Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW Hochschule für Soziale Arbeit HSA Wer ernten will, muss säen Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern – der Beitrag der Sozialen Arbeit Fabienne Hurni Eingereicht bei Prof. Felix Wettstein Bachelor Thesis an der Hochschule für Soziale Arbeit, Fachhochschule Nordwestschweiz, Olten Eingereicht im Januar 2019 zum Erwerb des Bachelor of Arts in Sozialer Arbeit Fabienne Hurni Januar 2019 Abstract Die Soziale Arbeit kooperiert in der Praxis oft mit Betrieben der Landwirtschaft. Häufig stehen Kinder im Fokus, welche dank der Landwirtschaft gefördert werden sollen. In der vorliegenden Arbeit werden die psychosozialen Entwicklungsschritte von Kindern zwischen sechs und elf Jahren erörtert, die Erlebnis- möglichkeiten und Mitwirkungsgelegenheiten in der Landwirtschaft beschrieben und die beiden The- menbereiche verknüpft. Daraus hat sich ergeben, dass die psychosoziale Entwicklung von Kindern dank Erlebnismöglichkeiten und Mitwirkungsgelegenheiten innerhalb der Landwirtschaft gefördert werden kann. Der Umgang mit Tieren, Obstbäumen, Landwirtschaftsmaschinen und dem Garten sowie die bewusste Wahrnehmung von Jahresrhythmen können einen Beitrag zur Förderung von Verantwortlichkeiten, Fleiss sowie weite- ren Kompetenzen leisten. Die Soziale Arbeit garantiert die Gewährleistung des Schutzes des Kindes und bestimmt Tätigkeitsfelder, welche für die Förderung des Kindes in Frage kommen. Interdisziplinäre Arbeit zwischen den sozialen und grünen Berufen ist dafür unentbehrlich. Für eine gelingende Zusammenarbeit der verschiedenen Handlungsfelder ist die Herleitung einer kon- zeptionellen Basis sowie weitere Literaturarbeit und Forschung notwendig. 2 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 4 1.1 Motivation 4 1.2 Relevanz für die Soziale Arbeit 5 1.3 Fragestellung 6 1.4 Arbeitsaufbau 6 1.5 Methoden des Erkenntnisgewinns 7 2 Psychosoziale Entwicklung 8 2.1 Psychosoziale Entwicklung nach Erikson 8 2.1.1 Eriksons Phasen der psychosozialen Entwicklung 9 2.1.2 Phase 4: Werksinn vs. Minderwertigkeitsgefühl 13 2.2 Weitere Entwicklungsschritte 14 3 Erleben und Mitwirken der Landwirtschaft 16 3.1 Soziale Landwirtschaft 16 3.2 Erlebnismöglichkeiten und Mitwirkungsgelegenheiten in der Landwirtschaft 17 3.2.1 Tiere 17 3.2.2 Landwirtschaftsmaschinen 18 3.2.3 Obstbau 18 3.2.4 Garten 19 3.2.5 Jahreslauf und Rhythmen 20 3.3 Chancen der Landwirtschaft 21 3.3.1 Kompetenzerwerb innerhalb der Landwirtschaft 22 3.3.2 Illustrationsbeispiele – Kinderheim Christhof 25 4 Zusammenspiel Kinder und Landwirtschaft – die Rolle der Sozialen Arbeit 30 4.1 Psychosoziale Entwicklungsschritte und Landwirtschaft 30 4.2 Rolle der Sozialen Arbeit 35 4.2.1 Soziokulturelle Animation 36 4.2.2 Sozialpädagogik (stationär) 37 4.2.3 Schulsetting / Time-Out-Platzierungen 37 4.3 Beitrag der Sozialen Arbeit 38 4.3.1 Begleitung des Kindes 39 4.3.2 Interdisziplinäre Arbeit 39 4.3.3 Kontrollorgan 40 4.3.4 Wissensbeitrag 40 4.4 Gefahren im Zusammenspiel Kinder und Landwirtschaft 40 5 Schlussfolgerung und Ausblick 43 5.1 Beantwortung der Fragestellung 43 5.2 Ausblick 45 5.3 Reflexion vom persönlichen Erkenntnisweg 46 6 Verzeichnisse 47 6.1 Literatur- und Quellenverzeichnis 47 6.2 Abbildungsverzeichnis 50 3 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 1 Einleitung Kühe melken, Schafe scheren, Karotten ernten oder den Stall ausmisten sind Arbeiten, welche in einem landwirtschaftlichen Betrieb anfallen. Diese Tätigkeiten und viele andere werden grösstenteils von Men- schen verrichtet. Darin ist ein Spiel-, Lern- und Erfahrungsort für Kinder und Jugendliche möglich (vgl. Kloss 2010: 21). Das Verständnis für Lebens- sowie beispielsweise Jahreszyklen kann im Umgang mit Natur und Tier wachsen (vgl. ebd.). Dieser Lernort verknüpft sensorische Erfahrungen und körperliches Tun, welche wiederum zu einer Übernahme von sozialem Verhalten führen (vgl. Forstner-Ebhart/Wo- gowitsch 2013: 37). Damit innerhalb des Landwirtschaftsbereiches Erlebnisse und Mitwirken für Kinder und Jugendliche möglich werden, braucht es die Zusammenarbeit der Sozialen Arbeit und der Landwirtschaft. Ob und welche Entwicklungen von Kindern durch diese Kooperation gefördert werden, wird in der vorliegenden Arbeit beschrieben. 1.1 Motivation Das Kleinheim Christhof in Wisen (SO) ist eine sozialpädagogische Institution, welche neun stationäre Plätze für Kinder anbietet. Das Heim liegt auf einem Jurahügelzug ausserhalb des Dorfes und ist einge- bettet in eine kleine Landwirtschaft mit Weiden, Feldern, Wald und Garten (vgl. WG Treffpunkt o.J.). In meinem Vorpraktikum war ich auf dem Christhof tätig. Auch während des Studiums in Sozialer Arbeit an der Hochschule für Soziale Arbeit an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten habe ich noch viel Zeit mit den Kindern auf dem Christhof verbracht. Ich erlebte Situationen innerhalb der Landwirt- schaft, in welchen Kinder gemeinsam eine Aufgabe erfolgreich bewältigen konnten. Ereignisse und Um- stände in der Landwirtschaft ermöglichten es mir, bei den Kindern Themen anzusprechen und zu bear- beiten. Ein auch für mich prägendes Beispiel war die Geburt eines Kalbes, wie ich nachfolgend schildern möchte. Es war ein warmer Sommernachmittag. Kurz bevor ich mit den Kindern Zvieri nehmen wollte, klingelte das Telefon. Auf der Weide nahe des Christhofs sei eine Kuh am Kalbern. Gemeinsam mit Kindern, wel- che bei der Geburt des Kälbchens dabei sein wollten, setzte ich mich oberhalb der Weide hin. Wir konn- ten der Kuh bei der Niederkunft zuschauen, der Bauer war auch zugegen und konnte den Kindern erklä- ren, was genau passierte, etwa wie das Fruchtwasser abfloss, wann die Plazenta austrat. In einem offe- nen und völlig natürlichen Gespräch konnten wir niederschwellig das Thema Schwangerschaft und Ge- burt behandeln und Fragen beantworten. Eine andere Beobachtung machte ich im Alltag auf dem Kleinbauernhof bezüglich der Verantwortungs- übergabe. Kinder, welche in gewissem Mass Verantwortung übernahmen, konnten innert Kürze ihr Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein stärken. Sie fühlten sich verantwortlich für ein Tier oder für eine Pflanze. Als das Tier gedieh oder die Pflanze erblühte, war das für sie ein Zeichen erfolgreichen Han- delns. Durch das angeeignete Wissen und Können steigerten die Kinder ihr Selbstvertrauen. Zudem spürten sie die Wertschätzung der Erwachsenen, wenn sie eine positive Rückmeldung erhielten zu ih- rem Schaffen in der Landwirtschaft. Nahmen sich die Kinder danach einer neuen Aufgabe an, konnten sie auf den erworbenen Fähigkeiten und auf ihr Wissen aufbauen. Immer wieder entdeckte ich innerhalb der Landwirtschaft grosses Potential für die Kinder. Meine Über- zeugung ist, dass die Landwirtschaft auf vielseitige Weise zur Entwicklung und Förderung von Kindern 4 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 beitragen kann. So kann nicht nur wie oben, anhand meiner persönlichen Erfahrungen beschrieben, das Selbstvertrauen und das Verantwortungsgefühl gestärkt werden. Angestaute Wut und Ärger können abgeladen werden, indem man sich körperlich anstrengenden Arbeiten hingibt. Umfassendes Wissen, beispielsweise im Bereich Natur und Ernährung, kann angeeignet werden. Mit offenen Augen und Oh- ren Tiere und Pflanzen wahrzunehmen, fordert und fördert bei uns allen zudem die Wahrnehmung und kann sensibilisieren, sich im Alltag bewusster zu bewegen. Die vielfältigen Möglichkeiten in der Landwirtschaft, um die psychosoziale Entwicklung von Kindern zu fördern, interessieren mich. Die Suche nach passender Literatur zeigte sich als Herausforderung. Land- wirtschaft als Aspekt in der Sozialen Arbeit wird in der Theorie öfters mit Menschen mit einer Beein- trächtigung oder mit Erwachsenen in Verbindung gebracht. In der Praxis sieht dies meines Erachtens anders aus. Es gibt durchaus Institutionen für Kinder, welche in die Landwirtschaft eingebettet sind oder mit jemandem aus dem landwirtschaftlichen Kontext zusammenarbeiten. Die tiefere Auseinanderset- zung mit der Thematik Soziale Arbeit, Kinder und Landwirtschaft reizte mich, um die praktische Hand- habung theoretisch verankern zu können. 1.2 Relevanz für die Soziale Arbeit Die Relevanz dieser Thesis für die Soziale Arbeit kann mit dem Berufskodex, dem Ruf nach Legitimität, der Zusammenarbeit zwischen der Landwirtschaft und der Sozialen Arbeit sowie der auszudehnenden Fachliteratur begründet werden. Im Berufskodex der Sozialen Arbeit ist im Kapitel "Ziele und Verpflichtungen der Sozialen Arbeit" ein wesentlicher Punkt aufgelistet: "Soziale Arbeit hat Menschen zu begleiten, zu betreuen oder zu schüt- zen und ihre Entwicklung zu fördern, zu sichern oder zu stabilisieren." (Avenir Social 2010: 6) Im Zusam- menspiel von Landwirtschaft und Sozialer Arbeit geht es um die Förderung der Entwicklung von Kindern. In der vorliegenden Arbeit wird der Frage nachgegangen, welche verschiedenen Möglichkeiten sich in der Landwirtschaft eröffnen, um die Entwicklung von Kindern zu fördern. Um dem Anspruch der Professionalität innerhalb der Sozialen Arbeit gerecht werden zu können, sind Zusammenhänge zwischen der Landwirtschaft und der Entwicklung von Kindern theoretisch zu begrün- den. Mit der theoretischen Untermauerung kann die Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft und So- zialer Arbeit legitimiert werden. Somit kann verhindert werden, dass die Soziale Arbeit als unprofessio- nell dasteht, weil ihre Interventionen – in dieser Arbeit im landwirtschaftlichen Kontext - nicht auf the- oretischem Wissen basieren. Der Bedarf an Publikationen, die Themen der Sozialen Arbeit, die Entwicklung von Kindern und die Land- wirtschaft theoretisch verknüpfen, ist mehr als vorhanden. Zum jetzigen Zeitpunkt sind in diesem For- schungsfeld lediglich einige Diplomarbeiten und ein paar wenige Fachbücher veröffentlicht. Umfas- sende Literatur, welche die Landwirtschaft mit der Entwicklungsförderung von Kindern verbindet und auch die Rolle der Sozialen Arbeit innerhalb dieses Zusammenspiels beleuchtet, fehlt. Dies kann dazu führen, dass in der Praxis nach Intuition und Gutdünken gehandelt wird. Dieses Handeln ist nicht zwangsläufig falsch, die theoretische Verankerung fehlt in diesen Fällen aber häufig. Dieser Punkt wirkt sich auch auf die Legitimation des Handelns aus. Ohne die theoretische Grundlage ist es schwierig, eine Zusammenarbeit zwischen der Landwirtschaft und der Sozialen Arbeit zu rechtfertigen. Um legitime Gründe für den Sinn dieser Zusammenarbeit anzuführen, müssen verschiedene Fragen geklärt werden: 5 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 Welche Rollen kann die Soziale Arbeit übernehmen, wenn Kinder sich in einem landwirtschaftlichen Kontext eingebettet entwickeln sollen und können? Welche Förderungsmöglichkeiten entstehen dank dem Zusammenspiel von Landwirtschaft und Sozialer Arbeit? Welche Gefahren sind zu beachten, wo liegen die Grenzen? In der vorliegenden Arbeit wird eine Legitimation der Zusammenarbeit zwischen der Landwirtschaft und der Sozialen Arbeit ausgearbeitet oder zumindest angestrebt. Im Besonderen wird die theoretische Un- termauerung eines Aspektes der Sozialen Arbeit aufgegriffen: die Förderung der psychosozialen Ent- wicklung von Kindern dank Erlebnissen und Mitwirkungsmöglichkeiten innerhalb der Landwirtschaft. 1.3 Fragestellung Für die vorliegende Arbeit wurde folgende zentrale Fragestellung gewählt: Welchen Beitrag kann die Soziale Arbeit leisten, um die psychosoziale Entwicklung von Kindern dank Erlebnissen und Mitwirkungsmöglichkeiten in der Landwirtschaft zu fördern? Folgende Subfragen strukturieren den Erkenntnisprozess:  Welche Schritte der psychosozialen Entwicklung sind in der Altersphase von sechs bis elf Jahren rele- vant?  Welche Erlebnismöglichkeiten bietet die Landwirtschaft für Kinder an?  Welche Mitwirkungsgelegenheiten eröffnen sich für Kinder in der Landwirtschaft?  Welche entwicklungspsychologischen Aufgaben des Lebensalters sechs bis elf Jahren können in wel- cher Art durch Erlebnisse und Mitwirken in der Landwirtschaft unterstützt werden?  Welchen Beitrag kann die Soziale Arbeit im Zusammenspiel Kinder und Landwirtschaft leisten? 1.4 Arbeitsaufbau Um die Fragestellung beantworten zu können, wird zuerst die psychosoziale Entwicklung von Kindern beleuchtet. Das Stufenmodell von Erikson wird erklärt und im Besonderen auf die vierte Stufe einge- gangen. Die vierte Stufe richtet sich an Kinder zwischen sechs und elf Jahren: Fleiss versus Minderwer- tigkeit. Im darauffolgenden Kapitel werden die Erlebnis- und Mitwirkungsmöglichkeiten in der Landwirt- schaft aufgezeigt. Diese werden anhand von Teilbereichen der Landwirtschaft herausgearbeitet. Weiter werden Chancen der Landwirtschaft ausführlich erläutert. Die psychosoziale Entwicklung der Kinder und die Möglichkeiten von Erlebnissen und Mitwirken in der Landwirtschaft werden anschliessend mitei- nander verknüpft. Durch diese Zusammenführung kann beschrieben werden, welchen Einfluss Erleb- nisse und das Mitwirken in der Landwirtschaft auf die psychosoziale Entwicklung von Kindern haben. Zuletzt wird der Frage nachgegangen, welche Rolle die Soziale Arbeit im Zusammenspiel Landwirtschaft und Kinder übernehmen kann. Im darauffolgenden Kapitel wird der Beitrag der Sozialen Arbeit im spe- zifischen Zusammenspiel von Kindern und Landwirtschaft beleuchtet. Praxisnahe Bezüge werden in der Arbeit mit Hilfe von Illustrationsbeispielen vom Kinderheim Christhof geschaffen. 6 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 1.5 Methoden des Erkenntnisgewinns Die Theorie der psychosozialen Entwicklung sowie die Landwirtschaft werden anhand von Fachliteratur beschrieben. In den beiden Theorien werden die wichtigsten Punkte für sechs- bis elfjährige Kinder her- ausgearbeitet. Im Kapitel der Landwirtschaft wird zusätzlich auf Illustrationsbeispiele sowie auf Kinder- bücher eingegangen, um ein möglichst umfassenderes Bild von Erlebnissen und Mitwirkungsmöglich- keiten in der Landwirtschaft zu erhalten. Im nachfolgenden Kapitel werden die Punkte der psychosozi- alen Entwicklung und der Landwirtschaft miteinander verknüpft. Darauf aufbauend folgt die explizite Schilderung von Erlebnismöglichkeiten und Mitwirkungsgelegenheiten in der Landwirtschaft, welche die psychosoziale Entwicklung von Kindern fördern. Diese Möglichkeiten werden von der Autorin aus der Literatur der Themen Landwirtschaft und Entwicklung selbst herausgearbeitet. Auch die Rolle der Sozialen Arbeit sowie deren Beitrag wird durch die Verarbeitung und Reflexion von vorhandener Litera- tur beschrieben und es werden (eigene und theoriegeleitete) Schlüsse gezogen. Die Autorin beginnt im folgenden Kapitel mit der Erläuterung der psychosozialen Entwicklung. Der Fokus liegt auf der psychosozialen Entwicklung von Kindern zwischen sechs und elf Jahren. 7 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 2 Psychosoziale Entwicklung Psychosoziale Entwicklung umfasst zum einen die Beziehung zu sich selbst und zum anderen zur Umwelt (vgl. Erikson 2016: 13). Individualität und Gemeinschaft sind Begriffe, welche in der Theorie von Erikson eine Rolle spielen. Die Autorin entscheidet sich für die psychosoziale Entwicklung nach Erikson, weil seine theoretischen Ansätze einen ganzheitlichen Blick auf den Menschen und die Umwelt werfen. Im Vergleich zu Freuds Theorie bezieht sich Erikson weniger auf die psychosexuellen Dimensionen – dafür mehr auf die Identitätsentwicklung und auf die Bedürfnisse des Menschen. Das Kapitel 2.1 gibt einen Überblick in Bezug auf die psychosoziale Entwicklung nach Erikson. Es werden Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu der psychosexuellen Theorie von Freud aufgezeigt. Nachfolgend im Kapitel 2.1.1 werden die acht Phasen, wie sie Erikson beschrieben hat, erläutert. Anschliessend wird im Kapitel 2.1.2 detailliert die vierte Phase beleuchtet. Diese Phase entspricht dem Alter von sechs- bis elfjährigen Kindern. Somit ist dieses Stadium relevant für die vorliegende Arbeit. Zuletzt werden im Ka- pitel 2.2 weitere Entwicklungsschritte, welche im Alter zwischen sechs und elf Jahren passieren, er- wähnt. Die Autorin führt jene Schritte, die von anderen Theoretikern als von Erikson stammen, prägnant und kurz auf. 2.1 Psychosoziale Entwicklung nach Erikson Der psychoanalytische Ansatz handelt laut Berk (2005: 19) davon, dass der Mensch eine Reihe von Sta- dien in seinem Leben durchläuft und sich darin Konflikten stellen muss. Innerhalb der Konflikte ist das Spannungsfeld zwischen seinen biologischen Trieben und den Erwartungen seines Umfelds zu beobach- ten. Die Fähigkeit des Individuums, Neues zu lernen und mit anderen Menschen auszukommen, und der Umgang mit Angst wird von diesen Konflikten geprägt. "Freud hat uns gezeigt, dass die Sexualität schon bei der Geburt ihren Anfang nimmt; er hat uns auch Instrumente an die Hand gegeben, mit denen wir nachweisen können, dass auch das soziale Leben schon am Anfang jedes individuellen Lebens steht." (Erikson 2017: 15). Freuds Theorie ist für Erikson die Grundannahme und deshalb scheinen beispielsweise die drei Instanzen der Person auch für Erikson als zentral. Erikson (2017: 17) erachtet die Ich-Synthese als individuelle Verarbeitung von Erfahrungen und als belebendes Realitätsgefühl, wenn Gruppenidentität und ein Einklang mit Raum-Zeit und dem Lebensplan einer Gruppe daraus entstehen können. Abb. 1: Drei Instanzen nach Freud Quelle 1: Hobmair/Altenthan/Dirrigl/Gotthard/Höhlein/Ott 1996: 214. 8 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 Die psychische Ausstattung einer Person ist laut Freud mit drei Instanzen ausgestattet (vgl. Berk 2005: 19): Ich, Über-Ich und Es. Diese sind abhängig voneinander und entwickeln sich in Phasen. Die biologi- schen Bedürfnisse und Wünsche kommen vom Es her, das Ich hingegen ist der rationale Teil und steuert die Impulse vom Es, um den Lustgewinn zu finden. Erst im Alter von drei bis sechs Jahren entwickelt sich das Über-Ich, es wird auch das Gewissen genannt und kann sich durch die Interaktion mit den Eltern bilden. Dadurch entsteht nun das Spannungsfeld zwischen Über-Ich und Es, welche auf das Ich einwir- ken. Freud glaubt, dass die Beziehungen zwischen dem Ich, Es und Über-Ich ausschlaggebend für die Persönlichkeitsstruktur eines Individuums sind. Freuds Theorie beschreibt ausserdem die Interaktion und Beziehung innerhalb der Familie als wegweisend für die frühe Entwicklung (vgl. Berk 2005: 20). Erikson versteht laut Berk (2005: 20) in seiner psychosozialen Theorie die drei Instanzen anders: das Ich ist kein alleiniger Vermittler, sondern gewinnt in jeder Stufe an Einstellungen und Fähigkeiten, um ein aktives Mitglied der Gesellschaft zu sein. Darin sieht er auch die kulturbedingte Lebenssituation, welche sich je nach Individuum unterschiedlich gestaltet. Erikson bezeichnet die individuelle Weise, Erfahrungen zu verarbeiten (Ich-Synthese), als Möglichkeit einer Gruppenidentität. "Das Kind, das gerade entdeckt hat, dass es laufen kann, scheint nicht nur den Drang zu spüren, den Akt des Laufens zu wiederholen und zu vervollkommnen (…) es entdeckt auch, dass es mit der neuen Körperhaltung einen neuen Status bekommen hat …" (Erikson 2017: 17). Die Kultur, Umwelt und Gesellschaft bewerten diese Fähigkeit und dem Kind gibt die Anerkennung ein rea- listischeres Selbstgefühl (vgl. ebd.). Dieses realistischere Selbstgefühl zeigt dem Ich auf, dass eine greif- bare kollektive Zukunft vorliegt und dass es zu einem definierten Ich in der sozialen Realität heran- wächst. Erikson nennt die Ich-Identität eine subjektive Erfahrung, welche Individuen in ihrer Umwelt erleben können. "So ist Ich-Identität unter diesem subjektiven Aspekt das Gewahrwerden der Tatsache, dass in den synthetisierenden Methoden des Ichs eine Gleichheit und Kontinuierlichkeit herrscht und dass diese Methoden wirksam dazu dienen, die eigene Gleichheit und Kontinuität auch in den Augen der anderen zu gewährleisten." (Erikson 2017: 18) 2.1.1 Eriksons Phasen der psychosozialen Entwicklung Das Leben kann nach Erikson in verschiedene Stadien oder Phasen aufgeteilt werden. Innerhalb dieser Phasen entstehen Auseinandersetzungen und daraus resultieren Krisen, welche bereits von einem Kleinkind gelöst werden können. "Jedes Stadium wird zu einer Krise, weil das einsetzende Wachstum und Bewusstwerden einer wichtigen Teilfunktion Hand in Hand geht mit einer Verschiebung der Trie- benergie und zugleich das Individuum in diesem Teil besonders verletzlich macht." (Erikson 2017:61) Im Verlaufe dieser Stadien kann ein Kleinkind verletzlich sein, diese Verletzlichkeit ist zugleich ein Ausüben von Macht. Denn aus der Schwäche heraus gibt das Kleinkind Zeichen, welche für seine nähere Umge- bung bestimmt sind. Diese Zeichen können als Macht verstanden werden und die Personen in der nä- heren Umgebung müssen als Individuen und als Gruppe wachsen (vgl. Erikson 2017: 61). "Man kann also sagen, dass ein Kind ebensosehr seine Familie beherrscht und erzieht wie umgekehrt die Familie das Kind." (Erikson 2017: 61) In den Stadien eines Menschen stellen sich immer wieder potentielle Krisen ein. Es gibt radikale Verän- derungen und das Individuum selbst sowie dessen Umgebung müssen darauf reagieren (vgl. Erikson 2017: 61f.). Erikson bezeichnet die Konfliktlösung auch im psychologischen Sinne als "am Leben blei- ben". 9 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 Für Kinder zwischen sechs und elf Jahren ist laut Erikson das Stadium Werksinn versus Minderwertig- keitsgefühl von Bedeutung. Die Phasen von Erikson sind indirekt miteinander verbunden und deshalb kann das Augenmerk nicht nur auf das eine Stadium gelegt werden. Im Kapitel 2.1.1 sind deshalb alle Phasen der psychosozialen Entwicklung nach Erikson beschrieben, um die Verknüpfungen besser ver- stehen zu können. Im Kapitel 2.1.2 wird die Phase Werksinn versus Minderwertigkeitsgefühl differen- zierter ausgeführt, um die Entwicklungsschritte von Kindern zwischen sechs und elf Jahren aufzeigen zu können. Die Bezeichnungen der Phasen sowie die Altersangaben sind anhand von Berk (2005: 22) und Erikson (2017: 62-120) gewählt. Auf die Phasen nahe der Alterspanne zwischen sechs und elf Jahren wird näher eingegangen als auf die Phasen im Erwachsenenalter, da erstere für die vorliegende Arbeit bedeutsamer sind. Urvertrauen versus Misstrauen (Geburt – 1 Jahr) Die Einstellungen zu sich selbst und zur Umwelt können im ersten Lebensjahr zu einem Urvertrauen führen, welches der Eckstein für eine gesunde Persönlichkeit ist (vgl. Erikson 2017: 62f.). Vertrauen kann als Gefühl des Sich-Verlassen-Dürfens beschrieben werden, zum einen ist damit das Verlassen auf sich selbst und seine eigenen Bedürfnisse gemeint und zum anderen das Verlassen auf die Umwelt, im Besonderen auf die Mutter (vgl. Erikson 2017: 62). Konstante, kontinuierliche und gleichartige Erschei- nungen geben dem Kind ein rudimentäres Gefühl von Ich-Identität, das Kind hat über sich und die Um- welt Informationen, von welchen es abhängig ist, um vertrauter mit der Umwelt zu werden (vgl. Erikson 1992: 241). Das Urvertrauen versus Misstrauen ist auf die erste Aufgabe des Ichs zurückzuführen sowie auf die Auf- gabe der Mutter, welche die Befriedigungen des Kindes auf pflegerische Art ausführt (vgl. Erikson 1992: 243). Nach Erikson (2017: 63f.) geht das Kind nach der Geburt auf die Suche nach Nahrung, mit Hilfe seines Mundes. Die Fähigkeit, welche das Kind bereits, kurz nachdem es vom Mutterleib getrennt wor- den ist, anwenden kann. Das Kind ist abhängig von der Mutter, denn diese muss die Bereitschaft auf- bringen, das Kind zu nähren und anzunehmen. Das Kind lebt und liebt mit dem Munde und die Mutter lebt und liebt durch ihre Brust. Nachdem das Bedürfnis nach Nahrung am wichtigsten gewesen ist und das Kind viele Gegenstände in den Mund gesteckt hat, daran saugt und verschiedene Flüssigkeiten schluckt, werden anschliessend auch die Augen interessant und später der Tastsinn. Erikson (2017: 64) schreibt: "In diesem Sinne könnte man also von einer ‚Einverleibungs-Phase ’ sprechen, in welcher sich das Kind, relativ gesprochen, zu dem, was ihm geboten wird, rezeptiv verhält." Deshalb ist es wichtig, dass die Mutter und die Umwelt die Sinnesreize in der richtigen Stärke und zur rechten Zeit bieten – ansonsten kann es zu einer Teilnahmslosigkeit oder auch zu Widerstand führen (vgl. Erikson 2017: 64). Erikson (1992: 243) schreibt, dass die Summe von Vertrauen nicht von der Quantität der Nahrung und Liebesbezeugungen abhängt, sondern eher von der Qualität der Mutter-Kind-Beziehung. Dass die indi- viduellen Bedürfnisse des Kindes durch die Mutter befriedigt werden können, gibt dem Kind das Gefühl von Zuverlässigkeit. Dieses Gefühl ist Grundlage des Identitätsgefühls und wird als Eckstein einer gesun- den Persönlichkeit beschrieben, weil es dazu führt, dass man sich "Selbst" besitzt und sich selbst "in Ordnung" findet. Autonomie versus Scham und Zweifel (1 – 3 Jahre) In der zweiten Phase ist die Reifung des muskulären Systems relevant, dabei werden zwei Modalitäten erprobt: das Festhalten und das Loslassen (vgl. Erikson 1992: 245). Diese analen Erfahrungen sind je nach kultureller Umwelt verschieden und werden anders angegangen (vgl. Erikson 2017: 77). Dieser 10 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 Urkonflikt kann beim Festhalten zu einem Besitz- und Zwangverhalten führen oder eben zu einem Ver- halten von Sorge und Fürsorge. Das Loslassen hingegen kann zum böswilligen Freisetzen zerstörerischer Kräfte werden oder zum entspannten "Lass es laufen" (vgl. Erikson 1992: 246). Ob diese Verhaltensmus- ter als gut oder schlecht bezeichnet werden können, hängt davon ab, ob sie feindselig gemeint sind (vgl. Erikson 2016: 80f.). Dieses Stadium bedingt daher, dass die Erziehung fest und sicherheitsgebend ist und dass das Urver- trauen zum Kind selber und zur Umwelt stabil ist. Das Kind wird ermutigt, "auf seinen eigenen Füssen zu stehen" und dabei ist es in der Erziehung wichtig, dass das Kind vor Scham und Zweifel geschützt werden kann (vgl. Erikson 1992: 246). Die eigene Autonomie des Kindes zu wahren, bedeutet zugleich, dass das Kind auch andere Autonomie zugestehen kann (vgl. Erikson 2017: 82). Wird im Kind das Gefühl von Scham ausgelöst, so fühlt es sich exponiert und beobachtet und ist unsicher und befangen (vgl. Erikson 2017: 79). Scham kann als "klein sein" interpretiert werden und geschieht paradoxerweise in der Phase des Laufenlernens und Aufrechtgehens – dem Grosswerden. Scham löst im Kind aus, dass Dinge heimlich getan werden oder dass etwas unentdeckt bleiben muss. Auch entscheidend ist diese Phase für das Verhältnis zwischen Liebe und Hass, Zusammenarbeit und Eigensinn, Freiheit der Selbstentfaltung und ihrer Unterdrückung (vgl. Erikson 1992: 248). Durch die gewährleistete Autonomie kann das Gefühl von gutem Willen und Stolz wachsen. Durch verlorene Selbstkontrolle, übermässigem Eingreifen der Eltern und der Umwelt sowie der Empfindung von mus- kulärem und analem Unvermögen kommen die Gefühle von Zweifel und Scham hoch (vgl. Erikson 2017: 78f.). Initiative versus Schuldgefühl (3 – 6 Jahre) Im dritten Stadium erlebt das Kind drei Entwicklungsschübe: freiere und kraftvollere Bewegung, Ent- wicklung des Sprachvermögens und die Vorstellungswelt werden durch die beiden erst genannten Schübe erweitert (vgl. Erikson 2017: 87f.). In dieser Altersspanne scheint das Kind auch in seinem Körper "zusammenzuwachsen", psychisch wie physisch – es ist mehr ein Selbst. Die Initiative kommt vom Kind aus: Es ist sicherer in Entscheidungen, aktivierter und verfügt über einen Energieüberschuss (vgl. Erikson 1992: 249). Damit gelingt es dem Kind besser, mit Misserfolgen umgehen zu können und es kann Hand- lungen anschliessend zielgestrebter angehen. In diesem Stadium ist das Kind auch befähigt, Grössenunterschiede vorzunehmen sowie Geschlechter- unterschiede zu bemerken – auch werden zum ersten Mal die frühe geschlechtliche Neugier und die genitale Erregbarkeit Thema (vgl. Erikson 2017: 89). Das Mädchen ist in dieser Phase viel mehr auf seine Fantasien angewiesen, da es "nur" eine Klitoris hat. Die Jungen haben einen Penis, dieser kann angefasst werden und ist errektionsfähig – bei den Mädchen wären die Brüste ähnlich vergleichbar, diese fangen aber erst später an zu wachsen. Zudem ist der Penis in manchen Kulturen ein wichtiges Privileg (vgl. Erikson 2017: 91). Sexuelle Aufklärung ist deshalb bereits in diesem Stadium wichtig. Werksinn versus Minderwertigkeitsgefühl (6 – 11 Jahre) Dieses Stadium ist ganz nach dem Satz: "Ich bin, was ich lerne" (Erikson 2017: 98). Das Kind möchte lernen, es möchte, dass es durch Erwachsene angelernt wird. Erikson (2017: 98) schreibt: "Wenn sie Glück haben, leben sie in der Nähe von Bauernhöfen (…), so dass sie zuschauen und mitmachen, be- obachten und teilnehmen können in dem Masse, wie ihre Fähigkeiten und ihre Initiative schubweise zunehmen." 11 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 In diesem Stadium werden die Kinder eingeschult, die Schule wird als eigene Welt beschrieben, welche eigene Ziele und Grenzen, Erfolge und Enttäuschungen mit sich bringt (vgl. Erikson 2017: 99f.). Schule kann zwischen den Extremen der Disziplin/Pflichtgefühl und dem spielerischen Lernen verstanden wer- den – beide Methoden eignen sich nicht für alle Kinder in gleichem Masse. Das Kind ist nun aber in jenem Alter, in welchem es die wirkliche Welt der Erwachsenen kennenlernen möchte. Dafür ist das spielerische Verhalten des Kindes immer noch wichtig, denn es ermöglicht dem Kind, in eine surreale Welt abzutauchen und darin schwierige Erfahrungen zu verarbeiten und sich für neue Stufen der Reali- tätsmeisterung zu wappnen. Der Werksinn wird so verstanden, dass das Kind erfährt, nützlich zu sein und etwas zu können und dies sogar gut und vollkommen zu tun (vgl. Erikson 2017: 101). Im Gegenzug kann in einem Kind das Min- derwertigkeitsgefühl erzeugt werden, wenn das Kind den Erwartungen, welche von Erwachsenen ge- stellt werden, nicht gerecht werden kann. Beispielsweise wenn Fleiss und Arbeitseifer des Kindes nicht genügen, um eine Aufgabe zu bewältigen. Dies führt zum Minderwertigkeitsgefühl, das Kind schätzt seine eigene Fähigkeit als ungenügend ein. Unzureichende Lösungen der vorhergehenden Konflikte o- der eine ungenügende Vorbereitung auf die Schule können Gründe dafür sein (vgl. Erikson 2017: 103). Identität versus Identitätsdiffusion (Adoleszenz) Fängt die Pubertät an, so sind alle vorherigen Identifizierungen und Sicherungen nicht mehr unbedingt konstant (vgl. Erikson 2017: 106f.). Der Eintritt in die sexuelle Reife, der rasche körperliche Wachstum sowie die Festung der sozialen Rolle sind Aufgaben und Anforderungen an Jugendliche, die während dieser Phase auf sie zukommen. Die Ich-Identität wird gesucht und kann anhand der in den vorherigen Entwicklungsstufen gesammelten Erfahrungen erfolgreich verlaufen – das Vertrauen und die Zuversicht auf die innere Kontinuität und Einheitlichkeit, welche sich nun auch von aussen bestätigen lassen und das Gefühl geben, sich einer erreichbaren Zukunft zu nähern. Um an diesen Punkt zu gelangen, braucht es vorbehaltlose und ernsthafte Anerkennung der Leistungen. Diese Phase kann eine Identitätsdiffusion auslösen, sofern die Ich-Identität nicht erfolgreich gefunden werden kann. Gerade die Berufs-Identität macht vielen Jugendlichen zu schaffen und deshalb kommt es zu Überidentifikationen (vgl. Erikson 2016: 110). "Um sich selber zusammenzuhalten, überidentifizie- ren sie sich zweitweise scheinbar bis zum völligen Identitätsverlust mit dem Cliquen- oder Massen-Hel- den." (Erikson 1992: 256) Jugendliche können in diesen Cliquen einander aber auch in schwierigen Situ- ationen beistehen und helfen und so die Definition ihrer Identität besser ausarbeiten (vgl. Erikson 1992: 256f.). Die Intoleranz, welche Jugendliche in diesen Phasen aufbringen, ist nicht mehr als die Abwehr gegen das Gefühl einer Identitätsdiffusion (vgl. Erikson 2016: 110). Zusammenfassend schreibt Erikson (2016: 109): "Eine dauernde Ich-Identität kann sich nicht bilden ohne das Vertrauen der ersten oralen Phase; sie kann sich nicht vollenden ohne das Versprechen einer Erfüllung, das von dem dominierenden Bild des Erwachsenseins hinabreicht in die ersten Kindheitstage und auf jeder Stufe dem Kinde einen Zuwachs an Ichstärke bringt." Intimität versus Isolierung (Frühes Erwachsenenalter) Die Intimität bedeutet die Verschmelzung seiner Identität mit einer anderen und die Hingabe einer Bin- dung (vgl. Erikson 1992: 258). Diese Phase braucht Kraft, um den eigenen Verpflichtungen, welche sich in den vorherigen Phasen verdeutlicht haben, nachgehen zu können und sich in Ich-Verlust-Situationen begeben zu können, ohne sich zu fürchten. Würden Ich-Verlust-Situationen gemieden werden, so führt dies zu einer Vermeidung von Kontakten und Vereinsamung (vgl. Erikson 1992: 258f.). Isolierung kann 12 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 eine Gefahr darstellen in der Charakterbildung, diese negativ beeinflussen und es einem erschweren oder einen gar davon abhalten, der nächsten Entwicklungsphase entgegenzugehen. Intimität bedeutet auch Genitalität, welche durch folgende Punkte, die Erikson (1992: 260) in einem Satz festhält, beschrieben werden kann: 1. Wechselseitigkeit des Orgasmus 2. Mit einem geliebten Partner 3. Des andern Geschlechts 4. Mit dem man wechselseitiges Vertrauen teilen will und kann, 5. Und mit dem man imstande und willens ist, die Lebenskreise der a) Arbeit b) Zeugung c) Erholung in Einklang zu bringen, um 6. Der Nachkommenschaft ebenfalls alle Stadien einer befriedigenden Entwicklung zu si- chern. Erikson ist sich der Utopie dieser Genitalität bewusst. Er sieht die Erfüllung weder in einzelmenschlicher, noch in therapeutischer Aufgabe, diese Utopie ist abhängig von der Kultur eines Individuums. Generativität versus Stagnation (mittleres Erwachsenenalter) Der reife Mensch ist für die jüngere Generation da, um Erziehung, Ermutigung und Führung zu über- nehmen (vgl. Erikson 1992: 261f.). Die Generativität, oder auch zeugende Fähigkeit genannt, ist für die psychosoziale Entwicklung eine wesentliche Phase, denn in dieser Phase geschieht die Erweiterung der Ich-Interessen. Geschieht diese Generativität auf keine Art und Weise, so kommt es zu der Stagnation, in dieser sehen Menschen beispielsweise sich selber als eigenes Kind und verwöhnen sich. Das Stadium der Generativität kommt nicht bei allen Menschen zum gleichen Zeitpunkt, die zeugende Fähigkeit kann sich beispielsweise verzögern, wenn in der Kindheit exzessive Eigenliebe praktiziert wurde und das Ver- trauen in andere Menschen fehlt. Ich-Integrität versus Verzweiflung (Alter) Um diese Phase erfolgreich durchlaufen zu können, muss der Mensch sich mit Triumphen und Enttäu- schungen aus seinem Leben abgefunden haben können (vgl. Erikson 1992: 262f). Erikson beschreibt das Zufriedensein mit dem Erreichten im Verlauf des Lebens als "Ich-Integrität". Wäre diese "Ich-Integrität" nicht während der Lebenszeit gestärkt und geformt worden, so kann dies nun zur Todesfurcht, der Ver- zweiflung, führen. Für die meisten Aspekte dieser Arbeit werden vorwiegend Kinder im Alter von sechs bis elf Jahren in Betracht gezogen. Sie befinden sich laut Erikson in der Phase Werksinn versus Minderwertigkeitsgefühl. Deshalb ist es angebracht, diese oben bereits kurz definierte Phase nachfolgend differenzierter und in Bezug auf diese Arbeit relevanter auszuführen. 2.1.2 Phase 4: Werksinn vs. Minderwertigkeitsgefühl Werksinn Erikson (2016: 102) beschreibt den Werksinn wie folgt: "Obwohl alle Kinder es brauchen, dass man sie zeitweilig allein spielen lässt (…), und obwohl alle Kinder Stunden und Tage in einer spielerischen Als- ob-Welt verbringen müssen, werden sie doch alle früher oder später das Gefühl haben wollen, auch nützlich zu sein, etwas machen zu können und es sogar gut und vollkommen zu machen (…)". In den 13 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 vorherigen Phasen waren das Spiel und die Fantasie zentral. Im Werksinn möchte das Kind nun Kompe- tenzen entwickeln. Es möchte nützliche Fertigkeiten und Aufgaben angehen (vgl. Berk 2005: 430f.). Mit kognitiven sowie auch körperlichen Fähigkeiten, welche das Kind während den vorherigen Jahren an- trainiert hat, kann es jetzt den Anforderungen von Erwachsenen gerecht werden und Herausforderun- gen annehmen und sich diese zu Nutze machen. Erikson (2017: 102f.) hält fest, dass das Kind psycholo- gisch gesehen ein rudimentärer Erwachsener ist und dies seiner sozialen Umwelt mitteilen möchte. Da- mit verbunden möchte das Kind lernen, etwas zu arbeiten und für etwas Sorge zu tragen, bevor es bio- logisch gesehen Vater oder Mutter werden kann. Das Kind entwickelt in dieser Phase Fleiss und fängt an, schöpferische Situationen zur Vollendung zu bringen und sich dafür Anerkennung zu verschaffen. Im Werksinn enthalten sind nicht nur die Fähigkeiten des Individuums selbst, sondern auch die Wahr- nehmung der Fähigkeiten von anderen Individuen (vgl. Berk 2005: 431). Damit kann das Kind den Wert von Arbeitsteilung nachvollziehen und es kann ein Verständnis für moralische Verpflichtungen und Ver- antwortlichkeiten aufbringen. Minderwertigkeitsgefühl Wenn Kinder wenig Hoffnung in ihr Können haben, so entwickelt sich ein trauriger Pessimismus, Unzu- länglichkeit oder eben das sogenannte Minderwertigkeitsgefühl (vgl. Berk 2005: 431). Das Minderwer- tigkeitsgefühl kann entstehen, wenn Kinder nicht genügend auf die Schule vorbereitet werden, wenn sie negative Erfahrungen mit Gleichaltrigen oder Lehrpersonen erlebt haben oder wenn die vorherge- henden Konflikte mangelhafte Lösungen mit sich brachten. In diesem Stadium ist es möglich, dass die Lehrkraft im Kind noch nicht entdeckte Fähigkeiten erkennt und diese fördern und entwickeln kann. Werden diese jetzt nicht entdeckt, so können sie kaum mehr entwickelt werden (vgl. Erikson 2017: 103). In dieser Phase ist es wichtig, dass das Kind das Gefühl bekommt, dass es etwas gut macht, so gelingt es ihm, Arbeitsfreude zu entwickeln (vgl. Erikson 2017: 105). 2.2 Weitere Entwicklungsschritte Anhand Freuds psychosexuellen Entwicklungsstufen sind Kinder zwischen sechs und elf Jahren in der Latenzphase. Wie auch Erikson beschrieben hat, werden während dieser Phase die sexuellen Triebe verdrängt, das Kind kann sich neue soziale Werte aneignen und das Über-Ich entwickelt sich (vgl. Berk 2005: 20). Laut Berk (2005: 431f.) verändert sich das Selbstkonzept von Kindern, es wird feiner. Beobachtungen über Verhalten und innere Gefühlszustände werden wahrgenommen und besonders die eigenen Fähig- keiten werden als "gut" oder "schlecht" bezeichnet. Das Kind stellt nun soziale Vergleiche auf, es stellt die eigenen Fähigkeiten, das eigene Verhalten und Aussehen jenem von anderen gegenüber. Berk (2005: 432f.) nennt auch die Veränderung des Selbstwertgefühls im Schulalter – das Selbstgefühl der Kinder wird differenzierter und realistischer. Das Selbstwertgefühl hat Einfluss auf die Leistung und Kinder mit einem hohen Selbstwertgefühl sind beliebter bei Kindern im selben Alter. Die emotionale Entwicklung gehört ebenfalls zu dieser Alterspanne (vgl. Berk 2005: 438f.). Für eine ge- lingende emotionale Entwicklung ist eine gute Selbstwahrnehmung sowie eine soziale Sensibilität ge- fragt. Die emotionale Selbstregulation ist Teil der Entwicklung – gelingt diese gut, so sind Kinder meist in einem positiven Gefühlszustand, können mehr Empathie empfinden, sind prosozialer eingestellt und sind dadurch beliebter bei Gleichaltrigen. 14 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 Zwischen sechs und elf Jahren sind Kinder zudem mit der Frage konfrontiert: Was ist gut und was ist schlecht? Moralische Urteile können gefällt werden (vgl. Berk 2005: 440). Deshalb kann Kindern nun Verantwortung übergeben werden, sie können Entscheidungen alleine und unabhängiger treffen. Dies wird unter anderem ermöglicht, weil Kinder durch das vernünftigere Denken mehr Informationen ver- arbeiten können und weil sie nun fähig sind, die Perspektive anderer Menschen einzunehmen und sich vorzustellen, was andere fühlen und denken. Mit der ersten Subfrage dieser Bachelor Thesis will die Autorin aufzeigen, welche Schritte der psycho- sozialen Entwicklung von Kindern in der Altersphase von sechs bis elf Jahren relevant sind. Folgende Aspekte sind für den weiteren Verlauf der Arbeit zentral: Das Kind ist wissensdurstig und möchte vieles lernen, um die eigenen Fähigkeiten durch Anleitung von Erwachsenen weiterzuentwickeln. Der Satz "Ich bin, was ich lerne" (Erikson 2017:98) ist zentral. Das Kind möchte sich nützlich fühlen und Dinge tun, für welche es geschätzt wird und für die es somit die Anerkennung von Erwachsenen holen kann. Die Lust der Vollendung eines Werkes nimmt zu, das Kind entwickelt Fleiss, Ausdauer und Stetigkeit. Die Sozial- kompetenzen werden gefördert, das Kind lernt gemeinsam mit anderen etwas zu tun. Damit kommt auch ein Verständnis für Arbeitsteilung und für moralische Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten auf. In dieser Arbeit wird untersucht, wie die psychosoziale Entwicklung von Kindern gefördert werden kann, wenn Kinder im landwirtschaftlichen Kontext Erlebnisse und Mitwirkung erfahren. Deshalb wird im nächsten Kapitel jenes Erleben und Mitwirken in der Landwirtschaft genauer umschrieben und erörtert, um Antworten auf die Subfragen zwei und drei zu finden. 15 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 3 Erleben und Mitwirken der Landwirtschaft Erleben bedeutet laut Duden Online (2018): "von etwas betroffen und beeindruckt werden; erfahren müssen oder können; mitmachen, durchmachen" und "auf sich wirken lassen (…)". Mitwirken wird im Duden Online (2018b) wie folgt gedeutet: "mit (einem, einer) anderen zusammen bei der Durchführung o.Ä. von etwas wirken, tätig sein; mitarbeiten (…)" oder "bei etwas eine Rolle spielen, mit eine Wirkung haben". Erleben und Mitwirken in der Landwirtschaft bedeutet demnach, selber tätig zu sein und anzupacken sowie das Geschehen auf sich wirken zu lassen. Durch die eigenen Tätigkeiten können Reaktionen her- vorgerufen werden, die Handlungen und deren Konsequenzen gelten als Erfahrungen. Der Landwirtschaftsbereich ist vielfältig und gross. In diesem Kapitel wird zuerst auf den Begriff der Sozialen Landwirtschaft und deren Wirken eingegangen. Anschliessend werden die Chancen der Erleb- nismöglichkeiten und Mitwirkungsgelegenheiten in der Landwirtschaft anhand von Teilbereichen auf- gezeigt (Tiere, Landwirtschaftsmaschinen, Obstbau, Garten und Jahreslauf/Rhythmen). Dieses Wissen dient als Grundbasis, um die Zusammenhänge zwischen der Landwirtschaft und der psychosozialen Ent- wicklung von Kindern aufzuzeigen. 3.1 Soziale Landwirtschaft Die Soziale Landwirtschaft ist die Verbindung zwischen der Sozialen Arbeit und der Landwirtschaft. Laut Van Elsen (2016: 192) verfolgt die Soziale Landwirtschaft bei der landwirtschaftlichen Erzeugung soziale, therapeutische und pädagogische Ziele. Ökologische Landwirtschaft kann Auswirkung auf Gesundheit und Wohlbefinden des Menschen haben. Soziale Landwirtschaft kann sich vielseitig gestalten und trägt zu Vorsorge, Inklusion und mehr Lebensqualität bei. Diese Punkte können mit der Teilhabe an Tages- und Jahresrhythmen, Gartenarbeit sowie der Arbeit mit landwirtschaftlichen Nutztieren erfüllt werden. Die anfallenden Tätigkeiten, welche bei Wind und Wetter und jahreiszeitenunabhängig erledigt werden, können therapeutisch und pädagogisch genutzt werden. Van Elsen (2016: 192) schreibt: "Zentral sind die sinnerfüllte Arbeit und damit verbundene Selbstbestätigung, das Erleben von Wachstums- und Rei- feprozessen, die Verantwortungsübernahme für Tiere und das Erleben von ineinandergreifenden Kreis- läufen." Limbrunner (2013: 27) zählt eine Vielzahl von Möglichkeiten auf, die als Arbeits- und Tätigkeitsbereich gewählt werden können: Obst- und Gemüsebau, Tierhaltung, Instandhaltungsmassnahmen und Holzar- beiten aller Art, Haltbarmachung und Vorratshaltung von Nahrungsmitteln, Milchverarbeitung, Natur- kostläden und Lieferung direkt an Kundenhaushalte, Wochenmärkte. Die Arbeit könne auch unter dem Blickwinkel der Subsistenzperspektive gesehen werden. Subsistenz bedeutet die Produktion für das ei- gene sowie das regionale Umfeld. Menschen sehen sich als Individuen und die Arbeit erhält Leben und bringt Lebensfreude zum Vorschein. Es wird gearbeitet für die Sinnhaftigkeit, Freude und Notwendigkeit und nicht des Geldes wegen. Nun stellt sich für Punkt 3.2 die Frage, welche Erlebnismöglichkeiten und Mitwirkungsgelegenheiten sich in der Landwirtschaft für Kinder im Alter von sechs bis elf Jahren eignen. 16 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 3.2 Erlebnismöglichkeiten und Mitwirkungsgelegenheiten in der Landwirt- schaft 3.2.1 Tiere Tiere schaffen konkrete Möglichkeiten für Kinder in der Landwirtschaft. Es fallen Arbeiten an wie Stall- ausmisten, Füttern, Auslaufgeben, Fell- und Hufpflege. Limbrunner (2013: 28 f.) sieht die Chancen im Wirken mit Tieren darin, dass artenspezifische Verhaltensweisen erkannt werden sowie der besondere Bedarf von Futter, Pflege, Bewegung und Nähe zum Menschen beachtet werden muss. Die Lernmög- lichkeiten darin sind vielfältig: Erkrankte Tiere brauchen besondere Pflege, Tiere haben ihren eigenen Charakter und nicht alle können den gleichen Bezug zum Menschen aufbauen. Manche Tiere werden gemolken, andere nicht. Je nach Auffälligkeiten und spezifischen Merkmalen ist bei verschiedenen Tie- ren unterschiedlich zu handeln. Durch Tiere wird also ein Erfahrungsraum geschaffen, welcher Kindern selbstständiges Lernen ermöglicht und im Aufbau von Selbstvertrauen und Beziehung hilfreich sein kann. Das Vertrauen kann durch die Tiere wachsen dank derer authentischem Auftreten. Tiere können die Verantwortung und Verlässlichkeit von Kindern stärken, sie werden oftmals als bessere Therapeuten, Sozialpädagogen und Helfer bezeichnet (vgl. Limbrunner 2013: 28f.). Limbrunner (2013: 28f.) sieht die Chancen im Umgang mit Tieren darin, dass sie klare Signale senden und direkte Grenzen aufzeigen. Tiere üben eine grosse Faszination auf Menschen aus und haben einen hohen Aufforderungs- charakter. Durch ihre Eigenschaften erwecken sie im Menschen Neugierde und regen die Aufmerksam- keit an. Tiere können Menschen jeglicher Art annehmen, da sie vorurteilsfrei sind und sogar entspan- nend und stressreduzierend wirken können. Tiere können Menschen aus ihrer Isolation holen und das Vertrauen wieder aufarbeiten sowie den Menschen trösten oder motivieren. Der Umgang mit Tieren kann beim Menschen schlussendlich zur Steigerung der Lebensqualität beitragen. Das Selbstbewusst- sein und das Selbstvertrauen der Kinder kann durch die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, Durchhaltevermögen sowie der Empathie für die zu versorgende Tiere gestärkt werden. Nicht zuletzt beschreibt Limbrunner auch, dass die Sozialkompetenzen dank der Tiere gefördert werden können. In der Landwirtschaft kann mit verschiedenen Tieren gearbeitet werden. Kloss (2010: 45 ff.) beschreibt mögliche Unterschiede von Kuh, Schwein, Pferd, Ziege, Schaf und Huhn. Kühe können auf Kinder ent- spannend wirken und eine ruhige Atmosphäre schaffen. Kälber erforschen die Kinder auf gleiche Weise, wie die Kinder die Kälber – sie sind neugierig, lebhaft, zutraulich und verspielt. Im Umgang mit Kühen können Kinder einen Gemeinschaftsgeist entwickeln. Schweine reagieren auf Vertrauen und können somit die soziale Kontaktbereitschaft des Kindes fördern. Sie laden Kinder zum Zeitvertreib ein, lassen sich kraulen und streicheln und haben eine niedliche Wirkung auf Kinder. Pferde können Ruhe und Ge- borgenheit vermitteln, sie sind sehr sensible Tiere. Kinder sowie auch Erwachsene müssen sich an die Bedürfnisse eines Pferdes anpassen – dies fordert Einfühlvermögen und Rücksichtnahme. Pferde kön- nen Kindern in ihrer Autonomie, Selbstsicherheit und im sozialen Verhalten fördern. Ziegen sind lebhaft und gesellig und gehen neugierig und unvoreingenommen auf Kinder zu. Trotz ihrer Geselligkeit wirken Ziegen eigen und kritisch. Kindern lernen eine ehrliche und ausgewogene Gestaltung ihrer Authentizität durch die Ziegen. Schafe ermöglichen vergleichsweise, wie andere Tiere auch, den Kindern das Erlangen von Verantwortungsbewusstsein. Die Tiere sind offen, gesellig und lassen sich streicheln oder auch füt- tern. Hühner sind agil, beobachten ihre Umwelt genau und sie machen den Anschein, nie wirklich zu schlafen. Hühner können Kinder zu mehr Bewegung inspirieren. 17 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 Zudem können Unterschiede von landwirtschaftlichen Betrieben im Tal oder im Berggebiet ausgemacht werden. Wichtig ist die Erkenntnis, dass nicht jedes Tier gleiche Förderungsmöglichkeiten für Kinder bietet. Die Erlebnis- und Erfahrungsmöglichkeiten unterscheiden sich individuell – je nach Tier, aber auch je nach Bedürfnissen und Kompetenzen des Kindes. 3.2.2 Landwirtschaftsmaschinen Auf einem Bauernhof werden Maschinen gebraucht wie der Traktor, der Pflug, der Mähdrescher, die Ballenpresse und vieles mehr, um die anfallenden Arbeiten ausführen zu können (vgl. Nationales Forum Schule auf dem Bauernhof 2013a: 5). Das Unterkapitel 3.2.2 Landwirtschaftsmaschinen bezieht sich auf den Ordner "Schule auf dem Bauern- hof" (Nationales Forum Schule auf dem Bauernhof 2013a). In diesem praxisbezogenen Ordner sind Ak- tivitäten, Fakten und Übungen für Kinder auf einem Bauernhof zusammengetragen. In der wissenschaft- lichen Literatur ist die Wirkung von Maschinen auf Kinder nicht erarbeitet, deshalb ist dieses Kapitel praxisbezogen. Landwirtschaftsmaschinen können von Kindern beobachtet werden - sei es im Stillstand, in den Vorbe- reitungen, während des Funktionierens. Auch das Resultat der Arbeit, die mit dem jeweiligen Fahrzeug oder Gerät erledigt worden ist, kann betrachtet werden. Maschinen können erkannt und mit anderen Maschinen verglichen werden. Maschinen können in „motorisiert“ oder „von-Hand-betrieben“ klassifi- ziert werden. Auch können sie in die verschiedenen Arbeitsgruppen eingeteilt werden: Welche werden auf dem Acker gebraucht, welche im Stall, welche haben mehrere Funktionen? Die Landwirtschaftsmaschinen können eine Gefahr für Kinder und Erwachsene darstellen. Der Umgang muss geübt sein, Gefahren müssen wahrgenommen und präventive Massnahmen erlernt und getroffen werden. Mit Maschinen kann den Kindern somit der Umgang mit Gefahren beigebracht werden: wie können Gefahren eingeschätzt werden und wie begegne ich diesen. Die Maschinen können eine Erlebniswelt für Kinder darstellen. Bei vielen Kindern lösen Maschinen eine Faszination aus, mit diesem Enthusiasmus ist es möglich, Kindern viel beizubringen; Wissen sowie auch Kompetenzen und Fähigkeiten. 3.2.3 Obstbau Wie im Kapitel 3.2.2 Landwirtschaftsmaschinen werden in diesem Kapitel praxisnahe Bezüge aus dem Ordner "Schule auf dem Bauernhof" beigezogen (vgl. Nationales Forum Schule auf dem Bauernhof 2013b: 4-14). Die Arbeit mit und für Obst ermöglicht den Kindern verschiedene Aktivitäten, Möglichkei- ten zum Beobachten, Wissenstransfer, Erlebnisse in der Küche und allgemein Wissen und Erfahrungen rund um die Ernährung. Früchte werden angebaut, geerntet, zwischengelagert, gegessen und/oder je nach Bedarf weiterverar- beitet. Für die Weiterverarbeitung existieren verschiedene Möglichkeiten: Pasteurisieren, Heisseinfül- len, Sterilisieren, Dörren oder Einlegen in Alkohol. Den Kindern können die verschiedenen Varianten erklärt werden. Auch können Verhältnisse aufgezeigt werden – wie viele Kilogramm Zwetschgen erge- ben wie viele Kilogramm gedörrte Zwetschgen? Mit den Kindern können gemeinsam die Früchte geern- tet, verarbeitet und je nachdem verkauft werden. Um später Früchte haltbar machen zu können, braucht es erst einmal einen ertragsreichen Baum. Dieser muss gepflegt werden – Schnitt, Bodenunterhalt, Auslichtung, Kontrollen und Ernte. Diese Pflegearbei- ten können gemeinsam mit Kindern erledigt werden. Auch kleine Kinder können dabei behilflich sein: 18 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 beispielsweise müssen Äste oder Fallobst vom Boden zusammengelesen werden. Eine Sensibilisierung für die Natur und für wichtige Arbeiten mit Bäumen und Sträuchern ist schon im jungen Alter möglich. Obstbäume zeigen die Jahreszeiten und den damit verbundenen Jahreszyklus beispielhaft auf. Anhand verschiedener Obstbäume kann das Kind Unterschiede feststellen, beispielsweise, dass Zwetschgen im Laufe eines Jahres früher reif sind als Äpfel oder dass es verschiedene Sorten von Birnen gibt und nicht jede in der gleichen Zeit geerntet wird. Auch kann einem Kind bewusst gemacht werden, dass selbst im Herbst und Winter Arbeiten anfallen wie Äste zusammenlesen, Bäume schneiden/pflegen und mehr. Eindrücklich kann auch sein, wenn ein grosser Baum gefällt werden muss, weil er krank ist oder wenn ein Strauch entfernt werden muss, weil er keine Früchte mehr tragen kann. Zudem bieten ökologisch vielfältige Streuobstwiesen die Möglichkeit der Beobachtung, insbesondere von Vögeln und Insekten. Die darauf kultivierten Bäume tragen zur Förderung der Artenvielfalt in der Tier- und Pflanzenwelt bei (vgl. Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL 2003: 4). Beispiels- weise können alte Obstbäume, mit teilweise abgestorbenen Ästen, als Bruthöhle genutzt werden (vgl. Horch 2001: o.S.). Von Hohlräumen in Altbäumen profitieren nebst Vögeln auch Sieben- und Garten- schläfer sowie Fledermäuse, welche als Insektenfresser auch Schädlinge vertilgen (vgl. Forschungsinsti- tut für biologischen Landbau FiBL 2016: 7). Einen grossen Beitrag leisten die Obstbäume als Nahrungs- lieferant für Bienen und der damit verbundenen Bestäubung der Blüten. Der Lebenszyklus der Bienen und die Bestäubung von Pflanzen kann anhand von Obstbäumen (und auch diversen anderen Samen- pflanzen) für Kinder veranschaulicht werden. Ferner kann der natürliche Kreislauf und die symbiotische Abhängigkeit zwischen der Pflanzen-und der Tierwelt in Streuobstwiesen erläutert werden und ist zu- gleich sichtbar. 3.2.4 Garten Ulrich (2013b: 201) schreibt, dass Pflanzen für Kinder nicht gleich interessant sind wie Tiere. Zum einen hat die Pflanze selten einen persönlichen Namen und kaum eigene Aktivität. Deshalb können Kinder in der Pflanze weder Begleit- noch Bezugsperson sehen, was bei einem Tier besser der Fall ist. Bei Pflanzen können eher chemische, physikalische sowie biologische Vorgänge festgestellt werden. Die Jahreszeiten, die Rhythmen der Natur und die Lebenskreisläufe können Kindern durch Pflanzen und mittels Garten aufgezeigt werden. Kloss (2010: 32) beschreibt folgende Vorgänge: Im Frühjahr wird im Garten angesät, im Sommer wird der Garten mit Wasser, Dünger und Pflege gehegt, sodass im Herbst geerntet und weiterverarbeitet werden kann. Im Winter schliesslich ruht der Boden und dennoch braucht er Pflege. Das zeigt auf, dass verschiedene Wetterphänomene Einfluss auf den Garten haben. So sind beispielsweise die Eisheiligen oder der Altweibersommer für die Garten- und Feldarbeit von Wichtigkeit. Durch diesen Teil der Landwirtschaft kann man den Kindern aktiv Wissen vermitteln. Ulrich sieht nicht nur das kognitive Lernen, welches auf Grund der aktiven Teilnahme beschleunigt und verinnerlicht wird, sondern auch das soziale und emotionale Lernen als Resultat der Gartenpädagogik. Die Verantwor- tungsübernahme kann in der Pflege von Pflanzen gelernt und Wirkungen sowie mögliche Weiterverar- beitung einer Pflanze können angeeignet werden. Gartenbasiertes Lernen ermöglicht Kindern und Jugendlichen laut Kindsnatur (Kindsnatur o.J.) mehrere Erfahrungen und Erlebnisse: Natur mit allen Sinnen zu erfahren, den eigenen Spiel- und Bewegungsdrang auszuleben, sich gärtnerisches Wissen und Können anzueignen, Pflanzen als Lebewesen kennenzulernen, 19 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 Pflanzen als kostbare Lebensmittel anzubauen, zu ernten, zu verarbeiten, zu geniessen und wertzuschätzen, Biologie und ökologische Kreisläufe zu begreifen, Physik und Mathematik intuitiv zu verstehen, sich vom Garten zum Sprechen und Schreiben inspirieren zu lassen, selbstwirksam und selbsttätig zu sein, Gestaltbarkeit und Abenteuer zu erleben, Freiheit und Grenzen auszuloten, Teamgeist zu spüren, sich organisieren zu können, sich in Geduld zu üben, mit Erfolg und Misserfolg umgehen zu lernen, Probleme konstruktiv-spielerisch zu lö- sen, sich kreativ auszudrücken, sich verbunden zu fühlen (mit sich selbst, anderen Lebewe- sen und einem Ort), (Selbst)Vertrauen und (Selbst)Mitgefühl zu entwickeln, sich seiner Um- welt und Verantwortung bewusst zu sein, staunend immer wieder Neues zu entdecken, Be- geisterung und Lebensfreude zu spüren, im Hier & Jetzt zu leben, achtsam zu sein und sich engagieren zu lernen. Diese Erfahrungen und Erlebnisse sind vielfältig und können je nach Kind individuell gefördert werden. Der Garten kann einen so grossen Erfahrungs- und Erlebnisraum darstellen, weil er so vielfältig gestaltet werden kann. In der Broschüre "Der Weg des Bauernhofgartens" (vgl. Nationales Forum Schule auf dem Bauernhof 2013c: 10-38) sind praxisnahe Beispiele aufgelistet: Gemüsegarten, Blumen und Zierpflan- zen, Tiere im Garten, Gewürze und Heilkräuter sowie Beeren, Früchte und Nüsse. Hier sind viele Ver- bindungen zur Ernährung möglich sowie auch zur Gesundheit. Mit Heilkräutern können mit Kindern verschiedene Tees oder Öl-Auszüge hergestellt werden. 3.2.5 Jahreslauf und Rhythmen Um das Thema Jahreslauf und Rhythmen zu verdeutlich, nutzt die Autorin unkonventionelle Literatur. Statt einem wissenschaftlichen Werk aus dem Bereich der Landwirtschaft oder der Sozialen Arbeit wird ein praxisnahes Kindersachbuch beigezogen. "Wir Kinder vom Hof" ist ein Sachbilderbuch von Laarman/Lütke Hockenbeck (2015), welches aufzeigt, wie unterschiedlich sich die Arbeiten gestalten, welche sich in der modernen Landwirtschaft zeigen. Der Bauer ist bei der Geburt eines Ferkels dabei und packt wenn nötig mit an. Kurz nach der Geburt können die Ferkel bereits laufen und es kann ihnen gezeigt werden, wo sich bei der Mutter die Zitzen befinden. Die kleinen Ferkel werden nun etwa einmal pro Stunde an ihrem festen Trinkplatz an der Zitze saugen. Die Tiere kommen bald in den "normalen" Tagesrhythmus und wollen täglich gefüttert werden. Schon ab dem siebten Monat sind die Tiere erwachsen und je nach Landwirt*in werden diese geschlach- tet oder die Sau wird von einem Eber gedeckt und es gibt wieder junge Ferkel. Auch Schafe, Kühe, Hüh- ner, Pferde und andere Tiere ziehen Junge auf und werden je nach Bauernbetrieb gemästet, als Nutztier gehalten oder sind Teil der Muttertierhaltung. So ist im Umgang mit Tieren das Leben wie auch der Tod Bestandteil, welcher natürlich oder vom Mensch gesteuert wird. Die Getreideernte zeigt den Jahreszyklus ebenfalls auf, diese beginnt im Juli. Die Körner sind anschlies- send Teil des Schweinefutters oder werden für die Mehlverarbeitung verwendet. Nebst dem Futterge- treide brauchen die Tiere viel Gras. Vom Mai bis zum September wird das Gras auf dem Feld geerntet. Je nach Wetter kann mehr oder weniger oft geerntet werden. Das Gras wird geschnitten und anschlies- send einen Tag liegen gelassen, um daraus Silofutter zu produzieren. Wenn das Gras länger liegen bleibt und getrocknet wird, gibt es Heu oder Emd. Im Kapitel 3.2.4 Garten ist bereits die Bedeutung der Jahreszeiten für die Pflanzen sowie die Rhythmen der Natur erklärt. Die Natur und ihre Kreisläufe können in der Landwirtschaft kennenglernt werden. In der komplexen Welt können mithilfe der Landwirtschaft gewisse Abläufe besser verstanden werden. Der Landwirtschaftliche Informationsdienst (vgl. Landwirtschaftlicher Informationsdienst LID, Juli 2003: 20 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 o.S.) schreibt auf seiner Website, dass für eine gesunde Ernährung und mehr Bewegung der Zusammen- hang und das Zusammenspiel von Nahrungsmittelproduktion, Naturpflege und körperlicher Bewegung betrachtet werden müsse. Dafür ist Wissen aus der Natur und ihren Jahreszyklen notwendig, so können ökologische Zusammenhänge verstanden werden. Die Autorin erörterte die verschiedenen Bereiche der Landwirtschaft (Tiere, Landwirtschaftsmaschinen, Obstbau, Garten und Jahreslauf/Rhythmen) im Kapitel 3.2. Welche Kompetenzen in diesen Tätigkeiten gefördert und gestärkt werden können, werden im folgenden Kapitel präzisiert. 3.3 Chancen der Landwirtschaft Die Landwirtschaft sowie auch deren Wirkung ist vielseitig. Schockemöhle (2013: 67) zeigt mit der Ab- bildung von Palmer und Neal (1994) die Dimensionen des Lernens in der Landwirtschaft auf. Abb. 2: Dimensionen der Umweltbildung Lernen über die Umwelt beinhaltet: "…Haltung und Pflege der Nutztiere, die physikalisch-räumliche Umgebung – von den Ställen, der Scheune, dem Hofplatz bis zu den Wiesen, Weiden, Äckern und Wäldern – aber auch das alltägliche Han- deln der Landwirte und ihrer Familien so- wie die Auswirkungen ihres Handelns auf die Umwelt." (Schockemöhle 2013: 67f.) Das subjektive Erkennen und Verstehen von spezifischen Phänomenen, welche sich in der Landwirtschaft ereignen, wird gelernt. Es werden zentrale Problembe- reiche und daraus resultierende Heraus- forderungen (Tierhaltung, ökologische Probleme…) verstanden und angegangen (vgl. Schockemöhle 2013: 68). Lernen für die Umwelt bedeutet die be- Quelle 2: Schockemöhle 2013: 67 (nach Palmer und Neal 1994). wusste und zielgerichtete Gestaltung des eigenen Lebensumfeldes. Dafür benötigt werden kognitive Fähigkeiten. Strukturen, Probleme, komplexe Wechselwirkungen und Phänomene müssen im eigenen Umfeld wahrgenommen, analysiert und bewertet werden. Daraus resultiert das Handeln. Handlungserfahrungen auf dem Bauernhof können zu einem späteren Engagement für die Umwelt führen (vgl. Schockenmöhle 2013: 68f.). Lernen in und von der Umwelt heisst, dass anhand von konkretem Handeln eine emotionale Beziehung zum Lerngegenstand aufgebaut werden kann. Das aktive Handeln ermöglicht, Erfahrungen zu sammeln, eigene Ideen umzusetzen und die Erfahrung, dass das eigene Lebensumfeld selber gestaltet werden kann. Die Landwirtschaft ermöglicht ein Handeln über die lokalen Grenzen hinaus und führt die Lernen- den auf eine Ebene des Denkens und Handelns in globalen Massstäben (vgl. Schockenmöhle 2013: 69f.). 21 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 3.3.1 Kompetenzerwerb innerhalb der Landwirtschaft Kloss (2010) zählt verschiedene Teilkompetenzen auf, welche durch die Landwirtschaft gefördert wer- den: Selbstwert, Selbstvertrauen, Emotionale Selbststeuerung, Anpassungs- und Kompromissbereit- schaft, Soziale Sensibilität, Empathie, Soziale Zuverlässigkeit, Fairness und Authentizität. Limbrun- ner/van Elsen (2013) erwähnen immer wieder verschiedene Chancen der Landwirtschaft sowie auch Schockemöhle (2013), Bickel/Bögeholz (2013) und Forstner-Ebhart/Wogowitsch (2013) in "Raus auf's Land". Für die vorliegende Arbeit beschränkte sich die Autorin auf zehn Kompetenzen. Von Kloss (2010) stam- men Selbstwert, Selbstvertrauen, Emotionale Selbststeuerung, Empathie, Authentizität. Literaturstu- dium und Reflexion brachten die Autorin dazu, nach eigenem Ermessen folgende fünf Kompetenzen hinzuzufügen: Zuverlässigkeit und Verbindlichkeit, Teamfähigkeit, Ausdauer und Durchhaltevermögen, nachhaltiger Lernprozess und Wissen. Einige davon beinhalten von Kloss (2010) definierte Teilkompe- tenzen wie Anpassungs- und Kompromissbereitschaft, Fairness und Soziale Sensibilität. Im Folgenden wird umschrieben, wie welche Kompetenzen bei Kindern dank der Landwirtschaft geför- dert und gestärkt werden können. Selbstwert Das Kind kann seine Schwächen und Stärken erkennen und erlebt so eine innere Zufriedenheit (vgl. Kloss 2010: 62). Die Wertschätzung der eigenen Arbeit und die Erkenntnis von verborgenen Fähigkeiten kön- nen das Selbstwertgefühl steigern (vgl. Limbrunner 2013: 25). Gerade in der Natur findet oft eine Visu- alisierung der Arbeitsergebnisse statt, diese helfen, die Sinnhaftigkeit der eigenen Arbeit zu erkennen, und steigern wiederum den individuellen Selbstwert. Tiere reagieren unvoreingenommen auf Kinder. Die erlebte Zuwendung eines Tieres gegenüber dem Kind kann dessen Selbstbewusstsein steigern und ist ein Zeichen des Gebrauchtwerdens (vgl. Kloss 2010: 52). Selbstvertrauen Die eigenen Fähig- und Fertigkeiten kennt das Kind, es hat Vertrauen in diese gefasst. Dieses Vertrauen bildet sich durch erfolgsorientiertes und erfolgreiches Handeln. Durch die Arbeit mit Tieren gelingt es Kindern, an Selbstvertrauen zu gewinnen – Tiere reagieren unvoreingenommen und kritiklos und ge- währen eine bedingungslose Zuwendung (vgl. Kloss 2010: 62). Die Verantwortungsübernahme, welche in mehreren Bereichen der Landwirtschaft für Kinder möglich ist, schafft die Voraussetzung, an Selbstvertrauen zu gewinnen. Emotionale Selbststeuerung Tiere reagieren auf Emotionen – sie können zurückweisend sein, wenn sie Hektik oder Aggression spü- ren. Deshalb muss das Kind den Umgang mit den eigenen Emotionen lernen und diese so ausdrücken, dass diese vom Tier nicht negativ wahrgenommen werden (vgl. Kloss 2010: 62). Sickmüller (2013: 84) schreibt, dass Tiere sich oftmals als effektive Lehrmeister*innen herausstellen. So zum Beispiel bemerkt ein Kind anhand des Verhaltens des Tieres, ob es zu laut ist. Dieses Beispiel kann auch auf die Teilkom- petenz Empathie zurückgeführt werden – wichtig ist das Spüren der eigenen Emotionen und deren Steuerung, um das Wohl des Tieres nicht zu gefährden. 22 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 Empathie Das Kind ist besorgt um das Befinden eines Tieres. Auch versucht ein Kind, das nicht bewertete Verste- hen des Tieres wiederzugeben, um ebenso entspannend an das Tier zu gelangen. Tiere sind sehr fein- fühlig. So nehmen Tiere auch nonverbale Sprache wahr und reagieren darauf. Deshalb ist ein sensibler Umgang von Seiten der Kinder gefragt (vgl. Kloss 2010: 62f.). Gebhard (2013: 189f.) behandelt mehrere Studien bezüglich der Kompetenzen. Zum einen zeigt eine Studie auf, dass die nonverbale Kommunikation von Kindern durch den Kontakt mit Tieren – egal ob Hund, Katze, Kuh oder Fisch – signifikant verbessert werden kann. Diese wiederum hat Einfluss auf die Empathie. Eine weitere Untersuchung hat ergeben, dass empathische Fähigkeiten von Kindern, welche in einer engen Beziehung mit einem Tier stehen, differenzierter und ausgeprägter sind. Zuverlässigkeit und Verbindlichkeit Nicht nur in der Pflege von Tieren, sondern auch in der Gartenpflege, trägt das Kind eine gewisse Ver- antwortung. Tiere sowie auch Pflanzen stellen Erwartungen und der Mensch wird gebraucht. Einem Kind kann anhand der Lebewesen aufgezeigt werden, dass Absprachen eindeutig und zuverlässig sein müssen (vgl. Kloss 2010: 63). Limbrunner (2013: 24) nennt die kognitiven Leistungen und Fähigkeiten, die für den Gemüsebau (zum Beispiel beim Setzen von Jungpflanzen) mobilisiert werden müssen, als sehr wichtig. Denn ohne diese Zuverlässigkeit geschehen schnell Fehler. Eigene Gewohnheiten und Er- wartungen müssen teils zurückgestellt werden, um anfallenden Arbeiten gerecht werden zu können. Saisonarbeit wie beispielsweise Erdbeerenernte muss während drei bis vier Wochen fast täglich mit hoher Sorgfältigkeit durchgeführt werden. Sickmüller (2013: 84) meint, dass Tugenden wie Disziplin und Pünktlichkeit von Tieren einfacher als von Menschen vermittelt werden können. Tiere sind auf die Menschen angewiesen und die Notwendigkeit der Zuverlässigkeit und Verbindlichkeit ist gross – diese Notwendigkeit wird unmittelbar nachvollziehbar und plausibel (von Seiten der Tiere selbst) aufgezeigt. Authentizität Die Feinfühligkeit der Tiere führt dazu, dass sie abweisend reagieren, wenn bei einem Kind die verbale und nonverbale Kommunikation nicht übereinstimmt. Das Kind erreicht am meisten, wenn es ehrlich und offen im Umgang mit Tieren ist. Die Tier-Mensch-Beziehung kann den inneren Einklang des Kindes fördern (vgl. Kloss 2010: 63). Authentizität heisst auch, dass das Lernen in einer realen Situation stattfindet. Die Offenheit der Lern- situation bedeutet, dass eine Fokussierung und Gestaltung der Lernumgebung vorgenommen werden muss (Erklärung, Unterstützung und mehr). Damit kann der Lernprozess besser initiiert werden (vgl. Schockemöhle 2013: 71f.). Teamfähigkeit Viele Arbeiten, die in der Landwirtschaft anfallen, können im Team erledigt werden. Sickmüller (2013:85) sieht die Chancen darin, dass Kinder lernen, wie mit anderen zusammengearbeitet werden kann und wie die Konflikte, welche dabei entstehen können, gemeinsam gelöst werden. Die Ergebnisse der Tätigkeiten von Kindern können dazu dienen, dass eigene Fähigkeiten erkannt und geschätzt wer- den. Durch die Teamarbeit kann ein respektvoller Umgang mit anderen gelernt werden. Dazu gehört, die Arbeit und die Fähigkeiten von anderen zu schätzen und in einen Prozess einzubauen. 23 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 Oftmals sind in der Landwirtschaft auch Menschen älterer Generationen anwesend, ein generationen- übergreifendes Zusammenarbeiten kann so geübt werden. Gerade in der Landwirtschaft können gros- ses Wissen und Fähigkeiten von Menschen älteren Alters abgeholt werden, sie sind Experten für ver- schiedene Tätigkeiten (vgl. Sickmüller 2013: 85). Ausdauer und Durchhaltevermögen Arbeiten in der Landwirtschaft müssen erledigt werden und dies bei jeder Witterung (vgl. Limbrunner 2013: 24). Weiter wird genannt, dass Tiere, Maschinen und der Umgang mit der Erde den Menschen immer wieder vor Herausforderungen stellen und auch Widerstände, Ängste, Skrupel, Unsicherheiten und Hemmungen hervorbringen können. Dabei spielt wiederum die emotionale Selbststeuerung sowie die Ausdauer und das Durchhaltevermögen eine wichtige Rolle. Sei es in der Beziehungsarbeit, im nachhaltigen Lernprozess, im Wissenstransfer oder im Erledigen von praktischen Arbeiten – Ausdauer und Durchhaltevermögen sind immer zentral und können in der Land- wirtschaft geübt werden. Die Übung kann stufenweise geschehen und von Erwachsenen begleitet wer- den. Nachhaltiger Lernprozess Eigene Erfahrungen in der Landwirtschaft verhelfen den Kindern zu einer nachhaltigen Bildung. Ler- nende können in der Landwirtschaft ihr Wissen in verschiedenen Kontexten produktiv umsetzten. Nach- haltige Lernprozesse bedeuten, dass Kinder in unterschiedlichen Erfahrungssituationen sich verschie- dene Wissenskonzepte aneignen. In neuen Kontexten können sie von diesen Wissenskonzepten Ge- brauch machen und diese neu strukturieren (vgl. Forstner-Ebhart/Wogowitsch 2013: 34f.). Lernen setzt eine aktive Teilnahme der Lernenden voraus, die Autonomie, Aktivität und Selbststeuerung sind wichtige Teilkomponenten. Auch sind verschiedene Betrachtungsweisen, die Reflexion des eigenen Lernprozesses sowie die Aktivierung des Vorwissens relevant, um die kognitiven Konzepte zu überarbei- ten. Auch bedeutsam sei dabei der Lernort – ein Bauernhof ermöglicht eine Realbegegnung im Situati- onskontext, was die Lernbedingungen aufbessern kann (vgl. ebd.: 34f.). Dieser Lernort verknüpft senso- rische Erfahrungen mit körperlichem Tun, damit gelingt es den Lernenden, soziales Verhalten zu über- nehmen (vgl. ebd.: 37). Ergo werden nicht nur kognitive Fähigkeiten trainiert, sondern auch soziales Verhalten wird trainiert und erweitert. Wissen Das Wissen kann den Kindern anhand aller Teilbereiche (Tiere, Landwirtschaftsmaschinen, Obstbau, Garten und Jahreslauf) spielerisch beigebracht werden. Die Landwirtschaft ermöglicht eine Wissenser- weiterung mittels aktiven, selbstgesteuerten, konstruktiven und sozialen Teilen, welche alle eine aktive Beteiligung der Lernenden voraussetzen (vgl. Forstner-Ebhart/Wogowitsch 2013: 36). Beispielsweise wird die gedankliche Verbindung zwischen dem Kalb und dem Steak auf dem Teller Wirt- schafts-Tabu oder Schlachthaus-Paradox genannt. Kinder sehen das Schlachten von Tieren oft als Mord, sie haben aber kein Problem mit dem Essen von Wurstwaren (vgl. Sickmüller 2013: 80). Die Naturnähe kann solche Fragen den Kindern erklären und ihnen dieses Wissen näherbringen. Kreisläufe können innerhalb der Landwirtschaft den Kindern beispielhaft aufgezeigt werden. Zusam- menhänge beispielsweise zwischen Tieren und dem Garten können Kinder erkennen und verstehen ler- nen. Das erworbene Wissen kann schliesslich auch adaptiert werden auf andere Themengebiete. 24 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 3.3.2 Illustrationsbeispiele – Kinderheim Christhof Die theoretische Auseinandersetzung mit Bereichen der Landwirtschaft und Kompetenzen, welche in der Landwirtschaft gefördert werden können, werden nachfolgend mit Hilfe von Praxisbeispielen aus dem Kinderheim Christhof unterstützt. Die Publikation erfolgt mit der Erlaubnis von Verantwortlichen des Christhofs. Kühe In der Landwirtschaft auf dem Christhof gibt es vier Mutterkühe. Einmal jährlich werden diese von ei- nem auswärtigen Stier besucht. Während rund zwei Wochen können die Kinder teils mitansehen, wieso der Stier da ist. Fortpflanzung ist das Ziel. Geschehnisse rund um das Thema Sexualität können natürlich und nahe miterlebt werden und der Anschauungsunterricht bei Stier und Kuh ermöglicht es den Er- wachsenen in einem passenden Moment, Sexualität zu thematisieren, Fragen von Kindern zu beantwor- ten und natürliche Abläufe zu erklären. Die Kinder erleben auch die Trächtigkeit der Mutterkühe mit. Diese entspricht in etwa der Dauer einer Schwangerschaft eines Menschen. Die Kinder sehen, wie die Kuh stetig einen runderen und grösseren Bauch kriegt und können auch die Phase beobachten, in wel- cher die Kuh bereit ist zum Kalbern. Diverse Anzeichen deuten darauf hin, dass es nicht mehr lange geht, bis das Kalb auf der Welt ist. Die Kuh wird unruhig, legt sich hin und steht wieder auf und streckt even- tuell bereits den Schwanz nach hinten (vgl. Josera o.J.). Deuten die Kinder (unter Anleitung der Erwach- senen) diese Vorzeichen richtig und rechtzeitig, ermöglicht dies den Kindern, bei der Geburt der Kälber dabei zu sein. Diese geschieht entweder auf der Wiese oder im Stall. Während der Geburt des Kalbes können Bezüge zur Niederkunft eines Menschen geschaffen werden. Die Kälber bekommen einen Namen, ein Nummernschild und werden gefüttert. Ungefähr ein Jahr spä- ter müssen die Kinder sich von dem Rind bereits wieder verabschieden. Sie haben die Option, das Rind auf den Schlachthof zu begleiten. Die Autorin hat miterlebt, wie einige Kinder diesen Weg mit dem Kalb mitgegangen sind, bei dessen Geburt sie anwesend waren. Sie lernen so, wie sich ein Kreislauf schliesst, woher das Fleisch genau kommt, das ein paar Wochen später auf ihrem Teller angerichtet ist. Der Bezug zum Fleisch auf dem Teller ist dabei etwas Besonderes. Dass alle Rinder einen Namen haben und somit das Fleisch "benannt" werden kann, das ein Kind isst, macht es für einige einfacher, es zu essen – oder eben schwieriger. Wenn ein Kind auf dem Christhof eine Kuh bis zum Schlachthof begleiten möchte, so wird es eng von Erwachsenen betreut. Dem Kind werden vorgängig die Abläufe erklärt, damit es weiss, welche Bilder es auf dem Weg zu erwarten hat und was alles zum Prozess des Schlachtens gehört. Wenn das Kind sich bereit fühlt, diesen Schritt zu gehen, und eine erwachsene Person dies bestätigt, so kann das Kind Schritt für Schritt mitgehen. Falls sich das Kind überfordert fühlt, wird ihm jederzeit die Möglichkeit offenge- lassen, den Schlachthof zu verlassen. Nach dem Erlebten braucht es viele Gespräche mit dem Kind, weil meistens reichlich Fragen auftauchen. Schafe Bei den Schafen ist es auf dem Christhof ebenfalls möglich, die Geburt von Lämmern mitanzusehen. Im Besonderen kommt es bei den Schafen gelegentlich vor, dass eines der Frischgeborenen noch zu klein ist, um auf natürliche Weise zu überleben. Auf dem Christhof können die Kinder dann Verantwortung übernehmen und für ein Lämmchen zuständig sein. Das heisst, sie füttern das Lämmchen mit einer Trinkflasche. Dafür braucht es Zuverlässigkeit, Geduld, Empathie und eine Portion Hoffnung. Nicht jedes Lamm überlebt, auch die traurigen Momente gehören dazu. In solchen Fällen wird für die verstorbenen Tiere ein Ort bestimmt und die Kinder dürfen für das Lamm Zeichnungen oder sonstige Andenken dahin 25 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 legen. Hinter dem Stall stand lange Zeit ein selbstgebasteltes Kreuz aus Holz und darauf stand der Name eines verstorbenen Lammes. Bei den Schafen fallen weitere Arbeiten an, welche zuverlässig und regelmässig erledigt werden müssen. So werden beispielsweise regelmässig die Klauen geschnitten und die Schafe werden geschoren. Der Klauenschnitt kann den Kindern anhand von Fussnägeln der Menschen erklärt werden – würden die Klauen nicht geschnitten werden, so bekämen die Schafe Entzündungen und hätten Mühe mit dem Ge- hen. Dem Kind wird eingeschärft, dass die Klauenschere und das –messer immer gut geschliffen sein müssen, um die Klauen möglichst präzise schneiden zu können. Bei der Schafschur ist wichtig, dass sorg- fältig gearbeitet wird, damit das Tier nicht verletzt wird. Die Schafschur braucht Kraft. Auf dem Christhof kann ein Kind das Schaf einfangen und es auf den Boden legen und festhalten, während eine erwach- sene Person das Schaf schert. Die Wolle vom Christhof konnte lange Zeit nicht verwendet werden, da in der Schweiz kaum jemand Wolle verarbeitet. Heute können die Kinder die Wolle in einen Betrieb brin- gen, welcher diese als Isoliermaterial benützt. Auslauf / Weiden-Wechsel Auf dem Christhof leben drei Esel, halbtags im Stall, halbtags auf der Weide. Im Sommer sind sie oftmals in der Nacht auf der Weide, weil es den Tag über zu heiss ist und weil sie zu viel fressen würden, wenn sie den ganzen Tag vom frischen Gras umgeben wären. Im Winter sind sie nur tagsüber draussen. Dafür müssen sie am Morgen und am Abend vom Stall auf die Weide und wieder zurückgebracht werden. Die Tiere müssen gestriegelt werden und die Hufe müssen gereinigt sein – Tätigkeiten, die die Kinder aus- führen oder mitausführen können. Esel reagieren sensibel auf den Menschen. Sie sind sehr empathisch und spüren beispielsweise, wenn ein Kind Angst im Umgang mit ihnen hat. Es ist für Kinder deshalb eine Herausforderung, die Esel zu striegeln und die Hufe zu putzen und sie anschliessend in den Stall zu bringen. Kinder, welche sorgfältig und empathisch mit dem Tier umgehen, kommen oft schneller zum "Resultat". Esel können bockig rea- gieren, wenn ihnen unwohl ist. Bei der Arbeit mit Eseln lernen Kinder das selbstsichere Auftreten – der Esel spürt, wenn ein Kind unsicher ist. Unsicherheiten beim Kind lösen beim Esel aus, dass er nicht "mit- macht", dass er trotzt und beispielsweise verweigert, die Hufe zu geben. Eine gute Übung für Kinder, um an Selbstsicherheit zu gewinnen. Der Kontakt zwischen Esel und Kindern besteht auf dem Christhof regelmässig. Viele Kinder haben zu einem der Esel eine enge Beziehung. Es kommt auch vor, dass der Esel als Zuhörer für die Kinder da ist. Er nimmt die Sorgen und Ängste von Kindern ab und bietet Nähe in schwierigen Momenten. Diese Möglichkeit bieten andere Tiere auf dem Bauernhof genauso. Die Kinder suchen sich individuell nach ihren Bedürfnissen ein Tier aus, zu welchem sie eine nahe Verbindung aufbauen. Ein Mädchen auf dem Christhof hat beispielsweise eine sehr enge Beziehung zu den Hühnern, ihr gelingt es, diese auf den Arm zu nehmen und zu streicheln. Sie verbringt viel Zeit in diesem Gehege und hat da einen Ort gefunden, an dem sie sich wohl fühlt und den Tieren von ihren Sorgen erzählen kann. Zudem ist sie auch stolz darauf, als einzige die Hühner in den Armen halten zu können. Reparatur und Servicearbeiten am Traktor Der Traktor nimmt als Geräteträger für andere Maschinen eine zentrale Funktion ein. Beim Christhof- Traktor wurde ein zunehmender Leistungsverlust festgestellt. Da die Servicearbeiten nächstens fällig waren, konnte eine umgehende Reparatur und ein Service in Angriff genommen werden. Kinder können hierbei gut mithelfen, da praktisch alle Werkzeuge nicht zu schwer oder gefährlich für sie sind. Während 26 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 des Vorbereitens muss der Traktor warmlaufen, so kann das Öl besser ausfliessen und allfälliges Kon- denswasser aufnehmen. Dabei muss beachtet werden, dass der führerlose Traktor entsprechend gesi- chert und die Handbremse kräftig angezogen ist. So kann das Kind diese nicht einfach lösen. In einem ersten Arbeitsschritt wird das Motorenöl abgelassen. Das Kind kann das Ölbecken unterhalb des Motors platzieren. Beim Lösen der Ablassschraube kann das Kind zusehen und das nötige Werkzeug besorgen. Beim Demontieren des Ölfilters kann das Kind dabei sein oder, wenn es genügend kräftig ist, sogar mithelfen. Auch die Reinigung des Ölfilters kann in Zusammenarbeit mit dem Kind erledigt wer- den, ebenso die Montage des neuen Filters, sprich das Ölfilter auspacken, Anbringen des Schmierfetts an die Dichtfläche, Anschrauben des Filters. Das finale Anziehen und das Überprüfen der einzelnen Schritte wird von einer erwachsenen Person durchgeführt. Das Beheben des Leistungsverlusts braucht mehr Geduld. Der Tank, der Filter sowie der Motor müssen geprüft werden. Der Tank muss ausgebaut werden, dafür muss man auf die Motorhaube klettern. Das Kind kann Hilfestellung leisten, indem es die richtigen Werkzeuge bereitstellt. In der Verbindungsleitung zwischen Tank und Filter setzen sich viel Schmutz und Ablagerungen fest, was mit einer Druckluftpistole beseitigt wird. Eine Aufgabe, die ein Kind mit viel Spass lösen kann und bei der es gleichzeitig den Einblick in das Getriebe hat. Die Gefahren einer Druckluftpistole können aufgezeigt werden. Auch beim Auffüllen des Motorenöls kann das Kind mitanpacken. Die Prüfung des Ölstands sowie das Auffüllen kann ein Kind je nach Alter und Grösse bewältigen. Nach erfolgreicher Arbeit kann der Traktor gestartet werden und im besten Fall ist dieser wieder be- triebsbereit. Das Aufräumen und Reinigen des Werkzeuges wird zum Gemeinschaftsprojekt. Aufbau Weideunterstand Die Witterung über all die Jahre zog den Weideunterstand auf dem Christhof in Mitleidenschaft, er musste erneuert werden. Der neue Unterstand soll einbetonierte Stützen haben, sodass er dem Wetter länger Stand hält. Zuerst muss der alte Bau entfernt, das Holz vom Kunststoffdach getrennt, der zerlegte Unterstand zur Entsor- gungsstelle gebracht und das neue Material abgeholt werden. Kinder können bei all den Arbeiten mit- helfen. Beim Vermessen und Anzeichnen sind mehrere Hände praktisch und auch anschliessend beim Graben der Löcher. Die Löcher brauchen einen genauen Durchmesser, das Kind lernt selber ein Loch auszumes- sen und das exakte Arbeiten. Für das Zuschneiden der Stützen braucht es eine Kettensäge. Das Kind kann die Balken festhalten, während eine Betreuungsperson die Säge bedient. Die Holzlatten, welche es zur Fixierung braucht, kann das Kind je nach Alter selber mit der Handsäge zusägen. Nachdem die Stützen in die Löcher gesetzt und mit Latten fixiert sind, folgt das Betonmischen. Das Kind kann zum Beispiel rühren. Anschliessend wird der Beton in Kooperation in die Löcher verteilt. Die Arbeit kann erst einen Tag später wiederaufgenommen werden, da der Beton trocknen muss. Die Geräte müssen weg- geräumt werden, da das Material aufgrund der Witterung Schaden nehmen kann. Um die Balken für das Dach mit der Säge zuzuschneiden und zu montieren, ist eine Leiter notwendig. Das Kind kann lernen, wie eine Leiter richtig positioniert wird und welche Gefahren zu beachten sind. Anschliessend werden mit Metallwinkeln die Schrauben befestigt, je nach Alter des Kindes, kann es mit dem Akkuschrauber die Schrauben selber anziehen. Das Anschrauben sowie das Positionieren braucht zwingend zwei Personen. Wenn das Kind genügend instruiert wird und es sich die Arbeit zutraut, reichen die Betreuungsperson und das Kind. Nun fehlen noch die Querlatten der Dachkonstruktion. Dabei kann 27 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 aufgezeigt werden, wie stabil etwas ohne und mit Verstrebungen ist: eine praktische Anschauung von handwerklichem Wissen. Zum Schluss wird das Wellblech auf das Dach montiert sowie die Holzläden an die Wände festgemacht. Bei beiden Arbeiten ist das Kind durch die vorherigen Schritte unterdessen geübt. Zwetschgen Etliche Zwetschgenbäume sind auf dem Christhof gepflanzt. Der Ertrag davon ist je nach Jahr gross oder eher klein. Die Kinder helfen beim Auflesen und Ablesen der Zwetschgen und bei der Verarbeitung mit. Zum einen sitzen sie an den Tisch und entkernen und vierteln die Zwetschgen, sodass sie gefroren werden können. Zum anderen erleben die Kinder mit, wie die Zwetschgen gedörrt werden, damit sie im Winter ein gutes Znüni in die Schule mitnehmen können. Weiter werden die Christhof-Zwetschgen direkt in eine Destil- lierie gebracht, wo Schnaps gebrannt wird. Die Kinder können anschliessend Flaschen abfüllen und an- schreiben. Bei dieser Arbeit sind Erwachsene mit dabei, da alkoholische Getränke für Kinder gefährlich sind. Mit den Kindern werden Zwetschgen auch direkt verwertet, sei es für Wähen, Frappés oder Eis. Damit diese Verarbeitung überhaupt erst möglich ist, helfen die Kinder auch bei den Pflegearbeiten der Bäume mit, zum Beispiel beim Auflesen von faulen Früchten, Ästen oder Laub. Im Herbst und Winter werden die Äste am Boden zusammengelesen. Zum einen werden die Äste aufeinander gelagert, sodass darin Unterschlupfmöglichkeiten für Mäuse, Igel, Hasen, Amphibien und weitere Tiere entstehen. Die gebauten Tierwohnungen tragen zur Artenvielfalt bei, zur Nahrungssicherung von Tieren und schluss- endlich zur Fruchtbarkeit des eigenen Landes. Die Äste, welche unter den Obstbäumen aufgelesen wer- den, können auch zum Feuern gebraucht werden. So kommt es auf dem Christhof ab und an vor, dass nach getaner Arbeit ein Feuer entfacht und eine Wurst gebraten wird. Minzen pflanzen Ein Junge, welcher Tee sehr gerne mag, hatte zusammen mit einem Erwachsenen die Idee, eine eigene Pflanze im Garten zu setzen. Er entschied sich für die Minze. Minze vermehrt sich schnell und gut, so sollte möglichst schnell ein möglichst hoher Ertrag dabei herausschauen. Der Junge pflanzte die Minze gemeinsam mit einem Erwachsenen. Er bastelte ein Schild, um sein Gewächs zu beschreiben – zum einen mit seinem Namen, sodass alle sehen, dass die Minze ihm gehört, zum anderen, damit er weiss, dass es eine marokkanische Minze ist. Morgen für Morgen ging der Junge in den Garten, um zu schauen, ob die Minze schon gewachsen war und um sie zu giessen. Als die Minze genügend gross war, um einen Tee zu kochen, pflückte der Junge einige Blätter. Voller Freude und Stolz braute er für die ganze Gruppe frischen Tee. Seine Ausdauer und die Stetigkeit sowie Disziplin zahlten sich aus. Der Junge konnte später noch viel mehr Minze aus dem Garten ernten, regel- mässig kochte er frischen Tee und ab und zu trocknete er die Blätter, um in einer Dose einen Vorrat anzulegen. Heuen Sommer für Sommer steht auf dem Christhof das Heuen an. Der Betrieb umfasst 10 Hektaren Land. Das Heuen kann nicht frühzeitig geplant werden, sondern ist wetterabhängig. Ist das Wetter gut zum Heuen, müssen die Kinder mitanpacken. Es werden Heuballen hergestellt, welche anschliessend oberhalb des Kuhstalls im Tenn gelagert werden. Sobald die Kühe gegen Winter wieder im Stall leben, erhalten sie Heu und Silofutter. Die Kinder erleben somit noch im selben Jahr, dass das Gras, welches im Sommer geschnitten und getrocknet worden ist, bereits wieder als Futtermittel gebraucht wird. 28 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 Der Sommer 2018 war beispielsweise spannend. Da es kaum regnete, hatten die Kühe auf der Weide immer weniger Gras zum Fressen. Dies bedeutete zugleich auch, dass überall weniger Gras wuchs. Ergo konnte weniger Gras für Heuballen getrocknet werden. Dies wiederum wird Auswirkungen auf den Win- ter haben – Futtermittel wird zugekauft werden müssen. Solche komplexen Herausforderungen und Problemlagen erleben die Kinder mit. Je nach Entwicklungsstand können Kinder gewisse Zusammen- hänge schon begreifen, andere werden sensibilisiert und erinnern sich womöglich später an Erlebtes. Die Autorin hat in diesem Kapitel Aspekte der Landwirtschaft, deren Bedeutung sowie Erlebnismöglich- keiten und Mitwirkungsgelegenheiten für Kinder vielschichtig und detailliert herausgearbeitet – wie es die Subfragen zwei und drei verlangten. Auch sind Chancen angedeutet, die die Landwirtschaft den Kin- dern ermöglicht. Diese Chancen werden im folgenden Kapitel präzisiert. Um diese Präzisierung vornehmen zu können, geht die Autorin dieser Arbeit Wege, die als Pioniertätigkeit bezeichnet werden können. Sie versucht, das Zusammenspiel Kinder und Landwirtschaft und die Rolle der Sozialen Arbeit zu beschreiben – eine Verbindung, die in der wissenschaftlichen Literatur bislang noch nicht vorhanden ist. 29 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 4 Zusammenspiel Kinder und Landwirtschaft – die Rolle der Sozia- len Arbeit Die Fragestellung, die dieser Arbeit zugrunde liegt, lautet „Welchen Beitrag kann die Soziale Arbeit leis- ten, um die psychosoziale Entwicklung von Kindern dank Erlebnissen und Mitwirkungsmöglichkeiten in der Landwirtschaft zu fördern?“. Um Kinder, Landwirtschaft und Soziale Arbeit in Bezug zu setzen und sich Antworten anzunähern, wurden bereits im zweiten und dritten Kapitel theoretische Ansätze zu- sammengefasst. Die vierte Phase der psychosozialen Entwicklung nach Erikson sowie weitere Entwick- lungsschritte zwischen dem sechsten und elften Lebensjahr dienen als relevante Grundlage. Nachfolgend präzisiert die Autorin die unter 3.3.1 angedeuteten Chancen der Landwirtschaft und fo- kussiert sich dabei auf Kinder zwischen sechs und elf Jahren und deren psychosozialen Entwicklung. 4.1 Psychosoziale Entwicklungsschritte und Landwirtschaft Anhand von sieben Schritten der psychosozialen Entwicklung von Kindern zwischen sechs und elf Jahren wird veranschaulicht, welche Art Erlebnisse und Mitwirken in der Landwirtschaft unterstützend wirken können. Die Autorin entwickelte dazu eine eigene grafische Darstellung. Vergleiche aus der Literatur, vorangegangene Kapitel dieser Arbeit und eigene Feststellungen werden dabei kombiniert. Abb. 3: Zusammenspiel psychosoziale Entwicklung und Landwirtschaft Quelle 3: eigene Darstellung 30 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 Folgende sieben Aspekte werden näher ergründet: Anerkennung, Fleiss/Ausdauer/Stetigkeit, Vollen- dung eines Werkes, Sozialkompetenzen, Verantwortlichkeiten und moralische Verpflichtungen, Beur- teilung von Fähigkeiten und Wahrnehmung von Gefühlen sowie Lernen. Anerkennung Kinder sind in der vierten Phase nach Erikson auf Anerkennung angewiesen. Sie beginnen schöpferische Tätigkeiten zu einer Vollendung zu bringen, sie trainieren sich Fleiss an, um dafür Zustimmung und An- erkennung zu erhalten (vgl. Erikson 2017: 103). Die Möglichkeiten, Kindern bei deren Mitwirkung in der Landwirtschaft Anerkennung zu verschaffen, schätzt die Autorin als vielversprechend ein. Im Garten, mit Tieren oder beim Reparieren von Maschinen – wenn Erwachsene den Kindern zu verstehen geben, dass sie ihre „Arbeit“ schätzen und sich entlastet fühlen, sie loben und Dank aussprechen, verschafft das bei den Kindern ein Gefühl der Anerkennung. Die Anerkennung kann mittels verschiedenen pädagogischen Instrumenten erfolgen. Es können Beloh- nungssysteme erarbeitet werden, bei denen es Punkte für erledigte Aufträge gibt. Zusätzlich erfüllte Tätigkeiten oder ausserordentliche Leistungen ergeben mehr Punkte. Verbale und emotionale Anerken- nung können pädagogisch wirksam sein und das Kind ermutigen, weiterhin tätig zu sein. Limbrunner (2013: 25) bestätigt, dass die Wertschätzung der Arbeit von Kindern ihr Selbstwertgefühl stärkt und dass verborgene Fähigkeiten wachgerufen werden können. Immer im Hinterkopf muss die Gewährleistung des Schutzes der Kinder sein – das Wohl des Kindes steht im Vordergrund und muss gewährleistet werden. Auf dieses Thema wird unter Punkt 4.4 vertiefter ein- gegangen. Kinder erfahren beispielsweise auch Anerkennung von den Tieren. Wenn Tiere spüren, dass ihre Bedürf- nisse befriedigt werden und die Kinder sie pflegen und Zeit mit ihnen verbringen, so verhalten sie sich kooperativ oder lassen die Nähe von Kindern zu. Tiere handeln vorurteilsfrei und das Selbstbewusstsein und –vertrauen der Kinder kann gefördert werden (vgl. Limbrunner 2013: 28f.). Fleiss/Ausdauer/Stetigkeit Bei der Betrachtung von eigens Geschaffenem entwickelt das Kind das Gefühl des "Nützlichseins". Die- ses bezeichnet Erikson in der vierten Phase als zentral, dass diese Phase positiv bewältigt werden kann. Um diesem "Nützlichsein" gerecht werden zu können, sind Kompetenzen wie Fleiss/Ausdauer/Stetigkeit förderlich – der Werksinn des Kindes kommt zum Vorschein (vgl. Erikson 2017: 102). Fleiss ist in der Landwirtschaft unabdingbar. Tiere sowie Pflanzen sind auf die Arbeit der Menschen an- gewiesen. Unermüdliches Schaffen zahlt sich aus. Ausdauer und Stetigkeit sind in vielen Bereichen des landwirtschaftlichen Wirkens ebenso wichtig, sie ermöglichen hervorragende Leistungen. Ausdauer braucht Geduld und eine positive Haltung, diese Eigenschaften können später im Leben immer wieder von Vorteil sein. Durch Stetigkeit gewinnen Tiere in der Landwirtschaft Vertrauen zum Menschen und es eröffnen sich auch für Kinder, die mit ihnen tätig sind, neue Möglichkeiten. Ausdauer und Durchhaltevermögen als Kompetenzen können in der Landwirtschaft bestens trainiert werden. Kinder müssen sich in der Bewältigung der ihnen gestellten und begleiteten Aufgaben eigenen Grenzen, Widerständen sowie Ängsten und Unsicherheiten stellen. So finden landwirtschaftliche Arbei- ten beispielsweise hauptsächlich im Freien statt und dies bei jeder Witterung (vgl. Limbrunner 2013: 24). Zudem erfordert es aus Sicht und Erfahrung der Autorin Mut, mit gewissen Tieren zu Arbeiten. 31 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 Die drei Kompetenzen Fleiss/Ausdauer/Stetigkeit sind somit für mehrere Entwicklungsschritte entschei- dend – Anerkennungsgewinn, Vollendung eines Werkes, Sozialkompetenzerwerb sowie auch für den Lernprozess. Vollendung eines Werkes Kinder entwickeln Kompetenzen, um nützliche Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erlangen, um Aufgaben zu erledigen. Kognitive sowie auch körperliche Fähigkeiten helfen dem Kind, Herausforderungen anzu- nehmen und somit ein Werk zu vollenden (vgl. Erikson 2017: 103). Die Landwirtschaft kann unterstüt- zend wirken, bei einem Kind das Bewusstsein für die Vollendung eines Werkes zu schaffen. Der Garten stellt ein Entdeckungsraum dar, in welchem körperliche, mentale, emotionale und soziale Fähigkeiten auf die Probe gestellt werden und sich entwickeln können (vgl. Kindsnatur o.J.). Durch Gar- tenarbeit wird die Vollendung eines Werkes sicht- und erlebbar. Gemäss dem Jahreszyklus wird im Win- ter der Boden geschont und gepflegt, Gartengeräte werden repariert, Sträucher zurückgeschnitten. Setzlinge werden gezogen und im Frühling eingepflanzt. Im Frühjahr erwacht der Garten – neue Pflan- zen werden gesetzt, Frühblüher spriessen von alleine aus dem Boden und die Planung des Gartens muss vollendet sein. Durch den Sommer hindurch gilt es zu giessen, zu jäten, Pflanzen zu pflegen und zu he- gen, sodass anschliessend die Ernte bestaunt werden kann. Im Garten können kleinste Taten bereits Grosses bewirken und Kinder können laufend mitverfolgen, wie sich ihr Werk entwickelt – bis zu dessen Vollendung. Dank der Gartenarbeit können Kinder auch anderen eine Freude bereiten, zum Beispiel mit Blumen, die sie selber gesät, gezogen, gegossen und dann gepflückt und zu einem Strauss gebunden haben. Kräuter, Beeren oder eben Blumen selber zu verwerten oder zu verschenken, kommt der Voll- endung eines Werkes gleich. Auch in der Arbeit mit Landwirtschaftsmaschinen kann das Bewusstsein für die Vollendung eines Wer- kes ideal gefördert werden. Maschinen werden in landwirtschaftlichen Betrieben oft eigenständig re- pariert. Kinder können hier genau beobachten, um später selber eine Instandsetzung zu schaffen oder zumindest darüber Bescheid zu wissen. Ein nicht funktionsfähiges Gerät oder Gefährt, das mit Hilfe der Kinder oder von ihnen alleine wieder zum Laufen gebracht wird, versinnbildlicht gut, wie ein Werk voll- endet werden kann. Durch Geräusche, Gerüche, sichtbare mechanische Vorgänge oder beispielsweise Öl an den Händen erleben Kinder mit verschiedenen Sinnen, wie sie ihre kognitiven, motorischen und auch körperlichen Fähigkeiten nutzen können, um ein Werk abzuschliessen. Mit dem Jahreslauf und den Rhythmen in der Landwirtschaft können Leistungen gut beurteilt werden. So sind es oftmals Abläufe, welche aufeinanderfolgen. Wenn der eine oder andere Schritt unzureichend erledigt worden ist, so hat dies Auswirkungen auf die weiteren Schritte. Eine zuverlässige und gute Ar- beit ist wichtig und wirkt sich ersichtlich auf das Resultat aus. Sozialkompetenzen Die Förderung der Sozialkompetenzen ist in der Altersphase sechs bis elf Jahre wichtig, das Kind möchte gemeinsam mit anderen Menschen seinen Wissens- und Kompetenzhorizont erweitern. Das Gefühl der Arbeitsteilung und für gerechtere Chancen kommt im Kind auf – ein Tätigkeitsdrang mit und neben an- deren Menschen (vgl. Erikson 2017: 106). Sozialkompetenzen können durch die Zusammenarbeit mit Menschen oder mit Tieren gefördert werden. Wenn das Tier Vertrauen in das Kind entwickelt, so ist eine Zusammenarbeit eher möglich. Das Tier verhält sich kooperativ und Ziele können schneller erreicht werden. Dafür müssen Bedürfnisse der Tiere erkannt und erfüllt werden. Im Umgang mit Tieren trainiert ein Kind Empathiefähigkeit, die für das 32 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 Wohlergehen des Tieres wichtig ist. Aus eigener Erfahrung und Beobachtung weiss die Autorin, dass insbesondere bei der Arbeit mit Eseln ein gutes Vertrauensverhältnis aufgebaut werden muss. Ein Esel muss gestriegelt und geputzt werden, bevor er von der Weide zurück in den Stall gebracht wird. Beim Striegeln muss das Kind verschiedene Zeichen, die der Esel aussendet, wahrnehmen und beachten und dementsprechend handeln. Er zeigt etwas an, indem er die Ohren verstellt oder indem er beispielsweise sein Huf zum Auskratzen nicht hochhebt. Durch Empathiefähigkeit kann ein Kind den Bedürfnissen des Esels gerecht werden. Der Esel spürt, wenn er „richtig“ behandelt und geschätzt wird und erlaubt dann eine bessere Kooperation. Um in der Landwirtschaft etwas bewirken zu können, braucht es manchmal mehrere Personen. So ist etwa beim Heuen, beim Erstellen von Zäunen, aber auch beim Eintreiben von Schafen, bei der Reparatur von grossen Maschinen oder beim Bau von Unterständen Teamfähigkeit gefragt. Die Landwirtschaft bietet also kleinere und grössere Lernfelder, in welchen Sozialkompetenz reifen kann. In der Arbeit im Team lernen Kinder zudem, mögliche Konflikte zu lösen (vgl. Sickmüller 2013: 85). Nachfolgende Kom- petenzen können beispielsweise von Kindern erlernt werden: Abmachungen einhalten, pflichtbewuss- tes Erledigen von Aufgaben, bei Unklarheiten nachfragen, Überforderung früh erkennen und melden, einen Umgang mit Kritik lernen und respektvoller Umgang mit Mitmenschen pflegen. Verantwortlichkeiten und moralische Verpflichtungen Mit dem Werksinn, damit verbunden mit dem Nützlichsein / etwas vollkommen zu machen, sind auch das Verständnis für moralische Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten gefragt. Diese Aspekte kön- nen durch das Mitwirken im Garten oder durch die Arbeit mit Tieren in der Landwirtschaft trainiert werden. Die Arbeit mit Tieren hat viele schöne Seiten. Manchmal müssen stellvertretend für Tiere Entscheidun- gen getroffen werden. Die moralische Verpflichtung bringt Schwierigkeiten mit sich, sie hängt oft von der persönlichen Einstellung und vom Wissensstand der landwirtschaftlichen Fachperson ab. Geschil- dert sei das Beispiel einer Katze, die im Heustock, an einem nicht sicheren Ort, Junge zur Welt bringt. Füchse oder Vögel könnten die Jungtiere töten. Hier stellt sich die Frage, ob die Katze und deren Jungen der Natur überlassen werden sollen, eventuell mit der Begründung, dass es schon viele Bauernhofkat- zen gibt, oder ob sie versetzt und beschützt werden sollen. Dafür braucht es verständlicherweise Wissen über die Landwirtschaft, die Tiere, die Natur und deren Phänomene – es braucht auch ein Verständnis für moralische Handlungen. Moralische Verpflichtungen können mit Kompetenzen wie sozialer Sensibi- lität, Empathie und Wissen gefördert werden. Moralische Verpflichtungen sind Teil der ganzen Naturwelt. Wie geht man beispielsweise mit Unkraut um, wie mit Würmern und Käfern, setzt man Dünger ein? In der Broschüre "Der Weg des Bauernhof- gartens" (vgl. Nationales Forum Schule auf dem Bauernhof 2013c: 10-38) wird aufgezeigt, wie den Kin- dern Wissen über Nützlinge beigebracht werden kann – diese Nützlinge wiederum sorgen für weniger Schädlinge in der Natur. Aktivitäten sind beschrieben, um den Kindern zu helfen, eine eigene Meinung zu bilden über die Landwirtschaft und deren Bestandteile. Damit verbunden können auch die morali- schen Verpflichtungen wahrgenommen werden. Die Verantwortlichkeiten können Diskussionssache sein, so werden sie doch meistens von Erwachsenen bestimmt und klar kommuniziert. Kinder können Verantwortung übernehmen, diese kann im Landwirt- schaftsbereich individuell angepasst werden. Je nach Selbstbewusstsein und Zuverlässigkeit/Verbind- lichkeit kann die Verantwortungsübernahme variieren. In Bereichen mit Lebenswesen oder in Tätigkei- ten, bei welchen mögliche Gefahren stecken, kann Verantwortung portioniert abgegeben werden. In 33 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 ungefährlichen Bereichen, in denen Fehlleistung keine schwerwiegenden Folgen mit sich bringen, kann die Verantwortung auch in grösseren Schritten umverteilt werden, um Kindern ein möglichst grosses Lernfeld bieten zu können. Sickmüller (2013: 83) nennt die Vorteile der Verantwortungsübergabe auf einem Hof darin, dass Folgen von Handlungen und Arbeiten erlebt werden können. Auch sieht sie ge- rade in stationären Einrichtungen die Stärke darin, dass zahlreiche Arbeiten von Erwachsenen für Kinder erlebbar sind. Arbeiten, welche für viele unsichtbar sind, können für Kinder sichtbar sein, weil sie wäh- rend der Betreuungszeiten ablaufen. So erfahren Kinder in ihrem Alltag, welche Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten sich für Teilbereiche ergeben und wie diese von Erwachsenen angegangen wer- den. Der Garten bietet viele Möglichkeiten, um Kindern Verantwortung zu übergeben. In der Teilverantwor- tung im Garten ist es für Kinder möglich, die Erfahrung zu sammeln, was passiert, wenn mit Sorgfalt und Disziplin der Verantwortung nachgegangen wird oder was bei Nachlässigkeit passiert. Möglicherweise trägt ein Kind die Verantwortung für die Gurken. Diese brauchen täglich Wasser, um schmackhaft zu sein. Kommt das Kind seiner Verantwortung nicht nach, werden die Gurken nicht saftig grün und gross und werden weniger gut schmecken. Ist die Landwirtschaft in einem Selbstversorger-Bauernhof einge- bettet, ist eine solche Verantwortungsvernachlässigung bedeutungsvoll. Deshalb sind Verantwortungs- übergaben je nach Betrieb und Kind individuell einzuschätzen. Beurteilung von Fähigkeiten und Wahrnehmung von Gefühlen Der Werksinn ermöglicht dem Kind die Chance der Beurteilung von eigenen Fähigkeiten und den Fähig- keiten anderer. Mit der Arbeitsteilung lernt das Kind einzuschätzen, welche Fähigkeiten verschiedener Menschen zusammengefasst werden können, um zum bestmöglichen Resultat zu kommen. Dabei lernt das Kind, die eigenen Gefühle wahrzunehmen und beispielsweise mit Enttäuschungen umzugehen, wenn eigene Ziele nicht erreicht wurden. Erikson (2017: 101) schreibt, dass Kinder oft in Spielen über schwierige Erfahrungen nachdenken und so die "Beherrschung der Lage wiederherstellen". Erlebnisse und Mitwirken in der Landwirtschaft können dem Kind dazu verhelfen, die eigenen Fähigkei- ten zu entdecken und auszuschöpfen. Erikson (2017: 103f.) sieht in dieser Altersspanne die letzte Chance, um schlummernd liegende Fähigkeiten im Kinde zu entdecken. Später würde es schwierig wer- den, versteckte Fähigkeiten zu entwickeln. Die Landwirtschaft bietet die Möglichkeit, dass besondere Talente und Fähigkeiten entdeckt werden können – dank ihrer Vielfältigkeit. Da Tätigkeiten in der Landwirtschaft meist mit sichtbaren Konsequenzen verbunden sind, fällt die Beur- teilung der eigenen Handlung einfacher. Besonders in der Arbeit mit Tieren wird dieser Aspekt bedeut- sam. So können Tiere Emotionen vom Menschen spiegeln oder sie werden krank, wenn sie nicht genü- gend umsorgt werden. Die eigene Handlung hat direkte Auswirkungen. Die Auswirkungen werden wahr- scheinlich nicht nur vom Kind wahrgenommen, sondern auch von Erwachsenen, welche in der Land- wirtschaft tätig sind. So können Konsequenzen gemeinsam besprochen werden und anhand dieser Dis- kussionen kann das Kind die eigenen Fähigkeiten besser beurteilen. Im Jahreslauf sind viele Beispiele der Beurteilung von eigenen Fähigkeiten möglich. Schliesslich sind in der Landwirtschaft einzelne Handlungen voneinander abhängig und geschehen in einer aufeinander aufbauenden Reihenfolge. Die Wahrnehmung der Gefühle ist teils abhängig von der Beurteilung der Fähigkeiten. So kann es Kin- dern gelingen, in der Beurteilung der Fähigkeiten Gefühle wahrzunehmen, beispielsweise: Enttäuschun- 34 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 gen, Anspannungen, Skepsis oder aber Freude, Stolz, Erleichterung und Zuversicht. Solche Gefühle kön- nen wiederum direkt in die landwirtschaftliche Arbeit hineinfliessen und beispielsweise kann im Zusam- mensein mit Tieren ein besserer Umgang mit diesen Gefühlen erlernt werden. Sofern die Arbeit der Kinder eng von einem Erwachsenen begleitet wird, besteht die Möglichkeit, dass Gefühle gemeinsam besprochen werden können und das Kind Hilfestellung beim Bearbeiten und Reflektieren der Gefühle bekommt. Limbrunner (2013: 24) stellt fest, dass unter anderem die Beherrschung der Gefühle in der Landwirtschaft geübt werden können. Die Arbeit bei jeder Witterung, herausfordernde Problemlagen, eklige Situationen und andere Beispiele können Gründe dafür sein. Lernen Das Kind ist wissensdurstig und möchte lernen. Der Satz: "Ich bin, was ich lerne" (Erikson 2017: 98), begleitet das Kind während dieser Phase. Die landwirtschaftliche Arbeit kann in vielerlei Hinsicht dafür wertvoll sein. Es bieten sich Lernfelder im Umgang und der Pflege von Tieren, in der Arbeit mit landwirt- schaftlichen Maschinen, im Garten und in den Obstplantagen sowie im Verständnis für Jahres- lauf/Rhythmen. Nebst den offensichtlichen „grünen“ Lernfeldern bietet die Landwirtschaft Raum, die Zusammenarbeit mit anderen Menschen zu lernen. Lernen in der Landwirtschaft heisst auch, dass schulische Bildung vertieft werden kann. Mathematik taucht beispielsweise immer wieder auf: in der Anzahl Schafe im Stall, in den Abständen beim Setzen von Setzlingen, im Abmessen von Futter für die Tiere, im Zählen der Eier sowie im Anschreiben des Datums auf Eiern und in vielem mehr. Biologisches Wissen kann nachhaltig erworben werden: Wie se- hen Regenwürmer aus und für was sind diese gut, welchen Zusammenhang gibt es zwischen dem Hahn und einem Ei und weitere Themen, welche anfallen und auf welche die Kinder in der Landwirtschaft Antworten erhalten. Die Arbeit in der Landwirtschaft umfasst schliesslich auch Tätigkeiten in der Küche sprich in Zusammen- hang mit der Ernährung. Kinder können in Erfahrung bringen, wie Süssmost entsteht oder wie sich die Konfitüre zusammensetzt. Aktivitäten in der Küche sind in Bezug auf Tiere, Garten, Obst sowie auf das Feld oder die Hecke möglich (vgl. Nationales Forum Schule auf dem Bauernhof 2013a: 1-15): Kartoffel- stock selber herstellen, Äpfel im Ofen dörren, Sirup produzieren, Zopf backen oder auch Haselnüsse mahlen. Die psychosoziale Entwicklung von Kindern zwischen sechs und elf Jahren kann durch verschiedene Er- fahrungen und Erlebnisse in der Landwirtschaft gefördert werden. Das Minderwertigkeitsgefühl, wel- ches in der Entwicklung dieser Altersspanne hervorgerufen werden kann, kann genauso wie der Werk- sinn mit etlichen Erfahrungen und Erlebnissen in der Landwirtschaft bearbeitet werden. Die Möglich- keiten im Umgang mit dem Minderwertigkeitsgefühl werden in der vorliegenden Arbeit nicht weiter vertieft – die Stärkung des Werksinns und damit verbunden die positive Bewältigung der Krise in Phase vier erübrigt die Auseinandersetzung mit dem Minderwertigkeitsgefühl. 4.2 Rolle der Sozialen Arbeit Das Zusammenspiel zwischen der psychosozialen Entwicklung von Kindern und der Landwirtschaft wurde bereits ausführlich erklärt. Diese Kombination zweier Themenfelder braucht ein Verbindungs- stück – in den meisten Fällen die Soziale Arbeit. Im Berufskodex von Avenir Social steht im zweiten Teil Grundsätze der Sozialen Arbeit die Ziele und Verpflichtungen der Sozialen Arbeit: "6. Soziale Arbeit hat Menschen zu begleiten, zu betreuen oder zu 35 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 schützen und ihre Entwicklung zu fördern, zu sichern oder zu stabilisieren." (Avenir Social 2010: 6) Wei- ter ist folgende Handlungsmaxime bezüglich der interprofessionellen Kooperation aufgeführt: "3. Die Professionellen der Sozialen Arbeit sind in der interprofessionellen Kooperation für wissenschaftsba- siertes methodisches Handeln besorgt, d.h. sie fordern die Einhaltung von Regeln zur Steuerung einer geordneten Abfolge von Handlungen und die Koordination und Kontrolle der Interventionen innerhalb und ausserhalb der Organisationen." (Avenir Social 2010: 14) In Bezug darauf stellt sich die Frage, wie die Rolle der Sozialen Arbeit im Detail aussehen könnte. Van Elsen (2016: 202) weist auf Herausforderungen und Perspektiven der Sozialen Landwirtschaft hin. Er spricht das Forschungsdefizit an und damit verbunden die Zusammenarbeit zwischen Berufsgruppen mit unterschiedlichen Qualifikationen (Landwirtschaft und Soziale Arbeit). Die Kooperationen der bei- den Berufsgruppen müssen geklärt werden, um Synergien optimal nützen zu können. Mittels Forschung kann der Beitrag der Sozialen Arbeit besser herauskristallisiert werden, dazu mehr im nächsten Kapitel. Die Soziale Arbeit hat im Zusammenspiel zwischen der Landwirtschaft und der eigenen Profession die Rolle als Ausführungs- und Kontrollorgan. Die Soziale Arbeit ist befähigt, Tätigkeitsfelder für Kinder, mit Hilfe des Wissens einer Fachperson aus der Landwirtschaft, festzulegen. Der Grund dafür ist, dass Kin- der, welche platziert sind oder Hilfeleistungen der Sozialen Arbeit beanspruchen, von der zuständigen Person aus der Sozialen Arbeit geschützt und umsorgt werden. Um also Tätigkeitsfelder innerhalb der Landwirtschaft festzulegen, stützt sich die Soziale Arbeit auf the- oretisches und praktisches Wissen beider Berufsgruppen. Die Tätigkeitsfelder, in welchen sich die Kin- der aufhalten, müssen von professionellen der Sozialen Arbeit immerzu begründet werden können. Die Soziale Arbeit trägt die Verantwortung für Kinder, wenn diese in der Landwirtschaft tätig sind. Aus die- sem Grund ist auch eine Begleitung von einer Fachkraft der Sozialen Arbeit teilweise notwendig, um eine Einschätzung über das Wohl des Kindes in Erfahrung zu bringen. Die Kontrolle ist notwendig zum Schutz des Kindes, zur Überprüfung der Betreuungs- und Versorgungsleistung sowie zur Gewährleistung der Prozessqualität (vgl. Kloss 2010: 92). Im nächsten Abschnitt werden verschiedene Rollen der Sozialen Arbeit innerhalb des Zusammenspiels von Landwirtschaft und Kinder anhand einer Eigeneinschätzung der Autorin aufgezeigt. Dazu werden die drei Beispiele soziokulturelle Animation, Sozialpädagogik und Schulsetting/Time-Out-Platzierungen ausgewählt. Weitere Möglichkeiten einer Zusammenarbeit sind vorhanden, werden aber in dieser Ar- beit nicht weiter behandelt. 4.2.1 Soziokulturelle Animation Innerhalb verschiedener Teilbereiche in der Soziokulturellen Animation (Robi-Spielplätze, Jugendar- beitsstellen, Quartierarbeit und Ähnliches) sind beispielsweise Projekte in der Landwirtschaft möglich. Zwei Möglichkeiten sind dabei denkbar: Kinder und/oder Jugendliche besuchen landwirtschaftliche Be- triebe und sind dort tätig. Im anderen Fall sind es Tiere, Garten oder Obst, welche in der Organisation/In- stitution gehalten/angepflanzt werden. Im soziokulturellen Bereich kann sich die Rolle der Sozialen Arbeit sehr unterschiedlich gestalten. Bei- spielsweise ist es in einer Organisation, welche selber Gemüse anpflanzt und Beeren- und Obstbäume pflegt und dafür eine Fachperson der Sozialen Arbeit mit landwirtschaftlichem Fachwissen angestellt hat, möglich, die Verbindung direkt herzustellen. Die Fachkraft der Sozialen Arbeit erarbeitet gemein- sam mit Kindern landwirtschaftsbezogene Themen. Die Soziale Arbeit und die Landwirtschaft über- schneiden sich in diesem personellen Fall. Fehlt das Fachwissen innerhalb des Kernteams der Sozialen 36 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 Arbeit, so werden neue Fachpersonen beigezogen. Dafür braucht es in der Umsetzung die Vermittlung zwischen den Fachkräften der Sozialen Arbeit und denen der Landwirtschaft (Landwirt*in, Umweltinge- nieur*in und ähnliche). Professionelle der Sozialen Arbeit sind zuständig für die Vermittlung zwischen der externen Fachperson und den Kindern, sie sind Ansprechperson bei Fragen und Anliegen und tragen zum Gelingen des Projekts bei. Bei solchen Projekten liegt die Verantwortung für die Kinder bei der soziokulturellen Animation. Soziokulturelle Animation findet oftmals mittendrin in Themen der Landwirtschaft statt – in Gemeinden oder Quartieren befinden sich landwirtschaftliche Betriebe. Manche davon ermöglichen Kindern einen Erfahrungs- und Erlebnisraum. Kinder, welche sich auf Erlebnisse und Erfahrungen nahe ihrem eigenen Zuhause einlassen, können davon profitieren. Niederschwelligen Angebote und Projekte schaffen den Kindern einen einfacheren und unbeschwerten Zugang. Beispielsweise die Grundprinzipien der offenen Jugendarbeit – Partizipation, Offenheit, Freiwilligkeit, Bildung, Niederschwelligkeit und lebensweltliche Orientierung – können für Projekte in der Landwirtschaft hilfreich sein (vgl. Dachverband Offene Kinder- und Jugendarbeit Schweiz 2018: 5). Kinder können nach eigenen Bedürfnissen und Wünschen an Pro- jekten oder Angeboten teilnehmen und Erfahrungen und Erlebnisse in der Landwirtschaft geniessen. 4.2.2 Sozialpädagogik (stationär) Im stationären Setting gibt es in der Schweiz bereits einige Kinderheime, welche ihre Organisation in einen Landwirtschaftsbereich eingebettet haben. Ein Beispiel dafür ist das Kinderheim Christhof in Wi- sen, welches in der vorliegenden Arbeit bereits beschrieben wurde. Die Umstände sind bestmöglich, um die Zusammenarbeit Sozialer Arbeit und Landwirtschaft zu verbinden und zu erweitern. In der Sozialpä- dagogik sind zwei Optionen möglich. Zum einen können Fachkräfte der Sozialpädagogik die Kinder in der Landwirtschaft begleiten oder es sind Fachpersonen aus dem Landwirtschaftsbereich, welche mit den Kindern unterwegs sind. Zu beachten ist in beiden Fällen, dass Kinder auf offene Ohren stossen und im Austausch mit Erwachsenen sind. Im landwirtschaftlichen Setting können Wirkungen auf emotiona- ler und/oder körperlicher Ebene ausgelöst werden – diese sollten gemeinsam mit der*dem zuständigen Sozialpädagogen*in besprochen werden und allenfalls in ärztlicher oder psychologischer Behandlung bearbeitet werden. Die Vermeidung dieser Gefahr beschreibt Erikson (vgl. 2017: 104f.) anhand des Bei- spiels einer Lehrerin, welche erkennen muss, wenn das Kind im Stadium Gefahr läuft, dass das Minder- wertigkeitsgefühl aufkommt. Nebst den Fachkräften der Sozialpädagogik sind da auch noch die Professionellen der Kindes- und Er- wachsenenschutzbehörde (kurz: KESB). Die Platzierung des Kindes erfolgt durch die KESB, welche zudem zuständig ist für die Kontrolle und Beaufsichtigung der Institutionen. Eine Zusammenarbeit muss zwi- schen verschiedenen Ebenen und Berufsgruppen stattfinden, um die bestmögliche Gewährleistung des Wohls des Kindes zu garantieren. 4.2.3 Schulsetting / Time-Out-Platzierungen Gefragt sind Landwirtschaftsbetriebe bei Time-Out-Platzierungen von Schulen. Die Platzierungen ver- laufen über die KESB oder die Schule (Schulsozialarbeit). So sind in beiden Fällen bereits zuständige Fachpersonen der Sozialen Arbeit involviert. Wenn auf dem Landwirtschaftsbetrieb keine professionel- len der Sozialen Arbeit tätig sind, ist wiederum der Austausch zwischen den Fachpersonen der verschie- denen Berufsgruppen relevant. Die Time-Out-Platzierung ist zeitlich festgelegt und es darf in keinem Fall passieren, dass das Kind als günstige Arbeitskraft angesehen wird. Deshalb spielt im Besonderen in diesem Fall die Soziale Arbeit eine wichtige Rolle. Wegen der räumlichen Trennung zwischen der 37 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 KESB/Schulsozialarbeit und dem Landwirtschaftsbetrieb braucht es klare Regeln, ständigen Austausch und Abklärungen mit der*dem Landwirt*in (Sozialkompetenzen, Fähigkeiten, Zeitressourcen etc.). Es gibt noch weitere Möglichkeiten, wie Kinder in einen Betrieb in der Landwirtschaft eingebunden wer- den können. Bei allen Möglichkeiten ist es unvermeidlich, einen regen Austausch zwischen den erwach- senen Fachpersonen (Soziale Arbeit und Landwirtschaft) zu haben. Die individuelle und personen- zentrierte Förderung der Kinder kann durch die sozialpädagogische Betreuung und die interdisziplinäre Arbeit gestützt werden (vgl. Limbrunner 2013: 139). Das Kind braucht eine Vertretung, welche es in Form einer Fachperson der Sozialen Arbeit erhaltet. Diese Person übernimmt auch die Kontrolle, um den nötigen Schutz des Kindes zu gewährleisten. Limbrunner (2013: 134f.) erachtet den interdisziplinären Austausch zwischen den vertretenen sozialen und grünen Berufen als relevant, um den Anforderungen der Arbeitsorganisation, Förderung, Kommu- nikation, Abgrenzung und Lernbereitschaft gerecht werden zu können. Die Fähigkeit der Teamarbeit muss dafür gegeben sein und ist stetig zu verbessern. In allen Fällen stellt sich die Frage, welche Qualifikation die Fachkraft hat, die mit Kindern in der Land- wirtschaft unterwegs ist. In den Beispielen sind beide Varianten aufgeführt: Fachkräfte der Sozialen Ar- beit sind aktiv in der Landwirtschaft oder die Kinder sind umgeben von Fachkräften aus der Landwirt- schaft. Die Antwort kann je nach Betrieb unterschiedlich ausfallen (vgl. Limbrunner 2013: 133f.). Lim- brunner weist darauf hin, dass im Moment kaum Angebote für soziale Berufe bestehen, welche die Qualifikationen für landwirtschaftliche Arbeit abdecken. Learning by doing mit fachlicher Anleitung und Begleitung sei die aktuelle Vorgehensweise. Kooperation zwischen agrar- und sozialwissenschaftlichen Hochschulen sei erstrebenswert. 4.3 Beitrag der Sozialen Arbeit Um den Beitrag der Sozialen Arbeit umfassender aufzeigen zu können, hat die Autorin eine Abbildung der wichtigsten Punkte der Thematik gezeichnet. Abb. 4: Der Beitrag der Sozialen Arbeit im Zusammenspiel von Landwirtschaft und psychosozialer Entwicklung von Kindern Quelle 4: eigene Darstellung 38 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 Das Zusammenspiel der Landwirtschaft und des Kindes hat eine Wirkung auf die psychosoziale Entwick- lung des Kindes. Diese Wirkung kann mit Hilfe der Sozialen Arbeit verstärkt werden. Die Kooperation der Landwirtschaft und der Sozialen Arbeit ist für die verstärkende Wirkung zentral. Zwischen der Sozi- alen Arbeit und dem Kind ist die Kooperation bedeutsam – die Soziale Arbeit ist zuständig für den Schutz und die Förderung des Kindes. Die Kooperationen zwischen dem Kind und der Landwirtschaft sowie der Landwirtschaft und der Sozialen Arbeit und nicht zuletzt zwischen dem Kind und der Sozialen Arbeit sind elementar und tragen zur Professionalität der interdisziplinären Arbeit bei. Untenstehende Aspekte werden im Beitrag der Sozialen Arbeit von der Autorin als relevant erachtet und erläutert. 4.3.1 Begleitung des Kindes Die Soziale Arbeit steht zwischen dem Bereich der Landwirtschaft und dem Kind. Sie verknüpft die Land- wirtschaft mit dem Kind und nimmt die Position eines Case Managements ein. Das heisst, die Soziale Arbeit ist in Kontakt mit dem Kind sowie den Fachpersonen aus der Landwirtschaft und setzt sich für das Wohl des Kindes ein. Professionelle der Sozialen Arbeit sind in Kenntnis über Bedürfnisse des Kindes und erkennen mögliche Entwicklungsförderungen. In Zusammenarbeit mit Fachkräften der Landwirt- schaft können Tätigkeitsfelder, welche entwicklungsfördernd wirken können, ausgearbeitet werden. Damit kann die Soziale Arbeit eine Verstärkung der Förderung der psychosozialen Entwicklung ermögli- chen. Wie im vorhergehenden Kapitel bereits beschrieben, ist deshalb die interdisziplinäre Arbeit zwi- schen den grünen und sozialen Berufen wichtig (vgl. Limbrunner 2013: 134). Die Begleitung und somit der Schutz des Kindes kann dank Sozial Arbeiter*innen abgedeckt werden. Begleitung bedeutet, dass Gespräche mit dem Kind geführt werden und eine mögliche Wissensvermitt- lung stattfindet. Erlebnisse und Erfahrungen werden je nach Bedarf gemeinsam bearbeitet und reflek- tiert. Unklarheiten, Fragen und Anliegen des Kindes können beredet werden. Auch können Professio- nelle der Sozialen Arbeit das Kind auf bevorstehende Erlebnisse und Ereignisse in der Landwirtschaft vorbereiten, so zum Beispiel auf die Möglichkeit, einen Schlachthof zu besichtigen. Die Begleitung durch Fachpersonen aus der Sozialen Arbeit erachtet die Autorin als sinnvoll, da eine bestehende und gefes- tigte Beziehung und das vorhandene Wissen über ein Kind bedeutend sind, um schwierige und kom- plexe Themen zu bearbeiten. 4.3.2 Interdisziplinäre Arbeit Die interdisziplinäre Arbeit erfordert Teamfähigkeit, innerhalb welcher Kommunikation ein grosser Be- standteil ist. Die Soziale Arbeit muss sich verpflichtet sehen, für eine gelingende Kommunikation zu sor- gen und diese aufrechtzuerhalten. In der Abbildung 4 sind nur die Soziale Arbeit, das Kind und die Land- wirtschaft erwähnt. In den meisten Fällen sind jedoch deutlich mehr Fachpersonen involviert. Zum Bei- spiel Ärzte, Beratungsstellen, Mittagstischverantwortliche und andere. Auch die Kooperation mit den Eltern der Kindern erachtet die Autorin als zentral. Alle nehmen eine andere Perspektive ein, bringen unterschiedliches Wissen über das Kind ein und können so einen wertvollen Beitrag zum Fall (Kind) bei- steuern. Die Soziale Arbeit bündelt das Wissen und kann damit eine umfangreiche Anamnese erstellen, welche wiederum dienlich ist für die Auswahl der Tätigkeitsfelder in der Landwirtschaft. Innerhalb der interdisziplinären Gespräche können Fallbesprechungen enthalten sein oder auch die Überprüfung und Evaluation der Arbeit in der Landwirtschaft. Diese Gespräche können je nach Bedarf mit oder ohne das Kind stattfinden. 39 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 4.3.3 Kontrollorgan Fachpersonen aus der Sozialen Arbeit müssen in Kenntnis gesetzt werden über anfallende Arbeiten, Arbeitszeiten, Gewährleistung des Schutzes des Kindes, Qualifikationen und Strafregisterauszug der Fachkräfte der Landwirtschaft und weitere Informationen über die praktische Handhabung in der Land- wirtschaft sowie die Fachperson selber. Die Soziale Arbeit muss auch die festgelegten Tätigkeitsfelder überprüfen, um diese vor höheren Instanzen oder Beteiligten des Falles legitimieren zu können. In den meisten Fällen ist die KESB, die bereits über die Platzierung entschieden hat, für die Überprüfung zu- ständig. Mit dieser Überprüfung und der stetigen Kontaktpflege kann die Qualität der professionellen Arbeit garantiert werden. Eine bestmögliche Gewährleistung des Wohls und Schutzes des Kindes kann garantiert werden. 4.3.4 Wissensbeitrag Das Wissen über die psychosoziale Entwicklung kann beispielsweise seitens der Sozial Arbeiter*innen in eine transdisziplinäre Arbeit mit Menschen aus dem Landwirtschaftsbereich fliessen. Auch weitere As- pekte über die Entwicklung des Menschen sowie Förderungsmöglichkeiten und anderes kann von der Sozialen Arbeit beigesteuert werden. Eine konzeptionelle Entwicklung für eine mögliche Zusammenar- beit zwischen der Sozialen Arbeit und der Landwirtschaft kann durch die Profession der Sozialen Arbeit (in Kooperation mit der Landwirtschaft) erfolgen. Die Fachperson der Landwirtschaft bringt ihr eigenes Fachwissen mit – alles rund um das Kind, die Platzierung, die administrativen Aufgaben und weiteres werden mit der Sozialen Arbeit abgedeckt. Dank dem Beitrag der Sozialen Arbeit kann im Zusammenspiel zwischen der Landwirtschaft und Kindern Professionalität und der Schutz der Kinder gewährleistet werden. Die Autorin erachtet es trotzdem als beachtenswert, die Gefahr der historischen Ereignisse – das Verdingwesen – prägnant aufzuzeigen. 4.4 Gefahren im Zusammenspiel Kinder und Landwirtschaft Wird das Zusammenspiel der Landwirtschaft und Sozialen Arbeit betrachtet, ist zu erwarten, dass die Geschichte der Verdingkinder aufkommt. In der Schweiz wurden bis nach 1950 mehr als 10 000 Kinder fremdplatziert und als Arbeitskraft in der Landwirtschaft eingesetzt – sogenannte Verdingkinder (vgl. Mäder/Rudin 2010: 568). Das Verdingwesen kann als Form der Knechtschaft verstanden werden (vgl. Bopp/Affolter 2017: 97). Bopp/Affolter schreiben, dass mit der Verarmung der Bevölkerung die Versor- gung der Kinder teilweise nicht mehr gewährleistet werden konnte. Deshalb wurde von den Behörden das Sorgerecht entzogen und die Kinder wurden öffentlich versteigert – dafür interessierten sich im Besonderen Bauernfamilien, da sie mit einem Verdingkind eine günstige Arbeitskraft erhielten. Die Kinder waren damals tätig in der Landwirtschaft und wurden von den Bauern geschlagen, misshan- delt und sie hatten Hunger. In der Landwirtschaft wurden diese Kinder ausgenutzt, sie arbeiteten zu menschenunwürdigen Bedingungen und wurden physisch sowie psychisch misshandelt. Heute, nachdem es erst wenige Jahre her ist, seitdem diese traurigen Ereignisse geschehen sind, spre- chen wir bereits wieder von Sozialer Landwirtschaft oder auch von Green Care. Wie in der vorliegenden Arbeit beschrieben ist, wird dabei die Soziale Arbeit mit der Landwirtschaft verknüpft. Die Landwirt- schaft kann als Ort für Kinder dienen, an denen psychosoziale Entwicklungen gefördert werden. Dabei stellt sich die Frage, wieso ein solches Zusammenspiel heute als unbedenklich angesehen werden kann, wenn sich in diesem Bereich/Zusammenspiel vor wenigen Jahren noch grauenvolle Ereignisse abspiel- ten. 40 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 Es ist wichtig, dass in Betracht gezogen wird, was am Zusammenspiel zwischen der Sozialen Arbeit und Landwirtschaft in der heutigen Zeit anders ist. Nachfolgend sind anhand einer Eigeneinschätzung ein- zelne wesentliche Veränderungen und Verbesserungen erläutert. Konzept/Legitimation Eine soziale Institution, welche für ihr Klientel Potential in der Landwirtschaft sieht, muss dafür konzep- tionelle Arbeit leisten und von Behörden und Ämtern eine Einwilligung erhalten. Konzepte, Strukturen, Arbeitsweisen und andere Indikatoren werden regelmässig überprüft. Kinder, welche platziert werden, werden von den Behörden begleitet und somit ist ein Schutz möglich. Die Legitimation einer Platzierung kann im Vergleich zu früher als gegeben angesehen werden, weil die KESB für die zivilrechtlichen Kinderschutzmassnahmen zuständig ist. Die Vormundschaftsbehörde, wel- che zur Zeit des Verdingwesen tätig war, beinhaltete Mitglieder ohne professionelle Ausbildung – Laien waren zuständig für die Unterbringung der Kinder. Mit der Professionalisierung der Sozialen Arbeit wird ermöglicht, dass Abklärungsinstrumente kompetent eingesetzt werden, interdisziplinäre Kooperationen stattfindet und keine willkürlichen Entscheidungen getroffen werden. Platzierung Eine Platzierung (Aufhebung des Aufenthaltsbestimmungsrecht Art. 310 ZGB) geschieht, weil das Wohl des Kindes als gefährdet erachtet wird. In erster Linie geht es während der ganzen Platzierung um den Schutz des Kindes. Die Profession der Sozialen Arbeit trägt Verantwortung dafür, dass das Kind geschützt und gefördert wird. Der Berufskodex der Sozialen Arbeit dient unter anderem als Orientierungshilfe in der Arbeit und beschreibt Grundsätze, Grundwerte und Handlungsprinzipien der Sozialen Arbeit (vgl. Avenir Social 2010: 4-15). Darin enthalten ist auch das Ziel / die Verpflichtung, die Entwicklung von Men- schen zu fördern, zu sichern und zu stabilisieren. Sieht also die Soziale Arbeit Möglichkeiten einer För- derung der Entwicklung des Kindes in der Landwirtschaft, kann dieses Zusammenspiel in Erwägung ge- zogen werden. Der essentielle Unterschied zu früher ist, dass die Kinder bei der Aufhebung des Aufenthaltsbestim- mungsrechts nicht bei einer*einem Landwirt*in platziert werden, welche*r eine Arbeitskraft sucht. Sie werden von der KESB in einer geeigneten Organisation oder in einer Pflegefamilie untergebracht, wel- che allenfalls eine Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft anstrebt oder bereits pflegt. Die Kinder er- halten mögliche Unterstützung von der Landwirtschaft, um ihre Kompetenzen und ihre Entwicklung zu stärken und zu fördern – das Wohl des Kindes steht im Zentrum. Begleitung / Kontrolle der Sozialen Arbeit Kinder werden nicht direkt von Bauernfamilien aufgenommen und betreut. Kinderheime oder Pflegefa- milien nehmen Kinder auf und sorgen sich um diese. Wenn Kinder in der Landwirtschaft tätig sind, so sind diese entweder direkt mit Sozial Arbeiter*innen am Werken oder mit Landwirten*innen, welche im stetigen Austausch mit der zuständigen Fachkraft der Sozialen Arbeit sind. Die Betreuung oder/und Kontrolle ist von Seite der KESB ist gegeben. Die KESB trägt die Verantwortung für die Gewährleistung und Unterstützung des Kindeswohls. In den vorhergehenden Kapiteln wurde bereits erklärt, dass die Soziale Arbeit die Rolle des Kontrollorgans übernimmt und so den Schutz des Kindes bestmöglich sichert. Im Kapitel 4.1 zeigte die Autorin auf, welche entwicklungspsychologischen Aufgaben in welcher Art mit Hilfe von Erlebnissen und Mitwirken in der Landwirtschaft gefördert werden können. Die Möglichkeiten 41 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 gestalten sich vielfältig und können weitgehend individuell auf Bedürfnisse der Kinder angepasst wer- den. In den darauffolgenden Kapiteln wurden die Rolle und der Beitrag der Sozialen Arbeit im Zusam- menspiel mit der Landwirtschaft ausgearbeitet sowie auf die Gefahr des Verdingwesens aufmerksam gemacht. In welcher Intensität diese Subfragen beantwortet werden konnten, erläutert die Autorin im Kapitel 5.1. 42 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 5 Schlussfolgerung und Ausblick 5.1 Beantwortung der Fragestellung In diesem Unterkapitel werden die Subfragen nacheinander aufgelistet. Die Autorin gibt eine Einschät- zung, in welchem Grade die Subfragen mit vorliegender Arbeit beantwortet werden konnten. Als letztes wird beurteilt, in welchem Masse die Autorin eine Antwort auf die Hauptfrage erarbeiten konnte. Welche Schritte der psychosozialen Entwicklung sind in der Altersphase von sechs bis elf Jahren relevant? Die Entwicklungsschritte, wie sie Erikson festgehalten hat, konnten ausführlich erklärt werden. Die Schil- derung aller Phasen der psychosozialen Entwicklung nach Erikson gibt den Lesenden einen ausreichen- den Überblick. Diese Ausführungen ermöglichen es, im Verlauf der vorliegenden Arbeit die relevanten Schritte der psychosozialen Entwicklung von Kindern nachzuvollziehen. Im Speziellen war die umfang- reiche und präzise Darstellung der vierten Phase nach Erikson sinnvoll, weil jene Phase die für diese Arbeit relevanteste war. Um die Frage aber noch umfassender beantworten zu können, hätten die Ent- wicklungsschritte von sechs- bis elfjährigen Kindern aus dem Blickwinkel mehrerer theoretischer An- sätze im Detail beschrieben werden müssen. So hätte ein Vergleich zwischen den verschiedenen Ansät- zen stattfinden können und die essentiellen Entwicklungsschritte hätten deutlicher ausgearbeitet wer- den können. Welche Erlebnismöglichkeiten bietet die Landwirtschaft für Kinder an? Welche Mitwirkungsgelegenheiten eröffnen sich für Kinder in der Landwirtschaft? Um diese Subfragen beantworten zu können, war nebst Recherchekompetenz Kreativität, Perspektiven- wechsel und Gesprächsarbeit gefordert. Fachliteratur, die Landwirtschaft und psychosoziale Entwick- lung von Kindern verbindet, ist spärlich. Erlebnismöglichkeiten und Mitwirkungsgelegenheiten aufzuzei- gen und mit theoretischen Ansätzen zu untermauern, ist deshalb anspruchsvoll. Nebst Literatur aus dem Bereich der Sozialen Arbeit nutzte die Autorin Literatur aus der Pädagogik und aus der Agrarwissen- schaft sowie ein Sachbilderbuch. Der Übersichtlichkeit dienend und gemäss theoretischen Konzepten wurde eine Aufteilung in die fünf Bereiche Tiere, Landwirtschaftsmaschinen, Garten, Obstbau und Jahreslauf/Rhythmen erstellt. Der Au- torin war es dabei wichtig, die Diversität der Landwirtschaft mitzunehmen und Erlebnismöglichkeiten und Mitwirkungsgelegenheiten ebenfalls möglichst vielseitig umschreiben zu können. In einem weite- ren Schritt wurde aufgezeigt, welche zehn emotionalen und sozialen Kompetenzen in der Landwirt- schaft erworben oder gefördert werden können. Dies gibt eine umfassende und mehrschichtige Dar- stellung, die als wissenschaftlich abgestützt und sinnvoll begründet bezeichnet werden kann. Erlebnismöglichkeiten und Mitwirkungsgelegenheiten in der Landwirtschaft konnten praxisnah anhand von Beispielen vom Kinderheim Christhof erläutert werden. Bei der Auswahl der Praxisbeispiele wurden wiederum die fünf Bereiche Tiere, Landwirtschaftsmaschinen, Garten, Obstbau, Jahreslauf/Rhythmen herangezogen. Jene Beispiele sind wertvoll für die vorliegende Arbeit, da das Thema in der Literatur noch nicht umfassend erörtert wurde. Damit die Praxisbeispiele ein möglichst präzises Bild von Kindern in der Landwirtschaft geben, wurde auf eine detailreiche Schilderung wert gelegt. 43 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 Welche entwicklungspsychologischen Aufgaben des Lebensalters sechs bis elf Jahren können in welcher Art durch Erlebnisse und Mitwirken in der Landwirtschaft unterstützt werden? Das Zusammenspiel von Landwirtschaft und psychosozialer Entwicklung wurde nach dem Studium der bestehenden Literatur, nach einem intensiven Reflexionsprozess und mit Einschätzungen der Autorin selbst ausführlich und verständlich beschrieben. Eine eigens entwickelte Darstellung verknüpft die ent- wicklungspsychologischen Schritte mit den fünf Themenbereichen der Landwirtschaft. Mögliche Förde- rungen der psychosozialen Entwicklung innerhalb der Landwirtschaft werden klar und ersichtlich aufge- zeigt. Zwei Möglichkeiten sind auszumachen, um zu dieser Subfrage ein ganzheitlicheres Bild zu erfahren: das Beiziehen weiterer theoretischer Ansätze zur Entwicklungspsychologie und Interviews mit Fachperso- nen aus dem landwirtschaftlichen Arbeitsfeld. Beides würde über den Rahmen dieser Arbeit hinausge- hen und war letztlich aus Sicht der Autorin nicht zwingend, um sich mit der Hauptfragestellung diffe- renziert auseinanderzusetzen. Erlebnismöglichkeiten und Mitwirkungsgelegenheiten in der Landwirtschaft wurden bis jetzt hauptsäch- lich für erwachsene Menschen oder Menschen mit Beeinträchtigung beschrieben. Eine Herausforde- rung in der vorliegenden Arbeit war deshalb, die psychosoziale Entwicklung von Kindern mit der Land- wirtschaft in Bezug zu bringen. Zu diesem Thema braucht es zwingend mehr Forschung und die dazu- gehörige Literatur. Die Autorin hat versucht, mit ihrer Arbeit dazu einen Grundstein zu legen. Welchen Beitrag kann die Soziale Arbeit im Zusammenspiel Kinder und Landwirtschaft leisten? Das Handlungsfeld der Sozialen Arbeit gestaltet sich gross und vielfältig. Deshalb ist auch die Rolle der Sozialen Arbeit in der Landwirtschaft je nach Handlungsfeld sehr individuell. Infolgedessen kann sie nicht allgemeingültig und punktgenau beschrieben werden. Die Autorin hat sich auf die drei Handlungsfelder Soziokulturelle Animation, Sozialpädagogik und Schul- setting / Time-Out-Platzierung beschränkt und kurzgefasst. Für eine vertiefte und präzise Erörterung müssten die jeweiligen Handlungsfelder detaillierter definiert werden. In einem anderen Schritt könnte die Rolle der Sozialen Arbeit innerhalb der Landwirtschaft besser beurteilt werden. Um den Beitrag der Sozialen Arbeit nachvollziehbar zu beschreiben, hat die Autorin eine übersichtliche Abbildung erstellt. Auch hier war es mangels wissenschaftlicher Literatur zu Themen wie Zusammenar- beit verschiedener Berufsgruppen schwierig, eine wissenschaftliche Ansicht einzubringen. So griff die Autorin auf Eigeneinschätzungen zurück. Wichtig war es der Autorin, im Kontext Kinder und Landwirtschaft sowie Soziale Arbeit und Öffentlich- keit die Gefahr des Verdingwesens aufzuzeigen. Welchen Beitrag kann die Soziale Arbeit leisten, um die psychosoziale Entwicklung von Kindern dank Er- lebnissen und Mitwirkungsmöglichkeiten in der Landwirtschaft zu fördern? Die Hauptfrage der vorliegenden Bachelor Thesis wurde im Verlaufe dieser Arbeit angegangen. Der Au- torin ist es gelungen, aufzuzeigen, welche Erlebnisse und Mitwirkungsmöglichkeiten die psychosoziale Entwicklung von Kindern in der Landwirtschaft fördern können. Auch setzte sich die Autorin damit aus- einander, welchen Beitrag die Soziale Arbeit leisten kann. Dieser Teil ist in der vorliegenden Arbeit etwas kurz geraten. Die Rolle sowie der Beitrag der Sozialen Arbeit wurden von der Autorin beschrieben. Ein- zelne Szenarien wurden ausgearbeitet. Eine präzisere Auseinandersetzung hätte den Umfang der Arbeit überschritten. Zudem braucht es handfestere Studien, Erfahrungsberichte und Forschung, um sich mit diesem Thema vertiefter zu beschäftigen. 44 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 Die Autorin konnte mit einer klaren Gliederung der Arbeit die Themen nachvollziehbar erarbeiten und mit der eigenen Verarbeitung und Reflexion zusammenbringen. 5.2 Ausblick Die Autorin hat für diese Arbeit ein Thema gewählt, das noch kaum erforscht worden ist. Zum Zusam- menspiel von Landwirtschaft, psychosozialer Entwicklung und Sozialer Arbeit ist dringend Forschung zu betreiben, damit daraus wissenschaftliche Literatur resultieren kann. Die vorliegende Bachelor Thesis zeigt mögliche Forschungsfelder auf und kann als Basis für weitere Recherchen genutzt werden. Es bieten sich viele Möglichkeiten, die Erkenntnisse in dieser Arbeit zu vertiefen. Zum einen ist die Rolle der Sozialen Arbeit genauer zu definieren. Diese unterscheidet sich je nach Handlungsfeld (zum Beispiel Soziokulturelle Animation oder Sozialpädagogik), weil die*der Sozial Arbeiter*in in einem freiwilligen, offenen Setting oder im Rahmen einer Platzierung ganztägig oder temporär, in Gruppen- oder Einzelbe- treuung oder Ähnliches mit Kindern tätig ist. Zum anderen ist zu erörtern, welche Qualifikationen Men- schen mitbringen müssen, die mit Kindern in Institutionen arbeiten, in denen die Soziale Arbeit und die Landwirtschaft zusammentreffen. Reicht es, wenn professionelle der Sozialen Arbeit lediglich landwirt- schaftliches Interesse und ein Grundwissen mitbringen? Braucht ein*e Sozial Arbeiter*in einen Grund- kurs in Agronomie? Sind solche Bildungsangebote überhaupt vorhanden? Ist die gegenteilige Variante denkbar, dass ein*e Landwirt*in sich in der Sozialen Arbeit weiterbildet, um Kinder mittels landwirt- schaftlichen Settings in der Entwicklung zu fördern? Und auch hier: Existieren entsprechende Kurse? Inexistent sind gemäss Wissensstand der Autorin auch Konzepte, Wegleitungen, Leitfäden bis hin zu einem Qualitätsmanagement, um Landwirtschaft und Soziale Arbeit professionell zu verbinden und da- mit auch zu legitimieren. Bei anderen interdisziplinären Kooperationen sind solche Papiere vorhanden, zum Beispiel Soziale Arbeit und Schule oder Soziale Arbeit und Gesundheitswesen. Zu differenzieren ist auch einiges im Bereich der Landwirtschaft. Geografische Aspekte verändern das Umfeld, in dem Soziale Arbeit zum Zug kommen könnte, entscheidend. So sind beispielsweise die Tätig- keiten auf einer Alp oder im Tal oder in einer urbanen Gartenanlage unterschiedlich. Auch, ob ein Hof eher auf Tiere oder Obst- und Gemüsebau setzt, beeinflusst die Themen, die zur Förderung der psycho- sozialen Entwicklung von Kindern genutzt werden können. Dies ist bei der Erarbeitung allfälliger Kon- zepte und Leitfäden zu beachten. Wenn die Landwirtschaft als alternativer Lebensraum, als Raum zum Sammeln von Erlebnissen und Er- fahrungen dienen soll, stellt sich die Frage, wie die Prioritäten innerhalb der Landwirtschaft gesetzt wer- den sollen. Wenn die Landwirtschaft auf Rendite aus ist, ist sie einem gewissen Druck ausgesetzt. Wenn dieser Druck sich wiederum auf das Kind auswirkt, ist fraglich, ob die psychosoziale Entwicklung gleich- ermassen gefördert werden kann. Deshalb muss der Unterschied zwischen der Landwirtschaft, welche sich wirtschaftlich lukrativ gestalten soll, und einer Landwirtschaft, welche Teil einer Institution ist und sich nicht nur aus Erträgen aus der Landwirtschaft finanziert, beachtet werden. Der Autorin ist abschliessend wichtig, im Ausblick festzuhalten, dass es für Institutionen im landwirt- schaftlichen Kontext unerlässlich ist, ihr Handeln legitimieren zu können. Deshalb sind wie eingangs er- wähnt Forschungen voranzutreiben und wissenschaftliche Literatur zu erarbeiten. Dafür steht auch der Titel der Arbeit. Wer ernten will, muss säen: Das soll für Professionelle der Sozialen Arbeit gelten, die in Landwirtschaftsbetrieben Kinder in ihrer psychosozialen Entwicklung fördern sollen. Sie müssen aus Sicht der Autorin bereit sein, ihr theoretisches Wissen zur alltäglichen Landwirtschaftsarbeit, verbunden 45 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 mit der Arbeit mit den Kindern, zu vertiefen. Sozial Arbeiter*innen und auch ganze Institutionen sind gefordert, ihr Vorgehen zu verschriftlichen und so Grundlagen zu schaffen, um allgemeingültige und differenzierte Konzepte zu erstellen. Ernten kann das Berufsfeld der Sozialen Arbeit dadurch Legitima- tion und Professionalität. 5.3 Reflexion vom persönlichen Erkenntnisweg Für mich war schon früh klar, dass ich meine Bachelor Thesis dem Thema Landwirtschaft und Kinder widmen will. Dank meinen eigenen Erfahrungen als Sozial Arbeiterin im Kinderheim Christhof war ich fest davon überzeugt, dass die Landwirtschaft in der Sozialen Arbeit in verschiedener Hinsicht für Kinder hilfreich sein kann. Dass wenig Literatur zum ausgewählten Thema existiert, konnte meine Motivation nicht bremsen. Weil ich wusste, dass in der Schweiz mehrere soziale Institutionen die Verknüpfung Landwirtschaft und Soziale Arbeit bereits handhaben, war ich umso entschlossener, die Themen zusam- menzusetzen. Diese Überzeugung half mir während des Schreibprozesses. Es ärgerte mich manchmal, dass ich kaum Quellen fand, obwohl ich wusste, dass die wissenschaftlichen Publikationen begrenzt sind. So stiess ich mehrere Male an meine Grenzen, bis es mir wieder gelang, mit neuen, vielleicht auch unkonventionel- len Wegen Ansätze zu finden. Kinderbücher, Gespräche und Erfahrungen während meiner Tätigkeit auf dem Christhof eröffneten mir spannende Perspektiven. Wer enten will, muss säen. Unter diesen Titel habe ich meine Bachelor Thesis gestellt. Letztlich kann das Sprichwort mit meiner Arbeit auf verschiedene Weise in Bezug gesetzt werden. Zum einen reizt es mich nach allem, was ich in den letzten Monaten dazugelernt habe, in meiner beruflichen Zukunft eben auch die Felder Soziale Arbeit und Landwirtschaft zu kombinieren. Kinder, die im landwirtschaftlichen Kontext aufwachsen, scheinen aus meiner Sicht ein grosses Entwicklungspotenzial zu haben. Lässt man sie mit- wirken und erleben, können also auch sie ernten, was sie säen – real in einem Garten oder auf einem Feld und im übertragenen Sinn auch in der Entwicklung ihrer persönlichen Kompetenzen. Mir ist die Professionalität innerhalb der Sozialen Arbeit sehr wichtig. Um die Professionalität zu stei- gern, sind wie im Ausblick unter 5.2. festgehalten Konzepte, Leitfäden oder Qualitätsrichtlinien vonnö- ten. Die Erarbeitung solcher Instrumente und Dokumente weckt mein Interesse. Denn wollen Fach- kräfte der Sozialen Arbeit ernten, sprich mit dem ihnen anvertrauten Klientel positive Entwicklungs- schritte erleben, müssen sie säen - und zwar korrekt, sprich professionell säen. Das heisst für mich, dass ich auch in Zukunft nach wesentlichen Richtlinien und Konzepten tätig sein und mein Schaffen als Sozial Arbeiterin legitimieren können will – ob auf einem Bauernhof, in einem Garten oder sonstwo. Wichtig erscheint mir, dass es sowohl in einem Garten wie auch bei einer Bachelor Thesis nicht nur um das Ergebnis – sprich um die Ernte – geht. Lehrreich ist vor allem der Weg von der Saat zur Frucht – Stetigkeit, Fleiss, Sozialkompetenzen und Verantwortungsübernahme braucht es als Landwirt*in ebenso wie als Autorin einer Bachelor Thesis. Reich fällt meine Ernte an Fachwissen aus, das ich im Rahmen dieser Bachelor Thesis dazugewonnen habe. Was bleibt, ist grosser Wissensdurst zu den angegangenen Themen und die Hoffnung, dass ins- besondere die in diesem Masse neue Zusammenführung von Landwirtschaft, Sozialer Arbeit und Ent- wicklungsförderung von Kindern auch dem Berufskollegium hilft, sich mit diesen Aspekten vertraut zu machen. 46 Bachelor Thesis – Landwirtschaft und psychosoziale Entwicklung von Kindern Fabienne Hurni Januar 2019 6 Verzeichnisse 6.1 Literatur- und Quellenverzeichnis Avenir Social (2010). Berufskodex Soziale Arbeit Schweiz. URL: http://www.avenirsocial.ch/cm_data/- Do_Berufskodex_Web_D_gesch.pdf. [Zugriffsdatum: 03. Dezember 2018]. Berk, Laura E. (2005). Entwicklungspsychologie. 3. Auflage. München: Pearson Studium. Bickel, Malte/Bögeholz, Susanne (2013). Landwirtschaft als Bildungsgegenstand: Lernziele, Lerngele- genheiten auf Schulbauernhöfen, Schülerinteressen und Lernpotentiale. In: Haubenhofer, Dorit/ Strunz, Inge A. (Hrsg.). Raus auf's Land. 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