wenn immer möglich, auch die Zuschnitte zu verwenden. Wenn wir zum Beispiel zwei Stromschienen herstellen, die je 5 Meter lang sind, fasse ich diese in den Fertigungspapieren als eine Leiter zusammen. So können wir Materialkosten sparen. Das passt nicht immer. Manchmal legst du wieder drei Zuschnitte zurück in die Wanne, die du vielleicht später wieder verwenden kannst. Hier zum Beispiel dieser Auftrag. Wie kann ich das am besten optimieren? Es handelt sich um 15 Schienen. Im schlimmsten Fall müssen wir 15 Leiter verwenden. Die längste ist zum Beispiel 8,35 Meter lang und die kürzeste 3,76 Meter. Ich werde hier sicher ein paar Schienenaufträge für eine Leiter von 10 Meter Länge zusammenfassen können, aber eben nicht alle. Vielleicht habe ich aber auch ältere Reststücke, die sich verwenden lassen.“ (Ralph Unterseh, AVOR) 2.4. Entwicklung und Prüffeld Eine wichtige Rolle im Gesamtpack des Engineering der Moser-Glaser kommt der Entwicklungsabteilung zu. Ihr unterliegt die Weiterentwicklung und Prüfung der Produktreihen. In diesem Zusammenhang stellt sie sich dem Tagesgeschäft, sprich der Routinen- und Typenprüfungen von Stromschienen und Durchführungen sowie der technischen Begleitung der Fertigung und Konstruktion, beispielsweise in der Defektanalyse oder der Berechnung und Parametrisierung elektrischer, dielektrische, thermischer und mechanischer Anforderungen an die Stromschienen und Durchführungen. Um diesem Anforderungspaket gerecht zu werden, arbeiten alle 19 Entwicklungsabteilungen der gesamten Pfiffner-Gruppe so gut es geht zusammen. Eigens hierfür wurde eine spezifisches Forschungs- und Entwicklungsabteilung, die Pfiffner F&E in Hirschtal, eingerichtet. Immer auch mit dem Ziel im Hinterkopf, marktrelevanten Innovationsthemen vorausgreifen zu können. „In der Entwicklung dominiert eigentlich das Tagesgeschäft und wenn Innovation läuft, sind das geringe Verbesserungen. Das haben wir eigentlich alle erkannt und sind aus diesem Kreis nie rausgekommen. Aus dem Grund haben wir in der Pfiffner-Gruppe eine separate Forschungs- und Entwicklungsgruppe realisiert. Damit uns der Markt nicht davonrennt. Ich bin leider nur einmal die Woche in Hirschthal und versuche dann Innovationsprojekte voranzubringen, die etwa 3-5 Jahre vorausgreifen. Es ist zwar immer noch zu wenig, aber es ist viel besser als gar nichts." (Nobert Koch, Leiter Entwicklung) Als Zulieferfirma innerhalb der globalen Stromindustrie ist die Moser-Glaser immer auch von internationalen Tendenzen und Entwicklungen betroffen. So zum Beispiel erzeugen die politischen Diskussionen über „Energiewende“ und „Energieeffizienz“, aber auch der zusehends globalere Stromhandel für die Moser-Glaser immer auch neue Herausforderungen, denen sie sich mit ihren Produkten stellt. Die Entwicklungsabteilung ist in dieser globalen Aushandlung lokal gefordert: sie muss schauen, dass sie Stromschienen- und Durchführungen an internationale Bedingungen anpasst. „Das wichtigste Thema im Energiebereich ist derzeit: Genauigkeit. Früher hing das Netz meistens an einem grossen Kraftwerk mit einem riesigen Generator. Dieser lief und alles war konstant. Jetzt haben wir im Netz sehr viel Strom aus der Windenergie. Zudem wird Strom auch an der Börse gehandelt. So ist die Spannung im Netz weniger konstant. Da wird in Etappen von 15 Minuten hin- und hergeschaltet. Sprich, an der Börse wird alle 15 Minuten nach den Strompreisen gefragt, um danach zwischen einem französischen Kernkraftwerk und einem Windpark irgendwo in der Nordsee hin und her zu schalten. Das alles belastet das gesamte Netz. Früher hingegen war das Netz vergleichbar mit einem Zug, der konstant ist eine Geschwindigkeit fährt. Heute ist es wie auf der vollen Autobahn, mal voll 180 km/h und dann wieder nur 60 km/h, dann wieder voll 180 km/h. Das belastet die ganze Hochspannungstechnik und alle Übertragungsmittel. Im Moment ist unsere Hauptaufgabe, genau zu messen, was bei diesen Belastungen alles passiert. Aus der Diagnose heraus, versuchen wir dann die Eigenschaften all unserer Schienen zu verbessern. Die Frage lautet dabei: was müssen wir ändern, damit wir keine Schäden haben? Weiter können lange Netzverbindungen über viele Kilometer hinweg nicht mit Wechselspannung, sondern nur mit Gleichspannung betrieben werden. Ein Beispiel: Wegen der Wechselspannung verliert das deutsche Netz bei der Übertragung etwa 11% Strom. Das heisst 11% der Energie, die in Deutschland produziert wird, geht über die Leitungen verloren. Mit dieser verlorenen Energie liessen sich problemlos alle Haushalte in Deutschland umsonst mit Strom versorgen. Die Übertragung von Gleichspannung hat demgegenüber deutlich weniger Verluste. Die Zukunft liegt deshalb in der Gleichspannung. Dieser Entwicklung müssen wir folgen. Wir dürfen da nicht abgehängt werden." (Norbert Koch, Leiter Entwicklung) In diesem internationalen Wettbewerb hat die Moser-Glaser als KMU im Vergleich zu Grossunternehmen mit ihren eigenen Forschungszentren und Kooperationen mit der Wissenschaft keine leichte Aufgabe, wie Norbert Koch betont: „Einstein hat einmal gesagt: „10% Inspiration, 90% Transpiration“. Also wenn etwa die ABB irgendwann eine papierlose Durchführung auf den Markt bringt, dann müssen wir theoretisch in einem Jahr dasselbe auch anbieten können. Dies ist manchmal, um es sportlich zu sagen, nicht ganz einfach. Aber wir möchten am Markt bestehen. Deshalb können wir es uns nicht leisten zu sagen, ‚interessiert uns nicht, das hat immer so funktioniert, das machen wir weiterhin so‘. Das können wir uns als KMU nicht leisten.“ (Norbert Koch, Leiter Entwicklung) In der Moser-Glaser entspringt die Entwicklungsabteilung dementsprechend vor allem einer Notwendigkeit weiterhin erfolgreich bestehen zu können. Innovation verkommt somit nicht zu einem Luxusgut, sondern zu einer immanenten Anforderung. Die Entwicklungsabteilung arbeitet an unterschiedlichsten Themenfeldern gleichzeitig und versucht mit ihren Berechnungen und 20 Parametrisierungen auch eine Vereinfachung des arbeitsteiligen und spezialisierten Produktions- und Arbeitsprozesses voranzubringen. Entwicklung ist bei der Moser-Glaser also sehr breit gefasst. „Innerhalb der Entwicklung kümmere ich mich um die Stromschiene, also Produkt- und/oder Prozessentwicklung. Weiter arbeite ich an Berechnungsprogrammen. Diese müssen auf den neusten Stand gebracht werden. [...] Diese Berechnungsprogramme dienen einerseits dem Verkauf für die thermische Auslegung, also zur Berechnung der Länge der Leiter und der Isolation. Weiter geht es auch um die elektrische Feldverteilung, so dass die Schienen nicht überschlagen und abschliessend geht es auch um mechanische Berechnungen. Insbesondere wenn es bei den Schienen einen Kurzschluss gibt, verursachen diese hohen Ströme sehr hohe Kräfte, die abgefangen werden müssen. Die Zielsetzung bei diesen Berechnungsprogrammen ist, dass der Verkauf und die Konstruktion ca. 80% ihrer Fragestellungen selber erledigen können und nur noch ca. 20% spezielle Anfragen zu uns in die Entwicklung kommen.“ (Frank Brodbeck, Entwicklung) Desweiteren ist die Entwicklungsabteilung, wie bereits erwähnt, für die Prüfung der Stromschienen und Durchführungen zuständig. Konkret heisst das, dass alle Aufträge einer Routineprüfung unterzogen werden bevor sie das „Haus“ verlassen. Die Prüfungstechniker unterscheiden dabei je nach Schienen- und Durchführungstyp zwischen Vor-, Zwischen- und Endprüfungen. „Bevor die Schienen und Durchführungen unser Haus verlassen, müssen alle geprüft werden. Es geht darum, dass alle funktionieren und keine Defekte vorweisen, sonst kann es lebensgefährlich werden. Diesbezüglich unterschieden wir zwischen Vorprüfung, Zwischenprüfung und Schlussprüfung. Gewisse Schienentypen sind nach dem Ofen, was die Produktion betrifft, praktisch fertig. Deshalb gibt es da nur eine Schlussprüfung. Andere Schienentypen benötigen hingegen noch Nacharbeit, entweder mechanisch oder bei den Erdungskontakten. Für diese Typen gibt es eine Vorprüfung, und wenn das alles fertig ist eine Schlussprüfung. Diese Unterscheidung dient der Prozessoptimierung. So können wir vermeiden, dass wir an defekten Schienen arbeiten. Alle Prüfungen werden zudem protokolliert, damit im Falle eines Defekts nachgeschaut werden kann.“ (Christian Burget, Entwicklung, Prüffeld) In Kaiseraugst verfügt die Moser-Glaser aktuell über zwei Prüffelder unterschiedlicher Grösse. Mit dem geplanten Anbau wird alsbald noch ein drittes für den Höchstspannungsbereich hinzukommen. In den Prüffeldern arbeitet die Entwicklungsabteilung eng mit der Produktionsabteilung zusammen. Parallel zu den alltäglichen Routineprüfungen müssen zugleich auch Innovations- und Entwicklungsthemen vorangebracht werden. Dementsprechend fallen auch Typen- und Entwicklungsprüfungen an. Diese mehrfache Auslastung gilt es zu meistern. Die Prüfungstechniker übernehmen diesbezüglich eine wichtige Rolle. „Wir sind zwar nicht direkt mit der Produktion verbunden, aber wir sind abhängig davon. D.h. alles, was aus dem Ofen kommt oder in die Spedition geht, ist zu prüfen. Eigentlich entsprechen wir daher dem Endposten der Produktion. Nur geprüfte Produkte können auch tatsächlich verschickt und verrechnet werden. Meistens sind wir Ende Monat unter Druck. Insbesondere wenn der Umsatz nicht ganz stimmt. Dann heisst es 'schnell, schnell, schnell'. Parallel dazu läuft dann die ganze Entwicklung. D.h. wenn wir zum Beispiel neue Prototypen herstellen, gibt es eine sogenannte Typenprüfung. Diese Prüfungen sind komplexer und dauern länger. Da geht es um Erwärmungs- und Stossprüfungen." (Christian Burget, Entwicklung, Prüffeld) Prüfungen können je nach Produkttyp und Spannung unterschiedlich aufwändig und zeitintensiv sein. Zudem wird hier im Mittel- und Hochstrombereich gearbeitet. Obschon die Prüffelder sicherheitstechnisch neusten Standards entsprechen, müssen die Prüfungstechniker in ihrem Alltag stets Verantwortung, Sicherheit und Vorsicht walten lassen. Ihre Arbeit erfordert volle Konzentration, insbesondere in Druck- und Stressphasen. „Je höher die Spannungen, desto zeitaufwändiger wird es. Seit zwei Jahren produzieren wir auch 245 und 300 Kilovolt-Durchführungen. Von diesen prüfst du eigentlich maximal drei pro Tag. Wenn sie dir deshalb am Donnerstag sagen, dass sechs Durchführungen am Freitag verschickt werden müssen, dann kannst du ihnen lange erzählen, dass maximal nur drei pro Tag machbar sind. Dann musst du arbeiten, und so arbeitest du einfach länger und fängst früher an. Die Prüfungsdauer ist für eine Durchführung genau vorgegeben. Da geht es um Aufbau, ins Öl 21 setzen und Standzeit. Nachdem sich das Öl beruhigt hat, setzt du 30 Minuten Spannung drauf. Danach musst du das Ganze abbauen und für die nächste Prüfung wieder aufbauen, sprich die Stossanlage nach vorne und wieder nach hinten schieben." (Christian Burget, Entwicklung, Prüffeld) „Das liegt vor allem daran, weil das Prüffeld zu klein ist.“ (Claude Enderlin, Entwicklung, Prüffeld) „Wir haben kaum Platz und die Distanzen reichen nicht, deshalb müssen wir es immer wieder zurückschieben. Es kam schon vor, dass wir an einem Tag sechs Stück geprüft haben. Am Abend bist du dann ein bisschen müde. Zudem musst du immer konzentriert sein. Du kannst nicht einfach irgendetwas machen. Zwar ist vom Prüffeld her alles abgesichert, sprich wenn eine Türe aufgeht, fällt die ganze Steuerung raus. Aber Schienen und Durchführungen sind wie ein grosser Kondensor, der immer geladen bleibt. Dementsprechend hat es immer noch Restladung drauf. Wenn du das berührst, kriegst du noch einen leichten Stromschlag. Deshalb ist es wichtig, zuerst immer alles zu entladen bevor du ins Prüffeld reingehst. Angst habe ich keine davor, aber Respekt davor ist notwendig." (Christian Burget, Entwicklung, Prüffeld) Falls eine Stromschiene oder Durchführung die Prüfung nicht besteht, führt dies zu einer Fehlermeldung. Die Prüffelder arbeiten diesbezüglich computergestützt, aber nicht automatisiert. So gesehen ist es immer Aufgabe der Entwicklungsabteilung, abweichende Messwerte „richtig“ einzuschätzen, um weiterführender Arbeitsschritte in die Wege zu leiten. 22 Abbildung 6: Ostoja Cvijic, Konstruktion Abbildung 7: Ifrid Rudolf, Produktion & Unterhalt Abbildung 8: Heinz Ramseyer, Produktion, Gruppenleiter Verguss: Tiresca/Silicon 23 Abbildung 9: Flamur Xhiha, Spedition, Wareneingang und Endkontrolle Abbildung 10: Ralph Unterseh, AVOR Abbildung 11: Christian Burget, Prüftechniker, Entwicklung 24 Abbildung 12: Daniel Schär, Produktion, Gruppenleiter Bearbeitung/Schweissen Abbildung 13: Antonio Preite, Produktion, Gruppenleiter Säge/Biegen 25 Abbildung 14: Prüffeld Abbildung 15: Claude Enderlin, Prüftechniker, Entwicklung 26 Abbildung 16: Produktionshalle Kaiseraugst Abbildung 17: Produktionshalle Kaiseraugst, Abteilung Duresca 27 2.5. Produktion Nachdem ein Kundenauftrag bestätigt ist und die Konstruktion ihre Fertigungspläne erstellt hat, beginnt die Produktionsabteilung mit der Herstellung der Stromschienen und Durchführungen. Unterstützt wird sie dabei von der AVOR, der Arbeitsvorbereitung. Als Grundlage dient ihr weiter das (Roh-)Material, welches von der Beschaffungsabteilung zur Verfügung gestellt wird. Die Produktionsabteilung teilt sich in fünf Teilbereiche auf: Sägen/Biegen, Isolieren, Duresca/Malerie, Bearbeitung/Schweissen, Verguss: Silicon/Tiresca. Diese Bereiche unterstehen jeweils einem Gruppenleiter, respektive Vorarbeiter und seinem Stellvertreter. Die Produktionsabteilung wiederum wird als Ganzes von einem Produktionsleiter und seinem Stellvertreter geführt. Der Produktionsprozess zeichnet sich auch hier durch seine Arbeitsteilung und Interdependenz aus und muss die Anforderung gerecht werden, sowohl Seriencharakter zu haben, sprich wiederholbar zu sein, wie gleichzeitig äusserste Flexibilität und Spezialisierung zu gewährleisten. Abbildung 18: Der Produktionsprozess und die Materialströme Der Produktionsprozess ist ein komplexes Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine. Er basiert sowohl auf manueller, wie auch maschineller Arbeit. Angefangen bei der Säge- und Biegemaschine, der (Alufolien-)Schneid- und Isoliermaschinen, über die je zwei vertikalen und horizontalen Öfen, bis hin zu den Drehbänken und Fräsmaschinen sowie den zwei Isoliermaschinen steuern die Mitarbeiter unterschiedlichste Maschinen für die Herstellung der Stromschienen und Durchführungen. Diese Maschinen erleichtern einerseits und ermöglichen anderseits überhaupt erst die Herstellung der Stromschienen und Durchführungen. Dem Ofen beispielsweise kommt im ganzen Produktionsprozess eine bedeutende Stellung zu: die vollisolierten Duresca-Stromschienen und Durchführungen werden hier in einem komplexen und mehrere Tage dauernden Ofenprozess nach unterschiedlichen Rezepturen getrocknet und unter Vakuum und unter erhöhter Temperatur mit Harz vergossen. Der Ofen als solcher muss aber zuerst einmal von Menschen beladen werden; unterstützt werden die Arbeiter dabei von Hebe- und Kranvorrichtungen. Andere Maschinen hingegen wie etwa die Säge- und Biegemaschine oder auch die gesteuerten Drehbänke und Fräsen dienen der 28 maschinenunterstützten Fertigung: hier geht es vor allem darum, dass Arbeitstempo zu intensivieren und die körperliche Arbeitsleistung zu erleichtern. Daneben und parallel dazu finden sich aber etliche Arbeits- und Produktionsschritte, die immer noch von Hand durchgeführt werden. So werden die gebogenen Stromschienen in der Isolierabteilung von den Mitarbeitern sorgfältig und äusserst präzise Bogen für Bogen, Stück für Stück von Hand gewickelt, sprich mit Klett-Papier und Alufolien isoliert. Ebenso lassen sich etliche Stromschienenaufträge aufgrund ihrer Grösse oder den Formen nicht maschinell biegen, sondern müssen mit einer Flamme erhitzt und mit einer maschinell- unterstützen Zugvorrichtung nach entsprechendem Biegewinkel Stück für Stück geformt werden. Als Prozess ist die Produktion auf verschiedene Fertigungsinseln verteilt. Die Fertigungsmaterialien und Komponenten werden dabei so es geht, als Fluss und Strom durch und zu den einzelnen Abteilungen geschleust. Ziel ist es dabei, möglichst effektiv den Prozess stets am Laufen zu halten. In Anbetracht der knappen Platz- und dichten Produktionsverhältnisse, vor allem aber der teils unübersichtlichen und als fehlend monierten Produktionskoordinierung, gelingt dies nach Meinung der Mitarbeiter aber nur bedingt. „Hast du schon mal den ganzen Materialtransport zwischen den einzelnen Abteilungen gesehen? Schau! Das ist zum Beispiel eine DG-Schiene. Diese müsste eigentlich zuerst in die Mechanik-Abteilung und dann in die Malerei. Wenn aber der Schweisser keine Zeit dafür hat, weil er andere, wichtigere Arbeit zu erledigen hat, geht die Schiene zuerst mal in die Malerei, um geschliffen zu werden. Bevor sie aber angemalt werden kann, müsste sie geschweisst sein. Deshalb geht das immer hin und her. Hast du weiter den Eingang zur Malerei gesehen? Sehr mühsam, bis du da mit der Schiene drinnen bist. Danach folgt die Schlussprüfung und ab in die Spedition. Jetzt kannst du dir mal ausrechnen, welchen Weg eine Schiene zurücklegt. Zusätzlich siehst du ja das ganze Material, das hier herumsteht. Nicht ganz einfach, oder?“ (Christian Burget, Entwicklung, Prüffeld) Unterstützt werden Transport und Verschieben des Materials zwischen und in den einzelnen Fertigungsinseln durch ein Hebe- und Kransystem, welches so gut es geht, die einzelnen Abschnitte der Produktionshalle abdeckt. Auffallend ist aber vor allem, wie viele Fertigungskomponenten und Produkte mit Paletten, Wagen und Rollvorrichtungen bewegt werden: diese Transportarbeit ist immanenter Bestandteil des Produktionsprozesses. Immer wieder müssen Paletten und Wagen beladen und entladen werden, um so die Fertigungskomponenten und Produkte zwischen den einzelnen Abteilungen hin und her zu bewegen, sei dies von der Säge zur Mechanik-Abteilung, von der Verguss- und Silikonabteilung zum Prüffeld und weiter zur Spedition. Das Heben- und Kransystem dient dabei als maschinelle Unterstützung für das Beladen und Entladen der Paletten und Rollvorrichtungen. In den nun folgenden Unterkapitelen schauen wir uns den Produktionsprozess im Detail an. a) Säge/Biegen Der erster Produktionsschritt in der Herstellung von Stromschienen und Durchführungen erfolgt in der Abteilung „Biege/Säge“. Die zugelieferten Alu- oder Kupferleiter werden hier je nach Auftrag in der entsprechenden Länge zugeschnitten und nach den entsprechenden Ausrichtungen gebogen. Als Grundlage hierfür dienen die Konstruktions- und Fertigungszeichnungen, sowie die Laufkarten der Arbeitsvorbereitung. Ausgehend davon organisiert und verteilt der Gruppenleiter die Arbeit innerhalb der Abteilung. Sinn und Zweck dieser Arbeit ist es, die jeweiligen Stromleiter so zu formen, dass sie als Komponente und Schienen exakt in die übergeordnete Anlage, respektive den Trafo, passen. Der Abteilung stehen hierfür zwei Sägen, sowie eine Biegemaschine zur Verfügung. Je nach Leiterdurchmesser und Biegewinkel, kann es aber sehr gut vorkommen, dass die Biegearbeit nicht nur maschinell erfolgt, sprich: gewisse Leiter müssen auf einer Werkbank fixiert, mit einer Flamme erhitzt und durch eine elektro-mechanische Zugvorrichtung in der jeweiligen Ausrichtung gebogen werden. Weiter unterliegt der Abteilung auch die Lagerung der Alu- und Kupferleiter im eigenen Paternoster, einem Wannenlagerungssystem. 29 „Das Material wird vorne aus dem Lastwagen abgeladen und bei Flamur Xhiha im Materialeingang dokumentiert. Danach kommt es zu uns und wir lagern es in den Wannen des Paternosters. Je nachdem welche Arbeit gerade ansteht, werden die Leitern herausgenommen und an der Säge nach Mass zugeschnitten. Je nach Typ und Auftrag gehen die Leitern danach entweder in die Mechanik-Abteilung für die Bearbeitung, kommen zu mir zum „Biegen“ oder gehen direkt zu Ralf in die Isolierabteilung. Beim Biegen nehme ich die Konstruktionszeichnungen zur Hand und schaue mir die Winkel, Bögen und Kurven genau an. Damit ich mir das Ganze dimensional vorstellen kann, mache ich mir stets mit meinem kleinen Kupferdrahtmodell ein Beispiel. Die Konstruktionszeichnung gibt dir die Schiene nur auf dem Papier wieder. Wir aber müssen die Schiene in ihren Bogen und Kurven genau umsetzen. Wenn ich mit der Maschine biege, gebe ich alle Parameter richtig ein und führe den Vorgang Bogen für Bogen aus. Wir haben die Maschine jetzt so kalibriert, dass sie ganz genau biegt. Ein bisschen musst du nämlich stets überbiegen damit es dann tatsächlich stimmt. Wenn ich hingegen mit der Flamme biege, fixieren wir die Leiter auf der Werkbank, erhitzen und biegen dann mit der Zugvorrichtung. Mit dem kleinen Holzstück, welches ich dir vorher gezeigt habe, können wir „messen“ ob die Aluleiter genügend erhitzt ist, um gebogen zu werden." (Antonio Preite, Produktion, Gruppenleiter Säge/Biegen) b) Isolieren Nachdem die Alu- und Kupferleiter in der vorgegebenen Form zugeschnitten und gebogen sind, setzt der zweite Produktionsschritt ein: das Isolieren. Wichtig hierbei ist, dass die Stromleiter dafür zuerst einmal „egalisiert und geputzt“ werden, sprich: durch den Transport, das Zuschneiden und das Biegen können sich auf den Stromleitern kleine Späne, Einbuchtungen und „Spitzen“ befinden; diese müssen vor der eigentlichen Isolierarbeit weg- und glattpoliert werden. Ansonsten könnte dieser „Dreck“ Leiter- und Isolierdefekte nach sich ziehen. Nach der Egalisierung werden die Stromleiter je nach Typ und Auftrag mit Alufolien und Klettpapier isoliert sowie mit Erdungsanschlüssen versehen. Das Besondere an der RIP-Isoliertechnologie der Moser-Glaser besteht in der mehrschichtigen Wicklung der Stromleiter mit Alufolien und Klettpapier, sowie dem später folgenden Harz-Verguss im komplexen Ofenprozess. Desweiteren ist die Isolierabteilung räumlich von der übrigen Produktionswerkhalle abgetrennt und mit einem leichten Überdruck und einer konstanten Luftfeuchtigkeit versehen. Dies damit beim Wickeln der Stromleiter stets gleiche Feuchtigkeitsverhältnisse vorherrschen und keine oder zumindest kaum Staub- und Schmutzpartikel in der Luft vorhanden sind, die je nachdem in die Isolierschichten gelangen können. Die eigentliche Wickel- und Isolierarbeit mit Klettpapier und Alufolie wird von den Mitarbeiterinnen entweder von Hand, maschinell oder mit maschineller Hilfe durchgeführt. Entscheidend ist, ob es sich dabei um gerade Durchführungen oder gebogene Stromschienen handelt: erste können in Isoliermaschinen eingespannt und je nachdem voll- oder teilautomatisiert gewickelt werden, letztere hingen sind aufgrund der Kurven und Bögen von Hand zu isolieren. Organisiert und geleitet wird die Abteilung durch den Gruppenleiter. Seine Aufgabe ist es zudem, ausgehend von den Fertigungsplänen, exakte Massbänder und Massstöcke für die entsprechenden Isolieraufträge herzustellen. Dieser „Bänder und Stöcke“ bedienen sich die Mitarbeiterinnen. Sie können daran stets abmessen, ob der vorgegebene Isolierdurchmesser und die Wickellänge eingehalten sind. Eindrücklich ist dabei, wie die Mitarbeiterinnen die vorgegebenen Masse in Hand- und maschinenunterstützter Arbeit exakt einhalten. Die Mitarbeiterinnen sprechen dabei von einer „Feinkalibrierung“ und einem „Isolierrhythmus“; beides führen sie auf ihr Erfahrungswissen und Antizipierungsvermögen zurück, welches sie sich über die Jahre angeeignet haben. c) Duresca und Ofen Nach dem Isolieren folgt als dritter Produktionsschritt die „Duresca“. In dieser Abteilung befinden sich vier Öfen, zwei horizontale für die Stromschienen und zwei vertikale für die Durchführungen. Der Ofenprozess bildet einen wichtigen und bedeutenden Kernaspekt in der Produktion der 30 vollisolierten Stromschienen und Durchführungen der Moser-Glaser. Der Prozess als solcher setzt sich zusammen aus Trocknen, Imprägnieren, Gelieren und Aushärten. In den Öfen werden die gewickelten Stromleiter unter Vakuum und erhöhter Temperatur mit speziellen Harzgemischen vergossen. Diese gesteuerte Prozedur variiert je nach Rezeptur, Auftrag und Typ und dauert in der Regel mehrere Tage. Dementsprechend bestimmen die Öfen auch den Produktionsrhythmus mit. Die grossen horizontalen Ofen werden in der Regel zweimal pro Woche ein- und ausgeladen. „Der Ofen läuft nach verschiedenen Programmen. Beladen wird er an bestimmten Tagen. Im Ofen finden folgende Prozesse statt: Trocknungsphase, Vakuum, Harz einfüllen und nochmals Trocknen. Das dauert in etwa eine Woche. An einem normalen Donnerstag geht es hier deshalb hektisch zu und her. Abladen, beladen und der Platz ist knapp. Da schiebst du das Material hin und her. Für einen neuen Mitarbeiter kann das schwierig sein. Nicht aber für mich, denn das ist meine Arbeit. Wenn du zudem mit dem Kopf arbeitest, kannst du dir gewisse körperliche Anstrengung erleichtern. Zum Beispiel diese Schiene hier mit ihren drei Bogen; da musst du genau wissen, wie die Hebevorrichtung anzubinden ist, so dass du mit dem Kran arbeiten kannst. Am Anfang wussten wir nicht genau, wie das geht. Da haben wir immer mit Kraft gearbeitet. Wenn du also überlegst, ist es eigentlich nicht allzu mühsam. Wenn du aber lange arbeitest, so 14, 15 bis 16 Stunden, dann bist du müde. (Gökce Sahin, Produktion, Stellvertreter Gruppenleiter, Duresca) Die Abteilung „Duresca“ ist zuständig für das Beladen der Öfen. Sie unterscheidet dabei zwischen „Einformen“ und „Ausformen“. „Einformen“ meint dabei alle Schritte und Arbeiten, die notwendig sind, bis die isolierten Stromleiter vergussbereit im Ofen sind und beinhaltet je nach Typ etwa das Überstülpen der ROPA-Welle, respektive der Chromstahlwelle- und Aluminiumschutzrohre, sowie das Anbringen der Silikonabdichtung mit Harz-Einlass und Auslass, auch „Pfiffli“ genannt. „Ausformen“ beschreibt demgegenüber alle Arbeitsschritte, die nach dem erfolgten Ofenprozess nötig sind, damit die Stromschienen und Durchführungen ihren weiteren Weg im Produktionsprozess fortführen können und beinhaltet beispielsweise, das Saubermachen aller Kontakte, das Wegschneiden des „Pfiffli“, das „Wegputzen“ aller Harzreste am Produkt. Desweiteren gehört auch die Malerei zur Duresca-Abteilung. Je nach Schienentyp, beispielsweise den DG-Schienen, sind nach dem Ofenprozess zusätzliche Schleif-, Mal- und Lackierarbeiten nötig. Das eigentliche Beladen der Öfen erfolgt mit grossen Wagenplattformen, die in den Ofen gefahren werden können. Auch hier kommen Kranvorrichtungen zum Einsatz, um die schweren Schienen zu bewegen: gezerrt und justiert wird aber immer noch von Hand. Allgemein gesprochen liegt die Kunst des Beladens also darin, die Öfen „perfekt“ auszulasten. Die Produktionsleitung entscheidet in Zusammenarbeit mit der Arbeitsvorbereitung und ausgehend von den anstehenden Aufträge, wie sich die jeweiligen Ofenchargen zusammensetzen. Die Produktionsleitung trägt weiter auch die Verantwortung für den Ofenprozess und die wertvolle Charge. „Wenn so eine Ofen-Charge kaputt geht, dann sind schnell mal 100'000 Schweizer Franken weg. Da muss sich einer mit dem Zeugs befassen, sonst hat es keinen Wert!“ (Ifrid Rudolf, Produktion Verguss & Unterhalt) Aufgabe und Arbeit der Duresca-Mannschaft ist es, diese Stromschienen in den Ofen zu befördern. Die Herausforderung und tatsächliche Kunst des Beladens liegt auch darin, wie die verschieden gebogenen Stromschienen unterschiedlicher Grösse so in- und durcheinander zu platzieren, dass sie erstens Platz haben und zweitens auch „richtig“ im Vakuum mit Harz vergossen werden können. Dieser Herausforderung hat sich die Duresca-Mannschaft mit jeder Ofencharge zu stellen. Geleitet und organisiert wird die Abteilung vom Gruppenleiter. Er ist dafür verantwortlich und zuständig, dass die entsprechende Charge auch im Ofen getrocknet und vergossen werden kann. „Ich bin verantwortlich für die Duresca-Abteilung. Seit sechs Jahren bin ich Gruppenleiter, seit 26 Jahren arbeite ich bei Moser-Glaser. Ich war immer in der Duresca-Abteilung; einformen, ausformen und giessen. Wenn meine Mannschaft am Morgen zur Arbeit kommt, habe ich mit der Arbeitsmappe bereits geplant, wer was machen muss. Die AVOR gibt mir eine Liste für jede Ofenladung und ich schaue dann, dass die Arbeit auch tatsächlich gemacht und zuvor schon vorbereitet ist. Jede Woche beladen wir zweimal: Montag und Donnerstag. Beim Beladen 31 müssen wir stets korrigieren und die Ausrichtung wechseln damit es schlussendlich in den Ofen passt. Wie du sicher weisst, kommen keine geraden Schienen oder Schienen in L-Form. Das ist die Herausforderung bei unserer Arbeit." (Eser Musa, Produktion, Gruppenleiter Duresca) Hans Ramseyer, langjähriger Produktionsmitarbeiter der Moser-Glaser und aktueller Gruppenleiter der Abteilung „Verguss: Tiresca/Silicon“ beschreibt die Arbeit der Duresca-Mannschaft am Ofen wie folgt: „Hast du schon zugeschaut, wie sie den Ofen beladen? Das musst du dir mal ansehen. Das sind Spezialisten, und diese Typen sehen, auch wenn sie die Schienen am Boden haben, wie sie alles in den Ofen kriegen. Fantastisch! Das ist wirklich grossartig! Die Konstruktion arbeitet ja mit einem 3D-Programm. Da können sie genau nachschauen, ob die Schiene in den Ofen passt oder nicht. Die Duresca-Abteilung, Musa, Sahin und all die anderen haben ihr 3D-Programm hingegen im Kopf. Vor allem aber geht es bei ihnen nicht nur darum, ob eine einzige Schiene passt; bei Ihnen geht es darum, dass 50 Schienen in den Ofen passen. Nicht ganz einfach, oder? Vor allem, wenn da vorne einer immer Bogen reinmacht (lacht).“ (Heinz Ramseyer, Produktion, Gruppenleiter Verguss: Tiresca/Silicon) d) Bearbeitung/Schweissen In der Abteilung „Bearbeitung/Schweissen“ werden Alu- und Kupferleiter sowie Stromschienen und Durchführungen mechanisch bearbeitet. Dabei werden an den Stromleitern unterschiedlichste Fräs- und Bohrarbeiten vorgenommen sowie Flanschen für Durchführungen und Flachanschlüsse für die Stromschienen gefertigt, respektive geschweisst und angebracht. Eindrücklich ist dabei, wie viele unterschiedliche Arbeiten an einzelnen Stromschienen- und Durchführungsaufträgen in dieser Abteilung ausgeführt werden. Dabei kann es ohne weiteres vorkommen, dass eine Stromschiene und Durchführung im gesamten Produktionsprozess je nach Typ und Auftrag bis zu dreimal vorbei kommt mit entsprechenden Laufwegen sowie dem Auf- und Abladen, die dies auch beinhaltet. Da es sich zudem bei den Produkten der Moser-Glaser um komplette Lösungen handelt, geht es in der Mechanik-Abteilung, wie sie informell auch genannt wird, auch darum, die entsprechenden Befestigungskomponenten der Stromschienensysteme selber zu fertigen. In diesem Zusammenhang arbeitet die Abteilung sowohl mit den Mitarbeitern der Säge als auch des Lagers zusammen. Für all diese und weitere mechanische Arbeiten am Produkt ist das Team der Abteilung „Bearbeitung/Schweissen“ zuständig. Dabei greift sie je nach Arbeit sowohl auf computergesteuerte wie auch auf konventionelle Drehbänke, Fräs- und Bohrmaschinen sowie Schweisseinrichtungen zurück. Daneben erlaubt und vollzieht eine eigene Mechanik-Abteilung auch diverse Arbeiten an den eigenen Werkzeugen, sei dies beispielsweise in der Fertigung von Schienenhalterungen auf Rädern, für das herumschieben der Stromschienen und Stromleitern. Geleitet wird die Abteilung vom Gruppenleiter. Er organisiert, strukturiert und verteilt die Arbeit unter den einzelnen Mitarbeiter, so dass vorgegebene „Laufkarten“ termingerecht bearbeitet sind. „Hier in der Moser-Glaser machen wir verschiedene Einzelteile, bei denen man auch ein bisschen mechanisch tüfteln muss. Das gefällt mir. Bei anderen Firmen hingegen kann es auch sein, dass du als Mechaniker den ganzen Tag an deiner Drehbank bist und deine paar Programme durchlässt. Hier hingegen haben wir noch diese alte Maschine da. Die ist von früher, von Muttenz. Gleichwohl brauchen wir sie immer wieder mal und eigentlich noch recht viel, beispielsweise um schnell ein Loch zu machen oder noch schnell etwas zu senken. So sind wir äusserst flexibel. Manchmal denke ich aber auch, dass vielleicht nicht allen immer bewusst ist, wie flexibel wir hier hinten in der Mechanik-Abteilung sein müssen. Derzeit haben wir zum Beispiel gerade fünf, sechs, sieben Arbeiten gleichzeitig.“ (Daniel Schär, Produktion, Gruppenleiter Mechanik) 32 e) Verguss: Tiresca/Silicon Die Abteilung „Verguss:Tiresca/Silicon“ vereint verschiedene Produktionsbereiche. So werden zum einen ungesteuerte Tiresca-Stromschienen fertiggestellt, sprich mit Harz vergossen. Ungesteuert meint, dass die Stromschienen keine Ofenprozesse durchlaufen. Weiter werden die Durchführungen mit Flanschanschlüssen versehen, die zuvor in der Mechanik-Abteilung gefertigt und geschweisst wurden. Diese Anschlüsse gilt es zudem bei jeder einzelnen Durchführung nach Dichte zu prüfen, damit sie später als Teil eines Trafo kein Öl ausfliessen lassen. Zum anderen werden in der Abteilung seit Kurzem mit zwei Silikonmaschinen hausintern Silikonabschirmungen an Durchführungen vergossen. Dieser Prozess ist komplex und dokumentiert eindrücklich den Tatbestand, dass in der Moser-Glaser seit etwa 10 Jahren vermehrt eine hausinterne Produktionserweiterung sowie Technik- Wissensaneignung stattfindet. „Das hier ist unsere neue Silikonmaschine. Wie wir uns dieses Wissen angeeignet haben? Vor 10, 12 Jahren haben wir in Muttenz angefangen von Hand mit einfachen Giessformen auszuprobieren und dann konnten wir das Schritt für Schritt weiterentwickeln mit Oliver Härdi als Produktionsleiter. Wir haben es einfach gemacht. Wir waren einfach die, die es gemacht haben. Das war der Anfang der Silikonprozesse bei Moser-Glaser. Danach ging es Schritt für Schritt weiter mit Maschinen und Parametrisierung.“ (Heinz Ramseyer, Produktion, Gruppenleiter Verguss: Tiresca/Silicon) Desweiteren untersteht der Abteilung auch die Fertigung der Verbindungszylinder, sprich den Verbindungsmuffen um aus den einzelnen, maximal 10 Meter langen Stromschienen auf der Montage ein komplexes und verwinkeltes Stromschienensystem kreieren zu lassen, welches sich den baulichen Anforderungen der Stromanlage anpasst. Die Mitarbeiter der Abteilung beenden den eigentlichen Produktionsprozess in der Herstellung der Stromschienen und Durchführungen. 5.7. Spedition, Lager, Wareneingang und Endkontrolle Die Speditionsabteilung umfasst sowohl die Verrechnung, die Verpackung, das Lager sowie den Wareneingang und die Endkontrolle. In dieser Abteilung findet also der Warenumschlag mit den Zulieferern und Kunden der Moser-Glaser statt. Dabei geht es einerseits darum, alle von der Beschaffungsabteilung eingekauften Materialien und Produkte im Wareneingang entgegenzunehmen, zu prüfen, sowie im System einzutragen, also auch andererseits die fertiggestellten Stromschienen und Durchführungen versandgerecht in Kisten einzupacken und zusammen mit dem Montagematerial termingerecht zu verschicken. Desweiteren untersteht der Speditionsabteilung auch das Lager. Schauen wir uns die einzelnen Arbeitsbereiche genauer an und beginnen dabei beim Wareneingang/-ausgang, sowie der Eingangs- und Endkontrolle. „Ich heisse Flamur Xhiha und kam in den 1990er Jahren aus dem Kosovo in die Schweiz. Ich habe Maschinenbauingenieur studiert. Bei Moser-Glaser habe ich in der Wicklerei als Betriebsmitarbeiter angefangen, weil ich damals die deutsche Sprache nicht beherrschte. Später habe in die Konstruktion gewechselt. Vor zehn Jahren gab es Schwierigkeiten beim Wareneingang und der Warenendkontrolle. So kam ich hierhin. Fachlich bin ich gut ausgebildet und da wir diverse spezielle Sachen produzieren und auch auswärts produzieren lassen, muss man hier sehr gute technische Kenntnisse haben, um die Waren genau zu kontrollieren. Ohne diese technischen Kenntnisse kannst du unsere Ware nicht kontrollieren. Denn wie willst du sonst wissen, ob es richtig ist oder nicht? Nur so kannst du also sicher gehen, dass am Schluss alles zu 100% stimmt, was tatsächlich raus geht. Deshalb: jeder darf Fehler machen, aber ich nicht. (lacht) Das ist mein Job!“ (Flamur Xhiha, Spedition, Wareneingang und Endkontrolle) Der Wareneingang und die Warenendkontrolle übernimmt die Aufgabe der Dokumentierung und des Kontrollierens der Wareneingänge und Warenausgänge. Es ist sozusagen die erste und letzte Stelle, die die Produkte der Moser-Glaser in den Händen hält und dementsprechend in den Arbeits- und Produktionsprozess aufnimmt, bevor es spediert oder nachdem es ausgepackt wird. Die 33 Eingangskontrolle unterscheidet dabei zwischen Ware, die direkt in die Produktion weitergeleitet wird (z.B. Alu- oder Kupferleiter) und solcher, die im Magazin gelagert wird, wohingegen die Endkontrolle die Ware für die Spedition prüft und zur Verfügung stellt. Neben dieser formellen Kontrollfunktion übernimmt die Endkontrolle aber auch informelle Aufgaben der Produktionsbegleitung. So ist es beispielsweise nicht unüblich, dass verschiedene Produktionsmitarbeiter bei Flamur Xhiha kurz nachfragen, ob sie die Konstruktionszeichnungen tatsächlich auch richtig verstanden haben, bevor sie mit ihrer Arbeit, basierend auf dem Konstruktionsplan, beginnen. Diese zusätzliche Arbeit kann als informelles Antizipieren der Endkontrolle verstanden werden und dient dazu, den Arbeits- und Produktionsprozess möglichst fehlerfrei durchzuführen. Vor allem geht es darum, "Fehler" vorausgreifend zu verhindern. "Alle Mitarbeiter versuchen möglichst Fehler zu vermeiden. Unsere Leute in der Produktion sind dabei nicht alle hochqualifiziert und nicht alle können komplexe Konstruktionszeichnungen einfach so lesen und auch verstehen. Gewisse Mitarbeiter kommen dementsprechend immer wieder mal zu mir oder ich gehe zu ihnen und wir schauen uns die Konstruktionspläne an, so dass sie auch richtig arbeiten können. Ich springe also immer auch ein bisschen als Betriebstechniker herum. Denn am Schluss muss ich sowieso alles kontrollieren und falls etwas falsch ist, müssen die Mitarbeiter doppelt arbeiten und es sowieso korrigieren. Wir denken also gemeinsam voraus. Eigentlich könnten sie auch den Chef fragen, aber man kann nicht für alles zum Chef springen. Obschon ich also die Funktion der Eingangs- und Endkontrolle übernehme, ist es nicht mein Ziel, Fehlermeldungen zu erstellen; im Gegenteil: es geht darum Fehler zu verhindern." (Flamur Xhiha, Spedition, Wareneingang und Endkontrolle) All jene Ware, die nicht direkt in den Produktionsprozess einfliesst, wird im Magazin (zwischen- )gelagert. Die Aufgabe der Magazinmitarbeiter ist es dabei sowohl systematisch und prozessdienlich zu lagern, als auch spezifische Ware und Produkte für den Arbeitsprozess zu "rüsten". Gemeint sind damit effizienzerhöhende Vorarbeiten einzelner Arbeitsschritte, wie beispielsweise das Bereitstellen nach Produktetyp und Anzahl. Die Magazinmitarbeiter übernehmen dabei prozessdienliche Arbeiten zwischen den einzelnen Abteilungen und stellen insbesondere Montagewaren- und Werkzeuge für die Spedition zur Verfügung, damit neben den spezifischen Stromschienen und Durchführungen auch Befestigungsvorrichtungen richtig mitgeliefert und dementsprechend vor Ort an der Anlage montiert werden können. In ihren Betriebsaufgaben arbeiten beide Magazinmitarbeiter eng zusammen. Dabei fungiert ein Mitarbeiter auch als Springer für andere Abteilungen in Ausnahmefällen und Ferienvertretungen. Die beiden Magazinmitarbeiter haben diesen Tatbestand in ihren Arbeitsalltag so eingebaut, dass sie sich über die Jahre ein informell ausgehandeltes Lagerungs-, Rüstungs- und Bereitstellungssystem angeeignet haben, so dass beide Mitarbeiter ohne Wortanweisungen stets an beiden Aufträgen weiterarbeiten können, falls einer von beiden gerade und plötzlich als Springer benötigt wird. Für die Magazinmitarbeiter dient Systematik dementsprechend vor allem der Prozesseffizienz. Hochwertige Stromschienen und Durchführung müssen abschliessend auch so verpackt und verschickt werden, dass sie auch langlebig eingesetzt werden können. Innerhalb der MGC ist dafür die Speditionsabteilung zuständig. Ihre Aufgabe ist es, die Stromschienen und Durchführungen einzeln nach Auftrag so zu verpacken, dass diese sicher verschickt und funktionstüchtig bei den Montagen und Anlagen in der ganzen Welt in Empfang und Betrieb genommen werden können. Die grosse Herausforderung der Spedition ist dabei, dass die Produkte der Moser-Glaser und insbesondere die Stromschienen, alles andere als "einfach" zu verpacken und verschicken sind. Im Grunde ist jeder Speditionsauftrag ein Einzelfall; umso mehr bemühen sich die Speditionsarbeiter dementsprechend diese Aufgabe mit Systematik, Wiederholbarkeit und Kreativität zugleich zu meistern. "Die Verpackungskisten bestellen wir auswärts. Da fängt es schon an: wir müssen genau wissen, wie gross die Holzkiste sein muss, damit die Stromschienen und Durchführungen tatsächlich auch Platz haben. Und so müssen wir halt ein bisschen herumlaufen in der Produktion, beim Ofen, und schauen, welche Aufträge gerade herumliegen. Das Material liegt da herum - entschuldige den Ausdruck - eigentlich wie auf einem Schrotthaufen. Auch gehen wir dann in die Konstruktion und fragen mal nach, wie gross die längste Schiene ist und welche Dimensionen sie hat. So können wir uns in etwa die 34 Räumlichkeit der Kiste vorstellen. Zusätzlich nehmen wir noch die Konstruktionszeichnungen zur Hand. Vor allem aber schauen wir schlichtweg Auftrag für Auftrag wie wir die Schienen und Durchführungen sicher verpacken können. Wir haben da so unsere Tricks; wir sprechen da von "Brücken" und "Bremsen". Es geht darum, sich im Kopf ein Bild zu machen. Wie lassen sich alle Schienen, also der gesamte Auftrag, in einer Kiste platzieren und sicher verpacken? Ich sage immer: es braucht Fantasie! Im Grunde haben wir unser eigenes 3D-Programm im Kopf. Mit den Massen und Bögen kommen wir so auf die Breite und Höhe und Möglichkeiten der Platzierung. Zusätzlich geht es dann auch noch darum, dass Zubehörmaterial, welches uns vom Magazin zur Verfügung gestellt wird, mit zu verpacken. Da sind Strahlträger dabei, Aluprofile. Die können je nach Auftrag auch bis zu 8 Meter lang sein, obschon die Stromschiene nur 7 Meter lang war. Wie du siehst, muss man halt immer alles berücksichtigen." (Guy Morgen, Verpackung, Spedition) Mit der Verpackung stehen die Stromschienen und Durchführungen bereit, verschickt und verrechnet zu werden. Der gesamten Speditionsabteilung unterliegt also die Aufgabe, die konstruierten und hergestellten Produkte der Moser-Glaser insofern verfügbar zu machen, als dass sie tatsächlich monetär verrechnet werden können. Der Freitag verkommt dabei oftmals zur regelmässigen Ausnahme: sei es, dass noch kurz eine Durchführungen per PKW vor- oder nachgeliefert wird; oder sei es auch, dass der Leiter der Spedition noch kurz vor Betriebsschluss an die Deutsch-Schweizerische Grenze nach Rheinfelden fährt, um notwendige Zollabwicklungen vorzunehmen. In diesen stets wiederkehrenden Ausnahmezuständen lässt sich die Speditionsabteilung der Moser-Glaser nicht aus der Ruhe bringen. Massgeblich dafür verantwortlich sind eine grosse Bereitschaft seitens der Mitarbeiter, sowie ein Zusammenhalt untereinander. 2.8. Administration und Personalbüro Parallel zu und mit dem ganzen Betrieb arbeitet die Administrationsabteilung. Ihr Tätigkeitsfeld ist breit gefächert und umfasst das Personalbüro, die Finanzen, sowie die alltäglichen und ausserordentlichen administrativen Arbeiten, in den verschiedensten Abteilungen, so etwa bei der Entwicklung, in der Spedition, beim Verkauf sowie dem technischen Support. So gilt es beispielsweise die Montagereisen zu planen, Visa zu beantragen, Hotels, Fahrten und Mietautos zu buchen, Personalanlässe zu organisieren sowie Kunden bei der Produktabnahme oder sonstigen Besuchen zu empfangen und zu betreuen. „Gerade beantrage ich ein Arbeitsvisum für einen Auslandsmonteur, der einen Auftrag in Hong- Kong zu erledigen hat. Die ganze Organisation der Montage-Reisen gehören auch zu unseren Aufgaben, zum Beispiel Hotel, Flugzeug, Bahnreisen, Mietwagen buchen sowie Visabeschaffung. Grundsätzlich bin ich aber für den Personaldienst verantwortlich. Daneben habe ich dann eben jene Nebenjobs. Als Unternehmen sind wir weltweit tätig. Das bedeutet immer auch, dass die Reisen durch die Administration zu organisieren sind. Im meinem Fall arbeite ich weiter noch als Assistenz der Geschäftsleitung, wobei das nicht so viel Zeit in Anspruch nimmt. Wir haben hier einen Chef, der sehr selbständig ist. Ab und zu ein paar kleinere Arbeiten oder ein paar Termine vereinbaren, natürlich auch die Organisation von gewissen Anlässen, wie zum Beispiel Personalanlässe, Weihnachtsessen und Grillfeste oder die Betreuung von Besuchern, die Gäste der Verkäufer, die wollen dann halt ihren Kaffee oder ihr Wasser, so dass man die dann ein bisschen verwöhnt, ja so in etwa.“ (Denise Stalder, Administration, Personalbüro & Assistenz Geschäftsleitung) Neben ihren eigentlichen Kernaufgaben erledigt die Administration dementsprechend so manche zusätzliche Arbeit. Denise Stalder spricht in diesem Zusammenhang von den administrativen „Nebenjobs“. Gemeint sind damit unzählige, alltägliche, oftmals im Hintergrund stattfindende Leistungen, die vor allem dann in ihrer Gesamtheit auffallen, sobald sie eben genau nicht mehr erledigt werden, dann aber umso dringlicher sind. „Diese kleineren Jobs empfinde ich eigentlich gar nicht als Arbeit. Zugleich denke ich aber auch, dass sich der Personaldienst leichter dokumentieren lässt als die vielen Nebenjobs. Sie werden es jetzt wahrscheinlich nicht besonders interessant finden, wenn ich Ihnen erzähle, dass ich darauf schaue, dass es immer genug Kaffeerahm im Haus hat, dass das Kaffeepulver nie 35 ausgeht und dass die Kaffeemaschinen funktionieren. Oder weiter: wenn irgendwo eine vertrocknete Pflanze steht, dass ich die entsorge und eine neue kaufe. Einfach lauter solche Sachen. Ich übernehme also auch Repräsentationsaufgaben. Im Personal gibt es natürlich noch viel mehr, als das, was ich Ihnen vorher erzählt habe. Ich habe mit der Rekrutierung begonnen. Bis man sich entscheidet für einen Bewerber, der dann ein zukünftiger Mitarbeiter wird, da muss der Vertrag erstellt werden, man muss dafür sorgen, dass ein geregeltes Eintrittsprozedere stattfindet, dass man den Mitarbeiter empfängt und einführt, dass man ihn überall, wo es nötig ist, anmeldet, bei der AHV, Pensionskasse, Unfallversicherung und so weiter, bei allen Versicherungen, die es gibt. Oder eben, dass ich die drei Monate Probezeit im Auge behalte und wenn diese um ist, dem Chef dieses Mitarbeiters das Formular zukommen lasse und ihm sage, 'es ist bald soweit, mach jetzt das Probezeitgespräch und schicke es mir zurück.' Solche Sachen. Oder dann halt das Gegenteil: Arbeitsverhältnisse beenden und Kündigungen aussprechen, wenn es irgendwo nicht mehr funktioniert. Ebenfalls auch Kündigungen entgegennehmen und schauen, ob sie rechtlich korrekt sind. Oder dann auch das jährliche Mitarbeitergespräch veranlassen sowie Krisengespräche und vieles mehr. (Denise Stalder, Administration, Personalbüro & Assistenz Geschäftsleitung) 2.9. Unterhalt Ebenfalls parallel zu und mit dem ganzen Unternehmen läuft der Betriebsunterhalt. Diese Abteilung sorgt einerseits für den Unterhalt sämtlicher Produktionsmaschinen und Werkzeuge, kümmert sich aber anderseits auch darum, beim Pausenplatz draussen das Unkraut zu jäten, die herumstehenden Kaffeetassen zu reinigen, die Gebäudereinigung – zusätzlich mit abendlichen Reinigungskräften – aufrechtzuhalten. Der Verantwortliche Patrick Körkel umschreibt die Unterhaltstätigkeit vor allem mit der Idee der vorbeugenden Instandhaltung. Er differenziert dabei zwischen drei Bereichen: Inspektion, Wartung und Instandsetzung. „Bei der Inspektion geht es zum Beispiel darum, Temperaturverläufe und Vakuumwerte zu kontrollieren. Bei der Wartung geht es zum Beispiel darum, fehlendes Öl nachzufüllen. Die Instandsetzung beinhaltet hingegen, dass aufgrund des fehlenden Öls, die Pumpe blockiert war; in diesem Fall geht es darum, die Pumpe wieder in Stand zu setzen. Das Ziel dabei ist die vorbeugende Wartung. Wobei, bei gewissem macht es auch Sinn, dass man es erst herausnimmt, wenn es kaputt ist, z.B wenn keine grossen Ausfall-Standzeiten folgen und dahinter nichts leidet, sprich keine Folgeschäden auftreten. Im Grunde hat jedes Objekt eine Badewannenkurve: am Anfang ist der Wartungsaufwand hoch, dann wird er gering und gegen Ende nimmt der Aufwand wieder zu, bis es irgendwann keinen Sinn mehr macht für den Unterhalt, weil es zu teuer wird. Mit der vorbeugenden Instandhaltung lässt sich diese Kurve verlängern, so dass das Objekt länger und effizienter in Betrieb ist.“ (Patrick Körkel, Unterhalt) Ziel des Unterhalts ist es also, sowohl den Betrieb mit all seiner Technik, angefangen bei den komplexen Maschinen, wie den Ofen oder den Wickelmaschinen, bis hin zum automatischen Türschliesser der Kaffemaschine in Stand zu halten, als dass allfällige Defekte kaum oder nur geringe Störungen des Produktions- und Betriebsflusses nach sich ziehen. Dementsprechend läuft die eigentliche Unterhaltsarbeit vor allem eher nicht-offensichtlich ab; oder besser gesagt, fällt vor allem erst dann auf, wenn sich der Betrieb keinen oder nur einen geringen Unterhalt leistet. Zusammenhängend mit der allgemeinen Entwicklung der Moser-Glasre lässt sich in den letzten Jahren auch für den Unterhalt eine Erweiterung ihres ehemals ausgelagerten Tätigkeitsfeldes notieren. „Die Instandhaltung ist immer ein notwendiges Übel. Nicht alle Firmen leisten es sich, denn auf dem Papier kostet dich die Instandhaltung nur. Das siehst du alle Ausgaben für Ersatzteile und die Arbeitszeit. Wenn die Instandhaltung aber richtig gemacht ist, dann kann man auch aufzeigen, wie viel und wo gespart wurde. Viele Firmen lagern den Unterhalt aus; Instandhaltung, sprich das Facility Management. Vieles kommt aber auch zurück, sprich, viele machen es vermehrt auch wieder intern. Hier in der Moser-Glaser wäre es undenkbar, dass der Unterhalt von einer externen Firma gemacht wird. Der Grund dafür ist die Vielseitigkeit und Spezialisierung. Zudem ist unsere Reaktionszeit unglaublich schnell. Klar verfügen auch externe 36 Firmen über Pikettleute. Dann kann es aber sein, dass dieser zuvor in der Bäckerei war und jetzt zur Moser-Glaser muss. Bis sich eine solche Person wieder in die Moser-Glaser reingedacht hat, vergeht Zeit, zudem ist es schwierig. Und es kostet auch; niemand arbeitet gratis. Wie du gesagt hast, sehen nicht alle, welche Arbeit ich leiste. Viele sehen halt nur, dass ich ein bisschen da und dort hingehe, dort ein bisschen an den Schrauben drehe, da ein bisschen herumwerkle und so weiter. Effektiv steht aber vielmehr dahinter. Für mich kann Unterhalt auch heissen, dass ich zu Hause oder am Wochenende in den PC reinschaue und die Öfen überwache. Meine Frau hat keine Freude daran und dies auch zu Recht. Aber das gehört eben auch zum Unterhalt. Zwar wurde mir schon eine paar Mal gesagt, ich soll die Arbeit aufschreiben, die ich Zuhause mache. Aber das mache ich nicht, sonst habe ich noch zusätzlich Aufwand. Weiter hilft es mir, wenn ich mit meinem Natel zu Hause Störungen beobachten und analysieren kann. So kann ich abschätzen, wie dringend ich vorbeigehen muss, oder ob es eben unbedeutend ist.“ (Patrick Körkel, Unterhalt) Unterstützt wird der Unterhalt dabei von Software und Computer. Die Unterhaltsgeschichte gibt Auskunft darüber, welcher Ölfilter wann genau gewechselt wurde und je nachdem wann er wieder zu wechseln ist. Ebenfalls können bedeutende Störungen auch von Zuhause aus beobachtet werden. Dies bietet die Möglichkeit abzuschätzen, wie betriebsrelevant der Defekt tatsächlich ist. 3. Die Betriebskultur Nachdem der hochspezialisierte Arbeits- und Produktionsprozess der Moser-Glaser beschrieben wurde, geht es in diesem Kapitel darum, die Betriebskultur zu analysieren. Die Betriebskultur umfasst dabei sowohl die formelle wie informelle Organisation eines Betriebs, als auch, wie diese Struktur seitens der Mitarbeiter wahrgenommen und ausgestaltet wird. "In einer kleinen Firma, wie bei uns, muss man vieles machen. Hier kannst du dich nicht wie im Militär verstecken und ausschlafen. Hier kannst du nicht einfach die Hände in die Tasche stecken und herumschauen. Denn jeder kennt jeden und jeder weiss, was der andere leistet. Und das ist gut so." (Flamur Xhiha, Spedition , Wareneingang und Endkontrolle) 3.1. Formelle und informelle Arbeitsorganisation Wie jeder Betrieb und jede Organisation verfügt die Moser-Glaser sowohl über eine formelle, als auch eine informelle Arbeitsstruktur und Ordnung. Als formelle Struktur gilt dabei die Gliederung des Betriebs nach einem Organigramm mit Abteilungen und Unterabteilungen. Weiter sind auch offizielle Prozessstrukturierungswege, wie das hauseigene ERP-System SIVAS, oder die Kompetenzen- Aufteilung nach Leiter, Gruppenleiter und Mitarbeiter zu nennen. Die formelle Organisation regelt und strukturiert sowohl alltägliche Handlungen wie auch Produktionsströme. Parallel dazu verläuft aber immer auch eine informelle Aushandlung der Ordnung. Gemeint sind damit über Jahre hinweg ausgehandelte und alltäglich wirkende informelle Kommunikationen und Regeln zwischen den einzelnen Mitarbeiter auch über die Abteilungs- und Kompetenzgrenzen hinweg. Die Soziologie hebt dabei hervor, wie eine formelle Struktur ohne die informelle Aushandlung kaum bestehen kann, oder anders gesagt: beide bedingen sich gleichzeitig. Die Arbeits- und Industriesoziologie spricht in diesem Zusammenhang von der betrieblichen Problematik der Transformation von Arbeitskraft in Arbeitsleistung und der zunehmenden Bedeutung der informellen Gruppe dafür. „Der Glaube an die Legalität des Verfahrens der Regelsetzung reicht nicht aus für die Erklärung der Handlungskoordinierung und Kooperationsbereitschaft in formellen Strukturen. Damit die Koordination gelingt, ist es erforderlich, dass die Systemlogik durch kommunikativ-personales Handeln informell ergänzt wird. Das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern kann deshalb nicht als eine Beziehung der einseitigen Kontrolle angesehen werden. Ausserhalb der betrieblichen Hierarchie entwickeln sich wichtige soziale Beziehungen, die für den Produktionsprozess von grosser Bedeutung sind.“ (Minssen 2006:71) 37 Insbesondere bei der Termin- und Produktionskoordination fällt meiner Meinung nach auf, wie sehr die Aufrechterhaltung der Ordnung durch eine Ausgeprägtheit beider Strukturen, der formellen und informellen, zusammenhängt. Analytisch mache ich dies an den Terminkoordinierungssitzungen (TeKo) für das Durchführungs- und Schienengeschäft fest. Die TeKo’s lassen sich dabei am treffendsten als offizielle-informelle Arbeitsstrukturen beschreiben. „Der gesamte Arbeitsprozess ist als Arbeitsfluss konzipiert. Dies macht Sinn, solange alle Termine tatsächlich auch eingehalten werden. Wenn es aber an irgendeiner Stelle Verzögerungen gibt, dann entstehen Turbulenzen im System. In der Theorie funktioniert die Produktionsplanung, aber oft hängt es eben an einzelnen Leuten. In der TeKo sitzen dementsprechend alle Bereichsleiter zusammen, sprich: die Produktion, Konstruktion sowie der Verkauf, der Einkauf und die Logistik. Das Hauptziel der Sitzung ist es, zu schauen, dass Liefertermine eingehalten werden und wie die Terminkoordination innerhalb des gesamten Betriebs für alle Aufträge einzeln durchzuführen ist. Die Terminkoordinierungssitzung gibt es auf jeden Fall schon eine Weile. Wenn alle Prozesse aber gut laufen würden, müsste es sie meiner Meinung nach nicht geben (lacht). Dann könnten wir es uns nämlich sparen, einen halben Vormittag pro Woche zusammen zu sitzen und Termine zu koordinieren.“ (Mark Baumann, Verkauf) Die informelle Aushandlung der Struktur und Arbeitspraxis kann am besten als Kitt und Leim zwischen den einzelnen Abteilungen, den Mitarbeitern und den Arbeitsschritten verstanden werden. Sie sorgt dafür, dass Struktur in alltäglicher Arbeit tatsächlich auch umgesetzt wird. Mitarbeiter berichten unterschiedlich über diese informelle Aushandlung der Ordnungs- und Koordinierungsstruktur. Vor allem stehen sie der aktuellen Situation ambivalent gegenüber. Einerseits betonen und schätzen sie den Handlungsspielraum, der ihnen dadurch als einzelne Mitarbeiter innerhalb des ganzen Arbeitsprozesses zugesprochen wird. Andererseits berichten sie aber auch davon, dass diese kontinuierliche, informelle Aushandlung der Arbeitsschritte vor allem dann als Stress empfunden wird, wenn sie immer und immer wieder aufs Neue durchzuführen ist. Paradoxerweise zwingen fehlende Betriebsstrukturen einzelnen Mitarbeiter dazu, mit und weiter zu denken, über die formelle Arbeitsteilung hinaus. Ausgeprägte informelle Betriebsstrukturen können dementsprechend eine Bereitschaft der Mitarbeiter fördern, sich tatsächlich auch für das ganze verantwortlich zu fühlen. „Das Chaotische gefällt mir und gleichzeitig spricht es gegen mich. Der Stress ist ok, aber manchmal ist es auch einfach zu viel. Zum Beispiel diese Durchführungen hier, die morgen geliefert werden. Das heisst, wir müssen sie heute absägen, drehen, schleifen, Flanschen ansetzen, lackieren und bis morgen muss es fertig sein. Ich hab es gerne, zu arbeiten, auf Zack zu sein und innerhalb meiner Gruppe die Arbeit zu organisieren. Solange es machbar ist. Manchmal werden aber Sachen erwartet, die einfach nicht machbar sind. Das geht nicht. Das führt dann zu Stress und das nervt. Weiter kommt auch die Unordnung dazu, die du auch von aussen siehst, wenn du reinkommst. Da stehen viele Sachen rum, die nicht wirklich einen Platz haben. Ja, der Platz ist ein Dauerthema. Jammern macht es aber auch nicht besser. Man muss damit umgehen können und das Beste rausholen. Das gefällt mir und ich glaube, es ist auch eine Stärke von mir, die Leute auch ein bisschen zu motivieren, dass sie es positiv betrachten. Viele, die weggingen von der Moser Glaser, haben später wieder angeklopft und mehrere sind auch wieder zurückgekommen. Das zeigt, dass es hier auch etwas Gutes gibt, sonst kämen die Mitarbeiter nicht wieder zurück. [...] Um 8 Uhr sitzen wir Gruppenleiter der Produktion vorne schnell zusammen und strukturieren den Tag. Wir entscheiden, was ganz wichtig ist, was auf jeden Fall gemacht werden muss heute und für den Rest habe ich eigentlich ziemlich freie Hand. Das heisst, ich kann selber organisieren. Ich weiss ungefähr, wann das Material raus muss und kann dann selber absprechen mit den einzelnen Abteilungen innerhalb der Produktion, des Prüffeldes und der Spedition. Die AVOR hilft dabei. Manchmal muss man aber auch hin stehen und sagen, ‚das geht nicht, der Termin ist nicht realistisch.’ In solchen Fällen müssen die Verkäufer informiert werden, so dass sie mit den Kunden sprechen können. Innerhalb meiner Gruppe verteile ich die Arbeit so gut es geht und je nachdem, was wo möglich ist. Dabei muss ich auch schauen, dass alle irgendwie ansatzweise gleich behandelt werden. Ich kann nicht immer einem den Mist geben und dem anderen das Schöne. Es gibt immer schöne Arbeiten und weniger schöne, das ist überall so. Weniger schöne Arbeit ist zum Beispiel für mich das 38 Drehen von Scheiben in grosser Serie. Das ist dreckig und langweilig. Die Leute machen das ungern. Diese Arbeit ist etwas, das wie keinen Sinn macht. Als Gruppenleiter kann ich nicht jedem zu jeder Zeit sagen, er müsse diese Arbeit machen. Ich schaue dann halt, dass ich den nehme, der am besten drauf ist. Da muss man die Leute manchmal ein bisschen pflegen und auch schützen. Als Gruppenleiter fühle ich mich deshalb im Grunde wie eine Feder zwischendrin. Das ist ein bisschen meine Aufgabe: Gegen oben abfedern, gegen unten abfedern.“ (Daniel Schär, Produktion, Gruppenleiter Mechanik) Die Mitarbeiter übernehmen dabei Aufgaben, die über die blossen Arbeitsprozesse hinausgehen. Auch geht es darum, eine prozessnotwendige Betriebskultur aufrecht zu erhalten, so dass die Arbeit in ihrer formellen Koordinierung und Planung tatsächlich auch zu meistern ist. Die Metapher der Feder, die sowohl gegen oben als auch gegen unten wirkt, macht uns darauf aufmerksam, wie Struktur in ihrer Aushandlung immer auch an Menschen hängt. Zugleich entspricht es aber keiner Selbstverständlichkeit, dass sich Mitarbeiter aus eigenem Antrieb um die Aufrechterhaltung einer „angemessenen“ Betriebskultur als Ordnung und Organisation kümmern. Dementsprechend lässt sich diese Arbeit meiner Meinung nach auch als Mehrarbeit beschreiben. Wahrscheinlich ist ihr vor allem der Wunsch innewohnend, in vorbeugender Antizipierung, voraussehbare Schwierigkeiten und Probleme zu vermeiden; oder besser gesagt: indem ich eine antizipierende Mehrarbeit leiste, versuche ich einem später folgenden Problem mit all den drohenden Mehrarbeiten aus dem Weg zu gehen. Die informell ausgehandelte Praxis dient in diesem Fall der Aufrechterhaltung der als mangelhaft wahrgenommenen formellen Struktur. 3.2. Terminkoordinierung und Platz: Flexibilität und Verärgerung Als Folge der Produktfokussierung, gepaart mit einer Produktionsintensivierung und Exportorientierung, lässt sich in der Moser-Glaser eine Verdichtung der Arbeitsleistung beobachten. An vorangehender Stelle wurde gezeigt, wie diese Entwicklung der Produktionsintensivierung nach dem beinahe Konkurs Ende der Neunzigerjahre vorangetrieben wurde (vgl. Kapitel 1.2.). Ebenfalls diskutiert ist die Ausgangslage der Moser-Glaser als Schweizer KMU in einem globalisierten „Markt“ (vgl. Kapitel 1.3.). Beschleunigungs-, Verdichtungs- und Flexibilisierungstendenzen sind immanente und bedeutende Bestandteile der unmittelbaren Geschichte der Moser-Glaser. Auch hängen sie mit den Installierungs-Herausforderungen eines hochspezialisierten, arbeitsteiligen, flexiblen und dennoch wiederholbaren Arbeits- und Produktionsprozesses zusammen. Vor allem aber lässt sich die MGC diesbezüglich kaum als Einzelfall verstehen. Als Betrieb untersteht er auch gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen. In diesem Kapitel geht es dementsprechend weder darum, diese Intensivierungstendenzen positiv noch negativ zu beurteilen. Gefragt wird lediglich danach, wie diese Entwicklungen innerhalb der MGC als Betriebskultur ausgehandelt und aufgefangen werden. „Die Beschleunigung ist ein Leid, das sehr viele mittragen. Aber es wäre falsch, sich über das Gedanken zu machen. Das ist der Markt; den kannst du nicht verändern. Die einzige Möglichkeit, die du hast, ist es, flexibler und schneller zu werden. Als ich gekommen bin, hatten wir in der Produktion für einen Auftrag etwa 14 Wochen Durchlaufzeit. Wir sprechen heute hingegen von 4 bis 6 Wochen. Derzeit sind wir wirklich an einer Grenze angelangt. Das Ganze ist ein bisschen wie ein Sportwagen. Wenn es knallt, dann knallt es richtig. Wenn heute ein Entscheid, nur ein kleiner Entscheid, falsch getroffen wird, dann hat dies sofort auf alles einen Einfluss. Das ist am Ende auch frustrierend. Denn obschon gerannt wird, reicht es nicht. Klar kann man am Ende auch sagen, vielleicht wäre es machbar gewesen.’ Im Moment ist es aber eine sehr hektische Zeit. Ich denke, bald kommen wir in normales Fahrwasser. Bis dahin schauen wir, wie es geht. Ich habe meinen Leuten gesagt, ‚arbeitet nach Priorität.’ Wir dürfen uns aber nicht gegenseitig aufheizen. Ich versuche das eigentlich immer zu verhindern; denn: keiner ist Schuld daran. Heute Morgen war der stellvertretende Leiter der Wicklerei bei mir. Er fragte mich, weshalb sie am Samstag arbeiten müssen, obschon die letzten zwei Öfen nur halbvoll beladen wurden. Aus seiner Perspektive hat er vollkommen Recht. Es ist schwer den Leuten immer wieder nahe zu bringen, dass sie ein Verständnis dafür entwickeln. Da ist im 39 Moment vielleicht zu viel Salz in der Suppe. Aber ich bin überzeugt, dass wir das meistern werden.“ (Alex Petzold, Produktionsleiter) Befragt nach den Verbesserungs- und Optimierungsmöglichkeiten der Moser-Glaser haben Mitarbeiter an unterschiedlicher Stelle darauf hingewiesen, dass sie für die Gegenwart und unmittelbare Zukunft vor allem zwei Themen als relevant betrachten: die Terminkoordinierung und die Platzaushandlung. Meiner Meinung nach herrschen dabei zwei unterschiedliche Wahrnehmungsmuster vor, wie diese Herausforderung verstanden werden: einerseits wird, wie im vorangehenden Zitat, der Ausnahmefall betont („Ich denke, bald kommen wir in normales Fahrwasser; bis dahin schauen wir, wie es geht“) andererseits wird demgegenüber im nachfolgenden Zitat die Regelmässigkeit der „Ausnahme“ hervorgehoben. Dementsprechend unterschiedlich fallen deshalb auch die Lösungsvorschläge aus: sowie vorangehend ein „Ausnahmeverständnis“ in Aushandlung auf der informellen Betriebsstruktur verlangt wird, wird nachfolgend auf die Notwendigkeit einer formellen Veränderung hingewiesen. „Eigentlich treffen sich die Verantwortlichen jede zweite Woche zur Terminkoordinierungssitzung. Dann kann es aber auch vorkommen, dass gleichwohl jemand zu dir kommt und dir sagt, er braucht das und das so schnell es geht und eigentlich schon in dieser Woche. Zwar ist das nicht immer machbar, aber sie müssen es halt verschicken. Manchmal ist es aber auch schlichtweg unmöglich. Die Arbeitsschritte geben dir auch vor, welche Zeit du dafür brauchst. Das kann man berechnen und abschätzen. Jeder weiss, dass 18 Zylinder so und so viel Arbeit bedeuten und deshalb nicht auf diesen Freitag fertig werden. Aber es wurde halt der Freitag als Termin festgelegt. Und das sind so Sachen, die mich wütend machen. Das gleiche auch bei den Durchführungen. Im Grossen und Ganzen kannst du zehn Durchführungen machen, es stehen aber 50 an und das bis Donnerstag. Nein! Entschuldigung! Das geht nicht. Jaja, es muss, es muss. Und das macht mich wütend. Das macht mich fertig. Und dann machst du, was du kannst, und am Ende hast du doch nicht genug gemacht. Das ist frustrierend. Und das, was dich am meisten fertig macht, ist, dass es sich immer wiederholt. Jede Woche, jeden Monat. Es ist immer das gleiche. Du sagst, ‚nein‘ es geht nicht, wir brauchen dafür so und so lange’ und dann hast du das Gefühl, oder zumindest die Hoffnung, dass es verstanden wurde. Zwei Wochen später fängt es dann aber wieder von vorne an. Zwar geht es ab und zu doch auch ein wenig aus der Spur. Aber zum Glück kommen wir hier unten in den Abteilungen gut miteinander aus.“ (Christian Burget, Prüftechniker, Entwicklung) Meiner Meinung nach steht die MGC derzeit vor einer Entscheidungsfrage. Solange es ihr in den letzten zehn Jahren nicht nur erfolgreich gelungen ist den drohenden Konkurs abzuwenden, sondern darüber hinaus, den Betrieb in seiner strategischen Planung sowie Arbeits- und Prozessstruktur gewinnbringend zu reorganisieren, gilt es heute vor allem auszuhandeln: wie weiter? Die MGC bewegt sich dabei in einem Spannungsfeld der Flexibilisierungsanforderungen und Verärgerungsbekundungen. Gökce Sahin (Produktion, Duresca): Habt ihr eine Lösung gefunden für die defekten Schienen? Ralph Unterseh (AVOR): Ja, es gab nur eine Fehlermeldung. S: Bist du sicher? Vom Auftrag 83 waren fünf Stück defekt. Ich habe immer gesagt, dass es egal ist wieviel Kilos wir in den Ofen laden. Solange danach 40% der Ladung defekt ist, bringt alles nichts. Jaja, wenn man von aussen schaut, sieht alles tiptop aus. Aber manchmal arbeiten wir hier auch von 12 Uhr bis in die halbe Nacht. Und das führt zu Stress. U: Es braucht hochqualifizierte Mitarbeiter ... S: Jaja. Manchmal brennt auch meine Sicherung durch (lacht) und wenn man so lange arbeitet, ist das auch ganz normal. Es ist nicht leicht, wenn man um 6 Uhr angefangen hat und bis 23 Uhr arbeitet. Vor allem: wir sind nicht mehr die jüngsten. Wir sind jetzt viele über 50 Jahre alt. Zusammengefasst lässt sich meiner Meinung nach vor allem festhalten, wie die Moser-Glaser derzeit in ihrer Betriebskultur auf einer hohen Bereitschaft und einen Zusammenhalt all ihrer Mitarbeiter beruht; angefangen von der Geschäftsleitung bis hin zu allen Abteilungen. Diese Aushandlung des Arbeitsprozesses in der informellen Betriebskultur hat dabei zugleich ihren Beitrag dazu geleistet, 40 dass diese Bereitschaft und dieser Zusammenhalt überhaupt erst hervorgebracht wurden. Zugleich sind diese zwei Aspekte, sprich die Bereitschaft und der Zusammenhalt, keineswegs selbstverständlich und hängen massgeblich an personengebundenen Aushandlungen. Ausgeprägt informell ausgehandelte Betriebsstrukturen haben es dementsprechend insofern in sich, als dass sie stark personengebunden sind und dementsprechend Rekrutierungsproblematiken mit sich bringen können. Dies dabei nicht einmal nur zwingend als Problematik des Wissenstransfer verstanden, sondern vielmehr als Transferproblematik der informellen Betriebskultur; oder anders gesagt: Zusammenhalt und Bereitschaft untereinander müssen bei Neuanstellungen zuerst auch einmal ausgehandelt und erarbeitet werden. „In der Praxis steuert eigentlich jeder seine Abteilung selbstständig. Das kann man so sagen. In ein paar Jahren werden gewisse ältere Mitarbeiter nicht mehr bei Moser-Glaser arbeiten. Sie werden in Pension sein. Dazu muss man sich Gedanken machen. Weisst du, wenn die morgens um 6 Uhr anfangen und teilweise bis 24 Uhr nachts arbeiten, dann arbeiten die durch bis der Ofen beladen ist. Punkt. Suche mir jetzt aber ein paar Junge, die das auch machen werden.“ (Christian Burget, Prüftechniker, Entwicklung) Solange also der Arbeits- und Produktionsprozess der Moser-Glaser massgeblich mit der ausgeprägt informell ausgehandelten Betriebskultur der Bereitschaft und des Zusammenhalts einhergeht, gilt es meiner Meinung nach auch zu fragen, inwiefern sich diese Betriebskultur formalisieren und institutionalisieren lässt. Institutionalisierungstendenzen müssen dabei auf der Ebene der formellen Betriebsstruktur vorangebracht werden, wie sie zugleich auch eine informelle ausdifferenzierte Betriebskultur als Basis benötigen. Letzteres wäre vorhanden. Dies äussert sich meiner Meinung nach vor allem im Tatbestand, dass verschiedenste Mitarbeiter der Moser-Glaser in den Schilderungen ihrer Arbeit positiv von der gelebten Bereitschaft und dem Zusammenhalt innerhalb des Betriebs berichten. Ambivalent wir die Bereitschaft demgegenüber nur insofern beschrieben, solange trotz Bereitschaft und Zusammenhalt dennoch und systematisch in stets wiederkehrender "Ausnahme" dem Feuer hinterhergerannt wird. Mehrarbeit führt also nur insofern zu Verärgerung, als dass sie keine Strukturveränderung herbeiführt. 4. Arbeit als gesellschaftlicher Wert oder weshalb wir arbeiten Weshalb eigentlich arbeiten? Diese Frage ist weder zynisch noch banal gemeint. Mir ist sehr wohl bewusst, dass Arbeiten einer Notwendigkeit entspringt. Letztendlich müssen monatliche Kosten bezahlt werden: die Familien, der Partner und die Partnerin, die Wohnung, das Essen, die Steuern und Krankenversicherung und daneben vielleicht auch Ferien und Freizeit. Ich meine, wir können auch alle direkt an den Strand, irgendwohin nach Sansibar – aber wer soll das bitte bezahlen? Und gleichwohl interessiere ich mich als Soziologe zusehends auch dafür, weshalb überhaupt gearbeitet wird. Wie selbstverständlich es uns heute auch erscheinen mag, dass wir arbeiten, weil wir arbeiten. Schon immer gegeben, war dies nicht und es ist heute anders als in früheren Zeiten. Darüber möchte ich mehr erfahren. Wie der englische Ethnologe Paul Willis schreibt, werden Menschen heute nicht mit Waffen, Ketten und Gewalt zur Arbeit getrieben und bei der Arbeit gehalten. Die Sklavenarbeit als historische Epoche ist vorbei. Dennoch kann Lohnarbeit, wie dies der Soziologe Karl Marx ausformuliert hat, auch zu Abhängigkeit führen. Vor allem bin ich aber mit dem französischen Soziologen Robert Castell einverstanden, wenn er schreibt, wie der gesellschaftliche Stellenwert der Arbeit gegenwärtig wahrscheinlich am deutlichsten dann zum Tragen und Vorschein kommt, wenn man selber aus dem Arbeitsprozess ausgeschlossen ist. „Dass Arbeit knapper und unsicherer geworden ist, heisst nicht, dass sie weniger nützlich und notwendig ist. Eher ist das Gegenteil der Fall, wie man an der Verzweiflung der meisten Sozialhilfeempfänger oder Langzeitarbeitslosen sieht. Dadurch, dass ihr Platz in der Gesellschaft völlig annulliert werden kann, verweisen sie paradoxerweise gerade durch ihren Arbeitsverlust auf die erstrangige Bedeutung von Arbeit“. (Castel 2011:69) 41 Ich bin der Meinung, dass die Arbeit trotz oder genau wegen ihrer Verknappung heute einen gesellschaftlichen Stellenwert hat. Umso eindrücklicher finde ich es deshalb, dass in der Moser- Glaser seit über hundert Jahren gearbeitet wird. Und so bin ich vor allem der Überzeugung, dass es in der Soziologie immer auch darum gehen muss, mehr darüber zu erfahren, wie Arbeit als gesellschaftlicher Wert basierend auf Anerkennung und Lohn gesellschaftlich geteilt und zu teilen ist. Die Arbeitsteilung ist diesbezüglich, wie Durkheim geschrieben hat, nicht nur ein Fortschritt, sondern vor allem eine Notwendigkeit. Anders ist eine Verdichtung, wie sie in modernen Gesellschaften vorzufinden ist, meiner Meinung nach, kollektiv kaum zu meistern. In diesem abschliessenden Kapitel habe ich mich deshalb entschieden, Mitarbeiter der Moser-Glaser zu Wort kommen zu lassen. Weshalb arbeiten sie? Weshalb tun sie sich das an? Wie erklären sie sich, weshalb sie arbeiten? Mir geht es darum, ihre Sicht der Dinge wiederzugeben. Urteil und Meinung lassen sich dann von der Leserschaft selber bilden. Wenn ich diese Schilderung lese, fällt mir vor allem auf, wie die Arbeit zugleich Notwendigkeit und Erhaltung als auch Anreiz und Befriedigung darstellt. Arbeiten kann man etwa weil man es unter anderem auch noch gerne tut, oder zumindest bis anhin morgens stets aufgestanden ist, ohne dass einem die Arbeit komplett abgelöscht hat, auch wenn es gestern und verschiedene Tage und Wochen zuvor auch streng war. „Ich wünsche mir weniger Stress. Das heisst aber nicht, dass ich weniger Arbeit haben will; im Gegenteil: die Arbeit an sich macht dich nur müde. Davon kannst du dich aber erholen. Der Stress hingegen bleibt. Deshalb wünsche ich mir, dass das ganze hier besser organisiert wird. Das würde den Stress verringern. Ansonsten wünsche ich mir, dass das Arbeitsklima zwischen den Kollegen so bleibt, wie es derzeit ist. Teilweise habe ich Mühe, aber im Grossen und Ganzen kam ich noch nie ungern an meinen Arbeitsplatz. Wenn ich morgens aufstehe, dann ist das für mich kein Müssen. Ich denke nicht ‚oh nein, ich muss arbeiten gehen.’ Wenn du mal soweit bist, dass es dir jeden Morgen aushängt, dann hörst du am besten auf und suchst dir einen anderen Job. Deshalb denke ich, dass es nicht unwichtig ist, dass Arbeit auch mit Motivation verbunden ist.“ (Christian Burget, Prüftechniker, Entwicklung) Arbeiten kann man beispielsweise auch, weil es eine tägliche Herausforderung ist und die Mitarbeiter eigentlich ganz ok sind. Weil das Arbeitsklima gut ist und man im Grunde sich auch darüber freut, mit den Kollegen zu arbeiten. Unabhängig davon, ob sie dann wieder einmal durch das Büro fluchen und Andy sogleich wieder von Jacqueline daran erinnert wird, an seinen Puls zu denken. „Mir gefällt es, dass jeder Auftrag einer neuen Herausforderung entspricht. Ich muss ehrlich sagen, dass ich Spass daran habe, mit meinen Arbeitskollegen zu arbeiten. Die Leute in der Fertigung verdienen Respekt; sie bemühen sich für die Firma. Es ist nicht immer einfach, aber der Kontakt mit den Kollegen ist gut und der menschliche Teil ist ganz ok hier bei der MGC. Die Firma ist nicht zu klein und nicht zu gross. Im Grunde also ganz normale Leute ... [im Hintergrund flucht Andreas Rechsteiner und wird von Jacqueline Intlekofer beruhigt] ... zwar sind einige Kollegen ein bisschen „lauter“ als andere, wie du hörst, aber mir gefällts. Man muss einfach alle so nehmen, wie sie sind (lacht). Im Moment gefällt es mir aber nicht so, dass wir sehr chaotisch arbeiten. Es ist zwar normal, dass wir unter Druck sind, aber der Druck den wir im Moment haben, hat zugenommen und ist stärker geworden. Ich habe das Gefühl, dass die Fertigung letztendlich immer etwas retten muss, obwohl das Feuer schon gebrannt hat.“ (Ralph Unterseh, AVOR) Arbeiten kann man vielleicht aber auch, weil die Verantwortung auch mit einer Entscheidungs- und tatsächlichen Mitwirkungsmöglichkeit verbunden ist. Arbeiten also, weil Strukturen nicht zur Hürde werden und Verantwortung auch heisst, dafür einzustehen; auch wenn die Tatsache, dass es in Kaiseraugst und bei der Moser-Glaser ist, dann wiederum auch private und durchaus zufällige Gründe haben kann. „Ich kann keinen Beamten-Job machen. Deswegen bin ich hier besser aufgehoben als bei Siemens. Der grösste Unterschied ist die Struktur. Bei Siemens gibt es immer irgendwo einen Experten für alles, an den du dich wenden kannst. Hier bei der MGC musst du hingegen selbstständig sein. Hier bei Moser-Glaser bin ich Verkäufer, Projektleiter, Produktmanager, und manchmal auch Konstrukteur. Dies hat seinen Reiz und kann aber auch dazu führen, dass man am Abend frustriert nach Hause geht, weil man vieles angefangen hat und nichts zu Ende gebracht hat. Bei Siemens ist alles sehr strukturiert, sehr getaktet; bei Moser-Glaser arbeitet 42 man hingegen eher auf Zuruf. Beides hat seinen Reiz. Ein weiterer Unterschied sind sicherlich auch die 35-Stunden-Wochen bei Siemens, wohingegen bei der MGC 50 Stunden pro Woche oftmals nicht ausreichen. [...] Für mich war es aber auch eine private Entscheidung in die Schweiz zu kommen: Meine Frau ist Schweizerin. Ausserdem hat mich die Moser-Glaser eines Tages gefragt. Es macht schon auch Spass, weil man hier deutlich mehr bewegen kann. Bei Siemens, in diesen klaren Strukturen, bist du auch eingeschränkt in deinen Funktionen und du kannst nicht nach links oder rechts. Das ist bei Moser- Glaser anders. Man ist freier und wenn man eine gute Position hat, kann man auch sehr viel bewegen. Dies auch über seine Kompetenzen hinaus.“ (Mark Baumann, Verkauf) Man arbeitet vielleicht aber auch, weil man es schätzt, wie sehr die Geschäftsleistung und vor allem der Besitzer für die eigene Firma vorangehen. Aus Überzeugung, Verantwortung und Leidenschaft. Und vielleicht auch deshalb, weil man selber als Mitarbeiter vergleichen kann, und es deshalb noch weniger als Selbstverständlichkeit betrachtet, wie selbstverständlich der Gewinn im Falle der Pfiffner Gruppe auch in die eigenen Firma reinvestiert wird. „Mir gefallen grundsätzlich die kurzen Entscheidungswege in der Firma. Heute hatten wir zum Beispiel eine Besprechung und da hiess es, ich habe freie Hand und übernehme die Verantwortung. Das gefällt mir. In solchen Fällen weiss ich, wie ich weiterarbeiten muss. Weiter würde ich sagen, dass wir sehr innovativ sind, wenn ich zum Beispiel den Bereich der Durchführungen anschaue. Vor allem gefällt mir aber, dass das Geld, das wir hier umsetzen, auch in der Firma bleibt. Hier bei MGC und Pfiffner wird in den Betrieb investiert. Das macht Spass und motiviert mich, mehr zu tun als normal. Heute sind wir 100 Mitarbeiter. Als ich hier angefangen habe, waren wir 60.“ (Heinrich Strütt, Leiter Beschaffung) Und somit kann man auch arbeiten, weil man etwas beweisen will; weil man es nicht miterleben will, wie der Schweizer Standort aufgegeben wird. Weil man an eine Ingenieurswissenschaft mit Produktion glaubt und davon überzeugt ist, dass die eigenen Produkte wertvoll sind sowie Gegenwart und Zukunft haben. Arbeiten also auch aus Verantwortung den Mitarbeitern gegenüber, mit Überzeugung und Durchhaltevermögen, um zu sehen, dass die Arbeit bestehen kann, und dass auch nach der eigenen Arbeit weiterhin gearbeitet wird und auch „sauber“ gearbeitet wird. „Für mich ist es auch ein Anreiz, zu beweisen, dass wir es als MGC und Pfiffner zustande bringen aus der Schweiz heraus zu produzieren. Die Kosten sind zwar hoch. Trotzdem tut sich hier etwas. Vielleicht geht es auch darum, die Zeit abwarten zu können. Denn auch in China werden die Preise steigen. Die Globalisierung führt ja nicht nur dazu, dass fast keine Grenzen mehr vorhanden sind. Sie führt auch dazu, dass in Zukunft eine Harmonisierung der Kosten stattfinden wird. [...] In Zukunft wäre es für mich auch ein Anreiz, das Zepter ‚sauber‘ weiterzureichen. Ich möchte, dass die Firma dann auch in Zukunft nachhaltig dasteht; dass ihr Name und die guten Produkte weiter existieren. Denn für mich ist es auch ein Anreiz, Technologie anbieten zu können, die nicht jeder beherrscht. Die Schweiz hat als Standort auch Chancen. Deshalb bin ich auch der Meinung, dass die Industrie nicht aufzugeben ist. Ich denke, es braucht auch Unternehmen wie wir; das heisst: klassische KMUs. Es sind nicht alle in der Lage, zu studieren. Es sind nicht alle gleich. Und ich denke, es kann gefährlich sein, wenn man das Verständnis dafür verliert, was Arbeit tatsächlich bedeutet. Arbeit kann auch heissen, täglich zu telefonieren. Aber das Produzieren ist für mich eine andere Art der Arbeit. In der Produktion siehst du konkret, wenn du abends nach Hause gehst, dass es vorwärts ging. Vor allem aber wurde mit Produkten konkret Wertschöpfung umgesetzt. Und das ist für mich ein wesentlicher Punkt, den man nicht einfach aufgibt, nur weil wir heute alle Dienstleister sind. Ein gutes Ingenieurwesen ohne Produktion und Fertigung zu haben, denke ich, ist nicht der richtige Weg. Obwohl das an vielen Orten bereits so gelebt wird, bin ich anderer Meinung. Für mich ist es aussergewöhnlich, dass wir hier bei der MGC in Kaiseraugst noch so viel Handwerk haben. Und ich möchte nicht sagen müssen, ‚Nein, das geht hier nicht mehr’, nur weil alles viel zu teuer ist; die Löhne, der Boden und alles. Das will ich nicht sagen müssen. [...] Der Mensch ist etwas extrem Schwieriges, sei dies unser Mitarbeiter oder der Kunde. Am meisten Fehler machst du hier am Tisch. Die Fehler unten in der Fertigung messen wir mit Protokollen; dann werten wir aus. Aber hier am Tisch ... ‚Hast du deinen Mitarbeiter abgeholt? Hast du ihn motiviert oder demotiviert und sogar komplett fertiggemacht? Oder hast du ihn so hochgehoben, dass er jetzt schwebt und gar nicht mehr arbeiten kann?’ Das ist schwierig. Heute ist das nicht mehr so wie 43 damals beispielsweis im Film von Charlie Chaplin „Modern Times“. Ich denke, dass man heute mit dem Menschen am meisten Fehler macht. Auch wenn du dir noch so viel überlegst, gesagt ist gesagt, und der andere empfindet es so, wie er es empfindet. Das ist eine Herausforderung.“ (Oliver Härdi, Geschäftsleiter) Arbeiten kann man somit auch für eine nachfolgende Generation, für seine Kinder. Wie dies die türkisch-schweizerische Produktionsmitarbeiterin Gökce Sahin, wahrscheinlich stellvertretend für so viele immigrierten und einheimischen Eltern, beschreibt. Arbeiten also um den eigenen Söhnen und Töchtern Bedingungen und Voraussetzungen für ein Hochschulstudium zu ermöglichen, ihnen den Werdegang insofern zu erleichtern, als dass ihnen mit täglicher Arbeit seitens der Eltern der schwere „Stein“ Finanzen aus dem Weg geräumt wird, damit sie sich der Schule widmen können. Und somit arbeitet man vielleicht auc, weil man hier bleiben will; weil man seine Gegenwart und Zukunft hier sieht und sich diese durch Arbeit so gut wie möglich und solange es geht sichert. Gökce Sahin (Produktion, Stellvertreter Gruppenleiter, Duresca): Junge! Wo arbeitest du eigentlich? Interviewer: Ich arbeite bei der Fachhochschule in Basel. G: Und welche Schule hast du abgeschlossen? Was hast du nach dem Gymnasium gemacht? I: Ich ging an die Universität. G: Wohin? Nach Basel? Und welches Fach? I: Soziologie und Geschichte in Basel. G: Meine Tochter hat Medienwissenschaft in Basel studiert und jetzt Soziologie in Bern. Sie hat auch in England studiert, irgendwo, ich weiss zwar nicht genau wo, aber „Papi“ hat sie sowieso immer unterstützt. Wie alt bist du? I: Ich bin 29 Jahre alt. G: Sie ist auch 29 Jahre alt. Dass „Papi“ sie unterstützt, ist ganz normal für mich. Das ist ok. Weisst du, ich brauche kein Appartement, kein Land und so weiter. Hauptsache unsere Kinder, die nachfolgende Generation, studiert, egal wie alt sie sind. Das ist das Problem. Wir hatten mal einen, der hier gearbeitet hat, er kam einmal um 8 Uhr, einmal um 9 Uhr, einmal gar nicht. Das ist auch die Jugend, nicht wahr? Deswegen habe ich heute Mittag in der Pause gesagt, als wir mit deinem Vater über Jugend gesprochen haben, dass das in unserer Zeit anders war. I: Also ich kann nur über meine Eltern sprechen. Ich hätte nie studieren können, wenn sie nicht ... G: Du hast Glück. Weisst du, weshalb? Wenn du in Italien aufgewachsen wärst, wo auch immer, wäre vieles anders gewesen. Dort ist der ‚Kleine‘ dem ‚Grossen‘ ausgeliefert und hat keine Chance. Erst wenn du reich bist, ist es anders. Dein Vater hat bei Moser-Glaser angefangen, hat aufgehört und ist zurück nach Italien gegangen. Du bist wahrscheinlich mit. Ihr seid ein bis zwei Jahre dort geblieben. Dann seid ihr wieder zurückgekommen. Wie gesagt, vielleicht hätte er lieber seine ganze Pension mitgenommen, hätte dort ein bisschen gearbeitet und dann ‚finito’ oder? Er ist aber zurückgekommen in die Schweiz. Und ich werde nie von der Schweiz weggehen. Ich bleibe vom Anfang bis am Ende hier und gehe nur für die Ferien in die Türkei. Die Türkei ist nicht meine Heimat, obschon ich Türke bin. Wir haben da so viel erlebt. Den Militärputsch und all den Scheiss. Wofür? In Italien ist es nicht anders. Da gibt es die Mafia und die Regierung. Jaja, das hast du wahrscheinlich nicht mitbekommen. Du warst zu jung. Aber dein Vater weiss darüber Bescheid. Ich habe hier in der Schweiz ein Haus gekauft. Meine Kinder sind mit Schweizern liiert. Und es spielt auch keine Rolle, ob ich jetzt 30 Jahre oder wie viele auch immer hier bei Moser-Glaser gearbeitet habe. Als ich bei Moser-Glaser angefangen habe, war ich 23 Jahre alt. Ich hatte volles, schwarzes Haar. Jetzt sind meine Haare grau; mein Leben ist kaputt. Jaja, Moser-Glaser. Mit deinem Vater war ich ein paar Mal auf Montage. Ich habe davon auch noch Fotos mit deinem Vater und den anderen Kollegen auf der Arbeit. Jaja, Junge, das Leben ist schwierig. Früher war es einfacher, aber heute ist es schwierig. Manchmal machen es sich die Menschen zwar aus irgendwelchen Gründen doppelt schwierig. Aber heute ist der Unterschied zwischen den Armen und Reichen grösser. Unsere Grossväter dachten 44 anders und dein Vater denkt sicher anders als du. Jeder lebt in seiner Zeit und das ist auch gut. Aber manchmal ist das blöd. Ich kenne so viele Türken hier. Ich habe normalerweise keinen Kontakt zu ihnen; nur mit ein paar Familien. Ich habe viele internationale Kollegen: Italiener, Albaner, Kurden, Türken und so weiter. Überhaupt sehr international. Manchmal ziehe ich deinen Vater ein bisschen auf. Aber er lässt sich nicht schnell aufziehen. Wenn er aber wütend wird, dann muss man aufpassen. Er ist jetzt auch so lange bei Moser-Glaser. Es gibt nur noch ein paar langjährige Mitarbeiter, sonst sind alle weg. Teilweise sind sie gestorben. I: Was hast du am Anfang gearbeitet, also du bei Moser-Glaser angefangen hast? G: Ich war bei den Transformatoren und habe alles Mögliche zusammen geschweisst. 5. Fazit Ein industrie- und arbeitssoziologischer Bericht zur Moser-Glaser hat in erster Linie den Betrieb in seiner Ausgestaltung und Gegenwart zu beschreiben. Dabei wurden einleitend die Produkte der MGC vorgestellt (vgl. Kapitel 1.1. Stromschienen und Durchführungen: Die Produkte der MGC), ihre unmittelbare Geschichte ausgehend vom drohenden Konkurs und der Übernahme durch die Pfiffner Messwandler AG dargelegt (vgl. Kapitel 1.2. Übernahme durch die Pfiffner Messwandler AG und Umzug nach Kaiseraugst) sowie eine Kontextualisierung und Positionierung der Moser-Glaser als Schweizer KMU im globalisierten „Weltmarkt“ vorgenommen (vgl. Kapitel 1.3. Ein Schweizer KMU im Weltmarkt). Seit der Übernahme entwickelt sich die Moser-Glaser vor allem anhand folgender drei Tendenzen: Produktfokussierung, Produktionsintensivierung sowie Internationalisierung und Exportorientierung. Der MGC ist es dabei gelungen, einen spezialisierten und arbeitsteiligen Arbeitsprozess einzurichten, der die widersprüchlichen Herausforderungen der Wiederholbarkeit und Variabilität alltäglich meistert, sowie Innovation, Wissensaneignung und Weiterentwicklung ermöglicht. Die Arbeitsleistung der einzelnen Mitarbeiter und Abteilungen wurde dabei nach Funktion und Stellung detailliert beschrieben (vgl. Kapitel 2. Der Arbeits- und Produktionsprozess). Auffallend ist dabei, wie interdependent diese Arbeitsteilung funktioniert und aufrechterhalten wird; oder anders gesagt: hervorzuheben ist vor allem, wie sehr alle Mitarbeiter in diesem strukturierten und aufgegliederten Arbeitsprozess stets das Ganze mitdenken müssen, damit die einzelnen Stromschienen und Durchführungen überhaupt erst termingerecht geliefert und montiert werden können. In diesem Zusammenhang analysiert der Bericht eine ausgeprägt informelle Betriebsstruktur (vgl. Kapitel 3 „Die Betriebskultur“). Der Bericht stellt dabei die These auf, dass diese vorangehend beschriebenen Entwicklungstendenzen der Produktionsintensivierung massgeblich von einer erhöhten Bereitschaft und einem Zusammenhalt seitens der Mitarbeiter abhängt; oder anders gesagt: ohne diese Betriebskultur liesse sich kaum eine solche Intensivierung, Flexibilisierung und Optimierung der Produktion, verstanden als Ganzheit aller Abteilungen, voranbringen (vgl. Kapitel 3.1. Formelle und informelle Arbeitsorganisation). Festzuhalten gilt es dabei, dass die einzelnen Mitarbeiter dieser ausgeprägt informellen Betriebsorganisation ambivalent gegenüber stehen. Einerseits berichten sie davon, wie diese informelle Struktur und Praxis zu erhöhter Bereitschaft und Zusammenhalt zwingt und dementsprechend auch Verantwortung und Entscheidungshoheit ermöglicht; anderseits wird aber auch moniert, wie sehr die „Wiederholung des Ausnahmefalls“ als Belastung und Stress empfunden wird. Frustrierend ist dementsprechend weniger der Tatbestand Mehrarbeit zu leisten, als vor allem die Unmöglichkeit in Mehrarbeit konsolidierte Strukturen hervorzubringen (vgl. 3.2. Terminkoordinierung und Platz: Flexibilität und Verärgerung). Abschliessend thematisiert der Bericht den gesellschaftlichen Stellenwert der Arbeit und stellt dabei die Frage: weshalb eigentlich arbeiten? Die Arbeitsleistung wird dabei in unterschiedlichen Perspektiven zwischen Notwendigkeit, Möglichkeit, Zwang und Ausgestaltung besprochen (vgl. 4. Arbeit als gesellschaftlicher Wert oder weshalb wir arbeiten). Damit öffnet der 45 Bericht den Blick hin zur gesellschaftlichen Einbindung der Moser-Glaser anhand der Arbeitsleistung der einzelnen Mitarbeiter und versucht diese langjährige Arbeit zu würdigen. 5.1. Diskussion und Ausblick Ein soziologischer Bericht der Moser-Glaser kann sich aber nicht nur damit begnügen, diesen Ist- Zustand zu beschreiben. Solange die Soziologie als Wissenschaft auch einen Anspruch hat, gesellschaftlich relevant zu sein, muss es in dieser Auftragsstudie auch darum gehen, ausgehend von der Analyse Implikations- und Veränderungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Die Soziologie kann diesbezüglich wohlgemerkt keine Wissenschaft der Unternehmensführung sein; wohl aber lassen sich ausgehend von der soziologischen Analysemöglichkeiten die (Re-)Organisation von Betriebskultur aufzeigen. Zu klären gilt es dabei, welche Absichten dahinterstecken. In diesem Fall geht es mir darum, im Sinne der Moser-Glaser ausgehend von der Geschäftsleitung zu denken. Ich frage mich dabei, welches Interesse die Geschäftsleitung an solch einem soziologischen Bericht haben kann und unterscheide dabei zwischen drei Ebenen: Analyse, Problematisierung und Lösungsvorschlag. Auf der Ebene der Analyse lassen sich folgende Kernaussagen zusammenfassen. • Analyse 1: Entwicklungstendenzen Seit der Übernahme durch die Pfiffner Messwandler AG lässt sich die Entwicklung der Moser- Glaser anhand folgender Tendenzen beschreiben: Produktfokussierung, Produktionsintensivierung sowie Internationalisierung und Exportorientierung. • Analyse 2: Nischenprodukte und Swissness Diese Entwicklungstendenzen sind progressiv, notwendig und innovativ zugleich (Maximierung durch Reduktion; Aufgabe des Mythos „Transformator“ und der Plasmatechnologie). Der Moser-Glaser gelang es, sich mit ihren hochwertigen und langlebigen Stromschienen und Durchführungen als Schweizer KMU in einem globalisierten Weltmarkt zu positionieren. • Analyse 3: Produktion und Swissness – die „falsche“ Serienproduktion Die „Nische“ der MGC ist doppelt zu verstehen. Sie setzt sich einerseits durch ihre Produkte im Anlage und Komponentengeschäft zusammen, und anderseits durch den besonderen Arbeitsprozess, der sich durch seine Arbeitsteilung, Wiederholbarkeit, Spezialisierung und Variabilität auszeichnet. Der Moser-Glaser ist es also nicht nur gelungen, ein Nischen-Produkt zu verkaufen; vor allem gelingt es ihr dies als „Nische“ in der Schweiz zu produzieren. • Analyse 4: Erhöhung des Mitarbeiterbestands seit 2001 Als Teil der Pfiffner Gruppe gelang es der Moser-Glaser nicht nur Arbeitsplätze zu erhalten, vor allem auch hat sie neue Arbeit geschaffen und vermehrt ehemals ausgelagerte Arbeitsschritte wieder in den eigenen Betrieb integriert. • Analyse 5: Die Innovations-Notwendigkeit als KMU Ausgehend von der Produktion entwickelt und benötigt die MGC Sonderwissen, Prozessinnovation (z.B. Silikonprozesse) sowie ein eigenes Engineering. • Analyse 6: Informelle Betriebsorganisation, Mehrarbeit und Bereitschaft In ihrer Entwicklungstendenz setzt die MGC auf eine erhöhte Bereitschaft und einen Zusammenhalt seitens der Mitarbeiter. Auf der Ebene der Problematisierung lassen sich folgende Kernaussagen zusammenfassen. • Problematisierung 1: Terminkoordinierung und Verärgerung Seitens der Mitarbeiter gelten die Terminkoordinierungen der gesamten Produktion als „ungenügend“. Diese führen weiter zu „Arbeitsstau“ und „Platzproblematiken“ (herumliegendes Material) sowie Stress und Frust, insbesondere, wenn die „Ausnahmesituation“ zum „Regelfall“ wird (wiederkehrende und wiederholte Problematiken/Fehler). 46 • Problematisierung 2: Informelle Betriebskultur und Rekrutierungsproblematik Die Betriebsorganisation basiert zu einem systemrelevanten Teil auf der informellen Betriebskultur, ist dementsprechend weniger sichtbar und kann zu Rekrutierungsproblematiken führen. Auf der Ebene des Lösungsvorschlags lässt sich folgendes zur Problematik der Terminkoordinierung vorbringen. • Lösungsvorschlag: (Re-)Organisation Terminkoordinierung Die Terminkoordinierung wird derzeit in der offiziell-informellen TeKo-Sitzung sowie den informellen Aushandlungen zwischen den Mitarbeitern und Abteilungen organisiert. Auffallend dabei ist, wie sehr diese informelle Aushandlung (Zuruf-Prinzip) gegen Ende der Arbeits- und Produktionskette zunimmt. Dementsprechend liesse sich diese Terminkoordinierung reorganisieren. Die informelle Aushandlung zwischen den Mitarbeitern und Abteilungen kann dabei als solide Basis der Organisation betrachtet und dementsprechend auch beansprucht werden; die Terminkoordinierung kann aber nicht massgeblich von dieser informellen Aushandlung abhängen. Vorgeschlagen wird demgegenüber eine Auslagerung mit Kompetenzverlegung der Terminkoordinierung auf eine einzelne Person. Die Funktion sollte weder der Geschäftsleitung noch einer Abteilungsleitung zugesprochen werden. Vielmehr entspricht es einer Stabsstelle, die in eher unsichtbarer und kaum wahrgenommener Arbeit und Kompetenz, Termine vor allem informell koordiniert und überwacht, so dass diese formell eingehalten werden. 6. Gespräch mit Fritz Hunziker, Präsident Pfiffner Gruppe Das folgende Gespräch mit dem Präsidenten der Pfiffner Gruppe, Fritz Hunziker, fand am 3. Juli 2014 in Hirschtal statt. Fritz Hunziker hat sich bereit erklärt, in einem Treffen über die Übernahme der Moser-Glaser, die Pfiffner Gruppe, sowie den Wirtschaftsstandort Schweiz und KMUs sowie auch über seine Arbeit als Unternehmer zu sprechen. Vor dem Gespräch führte mich seine Assistentin Beatrice Frey durch die Werkhallen der Pfiffner Hirschtal und bot mir so einen eindrücklichen Einblick in den Betrieb mit all seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und dem wie sie es nannte, „organischen Wachstum“, sprich dem Miteinander von historischen und modernsten Hallen, Bauten und Maschinen. Ich habe mich dazu entschieden, dieses Gespräch in seiner ganzen Länge wiederzugeben. Neben der Moser-Glaser kam Fritz Hunziker in diesem Treffen auf unterschiedlichste gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen wie Verhältnisse zu sprechen. Er vertritt dabei äusserst klare und spannende Position; diese möchte ich wiedergeben. Interviewer: In diesem Gespräch würde ich mit Ihnen gerne drei Bereiche ansprechen. Erstens: die Übernahme der Moser-Glaser durch die Pfiffner, zweitens: allgemeiner über Industrie, KMUs und den Wirtschaftsstandort Schweiz, und drittens: sie als Person und Unternehmer. Anfangen würde ich gerne damit, dass Sie sich kurz vorstellen und darlegen, was Ihre Funktion bei der Pfiffner Gruppe ist. Fritz Hunziker: Also mein Name ist Fritz Hunziker. Ich habe ursprünglich eine Berufslehre als Elektromechaniker gemacht und anschliessend ein Jahr auf dem Beruf im Welschland gearbeitet. Danach habe ich berufsbegleitend die Fernmatur absolviert, also die eidgenössische Matur bei der AKAD, um darauf folgend das Studium der Elektrotechnik mit Beginn an der ETH Lausanne und Fortsetzung in Zürich mit Diplom abzuschliessen. Danach habe ich drei Jahre bei der damaligen BBC gearbeitet und bin anschliessend in den Betrieb des Vaters in Hirschthal zurückgekehrt. Die Firma Pfiffner hatte damals 80 bis 90 Mitarbeiter und machte einen Umsatz von zirka 6 Millionen Franken. Wir waren die graue Maus in der Branche. Damals gab es mit uns fünf weitere Hersteller von Messwandlern, u.a. Moser Glaser und die Häfeli. Das waren eigentlich die zwei Schweizer Konkurrenten. Irgendwann hat man die Moser Glaser aber nicht mehr so stark wahrgenommen als Konkurrenz, insbesondere damals, als sie sich entschieden haben, in eine völlig neue Technologie und Tätigkeit hineinzugehen, in die Plasma-Verbrennungs-Technik von hochtoxischen Abfällen. Als dann in der Basler Zeitung die Mitteilung kam, dass es Moser Glaser wirklich nicht gut geht, habe ich den damaligen CFO von Moser Glaser 47 angerufen. Daraus ergab sich die Übernahme, die dann per Mitte Februar 2001 erfolgte. Wir haben diese Übernahme im Verwaltungsrat diskutiert und uns gefragt, ob es Sinn macht und zu uns passt. Entscheidend war dabei das Faktum, dass Moser-Glaser Produkte herstellt, die ein weniger anders sind als unsere und diese zugleich Zukunft haben. Die Produkte der MGC werden wahrscheinlich - auf eine etwas längere Sicht gesehen - eher überleben, als jene Produkte, die wir in Hirschthal fertigen. Das sind die Gründe weshalb wir gesagt haben 'ja, wir versuchen es!' I: Sie haben das mit dem Zeitungsartikel am Kundenanlass der Moser-Glaser sehr eindrücklich beschrieben. Wie viel war bei der Übernahme der Moser-Glaser durch die Pfiffner Zufall und wie viel Planung? Wollten Sie in das Stromschienengeschäft Duresca hineinkommen? H: Nein es war nicht so, dass wir gesagt haben, wir suchen intensiv, weil wir diese Technologie wollen. Es war wirklich der Zeitungsartikel. Von daher spielte sehr viel Zufälligkeit mit. Ich denke, das ist im Leben und auch im Berufsleben so. Und vielleicht gilt eben manchmal doch das Glück des Tüchtigen, wenn man sich wirklich mit Engagement und einer gewissen Freude der täglichen Arbeit widmet. I: Wie hat man damals die Situation bei der Übernahme analysiert? Haben die Produkte der Moser-Glaser eine Zukunft? H: Also, was die Moser Glaser herstellt, ist die Stromführung. Wenn man das klassisch anschaut, vom Generator bis zum Trafo. Und da gibt es praktisch keine anderen Technologien als eine Verbindung durch eine Kupfer- oder Aluminiumleitung. Es gäbe, ich sage aber jetzt eher theoretisch, noch die Supraleiter, aber diese ist in ihrer Fertigung aufwendig und vor allem teuer. In den gewöhnlichen Anwendungen der Stromführung kommt die Supraleiter derzeit nicht vor. Sie wird heute nur in speziellen Anwendungen eingesetzt, z.B. CERN oder PSI. Bei den Messwandlern hingegen spricht man bereits seit 30, 40 Jahren von Messsensoren. Da könnte ein gewisser sanfter Technologiewandel gestartet haben. Bei der Stromschiene sehe ich hingegen schlicht nichts, was diese ablösen könnte. Man kann den Strom nicht durch die Luft schicken. Er muss mit dieser Energiedichte über einen metallischen Leiter geführt werden. I: Was wurde mit der Übernahme der MGC durch die Pfiffner verändert. Von meinem Vater weiss ich, dass dann irgendwann später die Geschäftsleitung ging beziehungsweise entlassen wurde. H: Also, das Unternehmen hat sich natürlich über ein paar Jahre schon nicht mehr so positiv entwickelt. Ich sage jetzt das böse Wort, 'der Fisch stinkt am Kopf zuerst aber irgendwann stinkt der ganze Fisch'. Was ich damit sagen will: Wenn natürlich die Inhaber des Unternehmens eigentlich signalisieren, 'das, was ihr arbeitet ist nicht mehr wichtig, wir gehen jetzt in eine andere Technologie' und auch die nötige Aufmerksamkeit nicht länger der traditionellen Tätigkeit zuwenden, dann sinkt natürlich auch die Motivation der Mitarbeiter. Das Ganze wird etwas träger. Es wird nicht mehr mit dieser Effizienz und Begeisterung gearbeitet. Und das war die Situation, als wir die Firma übernommen haben. In den ersten drei Jahren brauchte es da doch auch einen Kraftakt, die Leute wieder auf ein höheres Leistungsniveau hinauf zu bringen. Wir haben dann mit dem damaligen Finanzleiter gestartet. Er hatte sich dazu bereit erklärt, die Geschäftsleitung zu übernehmen. Wir sahen, dass zwar sehr viel Wille vorhanden war, aber einfach insgesamt die Fähigkeiten nicht ausreichend waren. Er war kein technisch geschulter Mann. So haben wir einen Externen angestellt. Dieser brachte eine gewisse Veränderung. Aber es war nicht das, was wir uns vorgestellt haben. Herrn Härdi, der dann im Jahr 2004 als Betriebsleiter hereinkam, haben wir nach drei Monaten zum Geschäftsleiter befördert und haben dort offensichtlich die richtige Wahl getroffen. Seither geht es dem Unternehmen gut. I: Und die Übernahme: wie stark ist es ein finanzieller Entscheid, sozusagen eine strategische Entscheidung im Hinblick darauf, dass die Pfiffner Gruppe weiterwächst? Wie stark spielt es hingegen eine Rolle, dass man sozusagen neue Technologie übernimmt? Und wie stark spielt es eine Rolle, dass man bei der MGC Arbeitsplätze sichern und erhalten kann? H: Also es wäre jetzt zu stark geschönt, wenn ich sagen würde, ich wollte mit der Übernahme in erster Linie Arbeitsplätze retten. Als Unternehmen schaut man ein Unternehmen an und analysiert, ob dieses Unternehmen eine Chance am Markt hat. Und diese Fragen haben wir mit ja beantwortet. Wir hatten das Gefühl, dass das Unternehmen eine Chance hat. So können wir natürlich indirekt auch Arbeitsplätze erhalten und vielleicht wieder weiter ausbauen. Die Überlegung ist aber nicht die des barmherzigen Samariters. Wir reisen nicht im Land herum und halten Ausschau nach Arbeitsplätzen, die wir retten können. Der Ansatz ist ein anderer. Wo ist ein Unternehmen, das zu uns passt, bei welchem es vielleicht gewisse Synergien geben könnte, das in der gleichen Branche ist und das auch eine gewisse Zukunft verspricht. Wenn das dann passt, dann erwarte ich von jedem Unternehmer und Geschäftsleiter, dass er für die Arbeitsplätze kämpft, die er hat. Das schon. Aber wenn wir jetzt zum Schluss gekommen wären, dass das Unternehmen eine ganz schwierige Zukunft hat, dann hätten 48 wir wahrscheinlich gesagt, 'lieber die Finger davon lassen', weil Probleme haben wir auch hier schon genug, die wir täglich lösen müssen. Auf der anderen Seite denke ich, geht es mir wie vielen anderen Unternehmern, die auch Freude haben und einen gewissen Stolz, wenn wir möglichst viel Produktion hier im Land behalten können. Und Moser Glaser und noch in stärkerem Mass Pfiffner in Hirschthal hat eine Wertschöpfungstiefe wie sie fast ihresgleichen sucht. Wir machen sehr viel selber hier und dies, wie ich meine, recht professionell. I: Mitarbeiter haben mir bei den Interviews gesagt, „weisst du, bevor wir übernommen wurden, da haben wir zum Beispiel das Biegen der Stromschienen auswärts machen lassen, jetzt machen wir all die Sachen selber.“ und dann haben sie mir alles gezeigt, was sie jetzt innerhalb der Fertigung selber machen. Das fand ich sehr eindrücklich. H: Das ist ein gutes Beispiel mit dem Biegen. Ich habe bald gesehen, dass es viel zu teuer ist, auswärts biegen zu lassen. Nicht das Biegen als solches, sondern die ganze unsinnige Logistik. Gebogene Leiter sind sehr aufwendig zu transportieren. Manchmal nur wenige Schienen auf einem Lastwagen. Da haben wir gesagt, diesen unnötigen Transport, den sparen wir uns und wir sind am Schluss konkurrenzfähiger, wenn wir das selber machen. Für die Mitarbeiter war es natürlich auch positiv zu sehen, dass wieder investiert wird. Die Biegemaschine war eine der ersten Investitionen, bei der man sah, dass der Inhaber auch an die Zukunft des Unternehmens glaubt. I: Beim Kundenanlass haben Sie auch gesagt, dass Sie davon überzeugt sind, dass man in der Schweiz produzieren kann. H: Wir haben hier im Suhrental eine ehemalige Bürstenfabrik, die eine der ganz grossen Zahnbürstenhersteller ist. Also ein Billig- und Wegwerfprodukt. Die Firma ist etwa doppelt so gross wie die Pfiffner-Gruppe, investiert jährlich im zweistelligen Millionenbereich, gilt als vorzüglicher Arbeitgeber, ist erfolgreich. Und da gibt es noch eine Grosszahl anderer Beispiele in der Schweiz, die eben zeigen, dass sehr viel möglich ist. Aber ich glaube, der unternehmerische Wille muss da sein und es reicht nicht, wenn der Chef alleine dran glaubt. Die Mitarbeiter müssen mitziehen, auch daran glauben und einen entsprechenden Einsatz leisten. I: Wie schafft man es als Unternehmer, dass die Mitarbeiter mitarbeiten? Wie kann man so etwas organisieren? H: Ja, das geht natürlich nicht, indem ich ein "Kürslein" mache und das lerne. Es gibt schon Dinge, die man lernen kann, bei denen man sich verbessern kann. Ich glaube, das Wichtigste ist, dass man vorangeht, ein Vorbild ist, das vorlebt, was man von den Mitarbeitern erwartet. Zudem, und das ist vielleicht fast noch schwieriger, dass man dann aber auch entsprechend Druck macht und von den Mitarbeitern viel verlangt. Auch das muss sein und ich glaube, die Moser Glaser zeigt das mit Herrn Härdi eindrücklich vor. Er stellt extreme Ansprüche an sich selbst, aber auch sehr hohe Ansprüche an die Mitarbeiter. Er hat eine Akzeptanz und auch eine Anerkennung im Unternehmen, die erstaunlich ist, wenn man sieht, wie hart er manchmal mit den Mitarbeitern umgeht. Ich nehme sehr gerne Oliver Härdi als Beispiel. Er ist transparent. Ihn sieht man im Unternehmen. Auch hat er ein Flair für sehr viele Bereiche. Er ist ein Multitalent. Er kann verkaufen, er kann einkaufen, er kann Personal einstellen, er kann schwierige Personalgespräche führen, er hat von der Technik eine Ahnung, von der Produktion bis hin zur der Spedition. Das alles muss auch ein wenig gegeben sein. I: Die Pfiffner Gruppe produziert in der Schweiz. Zugleich ist die Pfiffner Group aber auch in Brasilien und der Türkei präsent. Ich habe im Schweizer Fernsehen ein Interview von Ihnen gesehen, in welchem Sie mit dem Euro/Schweizerfranken Kurs eindrücklich beschrieben haben, dass das nicht nur einfach ist, aber Sie auch da Investitionen gemacht haben. Meine Frage: wieso gehen sie nachdem sie nun Pfiffner Brasilien und Pfiffner Türkei haben jetzt auch noch nach Deutschland? H: Die Situation ist seit ein paar Jahren klar: Grosse Märkte verlangen eigentlich eine Wertschöpfung im eigenen Land. Früher war es relativ einfach. Man hat aus dem hochindustrialisierten und modernen Europa heraus einfach den Rest der Welt beliefert, zusätzlich wurde vielleicht noch ein bisschen in Amerika und Japan produziert. Und die anderen, ich sage jetzt armen Länder, mussten bitte unsere Geräte oder unsere Leistungen kaufen. Und da hat natürlich, insbesondere China, eindrücklich Gegensteuer gegeben und gesagt, 'Ihr dürft liefern aber ihr müsst auch Know-how liefern'. Für uns war zum Beispiel die Türkei absolut ein weisser Fleck. Wir haben da keine Schraube verkauft. Es hat sich da auch aus einer gewissen Zufälligkeit heraus, die Chance ergeben, etwas aufzubauen mit Leuten, die ich kannte. Sie hatten ein gewisses Know-how und dadurch konnten wir den türkischen Markt gewinnen. Wobei wir diesen dann mehrheitlich aus der Türkei heraus beliefern. Die Situation ist heute so, dass wir trotzdem aus der Schweiz noch ein wenig mehr in die Türkei liefern als retour. Und auf der anderen Seite haben wir dort ein zusätzliches Standbein oder ein Standbein, das wir hier hatten, aber schwach war: die Giessharztechnologie. Die Pfiffner Türkei ist heute das Zentrum der 49 Giessharztechnologie. Brasilien ist ähnlich. Brasilien hat von aussen sehr hohe Einfuhrzölle. Da kann man von Aussen nur schwerlich etwas ins Land hineinliefern. Wir hatten dort auch über Jahr eine Kooperation aus einer zufälligen Begegnung an einer Messe heraus und irgendwann hat es dann dazu geführt, dass wir gesagt haben, wir möchten das jetzt zu einem eigenen Unternehmen ausbauen. Und heute sind wir in Brasilien doch recht gut verankert. Das gibt uns dann gewisse Synergien, indem vielleicht die Einkaufsvolumen da oder dort höher sind bei gewissen Teilen. Wir liefern immer noch gewisse Dinge von Europa und der Schweiz. Es gibt dann aber weltweit auch einen besseren Bekanntheitsgrad. Das hilft allen Unternehmen gleichzeitig. Und als Letztes noch Deutschland. Dort haben wir auch über Leute, die ich kannte, Zugang bekommen zu einer neuen Technologie, die wir noch nicht hatten. Das sind die gasisolierten Freilaufgeräte. I: Das finde ich eindrücklich beschrieben und wenn ich da an meine Lehrbücher in der Soziologie und Wirtschaft, denke, die oft einseitige behaupten, beim Outsourcing gehe es nur darum, Kosten zu sparen, dann finde ich ihre Position spannender. Sie haben im Interview aber auch gesagt, dass es jemanden vor Hausforderungen stellt, im Ausland eine Produktion aufzubauen. H: Das war die 10 vor 10-Sendung, die Sie wahrscheinlich ansprechen. Da war ich natürlich total geschockt von dieser Franken-Überbewertung oder spekulativen Franken-Überbewertung, wie ich dem sage und da habe ich wirklich schwarz gesehen und gesagt, jetzt starten wir mit einem ersten Projekt, die Produktion etwas in die Türkei hinunter zu verlagern. Wir haben das dann mit Hängen und Würgen gegen ziemliche interne Widerstände gemacht und die Leute haben bei jeder Gelegenheit versucht zu beweisen, dass das doch nicht richtig ist. Wir haben uns inzwischen dann trotzdem entschieden, diesen Prozess zu automatisieren und wieder in der Schweiz zu vrlagern. Und zu der ganzen Franken/Euro Situation muss ich sagen, ich habe mich damals getäuscht, wir haben das irgendwie geschafft, mit dem doch relativ ungünstigen Franken/Euro Kurs leben zu lernen, aber der Druck wurde noch grösser. Also wir haben es eigentlich nur mit einer enormen Parforce- Leistung geschafft, diese Währungsnachteile zu kompensieren. Was sich aber verändert hat ist, dass heute weniger Lieferanten in der Schweiz vorhanden sind. Also da hat schon eine Verlagerung stattgefunden. Und wir haben auch mit einigen Schweizer Lieferanten heute Währungsbasis Euro und nicht mehr Franken. Also insofern hat dies indirekt auch eine gewisse Arbeitsplatzverlagerung ins Ausland nach sich gezogen. I: Wenn wir noch vom Wirtschaftsstandort Schweiz reden. Was würde man sich da aus Ihrer Perspektive als Unternehme für den Standort Schweiz wünschen? H: Also ich glaube, was mir als Unternehmer etwas weh tut, ist doch eine zunehmende Bürokratie. Man wird zu immer mehr Dingen gezwungen, die man noch machen muss, welche nicht produktiv sind. Das ist aber ein Stück weit eine weltweite Erscheinung. Wobei wahrscheinlich Amerika und Europa ein wenig vorangehen. Noch denke ich, ist es in der Schweiz in vielen Bereichen etwas besser als in umliegenden Staaten. Aber das ist etwas, das eher zunimmt. Auch sehr viele unsinnige Bürokratie, die am Schluss natürlich auch die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt. Und ich meine insgesamt würde ich mir immer noch wünschen, dass es eine gewisse Angleichung geben würde bei den Kosten, Lebenshaltungsniveau, weltweit, das würde es uns auch ein wenig leichter machen. Aber das ist etwas, das man sich zwar wünschen kann, aber ob es dann einmal eintritt, ist etwas anderes. I: Und wie sieht es sozusagen auch mit einer Anerkennung aus, sagen wir jetzt von der Schweizer Bevölkerung aber auch von der Gesellschaft und auch von Verwaltung und Politik? H: Also der Kanton Aargau ist ja der Industriekanton par excellence. Und ich glaube, die Industrie wird im Aargau von Seiten der Behörden doch auch geschätzt. Von daher denke ich, sind wir in der Schweiz im Kanton Aargau an einem guten Ort. Wenn ich demgegenüber hingegen zum Beispiel Brasilien anschaue, das es als Land eigentlich bitter nötig hätte, noch ein wenig mehr Produktion und Industrie zu haben, denke ich eher, dass man dort als Unternehmer kaum geschätzt wird. In Brasilien gelten eigentlich nur die ganz grossen Unternehmer etwas und die kleinen, die gelten nicht viel. I: Sie haben gesagt, mit der Übernahme der MGC gibt es im Produktionssegment der Pfiffner Gruppe nicht mehr viel Konkurrenz in der Schweiz. H: Also, mittlerweile gibt es auch in Westeuropa nicht mehr viele Konkurrenten auf dem Markt. In Spanien gibt es zwar noch ein Familienunternehmen, das ungefähr drei- bis viermal so gross ist wie wir. Dann noch zwei Unternehmen in Deutschland, eines in Kroatien und noch Russland. Aber an und für sich treffen wir nur noch auf die besten Europäer. Und ich denke, da findet dann mal eine gewisse Marktbereinigung statt. I: Wie viele Mitarbeiter hatte die Pfiffner als sie 1987 übernommen haben? H: Da waren wir ungefähr um die 80, 90 Mitarbeiter. 50 I: Wie viele sind es jetzt? H: Bei der Pfiffner Gruppe sind es jetzt gut 450 Mitarbeiter. I: Und hier in Hirschtal? H: Im Moment sind wir hier in Hirschtal etwa 250 Mitarbeiter. I: Was mich interessiert, auch wenn ich die Produktionshallen hier in Hirschtal sehe, Frau Frei sagte: „organisches Wachsen“. Wieso sagen sie nicht, „ich bleibe einfach auf dem, was ich habe.“ Ist es notwendig zu wachsen? H: Ich bin der Meinung, als Unternehmer sollte man die Chancen packen, wenn es gute sind, sonst wird man eines Tages bestraft. Wir haben eine Grösse, bei der wir eine gewisse vernünftige Entwicklung selber betreiben und auch finanzieren können. Ich habe Ihnen vorher gesagt, dass irgendwann in der Zukunft ein Technologieumbruch stattfinden wird und da arbeiten wir heute daran, dass wir dann bereit sind. Wenn man im Export tätig sein will, braucht es auch eine gewisse Grösse, einen gewissen Bekanntheitsgrad. Das geht miteinander. Und so gesehen, denke ich, dass es nicht um den Drang geht einfach immer grösser, immer schneller, immer weiter. Aber ein Stück weit muss man das mitmachen. Also wenn wir heute noch nur für den Schweizer Markt produzieren würden, dann hätten wir vielleicht noch 60 Angestellte und damit wäre es ein kleines Unternehmen, das fast keine Möglichkeiten oder keine Mittel hätte, um eine Weiterentwicklung zu betreiben. Ja das ist... Der Vater hat einige Male gesagt, 'du übertreibst, ihr wachst zu schnell, ihr wollt zu gross werden'. Konkurrenten sind teilweise im gleichen Zeitraum noch schneller gewachsen. Das stört mich nicht. Man muss das Wachstum auch verdauen können. Aber ich denke, wir haben heute eine vernünftige Grösse, wir wachsen weiter, aber nicht mehr so schnell. I: Wie kann man so etwas abschätzen? Sozusagen in Gegenwart und Zukunft gleichzeitig denken. Oder besser gesagt, inwiefern geht es beim Wachsen um Erhaltung und inwiefern geht es nur um Ausbau? H: Also ich bin der Meinung, das kann man nicht trennen. Sie können sich vielleicht erinnern an die Firma Hiestand Gipfeli Backwaren. Ist in der Schweiz gegründet worden von Fredy Hiestand in Zürich. Ist dann irgendwann ein Unternehmen geworden mit 100 Millionen, 200 und 300 Millionen und dort hatte man das Ziel, die Umsatzmilliarde. Das ist etwas, was ich jetzt nicht verstehe, warum das ein Ziel sein kann. Aber ich denke, man muss wissen, ungefähr welche Grösse sinnvoll ist, damit man überlebensfähig ist. Moser Glaser denke ich, ist heute mit 100 Mitarbeitern überlebensfähig, aber beide Unternehmen profitieren heute natürlich ein klein wenig voneinander. Zum Beispiel: gemeinsamer Messeauftritt, gegenseitige Hilfe bei gewissen Aufträgen, gemeinsame Entwicklungsabteilungen. Ja, da macht eine gewisse Grösse Sinn und kann sogar überlebensnotwendig sein. Einfach nur Wachstum um des Wachstums Willen, das sehe ich als falsch an. Aber wenn sich gute Chancen bieten und man die konsequent auslässt, dann bin ich der Meinung, wird man eines Tages abgestraft. Das gilt für alles. Das kann Weiterentwicklung sein, eine neue Technologie verpassen, ein anderes Unternehmen übernehmen. Also ich glaube, als Unternehmer muss man einfach offen sein und stetig schauen, wo gibt es noch Chancen und Möglichkeiten. Und das sehe ich eigentlich hinter dem Wachstum, welches wir anstreben. I: Sie haben die Mitarbeiter angesprochen. Kann man das vergleichen 1987 und heute? Sie haben auch gesagt, heute verlangt die Arbeit viel von den Mitarbeitern, weil die ganze Produktion vielleicht auch intensiver geworden ist. H: Ja, da wird heute schon intensiver gearbeitet. Auch wenn ich schaue wie ich 1985, 1986 oder 1987 gearbeitet habe und wie ich heute arbeite. Das ist intensiver geworden. Das ist so. Und ich denke, das ist natürlich auch der Preis unseres hohen Wohlstandes. Wenn wir den behalten wollen, dann braucht es das. Eine ABB sagt z.B. einen Führungsmann will man mit 58 Jahren aus der Führungsverantwortung nehmen, ihn aber noch behalten, um von seinem Wissen, von seiner Erfahrung profitieren zu können. Aber der ist mit 58 Jahren in der Regel doch schon etwas müde und etwas heruntergearbeitet und dort muss wieder ein Junger hin. Das denke ich, ist schon etwas anders geworden im Gegensatz zu früher. Und auch für die Mitarbeiter da unten in der Produktion, denke ich, gilt das Gleiche. I: Wenn ich darf, würde ich noch sehr gerne über die Lehrlingsausbildung sprechen. Als ich das Firmengebäude betreten haben, habe ich den Kleber der „Berufsbildung plus“ gesehen. Heute wird viel über die Berufsbildung gesprochen. Es finden sich sowohl weniger Lehrlinge als auch weniger Firmen, die Lehrstellen anbieten. Deshalb: Weshalb bilden Sie in Hirschtal Lehrlinge aus? Oder direkter formuliert: weshalb erlauben Sie sich noch Lehrlinge? 51 H: Gerade heute hatten wir die Übergabe der Lehrbriefe an die Lehrlinge. Wir hatten ein ausgezeichnetes Jahr. Wir haben sieben Lehrlinge, die jetzt raus gehen, die ausgezeichnete Abschlüsse haben. Der Erfolg der Schweizer Industrie und des Schweizer Handwerks basiert meiner Überzeugung nach und da bin ich froh, dass es auch in Bern so gesehen wird, auf unserer Berufsausbildung. Das ist etwas was weltweit nahezu einzigartig ist, nämlich die extrem praktische Ausbildung, in welcher Leute eben nicht in einer Lehrwerkstatt ausgebildet werden, sondern im Betrieb. Da lernt man auch eintönige, langweilige, schwere und schwierige Arbeiten zu mache un. Bekommt dazu aber auch noch eine schulische Ausbildung, die fast einzigartig ist auf der Welt. […] Wir haben drei Kinder. Zwei haben eine Lehre gemacht und die Dritte macht den schulischen Weg. […] Für mich stellt sich nicht die Frage, ob es rentiert oder nicht. Es braucht die Berufsbildung. Solange wir Fachleute wollen, müssen wir sie auch ausbilden. I: Kommen wir noch auf den Fachkräftemangel zu sprechen. Wie schwierig ist es heute, die Arbeitskräfte zu finden, die man auch sucht? H: Wenn ein Unternehmen einen gewissen Namen hat, fällt es etwas leichter. Der Mensch schaut immer nach dem Grossen, dem Schnellen und dem Rekordverdächtigen. Auf der anderen Seite bin ich aber überzeugt, dass ein KMU eigentlich mehr bieten muss als ein Grosskonzern. Das ist zwar nicht ganz einfach. Aber ich glaube, es dass es eben schon wichtig ist, dass man einfach wieder mehr zeigt, welchen Stellenwert eine Berufslehre hat und welche Möglichkeiten danach vorhanden sind, wenn man tüchtig ist. Ich habe selber diesen Weg gemacht und ich denke, dass es für diese Funktion ein optimaler Ausbildungsweg war. I: Gerne möchte ich noch weiter über den Unterschied zwischen Grossunternehmen und KMU sprechen. Oliver Härdi hat im Gespräch eindrücklich beschrieben, wie am Anfang, als er zu MGC kam, Freunde von ihm, die bei der ABB gearbeitet haben, auch ein wenig gesagt haben, „warum tust du dir das an bei der Moser Glaser?“. Jetzt hingegen kann er stolz davon erzählen, wie er die Produktionshalle in Kaiseraugst ausbaut; bei seinen Freunden hingegen ist gar nicht klar, ob sie in ein paar Jahren noch ihre Stelle haben, weil die ABB vielleicht in Baden schliesst. H: Also, noch vor 20 Jahren hiess es natürlich, wenn du eine sichere Stelle willst, musst du in eine Grossfirma. Das ist heute nicht mehr ganz so. Da bin ich natürlich eigentlich froh, dass in dem Sinn die Stellung der KMUs etwas gestärkt wurde; dass manches KMU besser über die Runden kam als ein Grosser. Und gerade bei den Grossen gibt es eben häufig Entscheide, Konzernentscheide, die vielleicht weit weg getroffen werden, nicht mal mehr in der Schweiz und da ist man dann eigentlich ein wenig machtlos. In einem Kleinbetrieb muss der Unternehmer seinen Angestellten hoffentlich mehrmals wöchentlich in die Augen schauen und dann fällt es auch etwas schwerer, solche Entscheide zu fällen. Das ist auch die gegenseitige Abhängigkeit und Verantwortung, die die kleineren Strukturen eben mit sich bringen. I: Wenn Sie das Kundenverhältnis anschauen, wie hat sich das verändert in den letzten Jahren? H: Also in den letzten 20 Jahren hat natürlich ganz klar der Preisdruck zugenommen. Früher war es noch so, dass wir praktisch jährlich die Teuerung auf die Produkte aufschlagen konnte. Da sind wir heute davon weg und wo das endet, weiss ich auch nicht. Also irgendwann ist die Zitrone ausgepresst und dann geht es dann nicht mehr. Unsere Konkurrenten versuchen im Moment mit möglichst vielen chinesischen Komponenten noch zu einer gewissen Rendite zu kommen. Wir setzen im Moment noch 99% Teile aus Europa ein. I: Wenn ich jetzt noch über Moser Glaser sprechen darf. Hat sich die Übernahme gelohnt? H: In den ersten drei Jahren haben wir uns diese Frage viele Male gestellt und gesagt, ja hoffentlich lohnt es sich dann, vielleicht lohnt es sich dann noch. Man kann sagen, seit der Härdi am Ruder ist, hat sich diese Firma sehr positiv entwickelt und wenn man es nur finanziell anschaut, können wir heute sagen, es hat sich gelohnt. Wir können gewisse Sachen gemeinsam machen und wir sind durch das auch ein wenig stärker. Das hat sich sicher gelohnt. I: War es damals bei der Übernahme eine Option in Muttenz zu bleiben? H: Wir haben diese Option angeschaut. Am Schluss haben wir aber gesagt, 'es kommt uns gleich teuer, wenn wir an einen neuen Ort auf der grünen Wiese bauen können und damit vielleicht auch aus dem alten Mief herauskommen'. Und das haben wir dann gemacht und das ist glaube ich sehr erfolgreich gewesen. Da hat es dann auch bei den Mitarbeitern irgendwie ein wenig ‚Klick‘ gemacht. Allein der Umzug in das neue Gebäude. Das geht natürlich eine Zeitlang, bis das Ganze wieder rund läuft und so, aber das hat eine Produktivitätsverbesserung gegeben, die war enorm. I: Heute hat mir mein Professor gesagt „wie sieht es denn bei KMUs mit Gewerkschaften aus?“ Von meinem Vater weiss ich, dass die MGC vor der Übernahme im Generalarbeitsvertrag war. 52 H: Moser-Glaser war bei Swissmem und von daher war man auch bei der Gewerkschaft. Ich habe dann gesagt, wir lassen das mal so parallel laufen. Wir haben hier in Hirschthal 41 Stunden gearbeitet und bei Moser Glaser haben sie 40 Stunden gearbeitet. Wir haben drei Jahre lang immer Geld da hinunter geschickt, weil es nicht reichte, was die erwirtschaftet haben, um die Löhne bezahlen zu können. Und dann sagte ich mit Herrn Härdi zusammen, das bringt eigentlich überhaupt nichts. Es kostet die Mitarbeiter noch ein wenig etwas und die Gewerkschaften, die haben nicht stark reingeredet, aber es war doch ein wenig, ich sage jetzt ein kleiner Klumpfuss. Als wir bekanntgaben, dass wir austreten wollen, haben sie zuerst etwas scharf reagiert. Danach haben sie auch gesagt, sie würden uns entgegenkommen, sie wären auch einverstanden, dass wir auf 41 Stunden hinaufgehen. Wir haben gesagt nein, wir machen es gleich wie in Hirschthal. Die Gewerkschaften haben ja schon auch eine Funktion, das muss man schon sehen. Das Problem ist eben, dass es, wie überall, schwarze Schafe gibt: bei den Arbeitgebern und bei den Arbeitnehmern. Und deswegen braucht es dann Gesetze, deswegen braucht es Regeln, deswegen braucht es vielleicht Gewerkschaften. Ich denke heute, dass die allermeisten Mitarbeiter sagen, dass es auch ohne geht. Einfach weil sie sehen, dass man anständig miteinander umgeht. Das ist ja glaube ich die Hauptfunktion der Gewerkschaften, einen gewissen Druck auszuüben, dass man die Arbeitnehmer anständig behandelt. Es ist sicher eins und das hat auch mit der Entwicklung der Gesellschaft zu tun, hat aber auch mit dem Dreiländereck Basel zu tun. In Frankreich, wo das Verständnis der Arbeitnehmer etwas anders aussieht. Also wenn man einem französischen Arbeitnehmer kündigt, dann kommt in der Regel zuerst ein Arztzeugnis, ein Krankenzeugnis für ein halbes Jahr, oder. Das ist dort einfach Brauch und das macht man und das zieht man durch und fertig. Das ist in der Schweiz eigentlich nicht so. Ich finde schon, dass eine Kündigung einfach nur im Notfall ausgesprochen werden sollte, wenn es nicht mehr anders geht oder wenn es wirklich eine Notsituation ist für das Unternehmen. Aber dass man praktisch einfach ein Arztzeugnis fast wie in der Migros abholen kann, das finde ich nicht richtig. Das ist keine gute Entwicklung. So etwas schwächt natürlich auch einen Arbeitsplatz und einen Standort. I: Gewisse Soziologen sagen, der Gegensatz Arbeitgeber und Arbeitnehmer sei veraltet; heute hätten beide ähnliche Interessen und deshalb braucht es auch keine Vertretungen wie Gewerkschaften. H: Selbstverständlich gilt immer ein Stück weit das Gesetz von Angebot und Nachfrage. Wenn die Arbeitslosenrate hoch ist, dann wird der Arbeitnehmer eher gedrückt und wenn die Arbeitslosenrate sehr klein ist, dann wird eher der Arbeitgeber gedrückt. Also der Mensch ist eben einfach ein Stück weit so. Und von daher denke ich, braucht es gewisse Regularien und ich bin da vielleicht ein wenig ein Aussenseiter, wenn ich sage, von mir aus gesehen braucht es Mindestlohn und es braucht auch einen Maximallohn. Das sind zwei heikle Eisen, zu denen ich aber stehe. I: Also Sie sind für Mindestlohn und für Maximallohn? H: Ja. Ich bin der Meinung 4'000.- Franken Mindestlohn, die sind nicht gescheit gewesen. Da gibt es viele Beispiele dafür. Es kann nicht sein, dass ein 16-Jähriger 4'000.- Franken bekommt und der, der die 4-jährige Lehre macht bekommt dann auch 4'000.- oder 4'100.-. Die Initiative war nicht sauber durchdacht und ausgearbeitet. Und die 1:12-Initiative fand ich auch nicht schlecht, war vielleicht auch nicht ganz so gut ausgearbeitet und durchdacht. Kein vernünftiger Mensch ist der Meinung, dass es im Strassenverkehr keine Regeln braucht. Und das beweist eigentlich, dass der Mensch mit schrankenloser Umwelt nicht umgehen kann. Und das gilt für alle Bereiche. I: Haben Sie Kontakt zum Gewerbeverband? H: Wir sind nicht Mitglied. Ich bin der Meinung, es gibt keine vernünftige Plattform für Unternehmer und Unternehmen. Ich bringe ein Beispiel. Ein Unternehmen von einer gewissen Grösse, das einen gewissen Energiekonsum hat, ist heute verpflichtet, eine Analyse zu machen, um aufzuzeigen wie wirtschaftlich vertretbare Energieeinsparungen erzielt werden können. Das ist ein relativ mühsamer und aufwendiger Prozess. Bei einem Unternehmen wie wir es sind, mit sehr vielen Gebäuden, schaut am Ende nichts heraus. Sie können uns zu nichts zwingen mit diesem neuen Gesetz. Aber wir müssen irgendeinen Ordner erstellen, jetzt können wir das extern vergeben, dann haben wir fremde Leute drin und zahlen am Schluss vielleicht 15'000.- Franken für nichts. Ich sehe niemanden, der solche Sachen bekämpft. Von da her fehlt mir eigentlich, ja eine Plattform, die die Unternehmerseite vernünftig vertritt. Zwar ist die Mindestlohninitiative bekämpft worden, die 1:12 wurde bekämpft. Aber ich bin der Meinung, dass es wichtigere Sachen gibt, die man bekämpfen müsste. Ich denke, es sind eigentlich nur Grossunternehmen gut organisiert und die haben entsprechend Einfluss in Bern und das finde ich nicht gut. Ich nehme jetzt eben nochmals die Pharmaindustrie. Die bringt es fertig, Gesetze so zu machen, dass wir hier drinnen für Medikamente wesentlich mehr bezahlen. Die Bauern haben eine starke Lobby in Bern und die merken gar nicht, dass sie sich selber strafen. Der Schweizer Bauernstand ist nicht konkurrenzfähig, weltweit, trotz Subventionen. Das sind so zwei Beispiele. Ich finde, gewisse Sachen sollte man bekämpfen. Da 53 fehlt mir ein wenig die Plattform. Es gibt z.B. auch eine Abgabe, die jedes Unternehmen pro kopiertes Blatt machen muss an den Verein ProLitteris. Das ist eine Organisation des Bundes, die dann an Schriftsteller, Künstler usw. vergütet. Diese Organisation ist völlig ineffizient und fragwürdig und das ärgere mich, wenn ich für jedes Blatt, das ich intern produziere, sogar selber erstellt habe, etwas abgeben muss. Das sind zwar keine Riesenbeträge aber ich denke es ist nicht richtig. Klar wird irgendwann mal ein Zeitungsartikel oder aus einem Buch heraus etwas kopiert. Aber das ist marginal zu dem was wir hier tatsächlich kopieren. I: Darf ich fragen wieviel Umsatz sozusagen in Steuern weggeht? H: Also jetzt bei der Pfiffner-Gruppe sind das ungefähr 2%. I: Und wieviel Prozent machen die Löhne aus? H: Die Löhne sind in Hirschthal etwa knapp 30% und bei Moser Glaser etwa 40%. I: Und wie setzt sich der Rest zusammen? H: Also in Hirschthal kann man sagen, haben wir für das Material über 50%, die Löhne knapp 30%, übrige ungefähr 10%, das ist ein gutes Jahr und dann haben wir ungefähr 10 bis 12% Cash Flow. Bei Moser Glaser ist es ähnlich, aber mit dem Unterschied, dass dort die Löhne höher sind und die Materialkosten tiefer. I: Jetzt noch zu Ihnen als Person und Unternehmer. Was werden Sie in fünf bis zehn Jahren machen? H: Das Ziel ist es, mit 70 Jahren keine Funktion mehr im Unternehmen zu haben, die Nachfolge geregelt zu haben. Ich bin jetzt 61. Ich fange jetzt schon ein wenig bewusst und mit einer gewissen Konsequenz an zu reduzieren. Die Lebenskraft nimmt nicht zu mit dem Alter und das Unternehmen hat es verdient, Leute zu haben, die noch voll im Saft sind. Und wenn ich diese Nachfolge erlebe, dann denke ich, habe ich gute Chancen, dass wir das Unternehmen.... dass es ohne mich auch weitergeht. I: Wenn ich noch eine letzte Frage stellen darf. Haben Sie immer gedacht, Unternehmer zu werden? Hunziker: Nein. Interviewer: Was wollten Sie werden? Hunziker: Alles Mögliche schon. Aber wir waren drei Buben und haben uns gesagt, 'das was der Vater macht, das wollen wir nicht. Der hat immer so spät Feierabend.' Nach der Lehre hatte ich dann eigentlich das Gefühl, dass ich Lehrer werden wollte. Es hat eine Möglichkeit gegeben, mit einer Berufslehre eine verkürzte Seminarausbildung zu machen. Ich hatte auch ein Gespräch mit dem Rektor des Seminars Aarau. Ich habe ihm voller Stolz gesagt, dass ich auch noch die Berufsmittelschule gemacht hatte. Da sagte er, 'ja wissen Sie, die Berufsmittelschule das ist gar nichts und also, wollen Sie wirklich? Also meinen Sie das reicht, Ihre Intelligenz für das Semi?' Da dachte ich, 'zu so einem "Dubel" gehe ich nicht'. Und das war halt dann vielleicht doch der Vater, der mich zwar nicht bearbeitet hat, aber gesagt hat, 'ja, du hast doch einen elektrischen Beruf erlernt'. Als ich hier hinkam dachte ich, das Schicksal meint es nicht gut. Ich gehe in diese arme kleine Bude mit wenig Perspektive, dem Vater zuliebe. Und jetzt kam es anders. Ich bin sehr dankbar dafür. Diese Entwicklung, die wir auch zusammen hier machen konnten. I: Vielen Dank! Was mich sehr beeindruckt ist, als mir mein Vater erzählt hat, dass Sie ihn eingeladen haben zum Ihrem Geburtstag, zur Feier. Das wollte ich noch von meiner Seite sagen, dass ich das nicht selbstverständlich finde. H: Also ich glaube für jeden Unternehmer ist es natürlich auch etwas Schönes, wenn man Mitarbeiter hat, von denen man auch eine gewisse Wertschätzung erfährt. Und er gehört natürlich noch zu denen, die von Anfang an dabei waren. Ja, der auch mitkam. Geholfen hat, die neue Moser Glaser aufzubauen. Einige Leute mussten auch gehen und sind freiwillig gegangen, weil sie sahen, jetzt wird wieder etwas mehr verlangt von uns. Ja, aber wir wollten erfolgreich werden und daher brauchte es das auch. Also ich sage auch häufig noch, ein Unternehmen muss nicht modern sein, ein Unternehmen muss erfolgreich sein. Fertig, oder? Und dass man dann natürlich nicht mehr mit der Schreibmaschine arbeiten kann und ja, die Leute behandelt wie vor 100 Jahren, ist ja auch klar. Aber schlussendlich ist es brutal. Der Erfolg, das ist es, was zählt. 54 Literaturverzeichnis Castel, Robert. 2011. Die Krise der Arbeit. Neue Unsicherheiten und die Zukunft des Individuums. Hamburg: Hamburger Edition. Durkheim, Emile. 1992. Über soziale Arbeitsteilung: Studie über die Organisation höherer Gesellschaften. 6. Aufl. Suhrkamp Verlag. Minssen, Heiner. 2006. Arbeits- und Industriesoziologie eine Einführung. Frankfurt am Main: Campus Verlag. Schumpeter, Joseph Alois. 2005. Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. 8., unveränd. Aufl. Tübingen: Francke. 55 LUCA PREITE ist Soziologe und Historiker. Er studierte an der Universität Basel und arbeitet seit 2012 als Dozent an der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz. Seine Forschungs- und Lehrschwerpunkte sind die Bildungs- und Arbeitssoziologie. luca.preite@fhnw.ch 56