Kinder wie Erwachsene als Teil der Informations- und Probleme und Perspektiven Wissensgesellschaft sind zugleich Betroffene wie Be- teiligte der digitalen Transformation. Inwieweit Infor- des Sachunterrichts mationen und Wissen tatsächlich für jeden zugänglich, nutzbar und gestaltbar sind, stellt eine bildungstheore- tische sowie fachdidaktische Frage dar. Schüler*innen, Lehrer*innen, Studierende, Lehramtsanwärter*innen sind dabei zu unterstützen, sich Möglichkeiten und Grenzen der Informationsgesellschaft zu erschließen, diese zu reflektieren sowie Handlungs-, Orientierungsoptionen und -fähigkeiten zu erkennen und auszubilden. Im vorliegenden Band wird Sachunterricht in der Infor- mationsgesellschaft aus den Blickwinkeln der sachun- terrichtsdidaktischen Rekonstruktion, der Medienbil- dung und der informatischen Bildung beleuchtet; die Frage nach entsprechenden Orten, Medien und Techno- logien werden ebenso thematisiert wie auch Projekte in der universitären Lehrerbildung als auch perspektiven- bezogene Zugangsweisen. Probleme und Perspektiven des Sachunterrichts Band 32 Andrea Becher / Eva Blumberg / Thomas Goll / Kerstin Michalik / Die Herausgeber*innen Claudia Tenberge Dr. Andrea Becher ist Professorin für Sachunterrichtsdi- (Hrsg.) daktik – Lernbereich Gesellschaftswissenschaften an der Universität Paderborn. Dr. Eva Blumberg ist Professorin für Didaktik des natur- Sachunterricht in der wissenschaftlichen Sachunterrichts an der Universität Paderborn. Informationsgesellschaft Dr. Thomas Goll ist Professor für Integrative Fachdidaktik Sachunterricht und Sozialwissenschaften an der TU Dort- mund in der Fakultät Sozialwissenschaften. Dr. Kerstin Michalik ist Professorin für Erziehungswissen- 978-3-7815-2496-5 schaft unter besonderer Berücksichtigung der Didaktik des Sachunterrichts an der Universität Hamburg. Dr. Claudia Tenberge ist Professorin für Sachunterrichts- didaktik mit sonderpädagogischer Förderung an der 9 783781 524965 Universität Paderborn. Becher et al. (Hrsg.) Sachunterricht in der Informationsgesellschaft Becher / Blumberg / Goll / Michalik / Tenberge Sachunterricht in der Informationsgesellschaft Probleme und Perspektiven des Sachunterrichts Band 32 Andrea Becher Eva Blumberg Thomas Goll Kerstin Michalik Claudia Tenberge (Hrsg.) Sachunterricht in der Informationsgesellschaft Verlag Julius Klinkhardt Bad Heilbrunn • 2022 Schriftenreihe der Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts e.V. Die Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts (GDSU) e.V. ist ein Zusammenschluss von Lehrenden aus Hochschule, Lehrerfortbildung, Lehrerweiterbildung und Schule. Ihre Aufgabe ist die Förderung der Didaktik des Sachunterrichts als wissenschaftliche Disziplin in Forschung und Lehre sowie die Vertretung der Belange des Schulfaches Sachunterricht. www.gdsu.de Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalb ibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.d-nb.de. 2022.d. © by Julius Klinkhardt. Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg. Printed in Germany 2022. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem alterungsbeständigem Papier. Die Publikation (mit Ausnahme aller Fotos, Grafiken und Abbildungen) ist veröffent- licht unter der Creative Commons-Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 International https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/ ISBN 978-3-7815-5935-6 digital doi.org/10.35468/5935 ISBN 978-3-7815-2496-5 print | 5 Inhaltsverzeichnis Andrea Becher, Eva Blumberg, Thomas Goll, Kerstin Michalik und Claudia Tenberge Editorial ............................................................................................................9 Sachunterricht in der Informationsgesellschaft: Sachunterrichtsdidaktische Rekonstruktion – Medienbildung – informatische Bildung Friedrich Gervé Sachunterricht in der Informationsgesellschaft ................................................17 Henrike Friedrichs-Liesenkötter Die Ungleichheit und inklusive Medienbildung anhand einer Betrachtung des Konnexes von Medien – Bildung – Flucht ....................30 Carsten Schulte Digitale Technologien und informatische Bildung im Sachunterricht der Grundschule ..............................................................................................42 Sachunterricht in der Informationsgesellschaft: Orte – Medien – Technologien Michael Haider, Markus Peschel, Thomas Irion, Inga Gryl, Daniela Schmeinck und Martin Brämer Die Veränderung der Lebenswelt der Kinder und ihre Folgen für Sachunterricht, Lehrkräftebildung und sachunterrichtsdidaktische Forschung .............................................................55 Swaantje Brill und Alexandra Flügel Digital unterwegs – außerschulische Lernorte im Kontext digitaler Praktiken ........................................................................73 6 | Inhaltsverzeichnis Svantje Schumann und Corinne Ruesch Schweizer App-basierte Erfahrung und Reflexion als Unterstützung der Professionalisierung von Lehrpersonen im Bereich BNE ...........................81 Pascal Kihm und Markus Peschel Gute Aufgaben 2.0 – Aufgaben und Aufgabenkulturen im Rahmen der Digitalisierung .......................................................................89 Sachunterricht in der Informationsgesellschaft: Projekte im Kontext universitärer Lehrerbildung Julia Peuke, Detlef Pech und Jara Urban Zeitzeug*innengespräche und historisches Lernen im Sachunterricht – ein Projektseminar ...........................................................99 Andreas Schmitt Einfluss von Vorerfahrungen auf die Fähigkeitsselbstkonzepte von Sachunterrichtsstudierenden zu Kompetenzen in der digitalen Welt ...........................................................106 Friederike Kern, Volker Schwier und Björn Stövesand Zum Ungleichgewicht digital vermittelten Sachunterrichts und sprachlich-kommunikativer Anforderungen ...........................................114 Martin Brämer, Daniel Rehfeldt und Hilde Köster Computational Thinking bei Sachunterrichtsstudierenden im Lehr-Lern-Labor – Eine Rasch-Analyse ...................................................122 Sachunterricht in der Informationsgesellschaft: Perspektivenbezogene Zugangsweisen Thomas Goll Political Literacy von Kindern – Befunde, Implikationen, Herausforderungen ................................................131 Melanie Haltenberger, Florian Böschl und Katharina Asen-Molz Das Modell der Didaktischen Rekonstruktion als Kriterienraster für studentische Erklärvideos nutzen – Ergebnisse aus einem standortübergreifenden Seminar zur geographischen Perspektive ...................139 Inhaltsverzeichnis | 7 Josua Dubach, Natalie Schelleis, Katrin Bölsterli, Trix Cacchione, Corinna S. Martarelli, Matthias Probst und Sebastian Tempelmann Unzugängliche Welten für das erfahrungsbasierte Lernen erschließen: Immersive Virtuelle Realität im naturwissenschaftlichen Sachunterricht ........147 Autorinnen und Autoren .............................................................................157 | 9 Andrea Becher, Eva Blumberg,Thomas Goll, Kerstin Michalik und Claudia Tenberge Editorial „Sachunterricht in der Informationsgesellschaft“, so lautete das Thema der 30. Jahrestagung der GDSU, die – ohne es vorhersehen zu können – auch die pande- miegeschuldeten Prozesse in (Grund-)Schule und Hochschule in den Mittelpunkt rückte. Die Pandemie wirkt seit dem Frühjahr 2020 wie ein Brennglas auf digi- tale Transformationen – nicht nur in Bildungskontexten –, doch waren und sind Kinder wie Erwachsene Teil einer Gesellschaft, die bereits seit den 1980ern als Informations- und Wissensgesellschaft bezeichnet wird und in der Informationen und Daten, ihre Nutzung, Deutung, Entwicklung und Erstellung prägend sind. Vor allem Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), ihre An- und Verwendung sowie die Interaktion mit diesen nehmen maßgeblichen Einfluss auf das tägliche Leben. Für immer mehr Menschen ist es möglich, sich Informationen zu beschaffen und Wissen zu generieren. Es scheint so, als ob diese stets verfüg- bar seien. Inwieweit Informationen und Wissen tatsächlich für jeden zugänglich, nutzbar und gestaltbar sind, ist jedoch eine bildungstheoretische sowie fachdi- daktische Frage. Der Bildungsauftrag, Lernende dabei zu unterstützen, sich ihre Lebenswelt(en) zu erschießen, ist leitend für Sachunterricht und seine Didaktik in der Informationsgesellschaft. Teil der Informationsgesellschaft zu sein, bedeutet auch, diese mehr oder weni- ger bewusst mit- und auszugestalten: Schüler*innen, Lehrer*innen, Studierende, Lehramtsanwärter*innen sind dabei zu unterstützen, sich Möglichkeiten und Grenzen der Informationsgesellschaft zu erschließen und diese zu reflektieren sowie Handlungs-, Orientierungsoptionen und -fähigkeiten zu erkennen und auszubilden. Dies meint nicht nur den Umgang mit verschiedenen Kommuni- kationstechnologien, mit Informationen und (neuem) Wissen, sondern auch die kritisch-konstruktive Einordnung und Reflexion im Sinne von Mündigkeit, wel- che wiederum einer Bewusstwerdung über die gesellschaftlichen Transformations- prozesse in Vergangenheit und Gegenwart sowie deren Auswirkungen auf private wie öffentliche Teilhabe und Gestaltungsmöglichkeiten bedarf. Sachunterricht in der Informationsgesellschaft ist Ort der Realisierung und Reflexion dieser Teil- habe und Gestaltungsoptionen im Sinne einer Ausbildung und -schärfung von Selbstbestimmungs-, Mitbestimmungs- sowie Solidaritätsfähigkeit. doi.org/10.35468/5935-01 10 | Editorial Der Fokus der GDSU-Jahrestagung 2021 lag darauf, über Bedingungen, Ge- staltung und Realisierung von Sachunterricht und seiner Didaktik in der Infor- mationsgesellschaft in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu reflektieren, empirische Befunde, die in diesem Kontext vorhanden sind, zu diskutieren so- wie bereits entwickelte Vorstellungen und Konzepte dahingehend zu erörtern, wie das Lernen im gegenwärtigen und zukünftigen Sachunterricht gefördert und unterstützt werden kann. Bereits vorhandene sowie aktuell (neu oder weiter-) entwickelte Konzepte zur Gestaltung von Lehr-Lernprozessen im Sachunterricht sowie der Anpassung aufgrund gegenwärtiger Transformationsprozesse sind hier von großem Interesse. Dabei spielen die Ergebnisse empirischer Forschungen eine genauso bedeutende Rolle wie perspektivenbezogene Zugangsweisen des Sachun- terrichts und Möglichkeiten des Lernens mit IKT im Sachunterricht und ihrer Effekte. Zugleich sind Möglichkeiten der Partizipation an und der Gestaltung der Informationsgesellschaft speziell im Kontext von Sachunterricht und seiner Didaktik zu diskutieren, die auch die Realisierung einer Teilhabe aller Lernenden im Sinne eines inklusiven Sachunterrichts berücksichtigen müssen bzw. soll(t)en. Dies rückt den Fokus u.a. auch auf die Lehrer*innenbildung und fragt nach Kom- petenzen der Lehrenden für das sachunterrichtliche Lernen in einer bzw. für eine Informationsgesellschaft und wie diese in den verschiedenen (Aus-)Bildungspha- sen unterstützt und gefördert werden können. So sind beispielsweise Erkenntnisse und Befunde zum E-Learning im Sachunterricht in Schule und Hochschule, zu ihren Potenzialen, Herausforderungen, Chancen und Grenzen von großem Inte- resse, auch im Hinblick auf Neu- und Weiterentwicklungen digitaler Lehr-Lern- settings. Orientiert an den eingereichten Beiträgen und der digital stattgefundenen Jahres- tagung gliedert sich dieser Jahresband in vier Hauptkapitel, die das Tagungsthema „Sachunterricht in der Informationsgesellschaft“ aus den vielfältigen angeführten Perspektiven beleuchten: – Sachunterricht in der Informationsgesellschaft: Sachunterrichtsdidaktische Re- konstruktion – Medienbildung – informatische Bildung – Sachunterricht in der Informationsgesellschaft: Orte – Medien – Technologien – Sachunterricht in der Informationsgesellschaft: Projekte im Kontext universi- tärer Lehrerbildung – Sachunterricht in der Informationsgesellschaft: Perspektivenbezogene Zugangs- weisen. doi.org/10.35468/5935-01 Editorial | 11 Sachunterricht in der Informationsgesellschaft: Sachunterrichtsdidaktische Rekonstruktion – Medienbildung – informatische Bildung Der Titel von Friedrich Gervés Hauptvortrag auf der 30. Jahrestagung der GDSU lautet „Sachunterricht in der Informationsgesellschaft“. Er befasst sich „mit den grundlegenden Implikationen des Wandels zu einer durch Digitalisierung ge- prägten Informationsgesellschaft für den Sachunterricht“. Gervé nutzt sein Modell der sachunterrichtsdidaktischen Rekonstruktion, um die ‚Sache Informationsge- sellschaft‘, den Aspekt des lebensweltlichen Kontextes und des Bildungskontextes der Informationsgesellschaft für Kinder sowie die Gestaltung von Sachunterricht zu klären, wobei für ihn das ‚Prinzip der Begegnung‘ zentral bleibt. Die Medienbildung steht im Fokus des verschriftlichten Hauptvortrags „Digitale Ungleichheit und inklusive Medienbildung anhand einer Betrachtung des Konnexes von Medien – Bildung – Flucht“ von Henrike Friedrichs-Liesenkötter. Sie erläutert die Bedeutung digitaler Medien für Bildung und Teilhabe und beleuchtet diese im Hinblick auf Potenziale und Herausforderungen. Als eine pädagogische Zielgrup- pe mit deutlichen Barrieren für Teilhabe nimmt sie exemplarisch junge Menschen mit Fluchterfahrung in den Blick und stützt ihre Darlegungen unter anderem auf Daten aus dem BMBF-Verbundprojekt BIGEDIB (Bildungsteilhabe Geflüchte- ter in digitalisierten Bildungsarrangements). Ein eindringliches Plädoyer für eine (inklusive) Medienbildung als zentrale Bildungsaufgabe – auch für den Sachun- terricht – schließt den Beitrag ab. Digitale Technologien und digitale Artefakte nehmen maßgeblichen Einfluss auf das tägliche Leben und erweisen sich als relevant, zumal sich bereits im Grund- schulalter Einstellungen zu Computern und Informatik formen. Im Hauptvortrag „Digitale Technologie und informatische Bildung im Sachunterricht der Grundschule“ diskutiert Carsten Schulte unter Berücksichtigung verschiedener informatikdidak- tischer Positionen die These, dass v.a. die Interaktion des Menschen mit (digitalen) Artefakten eine sinnstiftende Perspektive für den informatikbezogenen Sachun- terricht darstellen könnte. Er plädiert dafür, formale Ideen der Fachwissenschaft Informatik nicht losgelöst von Aspekten zur Relevanz, Bewertung und Nutzung digitaler Artefakte im Unterricht zu behandeln, sondern gerade die wechselseitige Beeinflussung in den Blick zu nehmen. Sachunterricht in der Informationsgesellschaft: Orte – Medien – Technologien Medien und Technologien stehen im Fokus des Beitrags „Die Veränderung der Lebenswelt der Kinder und ihre Folgen für Sachunterricht, Lehrkräftebildung und sachunterrichtsdidaktische Forschung“ der Autor*innengruppe Michael Haider, Markus Peschel, Thomas Irion, Inga Gryl, Daniela Schmeinck und Martin Brämer. Sie erläutern, dass und wie sachunterrichtliches Lernen in der digitalen Welt vor doi.org/10.35468/5935-01 12 | Editorial neuen Chancen und Herausforderungen steht und verweisen darauf, dass dies eine neue Kultur der Digitalität fordere. Formen und Inhalte einer digitalen Grundbildung für eine digital geprägte und gestaltbare Welt werden skizziert. Im Mittelpunkt steht die Frage nach neuen zukunftsorientierten Inhalten, digitalisie- rungsbezogenen Kompetenzen und Lehr-Lernformaten. Swaantje Brill und Alexandra Flügel sind „digital unterwegs“ und befassen sich mit „außerschulische[n] Lernorte[n] im Kontext digitaler Praktiken“. Auf der Ba- sis der Erläuterung der Distinguiertheiten außerschulischer Lernorte – speziell Museen und NS-Gedenkstätten –, nehmen sie die Leser*innen mit ins digitale Angebot des Anne-Frank-Hauses und ordnen die ‚dortigen‘ digitalen Lernformate kritisch-konstruktiv vor dem Hintergrund der Realisierung von Transformations- prozessen ein. Svantje Schumann und Corinne Ruesch Schweizer befassen sich in ihrem Beitrag „App-basierte Erfahrung und Reflexion als Unterstützung der Professionalisierung von Lehrpersonen im Bereich BNE“ mit dem Potenzial technologiegestützter Anleitung – anhand einer exemplarisch entwickelten „BNE-App“ – von Reflexion für eine reflexive Auseinandersetzung (angehender) Lehrpersonen mit ihren nachhaltig- keitsbezogenen Überzeugungen. Fokussiert wird dabei auf die Überzeugungen von Lehrpersonen im Zusammenhang mit sachunterrichtsrelevanten Vorstel- lungen dahingehend, was es bedeutet ‚Verantwortung zu übernehmen‘ und ‚sich aktiv an gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen zu beteiligen‘. Dazu werden the- oretische und empirische Befunde zur Tragweite unterschiedlicher Vorstellungen skizziert. Auch Pascal Kihm und Markus Peschel bewegen sich im digitalen Raum und dis- kutieren „Gute Aufgaben 2.0 – Aufgaben und Aufgabenkulturen im Rahmen der Digitalisierung“. Es geht ihnen nicht nur um die Art und Weise der Konzeption von Aufgaben, sondern um den Umgang mit Aufgaben im Unterricht. Im Mit- telpunkt der Betrachtung stehen kollaborativen Prozesse der gemeinsamen Auf- gabenbearbeitung und der dabei stattfindenden Kommunikations- und Interak- tionsprozesse. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Begleitung digitaler Aufgabenformate durch Lehrkräfte. Sachunterricht in der Informationsgesellschaft: Projekte im Kontext universitärer Lehrerbildung Julia Peuke, Detlef Pech und Jara Urban berichten von ihrem digitalen Projekt- seminar „Zeitzeug*innengespräche und historisches Lernen im Sachunterricht“: Zeitzeug*innengespräche als zentrale Bestandteile geschichtswissenschaftlicher Forschung haben sich auch im Rahmen historischen Lernens in der Grundschu- le als Zugangsweise und Methode etabliert. Die Initiierung und Begleitung von Zeitzeug*innengesprächen zwischen Grundschulkindern und Bürger*innen der doi.org/10.35468/5935-01 Editorial | 13 früheren DDR im Rahmen eines Hochschulseminars und auf der Grundlage di- gitaler Lehr-Lernformate wird vorgestellt und kritisch reflektiert. Mittels Online-Fragebogen untersucht Andreas Schmitt den „Einfluss von Vorer- fahrungen auf die Fähigkeitsselbstkonzepte von Sachunterrichtsstudierenden zu Kom- petenzen in der digitalen Welt“ und adressiert damit private sowie hochschulbezo- gene Erfahrungen mit digitalen Medien und Selbstkonzepten der Studierenden. Während sich ein Zusammenhang zwischen privatem Nutzungsverhalten digi- taler Medien und der Einschätzung eigener Kompetenzen bei Studierenden zeigt, hat der Besuch von Lehrveranstaltungen kaum einen Effekt auf die eigene Kom- petenzeinschätzung. Für die Lehrerbildung in der ersten Phase wird gefolgert, universitäre Lernformate auf die Überzeugungen sowie auf eine Erweiterung der digitalisierungsbezogenen Kompetenzen von Studierenden auszurichten. Der Bedeutung kommunikativer Interaktionen für die gemeinsame Wissenskon- stitution widmen sich Friederike Kern, Volker Schwier und Björn Stövesand und verweisen nicht nur in ihrem Titel auf ein „Ungleichgewicht digital vermittelten Sachunterrichts und sprachlich-kommunikativen Anforderungen“. Die Autor*innen stellen die Chancen eines ethnografisch inspirierten Forschens über Sachunter- richt für die hochschuldidaktische (Aus-)Bildung von Sachunterrichtsstudieren- den heraus, mit dem Ziel einer Sensibilisierung für die Relevanz von Sprache und die Beeinflussung der Unterrichtspraxis durch digitale Hilfsmittel. Das Desiderat der gegenwärtig noch wenig beforschten Informatikkompetenzen angehender Grundschullehrkräften greifen Martin Brämer, Daniel Rehfeldt und Hilde Köster in ihrem Beitrag „Computational Thinking bei Sachunterrichtsstudie- renden im Lehr-Lernlabor – Eine Rasch-Analyse“ auf. Im Rahmen des QLB-Pro- jektes K2teach validieren sie nicht nur einen Test zur Erfassung des Computati- onal Thinking bei Studierenden des Lehramtes Grundschule, sondern belegen, dass ein entsprechend ausgerichtetes Seminar mit Theorie- und Praxisphasen die Entwicklung des Computational Thinking signifikant steigern kann. Sachunterricht in der Informationsgesellschaft: Perspektivenbezogene Zugangsweisen Mit dem Recht von Kindern auf Politische Bildung und deren praktische Umset- zung befasst sich Thomas Golls Beitrag „Political Literacy von Kindern – Befunde, Implikationen, Herausforderungen“. Er fordert, dass die Realisierung Politischer Bildung im Elementar- und Primarbereich evidenzbasiert sein muss / sollte und gibt einen Überblick zum aktuellen Stand empirischer Forschung. Sich daraus er- gebende Folgerungen und Desiderata für zukünftige empirische Untersuchungen und die Ebenen der Vermittlung werden aufgezeigt und es wird ein eigenes For- schungs- und Entwicklungsprojekt vorgestellt. doi.org/10.35468/5935-01 14 | Editorial Eine (Weiter-)Entwicklung geographischen Lernens im Sachunterricht ist das Anliegen von Melanie Haltenberger, Florian Böschl und Katharina Asen-Molz. In ihrem Beitrag „Das Modell der Didaktischen Rekonstruktion als Kriterienraster für studentische Erklärvideos nutzen – Ergebnisse aus einem standortübergreifenden Se- minar zur geographischen Perspektive“ erläutern sie das Potenzial der Didaktischen Rekonstruktion für eine fachliche und fachdidaktische Qualitätsprüfung von studentischen Erklärvideos zum geographischen Lernen unter Berücksichtigung eines spezifischen Kriterienrasters. Die Autor*innen stellen zentrale Ergebnisse einer explorativ-qualitativen Studie vor, in der die studentische Relevanz der mo- delleitenden Kriterien untersucht wurde. Ein wichtiges Ergebnis lautet, dass Er- klärvideos Nicht-Sichtbares nicht sichtbar machen können. Auch Josua Dubach, Natalie Schelleis, Katrin Bölsterli, Trix Cacchione, Corinna S. Martarelli, Matthias Probst und Sebastian Tempelmann befassen sich mit der Erschließung „Unzugängliche[r] Welten für das erfahrungsbasierte Lernen“, indem sie Potenziale der Integration Immersiver Virtueller Realität (IVR) in den natur- wissenschaftlichen Sachunterricht erläutern. Designprinzipien und Beispiele für die Nutzung von Immersiver Virtueller Realität im naturwissenschaftlichen Sa- chunterricht werden anhand einer exemplarischen Sachunterrichtseinheit zum so genannten kleinen Wasserkreislauf aufgezeigt und diskutiert. doi.org/10.35468/5935-01 Sachunterricht in der Informationsgesellschaft: Sachunterrichtsdidaktische Rekonstruktion – Medienbildung – informatische Bildung | 17 Friedrich Gervé Sachunterricht in der Informationsgesellschaft This article gives attention to the fundamental implications of the transformation to an information society characterized by digitalization for the teaching of Science and Social Sciences in Primary School. In the form of a specific didactic reconstruction, the subject matter – i.e. the information society –, the lifeworld and educational context with a view to the children and the resulting consequences for the selection of learning objects and the design of learning environments are addressed. 1 Einleitung Im Sachunterricht werden Phänomene aus der Lebenswelt von Kindern zu Ge- genständen didaktischen Denkens und Handelns. In vielfacher Hinsicht wird diese Welt und damit unser Zusammenleben aktuell geprägt von zunehmend digital verarbeiteten Informationen. Mit diesem Beitrag wird daher der Versuch unternommen sachunterrichtsdidaktisch zu rekonstruieren, was wir begrifflich mit Informationsgesellschaft fassen. Der Begriff „Sachunterricht“ wird dabei auch von Unterricht abstrahiert verwendet, um eine bestimmte Art des welterschlie- ßenden Wahrnehmens und Denkens zu beschreiben. Ein solches ‚sachunterricht- liches Denken‘ wird verbunden mit einer sachbezogen fragenden Grundhaltung, einer offenen und kritischen Vielperspektivität, einem Blick auf die Perspektive der Kinder und deren Zukunft, bildungsbezogen im Sinne einer umfassenden persönlichen und sozialen Handlungsfähigkeit und getragen von einer sozialkon- struktivistischen Idee der Kraft von Diversität und Kommunikation. Die folgenden Überlegungen folgen dem Modell einer sachunterrichtsdidak- tischen Rekonstruktion (Gervé 2017, 39; Abb. 1). Das Modell zeigt einen mit Schleifen gerichteten didaktischen Handlungsprozess zwischen lebensweltlich-all- tagsbezogenen Dimensionen (oben) und darauf bezogenen, fachlich-wissenschaft- lich fundierten und vernetzten Perspektiven (unten). Trotz der modellhaft line- aren Grundausrichtung vollzieht sich ein solcher Rekonstruktionsprozess immer in hermeneutischen Zirkeln und hat keinen zwingend festgelegten Anfangspunkt. doi.org/10.35468/5935-02 18 | Friedrich Gervé Abb. 1: Sachunterrichtsdidaktische Rekonstruktion (Gervé 2017, 39; aktualisiert von Friedrich Gervé) Beschrieben wird der Blick auf die Sache in ihrer Alltagsbedeutung und ihren Fachbezügen. Diese Sache ist mit Blick auf die Kinder so zu rekonstruieren, also gewissermaßen neu aufzubauen, dass die so gewonnenen Unterrichtsgegenstände einerseits sachbezogene Zugänge eröffnen, andererseits aber auch unmittelbare Bedeutung und Sinn für die Kinder behalten. Dazu ist sowohl der lebenswelt- lich-situative Kontext im Sinne von Lernausgangslagen aufzuklären, als auch gilt es, Bildungs- und Kompetenzziele zu bestimmen, die darüber hinausweisen. Wird der Begriff der „Informationsgesellschaft“ über das Modell gelegt, so wird schnell klar, dass damit ganz bestimmte Sachverhalte beschrieben werden, die un- mittelbare Bedeutung in unserem Alltag und dem der Kinder haben, die aber in ihrer Komplexität auch einer genaueren, vielperspektivischen Analyse bedürfen und in der Folge normative Auswirkungen auf die Bestimmung von Bildungs- und Kompetenzzielen haben (Irion 2020, 74f.). Zu nennen wären hier zum Bei- spiel die Verarbeitung digitalisierter Informationen mit Hilfe von Algorithmen, die Verbreitung über Internet und Social Media, die Vernetzung als Big Data, aber auch Automatisierungen oder künstliche Intelligenz. 2 Zur Sache Informationsgesellschaft Historisch kann grob eine Entwicklung von der Agrargesellschaft über die Indus- triegesellschaft zur Wissens- oder Informationsgesellschaft beschrieben werden. Jeweils werden damit prägende Faktoren und Orientierungen des Zusammenle- bens und Arbeitens beschrieben, die hier in ihrer historischen und soziologischen doi.org/10.35468/5935-02 Sachunterricht in der Informationsgesellschaft | 19 Tiefe nicht weiter ausgeführt werden können. Fokussiert werden Aspekte, die besonders sachunterrichtsrelevant erscheinen und vor allem angesichts der Di- gitalisierung eine enge Nähe zum Begriff der Mediengesellschaft (Hepp & Höhn 2013, 565 ff.) aufweisen. Informationen werden mit Hilfe digitaler Medien gene- riert, ausgewählt, präsentiert, verbreitet, gespeichert und verbunden (Petko 2014, 16 ff.). Sie gewinnen oder verlieren an Relevanz und Wirkung durch ihre mediale Repräsentation (Breyer-Mayländer 2018, 265 ff.). So ist eine durch Informati- onen geprägte immer auch eine durch Medien geprägte Gesellschaft. In dem Konstrukt, das wir als Informationsgesellschaft beschreiben, sind Informa- tionen von besonderer Bedeutung. Das bedeutet soziologisch auch, dass mit dem Zugang zu Wissen, mit der Fähigkeit, es als Information zu verarbeiten, zu nutzen und zu verbreiten, im Bordieuschen Sinn (1992) ein Kulturkapital beschrieben werden kann, dessen Besitz einerseits demokratische Partizipation fördert, dessen Besitzdifferenzen aber immer auch eine Gruppenzugehörigkeit und Machtvertei- lung bedeuten. Problematisch erscheint die enge normative Koppelung des Be- griffs an ökonomische Interessen des Wettbewerbsvorteils durch Wissen, womit die Wissensgesellschaft die Industriegesellschaft eigentlich nicht ablöst, sondern nur verändert und der Wissensbegriff möglicherweise eine vermeintlich objekti- vierte Wertfreiheit suggeriert. Die Wissensgesellschaft trägt also nur dann in eine aus wissenschaftlicher Sicht notwendige nachhaltige Entwicklung, wenn auch das dahinterliegende Normensystem einer Transformation unterzogen wird. Die Begriffe „Wissensgesellschaft“ und „Informationsgesellschaft“ werden bislang oft synonym verwendet (u.a. Marotzki 2003, 3 ff.). Spätestens die Konfrontation mit fake-news, alternativen Fakten und den Widersprüchlichkeiten von Informati- on und Wissen in der Covid-19-Pandemie, aber auch die Wirkmacht von über soziale Medien verbreiteten Informationen (Reppert-Bismarck, Dombrowski & Prager 2019, 13) zeigen die Notwendigkeit der Unterscheidung. Die Information ist nicht einfach transportiertes theoretisch oder empirisch gesichertes Wissen. Sie bedarf der Prüfung, Interpretation und Einordnung. Informationszugang und -verbreitung werden sowohl zum Aufklärungs- und Partizipations- wie zum Ma- nipulationsinstrument. Damit hat nicht mehr der Macht, der Wissen hat (Bieri 2008, 2), sondern der, der Informationen steuern kann. In den Fokus rücken so die Informationsverarbeitung, die Informatik, die dafür nach Automatisierungen sucht und damit die Digitalisierung, mit der die Informationssammlung, -verar- beitung und -verbreitung in ungeheurer Weise verändert und beschleunigt wird. Wenn nun Informationsgesellschaft eine Gesellschaft beschreibt, die auf das Sam- meln, Speichern, Auswerten und den Austausch von Informationen ausgerichtet ist und diese zu ihrem Wohlergehen, ihrer demokratischen und ökonomischen Entwicklung oder auch zur Ausübung von Macht zu nutzen weiß, dann könnte bzw. müsste – wieder durch die Digitalisierung fundamental verstärkt –, die In- formationsgesellschaft doch eher als Mediengesellschaft bezeichnet werden. Zu- doi.org/10.35468/5935-02 20 | Friedrich Gervé mindest aber kommt den Medien sozusagen als Infrastruktur der Informations- gesellschaft eine enorme Bedeutung zu (Döbeli Honneger 2016, 44; Irion 2016, 17 und 29) – mit deutlichen Konsequenzen für den Sachunterricht. Denn der Sa- chunterricht ist der schulische Ort, an dem Sache, Wissen als generalisierende Ab- straktion, Information als verarbeitbare Wissenscodierung und Medien als Infor- mationsträger, Gestaltungs- und Kommunikationsmittel untrennbar verbunden sind. Auch mit dem Fokus auf die Medien lassen sich wieder Machtverhältnisse und Machtpotenziale beschreiben, die in Zusammenhang mit inzwischen weitge- hend privatwirtschaftlichen Strukturen im Bereich digitaler Mediennutzung eine große Herausforderung für die demokratische Gesellschaft bedeuten. Informati- on in Form digitalisierter Daten und deren Verfügbarkeit führt eben leider nicht per se zu mehr Partizipation, Demokratie und Nachhaltigkeit durch Aufklärung (Kneuer & Salzborn 2016, 1 ff.). Ihre Loslösung von Wissen und dessen ökono- misierte Loslösung von Verantwortung und Solidarität stellen sich zunehmend als Herausforderung auch für Bildung und Wissenschaft dar. Warum nun die doppelte Analyse, die das didaktische Rekonstruktionsmodell für den Sachunterricht einfordert? Die fachlich-wissenschaftlichen Perspektiven lassen uns Distanz einnehmen und bieten uns Denkmodelle an. Damit können wir die Komplexität dessen erfassen und ordnen, was sich hinter den Phäno- menen der Informationsgesellschaft verbirgt. Bleiben wir jedoch derart in be- schreibender und ordnender Distanz, so werden wir die für den Sachunterricht so notwendige Lebensweltorientierung mit ihrem Handlungsanspruch nicht einlösen können. Und wer den Blick auf die Alltagsbedeutung nur beim Blick auf die Kinder einfordert oder vornimmt, lässt eine wesentliche Erkenntnisquel- le aus. Die Frage nach der eigenen und dann auch der Betroffenheit anderer kann vor allem im Wechsel mit distanzierten Analysen und der Offenlegung der dabei subjektiv eingesetzten Informationsfilter zu einer bedeutungsorientierten Bestimmung der Sache beitragen. 3 Kinder und Bildung in der Informationsgesellschaft Wenn Informationsgesellschaft als eine Gesellschaft beschrieben wird, in der ökonomisches, politisches, soziales, kulturelles und wissenschaftliches Denken, Arbeiten und Handeln in hohem Maße geprägt sind von (digitalen) Informa- tions- und Kommunikationstechnologien (u.a. Weinmann 2020), dann müssen wir als Sachunterrichtsdidaktiker*innen die Frage stellen, was das für Kinder be- deutet, für ihre Lebenswelt, die wir zu einem wichtigen Ausgangs- und Orientie- rungspunkt für ein welterschließendes Lernen im Sachunterricht erklärt haben. Und wir müssen fragen, was daraus für die Zielbestimmung institutionalisierter doi.org/10.35468/5935-02 Sachunterricht in der Informationsgesellschaft | 21 welterschließender Lehr-Lernprozesse folgt. Im Sinne des vorgestellten sachun- terrichtsdidaktischen Rekonstruktionsmodells gilt es also den Blick einerseits auf den lebensweltlichen Kontext von Kindern im Grundschulalter zu richten, an- dererseits auf den Bildungskontext, also die Bildungs- und Kompetenzziele, die eine demokratische Gesellschaft – oder eben auch eine Informationsgesellschaft – für ihr Fortbestehen und ihre Entwicklung vereinbart. Von da aus ist dann zu bestimmen, welche Lerngegenstände und Lehr-Lernarrangements geeignet sind, die Kinder dabei zu unterstützen, die komplexen ‚Sachen‘ einer Informationsge- sellschaft besser zu verstehen, in ihr handlungsfähiger zu werden und zunehmend Verantwortung für ihr Handeln übernehmen zu wollen (Gervé 2021, 53). Was also bedeutet das Aufwachsen in einer Informationsgesellschaft für Kinder im Grundschulalter? Hier müssen wir sicher noch mehr erfahren, nicht nur darü- ber, wie Kinder Medien nutzen (u.a. mpfs 2020), sondern welche Vorstellungen (Adamina, Kübler, Kalcsics, Bietenhard & Engeli 2018) sie über ihre Lebenswelt in der Informationsgesellschaft haben und über das Verhältnis von „Kindheit, Technik und das Digitale“ (Braches-Chyrek, Moran-Ellis, Röhner & Sünker 2021). Zunächst aber muss hervorgehoben werden, dass das Aufwachsen in der Informationsgesellschaft vor allem von großer Heterogenität geprägt ist (Initiative D21 2021, 36 ff., Gervé & Peschel 2013, 67), oder, wenn wir in Macht- und Chancenkategorien denken, mit Ungleichheit und Ungerechtigkeit beschrieben werden muss: Ungleichheit im Zugang zu Informationen, Ungleichheit im Um- gang mit Informationen, Ungleichheit in Bezug auf eine kompetente und reflek- tierte Mediennutzung, Ungleichheit beim nötigen Schutz vor Missbrauch – all das in großer Abhängigkeit von sozioökonomischem und Bildungshintergrund. Es muss an dieser Stelle nicht ausgeführt werden, wie sehr inzwischen auch die Lebenswelt der Kinder geprägt ist durch die voranschreitende Digitalisierung und Automatisierung in immer mehr Lebensbereichen (Fleischer 2014, 303 ff.; Rep- pert-Bismarck, Dombrowski & Prager 2019, 8 ff.). Und es erscheint evident, wie sehr das Wissen vieler Kinder über die Welt aktuell medial vermittelt ist und in Form multimedial und digital codierter ‚Informationen‘ über YouTube und ande- re Internetquellen bzw. Suchmaschinen algorithmisiert zusammengestellt, ange- boten und interpretiert wird (Fleischer 2014, 303). Wir stehen, vielleicht mehr als zuvor, in der Gefahr, Wissen von Erfahrung loszulösen und das Wissen-Schaffen auf das Informations-Suchen zu reduzieren. Individualisierung in digital gestütz- ten Lernangeboten als vermeintlich ‚passgenaues‘ Angebot von Wissensabfragen verliert nicht nur den Aspekt der individuellen Bedeutsamkeit jedes Einzelnen mit seiner Weltdeutung für die Gemeinschaft (Döbeli Honegger 2016, 66; Irion & Scheiter 2018, 8f.), sondern erfordert nicht selten ein unhinterfragtes Preisgeben persönlicher Daten (Jude, Ziehm, Goldhammer, Drachsler & Hasselhorn 2020, 55 ff.). Wir haben es also nicht nur mit einer Ungleichheit beim Zugang und den Verarbeitungsmöglichkeiten von Informationen für das Wissen-Schaffen durch doi.org/10.35468/5935-02 22 | Friedrich Gervé die Kinder zu tun. Gleichzeitig sind sie in ebenso ungleicher und wenig selbstbe- stimmter Weise dem Datensammeln und der Kontrolle durch private Unterneh- men (Döbeli Honegger 2016, 25 ff.), aber auch durch ihre Lehrer*innen ausge- liefert, der vermeintlich notwendigen Grundlage einer Informationsgesellschaft. Damit wird der Blick auf den vom lebensweltlichen Kontext nicht zu trennenden Bildungskontext gelenkt und normativ (Gervé 2019, 101 ff.). Die weitere sa- chunterrichtsdidaktische Rekonstruktion braucht eine Richtung, eine Zielbe- stimmung, wenn Sachunterricht über das affirmative Abbilden von Lebenswelt hinausgehen will. Wenn wir Bildung verstehen als umfassende und spezifische Entfaltung persönlicher Potenziale in sozialer Verantwortung und damit als ei- nen Schlüssel für ein persönlich erfülltes und für das Zusammenleben im Sinne des Nachhaltigkeitsgedankens bedeutsames Leben, dann gilt es, Kinder dabei zu unterstützen, entsprechende Handlungspotenziale zu entwickeln. Bildungsziele liefern uns eine grobe und dennoch sichere und notwendige Orientierung. Für mich überzeugend bleibt Klafkis (1992) Zielbestimmung allgemeiner Bil- dung als Selbstbestimmungs-, Mitbestimmungs- und Solidaritätsfähigkeit und als Bildung für alle, in allen Grunddimensionen menschlichen Lebens, gerich- tet auf epochaltypische Schlüsselfragen. Solche Schlüsselfragen lassen sich in der Informationsgesellschaft ausmachen, haben viel mit Digitalisierung zu tun, mit Nachhaltigkeit in unserem Umgang mit Ressourcen und miteinander und mit der Bewahrung von Handlungsoptionen und individuellen wie demokratischen Gestaltungsmöglichkeiten. Als eine zentrale Herausforderung fordert der Inklusi- onsgedanke auf, alle in ihrer Unterschiedlichkeit nicht nur teilhaben zu lassen im Sinne einer Barrierefreiheit, sondern Teil sein zu lassen im Sinne individueller Be- deutsamkeit. Digitale Technik und Informationsverarbeitung eröffnen der Teilha- be große Möglichkeiten. Die Informationsgesellschaft kann aber andererseits auch ganz schnell ausschließen und das Teilsein verhindern durch Diskriminierung auf der Grundlage gesammelter und entsprechend bewerteter Daten. Auch die KI ist nicht frei von Diskriminierung, weil ihr von bestimmten Menschengruppen bestimmtes Trainingsmaterial zur Verfügung gestellt wird, die sich zudem die Grundalgorithmen ausdenken (Orwat 2019, 77 ff.). Den Bildungskontext zu klä- ren ist mühsam und nicht unbedingt Gegenstand einer Informationsgesellschaft, die eher nach Optimierung durch informatische Systeme sucht und womöglich dabei ist, Optimierung durch Automatisierung auf der Grundlage intelligenter Datenverarbeitung gewissermaßen zum Selbstzweck zu erklären. Wo Information sich möglicherweise von Wissen loslöst und automatisierte Verarbeitung von In- formation Selbstbestimmungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten einschränkt, wo die Medien und ihre Macher*innen zu fragwürdiger Macht gelangen, da lau- fen wir Gefahr, Kompetenzorientierung vom Regulativ des Bildungsgedankens loszulösen und den Sachunterricht in dieser Sache auf die Einführung in die Nut- zung digitaler Informationsmedien und das Erlernen der Grundlagen des Codie- doi.org/10.35468/5935-02 Sachunterricht in der Informationsgesellschaft | 23 rens zu reduzieren. Bildung in der Informationsgesellschaft ist andererseits immer auch Bildung für die Informationsgesellschaft und das bedeutet, dass die Kinder entsprechende Kompetenzen entwickeln müssen für den handelnden Umgang mit Artefakten und Phänomenen der Informationsgesellschaft (GDSU 2021, 2f.). Die Modellierung moderner Informationsstrukturen als Netze und nicht mehr als lexikalisch aufgebaute Wissenskanone legt nahe, dass entsprechende Kompe- tenzmodelle für das Erschließen einer informationsgeprägten Welt vorrangig die Vernetzung und nicht die Addition von Perspektiven adressieren müssten. Die Informationsgesellschaft fordert uns und somit auch die Kinder in allen Dimen- sionen unseres Lebens heraus. Dem werden wir weder gerecht durch eine einzel- fachliche Loslösung der informatischen Grundbildung noch durch eine weitere Perspektive. Gerade die an die Informatik eng gekoppelte Digitalisierung wirkt per se in alle Dimensionen unseres Lebens hinein und kann so in ihren Phäno- menen und mit ihren Artefakten nur perspektivenvernetzend bildend erschlossen werden. Der Sachunterricht vermag das zu leisten, auch wenn das aktuelle Kom- petenzmodell des Perspektivrahmens der GDSU (2013, 12) Vernetzungselemente noch eher peripher anstatt zentral ausweist. Auch relevante Kompetenzmodelle aus dem Bereich der Medienbildung (LKM 2015, 3), der informatischen Bildung (GI 2019, 7) oder der KMK (2016) bringen mit einer Breite an formulierten Kompetenzen die komplexen Anforderungen an eine aktive Mitgestaltung der In- formationsgesellschaft zum Ausdruck. Sie vermögen es aber auch noch nicht, die Vernetzungsfähigkeit als Kernkompetenz zu formulieren. Das Ziel, Zusammen- hänge herstellen zu können, findet sich bisher zumeist als prozessbezogene Kom- petenzformulierungen bzw. Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen, expliziter müssten aber auch inhaltsbezogene Kompetenzen daraufhin formuliert werden. Ein Kreismodell (Borowski in Peschel 2016, 14) könnte m. E. diesen Heraus- forderungen mit der Fokussierung auf einen perspektivenvernetzenden Themen- oder Fragenkern eher gerecht werden. Kompetenzformulierungen, und das sei noch einmal betont, brauchen einen Be- zug zu einem normativ beschriebenen Bildungsbegriff als Orientierung für Su- che, Auswahl, Deutung, Verarbeitung, Generierung, Verbreitung oder Preisgabe von Informationen. Dies scheint gerade für eine Gesellschaft wichtig, welche die Bedeutung und Wirkkraft von Information und informatischen Systemen her- vorhebt. doi.org/10.35468/5935-02 24 | Friedrich Gervé 4 Sachunterricht gestalten in der Informationsgesellschaft Gewissermaßen am Ende des sachunterrichtsdidaktischen Rekonstruktionspro- zesses, aber zirkelhaft verbunden mit den vorangegangenen Analysen, stehen Fra- gen nach der Gestaltung von Sachunterricht auf der unterrichtspraktischen Ebene. Hierbei geht es einerseits um methodische Zugänge für die Kinder, andererseits darum, dass die Kinder in der Lernarbeit Sinn und Anwendbarkeit erkennen kön- nen. Dabei gilt es – Ziele und Ausgangslagen im Blick – Erkenntnissen aus der Lehr-Lernforschung im Sachunterricht zu folgen und wesentliche Prinzipien zu berücksichtigen, wie Begegnung, Vielperspektivität, doppelte Anschlussfähigkeit, Handlungsorientierung, Individualisierung, Kommunikation und Beteiligung. Fragen wir nach lebensweltlich bedeutungsvollen Lerngegenständen in der Infor- mationsgesellschaft, so kommen wir einerseits auf das Suchen, Filtern und Prüfen von Informationen und deren Bedeutung, Wert oder Wirkmacht. Wir kommen aber auch hier schon dazu, zu fragen, wer Informationen generiert, wer für sie verantwortlich ist, welche Information wer über wen sammeln und wofür be- nutzen darf und welche die Kinder selbst von sich preisgeben möchten. Medien als Informationsträger und Kommunikationsmittel werden neben informatischen Grundbegriffen, Verfahren und Systemen zu Lerngegenständen. Vor dem Hintergrund des Bildungsauftrags des Sachunterrichts rücken besonders auch Fragen von Gerechtigkeit, Macht, Meinungsbildung, Freiheit und Kontrolle und dem Verhältnis von Politik, Wissenschaft und Gesellschaft im Zusammen- hang mit digitaler Informationsverarbeitung und digitalen Medien in den Kreis der bedeutsamen Unterrichtsgegenstände (Peschel 2021, 5). Und wir sehen uns auf folgende Fragen zurückgeworfen: Wie wollen wir eigentlich zusammenleben? Wie sollen unsere Kinder leben können? Was bedeutet für uns Demokratie und welche Rollen spielen Wissenschaften, welche Medien? Wollen wir den Wandel hin zur Informations- oder Mediengesellschaft, in der zu Daten codierte Infor- mationen und deren Vernetzung und automatisierte Auswertung so bestimmend werden? Und wenn, nach welchen Regeln? Lassen wir uns genügend Zeit für die diskursive Bewertung und das Einordnen all der Informationen im Sinne des ‚Wissen-Schaffens‘? Dienen Automatisierungsprozesse noch unseren Interessen und Zielen? Ist die digitale Informationsverarbeitung noch demokratisches Auf- klärungs-, Partizipations- und Verständigungswerkzeug für alle oder mutiert sie zum Machtinstrument weniger? Für die sachunterrichtsdidaktische Rekonstruktion und die Gestaltung von un- terrichtlichen Zugängen erweist sich m. E. das Dagstuhl-Dreieck bzw. als seine Weiterentwicklung das Frankfurt-Dreieck der Gesellschaft für Informatik (GI 2020) als sehr hilfreich. doi.org/10.35468/5935-02 Sachunterricht in der Informationsgesellschaft | 25 Abb. 2: Frankfurt-Dreieck (GI 2020, durch Friedrich Gervé ergänzt um Codieren, Problemlösen, Reflektieren) Das Modell beschreibt drei miteinander verbundene Bildungsaufgaben bzw. Kompetenzbereiche, die als Perspektiven bezeichnet werden: • Die „technologische Perspektive“ geht der Frage nach, wie informatische Systeme und Medien funktionieren. Hier sollen Kinder ein handlungsorientiertes Ver- ständnis aufbauen, z.B. dadurch, dass sie mit Robotiksystemen und ikonisierten Programmiersprachen selbst codieren, steuern und regeln oder mit dem Tablet selbst Medien gestalten lernen. • Die „anwendungsbezogene Perspektive“, jetzt mit Interaktion überschrieben, verbindet das Verständnis für informatische Systeme mit deren nutzungs- und problemorientierter Anwendung im Alltag, vom Fahrkartenautomaten bis hin zum Einsatz des Tablets beim Fernlernen. • Die „gesellschaftlich-kulturelle Perspektive“ fordert zur Reflexion auf, zum Nach- denken über Wirkungen des Einsatzes informatischer Systeme auf unser Zu- sammenleben. Hier werden Wechselwirkungen analysiert und reflektiert und schließlich gesellschaftliche und kulturelle Handlungs- und Gestaltungsmög- lichkeiten entwickelt. Explizit gilt es dabei aber für den Sachunterricht weitere Systematiken zu nut- zen, wie die doppelte Anschlussfähigkeit an kindliche Lebenswelt und fachliches Weiterlernen und die damit verbundene Polarität bzw. Vielfalt der Zugänge und die fruchtbare Orientierung an Grunddimensionen unseres Lebens und entspre- chenden Perspektiven und deren Vernetzung für das Welterschließen (GDSU doi.org/10.35468/5935-02 26 | Friedrich Gervé 2013, 12 ff.). Dieses Spektrum vielperspektivischer, kompetenz- und handlungs- orientierter Zugänge geht weit über das Lernen mit Medien hinaus. Unterrichtspraktisch realisieren lässt sich in Anlehnung an das Dagstuhl- bzw. Frankfurt-Dreieck vor allem der Anspruch der Vernetzung. Das heißt, wir kon- struieren keine losgelösten Codierkurse, dann oder davor Übungen zur An- wendung digitaler Werkzeuge und daneben – wieder separiert – Impulse zum Nachdenken über gesellschaftlich-kulturelle Implikationen und Konsequenzen. Vielmehr sollten wir Lernangebote und Aufgaben zu den drei Seiten entwickeln, die sich jeweils direkt aufeinander und auf die Lebenswelt der Kinder beziehen. Vor allem für die hier als gesellschaftlich-kulturelle Perspektive bezeichnete Seite können wir das gesamte Potenzial unserer Perspektiven nutzen, indem wir neben Gesellschaft, Politik und Kultur auch die Dimensionen Natur, Raum, Zeit und Wandel in die Frage „Wie wirkt das?“ einbinden. Eine solche direkte Vernetzung ergibt sich z.B. wenn Kinder explorativ lernen, einen Roboter zu programmieren (Codieren der für die spätere Problemlösung notwendigen Befehle), dann die Aufgabe bekommen, ihn in Anlehnung an ei- nen Pflegeroboter so zu programmieren, dass er ihnen auf einen Sprachbefehl hin etwas bringt (Problemlösen) und schließlich Vor- und Nachteile von zuvor entworfenen Wunschrobotern diskutieren (Reflektieren). Durch die unmittelbare Kombination der drei Aufgaben wird die Vernetzung mehrerer fachlicher Per- spektiven explizit gefördert, weil die Kinder sich in einem Sinnzusammenhang Gedanken sowohl über technische Realisierungen, deren gesellschaftliche und gesundheitliche Auswirkungen als auch über Ursachen und Wirkungen des histo- rischen Wandels machen. Der Versuch, entsprechende Aufgabentrippel zu entwickeln, macht die Heraus- forderung deutlich, die wir den Kindern zumuten, wenn wir meinen, sie würden unsere isolierten Bemühungen in den einzelnen Perspektiven schon irgendwie zu- sammenbringen. Allzu leicht sind wir geneigt, mit Lernangeboten zur technolo- gischen Perspektive zu beginnen und Schritt für Schritt grundlegende Codier-Be- fehle einzuführen, offenbar im Glauben an eine damit vermeintlich grundgelegte Anwendungs- und Transferfähigkeit. Wird aber der sinnstiftende Zusammenhang nicht eben gerade in den gesellschaftlich-kulturellen Fragen deutlich, also den Wechselwirkungen? Warum also nicht von hieraus das Trippel denken und be- schreiben? Bspw. könnten wir den Kindern im Sinne Montessoris (2007, 117 ff.) Kosmischer Erziehung zunächst den Blick auf das Ganze geben oder sachunter- richtsdidaktisch vom Phänomen aus die Welt erschließen, das Fragen nach Struk- turen und Funktionen aufwirft und vor Probleme stellt. Ein anderes Aufgabenbeispiel wäre zum autonomen Fahren und beginnt mit der Frage nach der Bedeutung der Automatisierung, den Vor- und Nachteilen, den Wirkungen (Reflexion). Dann, aber eben gleich eng gekoppelt, erobern die Kinder die funktionale Ebene des Programmierens, um die entwickelten Teilkompetenzen doi.org/10.35468/5935-02 Sachunterricht in der Informationsgesellschaft | 27 direkt modellhaft zur lebensweltlich relevanten Problemlösung zu nutzen, also an- zuwenden, indem ein Bus so programmiert werden soll, dass er autonom von einer Haltestelle zur anderen und zurückfährt. Zurück zur gesellschaftlich-kul- turellen Seite des Dreiecks (Reflexion) wird die Ausgangsfrage ergänzt um einen Blick in die Geschichte mit Fragen nach Gründen und Folgen veränderter Mobi- lität oder erweitert um andere Bereiche, in denen automatisiert wird. Mit weiteren Aufgaben wird Fragen nachgegangen, wer solche Prozesse wie regelt, regeln darf oder muss und wer wie daran beteiligt ist. Im besten Fall nutzen die Kinder nun ihre auf den anderen Ebenen gewonnenen Erkenntnisse, um differenzierter zu analysieren, tiefer auch im Blick auf die Zukunftsgestaltung zu reflektieren und sich schließlich zu positionieren. Für die Suche nach Zugängen bleibt das Prinzip der Begegnung zentral und das vielleicht besonders für die Informationsgesellschaft, die in Gefahr ist, Begegnung aufzulösen in den Austausch von digitalisierbaren Informationen. Andererseits bieten digitale Medien neue Möglichkeiten (Irion & Scheiter 2018, 8 ff.) und vor allem Anlässe für Begegnungen, mit Sachen der Informationsgesellschaft, mit anderen in der Diskussion um Phänomene der Informationsgesellschaft und mit sich selbst, zum Beispiel in der Reflexion der eigenen Mediennutzung. Wenn Irion (2020, 49 ff.) die gängige Beschreibung einer digital geprägten Welt unter dem Primat des Pädagogischen ganz explizit erweitert um die als Bildungs- auftrag formulierte Gestaltungsaufgabe und titelt „in einer digital geprägten und gestaltbaren, mediatisierten Welt“, betont er das Kreative und Kommunikative beim Welterschließen. Das Prinzip der Begegnung fordert den Sachunterricht aber auch immer wieder heraus, das Analoge zu suchen und als Alternative zu dem zu sichern, was unter dem Schlagwort der Digitalisierung der Schule gerade aktuell zuweilen völlig unreflektiert gefordert wird. Ob und wie ein enger Rück- bezug vielperspektivisch vernetzter Zugänge auf die Lebenswelt der Kinder den Anspruch auf den Aufbau von Anwendungs- bzw. Transferkompetenzen für ihre individuelle und gemeinschaftliche Handlungsfähigkeit in der Informationsge- sellschaft tatsächlich einlösen kann, ist eines der aktuellen Forschungsdesiderate. Zusammengefasst wäre die These zu wagen oder zumindest die Frage in den Raum zu stellen, ob nicht vielleicht bei einer sachunterrichtsdidaktischen Re- konstruktion dessen, was Informationsgesellschaft ausmacht, weniger Lerngegen- stände herauskommen, die im engeren Sinne der Informatik zuzuordnen wären, als vielmehr solche, die wir mit Demokratiebildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung in Verbindung bringen. doi.org/10.35468/5935-02 28 | Friedrich Gervé Literatur Adamina, M., Kübler, M., Kalcsics, K., Bietenhard, S. & Engeli, E. (Hrsg.) (2018): „Wie ich mir das denke und vorstelle ...“. 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This article looks at the importance of digital media for education and participation – both in terms of challenges and potential. First, the in- teraction between social inequality and digital media (‘digital inequality’) is discussed. Here, various dimensions of participation regarding digital media are considered. Afterwards, the article takes a closer look at a specific group: Young people with refugee experiences as a group with severe barriers to participation. Empirical data show that digital media have a high relevance for their daily life and their social participation. In this context, first findings of the BMBF joint project “Educational Participation of Refugees in Digitized Educational Arrangements” (BIGEDIB) are presented. In ad- dition, the results of an analysis of children‘s and youth media on the subject of refuge are discussed. The article closes with implications for education. The author demands a stronger integration of the topic of inclusive media education in the training and further education of pedagogues and emphasizes the importance of anchoring media education as a school subject. 1 Einleitung Die Lebenswelt Heranwachsender ist hochgradig mediatisiert und digitalisiert wie Mediennutzungsstudien seit vielen Jahren immer wieder zeigen. Dies macht Kin- der und Jugendliche jedoch nicht per se zu medienkompetenten Nutzer*innen, welche dazu fähig sind, eine kritisch-reflexive Sicht auf Medien(inhalte) einzu- nehmen, sich kreativ-gestalterisch mit (digitalen) Medien auseinanderzusetzen sowie profunde Kenntnisse über Produktionsbedingungen von Medien(inhalten) zu haben (u.a. Baacke 1996). Hiermit einhergehend kommt dem Bildungssystem die Aufgabe der Medienbildung zu, d.h. die Anregung und Begleitung von Bil- dungs-, Erziehungs- und Lernprozessen im Kontext (digitaler) Medien(inhalte). doi.org/10.35468/5935-03 Digitale Ungleichheit und inklusive Medienbildung | 31 Die KMK-Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ benennt in diesem Zusam- menhang verschiedene Kompetenzbereiche, die Lehrkräfte im Rahmen ihres Un- terrichts fördern müssen (KMK 2017). Es handelt sich bei Medienbildungsarbeit also um einen Bereich, der sich an alle Menschen und hierbei dezidiert in Form von Schule und außerschulischer Bildung an Kinder und Jugendliche richtet, die darin unterstützt werden sollen, die Chancen digitaler Medien für sich entspre- chend der eigenen Bedürfnislagen nutzen zu können. Die empirische Datenlage zeigt jedoch auf, dass manche Personen besonders auf eine solche Unterstützung angewiesen sind. So entstehen einhergehend mit dem familiären Mediennut- zungs- und -erziehungsverhalten – moderiert durch den sozioökonomischen Hin- tergrund und sozial-emotionale Lebensbedingungen – bereits ab frühester Kind- heit digitale Ungleichheiten (Kutscher 2019), die sich ins weitere Kindheits- und Jugendalter fortsetzen. Eine zentrale Herausforderung für das Bildungssystem ist es in diesem Zusammenhang, inklusive Bildungsangebote zu schaffen und da- mit die gesellschaftliche Teilhabe, die maßgeblich auch durch eine Teilhabe an Bildung im Kontext digitaler Medien bestimmt ist (Zorn, Schluchter & Bosse 2019), im Hinblick auf Personen(gruppen), die von Benachteiligung betroffen sind, zu stärken. Im vorliegenden Beitrag wird die Bedeutung digitaler Medien für Bildung (Jö- rissen & Marotzki 2009) und Teilhabe betrachtet – sowohl im Hinblick auf He- rausforderungen als auch auf Potenziale für die Stärkung von Teilnahme. Den Ausgangspunkt der Argumentation stellen digitale Ungleichheiten dar. Ein de- zidierter Blick wird auf die Mediennutzung junger Menschen mit Fluchterfah- rung geworfen, da es sich hier um eine pädagogische Zielgruppe mit deutlichen Barrieren für Teilhabe handelt. Einerseits werden hierbei empirische Ergebnisse aus dem BMBF-Verbundprojekt BIGEDIB (Bildungsteilhabe Geflüchteter in digitalisierten Bildungsarrangements) vorgestellt. Andererseits werden mediale Darstellungen über das Thema Flucht und geflüchtete Menschen anhand von Analyseergebnissen zu Kinder- und Jugendmedien präsentiert und Möglichkeiten aufgezeigt, eine solche mediale Auseinandersetzung mit dem Thema Flucht in der Schule – beispielsweise im Sachunterricht – umzusetzen. Der Beitrag schließt mit Implikationen und hebt die Bedeutung der Verankerung von Medienbildung als Schulfach sowie einer stärkeren Integration von Inhalten zu inklusiver Medienbil- dung in Aus- und Weiterbildung von Pädagog*innen hervor. Einordnend ist noch zu erwähnen, dass der vorliegende Beitrag im Anschluss an einen Keynote-Vortrag auf der 30. Jahrestagung der Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts „Sach- unterricht in der Informationsgesellschaft“ entstanden ist. doi.org/10.35468/5935-03 32 | Henrike Friedrichs-Liesenkötter 2 Digitale Medien – Ungleichheiten – Teilhabe 2.1 Digitale Ungleichheit Digitale Medien durchdringen alle Sozialisationskontexte (Theunert 2015) und damit auch entsprechend pädagogische Institutionen wie die Kindertagesstätte (zumindest dahingehend, dass Kinder eigene Medienpräferenzen in die Einrich- tung hineintragen), die Schule und auch die außerschulische Bildungsarbeit, beispielsweise indem hier mittels ‚Playstation‘ im Kinder- und Jugendzentrum gemeinsam gespielt wird. Ausgehend von der Familie als primärem Ort der ersten Medienerfahrungen und damit auch der Bedeutung von soziokulturellem Hintergrund und Bildungsstand der Eltern und deren (Medien-)Erziehungskonzept zeigt sich bereits im frühen Kindesalter (Paus-Hasebrink 2021), dass die Qualität der Mediennutzung in en- gem Zusammenhang mit Aspekten der sozialen Ungleichheit und damit Teilhabe steht. Ungleichheit ist hierbei so zu verstehen, dass sozio-ökonomische und sozi- al-emotionale Lebensbedingungen bzw. nach Bourdieu (1983) das ökonomische, kulturelle und soziale Kapital prägende Faktoren für Präferenzen und habituelle Ausprägungen der Mediennutzung sind (Kutscher 2019). Eltern kommt in die- sem Kontext eine hohe Vorbildfunktion zu, da familiäre mediale Gewohnheiten, die in Kindheit und Jugend erworben werden, relativ konsistent sind, was Bart- helmes und Sander (2001, 247) als „kulturelles Erbe“ bezeichnen. Hierbei zeigen empirische Erkenntnisse, dass Jugendliche mit formal niedrigerem Bildungshin- tergrund Medienangebote anders nutzen als solche mit höherem Bildungshin- tergrund, d.h. beispielsweise, dass eher eine unterhaltungsorientierte statt infor- mationsorientierte Nutzung stattfindet – und dies wiederum auch gekoppelt mit schlechteren Suchstrategien im Internet ist (siehe für einen Überblick zu digitaler Ungleichheit Iske & Kutscher 2020). Die Medienkompetenz ist folglich entspre- chend weniger ausgebildet wie auch die international angelegte repräsentative Vergleichsuntersuchung ICILS 2018 wiederholt aufgezeigt hat: So bestehen im Hinblick auf den Erwerb computer- und informationsbezogener Kompetenzen von Schüler*innen (Achtklässler*innen) deutliche Zusammenhänge zur sozialen Herkunft sowie zu Migrationshintergrund (Eickelmann, Bos & Gerick 2019), sodass im Kontext von Medienbildungsarbeit in der Schule und damit auch der Förderung von computer- und informationsbezogener Kompetenzen sich Wis- sensklüfte sogar vergrößern dürften (Bonfadelli 2021; Müller 2019). 2.2 Zum Verhältnis von digitalen Medien und Teilhabe Die Ausführungen zeigen auf, dass digitale Medien und ihre Verankerung in verschiedenen Erziehungs-, Bildungs- und Sozialisationskontexten eine bedeu- tende Rolle für Teilhabe zukommt – moderierend wirken hierbei gesellschaftliche Strukturen und damit auch der soziale Hintergrund der Akteur*innen. Teilhabe doi.org/10.35468/5935-03 Digitale Ungleichheit und inklusive Medienbildung | 33 umfasst verschiedene Dimensionen und wird in der Literatur auf verschiedene Lebensbereiche wie Arbeitsmarkt, Bildung oder auf soziale Beziehungen bezogen. Teilhabegrade und -qualitäten bedingen sich dabei gegenseitig und unterliegen zeitlichen Veränderungen, sodass Teilhabe „nur als ein dynamischer Begriff ver- standen werden [kann], da sich im Laufe der Zeit Formen und Qualitäten, Wider- sprüchlichkeiten und Ergänzungen, prekäre und stabile Modalitäten von Teilhabe immer wieder verändern können“ (Dietrich 2017, 30). Bildung nimmt insofern eine gesonderte Stellung ein, dass nicht nur Teilhabe an Bildung gleichermaßen und ‚gerecht‘ sichergestellt werden, sondern gesellschaftliche Teilhabe durch Bil- dung ermöglicht werden soll (a.a.O., 29 f.). Betrachtet man den Konnex von digital durchdrungenen Alltags- und Bildungssettings und Bildung, dann wird die Schlüsselstellung deutlich, welche digitale Medien mit Blick auf Teilhabe ein- nehmen (GMK Fachgruppe inklusive Medienbildung 2018): Einerseits ermögli- chen digitale Medien etwa eine Verbreitung und Rezeption von Wissensinhalten, eine Auseinandersetzung mit für den*die Einzelne*n subjektiv relevanten Inhal- ten, auch im Zuge der Identitätsarbeit (Ganguin, Nickel & Sander 2021) und schaffen zudem auch asynchrone Kommunikationsmöglichkeiten. Entsprechend kommt ihnen das Potenzial zu, bisher nicht erreichte pädagogische Zielgruppen zu adressieren und passgerechte Medienangebote zu schaffen, beispielsweise in Form individualisierter Lernangebote. Andererseits – und dies wurde bereits deut- lich – können digitale Medienangebote auch Ungleichheiten verstärken und Teil- habe einschränken. Während in der Vergangenheit von Seiten der Bildungspolitik und weiteren Ak- teur*innen, die sich mit Bildung und auch digitaler Bildung beschäftigen, fast ausschließlich das Potenzial benannt wird, durch eine fortschreitende Digitali- sierung von formalen und non-formalen Bildungsorten die (Bildungs)Teilhabe benachteiligter Personengruppen zu fördern (u.a. KMK 2017 und den sich daran anschließenden „DigitalPakt Schule“ (BMBF 2019; Bitkom 2018)), wird in neu- eren Dokumenten – vermutlich nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen mit digi- talem Lernen in Zeiten der Covid 19-Pandemie – betont, dass eine Zunahme an Digitalität in Bildungssettings gerade nicht zu einem Ausschluss benachteiligter Gruppen führen darf (UNESCO 2021; Europäische Kommission 2020). Betrachtet man das Thema Medien und Teilhabe bzw. Medien und Ungleich- heit, müssen verschiedene Dimensionen beleuchtet werden: Diese umfassen u.a. den Umgang mit digitalen Medien – dies haben die Ausführungen bereits aufge- zeigt – sowie den Zugang zu digitalen Medien (Schluchter 2016). Mit Blick auf den Zugang zum Internet hat sich einiges getan, hierbei lässt sich nahezu von einer Vollausstattung in Haushalten sprechen, in denen 12- bis 19-Jährige leben. Auch ein Smartphone besitzen mit 93 Prozent fast alle Jugendlichen. Dennoch: 24 Prozent der 12- bis 19-Jährigen verfügen nicht über einen eigenen Laptop oder Computer (mpfs 2021a, 7). Diese Unterschiede im Zugang waren schon lange doi.org/10.35468/5935-03 34 | Henrike Friedrichs-Liesenkötter mit Blick auf Bildungsfragen und die Bearbeitung schulischer Aufgaben proble- matisch. Wie soll beispielsweise eine digitale Präsentation am Smartphone erstellt werden? Zumindest sind die Bedingungen hierfür deutlich erschwert, ebenso wie das Schreiben von längeren Texten ohne Computertastatur und nur mit kleinem Smartphone-Bildschirm sowie das Bearbeiten von Aufgaben in digitalen Lernum- gebungen. Mit dem Aufkommen der Corona-Pandemie und der zunehmenden Digitalität durch das sogenannte ‚Homeschooling‘ und überwiegend digitale Kommunikation wurde die Ungleichheit weiter zementiert (Wößmann, Freundl, Grewenig, Lergetporer, Werner & Zierow 2020). 3 Teilhabe im Zusammenspiel von Medien – Bildung – Flucht 3.1 Empirische Befunde des BMBF-Verbund-Projekts BIGEDIB Dies zeigen auch erste empirische Befunde des laufenden qualitativen 3,5-jäh- rigen BMBF-Verbundprojekts BIGEDIB (Bildungsteilhabe Geflüchteter in di- gitalisierten Bildungsarrangements), das in Zusammenarbeit der Universität zu Köln und der Leuphana Universität Lüneburg durchgeführt wird (Laufzeit 02 / 2019-07 / 2022). Die Forschungsfrage des Projekts lautet: Welche Gelingens- bedingungen und hemmenden Bedingungen bestehen für die Bildungsteilhabe jugendlicher Geflüchteter im Kontext digitalisierter Bildungsarrangements? Me- thodologisch konzipiert als ‚multi-sited‘ Ethnografie (Aden 2019) in neo-praxe- ologischer Perspektive liegt der Fokus auf der Rekonstruktion von Praktiken im Feld, aus denen Schlüsse für Gelingens- und hemmende Bedingungen gezogen werden. In drei Feldphasen wurden 27 junge Geflüchtete zwischen 12 und 24 Jahren, die sich hinsichtlich verschiedener Differenzkategorien (z.B. Geschlecht, Herkunftsland, Familienverhältnisse – z.B. begleitet vs. unbegleitet) unterschei- den, in das Sample aufgenommen. Das Projekt nimmt hierbei eine transorgani- sationale Perspektive ein (Eßer & Schröer 2019) und rekonstruiert Praktiken im formalen Bildungssetting Schule, im non-formalen Bildungssetting der Kinder- und Jugendhilfe und in informellen Bildungs- und Alltagssettings (z.B. Freizeit). Als Forschungsmethoden wurden teilnehmende Beobachtungen in den verschie- denen Bildungssettings, ethnografische Interviews mit Akteur*innen sowie Arte- faktanalysen digitaler Medien (Lueger & Froschauer 2018) umgesetzt. Metho- dologisch gerahmt ist das Projekt zudem durch die Grounded Theory (Strauss & Corbin 1990). Unser Forschungsprojekt fand in der Zeit der Covid-19-Pandemie und der Situa- tion der Schulschließungen und des Fernunterrichts statt. In diesem Zusammen- hang zeigte sich auch für die Gruppe der jungen Geflüchteten eine Verschärfung von Ungleichheiten in Bezug auf Teilhabe durch eine Zunahme an Digitalität doi.org/10.35468/5935-03 Digitale Ungleichheit und inklusive Medienbildung | 35 (Hüttmann, Fujii & Kutscher 2020). Hierbei wurden vier Dimensionen der Un- gleichheit identifiziert, die sowohl strukturelle Rahmenbedingungen, aber auch individuelle Fähigkeiten der jungen Geflüchteten umfassen: 1. Technischer Zugang zu digitalen Medien: Während der Schulschließungen wurden die Hausaufgaben von den Lehrkräften digital übermittelt und die Schüler*innen mussten an Online-Lernformaten teilnehmen. Dies erfordert eine technische Ausstattung wie Laptop oder Computer, Software, einen Dru- cker und einen stabilen Internetzugang. Daran mangelte es den jungen Ge- flüchteten jedoch oft, und auch wenn die meisten Schüler*innen ein Smart- phone besitzen, erwies sich dieses als unzureichend für die Bearbeitung der digital übermittelten Hausaufgaben. 2. Mangelnde Medienkompetenz: Selbst, wenn ein technischer Zugang vorhan- den war, zeigte sich eine begrenzte Medienkompetenz im Umgang mit dem Computer oder Laptop (im Unterschied zu Smartphones). Für einige der Schüler*innen war selbst die grundlegende digitale Kommunikation mit Lehr- kräften problematisch, da sie nicht in der Lage waren, eine E-Mail zu schrei- ben. 3. Begrenzte deutsche Sprachkenntnisse: Aufgrund der mangelnden Deutsch- kenntnisse fühlten sich einige der Schüler*innen überfordert, wenn sie Auf- gaben in deutscher Sprache selbständig erledigen mussten. Während der Schulschließungen war der Kontakt zwischen Lehrkräften und Schüler*innen eingeschränkt. Der Kontakt über digitale Medien konnte nicht das persönliche Gespräch ersetzen. 4. Unzureichende persönliche Unterstützungssysteme: Vor allem unbegleitete minderjährige Geflüchtete, insbesondere solche, die bereits in ihren eigenen Wohnungen leben und weniger pädagogische Unterstützung erhalten, fehlt die soziale Unterstützung durch Familie, Lehrkräfte und weitere Bezugspersonen. Im Zuge des digitalen Lernens und die dabei erforderlichen Selbstorganisati- onsfähigkeiten waren diese besonders herausgefordert. Dass der Kontakt zu Lehrkräften und Mitschüler*innen stark eingeschränkt war, führte zudem bei einigen der geflüchteten Jugendlichen zu einem verstärkten Gefühl von Ein- samkeit. 3.2 Kinder- und Jugendmedien zum Thema ‚Flucht‘ Neben dem Zugang und dem Umgang mit digitalen Medien sind als weitere Dimension im Zusammenspiel von Medien und Inklusion / Teilhabe mediale Darstellungen zu benennen. Dies soll ebenfalls am Themenkomplex Medien – Bildung – Flucht im Folgenden verdeutlicht werden. Mit Blick auf geflüchtete Menschen sind hierbei etwa Nachrichtenberichterstattungen und medial gestützte gesamtgesellschaftliche Diskurse zu betrachten, durch welche ein Agenda Setting stattfindet, d.h. das Setzen von gesellschaftlich diskutierten Themen über mediale doi.org/10.35468/5935-03 36 | Henrike Friedrichs-Liesenkötter Berichterstattung (wie etwa im Anschluss an die Übergriffe auf Frauen in der Köl- ner Silvesternacht 2015 / 16). Des Weiteren zählen hierzu auch mediale Formate, die sich an Kinder und Jugendliche richten und das Thema Flucht behandeln: Eine qualitative Inhaltsanalyse (Kuckartz 2018) von 52 Kinder- und Jugendme- dien aus den Jahren 2013-2016 mit den Zielstellungen, einen Überblick über die Medienangebote zu bekommen, die Darstellung von geflüchteten Menschen zu analysieren und hierbei sowohl die Zielgruppe als auch Möglichkeiten und Gren- zen für den pädagogischen Einsatz der Materialien einzuschätzen (Friedrichs-Lie- senkötter & von Gross 2017), kam zu folgenden Schlüssen: Es zeigt sich eine Fülle an Materialien: Am häufigsten sind darunter Medien, die dem Bereich Dokumentationen / Reportagen / Wissenssendungen / Nachrich- ten (explizit für Kinder) zuzuordnen sind (22 Stück), danach folgen Bücher (13 Stück), darunter beispielsweise ‚Bestimmt wird alles gut‘ der Kinderbuchautorin Kirsten Boie. Weitere Medien zählen zu den Bereichen Serious Games (Com- puter- / Onlinespiele zu einem bestimmten Bildungsinhalt), Webtalk (Online-ge- streamtes Gespräch), Videoblog (Internetblog, basierend auf Videos), Kinderserie fiktional, Zeitschriften und Radiobeitrag oder stellen didaktisch aufbereitetes Ma- terial für den Unterricht oder anderweitige Bildungsarbeit dar. Die analysierten Kinder- und Jugendmedien zum Thema Flucht haben meistens kindliche oder jugendliche Protagonist*innen. Diese dienen als Identifikationsfiguren für junge Rezipient*innen; der Inhalt wird in den meisten Fällen auf eine emotionale Art präsentiert, indem die schicksalhaften Erfahrungen von Kindern und Jugend- lichen bzw. deren Familien dargestellt werden. Der Großteil der analysierten Kin- der- und Jugendmedien richtet sich an in Deutschland aufgewachsene Kinder und Jugendliche und scheint als Zielstellung die Informationsvermittlung und die Stärkung von Empathie für geflüchtete Menschen zu haben. Die inhaltliche und didaktische Qualität von Kinder- und Jugendmedien zum Thema Flucht unter- scheiden sich jedoch deutlich, so fehlen teilweise relevante Hintergrundinformati- onen für kindliche / jugendliche Mediennutzer*innen (z.B. Was ist ein Schlepper? o.Ä.), sodass Pädagog*innen entsprechende Informationen bereitstellen müssen. Zudem wird die Ziel- bzw. Altersgruppe teilweise nicht klar benannt oder – aus unserer Sicht – auch teilweise verfehlt, was den Einsatz in Bildungskontexten er- schwert. Beispielsweise ist das qualitativ hochwertige Medium ‚Akim rennt‘ vom Verlag ab 6 Jahren empfohlen, was angesichts der Dramatik der skizzenhaften Zeichnungen irritiert. Die Auseinandersetzung mit gesamtgesellschaftlichen The- matiken wie dem Thema ‚Flucht‘ ist eine zentrale Bildungsaufgabe. Der Sachun- terricht in der Grundschule kann in diesem Zusammenhang ein Feld darstellen, in dem eine solche inhaltliche Auseinandersetzung anhand medialer Darstellungen stattfindet. Digitale, aber auch analoge Kinder- und Jugendmedien können in diesem Kontext zur Information und Wissensvermittlung, als Gesprächsimpuls und zur Anregung von Reflexionsprozessen dienen. Ihr Einsatz erfordert – gerade doi.org/10.35468/5935-03 Digitale Ungleichheit und inklusive Medienbildung | 37 auch angesichts der Sensibilität der Thematik und möglicher Migrations- und Fluchterfahrungen von Schüler*innen – eine besonders gezielte Vor- und Nach- bereitung der Lehrkräfte und ggf. auch eine Zusammenarbeit mit weiteren Ak- teur*innen (z.B. hinsichtlich Traumabewältigung). 4 (Inklusive) Medienbildung als zentrale Bildungsaufgabe Soziale Ungleichheiten können sich im Zuge einer verstärkten Digitalität, wenn soziale persönliche Unterstützungsangebote und Möglichkeiten des informellen direkten Austausches wegfallen, verstärken – dies hat nicht zuletzt die Covid 19-Pandemie aufgezeigt, sowohl für geflüchtete Schüler*innen ebenso wie für andere Schüler*innen in benachteiligten Lebensverhältnissen (siehe oben). Auf der anderen Seite haben digitale Medien auch viele teilhabeförderliche Poten- ziale, allein schon im Hinblick auf Unterstützungsmöglichkeiten im Alltag wie Übersetzungen, Navigationsmöglichkeiten und die Breite an Informationen des Internets. Mit Blick auf die Aus- und Weiterbildung von Pädagog*innen, d.h. von Lehrkräften ebenso wie von Pädagog*innen der außerschulischen Bildung (z.B. Kinder- und Jugendhilfe), ist eine curricular verankerte Auseinandersetzung mit dem Zusammenspiel von sozialer Ungleichheit und der Möglichkeit, Me- dien(inhalte) teilhabeförderlich zu nutzen – beispielsweise mit Blick auf ein digital gestütztes Lernen – unerlässlich. Ebenso muss in der medienpädagogischen Elternarbeit, die ab der frühen Bildung umgesetzt werden sollte, die Thematik aufgegriffen werden – auch über Peer-Pro- jekte wie Eltern-Talk, in denen Eltern sich gegenseitig im informell angelegten Rahmen mit Blick auf Fragen der Medienerziehung unterstützen. Inklusive medienpädagogische Projekte, mit der Zielstellung, Teilhabe zu stär- ken und Personen(gruppen) eine ‚Stimme‘ zu geben und sich mit eigenen Erfah- rungen auseinanderzusetzen, werden sowohl in schulischer als auch in außerschu- lischer Bildung benötigt. Diese sind jedoch voraussetzungsvoll und müssen gut geplant werden, auch hinsichtlich der Möglichkeiten der Umsetzung bei schlech- ten Deutschkenntnissen. So berichtete mir beispielsweise eine Medienpädagogin in einem Forschungsprojekt, dass ein gemeinsam angedachtes Videoprojekt mit geflüchteten und nicht geflüchteten Jugendlichen aufgrund einer ungleichen Ge- schlechterzusammensetzung, einer schlechten Verkehrsanbindung und dem Um- stand, dass die Jugendlichen sich vorab noch gar nicht kannten, scheiterte. Im Gegensatz dazu bezeichnete eine andere Pädagogin die Teilnehmer*innen eines Videoprojekts als ‚Familie‘ und wies auf die intensiven Zuwächse in der deutschen Sprache hin (Friedrichs-Liesenkötter & Schmitt 2017, 11). doi.org/10.35468/5935-03 38 | Henrike Friedrichs-Liesenkötter Hinzu kommt, um dem Ausschluss von Menschen von zentralen Bereichen und Ressourcen der Gesellschaft entgegenzuwirken und Inklusion zu erzielen, dass auch die Medienangebote selbst inklusiv gestaltet werden müssen. Dies bedeutet im Zuge von Barrierefreiheit beispielsweise, dass Personen mit körperlichen Be- einträchtigungen (etwa Einschränkungen der Hör- oder Sehfähigkeit) durch tech- nische Möglichkeiten dieselben Angebote nutzen können müssen, wie Personen ohne entsprechende Einschränkung, notwendig ist dazu die Bereitstellung von technischen Unterstützungsmöglichkeiten – nach wie vor ist die Medienvielfalt hierbei eingeschränkt für die betreffenden Gruppen (Aktion Mensch 2020). Abschließend ist noch zu formulieren, dass sich Medienbildungsarbeit natürlich nicht nur an diejenigen richtet, die als potenziell benachteiligt wahrgenommen werden. Angesichts der Komplexität der Medienwelten und -kulturen, in denen wir alle uns bewegen, ist es dringend geboten, die Medienbildungsarbeit in allen Bildungskontexten zu stärken. So spricht Krotz (2021, 8) im Zuge einer digita- lisierten Lebenswelt von einer „überwältigende[n] Welt voller manipulativer und lenkender Vereinfachungen […], in der ein Kind lernen soll, sich die Welt zu- gänglich zu machen und anzueignen“. Eine zentrale Bildungsaufgabe sind die Anregung von Reflexionsprozessen und die Förderung von Medienkritik (Baacke 1996; Ganguin & Sander 2015), sodass Kinder und Jugendliche darin gestärkt werden, Medienerfahrungen entsprechend einordnen und auch entsprechende Strategien bei negativen Nutzungserfahrungen anwenden zu können. Der Schu- le kommt mit Blick auf Medienbildung hierbei eine besondere Bedeutung als der Ort zu, über den alle Kinder und Jugendlichen adressiert werden können. Bezogen auf die Grundschule ist vor allem das Unterrichtsfach Sachunterricht „[a]ufgrund seiner welterschliessenden Kernaufgabe und seines vielperspekti- vischen Prinzips“ (Kunkel & Peschel 2020, 455) gefordert, Medienbildung um- zusetzen bzw. auf Seiten der Heranwachsenden anzuregen. Dieser Auftrag für den Sachunterricht ist eng an das Verständnis des Sachunterrichts geknüpft, die Unterrichtsinhalte an der Lebenswelt auszurichten (a.a.O., 461). Laut der KIM-Studie 2020 verfügen bereits 50 Prozent der Sechs- bis 13-Jährigen über ein eigenes Handy bzw. Smartphone (mpfs 2021b, 12) und 65 Prozent sind sehr interessiert bzw. interessiert an Internet / Computer / Laptop, weitere 61 Prozent interessieren sich (sehr) für Computer- / Konsolen- / Onlinespiele (a.a.O., 7). Ent- sprechend wird mit der zunehmenden Mediatisierung und Digitalisierung auch die Aufgabe der Medienbildung dringlicher. Um der Relevanz und der Vielfalt des Bereichs der Medienbildung Rechnung zu tragen, ist über den Sachunterricht hinaus jedoch eine noch explizitere curriculare Verankerung dringend notwendig – über ein Unterrichtsfach Medienbildung ab dem Grundschulalter und über alle Schulformen hinweg. Zentral ist – und dies gilt für jedes Unterrichtsfach, das Medienbildung anregen will: Es darf nicht (nur) das Lernen mit digitalen Medien im Fokus stehen, sondern es müssen dezidiert doi.org/10.35468/5935-03 Digitale Ungleichheit und inklusive Medienbildung | 39 vor allem Lern- und Bildungsprozesse angeregt werden, in dem Kinder und Ju- gendliche über digitale Medieninhalte und Medienerfahrungen reflektieren und Medienkompetenzen erwerben (Bildungs- / Lernprozesse über Medien). Hiermit einher geht eine gestalterische, kreative Auseinandersetzung mit digitalen Medien, z.B. über Film-, Foto- oder Podcastaufnahmen, Trickfilmerstellung oder Bildungs- arbeit im Anschluss an die Maker-Bewegung (z.B. Arbeiten mit 3D-Drucker). Ein weiteres Beispiel ist das Coden, die Eingabe von Programmierbefehlen, z.B. zur Gestaltung von Websites, das bspw. über Mini-Computer wie etwa den Calliope mini umgesetzt werden kann. Ziel des Einsatzes ist es, eine erste (auch kritische) Auseinandersetzung mit Algorithmen anzuregen; hierzu wird mit Blick auf den Calliope mini in den dazugehörigen Unterrichtsmaterialien auch explizit Bezug auf den Sachunterricht genommen (Cornelsen 2017). Literatur Aden, S. (2019): Multi-sited ethnography als Zugang zu transnationalen Sozialisationsprozessen unter Flucht- und Asylbedingungen. In: Behrensen, B. & Westphal, M. (Hrsg.): Fluchtmigrationsfor- schung im Aufbruch. Methodologische und methodische Reflexionen. Wiesbaden, S. 225-250. 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It can be understood as an approach to balance the role of ideas and artifacts, instead of focussing only either of them. 1 Informatik und Grundschule – Worum geht es? „Nein – braucht man nicht!“ So die entschiedene Antwort meines gerade die Grundschule verlassenden Kindes, als es ein Telefonat von mir in Bezug auf die- sen Text mitgehört hat, in dem es um informatische Bildung in der Grundschule gehen soll. Ich habe mich dann doch noch getraut, nach einer Begründung zu fragen: „Also, das mit Programmieren und so, das ist zu schwierig und das können unsere Lehrer auch nicht. Und so mit Handys, was man damit machen kann und so, das wusste ich alles schon und das ist doch auch gar nicht Informatik, oder?“ Den Verweis auf die Diskussion über informatische Bildung in der Grundschule habe ich nicht gemacht, sondern für diesen Abschnitt sozusagen aufgespart. 2018 hat die Stiftung Haus der kleinen Forscher die Ergebnisse einer Arbeitsgruppe zu dieser Diskussion veröffentlicht (Bergner, Köster, Magenheim, Müller, Romeike, Schroeder & Schulte 2018). Bereits ein Jahr später, 2019, hat die Gesellschaft für Informatik Bildungsstandards Informatik für die Grundschule veröffent- licht (Best, Borowski, Büttner, Freudenberg, Fricke, Haselmeier, Herper, Hinz, Humbert, Müller, Schwill & Thomas 2019). Derzeit (Ende 2021) findet sich ein Positionspapier zur Implementierung informatischer Bildung in Grundschulen in Abstimmung, das in der informatikdidaktischen Zeitschrift LOG IN veröf- fentlicht wurde (Best, Brämer, Frederking, Geldreich, Goetz, Herper, Humbert, Kortenkamp, Krauthausen, Laderl & Schulte 2021). In diesem wird wiederum kurz die Diskussion aufgegriffen und zwei Linien gegenübergestellt: zum einen die Rolle informatischer Bildung für die Entwicklung eines informatischen Zugangs doi.org/10.35468/5935-04 Digitale Technologien und informatische Bildung | 43 zur Welt, wie sie etwa im Computational Thinking diskutiert wird. Hierzu gehört auch das Programmieren. Zum anderen das Verstehen digitaler Artefakte, wie etwa das Handy. Dazu zählen dann auch Kenntnisse zur Bedienung und Möglichkeiten der Artefakte. Im kurz zitierten Statement meines Sohnes wurden tatsächlich genau diese beiden Facetten informatischer Bildung für den Grundschulkontext angesprochen und abgelehnt. Nicht genau deswegen, aber tatsächlich möchte ich in diesem Text eine dritte Möglichkeit vorschlagen, wie informatische Bildung in der Grundschule konzipiert werden könnte. Diese Variante lässt sich in einer soziotechnischen Sichtweise verorten, die das Verhältnis von Mensch und digitalem Artefakt in den Mittelpunkt stellt. In meiner Arbeitsgruppe nennen wir diese Perspektive die der hybriden Interaktionssysteme (kurz: HIS). In seiner kleinsten Form besteht ein solches HIS aus menschlichem Akteur, technischem Akteur (oder: Aktant) und einem Interaktionsprozess zwischen diesen beiden. Im Folgenden wird die Idee des HIS kontextualisiert und vorgestellt. 2 Informatikdidaktische Positionen Zunächst soll die Genese des Konzepts des HIS erläutert werden, damit die Ziel- richtung deutlich wird. Informatische Bildung führt nicht zum ersten Mal eine Debatte um die passende bildungstheoretische Konzeption eines möglichen Fachs oder Lernbereiches – nur dass es in Deutschland in früheren Debatten zumeist v.a. um die Sekundarstufen ging. Der erste dieser Ansätze war die Rechnerkunde, die Anfang der 1970er Jahre, wie der Name schon sagt, den Aufbau und die Funktionsweise der neuen Informati- onstechnologien in den Mittelpunkt stellte. Über das Verstehen der grundlegen- den Konzepte der Technik sollte dann die Bedeutung für Mensch und Gesellschaft im Sinne eines prinzipiellen Abschlusses der technikgeschichtlichen Entwicklung des Menschen deutlich werden. Während vorherige bzw. analoge Technologien physische bzw. physikalische Prozesse, mithin physische Arbeit automatisieren, eröffnet sich nun die Möglichkeit, geistige Prozesse und damit geistige Arbeit zu automatisieren (damals nannte man dies Objektivieren). In der unterrichtsprak- tischen Realisierung standen dann die technischen Details der Technologie auf sehr basaler Ebene im Vordergrund, sodass sich daran recht schnell Kritik entzün- dete. Noch in den 1970er Jahren schlug die Gesellschaft für Informatik dann den algorithmischen Ansatz vor, um den Schwerpunkt von der konkreten Technologie auf Problemlösekompetenzen durch Finden algorithmischer Lösungen zu legen. Hierzu zählen auch projektartige Vorgehensweisen und Programmierprojekte. Das Ziel dieses algorithmischen Denkens wird heute als Computational Thinking in einer zeitgemäßen Variante (aufbauend auf dem populären Ansatz von J. Wing doi.org/10.35468/5935-04 44 | Carsten Schulte (2006) etwas breiter gefasst, hat sich aber im Grunde nicht wesentlich verändert (Doleck, Bazelais, Lemay, Saxena & Basnet 2017). Nach wie vor werden Problem- lösefähigkeiten als wichtige Ziele gesehen und vermutet, dass diese wichtig für das spätere Leben sind, wobei sich die Zusammenhänge, etwa zur akademischen Performance, kaum empirisch nachweisen lassen (a.a.O.). Während diese erste Begründung der Algorithmenorientierung also auf etwas wackeligen Beinen steht, kann für die zweite Begründung ein recht breiter Konsens angenommen werden. In diesen projektartigen Problemlöseprozessen sind grundlegende Denkfähigkei- ten und insbesondere auch grundlegende Ideen und Konzepte der Informatik gefragt, etwa die Bausteine algorithmischen Denkens: Anweisung, Auswahlent- scheidung und Wiederholungsstrukturen. Plakativ zusammengefasst: „Ideas, not artefacts!“ Anstelle der je zeitgemäßen, aber schnell alternden technischen und technologischen Umsetzung (den Artefakten) sollen die grundlegenden und lang- lebigen Konzepte der Informatik im Mittelpunkt stehen. Eine populäre Spielart dieser Ansicht in dieser Hinsicht ist der Ansatz der Fundamentalen Ideen der Informatik (Schwill 1993). Mit dieser Hinwendung bzw. dieser Ausschärfung der Rolle der fachwissenschaft- lichen Konzepte und Ideen ist zwar die Wissenschaftsorientierung und die An- bindung an die Hochschuldisziplin Informatik gestärkt worden und hat sich als durchaus langlebig erwiesen – Inhalte des Informatikunterrichts aus den 1980er Jahren bis heute finden sich aktuell auch noch in den ersten Semestern des In- formatikstudiums: Grundkonzepte der Algorithmik und des Programmierens, grundlegende Themen aus der technischen und der theoretischen Informatik so- wie aus der angewandten Informatik (etwa Datenbanken). Diese Inhalte sind aber doch sehr weit losgelöst vom lebensweltlichen Umgang mit digitalen Artefakten. Die Heimcomputer der 1980er Jahre erforderten noch ein an diesen abstrakten Konzepten und am Programmieren angelehntes Umgehen ‚auf der Kommando- zeile‘; zeitgenössische Artefakte sind mit ihren Benutzungsschnittstellen aber sehr viel stärker an Konzepten der Anwendungsdomäne ausgerichtet als an den inter- nen Fachkonzepten der Informatik. Mit anderen Worten: Der Lebensweltbezug dieser Sichtweise auf informatische Bildung findet sich heutzutage tatsächlich eher in der analogen Welt, in der man Vorgänge zum Beispiel algorithmisch als Rezept beschreiben kann. Er ist aber nur schwer auf die Interaktionserfahrung mit Smartphone, Sprachdialogsystemen und Co. übertragbar, die sich immer stärker in den Aufgaben- und Interaktionskontext integrieren und nicht als ‚simple‘ algo- rithmische Systeme erscheinen möchten. Ausgehend von Untersuchungen wie sich die Nutzung von Computern auf In- teresse an Informatik und auf das Nutzungsverhalten auswirken, d.h. ausgehend von der Auswertung von Computerbiografien (Schulte & Knobelsdorf 2007), liegt folgendes Bild nahe: Es gibt die so genannten digital Insider, die sich für die Technik und deren Funktionsweise interessieren und diese explorieren, unter- doi.org/10.35468/5935-04 Digitale Technologien und informatische Bildung | 45 suchen, auseinandernehmen usw. und darüber auch Interesse an informatischen Konzepten und Tätigkeiten wie dem Programmieren entwickeln. Daneben gibt es die digital Outsider, die digitale Artefakte eher als Werkzeuge und Hilfsmit- tel einsetzen und sich erst bei auftretenden Fehlern gezwungenermaßen mit der inneren Funktionsweise auseinandersetzen und hier dann nicht immer freiwillig Expert*innen um Hilfe rufen, die den Fehler beheben und die Technik reparieren. Manchmal sieht es so aus, als würde die ganze Wissenschaft der Informatik dem- entsprechend als eine Art digitale Hausmeisterei gesehen werden: Wenn etwas schiefgeht, wenn etwas neu eingerichtet werden muss, dann braucht man ggf. Informatik. Wenn nichts schiefgeht, dann kann man es auch allein schaffen. Das bedeutet: Informatik selbst wird nicht als eine Disziplin gesehen, in der digitale Artefakte auch entwickelt, erzeugt, gestaltet werden, sondern in der bei Fehlern repariert wird. Die Technik selbst ist neutral; es gibt sie einfach. Ein solches Bild wird zumindest nicht ernsthaft in einem Informatikunterricht (generell oder auch bezogen auf informatische Bildung in der Grundschule) korrigiert, der sich aus- schließlich an Computational Thinking, algorithmischen Problemlösen und fun- damentalen Ideen orientiert. Der Slogan „Ideas, not artefacts!“ ist in dieser Hinsicht, wenn denn Bildung auch Alltags- und Lebensweltbezug verdeutlichen soll, nicht wirklich hilfreich. Statt- dessen sollten ggf. die Artefakte im Mittelpunkt stehen. Wie das aussehen kann, ohne damit nur eine rasch alternde Technologie im Unterricht zu behandeln, wird im Folgenden skizziert und diskutiert. 3 Zur dualen Natur digitaler Artefakte Wenn darüber gesprochen wird, dass digitale Artefakte unterrichtlich themati- siert werden, dann wird oft – wie im Eingangsstatement – an Hinweise zu deren Nutzung und deren Funktionen gedacht, evtl. auch an die mit der Nutzung ver- bundenen Gefahren, wie bspw. Verlust der Privatsphäre durch Preisgeben von privaten Daten. Es wurde bereits angedeutet bzw. argumentiert, dass die kontextlose Vermittlung von Ideen und Konzepten der Informatik eher schlecht auf alltägliche digitale Artefakte übertragen wird. Andererseits dürfte es auch nicht reichen, über Nut- zungsmöglichkeiten aufzuklären, um digitale Artefakte zu verstehen. Doch, was braucht es denn, um diese zu verstehen und beurteilen zu können – auch im Sachunterricht der Grundschule? In der Technikphilosophie gibt es dazu eine interessante Antwort, die als Grund- lage meines didaktischen Ansatzes (Schulte 2008a; Schulte & Budde 2018) ge- nutzt wird. Demzufolge unterscheiden sich technische Artefakte von natürlichen Phänomenen dadurch, dass sie intentional für eine bestimmte Verwendung bzw. doi.org/10.35468/5935-04 46 | Carsten Schulte einen Nutzen gedacht sind bzw. in und durch die Nutzung eine Wirkung entfal- ten, die letztendlich zu ihrem Wesenskern dazu zählt. Sie sind in diesem Sinne also nicht neutral. Daher sollte auch nicht nur ihre technische Beschaffenheit und die Art und Weise ihrer Bedienung im Unterricht angesprochen werden, son- dern auch ihre soziale Einbettung als zweckintentional Geschaffenes, als Artefakt, als vom Menschen Gemachtes. Diesen zweiten Aspekt des Menschengemachten gibt es bei der natürlichen Umwelt als Gegenstand nicht. Einen Wasserfall kann man durch Angabe seines Aufbaus beschreiben und erklären. Wir nennen diese Perspektive ‚Architektur‘ (Schulte & Budde 2018). In unserem Kontext könnte man die dazugehörenden Fragen als „Wer-,Wie-,Was-Fragen“ zusammenfassen: Welche Bestandteile (wer) wirken wie zusammen und was tun sie? Ein Wasserkraftwerk dagegen ist für einen bestimmten Zweck so aufgebaut und konstruiert worden, daher sind hier die „‚Wieso-,Weshalb-,Warum-Fragen“ eben- so bedeutsam und sinnvoll, die nach den intendierten und tatsächlichen Zwe- cken, Wirkungen und Intentionen fragen und auch nach einer Beurteilung. Wir nennen dies die ‚Relevanz-Perspektive‘ (a.a.O.): Ist es ein gutes Wasserwerk oder ein schlecht konstruiertes? Beim Wasserfall machen solche Fragen wenig Sinn. Die Architekturperspektive beschreibt mithin das, was sich objektiv erfassen und messen lässt, sie ist entweder richtig oder falsch dargestellt. Die Relevanzperspek- tive dagegen ist eine Interpretation der Zwecke, Intentionen und Wirkungen und daher stets kontextbezogen und subjektiv. Sie sind nur schwer in ein Rich- tig / Falsch-Schema einzuordnen, sondern eher als ‚angemessen‘, ‚nachvollziehbar‘ und ‚auf die wesentlichen Punkte bezogen‘ bewertbar. Ein zur dargelegten Perspektive auf informatische Bildung (a.a.O.) passendes Ver- fahren zur Planung und Entwicklung von Unterricht nennt sich Dualitätsrekon- struktion und wurde am Beispiel der Textverarbeitung erprobt (Schulte 2008b). Textverarbeitung wird gerne als das Beispiel genannt, um zu zeigen, wie weit sich informatische Bildung trivialisiert und von den Ideen und Konzepten der Wissen- schaft entfernt, wenn Artefakte in den Mittelpunkt gestellt werden. In der Dualitätsrekonstruktion der Textverarbeitung konnten einige kaum behan- delte Aspekte aufgezeigt werden, die gut in den Informatikunterricht bzw. die informatische Bildung im Sachunterricht passen, da sie die Bewertung, Nutzung usw. von Artefakt und Ideen (Algorithmen, Konzepte) verknüpfen, und so hof- fentlich Alltagsrelevanz und -bezug aufweisen, die andernfalls übersehen werden. Gleichzeitig bietet sie eine hinreichende Fachlichkeit und fachliche Tiefe. Aus der Architekturperspektive ist ein erster interessanter Aspekt der Textverarbei- tung beispielsweise der Unterschied von digitalem und analogen Text durch die andere Materialität: Schrift (im Analogen) kann als feste und dauerhafte Markie- rung auf einem Beschreibstoff verstanden werden – Aussehen und Inhalt bilden eine Einheit, auch wenn sie nicht immer in Stein gemeißelt werden müssen. Än- derungen sind dementsprechend aufwendig. Digitaler Text nun trennt Code und doi.org/10.35468/5935-04 Digitale Technologien und informatische Bildung | 47 Font. Der Code beschreibt den Inhalt (welche Zeichen in welcher Schriftart in welcher Reihenfolg usw.), Fonts beschreiben das Aussehen. Damit ist es nun mög- lich, einen Text einfach in einer anderen Schriftart erscheinen zu lassen. Zu einem gegebenen Code-Muster wird anhand eines neuen Fonts dann das Aussehen in einer anderen Schriftart berechnet. Ein darauf aufbauender zweiter interessanter Aspekt aus der Architekturperspek- tive ist, dass es (verschiedene) Algorithmen gibt, um das Aussehen des Textes zu berechnen. Beispielsweise muss beim automatischen Blocksatz berechnet werden, welche Wörter oder Wortteile noch in Zeile n und welche dann in der darauffol- genden Zeile n+1 erscheinen sollen. Nach der Beschäftigung mit diesen Algo- rithmen und der Untersuchung, welche der Algorithmen vermutlich in der selbst benutzten Textverarbeitung verwendet wird, kommt es der Erfahrung nach in der Reflexion oft zu einer interessanten Übertragung: Wenn Wörter automatisch angeordnet werden per Algorithmus, dann Bilder wohl auch; also verhält sich die Textverarbeitung gar nicht erratisch, wenn Bilder verschoben werden. Stattdessen handelt es sich um das Ergebnis eines algorithmischen Berechnungsprozesses. Textverarbeitungsprogramme heute sehen anders aus als im Jahr 2008. Dennoch sind die wesentlichen Ergebnisse der Dualitätsrekonstruktion immer noch aktuell und sehr hilfreich. Das gerade genannte Beispiel der Übertragung von Textum- bruch auf Probleme im Umgang mit in den Text eingebetteten Bildern ist in der Durchführung von Lernenden genannt worden. Sie konnten ausgehend von der Beschäftigung mit der Architekturperspektive auch ihren eigenen Umgang mit der Textverarbeitung reflektieren und sich erklären, wieso manchmal Bilder ver- schoben werden, auch wenn sie ursprünglich an einem anderen Ort eingefügt worden sind. 4 Hybrides Interaktionssystem (HIS) Das Verfassen eines Textes mit der Textverarbeitung kann als Hybrides Interak- tionssystem (HIS) aufgefasst werden, in dem es zu vielen und schnellen Interak- tionsketten kommt, wenn nach und nach der Text durch einzelne Tastendrücke entsteht und immer wieder zusätzliche Formatierungsanweisungen vom Men- schen eingegeben werden. Meist bleibt der Prozess selbst im Hintergrund, so- dass diese Interaktion aus dem Wahrnehmungsbereich verschwindet. Erst wenn zum Beispiel wieder mal ein Bild verrutscht ist oder eine Überschrift nicht richtig nummeriert wurde, wird man auf die Technik aufmerksam. Die Idee des HIS-Ansatzes ist nun, hier schon früher anzusetzen. Im Kontext der Grundschule wäre eine wesentliche Bestimmung informatischer Bildung also, menschliche Benutzer*innen dafür zu wappnen, dass digitale Artefakte sich nicht immer so verhalten (können), wie Mensch sich das denkt. Und zu verstehen, dass doi.org/10.35468/5935-04 48 | Carsten Schulte das nicht immer gleich Fehlfunktionen sind, sondern auch Auswirkungen ihrer prinzipiellen (ihrer algorithmischen) Funktionsweise sind. Ausgehend von der Interaktion werden einerseits Besonderheiten des digitalen Artefakts und dessen Rolle in der Interaktion verdeutlicht, gleichzeitig aber auch die eigene Rolle als menschlicher Akteur im HIS und wie dies selbst unsere Lebens- und Erfahrungs- welt prägt. Bezogen auf die Textverarbeitung könnte man so beispielsweise überlegen, wie mit und ohne digitale Artefakte Texte geschrieben werden, welche Architektur- und welche Relevanzmerkmale des Artefakts Textverarbeitung welche Besonder- heiten im HIS implizieren und welche Handlungsmöglichkeit und Einflussmög- lichkeiten denn die menschlichen Akteur*innen haben. Schematisch werden in einem HIS als didaktischem Konzept die folgenden As- pekte besprochen: 1. Die Rolle des Menschen: program or be programmed 2. Die Rolle des Artefakts: Ersatz, Erweiterung, Symbiose (kann unter Architek- tur- und unter Relevanzperspektive betrachtet werden) 3. Die Wechselwirkung zwischen Mensch und Maschine, angeregt durch die In- teraktion: beeinflussen und beeinflusst werden. Die erste Reflexionsebene bildet das Nachdenken über die Interaktions- bzw. Handlungsmöglichkeiten des Menschen im HIS. Etwas zugespitzt kann man etwa in Anlehnung an Rushkoff (2010) argumentieren, dass es im Wesentlichen nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder das digitale Artefakt gibt über dessen Benutzungsschnittstelle dem Menschen vollständig die Handlungsoptionen vor, beispielsweise in einem Buchungsportal, oder andererseits erstellt der Mensch das digitale Artefakt und kontrolliert damit die Möglichkeiten. Rushkoff (a.a.O.) nennt diese Alternative in seinem Buchtitel „Programmiere, oder du wirst pro- grammiert“. Neben diesen beiden Polen gibt es aber auch Zwischenbereiche, in denen etwa ein digitales Artefakt in der Benutzung beispielsweise konfiguriert, adaptiert oder auch erweitert werden kann, um es an die eigenen Bedürfnisse anpassen zu können (Fischer 2002). Dieser Zwischenbereich ist bislang für die informatische Bildung zu wenig ausgeleuchtet worden. Zwar werden hier nicht im herkömmlichen Sinne Programme geschrieben, aber je stärker das Adaptieren und Erweitern auf eigene, ggf. rein individuelle Handlungsoptionen zugeschnit- ten wird, desto stärker muss es dem klassischen Programmieren ähneln. Das liegt (auch) an der Charakteristik und den Eigenschaften des digitalen Ar- tefakts, das in der zweiten Reflexionsebene ‚unter die Lupe‘ genommen werden sollte. Während Menschen aus sich selbst heraus handeln und agieren können, ist das digitale Artefakt als technisches System vollständig durch dessen Program- mierung (und die eingegebenen Daten inkl. der Interaktionsdaten) determiniert. Begriffe zur Beschreibung digitaler Artefakte, wie etwa ‚Künstliche Intelligenz‘, doi.org/10.35468/5935-04 Digitale Technologien und informatische Bildung | 49 legen fälschlicherweise nahe, dass Maschinen ggf. ähnlich wie Menschen ‚funkti- onieren‘ (Wang 2019). Die Frage ist aber weniger, ob Maschinen die Menschen ersetzen oder wie in Filmen die Weltherrschaft übernehmen wollen, sondern, wie wir mit diesen neuen technischen Möglichkeiten umgehen. Es geht letztendlich darum, wie wir leben wollen. Eine grundlegende Einsicht für diese zu führende Debatte ist, dass digitale Artefakte nicht selbstbestimmt sind. Diese grundlegende Eigenschaft kann durch die Rekonstruktion ihrer Architektur erhellt werden. Doch damit allein kann nur schwer die Faszination und die Wirkung als ‚intel- ligent‘ und ‚autonom‘ erfasst werden. Dazu sollte in der Relevanzperspektive im (Sach-)Unterricht auch die eben angesprochenen Aspekte der Wechselwirkung von Mensch und Technik thematisiert werden. Eine erste Einsicht ist, dass die Systeme nicht einfach ‚vom Himmel fallen‘, sondern schrittweise immer besser an ihr Aufgabengebiet an- und eingepasst werden. Dabei kann das digitale Artefakt unterschiedliche Rollen einnehmen: Es übernimmt Aufgaben und Tätigkeiten, die früher der Mensch selbst durchgeführt hat (Ersatz), es verbessert die bestehen- den Möglichkeiten, oder es ermöglicht in der engen Interaktion von Mensch und Maschine völlig neue Handlungsmöglichkeiten. Um das zu vertiefen, soll kurz genauer auf die Künstliche Intelligenz eingegangen werden. Während in der Vergangenheit die Technik oft an den immer komple- xeren Zusammenhängen scheiterte, die nicht mehr von menschlichen Entwick- ler*innen in passende algorithmische Regelsysteme überführt werden konnten, so kann heute das maschinelle Lernen durch Auswerten oft großer Datenmengen statistische Zusammenhänge finden und nutzen, die dann doch wieder erstaun- liche neuartige Leistungen ermöglichen. Rawhan und Kolleg*innen (2019) schla- gen daher vor, dass das Verhalten dieser Maschinen, so nennen sie digitale Arte- fakte, in ihren Nutzungs- und Interaktionskontexten untersucht werden müsse, da vorab in der Konstruktion kaum abzuschätzen ist, wie genau sich die Systeme entwickeln werden. Im Ergebnis gelangen sie zu einem erstaunlich ähnlichen Ansatz wie das HIS als didaktisches Konzept, indem sie ebenfalls Architektur- und Relevanzperspektive unterscheiden und hybride Systeme aus dem Zusammenspiel von Menschen und Maschinen als wesentliches – hier fachwissenschaftliches bzw. sogar interdiszipli- näres – Untersuchungsfeld vorschlagen. Traditionellerweise ist dieser Bereich bis- lang nicht als wichtiger Teilbereich der Informatik gesehen worden. Die Traditi- onslinien der Informatik beschäftigen sich nach Tedre (2014) vor allem mit dem Konstruieren digitaler Artefakte (die ingenieurswissenschaftliche Tradition) oder mit den mathematischen Grundlagen (in der mathematischen Tradition) oder mit der Anwendung informatischer Methoden in der Naturwissenschaft durch bspw. Modellbildung und Simulation (naturwissenschaftliche Tradition). Die naturwis- senschaftliche Tradition könnte aber auch das Untersuchen informatischer Pro- dukte in ihrem Nutzungszusammenhang als neues Forschungsfeld einschließen. doi.org/10.35468/5935-04 50 | Carsten Schulte Die dritte Reflexionsebene des HIS dockt sich an dieses skizzierte neue For- schungsfeld an. Bezogen auf den lokalen oder auch individuellen Nutzungszusam- menhang kann mit Schüler*innen untersucht werden, was in den Interaktionen zwischen Mensch und Maschine passiert. Wesentliche Erkenntnis sollte es sein, dass sich der*die menschliche Akteur*in einerseits von der Maschine beeinflussen lassen will. Denn die Nutzung soll ja etwas bewirken, sonst gäbe es keinen Grund dazu. Andererseits kann auch der Mensch auf die Maschine und deren Verhalten einwirken, etwa durch Adaption, Konfiguration und insbesondere durch das Pro- grammieren, zunehmend aber auch einfach durch die Art der Benutzung, aus der die Systeme ‚lernen‘, d.h. sich adaptieren. 5 Schlussbemerkung Hier wurde eine Sichtweise präsentiert, die die Interaktion von Mensch und Ma- schine in den Mittelpunkt stellt. Dabei gilt zu beachten: Es muss nicht eine Sicht- weise gegen die andere ausgespielt werden! Sie schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern können sich auch hervorragend gegenseitig ergänzen. Was folgt ist, dass es unterschiedliche Ansätze und Sichtweisen auf informatische Bildung gibt, auch mit Blick auf den Sachunterricht. Es scheint, dass sich Einstellungen zur Informatik und zu Computern bereits in der Grundschule formen. In diesem Zusammenhang ist etwa eine Studie mit Grundschulkindern aus Griechenland interessant, in der bereits geschlechtsspezi- fische Unterschiede festgestellt wurden und Mädchen insbesondere annahmen, das Thema habe eher nichts mit Gesellschaft und Alltag zu tun (Vekiri & Chronaki 2008). Der HIS-Ansatz als didaktisches Konzept will jedoch gerade aufzeigen, dass und wie die Technologien und die Konzepte dahinter unseren Alltag beeinflussen, aber auch wie wir unseren Alltag durch Einrichten und Adaptieren der Technik einwirken können. Das scheint ein auch für den Sachunterricht in der Grundschu- le sinnvolles und notwendiges Anliegen. Ich hoffe, einige Argumente geliefert zu haben, dass nicht nur die Architekturperspektive, d.h. also die formalen Ideen und Konzepte der Fachwissenschaft Informatik, sondern auch die Relevanzperspektive, also etwa Bewertungen und Nutzungstipps, thematisiert werden sollten – und dies nicht isoliert voneinander. doi.org/10.35468/5935-04 Digitale Technologien und informatische Bildung | 51 Literatur Bergner, N., Hubwieser, P., Köster, H., Magenheim, J., Müller, K., Romeike, R., Schroeder, U., & Schulte, C. (2018): Frühe informatische Bildung – Ziele und Gelingensbedingungen für den Ele- mentar- und Primarbereich. Opladen, Berlin, Toronto, https://www.haus-der-kleinen-forscher. de / fileadmin / Redaktion / 4_Ueber_Uns / Evaluation / Wissenschaftliche_Schriftenreihe_aktuali- siert / 180925_E-Book_Band_9_final.pdf [1.12.2021]. Best, A., Borowski, C., Büttner, K., Freudenberg, R., Fricke, M., Haselmeier, K., Herper, H., Hinz, V., Humbert, L., Müller, D., Schwill, A., & Thomas, M. 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The following article identifies Science and Social Sciences in Primary School (Sachun- terricht) as the subject best suited to introducing young students to the digital learning environment. It can be seen as the most central subject for learning with and about new media. Analyzing the changes in more detail it becomes clear that a basic digital education is needed and no other subject is more appropriate to meet that demand than Science and Social Sciences in Primary School. Therefore, the study of the culture of digitalization should be the basis now of elementary school teacher training. 1 Leben in der Informationsgesellschaft und Sachunterricht Der Sachunterricht als Unterrichtsfach der Grundschule und die Didaktik des Sa- chunterrichts als wissenschaftliche Disziplin müssen sich in besonderer Weise den Herausforderungen sich ständig verändernder Lebens- und Denkwelten stellen. Die Phänomene einer Informationsgesellschaft (siehe Editorial in diesem Band) mit ihren Transformationen sowie die sachunterrichtsdidaktischen Rekonstrukti- onen, Konsequenzen, Herausforderungen und Fragen zwischen lebensweltlichem und wissenschaftlichem Kontext sind wesentliche Bestandteile einer Auseinander- setzung in Fach und wissenschaftlicher Disziplin (siehe Gervé in diesem Band). Das Fach Sachunterricht orientiert sich dabei am Kind und dessen bildendem Erschließen der Welt. Ein zentraler Bestandteil ist hierbei die perspektivenver- netzende Arbeit, sowohl inhaltlich als auch im Rahmen der Denk- Arbeits- und Handlungsweisen, wie sie im Perspektivrahmen Sachunterricht formuliert wor- den sind (GDSU 2013). Sachunterricht zielt dabei immer auf eine handlungsori- entierte Entwicklung von Kompetenzen ab. doi.org/10.35468/5935-05 56 | Michael Haider, Markus Peschel et al. Für den Bereich der digitalen Bildung bedeutet dies, dass Lernen mit und Lernen über Medien im Fokus der perspektivenvernetzenden Arbeit steht. Die Digita- lisierung selbst ist hierzu als Gegenstand der Bildung in ihrer Vielschichtigkeit differenziert didaktisch zu rekonstruieren und besonders in Hinblick auf Zu- kunftsaspekte (vgl. Klafki 1992) zu explizieren. Die aus der Weiterentwicklung der Gesellschaft aufgrund von Aspekten der Digitalisierung resultierende Kultur der Digitalität (Stalder 2016; Irion 2020; Hauck-Thum & Noller 2021) ist dabei gleichzeitig Zielsetzung und Rahmung der Inhalte. Dass die Beschäftigung mit diesen Einflüssen auf die Lebens- und Lernwelt essentieller Bestandteil des schu- lischen Lernens sein muss, ist Bestandteil verschiedener konzeptioneller Überle- gungen (KIM 2020; KMK 2016; GI 2019; GDSU 2021; im Überblick bei Irion & Eickelmannn 2018). Dabei wird zunehmend gefordert, dass Grundlegende Bil- dung durch Bildungsziele und -inhalte in einer Kultur der Digitalität zu ergänzen sind (Gervé 2019), für die der Sachunterricht nicht die alleinige Verantwortung im Rahmen von Bildungsprozessen in der Grundschule trägt. Neben der Absi- cherung eines gemeinsamen Grundstocks für das Leben in der digital geprägten und gestaltbaren Welt im Rahmen einer Digitalen Grundbildung (Irion 2020 im Anschluss an Einsiedler 2014) steht der Sachunterricht auch vor der Herausforde- rung, mediendidaktische Erkenntnisse aus der Forschung für die Weiterentwick- lung zu nutzen. Wenngleich Metastudien zweiter Ordnung nur geringe generelle Effekte des Einsatzes digitaler Technologien im Unterricht belegen und kein gene- ralisierbarer Mehrwert nachgewiesen werden kann, zeigen sich in internationalen Studien Lernpotenziale bei der Berücksichtigung spezifischer didaktischer Poten- ziale für das Lernen im Grundschulalter (Irion & Scheiter 2018) – insbesondere bei einer gelungenen Orchestrierung des Unterrichts (Prieto et al. 2011). Das Positionspapier Sachunterricht & Digitalisierung (GDSU 2020) stellt unter diesen Prämissen Grundsätze und Leitlinien vor und fasst die sachunterrichtliche Ausrichtung u.a. als doppelte Einbindung zusammen. Weitere Fokusse bilden die „Kompetenz- und Kindorientierung“, „Sachunterricht, Medienbildung und in- formatische Grundbildung“, „Handlung und Reflexion“, „Sprache und Begriffe“ und „Ausstattung und Innovation“. Im Folgenden sollen Konsequenzen aus dem Positionspapier im Hinblick auf die zunehmende Digitalisierung vieler Lebens- und Bildungsbereiche für die Didak- tik und Praxis des Sachunterrichts diskutiert werden. 2 Sachunterricht als zentrales Fach für das Lernen mit und über Medien Das Lernen mit und über digitale Medien sollte bereits bei Kindern in der Grund- schule ansetzen, um ihnen frühzeitig eine kritische und konstruktive Auseinan- doi.org/10.35468/5935-05 Die Veränderung der Lebenswelt der Kinder und ihre Folgen | 57 dersetzung mit digitalen Medien und deren Artefakte aus bildungsorientierter Perspektive zu ermöglichen (GDSU 2021; Peschel 2016; Gervé & Peschel 2013; Kunkel & Peschel 2020; Peschel 2020). Die Wirkung dieses (parallelen) Lernens über Medien ist u.a. in den Vorgaben der KMK (2012; 2016) z.B. im Kompetenz- bereich „Analysieren und Reflektieren“ adressiert und im Perspektivrahmen der GDSU (2013) als perspektivenvernetzender Themenbereich „Medien“ konkret für den Sachunterricht beschrieben. Das Lernen mit und über digitale Medien verändert nicht nur das Lernen der Kinder, sondern wirkt sich auch auf die Arbeit der Lehrer*innen sowie Schule und Unterricht insgesamt aus (u.a. GEW 2016). In Bezug auf Teilkompetenzen in spezifischen Perspektiven des Sachunterrichts, z.B. geografische Perspektive (Bach 2018), wurden die Anforderungen an einen modernen, Aspekte der Digitalität berücksichtigenden Sachunterricht als doppelte Anforderung erforscht, wobei die Notwendigkeit der Etablierung neuer Kompetenzen angemahnt wurde, die gleichzeitiges Lernen mit (hier: Geo-)Medien und Lernen über (hier: Geo-) Medien adressiert und daraus eine Neukonzeption des geomedialen Lernens bündelt: Digitale Kartografische Medienkompetenz (DKM; a.a.O.). Für weitere Teilkompetenzen und Teilkonzepte bieten sich Äquivalenzen an, die die unmittelbare Verknüpfung von Lerngegenstand und Lernziel im Sinne der Kultur der Digitalität fokussieren und Ableitungen für einen modernen Sachunterricht fordern (Peschel, Schmoll & Bach 2022 i.V.). Aspekte der Vernetzung und Digitalisierung gleichsam zu behandeln, zeichnet ein umfassendes bildendes Verständnis des sachunterrichtlichen Lernens in der digitalen Welt (KMK 2016) im Sinne einer Kultur der Digitalität (Stalder 2016) aus und erlaubt die doppelte Einbindung (GDSU 2021) im Sinne der Welterschließung. 3 Veränderungen in der Lebenswelt der Kinder erfordern eine Digitale Grundbildung Durch die invasive und allumfassende Durchdringung der Alltagswelt durch mo- bile Technologien hat sich auch die Lebenswelt von Kindern stark verändert. So hat sich die Medien- und Internetnutzung bei Kindern im Grundschulalter auf hohem Niveau eingependelt (Kammerl, Dertinger, Stephan & Thumel 2020). Im Kern der sachunterrichtsdidaktischen Bildungsprozesse steht nicht nur die ak- tuelle Lebenswelt der Kinder, sondern auch die Schaffung von Voraussetzungen für künftige Lernprozesse. Vor diesem Hintergrund muss Sachunterrichtsdidak- tik diese Veränderungsprozesse im Zuge der digitalen Transformation aufgreifen und den digitalen Wandel einerseits als Unterrichtsgegenstand bearbeiten, sowie auch die neu entstehenden kulturellen Praxen nutzen (Stalder 2016; Irion 2020; Hauck-Thum & Noller 2021). Andererseits muss Sachunterrichtsdidaktik die doi.org/10.35468/5935-05 58 | Michael Haider, Markus Peschel et al. Entwicklung entsprechender Kompetenzen unterstützen, um im Einklang mit anderen Grundschulfächern im Rahmen einer Digitalen Grundbildung einen Grundstock für lebenslange Bildungsprozesse zu schaffen (Irion 2018; 2020). Insbesondere durch den Umstand, dass Schrift und Bild inzwischen ergänzt werden durch vielfältige Informations- und Kommunikationssysteme, in denen Interaktivität, Still- und Bewegtbild, Multimedialität und orts- beziehungsweise zeitunabhängige Kommunikation tragende Bestandteile der Informations- und Kommunikationswelt sind, steht die Bildung in der Primarstufe und damit auch im Sachunterricht vor der wichtigen Aufgabe, eine Vertiefung bestehender eben- so wie die Entstehung neuer sozialer Ungleichheiten zu verhindern. So zeigt die International Computer and Information Literacy Studie (ICILS) nicht nur auf, dass in Deutschland 25% der untersuchten Achtklässler*innen lediglich niedrige Kompetenzniveaus erreichen, sondern es wird auch deutlich, dass Schüler*innen aus Ländern, in denen in der Grundschule gezielt mit der Förderung digitaler Kompetenzen begonnen wurde, deutlich besser abschneiden (Eickelmann, Bos, Gerick, Goldhammer, Schaumburg, Schwippert, Senkbeil & Varenhold 2019). Die hohe Bedeutung dieser Prozesse macht die Auseinandersetzung mit Form und Inhalt einer digitalen Grundbildung (Irion 2020) als Bildung für eine digital geprägte und gestaltbare, mediatisierte Welt zu einer dringlichen Aufgabe, die bislang nur unzureichend an deutschen Schulen umgesetzt wird (Irion & Eickel- mann 2018). 4 Die Kultur der Digitalität verändert Alltagswelten – und damit den Sachunterricht Auch wenn Digitalisierung im Zusammenhang mit Schule in den letzten Jahren bereits intensiv diskutiert (KMK 2016; GFD 2018), im gewissen Maße geför- dert und beforscht wurde, ist die rückständige Situation in Deutschland hin- sichtlich der Ausstattung der Schulen und Befähigung der Lehrkräfte (Deutsches Schulbarometer 2020) erst mit den umfangreichen Schulschließungen in Folge der Ausbreitung von Covid-19 in der breiten Öffentlichkeit umfassend thema- tisiert worden. Der dabei dominierende Diskurs defizitärer technischer Aus- stattung (Oberrauch, Jekel & Breitfuss-Horner 2022; Borukhovich-Weis, Grey, Gryl, Lehner & Atteneder 2022) darf nicht suggerieren, dass es mit Technik und technischen Kompetenzen getan ist. Eine Kultur der Digitalität (Stalder 2016) verändert und durchdringt die Lebenswelt massiv und demzufolge auch einen Sachunterricht, der seinem Anspruch auf Lebensweltorientierung gerecht werden soll. Algorithmizität (Algorithmen mit dem Ziel der Komplexitätsreduktion), Ge- meinschaftlichkeit (omnipräsente und eng getaktete soziale Interaktion durch ge- genwärtige, digital Kommunikation) und Referenzialität (beständige Bezüge der doi.org/10.35468/5935-05 Die Veränderung der Lebenswelt der Kinder und ihre Folgen | 59 Web-Inhalte, der Reziprozität der Kommunikation und dem Teilen, Ableiten und Weiterentwickeln von Inhalten) ändern alltägliche Praktiken der Kommunikati- on, Ideenschöpfung, Informationsgewinnung und Identitätsbildung. Da Schule aber in genau diesen Feldern – mit traditionelleren Praktiken – tätig ist und Kin- der sich aktive Webnutzung mit zunehmendem Alter erschließen (mpfs 2019; 2021), muss Schule die eigenen und neuen Kulturtechniken reflektiert betrachten und vor allem die Relation von bisherigen und sich neu entwickelnden Feldern von Austausch und Wissensproduktion sichtbar machen. Der Sachunterricht ist dafür ein idealer Raum, weil er sich auf die (veränderte) Lebenswelt bezieht und sowohl den perspektivenvernetzenden Themenbereich Medien als auch die tech- nische Perspektive bereits traditionell beinhaltet (GDSU 2013). Deshalb kann digitalisierungsbezogene Bildung im Sachunterricht auch nicht allein eine infor- matische Grundbildung (Humbert, Best, Losch & Pieper 2020) sein. Neben den technischen Bedingungen sind deren Auswirkungen auf Gesellschaft und ihre Praktiken sowie ihr Einfluss auf weitere technische Entwicklungen durch Innova- tionen wesentlich und können nur im vielperspektivischen Zusammenspiel ver- standen werden (Brinda, Brüggen, Diethelm, Knaus, Kommer, Kopf, Missomeli- us, Leschke, Tilemann & Weich 2019). Der dem Sachunterricht bereits immanente Grundsatz des Lernens mit und über Medien (s.o., Gervé & Peschel 2013) ist ein weiteres Argument, dass eine Kultur der Digitalität den Sachunterricht beeinflussen muss. Doch ändern sich auch all- tägliche Weltaneignungspraktiken bzw. Kulturtechniken. Die damit verbundenen Herausforderungen – etwa die Auswirkung von Filterblasen auf klassische Recher- cheaufgaben (Dorsch, Fuchs, & Kanwischer 2021) – aber auch ihr Nutzen – etwa kollaboratives Schreiben und Annotieren als neue, nicht lineare Form der Zusam- menarbeit (Beißwenger & Burokvikhina 2019) – müssen in einem zukunftsori- entiertem Sachunterricht ihren Platz finden. Exkursionen können durch digitale Informationen um eine im physisch-materiellen Raum nicht erkennbare Ebene angereichert werden (Brendel & Mohring 2022), die dennoch raumprägende Aspekte sichtbar macht und zugleich offenlegt, wie digitale räumliche Layer auf Smartphones durch die Räume des Alltags leiten. Diese Herangehensweise antwortet einerseits auf die Frage nach dem Mehrwert digitaler Zugänge für fachliches Lernen, schiebt sie andererseits auch teilweise bei- seite, indem (gemessen an aktuellen Lehrplänen) neue digitalisierungsbezogene Kompetenzen vermittelt werden müssen. Das wirft zugleich die Frage auf, welche klassischen Lerninhalte und Kompetenzen verzichtbar sind, um Platz für andere Herangehensweisen zu schaffen. Händisches Schreiben etwa als dominierende Form der Sicherung und Präsentati- on dürfte mit dem Einsatz digitaler Schreibwerkzeuge weniger Zeit erhalten, was zu geteilten Reaktionen führt (Malberger 2018). Auch auf der Ebene der Inhalte würde es Veränderungen gebe. Es wird deutlich, dass eine oberflächliche schulische doi.org/10.35468/5935-05 60 | Michael Haider, Markus Peschel et al. Implementation von Digitalisierung ohne Weiterentwicklung der Didaktik nicht das Ziel sein kann. Die bloße Darbietung eines digitalisierten Sachtextes, ohne etwa durch Multimedialität erweiterte, vielleicht kollaborative Annotierungsfunk- tionen, wird den Möglichkeiten einer Kultur der Digitalität nicht gerecht. Auch darf Digitalisierung nicht dazu verleiten, in noch klassischere didaktische Prak- tiken zurückzufallen: Digitale Whiteboards etwa können mit all ihren Möglich- keiten das Unterrichten effizienter gestalten (Speicherung von Tafelbildern, durch Verlage vollständig vorbereitete Tafelbilder, etc.), jedoch auch zu einem auf die di- gitale Tafel zentriertem Frontalunterricht verleiten, wenn sie dominant eingesetzt werden (Jacob 2014). So zeigt ein Überblick über internationale Studien und Mo- delle, dass Lerneffekte beim Einsatz interaktiver Display-Technologien sich vor allem beim Einsatz anspruchsvoller mediendidaktischer Szenarien ergeben (Iri- on 2012; Beauchamp 2004). Automatisierte interaktive Elemente, insbesondere wenn die dahinterstehenden Algorithmen sehr einfach sind, können zu verein- fachten Multiple Choice Abfragen sowie Reiz-Reaktions-Lernen statt zu komple- xer Argumentation verleiten. Extensive Gamification kann mitunter extrinsische Motivation vor intrinsische setzen. Gerade Learning Analytics versprechen durch den Einsatz von komplexen Algorithmen eine Anpassung von Aufgaben an den individuellen Stand der Lernenden, Entlastung der Lehrkraft und Differenzie- rungsmöglichkeiten (Williamson 2017). In einem Fach wie Sachunterricht mit vielperspektivischen Problemen aber ist die notwendige Komplexität dieser An- wendungen kaum gegeben. Zudem kann die Optimierungslogik hinter Learning Analytics kreativer Ideenentwicklung am Algorithmus vorbei entgegenstehen. Die Lehrkraft muss sich also der Grenzen einer solchen Unterstützung bewusst sein und ihre eigenen diagnostischen Fähigkeiten einsetzen – auch diese weiterentwi- ckeln zum Einsatz unter geänderten Praktiken des Vermittelns und Aneignens. Eine Kultur der Digitalität ruft also nicht allein zur reaktiven Gestaltung von Sachunterricht vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Herausforderungen und deren Bewältigung auf, sondern ermöglicht auch eine Weiterentwicklung unter Nutzung der sich bietenden Möglichkeiten bei gleichzeitiger kritischer Reflexi- on. Open Educational Resources sind ein Beispiel dafür, wie neue Sozialräume zur Unterstützung entwickelt werden (Johnstone 2005): Lehrkräften tauschen dank offener Lizenzen und Webkommunikation in einer sich unterstützenden Community ihre Materialien aus, passen sie ihren Lerngruppen an, entwickeln sie weiter. Übergreifende fachliche und didaktische Expertise wird geteilt und Lehrkräfte können den Schwerpunkt ihrer Unterrichtsvorbereitung auf ihre Rolle als Expert*innen für ihre eigene Lerngruppe setzen. Gerade in einem Fach wie Sachunterricht mit vielfältigen fachlichen Referenzen werden Lehrkräfte auf diese Art und Weise entlastet. doi.org/10.35468/5935-05 Die Veränderung der Lebenswelt der Kinder und ihre Folgen | 61 5 Ein veränderter Sachunterricht bedarf einer veränderten Lehrkräftebildung Beachtet man die Veränderung der Alltagswelten durch eine Kultur der Digitalität und deren Auswirkungen auf die Veränderung von Sachunterricht, so wird deut- lich, dass sich die Anforderungen an Lehrkräfte verändert haben und dass dies auch notwendige Konsequenzen für die Lehrkräftebildung haben muss. Es reicht nicht aus, die technische Ausstattung zu erweitern (ICILS 2018). Vielmehr zeigt sich, dass bestehende Professionalisierungsmodelle durch den Aspekt der Digitali- sierung zu erweitern sind. Dabei erweisen sich neben spezifischen Fragen der Ein- stellungs- und Überzeugungsentwicklung (Irion, Ruber, Taust & Ostertag 2020) insbesondere die mangelnden Kompetenzen von Lehrkräften als Schwierigkeiten. Kompetenzformulierungen angelehnt an theoretische Modelle (z.B. TPACK), versuchen diese Mängel auf Seiten der Lehrkräfteprofessionalität über normative Setzungen zu beheben (z.B. Forschungsgruppe Lehrerbildung Digitaler Campus 2017). Lehrkräfte brauchen in der Zukunft sowohl medienpädagogische, medi- endidaktische als auch medienerzieherische Kompetenzen (Schworm & Haider 2021). Ebenso essentiell sind sowohl fachbezogene Kompetenzen digital gedacht als auch „digitale Kompetenzen“ fachlich gedacht. Sachunterricht ist das Fach, das aufgrund seiner vielfältigen Sachbezüge für die Vermittlung von Bildung in einer Kultur der Digitalität am ehesten geeignet ist (KMK 2016; Haider & Knoth 2021a; GDSU 2021). Lehrkräfte müssen in der Lage sein, Phänomene und Arte- fakte der digitalisierten Lebenswelt aus der Erfahrung der Kinder heraus zu ent- wickeln, mit digitalen Medien in unterschiedlichen Situationen umzugehen und diese zielgerichtet einzusetzen (Haider & Knoth 2021a; Gervé & Peschel 2013). Um dies leisten zu können, bedarf es bei Lehrer*innen neben den Kompetenzen, die sie auf Seite der Schüler*innen erreichen wollen, weiterführender Kompe- tenzen (Schworm & Haider 2021). Verschiedene Ansätze wie bspw. TPACK (Koehler, Mishra & Cain 2013; Valtonen, Sointu, Mäkitalo-Siegl & Kukkonen 2015), DPACK (Huwer, Irion, Kuntze & Schaal 2019), das Modell der Kern- kompetenzen (Forschungsgruppe Lehrerbildung Digitaler Campus Bayern: Schultz-Pernice, von Kotzebue, Franke, Ascherl, Hirner, Neuhaus, Ballis, Hauck- Thum, Aufleger, Romeike, Frederking, Krommer, Haider, Schworm, Kuhbandner & Fischer 2017) zeigen auf, wie Kompetenzen im Zielbereich der Lehrerbildung aussehen sollten. Sowohl das DPACK-Modell als auch das Kernkompetenzmo- dell beachten die Veränderung des Denkens und Handelns durch fortschreitende Digitalisierung. Grundlage beider Modelle bildet das TPACK-Modell, das neben fachlichen und fachdidaktischen auch technologischen Kompetenzen als Kompo- nenten von Professionswissen von Lehrkräften festmacht. Schließlich sind es auch die Überschneidungsbereiche der einzelnen Komponenten, die einen erheblichen doi.org/10.35468/5935-05 62 | Michael Haider, Markus Peschel et al. Beitrag zur Professionalität leisten. Da die Vernetzung analoger und digitaler Wirklichkeit weitreichend ist, gehen Huwer et al. (2019) davon aus, dass die technologische Perspektive im TPACK-Modell dringend auf eine Perspektive di- gitalitätsbezogenen Wissens erweitert werden muss. Die kleine Veränderung von T- zu DPACK-Modell hat aber eine durchaus große Wirkung, denn hier werden der Wandel zur Informationsgesellschaft und insbesondere jüngere Transformati- onsprozesse der Gesellschaft mitgedacht. Das Modell der „Kernkompetenzen von Lehrkräften für das Unterrichten in einer digitalisierten Welt“ der Forschungsgruppe Lehrerbildung Digitaler Campus Ba- yern versucht eine erste Konkretisierung, welche medienbezogenen Kompetenzen Lehrkräfte benötigen. Das Modell versucht, aus verschiedenen Sichtweisen (Pädagogische Psychologie, Fachdidaktik, Medienpädagogik, Grundschulpädagogik) Unterrichtsgeschehen und dafür nötige Kompetenzen unter einem pädagogisch-didaktischen Blick- winkel zu erfassen. Nicht berücksichtigt werden persönliche Kompetenzen, die eine Lehrkraft im Medienbereich mitbringt, und jene, die zusätzlich nötig sind, um das eigene Arbeiten und schulorganisatorische Angelegenheiten mit Medien zu unterstützen. Für den Sachunterricht sind dabei die fachdidaktischen und die grundschulpädagogischen Perspektiven zentral. Hierbei wird das aktuelle Konzept der KMK (2016) berücksichtigt. Das Modell (siehe Abb. 1) berücksichtigt neben einer Wissenskomponente (siehe auch TPACK-Modell, Valtonen et al. 2015) eine Handlungskomponente (Ter- hart 2011). Diese erlaubt es Lehrkräften, Unterricht zu planen, zu entwickeln, durchzuführen und zu evaluieren. doi.org/10.35468/5935-05 Die Veränderung der Lebenswelt der Kinder und ihre Folgen | 63 Abb. 1: Komponenten der medienbezogenen Lehrkompetenzen (aus Haider & Knoth 2021b, erstellt nach Forschungsgruppe Lehrerbildung Digitaler Campus Bayern 2017) Modelle dieser Art zeigen einerseits die vielen erforderlichen Komponenten von medienbezogenen Lehrerkompetenzen auf. Andererseits machen sie bewusst, dass es sich nur um Kernkompetenzen handelt und noch weitere, detailliertere Kompetenzen benannt werden könnten. Kritik an derartigen Kompetenzformu- lierungen kann an der fehlenden Operationalisierung geübt werden. Die 19 Kern- kompetenzen müssen für den Sachunterricht noch zu Ende gedacht werden. Bei allen Setzungen und normativen Forderungen nach Kompetenzen wird es für die Lehrerbildung darauf ankommen, wie kompetent sich angehende Sachunter- richtslehrkräfte selbst einschätzen. Hier zeigt sich, dass die Aufgeschlossenheit ge- genüber dem Einsatz digitaler Medien im Unterricht groß ist, die Selbsteinschät- zung der eigenen Kompetenzen dagegen eher gering. Jedoch zeigt sich auch, dass die Streuung sehr hoch ist und man von einem extrem heterogenen Feld ausgehen kann (Haider & Knoth eingereicht). Ausgehend davon bedeutet dies für die Leh- doi.org/10.35468/5935-05 64 | Michael Haider, Markus Peschel et al. rerbildung, dass eine umfassende „digitale Bildung“ gerade für den Sachunterricht nötig ist, und zwar in einer fächerübergreifenden und perspektivenvernetzenden Form. Der Sachunterricht befindet sich hier in einer Schlüsselposition, um viele Positionen und Sichtweisen gewinnbringend für das Erschließen der Welt zusam- menkommen und vernetzen zu lassen. Unter diesen Prämissen liegt es auch nahe, Inhalte für eine dementsprechenden Lehrerbildung mit Forschung zu stützen. 6 Eine veränderte Lehrkräftebildung bedarf einer veränderten sachunterrichtsdidaktischen Forschung Trotz der immer größer werdenden Relevanz der Kultur der Digitalität (Stalder 2017) im Leben der Kinder sowie der damit einhergehenden notwendigen Ver- änderungen auf Seiten der Lehrkräfte und des Sachunterrichts, gibt es auf fachdi- daktischer Seite bisher relativ wenig Forschung zum Lernen mit und über Medien (Straube, Brämer, Köster & Romeike 2018; Mitzlaff 2010). Ein Zustand, der insbesondere aufgrund der Bedeutung digitaler Medien als „Inbegriff des Struk- turwandels zur Informationsgesellschaft“ (Steinbicker 2013) problematisch ist. Diese Problematik soll zunächst jeweils für das Lernen mit sowie über Medien im Sachunterricht im Rückgriff auf Ergebnisse der Forschung betrachtet werden, um Forschungsdesiderate sowie zukünftige Forschungsperspektiven herauszuarbeiten. Eine der wenigen empirischen Studien zum Lernen mit Medien wurde von Bach (2018) in einem Pre-Post-Design für den geographisch-orientierten Sachunterricht durchgeführt. In dieser Studie konnte bei 245 Viertklässler*innen gezeigt wer- den, dass digitaler Kartenunterricht im Vergleich zu analogem Kartenunterricht zwar die notwendige fachlich-geographische Kartenkompetenz nicht besser (aber auch nicht schlechter) fördert, die Schüler*innen jedoch zugleich mediale Kom- petenzen im Umgang mit digitalen Karten und den entsprechenden Zugangsme- dien dazu entwickeln (a.a.O.). Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen Carell und Peschel (2014). Diese untersuchten insgesamt 489 Kinder in einem Pre-Post-Ver- fahren und fanden heraus, dass ein in der Studie untersuchtes Online-Lexikon für Kinder (kidipedia) „keinen Einfluss auf die Naturwissenschaftskompetenz ausübt und das Interesse sowie die Motivation gegenüber Naturwissenschaften bei den Kindern senkt. Es sind weitere Analysen und eine intensive Ursachenfor- schung nötig“ (a.a.O., 491). Als Ursachen vermuten die Forscher*innen einen zu geringen Einsatz des Mediums im Unterricht, eine generell schlechte Eignung des Bereichs Naturwissenschaften sowie eine schlechte Eignung des Tests für die im Unterricht geförderten Kompetenzen (Carell & Peschel 2015). Zusammenfassend zeigen diese Studien, dass digitale Medien im Sachunterricht zwar Medienkompe- tenz fördern, jedoch das fachliche Lernen sowie die Motivation der Kinder nicht positiv beeinflussen. doi.org/10.35468/5935-05 Die Veränderung der Lebenswelt der Kinder und ihre Folgen | 65 Fokussiert man lernpsychologische Forschung zum Lernen mit Medien, so las- sen sich verschiedene Belege für die Wirksamkeit digitaler Medien finden. Jedoch enthielten die entsprechenden Stichproben selten Grundschulkinder. Eine Meta- analyse zweiter Ordnung (mit 1055 Studien) von Tamim, Bernard, Borokhovski, Abrami und Schmid (2011) kommt zu dem Ergebnis, dass der Einsatz digitaler Technologie einen kleinen Effekt (d = 0.30-0.35) auf das Lernen von Schü- ler*innen hat. Hierbei scheint die Unterstützung durch digitale Medien einen kleinen Vorsprung in Relation zur direkten Instruktion zu besitzen (a.a.O.). Auch die Hattie-Studie (2009) bestätigt diesen kleinen Effekt (d = 0.31) bei compu- tergestützter Instruktion. Digitale Medien sind demgemäß bedingt ertragreicher und dieser Ertrag ist von unterschiedlichen Bedingungen abhängig (Tamin et al. 2011, 17). So zeigt bspw. eine Metaanalyse von Höffler und Leutner (2007), dass Videos und Animationen eine Überlegenheit hinsichtlich des Lernerfolgs gegen- über statischen Darstellungen besitzen (d = 0.37). Dieser Effekt scheint sowohl von der Gestaltung als auch von zentralen Lerner*innenmerkmalen abhängig zu sein (Lowe & Schnotz 2008; Höffler & Leutner 2007). Der Einsatz von Videos und Animationen ist insbesondere dann von Vorteil, wenn die Lerner*innen ein (animiertes) mentales Modell benötigen (d = 1.06), um gewisse Aufgaben oder Probleme zu lösen (Höffler & Leutner 2007; Horz 2015, 128). Mehrfach empirisch belegt ist außerdem, dass das Lernen mit multimedialen im Vergleich zu rein textuellen (unimedialen) Lernumgebungen einen höheren Lernerfolg er- bringt („Multimedia-Prinzip“, d = 0.30) (Horz 2015; Herzig 2014; Zwingenberger 2009). Zwingenberger (2009) zeigt in ihrer Übersicht über Metaanalysen, dass multimediale Lernmaterialien mit einem kleinen Effekt (d ≈ 0.30) zu höheren Ler- nerfolgen führen als traditionelle Lehrmethoden (a.a.O.). Auch die Multimodalität bei Medien führt zu höheren Lernerfolgen, insbesondere dann, wenn diese simultan und in ‚räumlicher Nähe‘ zueinander ‚abgespielt‘ werden (Mayer & Moreno 1998; Mayer 2001). In explorativen Studien zeigen sich außerdem überfachliche Effekte (Herzig 2014). Digitale Medien besitzen bspw. motivationale Effekte, welche zwar oft zeitlich begrenzt auftreten (Neuigkeitseffekt, Kerres 2003; Herzig 2014), jedoch auch länger- fristig die Motivation steigern können (Schaumburg, Prasse, Tschakert & Blömeke 2007). In einer Studie von Tillmann und Bremer (2017) konnte nach 18 Monaten eine gleichbleibend hohe intrinsische Motivation von Grundschulkindern festgestellt werden. Gleichzeitig ließ der empfundene Druck bei der Arbeit mit digitalen Medien (Tablets) kontinuierlich nach. Es zeigte sich, dass insbesondere „dann die Motivation hochgehalten werden kann, wenn die Unterrichtsszenarien projekt- und prozessori- entiert gestaltet sind und selbstgesteuertes Lernen ermöglichen“ (a.a.O., 241). Laut Hattie (2009) sind für einen besonders wirksamen Einsatz digitaler Medien in der Schule außerdem die folgenden Faktoren entscheidend: Die Lehrkräfte sollten ent- sprechende Fortbildungen besucht haben, die Lernangebote vielfältige Möglichkeiten zum Lernen bieten und die Kinder nach Möglichkeit ihren Lernprozess selbst kon- trollieren. Zusammenfassend kann man auf Basis dieses Forschungsstandes von einem doi.org/10.35468/5935-05 66 | Michael Haider, Markus Peschel et al. kleinen positiven Effekt auf den Lernerfolg sowie die Motivation von Kindern beim Lernen mit Medien ausgehen. Die Größe des Einflusses der Medien auf das Lernen ist dabei von verschiedenen Faktoren abhängig, die sowohl die Lehrkräfte, die Kinder, den Lerngegenstand sowie das Lernsetting betreffen. Betrachtet man diese Ergebnisse in Relation zu den Forschungsbefunden aus der Sachunterrichtsdidaktik, erkennt man eine Diskrepanz. So zeigen verschiedene Me- ta-Studien, dass der Einsatz digitaler Technologie durchschnittlich einen kleinen po- sitiven Effekt auf das Lernen sowie die Motivation hat, welcher im Rahmen von sa- chunterrichtsdidaktischen Studien bisher nicht erzielt wurde. Dieses ambivalente Bild gilt es auszuschärfen und konkrete fachdidaktische Zusammenhänge aufzudecken. Es sollte jedoch nicht zur Reproduktion der lerntheoretisch fragwürdigen rezeptionis- tischen Settings dieser Studien kommen. Vielmehr sollte man die Ergebnisse vor dem Hintergrund eines handlungsorientierten und bildungswirksamen Lernens als Grund- lage für neue Forschung mit hypothesenprüfenden Verfahren nutzen. Zum Lernen über Medien liefert die Informatikdidaktik entscheidende Beiträge (Straube, Brämer, Köster & Romeike 2019; KMK 2016; ICILS 2018). Eine qualita- tive Analyse von Videodaten mittels dokumentarischer Methode von Goecke, Stiller und Pech (2018) konnte Ansätze von Hypothesengenerierung und -prüfung, der Greedy-Methode (sukzessiver Ausbau von Teillösungen zur Gesamtlösung) und des Nutzens von Variablen bei Grundschulkindern der dritten Klasse, welche Robotik- material benutzten, beobachten (a.a.O.) Eine Aktualisierung der Ergebnisse (N=22) kommt zu dem Ergebnis, dass die Kinder „intuitive Verständnisweisen der Über- tragung und Speicherung von Information innerhalb eines Roboters“ besitzen und dass Algorithmenverständnisse „erst durch die systematische und detaillierte Analy- se von Handlung und Gesprochenem interpretiert werden können“ (Goecke, Stiller & Schwanewedel 2021, 129). Eine Studie von Köster, Brämer, Mehrtens, Straube, Voigt und Nordmeier (2019) zum Interesse von Grundschulkindern der ersten bis dritten Klassenstufe (n = 28) an verschiedenen Robotikmaterialien zeigte deutliche Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen sowie zwischen Kindern verschiedener Klassenstufen. Bei einem frei wählbaren Angebot wurde Häufigkeit und Verweildauer als Indikatoren für das situationale Interesse erfasst. Materialien wie Lego® WeDo, Scratch Jr. sowie der BeeBot erwiesen sich als besonders interessant, wohingegen Cal- liope eher weniger Interesse hervorrief. Scratch Junior wurde signifikant länger von Mädchen als von Jungen besucht (d = 1.01), wohingegen Jungen eher Lego® WeDo (d = 0.63) bevorzugten. Dies lässt darauf schließen, dass die Auswahl des Materials für den Unterricht potenziell vorhandene Berührungsängste oder auch Genderphäno- mene im Grundschulalter verstärken könnte. Verschiedene Studien belegen, dass Grundschulkinder prinzipiell kognitiv in der Lage sind, fachliche Inhalte über Medien zu verstehen (u.a. Gibson 2012; Weigend 2009). Schwill (2001) konnte auf Basis einer Analyse bestehender Untersuchungen zeigen, dass es Grundschulkindern gelingt, konzeptionelle Ideen, wie z.B. Rekursion (als eine komplexere Form der Iteration, bei der eine Anweisung sich selbst mehrfach aufruft) doi.org/10.35468/5935-05 Die Veränderung der Lebenswelt der Kinder und ihre Folgen | 67 zu verstehen sowie anzuwenden. Jedoch können Kinder komplizierte rekursive Sach- verhalte stärker erfassen, als sie beschreiben. Hoffmann, Wendtland und Wendtland (2017) kommen zum Schluss, dass wesentliche Konzepte der Algorithmisierung auch für Grundschulkinder ohne vorherige Thematisierung dieser Inhalte im Unterricht umsetzbar sind. Weigend (2009) schließt, dass bereits Dritt- und Viertklässler*innen (N=126-149) keine grundsätzlichen Schwierigkeiten haben, „die wesentlichen Aus- drucksmittel einer Programmiersprache zur Steuerung von Aktivitätsflüssen und zur Benennung von Entitäten zu begreifen und anzuwenden“ (a.a.O., 107). Gibson (2012) kommt zu dem Ergebnis, dass selbst Kinder, die des Lesens und Schreibens noch nicht mächtig sind, lernen können, mit grafischen Algorithmen umzugehen. Eine Untersuchung von Kindern zwischen 3 und 6 Jahren, die mit LEGO-Electro- nic-Blocks arbeiteten, belegt außerdem, dass bereits 3-jährige Kinder einfache Al- gorithmen und Robotersysteme entwickeln und damit arbeiten können (Wyeth & Wyeth 2008). Darüber hinaus zeigen sich interessante Zusammenhänge bei übergreifenden Kon- strukten. Zwei Metastudien fanden einen Zusammenhang zwischen der Program- mierfähigkeit mit einem höheren Ergebnis in verschiedenen kognitiven Tests mit positiven mittelstarken Effekten, welche auch für Grundschulkinder gelten können, auch wenn diese nur einen Teil der Stichproben ausmachten (Liao & Bright 1991). Román-González, Pérez-González und Jiménez-Fernández (2017) konnten außer- dem eine Korrelation des informatischen Denkens (Computational Thinking) mit einem Test zum Problemlösen bei Sekundarstufenschüler*innen empirisch belegen (r = 0.67). Die Studien aus der Informatikdidaktik stützen und erweitern somit die Ergebnisse von Goecke et al. (2018, 2021) und zeigen auf, welches Potential in diesem bisher noch wenig bedienten Forschungsfeld, des Lernens über Medien, innerhalb der Sachunterrichtsdidaktik liegt. Fazit Mit dem Positionspapier „Sachunterricht und Digitalisierung“ der GDSU (2021) wurde erstmals ein auf Digitalisierung fokussiertes, umfassendes Verständnis eines Medialen Lernens grundgelegt und die daraus resultierenden unterrichtlichen Ab- leitungen im Sinne eines welterschließenden Verständnisses für die Grundschule benannt. Damit geht die Konzeption der sachunterrichtlichen Auseinanderset- zung mit Medien, digitalen Artefakten, Kulturveränderungen durch Medien, Konsum, Technik und Entwicklung samt den Einflüssen auf Gesellschaft und Sprache über bestehende Forderungen (z.B. GI 2019) hinaus und betont die doppelte Ausrichtung medialen Lernens im Sachunterricht in Hinblick auf eine Kultur der Digitalität und zukunftsgerichtete Prozesse des Lernens in der Grund- schule insgesamt. doi.org/10.35468/5935-05 68 | Michael Haider, Markus Peschel et al. Dass dazu auch eine Veränderung der Lernlandschaft und besonders auch der Lehrer*innenbildung gehört, ist offensichtlich, werden doch Lehrkräfte zumeist nur begrenzt mit dem doppelten Potential der Einbindung von Medien (mit und über) in Lernzusammenhänge in ihrem Studium konfrontiert. Wichtig ist dabei, Einzelkompetenzen (z.B. Robotik, Programmierung) im Sinne des zuvor dargelegten umfassenden Verständnisses einzubinden und Zielsetzungen im Sinne der Allgemeinen Bildung nach Klafki (1992) immer wieder neu zu justieren. Zu den erforderlichen Veränderungen gehört auch ein hoher Forschungsbedarf. Es zeigt sich viel Potenzial innerhalb der dargestellten Forschungsfelder. Bisher fokussiert keine der Studien einen vielperspektivischen Ansatz im Sachunterricht. Gerade ein vielperspektivischer Sachunterricht hätte aber das Potenzial, den vielschichtigen Problemen zu begegnen und weitere Ansatzpunkte für die Forschung zu liefern. So könnten interaktive digitale Animationen (Lernen mit Medien) den Aufbau komplexer dynamischer kognitiver Schemata bzw. das Modellieren und somit ei- nen essenziellen Bestandteil naturwissenschaftlichen Denkens fördern (Lange & Hartinger 2014; Horz 2015). Außerdem könnte das Problemlösen oder das Bilden von Hypothesen durch das Lernen über Medien gefördert und damit auch fach- liches Lernen in der naturwissenschaftlichen oder technischen Perspektive verbes- sert werden (Liao & Bright 1991; Román-González et al. 2017). Literatur Bach, S. (2018): Subjektiver Kompetenzerwerb von Schülerinnen und Schülern beim unterrichtlichen Einsatz von kidi-Maps. Eine Studie zum Einsatz digitaler Karten am Beispiel von kidi-Maps im Ver- gleich zu analogen Karten bei Schülerinnen und Schülern einer vierten Jahrgangsstufe. Saarbrücken. Beauchamp, G. (2004): Teacher use of the interactive whiteboard in primary schools: towards an effec- tive transition framework. 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The article therefore aims to provide initial reflections on what digitality means for the didactic promises of out-of-school learning. 1 Digitale außerschulische Lernorte im Sachunterricht Kinder und Jugendliche sind Teilnehmer*innen und Gestalter*innen ihrer me- dialen Lebenswelt (Wiesemann, Eisenmann, Fürtig, Lange & Mohn 2020, 5), in welcher der Umgang mit digitalen Medien und die Kommunikation in der digitalisierten Lebenswelt mittlerweile eine Alltäglichkeit darstellen (mpfs 2021, 2). Auch bildungspolitisch ist Digitalisierung ein relevantes Thema (KMK 2016), welches finanziell gefördert (z.B. DigitalPakt Schule) und mit vielfältigen Ent- wicklungschancen verknüpft wird (Irion 2018). Neben der digitalen Transforma- tion schulischer Lernumgebungen digitalisieren auch außerschulische Lernorte ihr Angebot vor Ort oder erweitern es zum Beispiel durch virtuelle (Lern-)Um- gebungen. In diesem Artikel verstehen wir digitale Medien nicht nur als Werkzeuge, sondern als prägende Formen (Krommer 2019) und sehen Digitalisierung nicht nur als technisches Phänomen der Überführung eines analogen Mediums in ein digitales an, sondern gehen von einer „unhintergehbare[n] mediale[n] Präfigurierung jegli- cher sozialen Praxis und Lebensbereiche“ (Münthe-Goussar & Grünberger 2019, 913) aus. Demnach wird Digitalität als „neue[r] kulturelle[r] Möglichkeitsraum“ (Stalder 2021, 4) gedeutet. Für die Sachunterrichtsdidaktik knüpft an diese gesellschaftliche Transformati- onsdiagnose die Frage an, wie die Sachen unter den Bedingungen einer „Kul- tur der Digitalität“, wie Stalder sie 2016 betitelt, im Sachunterricht konstruiert doi.org/10.35468/5935-06 74 | Swaantje Brill und Alexandra Flügel werden. Dieser Frage wollen wir im vorliegenden Beitrag exemplarisch anhand des – für die Sachunterrichtsdidaktik relevanten – Lernens am außerschulischen Lernort (ALO) nachgehen. Programmatisch verbindet die (Grund-)Schulpädago- gik mit dem Lernen am ALO unter anderem originale Begegnung (Sauerborn & Brühe 2012; Wilhelm, Messmer & Rempfler 2011) und Anschaulichkeit (Burk & Schönknecht 2008; Karpa, Lübbecke & Adam 2015). Orientiert an diesen di- daktischen Versprechen des ALO erwachsen angesichts digitaler Lernformate und virtueller Angebote Fragen nach Transformationen von Orten und Dingen. Hier- für haben wir zwei ALO (Museum und NS-Gedenkstätte) ausgewählt, für die ‚Dinge‘ eine zentrale Bedeutung haben und sich somit unmittelbar Fragen nach der Originalität und Anschaulichkeit im Kontext von Digitalität anschließen. 2 Die Lernorte Museum und NS-Gedenkstätte in der Diskussion 2.1 Distinguiertheiten der ALO: Aura, Authentizität, originale Begegnung und Anschaulichkeit Insbesondere in Museen bilden Exponate und deren Präsentationsformen einen zentralen Bezugspunkt für Besucher*innen. Die Ausstellungsobjekte sind aus- gewählte Ausschnitte aus einer meist ungleich umfangreicheren Sammlung, die neben einer konservatorischen Aufbereitung und Beforschung ebenso eine kura- torische Auswahl durchlaufen, die letztendlich entscheidet, welche Sammlungs- objekte wie in die Ausstellungshäuser gelangen und für Besucher*innen veröf- fentlicht gezeigt werden. Die gesammelten Dinge werden für die Besucher*innen zu Informationsträgern gemacht (Korff 2002, 141) und wirken in Museen durch ihre materielle Existenz (Kohle 2018, 20). ‚Präsenz‘, ‚Aura‘ oder ‚Authentizität‘ sind in diesem Zusammenhang häufig verwendete Begriffe (a.a.O.), denen ein gewisser Faszinationswert zugeschrieben und dessen Erleben vor allem mit der Praxis des verweilenden Betrachtens der Besucher*innen in Verbindung gebracht wird. Museen wird somit ein besonderer „Schauwert“ (Wieland 2019, 92) der originalen Ausstellungsstücke gegenüber einer Kopie oder anderen (Re-)Produk- tionen der Sammlungsobjekte zugesprochen. Aus sachunterrichtsdidaktischer Perspektive verspricht man sich, ein besonderes Erlebnis auch mit Blick auf einen Lern- oder Erkenntnisprozess durch die originale Begegnung evozieren zu kön- nen. Auch im Kontext der Gedenkstättenarbeit nimmt ‚Authentizität‘ einen wich- tigen Stellenwert ein und begründet zum Beispiel die Relevanz dieser außerschu- lischen Lernorte. Auch von den Besucher*innen wird die unvermittelte, originale Begegnung als zentrales Motiv für einen Gedenkstättenbesuch angeführt (Werker 2016, 100 ff.). Da Gedenkstätten jedoch überformte, gestaltete und deutungs- sowie erklärungsbedürftige Orte darstellen, wird die Authentizitäts erwartung doi.org/10.35468/5935-06 Digital unterwegs – außerschulische Lernorte | 75 kritisch diskutiert (Decroll, Schaarschmidt & Zündorf 2019, 7 ff.; Knoch 2020, 122 ff.) und vielmehr eine Dekonstruktion der „Illusion einer unmittelbaren An- schauung“ (Assmann 2006, 224 zit. n. Knoch 2020, 127) angestrebt. Gleichzeitig ist mit den Relikten am historischen Ort ein Zeugnischarakter verbunden, denn sie sind Beweismittel (Wagner 2020, 4; Wagner 2019, 99). Durch den sogenann- ten ‚Abschied von der Zeitzeugenschaft‘ gelten die historischen Orte und Dinge als materielle Stellvertreter, woraus als didaktische Konsequenz im Kontext der Gedenkstättenpädagogik das „dokumentierende Prinzip“ (Wagner 2019, 98) re- sultiert. „Bauliche Relikte und historische Ausstellungsobjekte […] sollen dem- nach nicht eine vorgegebene Geschichtsdeutung illustrieren, sondern haben einen eigenständigen Wert. Dieser hat allerdings einen fragmentarischen Charakter, dessen Zeichengehalt kontextualisiert werden muss, ohne die Mehrdeutigkeit auf- zugeben“ (Wagner 2020, 3). Durch Anschauung der Relikte am historischen Ort ist nicht zwangsläufig eine Lesbarkeit gegeben. Vielmehr ist eine Entschlüsselung, eine Spurensuche an Kontextinformationen gebunden. 2.2 Distinguiertheiten der ALO im Kontext von Digitalisierung am Beispiel des digitalen Angebots des Anne-Frank-Hauses1 Aktueller denn je müssen sich außerschulische Lernorte mit dem Prozess der Di- gitalisierung sowie dessen Effekten für die jeweiligen Institutionen bzw. dessen „alte[n] Distinktionsgewinne[n]“ (Hahn 2021, 45) auseinandersetzen. Museen tun sich teilweise noch schwer mit dem Einbezug von Besucher*innen, die via Internet als User*innen die digitalen Museumsangebote nutzen (Kohle 2018, 32).2 Lätzel und Sievers (2018) warnen vor dem „Verlust distinktiver Qualitäten (Einzigartigkeit, Aura) des Museums durch Digitalisierung und Enträumlichung der Kultur“ (a.a.O. zit. n. Hahn 2021, 45), die insbesondere durch originale An- schauung erfahrbar sind (Kohle 2018, 32). Müller (2018, 64) hingegen verweist in diesem Zusammenhang auf neue „digitale Kodierungsmöglichkeiten“, die das traditionelle Verständnis von materiellem Kulturerbe beweglicher machen. Beispielsweise können so alte Konzepte zur Aura des Originals in Frage gestellt 1 Das Anne-Frank-Haus in Amsterdam bezeichnet sich auf seiner Homepage selbst als Museum. Da es sich um einen originalen historischen Ort, nämlich das Versteck der Familie Frank, handelt, kann das Anne-Frank-Haus auch, wie zum Beispiel die Alte Synagoge Essen, als Gedenkstätte bezeichnet werden. NS-Gedenkstätten zeichnen sich neben ihrem Tatbezug durch alle klassischen Arbeitsbe- reiche wie Museen aus – Sammlung, Bewahrung, Ausstellung, Erforschung und Vermittlung (z.B. Knoch 2020). International wird der Begriff Gedenkstätte nicht verwendet (z.B. IHRA 2017). 2 Aktuell muss jedoch berücksichtigt werden, dass insbesondere der pandemiebedingte Abbruch ver- trauter Kommunikationswege zu einer beschleunigten Entwicklung digitaler Angebote geführt hat. Aktuelle museumspädagogische Auseinandersetzungen, die sich unter anderem aus der Corona- Krise-geprägten Zeit entwickelt haben, finden sich im aktuellen Themenheft der museumspädago- gischen Fachzeitschrift Standbein Spielbein 116 mit dem Titel „Mittendrin! Museale Vermittlung in und mit dem digitalen Raum“ (BVMP 2021). doi.org/10.35468/5935-06 76 | Swaantje Brill und Alexandra Flügel werden und neue „eigenständige ›Auratiken‹ digitalisierter Objekte in remateri- alisierter oder digitaler Form“ (a.a.O., 63) entstehen. Insbesondere im Kontext von musealer Vermittlungsarbeit wird betont, dass es nicht um eine reine Umwid- mung der analog existierenden Objektsammlungen in digitale Archive geht. Viel- mehr muss eine „Referenzialität“3 (a.a.O., 59) zwischen digitalisierten und analo- gen Sammlungsobjekten aufgegriffen werden mit dem Ziel, digitalisierte Objekte in eigenständige Bedeutungszusammenhänge zu setzen und nicht als reine Kopie des ‚Originals‘ sondern als dessen Referenzpunkt zu gelten (a.a.O.). In diesem Sinne können sich, neben den Museen selbst, auch die User*innen der digitalen Museumsangebote an der Herstellung von Bezügen beteiligen, die sich gerade in gemeinschaftlichen Formationen verdichten und erweitern können. Eine weitere Diskussion rankt sich um das, was mit Stalder (2016) als „Algorith- mizität“ (a.a.O., 164 ff.) einer neuen digitalen Museumskultur bezeichnet wer- den könnte: Die Vermittlungsangebote der Zukunft können durch neue Mög- lichkeiten der Nutzerdatenerfassung „entschieden individualisiert und interaktiv“ (Kohle 2018, 18) auf die User*innen abgestimmt werden. Solche userorientierten Onlineangebote von Museen, in denen durch passgenaue Gestaltungsangebote, Interaktionen und Co-Creator*innenschaften (wie posting und re-posting oder tagging in sozialen Netzwerken) digitalen Exponate eine neue Bedeutungszu- schreibung zukommt, bewegen sich weg von einem rein rezeptiven Schauwert des Museums zugunsten eines neuen Interaktions- und Partizipationswerts des Lern- und Bildungsorts. Die ‚neuen‘ Darstellungs- und Interaktionsformen der ALO sind anschlussfähig an die Lebenswelt der Kinder und ihr Nutzungsver- halten von digitalen Kommunikationsstrukturen (mpfs 2021, 87) und werden von den Schüler*innen sogar aktiv bei Museen und Kulturvermittler*innen einge- fordert (Kohle 2018, 17). Im Kontext solcher digitaler Darstellungsformen (z.B. Online-Blogs, Instagram-Story „eva.stories“, Zeitzeugenschaft durch 3-D-Holo- gramme, VR- und AR-Angebote) und digitaler Praktiken von Besucher*innen (z.B. Selfies vom Holocaust Denkmal in Berlin: Fotoblog ‚Tindercaust‘) erfährt die Frage der Angemessenheit der Darstellung bzw. Auseinandersetzung eine neue Dimension und wird intensiv diskutiert (Wagner 2019; Knoch 2020). Orientiert an den didaktischen Versprechen des ALO, Anschaulichkeit und origi- nale Begegnung zu bieten sowie den spannungsvollen Verhältnissen von ‚Lernen – Gedenken‘ und ‚Authentizität – Anschaulichkeit – Konstruktion – Dekonstruk- tion‘ wird im Folgenden das digitale Angebot des Anne-Frank-Hauses in Amster- 3 Auch Stalder (2016, 96 ff.) beschäftigt sich intensiv mit der Referenzialität in einer Kultur der Digi- talität. Referenzialität wird als grundlegende Methode zur kollektiven Verhandlung von Bedeutung verstanden. doi.org/10.35468/5935-06 Digital unterwegs – außerschulische Lernorte | 77 dam analytisch beleuchtet: Auf seiner Homepage bietet das Anne-Frank-Haus in Amsterdam einen virtuellen Rundgang durch das ‚Hinterhaus‘, dem Versteck der Familie Frank von 1942 bis 1944, an (www.annefrank.org). Auf der Homepage steht auf diese Weise ein Besuch der digitalen Räume Menschen weltweit zu jeder Tageszeit zur Verfügung. Orientiert an schriftlichen Zeugnissen und Bildmaterial wurden die digitalen Räume detailgetreu rekonstruiert und mit Tagebucheinträ- gen und Informationsfilmen, die sich über Icons anwählen lassen, verbunden. Die Konstruktion der Räumlichkeiten wird demnach mit der Person Anne Frank ver- woben, was sich als Authentifizierungsstrategie deuten lässt. Gleichzeitig ermög- lichen die Informationsfilme Kontextinformationen. Allerdings sind „Quellenin- formationen, herstellungstechnische Daten und Grundlagen der Visualisierung […] kaum transparent“ (Knoch 2021, 116), was die Spurensuche und Mög- lichkeiten zur Dekonstruktion beschränkt. Während die 360°-Darstellung über die Homepage eine digitale Raumerfahrung am Bildschirm darstellt, ermöglicht die App des Anne-Frank-Hauses einen Besuch mit VR-Brillen. Im Museum am historischen Ort ist das Hinterhaus auf Wunsch von Otto Frank leer, die virtu- elle Realität allerdings bietet Möbel sowie auch Gegenstände zum virtuellen ‚An- fassen‘. „Die Anwendung ist also keine fotorealistische Reproduktion der phy- sischen Welt, sondern integriert fiktive Elemente“ (Nägel & Stegmaier 2019). Die App ermöglicht so nicht den Besuch des historischen Ortes, sondern eine „VR-Erfahrung auf der Basis eines quellengestützten Bühnenbildes, das sichtbar macht, was nicht mehr erhalten ist“ (Knoch 2021, 116). Hieran schließt sich die Frage, wie die Besucher*innen der Gedenkstätte bzw. die User*innen des digitalen Angebots die jeweiligen Vergangenheitskonstruktionen rezipieren und welche „eigen-sinnigen Sinnbildungsmuster“ (Brüning & Grewe 2020, 317) in Auseinandersetzung vor Ort oder im digitalen Raum erzeugt wer- den können. Die systematische Unterscheidung zwischen analoger und digitaler Auseinandersetzung oder Vergangenheitskonstruktion ist zugegebenermaßen ein eher künstliches Konstrukt, da eine Nutzung der App und des VR-Angebots ebenso in der Gedenkstätte möglich sein kann. Wir möchten mit der Frage auf die begriffliche Unterscheidung von ‚Besucher*innen‘ der Lernorte und ‚User*innen‘ digitaler Plattformen aufmerksam machen. Die digitalen Angebote richten sich an Internet-User*innen (‚Nutzer*innen‘) und aktivieren ein spezifisches, durch infor- melle Medienpraktiken charakterisiertes Nutzer*innenverhalten im Umgang mit digitalen ALO. Medienpraktiken sind hier zu verstehen als „situativ, körperlich, zeichenhaft, prozessual, medienübergreifend, infrastrukturiert, historisch und so- zio-kulturell“ (Dang-Anh 2017, 7 zit. n. Bettinger & Hugger 2020, 6) doi.org/10.35468/5935-06 78 | Swaantje Brill und Alexandra Flügel 3 Ausblick Die exemplarische Diskussion digitaler Angebote an den außerschulischen Ler- norten Museum und Gedenkstätte verweist auf zwei spezifische Themenkom- plexe, die für Didaktisierungsbemühungen im Kontext Digitalität relevant sind und zu denen Forschungsbedarfe bestehen: Die Repräsentation der Sachen und Medienpraktiken der Akteur*innen. Die Illustration digitaler Angebote der ALO Museum und NS-Gedenkstätte hat aufgezeigt, dass die digitalen Repräsentati- onen von Orten und Dingen grundlegend mit Diskursen um Originalität, Au- thentizität und Anschauung zusammenhängen. Indem beispielsweise die App des Anne-Frank-Hauses und die VR-Erweiterung in der Gedenkstätte – am ‚origi- nalen‘, historischen Ort – angewendet wird, begegnen die Besucher*innen quasi gleichzeitig der leergeräumten Gedenkstätte und der virtuellen Möblierung. Eine solche Komplexitätssteigerung der Repräsentation ist einerseits hinsichtlich ihrer didaktischen Chancen zu diskutieren und mit Blick auf die damit einhergehenden Sinnbildungsmuster der Besucher*innen empirisch zu untersuchen. Gleichzeitig handelt es sich bei den Darstellungsformen nicht lediglich um eine Überfüh- rung vom Analogen ins Digitale. Vielmehr sind die digitalen Produkte in Me- dienpraktiken eingebunden: Also nicht „nur die Auswirkungen technischer Wei- terentwicklungen, sondern daraus resultierende veränderte kulturelle Praktiken charakterisieren demnach die Kultur der Digitalität “ (Pallesche 2021, 90). Wir haben verdeutlicht, dass für die Analyse sowohl der analogen als auch der digitalen Angebote die Nutzung durch die Besucher*innen bzw. User*innen, ihr situier- tes Tun von Relevanz ist, welches u.a. eingelassen ist in differierende Kontexte (Werden die Akteur*innen als Besucher*innen, als User*innen, als Schüler*innen adressiert?). Wenn Darstellungen, Lernanlässe, Informations- und Kommunikati- onsformen im Sachunterricht oder am ALO im Sachunterricht digital präfiguriert werden, erwächst hieraus ein Forschungsbedarf für die Sachunterrichtsdidaktik, der danach fragt, wie sich im Sachunterricht digitale und analoge Medienprak- tiken vollziehen und ob bzw. welche Transformationen sich beschreiben lassen. doi.org/10.35468/5935-06 Digital unterwegs – außerschulische Lernorte | 79 Literatur Anne Frank Stichting, Amsterdam. https://www.annefrank.org / de / museum / web-und-digital / [15.08.2021]. Baar, R., & Schönknecht, G. 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Der Deutschschweizer Lehrplan fordert im Zusammenhang mit dem Querschnitts- thema Nachhaltige Entwicklung explizit „Wissen und Können aufzubauen, das die Menschen befähigt, […] Verantwortung zu übernehmen und sich aktiv an gesellschaftlichen Aushandlungs- und Gestaltungsprozessen für eine ökologisch, sozial und wirtschaftlich Nachhaltige Entwicklung zu beteiligen“ (D-EDK 2016). Befunde zu Vorstellungen von Akteuren im Bereich Bildung für Nachhal- tige Entwicklung (BNE) weisen darauf hin, dass es für professionelles Handeln von Lehrpersonen im Bereich BNE neben fachlichem und didaktischem Wissen auch einer Auseinandersetzung mit den eigenen diesbezüglichen Überzeugungen bedarf (z.B. Maack 2020). In diesem Beitrag wird nach dem Potenzial techno- logiegestützter Anleitung von Reflexion (Kori, Pedaste, Leijen & Mäeots 2014) für eine reflexive Auseinandersetzung von (angehenden) Lehrpersonen (Berndt, Häcker & Leonhardt 2017) mit ihren nachhaltigkeitsbezogenen Überzeugungen gefragt. Der Hintergrund dafür bildet die von der PH FHNW entwickelte BNE- App, die mit dem Anspruch entwickelt wurde, transformatives Lernen durch erfahrungsbasierte Reflexion zu fördern. Fokussiert wird hier auf die Überzeu- gungen von Lehrpersonen im Zusammenhang mit den sachunterrichtsrelevanten doi.org/10.35468/5935-07 82 | Svantje Schumann und Corinne Ruesch Schweizer Vorstellungen dazu, was es bedeutet ‚Verantwortung zu übernehmen‘ und ‚sich aktiv an gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen zu beteiligen‘. Im Folgenden wer- den theoretische und empirische Befunde zur Tragweite unterschiedlicher Vor- stellungen skizziert, vor diesem Hintergrund wird dann mittels hermeneutischer Sequenzanalysen von Gruppendiskussionen das Potenzial der App zu deren Re- flexion diskutiert. 2 Mitwirkung an Problemlösungen – zwei Denkmuster Mit Blick auf eine Nachhaltige Entwicklung (NE) Verantwortung zu überneh- men und sich an gesellschaftlichen Prozessen zu beteiligen, meint angesichts des aktuellen Zustands der Nicht-Nachhaltigkeit auch, sich an gesellschaftlichen Pro- blemlöseprozessen zu beteiligen. Für diese unterscheidet Wohnig (2018) zwischen einem individualistischen und einem strukturellen Denkmuster. Beim individu- alistischen Denkmuster wird das persönliche Engagement zur Reduktion eines Missstandes „als einzige Möglichkeit angesehen, um in gesellschaftspolitische Pro- bleme zu intervenieren“ (a.a.O., 206). Beim strukturellen Denkmuster kommt politisches Engagement und damit strukturbezogenes Handeln für das Lösen ge- sellschaftspolitischer Probleme in den Blick. Vor dem Hintergrund dieser beiden Denkmuster lassen sich die Befunde von Holfelder (2018) und Bergmüller (2019) interpretieren, die zeigen, dass das Thematisieren nachhaltigkeitsbezogener gesell- schaftspolitischer Probleme im Unterricht die Handlungspraxis von Jugendlichen kaum längerfristig beeinflusst, sogar wenn diese den moralischen Anspruch aner- kennen. Durch Entschuldigungen, weshalb eine moralisch als „richtig“ angese- hene Handlungspraxis nicht umgesetzt werden kann, oder Vergleiche mit ‚größe- ren Sündern‘ wird die – durchaus reflektierte – Diskrepanz zwischen moralischem Anspruch und eigener Handlungspraxis lediglich „auf theoretisierender Ebene ‚gelöst‘“ (Holfelder 2018, 391). „Ein kritisches Nachdenken über [...] die eige- ne Rolle in diesem System wird nicht exploriert“ (Kater-Wettstädt 2019, 132). Eine Erklärung dafür bietet das Konzept der Überforderung, die dann entsteht, „wenn die Ansprüche nicht den Handlungsspielräumen entsprechen und im Konsumentenalltag nicht durchführbar sind“ (Schmidt 2016, 25). Entsprechend wird eine Überführung des moralischen Anspruchs in Handeln in den genannten Studien dort beobachtet, wo dieses in einen gemeinsam Handlungsrahmen ein- gebettet wird. Sie zeigt sich dort, wo der konkrete kollektive Handlungsspielraum für das Lösen gesellschaftspolitischer Probleme berücksichtigt wird bzw. thema- tisiert wird, warum „verantwortungsvolles Handeln angesichts globaler Probleme so schwierig zu realisieren ist“ (Wettstädt & Asbrand 2014, 12). Dies verweist auf die Relevanz der nachhaltigkeitsbezogenen Kompetenz der Mitwirkung „an exemplarische[n] Vorhaben oder Projekte[n] der Klasse oder der Schule“ (GDSU doi.org/10.35468/5935-07 App-basierte Unterstützung von Lehrpersonen | 83 2013, 79), in der sich das strukturelle Denkmuster spiegelt, wenn mit politischem Handeln nicht nur das Agieren im politischen System – zu dem Schüler*innen nur beschränkten Zugang haben – gemeint ist, sondern jegliche Einflussnahme auf die „Ordnung des Zusammenlebens“ (Hitzler 1997, 128) in sozialen Sys- temen. Zusammenfassend zeigt sich, dass ein individualistisches Denkmuster von Lehrpersonen die Gefahr birgt, strukturelle Handlungszwänge, in die Schü- ler*innen eingebunden sind, nicht zu beachten und mit individualisierten Hand- lungsaufforderungen Ohnmachtserfahrungen auszulösen. Demgegenüber scheint das strukturelle Denkmuster geeigneter, um Schüler*innen zur Verantwortungs- übernahme und Partizipation zu befähigen, da damit Handlungsspielräume der Schüler*innen zur Veränderung von Systemen, in denen sie handeln, im Blick sind und ermöglicht wird, diese Systeme zu kollektiven Erfahrungsräumen zu machen, in denen sie sich nicht individualisierten Handlungsaufforderungen ge- genübersehen, sondern sich im gemeinsamen Ringen um die Ordnung des Zu- sammenlebens als selbstwirksam erleben können. 3 Funktion und Potenzial der BNE-App Im Zentrum der BNE-App stehen Erfahrung und Reflexion. Noch wenig geklärt sind Gelingensbedingungen für Reflexionen (Klewin, Köker & Störtländer 2020). Der hier vorgestellte Prototyp der BNE-App zielt darauf, dass App-Nutzer*innen Erfahrungen mit nachhaltigem Handeln sammeln, bewusst festhalten und reflek- tieren. Auf dieser Grundlage sollen sie Erkenntnisse gewinnen, die in Vorschläge münden, wie in ihrem Umfeld oder auf politischer Ebene Bedingungen für eine Transformation in Richtung Nachhaltigkeit geschaffen werden können. Ziel ist es, einen Diskurs über individualisierte Konsument*innenentscheidungen und gesellschaftliche Rahmenbedingungen anzustossen. Ausgangspunkt der App ist die Entscheidung, ein konkretes Verhalten während vier Wochen nachhaltiger zu gestalten. Als sog. Self-Commitments standen u.a. die Reduktion von Fleisch-, Strom- oder Wasserkonsum zur Verfügung. Mittels Tagebuchfunktion der App wird täglich festgehalten, ob das gewählte Self-Commitment eingelöst werden konnte und was das Einlösen erleichtert oder erschwert hat. Um die damit ge- machten Erfahrungen zu reflektieren, regt die App dazu an, die Tagebucheinträge wöchentlich nochmals zu lesen und zusammenzufassen. Um ausgehend von die- ser Selbstreflexion zu einer Reflexion der strukturellen Bedingungen zu gelan- gen, fordert die App auf, Ideen zu generieren, welche Veränderungen auf unter- schiedlichen Ebenen dazu beitragen könnten, dass solch nachhaltiges Verhalten selbstverständlicher wird. Damit regt die App dazu an, das konkrete individuelle Verhalten in den gesellschaftlichen Kontext zu stellen. Erhofft wird, dadurch eine Irritation über komplexitätsreduzierende Vorstellungen des Verhältnisses von in- doi.org/10.35468/5935-07 84 | Svantje Schumann und Corinne Ruesch Schweizer dividuellem Beitrag und NE auszulösen. Die Ergebnisse der Fragebogenstudie, die im Rahmen der Evaluation der App mit 29 Studierenden der Pädagogischen Hochschule FHNW durchgeführt wurde, weisen darauf hin, dass die Reflexion der Nutzer*innen tatsächlich weniger auf das konkrete Self-Commitment ge- richtet war, sondern nachhaltiges Handeln ganz allgemein in den Blick der Nut- zer*innen rückte (Ruesch Schweizer, Zimmermann, Theiler & Schumann 2021). Wie sich das Nachdenken über nachhaltiges Handeln darstellt, welche Strukturen darin eine Rolle spielen, ob es über nachhaltiges Handeln im Sinne von indivi- dualisierten Konsumentscheidungen hinausgeht und gesellschaftliche Rahmenbe- dingungen einer NE in umfassendem Sinne einbezieht, lässt sich aufgrund dieser Ergebnisse jedoch nicht entscheiden. 4 Exemplarisch-hermeneutischen Sequenzanalyse 4.1 Datenerhebung und -auswertung Im Rahmen der Evaluation des App-Prototypen durch die 29 Studierenden der PH FHNW fanden auch Gruppendiskussionen statt. In Studierendengruppen von je fünf bis sieben Studierenden, fand eine erste Diskussionsrunde vor, eine zweite nach der vierwöchigen App-Nutzung statt. Einer*einem Studierenden kam jeweils die Aufgabe zu, vorgegebene Impulsfragen vorzulesen und einen möglichst selbstläufigen Dialog zu begünstigen. Die Gruppendiskussionen dauerten zwi- schen zehn und zwanzig Minuten und wurden anschließend transkribiert. Die Auswertung erfolgte in Form einiger hermeneutischer Sequenzanalysen mit Hilfe der Methode der Objektiven Hermeneutik. Exemplarisch werden im Folgenden zwei Transskriptausschnitte einer Gruppe analysiert. 4.2 Ergebnisse der exemplarisch-hermeneutischen Sequenzanalyse Im Gespräch, das die Studierenden vor der App-Nutzung geführt haben, wurde von den Studierenden über die Frage nachgedacht, in welchem Bezug der Fleisch- konsum zu nachhaltigem Handeln steht. A: Ja, ehm, ich esse seit vier, fünf Jahren kein Fleisch mehr, ich weiß nicht genau. Aber ehm also, was ich einfach darüber weiß, jetzt im Sinne von Zusammenhang mit Nach- haltigkeit, ist natürlich einerseits, dass wenn man Fleisch kauft, müssen ja die Tiere zuvor auch etwas essen bis überhaupt das Fleisch in dem Sinne gewachsen ist, dass man das essen kann. Und wenn man diesen Umweg über die Tiere weglassen würde, könnte man sehr viel mehr Menschen mit der Fläche ernähren, die momentan gebraucht wird, um Tiere zu ernähren, als wir es im Moment können, und halt auch die ganzen Gase die die Tiere ausstoßen [...] und das belastet die Umwelt halt auch. doi.org/10.35468/5935-07 App-basierte Unterstützung von Lehrpersonen | 85 Beispielhaft zeigt sich in diesem Ausschnitt, dass die Studentin einen Bezug zwi- schen individuellem Fleischkonsum, der damit verbundenen Praxis der Tierhal- tung und dem (globalen) Umweltzustand herstellt. Über den eigenen Fleisch- verzicht und den Kauf nachhaltiger Fleischerzeugnisse hinaus zeigen sich keine Ansatzpunkte für nachhaltiges Handeln mit Blick auf die nicht-nachhaltige Praxis der Tierhaltung und Fleischproduktion. Dieselbe Studentin äußerte sich im Gespräch nach der App-Nutzung wie folgt: A: Es könnte sein, dass man wie, wenn man sich jetzt mit dem Thema Stromverbrauch auseinandersetzt, dass man dann wie dadurch noch auf weitere Gedanken kommt, dass man sich vielleicht anfängt zu überlegen, wie viel Strom braucht denn mein (..) keine Ahnung (..) Laptop pro Tag? Oder wie viel Strom braucht jetzt diese Lampe, die auf meinem Schreibtisch steht, dass man sich wie bewusster über den Stromverbrauch wird und dann vielleicht auch feststellt, ach ja, DA gibt es etwas was ich verändern könnte, was äh den Stromverbrauch reduzieren könnte. [...] Das hat mir halt auch bei der App äh gefehlt. Also, dass es irgendwie Informationen gegeben hätte, die mich motiviert hätten, weiterzumachen oder mir aufzeigen, weshalb genau jetzt das wichtig ist. (M: mhm) Weil, also ich weiß schon (..) weniger Strom ver- brauchen ist nachhaltiger, aber inwiefern denn genau? (lacht) Was kann ICH jetzt als Person wirklich verändern? Und nicht so ganz allgemein (..). Wie im Gespräch vor der App-Nutzung wird hier ein Bezug vom individuellen Handeln zur Nachhaltigkeit hergestellt. Der Auseinandersetzung mit dem ge- wählten Self-Commitment, das auf die Reduktion des Stromverbrauchs zielt, wird das Potenzial zugeschrieben, zu einem größeren Bewusstsein für den eigenen Stromverbrauch und weitere individuelle Handlungsmöglichkeiten zu dessen Re- duktion zu gelangen. Das nachhaltigkeitsbezogene Problem, das damit adressiert wird, scheint der Studentin beim Stromkonsum jedoch weniger klar vor Augen zu sein, als dies beim Fleischkonsum im Gespräch vor der App-Nutzung deutlich geworden ist. Sie wünscht sich von der App mehr Informationen darüber, „wes- halb jetzt das wichtig ist“. Sie stellt klar, dass sie nicht in Frage stellt, dass „weniger Stromverbrauchen nachhaltiger ist“. Mit der Frage „aber inwiefern denn genau?“ fordert sie eine detaillierte Darlegung dieses Zusammenhangs. Mit der darauf- folgenden Frage präzisiert sie die Perspektive, unter der sie den Zusammenhang besser verstehen möchte, nämlich, was sie als „Person wirklich verändern kann“. Damit fordert sie dazu auf, den Beitrag der einzelnen Person zu einer Veränderung der Praxis zu benennen und gibt sich nicht mit der Vorgabe der nicht-nachhal- tigen Praxis, die es zu verändern gilt, zufrieden. Hier deutet sich an, dass die Stu- dentin beginnt, über ihre eigene Rolle im System und den individuellen Hand- lungsspielraum nachzudenken. In einem weiteren exemplarisch herangezogenen Auszug wird deutlich, dass im Denken der Studierenden mit Blick auf die Schulpraxis nachhaltiges Handeln auf doi.org/10.35468/5935-07 86 | Svantje Schumann und Corinne Ruesch Schweizer den individuellen Beitrag zur Reduktion einer nicht-nachhaltigen Verhaltensweise beschränkt wird: T: Ja. Vielleicht könnte man aber dieses Aufklären also, das klar machen, wieso man das macht und wieviel man etwa damit erreicht hat, könnte man das vielleicht auch als ein Schulfach schon früher in der Schule miteinbauen. 5 Diskussion Wie kann nun auf die Frage nach dem Potenzial der App, eine Reflexion von BNE bei angehenden Lehrer*innen zu initiieren, geantwortet werden? Die Analy- se der Gruppendiskussion, die vor dem ersten Kontakt mit der BNE-App geführt wurde, weist darauf hin, dass bei den Studierenden der individuelle Beitrag zur Reduktion eines nachhaltigkeitsbezogenen Missstands im Zentrum steht; Mög- lichkeiten gesellschaftlicher Mitgestaltung werden tendenziell nicht in den Blick genommen. Dies schließt an die Befunde von Baumann und Niebert (2020) an, die konstatieren, dass Studierende in der Lehrerausbildung sich „dem Umstand, dass letztlich politische Prozesse in der Gesellschaft darüber entscheiden, ob die Nachhaltigkeitsziele erreicht werden, [...] wenig bewusst zu sein“ scheinen. Da die Erfahrungen, die mit der BNE-App initiiert werden, beim individuellen Bei- trag zum Problem des Ressourcenverbrauchs ansetzen, interessiert, inwieweit die Anregungen der App und die informellen Gespräche zu nachhaltigem Handeln, über die Studierende berichteten (Ruesch Schweizer et al. 2021), eine strukturelle Reflexion anzustoßen vermochten. Zunächst konnte in der Analyse festgestellt werden, dass sich bei den Studierenden auch im Gespräch nach der App-Nutzung individuelles Handeln, mit dem zur Reduktion einer nicht-nachhaltigen Praxis beigetragen wird, im Zentrum steht, begleitet von der Frage, was die App zu einem nachhaltigeren Handeln beitragen kann. Hierzu wurden von den Studie- renden verschiedene Hypothesen entfaltet: die App als Anregung, den Beitrag zur Reduktion zu erhöhen (z.B. Ausweitung auf andere Handlungsbereiche), die App als Anregung, das Umfeld für entsprechendes Verhalten zu überzeugen sowie die App – in weiterentwickelter Form – als Vermittlerin von Information über Bei- träge bestimmter Verhaltensweisen zu einer NE. Letztere Hypothese wird durch die Annahme getragen, dass solches Wissen dazu motiviert, trotz gegenläufiger Gewohnheiten und Bedingungen am nachhaltigen Verhalten festzuhalten. Diese Befunde weisen darauf hin, dass das individualistische Denken im Vordergrund steht. Mit der Überzeugungsarbeit im Umfeld wird zwar Einfluss auf strukturelle Bedingungen genommen, indem versucht wird, geltende Normen zu verändern. Es liegt aber kein Hinweis dazu vor, dass der strukturelle Aspekt von den Stu- dierenden bewusst wahrgenommen wurde. Zur Sprache kommt das strukturelle doi.org/10.35468/5935-07 App-basierte Unterstützung von Lehrpersonen | 87 Moment jedoch in Fragen wie „Was kann ich jetzt als Person wirklich ändern?“. Ansatzweise wird überlegt, worin der individuelle Beitrag liegen kann und wo dessen Grenzen sind. Dies weist auf das Potenzial der App hin, die Verantwor- tungsfrage fassbarer zu machen und das Spannungsfeld von individueller und kol- lektiver Verantwortung zu reflektieren. Mit Blick auf das Ziel der App, Reflexion anzustoßen, lässt sich positiv festhalten, dass den Studierenden ihr Nicht-Wissen bewusst wurde. Die Frage bleibt, wie weit die Studierenden dieses Nicht-Wissen als Ausgangspunkt für eine vertiefte Auseinandersetzung mit einem Thema auf- fassen (Kater-Wettstädt & Asbrand 2014) und den Wissenserwerb selbstgesteuert in die Hände nehmen (dazu Singer-Brodowski 2016). Die beobachtbaren Refle- xionsansätze kamen insgesamt nicht so zum Tragen, dass von einem reflektierten Umgang mit dem Spannungsfeld von individueller und kollektiver Verantwor- tung angesichts nachhaltigkeitsbezogener Herausforderungen gesprochen werden könnte. Das kollektive Moment transformativen Lernens im Rahmen von BNE wird zwar erkannt, die dazu erforderlichen mitunter politischen Prozesse bleiben jedoch unerwähnt. Die Befunde machen aber deutlich, dass die App Erfahrungen anzustoßen vermag, die für die sachunterrichtsbezogene Professionalisierung be- deutsame Ansatzpunkte in Bezug auf eine Reflexion der eigenen Denkmuster im Bereich ‚Verantwortungsübernahme‘ und ‚Partizipation an gesellschaftlichen Pro- zessen‘ bieten. Um eine tiefergehende Reflexion über die Erfahrungen anzuregen, bedarf es aber noch gezielterer Impulse. 6 Ausblick Ziel der App-Weiterentwicklung ist, Reflexionen über Fragen im Zusammenhang mit individueller und kollektiver Verantwortung und unterschiedlichen Optionen von Partizipation an gesellschaftlicher Transformation – die nicht nur auf den ei- genen Verzicht, sondern auch auf die Mitgestaltung gerichtet ist – gezielter zu ini- tiieren. Zudem könnte ein reflektierter Umgang mit Verhaltensweisen, wie sie die Self-Commitments darstellen, und eine selbstbestimmte Wissensaneignung über nachhaltiges Handeln explizit angeregt werden. Geplant ist die Erprobung der entsprechend weiterentwickelten App in Schul-Kollegien sowie aus Vergleichs- gründen in anderen Communities of Practice (in der Art einer Citizen-Scien- ce-Forschung). Im Fall der Erprobung der App in Lehrer*innen-Kollegien an Primarschulen soll u.a. untersucht werden, wie sich die Auseinandersetzung des Kollegiums mit der App auf Planung und Umsetzung von BNE im Sachunter- richt auswirkt. doi.org/10.35468/5935-07 88 | Svantje Schumann und Corinne Ruesch Schweizer Literatur Baumann, S. & Niebert, K. (2020): Vorstellungen von Studierenden zur Bedeutung von Nachhaltig- keit im Geographieunterricht. In: Keil, A., Kuckuck K. & Faßbender, M. (Hrsg.): BNE-Strukturen gemeinsam gestalten. Münster, S. 235-261. Bergmüller, C. (2019): Transformative Bildung im Kontext Schule. In: Lang-Wojtasik, G. (Hrsg.): Bildung für eine Welt in Transformation. Opladen, S. 75-88. Berndt, C., Häcker T. & Leonhard, T. (2017): Reflexive Lehrerbildung revisited. 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Specifically, possibilities of transferring the following task-based communication between pupils and teachers into the digital space are examined. 1 Problemaufriss Der Begriff ‚Aufgabenkulturen‘ (Kihm & Peschel 2021) bezieht sich nicht nur auf die „Art und Weise, wie Lehrkräfte Aufgaben konzipieren”, sondern vor allem auch darauf, „wie mit den Aufgaben im Unterricht umgegangen wird“ (Bohl 2010, 120; Herv. d. V.). Kern von Aufgabenkulturen sind nicht (nur) die Aufgaben selbst oder neue Formen von „digitalen Aufgaben“, sondern vielmehr kollabora- tive Prozesse der gemeinsamen Aufgabenbearbeitung und die dabei stattfindenden Kommunikations- und Interaktionsprozesse. Auch im Rahmen der Digitalisierung geht es um Aufgabenbearbeitungen und um die (analoge) Begleitung der (analo- gen) Aufgabenbearbeitung von Schüler*innen durch Lehrkräfte. Diese Aspekte stehen im Zentrum des Dissertationsprojektes doing AGENCY. In diesem Beitrag werden Möglichkeiten geprüft, den Prozesscharakter der gemeinsamen Bearbei- tung und Anschlusskommunikation auch in den digitalen Raum zu übertragen. 2 (Gute) Aufgaben… Eine Aufgabe ist „ein Angebot oder eine explizite Aufforderung zum Denken und Handeln“ (Kiel 2019, 119), die in Lehr-Lern-Situationen idealerweise aus Prozessen der „Didaktischen Rekonstruktion“ (Kattmann, Duit, Gropengießer & Komorek 1997, 4) entwickelt wird. „Durch Aufgaben sollen Lernprozesse von Schüler*innen ausgelöst werden; Aufgaben sollen dazu anregen, fachliche Inhalte doi.org/10.35468/5935-08 90 | Pascal Kihm und Markus Peschel zu erarbeiten, in individuelle Verstehensprozesse einzubetten, Zusammenhänge zu wiederholen, zu vertiefen sowie zu üben und zu überprüfen“ (Schomaker & Tänzer 2020, 242). Ob es sich jeweils um „gute Aufgaben“ (Peschel 2012; Grygier & Hartinger 2013) handelt, ist eine letztlich normative, kriterienorientierte Ein- schätzung der Qualität solcher Aufgabenentwicklungen. Diese Kriterien umfassen u.  a. die Möglichkeit verschiedener Lern- und Bearbeitungswege, Aufgabenlö- sungen auf verschiedenen Niveaus und Anregungen zu selbständig-individuellen, aber auch kooperativ-kommunikativen Arbeits- und Lernprozessen (auch Adami- na & Hild 2019). 3 ... und Aufgabenkulturen: Begleitung der Aufgabenbearbeitung Aufgabenkulturen erweitern den Blick von der Planung der Aufgaben auf den Umgang mit Aufgaben durch Schüler*innen (Aufgabenbearbeitung) und Lehr- kräfte (Begleitung der Aufgabenbearbeitung) (Bohl 2010; Schomaker & Tänzer 2020). Dies betrifft den Einsatz von Aufgaben im Unterricht und ist zunächst un- abhängig davon zu betrachten, ob diese in Form analoger Aufgabenblätter, digi- talisierter (gescannter) Aufgabenblätter (Kihm, Rech, Schmidt, Senzig & Peschel 2020) oder digitaler, interaktiver Aufgabenformate, sogenannter „LearningApps“ (Hielscher 2012) vorliegen. Das Projekt doing AGENCY, aus dem im Folgenden eine kurze Aufgabenbearbei- tungssequenz in Form einer Beobachtungsvignette exemplarisch (re-) analysiert wird, rekonstruiert „Aufgabenkulturen“ und „kollaborative Prozesse der Aufga- benbearbeitung“ in Experimentiersituationen (zur Fragestellung, Methodologie, Methodik und weiteren Einordnung: Kihm & Peschel 2021; 2022 i. V.).1 Aus den Daten des Projektes wird eine Situation herausgegriffen, in der die Schülerin S1 eine Aufgabe zum Magnetkugelspiel „Balance of Power“2 bearbeitet. Die Vignette exemplifiziert die nachfolgend vorgenommene Analyse der Aufgabenkultur. 1 Das Dissertationsprojekt doing AGENCY folgt den methodologischen Grundannahmen der Grounded Theory (Glaser & Strauss 2010). In diesem Beitrag erfolgt die Fokussierung auf den Aspekt Aufgabenkulturen. Insgesamt wurden zwischen April 2018 und November 2019 vierzehn Schulklassenbesuche im Grundschullabor für Offenes Experimentieren (Gofex; www.Gofex.info; Peschel 2009) teilnehmend beobachtet. Mittels Feldnotizen wurden die Interaktionsprozesse ver- schriftlicht und anschließend in Beobachtungsprotokolle überführt. Mittels GT Kodierparadigma wurden die Daten kodiert, analytisch verdichtet und systematisiert. 2 Die Aufgabe (auf einer laminierten Karte) lautet: „Lege die neun Kugeln auf die Löcher der [neun Holz-]Würfel! Alle neun Kugeln sollen gleichzeitig liegen bleiben!“ doi.org/10.35468/5935-08 Aufgaben und Aufgabenkulturen im Rahmen der Digitalisierung | 91 Vignette: Nachdem S1 drei Magnetkugeln auf den Holzklötzen abgelegt hat, stellt LP1 sich hinter ihren Rücken. S1 stoppt das Spiel. LP1 fragt: „Was ist das?“ Ohne, dass eine Antwort kommt, setzt LP1 sich nun neben S1. Die bei- den blicken sich schweigend an, S1 hält eine Magnetkugel in Händen. Nun greift LP1 nach einer der Magnetkugeln, die S1 bereits auf einen der Holzklötze gelegt hat. LP1 führt die Magnetkugel an ihr Ohr, schüttelt sie kurz und platziert sie schließlich wieder auf demselben Holzklotz. S1 beobachtet dies irritiert. Eine andere Magnetkugel schiebt LP1 schließlich einen Holz- klotz weiter nach links und greift nach einer weiteren Kugel, die LP1 in einer noch freien Ecke ablegt. S1 legt nun die Magnetkugel, die sie die ganze Zeit in Händen hält, wieder auf dem Tisch ab, seufzt leise hörbar und sackt mit dem Körper und Kopf etwas zusammen, sichtlich enttäuscht [...]. Noch bevor (!) LP1 verbal eine Frage an die Schülerin richtet („Was ist das?“) begleitet die Lehrperson die Aufgabenbearbeitung mit proxemischer Kommuni- kation bzw. ihrem Körperverhalten (auch Kihm & Peschel 2021), indem sie sich hinter dem Rücken von S1 positioniert, ihr „über die Schultern“ blickt. Ohne eine Antwort auf die Frage abzuwarten und ohne Ankündigung, Vergewisserung oder „Erlaubnis“ setzt LP1 sich neben S1. Nun stoppt S1 das Spiel. Dies kann vor dem Hintergrund der Kontaktaufnahme als übergriffiges Verhalten von LP1 ge- deutet werden (über die Schultern blicken, ungefragt daneben setzen). Vermutlich wartet S1, die sich bis dahin eigenständig mit der Aufgabe auseinandergesetzt hat, auf Anweisungen von LP1. Diese Initiative zur weiteren Aufgabenbearbeitung füllt LP1 nun aus: Ohne Of- fenlegung der Intentionen manipuliert LP1 das Spiel. Ungefragt nimmt sie eine von S1 bereits ins Spiel gebrachte Magnetkugel, die sie nach kurzer Betrachtung wieder zurücklegt. Dann verrückt sie eine Magnetkugel, macht also Züge von S1 wieder rückgängig. Zwischen beiden findet kein verbaler Austausch statt. Die Kommunikation der beiden wird jedoch nonverbal fortgesetzt: S1 blickt irri- tiert (Mimik), gibt das Spielmaterial wieder ab (Gestik, Körpersprache), seufzt leise (Paraverbalität) und verändert ihre Körperhaltung eindeutig in Richtung Antriebslosigkeit (Körpersprache). Mit der Zeit schiebt LP1 das „Balance of Po- wer“-Spiel direkt vor sich und kann nun vollständig darüber verfügen, „verein- nahmt“ das Spiel (auch proxemisch). S1 kann nur noch seitlich draufschauen, müsste sich deutlich bewegen / umsetzen, um einen Spielzug auszuführen. S1 zeigt Desinteresse, Unzufriedenheit und „Machtlosigkeit im Spiel“ nun durch die Zu- wendung zu einem anderen Spiel. Zwischenfazit: Obgleich die eingesetzte Aufgabe mehrere Lösungswege, explor- ative Näherungen, Nachdenken über Strategien usw. zulässt, zeigt sich dies nicht automatisch bei der Bearbeitung der Aufgabe. LP1 schränkt die divergente Auf- doi.org/10.35468/5935-08 92 | Pascal Kihm und Markus Peschel gabe auf bestimmte, von ihr akzeptierte Lösungsschritte (Lösungen) ein und ver- schließt damit die Möglichkeiten zur intensiven Phänomenauseinandersetzung, die die Aufgabe eigentlich bereithält (Erfahrungen mit Abstoßung, Strategien ge- meinsam entwickeln und reflektieren). 4 Im Rahmen der Digitalisierung: (Gute) Aufgaben 2.0 Die im vorangegangenen Kapitel diskutierten Aspekte der Aufgabenkulturen wer- den in der gegenwärtigen Debatte um „digitale Aufgaben“ – z. B. auf Plattformen wie „LearningApps“ (Hielscher 2012; www.learnigapps.org)3 – bislang vernach- lässigt. Die Interaktions- und Kommunikationsprozesse bei der Aufgabenbearbei- tung und Begleitung der Aufgabenbearbeitung finden nach wie vor überwiegend analog statt. Die Debatte um „digitale Aufgaben“ bezieht sich primär auf Aspekte der Aufgabenqualität, auf die Planung entsprechender Aufgaben, auf Kriterienka- taloge usw. (z. B. Frederking & Ladel 2021). 4.1 Digitale Aufgaben – alter Wein in neuen Schläuchen? Mittels der explorativen Analyse verschiedener Beispiele4 lässt sich zeigen, dass mediale Angebote v. a. aktionistisch sind und bereits eingeführte Begriffe („Ma- gnetkraft“, „Anziehung, „Abstoßung“) wiederholen, üben oder überprüfen. Die Reflexion, das Nachdenken über den Lern- und Erkenntnisprozess fehlt ebenso wie die Erarbeitung (neuer) fachlicher Inhalte, die Einbettung in individuelle Ver- stehensprozesse, explorative Näherungen oder ausdifferenzierende Vertiefungen. Ferner sind die medialen Angebote nicht zwangsläufig multimedial und individu- ell am Lerngegenstand konstruiert, sondern perpetuieren analoge Schwachstellen ins Digitale. Beispiele für solche reduzierten (fach-medialen) Angebote liefert die durchgeführte explorative Analyse5: – Lückentexte („Magnete besitzen Pole. Sie heißen ______.“) – Paare zuordnen („Die zwei Pole eines Magneten heißen...“ – „... Nord- und Südpol“). 3 „LearningApps“ ist eine webbasierte Plattform (www.learningapps.org). Unter „LearningApp“ wer- den dabei „kleine, modulare, multimediale und interaktive Unterrichtsinhalte“ (Hielscher 2012, 1) verstanden, die „wie LEGO-Steine in Unterrichtsszenarien eingebaut werden“ (a.a.O.) können. 4 Die explorative Analyse verschiedener medialer Angebote der Plattform LearningApps mittels Kriterienkatalog (auch Peschel 2015) fand in einem Seminar am Lehrstuhl „Didaktik des Sach- unterrichts“ an der Universität des Saarlandes (Gofex II, WiSe 2020 / 2021, n = 27 Studierende) statt. Die Datenbank von learningapps.org wurde nach lehrplanrelevanten Themen wie „Magnete“ durchsucht und dabei auf Angebote für die Primarstufe begrenzt. 5 Zwei typische Beispiele, die neben weiteren analysiert wurden, können hier eingesehen werden: LearningApp „Magnete-Grundwissen“ (https://learningapps.org / 16521370) und LearningApp „Magnete-Zuordnungsübungen“ (https://learningapps.org / 1959130). doi.org/10.35468/5935-08 Aufgaben und Aufgabenkulturen im Rahmen der Digitalisierung | 93 Aufgaben, die eine kooperative oder kollaborative Bearbeitung ermöglichen, sind trotz angeblich multimedialer und interaktiver Angebote eher rar, denn hier überwiegen nach wie vor geschlossene Aufgabentypen mit einer einzigen heraus- zubekommenden Lösung, die allein zu bearbeiten sind (auch Krommer 2019; Schmeinck 2020). LearningApps perpetuieren oft „simplifizierend-behaviori- stische Lernkonzepte”, die insbesondere im Fernunterricht „eine Renaissance“ (Lange 2017, 25) erleben. Ob mit analogen oder digitalen Lückentexten, Aus- wahl- oder Zuordnungsübungen – das Lernen besteht letztlich darin, „die Wörter zu raten, die einzutragen sind“ (Scholz 2004, 2). „Es gibt keine Auseinander- setzung mit der Sache“ (a. a. O., 3). Die Schüler*innen sammeln keine eigenen Erfahrungen mit z. B. Anziehung und Abstoßung. Stattdessen „pauken“ sie Be- griffswissen, das aber nicht angewandt wird. Diese Ergebnisse sind anschlussfähig an Krommers Begriff der „Palliativen Di- daktik“: „Palliative Didaktik beschreibt [...] die Ummantelung alter pädagogischer Prinzipien und lerntheoretischer Konzepte durch digitale Technik [...]. Anstatt zeitge- mäßes, offenes, kollaboratives Lernen und Lehren zu ermöglichen, werden Formen des traditionellen Unterrichts in ein digitales Mäntelchen gehüllt [...] und die behaviori- stisch-fremdgesteuerte Trias aus Reiz, Reaktion und Rückmeldung [...] feiert in Gestalt von Kahoot, Learning- Apps und Learning Snacks palliative Urständ.“ (Krommer 2019) Als Lösungsansatz zur Beurteilung medialer Angebote wurde bei der explorativen Analyse ein Kriterienkatalog eingesetzt (Peschel 2015; www.markus-peschel. de / softwaretestung), der die Bewertungskriterien nicht dichotomisiert, sondern graduell ausdifferenziert: Die Schriftwahl und -größe, das Lerntempo etwa sind nicht per se „gut“ oder „schlecht“, sondern je nach Nutzungsgruppe „mehr oder weniger angemessen“ bzw. ggf. auch „übertrieben“. Im Vordergrund sollte immer die Wechselwirkung und Passung zwischen den Schüler*innen und dem entspre- chenden Medium, der Hardware (z. B. dem Tablet oder dem Computer) und der Software (hier der LearningApp) stehen. Diese Betonung des Umgangs mit guten, digitalen und analogen Aufgaben samt Kultur der Begegnung und Kooperation – neben der Aufgabenformulierung – findet sich u. E. im Begriff der Aufgaben- kulturen wieder. 4.2 Digitale Aufgabenkulturen sind Aufgabenkommunikationskulturen Es ist erforderlich, die Anschlusskommunikation über eine (gute) Aufgabe auch digital anzubieten. Dabei erschwert weniger das Aufgabenformat an sich, sondern die Interaktions- und Kommunikationsgestaltung „im digitalen Raum“ – die Eta- blierung von Aufgabenkulturen: – Technische Schwierigkeiten bei der Bedienung der Hardware (z. B. Akkulauf- zeit, Anschalten / Ausschalten, Verfügbarkeit der Hardware für jedes Kind) doi.org/10.35468/5935-08 94 | Pascal Kihm und Markus Peschel – Technische Schwierigkeiten bei der Nutzung der Software / App (z. B. Bedien- barkeit, Userfreundlichkeit, Intuitivität) – Technische Schwierigkeiten bezogen auf die Bandbreite / den Internetanschluss – Eingeschränkte Kommunikation (Kamera zeigt meist nur Gesicht und ggf. Oberkörper, Aspekte der Proxemik und weitere Körpersprache bleiben außen vor; falls ohne Kamera kommuniziert wird, bleibt nur der verbale Sprechanteil, obwohl ein Großteil unserer Botschaften nonverbal übermittelt wird) Überlegt werden muss darüber hinaus, welche Aspekte der gemeinsamen Bearbeitung und Auseinandersetzung asynchron erfolgen können und welche un- bedingt synchron erfolgen müssen: Kindgerechte Textverarbeitungsprogramme sollten z. B. auch eine kollaborative, synchrone Texterstellung ermöglichen, sei es für Präsentationen, für wiki-Beiträge oder für aufzubewahrende Protokolle (z. B. Peschel 2015). Die Schüler*innen sollten sich dann aber auch sehen (Vide- ophonie) oder zumindest miteinander sprechen (Audiophonie) oder miteinander schreiben (Chatfunktion) können. Auch Tools wie Padlet sind für aufgabenbezogene Anschlusskommunikationen durchaus gewinnbringend, wenn Experimente mit Fotos, kurzen Videos und Schrift dokumentiert werden und auch Feedback oder Kommentare durch Mit- schüler*innen und die Lehrkraft eingesetzt werden (z. B. Wedekind, Theisselmann & Haas 2020). Kontroversen über sich widersprechende Beobachtungen oder unterschiedliche Deutungsansätze müssen gemeinsam geklärt werden. Nur so gelingt es, den Prozesscharakter der direkten, gemeinsamen Auseinandersetzung und Bearbeitung einer Aufgabe digital abzubilden. 5 Fazit Die medialen Angebote, die sich derzeit auf webbasierten Plattformen finden las- sen, perpetuieren vielfach analoge Schwachstellen (konvergente Aufgaben, beha- vioristische Reiz-Reaktions-Muster, Engführung auf Begriff- / Auswendiglernen) (u.a. Krommer 2019). Um eine neue Aufgabenkultur im hier vertretenen Sinne umsetzen zu können, bedarf es neben divergenter Angebote, die verschiedene Be- arbeitungswege zulassen (dazu Kihm et al. 2020) – primär einer Aufgabenkommu- nikationskultur. Die asynchrone, aber vor allem auch synchrone Kommunikation bei der Aufgabenbearbeitung muss eine (neu zu entwickelnde!) digitale Entspre- chung finden, um den Prozesscharakter der Auseinandersetzung und Bearbeitung einer Aufgabe digital zu ermöglichen. doi.org/10.35468/5935-08 Aufgaben und Aufgabenkulturen im Rahmen der Digitalisierung | 95 Literatur Adamina, M., & Hild, P. (2019): Mit Lernaufgaben Kompetenzen fördern. In: Labudde, P. & Metz- ger, S. (Hrsg.): Fachdidaktik Naturwissenschaft. 1.-9. Schuljahr. Bern, S. 119-134. Bohl, T. (2010): Forschung für den Unterricht. Zwischen selbstbestimmtem Lernen und Class- room-Management. In: Bohl, T., Kansteiner-Schänzlin, K., Kleinknecht, M., Kohler, B. & Nold, A. (Hrsg.): Selbstbestimmung und Classroom-Management. 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The article focuses on the didactic discussion of contemporary witnesses in the teaching of history on the basis of a digital seminar, which was developed and realized at the Humboldt University in the course of the effects of the Covid 19 pandemic. The se- minar, the theoretical background and initial findings from the contemporary witness interviews conducted are presented in the article. 1 Didaktische Ausgangslage Gespräche mit Zeitzeug*innen gelten als „fester methodischer Bestandteil des Sachunterrichts“ (Michalik 2020a, 47). Dabei handelt es sich bei Zeitzeug*in- nengesprächen um „Erinnerungsinterviews zu vergangenen Erlebnissen und Er- fahrungen“ (a.a.O., 46). Im Zuge dessen werden über die erzählten Erinnerungen Quellen generiert, die mittels Aufzeichnung und Aufbereitung für historische Erkenntnisprozesse genutzt werden können (Wierling 2003, 81). Die geschichts- wissenschaftliche Arbeit mit Zeitzeug*innen wird als oral history bezeichnet, sie versucht vor allem „typischen Erfahrungs- und Erinnerungsmustern auf die Spur zu kommen“ (Henke-Bockschatz 2014, 22). Dabei schaffen die Interviews mit Zeitzeug*innen Zugänge zu lebensgeschichtlichen Informationen und dem Erle- ben gesellschaftlicher Gruppierungen, die mit anderen Quellen, wie beispielswei- se Akten in Archiven, nicht rekonstruierbar sind (Wierling 2003, 84). Aus didak- tischer Perspektive liegt das Erkenntnisinteresse von Zeitzeug*innengesprächen vor allem im individuellen Erleben und den Erfahrungen der jeweiligen Person (Diederich 2019, 191f.). Für das historische Lernen im Sachunterricht ergeben sich daraus besondere Po- tenziale und Herausforderungen. Gespräche mit Zeitzeug*innen bieten Einblicke in die Alltags- und Zeitgeschichte. Zudem kann die direkte Begegnung mit Zeit- zeug*innen Kindern die eigene Eingebundenheit in Geschichte verdeutlichen. Im doi.org/10.35468/5935-09 100 | Julia Peuke, Detlef Pech und Jara Urban Fokus stehen Fragen: Wie kann ich geeignete Fragen stellen?, Wie verhalte ich mich in der Interviewsituation? und Wie gehe ich nach dem Gespräch mit den Informationen um? Diese Fragen stehen im Zentrum – und damit die Förderung Kompetenzen historischen Denkens im Sinne des FUER-Modells (Schreiber, Körber, Borries, Krammer, Leutner-Ramme, Mebus, Schöner & Ziegler 2006). In diesem Zusammenhang sind auch Kenntnisse über die Charakteristika von Quellen bedeutsam: Sie sind „bruchstückhaft, vorläufig und perspektivisch“ und „geben nur Antwort auf Fragen, die an sie gestellt werden“ (Michalik 2020b, 233). Dies gilt dementsprechend auch für erzählte Erinnerungen. Zentral wird in diesem Kontext die Authentizität von Zeitzeug*innen, haben sie doch die histo- rischen Ereignisse selbst miterlebt (Bertram 2017, 170). Dies ist eine besondere Stärke – gleichzeitig gerade im Hinblick auf die genannten Eigenschaften von Quellen aber auch eine Herausforderung (a.a.O., 170f.). Quellen müssen auf- grund ihrer Perspektivität und Selektivität immer kritisch hinterfragt werden – bei Menschen, die einem direkt gegenübersitzen, fällt das besonders schwer (a.a.O., 178) und nahezu unmöglich scheint dies bei den eigenen Familienangehörigen zu sein (Moller 2014). Umso wichtiger ist Quellenkritik – eine Kompetenz, die bereits im Sachunterricht gefördert werden sollte (Michalik 2020a, 46f.). 2 Zum Forschungsstand Trotz ihres didaktischen Potenzials sind Zeitzeug*innengespräche bislang nur we- nig empirisch in den Blick genommen worden (Diederich 2021, 83). Im Kontext Grundschule existieren zwei Studien, die sich gezielt hiermit beschäftigen. Ju- lia Diederich (2019, 2021) hat Kinder der zweiten und vierten Klasse zu Zeit- zeug*innen als Quelle und zur Methode des Zeitzeug*innengesprächs interviewt. Es zeigte sich u.a., dass schon die Kinder der zweiten Klasse Zeitzeug*innen als historische Quelle wahrnehmen (Diederich 2019). Sie können zudem teilweise Erinnern und Vergessen sowie Perspektivität und Selektivität der Erzählungen erkennen (a.a.O., 196). Alexa Hempel hat Viertklässler*innen Zeitzeug*innen- gespräche zur DDR- und deutschen Teilungsgeschichte durchführen lassen, ihr Erkenntnisinteresse lag auf den Fragen der Kinder (Hempel & Pech 2016, 151). Festgehalten wird, „dass die Kinder sehr kompetent mit der Interviewsituation umgingen. Sie fragten an relevanten Stellen gezielt nach und griffen mehrfach wichtige Fragen zu einem deutlich späteren Zeitpunkt im Interview erneut auf.“ (a.a.O., 157) Dabei interessierten sie sich besonders für das Erleben, die Ein- stellungen und Gefühle der Menschen. In beiden Studien wird – analog zu den fachdidaktischen Ausführungen – u.a. deutlich, dass Zeitzeug*innengespräche für das historische Lernen im Sachunterricht geeignet sind. doi.org/10.35468/5935-09 Zeitzeug*innengespräche und historisches Lernen im Sachunterricht | 101 3 Rahmung Im Folgenden wird ein Sachunterrichtsseminar vorgestellt, welches die Initiierung und Begleitung von Zeitzeug*innengesprächen zwischen Grundschulkindern und Menschen, die ihre Kindheit und Jugend in der DDR verbracht haben, zum Ziel hatte. Die im Seminar durchgeführten Zeitzeug*innengespräche werden im Rah- men der Fallstudie „Kindheitserinnerungen – Narrative im Erinnerungsdidalog von Grundschüler*innen mit alten Menschen aus der DDR“1 im Hinblick auf die Erzählungen der Zeitzeug*innen und die intergenerationale Kommunikation ausgewertet. Nachfolgend liegt der Fokus dieses Artikels auf der Durchführung der Zeitzeug*innengespräche im Kontext des Seminars sowie auf den Fragen und damit der Perspektive der beteiligten Kinder. Zum thematischen Schwerpunkt des Projektseminars, der DDR-Geschichte, existiert bislang keine kollektiv akzeptierte Deutung (u.a. Kaiser 2016, 60f.; Le- onhard, Haag & Heß 2017, 3; Seeger 2014, 86). Stattdessen findet die private und öffentliche Aufarbeitung der DDR in einem „tripolaren Kräftefeld“ aus drei unterschiedlichen Vergangenheitsdeutungen statt: dem Diktaturgedächtnis, dem Arrangementgedächtnis und dem Fortschrittsgedächtnis (Sabrow 2009, 18 ff.). Zeitgeschichte wird hier zur „Streitgeschichte“ (Sabrow, Jessen & Große Kracht 2003). Für Zeitzeug*innengespräche im Sachunterricht stellt die DDR-Geschich- te einen möglichen historisch-politischen Kontext dar, da die erzählten Erinne- rungen der Zeitzeug*innen deutlich von den erinnerungskulturellen Darstel- lungen im Unterricht oder den Medien abweichen können. Zudem ist eine gute Zugänglichkeit zu Zeitzeug*innen aufgrund der räumlichen und zeitlichen Nähe gegeben. 4 Zum Projektseminar Das hier vorgestellte digitale Projektseminar fand in drei inhaltlichen Blöcken statt: den theoretischen Grundlagen mit der Thematisierung von zeithistorischem Lernen im Sachunterricht, aktuellen Forschungsbefunden, Erinnerungskul- tur und der Erinnerung an die DDR, einem Block zu Oral History und Zeit- zeug*innengesprächen sowie ein Block zur Projektvorbereitung, -durchführung und -präsentation. Ziel des Seminars war es, Grundlagen historischen Lernens im Sachunterricht exemplarisch anhand von Zeitzeug*innengesprächen und den Besonderheiten der Zeitgeschichte zu erarbeiten und diese kritisch zu diskutieren. 1 Teil des Verbundprojekts „Bildungs-Mythen – eine Diktatur und ihr Nachleben. Bilder(welten) über Praktiken und Wirkungen von Bildung, Erziehung und Schule der DDR.“ (BMBF, Förde- rungskennzeichen 01UJ1912AY). doi.org/10.35468/5935-09 102 | Julia Peuke, Detlef Pech und Jara Urban Für die Initiierung und Begleitung der Zeitzeug*innengespräche wurden den Stu- dierenden viele Freiräume gelassen. Sie sollten die beteiligten Grundschulkinder als auch die Zeitzeug*innen selbstständig auswählen und konnten entscheiden, ob sie die Gespräche einzeln oder in Gruppen vorbereiten und begleiten wollten. Dies führte zu ganz unterschiedlichen Gesprächen: solchen, die innerhalb der eigenen Familie durchgeführt wurden, und solchen, bei denen sich die Beteili- gten kaum oder gar nicht kannten. Bei insgesamt 62 Studierenden wurden 33 Interviews und Briefwechsel zwischen Grundschulkindern und Menschen, die ihre Kindheit und Jugend in der DDR verbracht haben, durchgeführt. In sieben Fällen handelte es sich um Familiengespräche, fünf Fälle kannten sich über Nach- barschaft oder Freundschaft der Eltern, 21 Gespräche fanden zwischen einander nicht bekannten Kindern und Zeitzeug*innen statt. Vorgaben gab es für die Wahl der Zeitzeug*innen: Diese sollten in der DDR gelebt haben und ab 1950 geboren sein. Grund hierfür war die Einbindung der Zeitzeug*innengespräche in das o.g. Forschungsprojekt. Die teilnehmenden Grundschulkinder sollten zudem Fragen selbstständig und nach eigenen Interessen entwickeln. Auch die Gesprächsfüh- rung sollte den beteiligten Kindern überlassen werden, die Studierenden fungier- ten in den konkreten Gesprächssituationen als Beisitzende. Die Berücksichtigung des aktuellen Pandemiegeschehens führte in der Durch- führung der Zeitzeug*innengespräche zu verschiedenen Repräsentationsformen: In 18 Fällen wurden direkte Gespräche durchgeführt, vier fanden als Videoge- spräche statt. In elf Fällen wurden Zeitzeug*innen schriftlich per E-Mail oder Brief befragt. Hinsichtlich der Begleitung der Kinder bei der Vorbereitung durch die Studieren- den wurden die Kinder teilweise bei der Entwicklung ihrer Fragen ohne weiteren Input begleitet, häufiger gab es jedoch sehr konkrete Unterstützung mittels Steck- briefen und Fotos der Zeitzeug*innen oder auch Arbeitsblättern mit konkreten Aufgaben. Dementsprechend fand die Vorbereitung unterschiedlich stark didak- tisiert statt. Die Interviews werden im Rahmen des Forschungsprojekts gegenwärtig mit der Dokumentarischen Methode für Interviewforschung (Nohl 2012) ausgewertet. Der Fokus liegt dabei auf den Erzählungen der Zeitzeug*innen in den direkt geführten Gesprächen und Videocalls. Auf der „Was-Ebene“ soll hier zunächst das, was die alten Menschen den Kindern in den Gesprächen an Erlebnissen, Er- fahrungen und Lehren weitergeben, erfasst werden. Auf der „Wie-Ebene“ sollen sozialisationsbedingte Besonderheiten in der Kommunikation rekonstruiert wer- den (ausführlicher hierzu: Pech, Peuke, Urban 2021, 77 ff.). Zudem werden die Fragen der Kinder qualitativ inhaltsanalytisch ausgewertet. Im Folgenden werden Einblicke in Zwischenergebnisse der Analyse der Kinderfragen gegeben, um aus diesen Schlüsse für eine empirische Weiterentwicklung des historischen Lernens mit Zeitzeug*innen im Sachunterricht ziehen zu können. doi.org/10.35468/5935-09 Zeitzeug*innengespräche und historisches Lernen im Sachunterricht | 103 5 Einblicke in die durchgeführten Zeitzeug*innengespräche Insgesamt zeigt sich, dass die Fragen der Kinder sowohl in den direkten Inter- viewsituationen als auch in den Briefen und E-Mails recht ähnlich sind. Zentrale Themen für die Kinder sind die Familie, die Schule, Urlaub, Haustiere und Frei- zeit und damit insbesondere alltagsgeschichtliche Fragen. Kinder, die über alte Fotos einen ersten Eindruck von den Zeitzeug*innen erhielten, bezogen sich in ihren Fragen häufig auf ebendiese, z.B.: „Außerdem würde ich gern wissen, mit wie vielen Jahren man damals eingeschult worden ist und was das für eine De- monstration auf einem Bild ziemlich genau in der Mitte des Buches [ein Heft mit Fotos aus dem Leben der Zeitzeugin] war?“ (Junge, 12 Jahre alt). Kinder, die vor den Gesprächen mit den Studierenden über die Geschichte der DDR sprachen, stellten gezielte Fragen hierzu: „Maria hat gesagt, die DDR war ein Land, was es nicht mehr gibt […] Warum gibt es das Land nicht mehr? Was ist jetzt dort?“ (Junge, 8 Jahre alt) oder „Was sind Thälmannpioniere?“ [als Einstieg in ein neues Thema] (Mädchen, 10 Jahre alt). In den direkten Gesprächssituationen stellten die Kinder nur selten Nachfragen, in der Regel orientierten sie sich an ihren vorher entwickelten Fragen. In der Kom- munikation über Briefe erfolgte in den durchgeführten Projekten kein weiterer Schriftverkehr über nachfolgende Fragen- und Antwortbriefe. Weiterführenden Kontakt mit Nachfragen zum Geschriebenen gab es jedoch in der E-Mail-Kom- munikation. Als Beispiel werden hier Auszüge aus dem E-Mail-Austausch zwi- schen dem Zeitzeugen Jürgen und einem achtjährigen Mädchen dargestellt: „Sie achteten nicht nur streng darauf, dass diese Regeln eingehalten wurden, sondern auch dass keiner anders dachte oder es zumindest nicht sagte. Mein Bruder sagte trotzdem seine Meinung und kam dafür ins Gefängnis. Mir gefielen diese Regeln und Ideale nicht besonders und ich stellte Ausreiseanträge, die aber immer wieder abgelehnt wurden.“ (Auszug aus der E-Mail von Jürgen) und „Warum haben dir die Regeln der DDR nicht gefallen? Wie lange war dein Bruder im Gefängnis? Hat man ihn überhaupt freigelassen?“ (Mädchen, 8 Jahre alt) Das Mädchen stellt hier konkrete Nachfragen, die sich auf das vom Zeitzeugen Geschriebene bezie- hen. Inwiefern sich die unterschiedlichen Formen der Zeitzeug*innengespräche, also als direkte Gespräche, Videocalls oder über Schriftverkehr, auf die Quellenkritik auswirken, kann im Kontext der erhobenen Daten nicht erfasst werden. In eini- gen Aussagen der Zeitzeug*innen wird jedoch der Aspekt der Authentizität deut- lich – sowohl in der schriftlichen als auch in der mündlichen Kommunikation. Als Beispiel lässt sich hier der Auszug aus einer E-Mail der Zeitzeugin Doris (55 Jahre alt, dem Kind unbekannt) anführen: „Du wirst jetzt bestimmt Tränen la- chen, wenn du das folgende YouTube-Video aus der Zeit siehst, aber schau da mal rein, so war es wirklich: https://www.youtube.com / watch?v=UT5ebdixb0s. Wir sind damals wirklich durch die Häuser gezogen, unten passte einer auf unseren doi.org/10.35468/5935-09 104 | Julia Peuke, Detlef Pech und Jara Urban Bollerwagen und unsere Beute auf und wir sind durch die Häuser gelaufen und haben überall geklingelt und nach Alt-Flaschen und Alt-Papier gefragt.“ In dieser kurzen Anekdote, die sie mit einem Video als zusätzliche Quelle belegt, kommt immer wieder das Wort „wirklich“ vor, was ihre Rolle als Zeitzeugin, die weiß, wie das Leben damals tatsächlich war, untermauern soll. Das verweist darauf, wie bedeutsam es ist, Zeitzeug*innen und deren erzählte Erinnerungen als Quellen hinsichtlich ihrer Perspektivität und Selektivität kritisch zu analysieren und mit weiteren Quellen zu vergleichen. 6 Fazit Vorweg lässt sich festhalten, dass die beteiligten Grundschulkinder durchweg ernsthaft und sehr gründlich vorbereitet in die Kommunikation mit den Zeit- zeug*innen getreten sind (zu ähnlichen Erkenntnissen kommen Hempel & Pech 2016). Die durch die Studierenden initiierten und begleiteten Zeitzeug*innengespräche weisen aufgrund der Covid-19-Pandemie ein breiteres Spektrum an unterschied- lichen Ausführungen auf. Potenzial zeigt sich dabei, neben der klassischen Form des direkten Zeitzeug*innengesprächs, in der Befragung von Zeitzeug*innen im schriftlichen Austausch per E-Mail, da eine weiterführende Kommunikation hier niedrigschwellig erfolgen kann. Auch das nicht weiter ausgeführte Zeitzeug*in- nengespräch über ein Videotelefonat hat sich im Rahmen des Seminars als frucht- bare Alternative erwiesen. Insgesamt zeigte sich, dass es durchaus sinnvoll ist, die jeweiligen Zeitzeug*innen (sofern sie unbekannt sind) vor dem Gespräch mit Hilfe von Fotos vorzustellen – gleichzeitig hatten diese konkreten Bilder Einfluss auf die Fragen der Kinder. Innerhalb der direkten Interviewsituation und den Gesprächen mit den Studie- renden wurde immer wieder deutlich, dass im Hinblick auf die Gesprächsführung in der Vorbereitung der Gespräche Interviewtechniken, insbesondere das Formu- lieren von Nachfragen, stärker thematisiert und geübt werden sollten. Zudem sollte es Grundschulkindern im Sachunterricht verstärkt ermöglicht werden, sol- che Gesprächsführungen auf Basis eigens entwickelter Fragen zu übernehmen, um daraufhin die eigenen historischen Fragekompetenzen stärker fördern zu können. Anhand der im Seminar durchgeführten Interviews wird der Fokus auf die All- tagsgeschichte in den Zeitzeug*innengesprächen deutlich. Im Hinblick auf die in der Öffentlichkeit dominante diktaturzentrierte Erinnerung (Heß 2016, 258 ff.) sollte dies gegenübergestellt und kontextualisiert werden. Letztendlich ermöglicht die Analyse der Interviews keine Rückschlüsse auf den Umgang mit Perspektivität und Selektivität von Quellen und somit hinsichtlich der Quellenkritik. Hierfür bedarf es weiterer Forschung (wie Diederich 2021), doi.org/10.35468/5935-09 Zeitzeug*innengespräche und historisches Lernen im Sachunterricht | 105 die auch die Auswertung und Reflexion von Zeitzeug*inneninterviews verstärkt in den Blick nimmt. Literatur Bertram, C. (2017): Mit Zeitzeugen im Geschichtsunterricht historisch denken lernen? In: Hüttmann, J. & Arnim-Rosenthal, A. v. (Hrsg.): Diktatur und Demokratie im Unterricht. Der Fall DDR. Berlin, S. 167-181. Diederich, J. (2019): Vorstellungen von Grundschulkindern zur Zeitzeugenbefragung – eine empi- rische Untersuchung zu Kompetenzen historischen Denkens. In: Holzinger, A., Koppt-Sixt, S., Luttenberger, S. & Wohlhart, D. (Hrsg.): Fokus Grundschule Bd. 1. Forschungsperspektiven und Entwicklungslinien. Münster, S. 189-198. Diederich, J. (2021): Präkonzepte von Grundschulkindern zur Zeitzeug*innenbefragung. Eine em- pirische Untersuchung zu Kompetenzen historischen Denkens. Paderborn. URL: http://dx.doi. org / 10.17619 / UNIPB / 1-1137 [04.10.21]. Hempel, A. & Pech, D. (2016): Kinder erforschen Geschichte – Zeitzeug / -inneninterviews zur deut- schen Teilung. In: Zeitschrift für interpretative Schul- und Unterrichtsforschung, H. 5, S. 148-161. Henke-Bockschatz, G. (2014): Oral History im Geschichtsunterricht. Schwalbach / Ts. Heß, P. (2016): Zur gesellschaftlichen Organisation von Erinnerungen. Eine Annäherung am Beispiel der kontroversen Debatten um die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit. In: Leonhard, N., Dim- bath, O., Haag, H. & Sebald, G. (Hrsg.): Organisation und Gedächtnis. Über die Vergangenheit der Organisation und die Organisation der Vergangenheit, Wiesbaden, S. 249-266. Kaiser, K.-D. (2016): Was bedeutet der Beutelsbacher Konsens als didaktische Grundlage im Blick auf die Vermittlung von DDR-Geschichte. 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Stuttgart, S. 81-151. doi.org/10.35468/5935-09 106 | Andreas Schmitt Einfluss von Vorerfahrungen auf die Fähigkeits- selbstkonzepte von Sachunterrichtsstudierenden zu Kompetenzen in der digitalen Welt Students’ competences in digital skills and the expectancy-value of digital media affect their ability and disposition to teach digital issues during their own teacher carrier. Both are strongly connected to their own experiences and self-concepts in this field. This study examines the connection between private and university-related experiences with digital media and students’ self-concepts. 1 Einleitung Mit ihrem Strategiepapier zur „Bildung in der digitalen Welt“ bezieht die KMK (2016) Stellung zu den bildungstheoretischen und unterrichtsrelevanten Heraus- forderungen, die sich durch die zunehmende Digitalisierung und dem damit verbundenen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Wandel ergeben (a.a.O). Zentrales Element des Strategiepapiers sind die anzubahnenden Kompe- tenzen, die es den Schüler*innen ermöglichen sollen, sich in einer digitalen Ge- sellschaft zurechtzufinden und daran teilzuhaben. Diese digitalen Kompetenzen gliedern sich in sechs Bereiche: (1) „Suchen, Verarbeiten und Aufbewahren“, (2) „Kommunizieren und Kooperieren“, (3) „Produzieren und Präsentieren“, (4) „Schützen und sicher Agieren“, (5) Problemlösen und Handeln“, (6) „Analysie- ren und Reflektieren“. Das Fach Informatik der weiterführenden Schulen deckt dabei nur einen Teil dieser Kompetenzen ab. Die restlichen Kompetenzen müssen in unterschiedlichen Fächern verortet (Diethelm & Glücks 2019, 78f.) bzw. im Sinne einer Medienpädagogik als fachübergreifender Bildungsauftrag verstanden werden (Dengel 2018, 24) – auch in der Grundschule. Hier kommt dem Sa- chunterricht eine zentrale Rolle zu. Er berücksichtigt in besonderer Weise die Lebenswelt der Kinder und muss daher auch offen für die digitalisierten Anteile dieser Lebenswelt sein. Gleichzeitig bietet die vielperspektivische Konzeption des Sachunterrichtes den nötigen Raum, um der Vielfallt digitaler Themen und Kom- petenzen gerecht zu werden (Kunkel & Peschel 2020, 461). Um diese Auseinan- doi.org/10.35468/5935-10 Einfluss auf Fähigkeits selbstkonzepte in der digitalen Welt | 107 dersetzung gewährleisten zu können, müssen allerdings die Lehrkräfte zunächst selbst über die entsprechenden Kompetenzen verfügen und „digitale Medien in ihrem jeweiligen Fachunterricht professionell und didaktisch sinnvoll nutzen sowie gemäß dem Bildungs- und Erziehungsauftrag inhaltlich reflektieren kön- nen“ (KMK 2016, 25). So bedarf es für die universitäre Ausbildung zukünftiger Sachunterrichtslehrkräfte ebenfalls passender Konzepte, um diese Kompetenzen, ausgehend von den eigenen digitalen Erfahrungen der Studierenden, entspre- chend zu fördern und weiterzuentwickeln. Neben konkreten Erfahrungen haben auch die Wahrnehmung und Einschätzung der erlebten Kompetenz (Fähigkeitsselbstkonzept) einen unmittelbaren Einfluss auf die eigene Leistung (Dickhäuser 2006, 6). Gemäß dem Erwartungs-Wert-Mo- dell (Eccles 2005, 106) kann angenommen werden, dass die bereichsspezifischen Fähigkeitsselbstkonzepte Lehramtsstudierender in Bezug auf ihre digitalen Kom- petenzen „eine zentrale Rolle für den Einsatz digitaler Medien in ihrem späteren Unterricht spielen“ (Rubach & Lazarides 2019, 348). Fähigkeitsselbstkonzepte gelten im Allgemeinen als stabil, werden aber immer wieder mit der eigenen Leistung abgeglichen und können, insbesondere wenn neue Erfahrungen hinzu- kommen, korrigiert oder weiter differenziert werden. Wie nationale und interna- tionale Studien zeigen, sammeln Lehramtsstudierende jedoch oft immer noch zu wenig Erfahrung mit digitalen Medien und schätzen sich als wenig kompetent in diesem Bereich ein (Bertelsmann Stiftung 2017, 6; Farjon, Smits & Voogt 2019, 91). Es ist daher unerlässlich, bereits im Studium entsprechende Erfahrungsräume zu schaffen (Schiefner-Rohs 2015, 126). Die Einschränkungen der Präsenzlehre als Folge der COVID-19-Pandemie haben die digitalen Kompetenzen der Stu- dierenden, insbesondere was Lehr- und Lernaktivitäten angeht, unmittelbar auf die Probe gestellt. Es ist davon auszugehen, dass diese – wenn auch erzwungene – unmittelbare Erfahrung sowohl zur Kompetenzentwicklung, als auch, durch die Offenlegung eigener Stärken und Schwächen im Umgang mit digitalen Medien, zur Schärfung der damit verbundenen Fähigkeitsselbstkonzepte beigetragen hat. Dadurch sollte es möglich sein, auf Basis der Selbsteinschätzung der Studieren- den auch ein realistisches Bild der zugrundeliegenden Kompetenzen zu erfassen. Diesem Ansatz folgend wurde untersucht, wie sich Sachunterrichtsstudierende im Bereich der von der KMK geforderten digitalen Kompetenzen selbst einschätzen, welchen Einfluss die eigenen Erfahrungen darauf haben und welchen Stellenwert die Studierenden daraus dem Einsatz digitaler Medien in ihrem eigenen späteren Unterricht ableiten. doi.org/10.35468/5935-10 108 | Andreas Schmitt 2 Methode Die Studie wurde im Zeitraum 11 / 2020-01 / 2021 an drei deutschen Universitäts- standorten durchgeführt. Insgesamt nahmen 148 Studierende (135 weiblich) an einer Onlineumfrage teil. Alle Teilnehmer*innen studierten zwischen dem dritten und elften Semester das Fach Sachunterricht (M = 4.9 Semester, SD = 2.5 Se- mester). Die Studierenden wurden nach einer Selbsteinschätzung ihrer digitalen Kompetenzen, ihren Vorerfahrungen, ihrer eigenen Mediennutzung sowie nach einer Einschätzung bezüglich des Stellenwerts digitaler Medien in ihrem späteren eigenen Sachunterricht befragt. Als Grundlage für den Fragebogen diente eine Skala zur Selbsteinschätzung digitaler Kompetenzen bei Lehramtsstudierenden (Rubach & Lazidares 2019, 359f.). Zur Erhebung der Selbsteinschätzung der digi- talen Kompetenzen wurde die Skala entsprechend für den Sachunterricht adaptiert. Die Items umfassen insgesamt sieben Kompetenzbereiche: (1) Suchen und Verar- beiten, (2) Kommunizieren und Kollaborieren, (3) Produzieren und Präsentieren, (4) Schützen und sicher Agieren, (5) Problemlösen und Handeln, (6) Analysieren und Reflektieren und (7) Unterrichten und Implementieren. Die Items (z.B. zum Bereich Unterrichten und Implementieren: „Ich erkenne die Potenziale der Nut- zung digitaler Medien für die Vermittlung von Unterrichtsinhalten“) wurden auf einer fünfstufigen Antwortskala von 1 (stimme gar nicht zu) bis 5 (stimme voll und ganz zu) bewertet. Aus dem Mittelwert der jeweils zusammengehörigen Items ergibt sich der Wert für den jeweiligen Kompetenzbereich. Zusätzlich sollten die Studierenden für jeden Kompetenzbereich einschätzen, ob bzw. wie sich ihre Fä- higkeiten durch die Erfahrungen während der COVID-19-Pandemie verändert haben (Antwortoptionen: verbessert / gleich geblieben / verschlechtert). Der Stellenwert digitaler Medien für eigenes späteres Unterrichten ergibt sich aus jeweils drei Items (fünfstufige Antwortskala) zu den vier Wertüberzeugungen Nützlichkeit, Wichtigkeit, Interesse und Kosten (angelehnt an Eccles 2005). Die Erhebung der eigenen Mediennutzung geht von der Annahme aus, dass die Viel- fältigkeit der Nutzung digitaler Geräte und Tools im Sinne eines „digital natives“ auch mit einer kompetenten Mediennutzung einhergeht Lehramtsstudierenden (Rubach & Lazidares 2019, 358). Die Studierenden mussten auswählen, welche digitalen Geräte oder Tools sie privat und / oder fürs Studium nutzen. Dazu wur- de ihnen eine Liste von 20 unterschiedlichen digitalen Endgeräten (z.B. Tablet, Smartphone) und Tools (z.B. Social Media Plattformen, Cloudspeicher, Textver- arbeitungsprogramme) vorgegeben, die bei Bedarf selbst ergänzt werden konnte. Um eine allgemeine Einschätzung der Erfahrungen im Studium unabhängig von der Pandemie zu erhalten, wurden die Studierenden abschließen befragt, ob sie bereits vorher digitale Medien im Studium eingesetzt haben, ob diese als Unter- richtsmedium thematisiert wurden und ob sie sich durch ihr Studium gut auf den Einsatz digitaler Medien im Sachunterricht vorbereitet fühlen. doi.org/10.35468/5935-10 Einfluss auf Fähigkeits selbstkonzepte in der digitalen Welt | 109 3 Ergebnisse Die folgende Ergebnisdarstellung beschränkt sich auf die wichtigsten Erkennt- nisse. 33 Teilnehmer*innen wurden von der weiteren Analyse ausgeschlossen, da sie den Fragebogen vorzeitig abgebrochen haben. 3.1 Selbsteinschätzung der digitalen Kompetenz Wie in Abbildung 1 zu sehen ist, schätzen die Studierenden im Allgemeinen ihre digitalen Kompetenzen recht hoch ein; besonders im Bereich Kommunizieren und Kollaborieren. Ihre Einschätzung der Kompetenzen Schützen und sicher Agieren sowie Problemlösen und Handeln fallen dagegen niedriger aus. Abb. 1: Ergebnisse der Befragung zur Selbsteinschätzung der digitalen Kompetenzen Bei der Frage nach der Selbsteinschätzung, wie sich die einzelnen Kompetenzbe- reiche durch die Erfahrungen während des Online-Semesters verändert haben, ist zwar – bis auf den Bereich Schützen und sicher Agieren – ein positiver Trend zu erkennen (siehe Tabelle 1), gemittelt über alle Kompetenzbereiche sind jedoch 68,3 % der Studierenden der Ansicht, dass keine Entwicklung stattgefunden hat. Tabelle 1: Selbsteinschätzung zur Entwicklung der Kompetenzbereiche Kompetenzbereich verschlechtert gleich geblieben verbessert Suchen und Verarbeiten 0 93 22 Kommunizieren und Kollaborieren 0 74 41 Produzieren und Präsentieren 0 74 41 Schützen und sicher Agieren 6 107 2 Problemlösen und Handeln 0 82 33 Analysieren und Reflektieren 0 70 45 Unterrichten und Implementieren 3 48 64 doi.org/10.35468/5935-10 110 | Andreas Schmitt 3.2 Zusammenhang zwischen Kompetenzeinschätzung und Mediennutzung Als Maß für die Mediennutzung der Studierenden wurde die Summe über die gewählten bzw. genannten Endgeräte und Tools berechnet. Es zeigten sich keine signifikanten Unterschiede in der Anzahl privat (M = 10.45, SD = 2.70) oder fürs Studium (M = 10.63, SD = 2.04) genutzter Medien. Sie unterschiedenen sich jedoch in der Verteilung. So finden sich im privaten Bereich vor allem Apps zur Kommunikation (z.B. Messenger, Social Media), während typische Anwen- dungen zur Textproduktion oder zum Dateitransfer fast ausnahmslos im Studium genutzt wurden. Tabelle 2: Korrelationen zwischen den einzelnen Kompetenzbereichen und der privaten bzw. studiumsbedingten Mediennutzung Mediennutzung Kompetenzbereich Privat Studium Suchen und Verarbeiten r(113) = 0.20* r(113) = 0.09 Kommunizieren und Kollaborieren r(113) = 0.27** r(113) = 0.15 Produzieren und Präsentieren r(113) = 0.25** r(113) = 0.04 Schützen und sicher Agieren r(113) = 0.12 r(113) = 0.03 Problemlösen und Handeln r(113) = 0.23* r(113) = 0.14 Analysieren und Reflektieren r(113) = 0.13 r(113) = 0.05 Unterrichten und Implementieren r(113) = 0.23 * r(113) = 0.12 Bemerkung: N = 115, r = Pearson Korrelationskoeffizient, *p < 0.05, **p < 0.01 Die Korrelationsanalyse nach Pearson deutet auf einen schwachen positiven Zu- sammenhang der gemittelten Kompetenzeinschätzung zur privaten Mediennut- zung hin (r(113) = 0.31, p < 0.001). Eine multiple Regressionsanalyse bestätigt, dass die private Mediennutzung 10% der Varianz erklärt, R2 = 0.10, F(1,113) = 12.1, p < 0.001. Für die Mediennutzung im Studium konnten diese Effekte nicht nachgewiesen werden. Die Ergebnisse der Einzelanalysen zu den unterschied- lichen Kompetenzbereichen sind in Tabelle 2 zusammengefasst. 3.3 Stellenwert digitaler Medien für den eigenen Sachunterricht Drei der vier Werteinstellungen – bis auf den Bereich Kosten – korrelieren positiv mit der eigenen Kompetenzeinschätzung der Studierenden. Je höher die Studie- renden ihre eigenen Kompetenzen einschätzen, desto höher ist auch die Bedeu- tung, die sie digitalen Medien im Unterricht beimessen (Wichtigkeit), r(113) = 0.29, p < 0.01, und der Nutzen, r(113) = 0.34, p < 0.001, den sie sich von den di- gitalen Medien für den Sachunterricht erhoffen. Ebenso steigt das Interesse, r(113) = 0.39, p < 0.001, am Einsatz digitaler Medien im Unterrichtmit zunehmenden Werten für die Kompetenzeinschätzung. doi.org/10.35468/5935-10 Einfluss auf Fähigkeits selbstkonzepte in der digitalen Welt | 111 3.4 Erfahrungen während des Studiums Insgesamt 69,6% der Studierenden gaben an, bereits vor dem Online-Semester digitale Medien in Lehrveranstaltungen eingesetzt zu haben; 32,2% besuchten be- reits mindestens eine Lehrveranstaltung zum Einsatz digitaler Medien im Sachun- terricht. Ein Welch-Test zeigte, dass letztere ihre Fähigkeiten im Bereich Produ- zieren und Präsentieren signifikant höher einschätzten (M = 4.04) als Studierende, die keine solche Lehrveranstaltung belegt haben (M = 3.74), t(72.03) = 2.01, p < 0.05. Es zeigten sich jedoch keine Unterschiede in den Bereichen Analysieren und Reflektieren und Unterrichten und Implementieren. Die Frage, ob ihr Studium sie gut auf den Einsatz digitaler Medien im Sachunter- richt vorbereitet, beantworteten 44,3% der Studierende mit ja. Ein Vergleich mit Hilfe von Welch-Tests ergab, dass diese Studierenden sich auch kompetenter in den Bereichen Schützen und sicher Agieren, t(112.7) = 4.30, p < 0.001, Analysieren und Reflektieren, t(109.14) = 2.69, p < 0.01, sowie Unterrichten und Implementie- ren, t(112.57) = 2.09, p < 0.05, fühlen im Vergleich zu denen, die angaben, dass sie das Studium nicht gut vorbereite. Die Analysen konnten jedoch weder signifikante Zusammenhänge noch Ten- denzen zwischen den Erfahrungen in der Nutzung und Thematisierung digitaler Medien im Studium und dem Stellenwert digitaler Medien für eigenes späteres Un- terrichten zeigen. 4 Diskussion Wie sich gezeigt hat, scheint die Einschätzung der eigenen Kompetenz vor allem mit dem privaten Nutzungsverhalten digitaler Medien zusammenzuhängen. Ein Beitrag der Mediennutzung während des Studiums und der Thematisierung di- gitaler Medien in Lehrveranstaltung zur eigenen Kompetenzeinschätzung konnte dagegen nicht nachgewiesen werden. Dennoch zeichnet die Erfahrung aus dem Online-Semester ein differenziertes Bild. Obwohl, für die einzelnen Kompetenz- bereiche betrachtet, im Schnitt 68,3% der Befragten keinen Kompetenzzuwachs festgestellt haben, so sind doch 31,7 % der Meinung, sich durchaus verbessert zu haben. Insbesondere auf den Bereich Unterrichten und Implementieren hat sich die Erfahrung während der Online-Semesters nach Einschätzung von 55,7% der Studierenden besonders positiv ausgewirkt. Es stellt sich die Frage, wie diese po- sitive Lernerfahrung in Zukunft genutzt werden kann, um die Kompetenzen und Kompetenzeinschätzungen der Studierenden insbesondere in den Bereichen Ana- lysieren und Reflektieren und Unterrichten und Implementieren zu stärken. Zumindest für die Untersuchungsgruppe gilt, dass die besuchten Lehrveranstal- tungen in der Vergangenheit kaum einen Effekt auf die eigene Kompetenzein- doi.org/10.35468/5935-10 112 | Andreas Schmitt schätzung hatten. Dies ist vor allem problematisch, da die eigene Kompetenzein- schätzung mit den Wertvorstellungen für den Einsatz und die Thematisierung digitaler Medien im Sachunterricht einhergeht und somit unmittelbaren Einfluss auf die spätere eigene Unterrichtspraxis haben (Farjon, Smits & Voogt 2019, 92). Die Aussagekraft der Studie bleibt zwar limitiert, da die Ergebnisse auf Selbst- einschätzungen beruhen und auch die Veränderungen nur retrospektiv beurteilt wurden. Auch konnten Kausalitätsbeziehungen nicht abschließend geklärt wer- den. Dennoch wirft sie die Frage auf, inwiefern Erfahrung mit digitalen Medien und ihre Thematisierung durch entsprechende Lehrveranstaltungen in der Lage sind, nicht nur die tatsächlichen digitalen Kompetenzen, sondern auch die Selbst- wahrnehmung und Wertvorstellungen der Studierenden nachhaltig positiv zu beeinflussen. Festzuhalten bleibt, dass die reine Erfahrung und Thematisierung digitaler Medien während des Studiums dazu nicht ausreichen. Um eine Bildung für die digitale Welt im Sachunterricht zu etablieren, sollten die Lernformate während des Studiums daher sowohl auf die Erweiterung der Kom- petenzen als auch gezielt auf die Überzeugungen ausgerichtet sein. Entsprechende Evaluationen sollten beides berücksichtigen. Literatur Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2017): Monitor Digitale Bildung. Die Hochschule im digitalen Zeital- ter, https://www.bertelsmann-stiftung.de / fileadmin / files / BSt / Publikationen / GrauePublikationen / DigiMonitor_Hochschulen_final.pdf. 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Entwicklung eines Instrumentes und die Validierung durch Konstrukte zur Mediennutzung und Werteüberzeugungen zur Nutzung digitaler Medien im Unterricht der Stu- dierenden. In: Zeitschrift für Bildungsforschung, 9, 345-374. Schiefner-Rohs, M. (2015). Lehrerinnen- und Lehrerbildung und digitale Medien – Herausforde- rungen entlang der Lehrerbildungskette. In: Schiefner-Rohs, M., Gómez Tutor, C. & Menzer, C. (Hrsg.): Lehrer.Bildung.Medien. Herausforderungen für die Entwicklung und Gestaltung von Schule. Baltmannsweiler, S. 119-128. doi.org/10.35468/5935-10 114 | Friederike Kern, Volker Schwier und Björn Stövesand Zum Ungleichgewicht digital vermittelten Sachunterrichts und sprachlich-kommunikativer Anforderungen In the light of theoretical assumptions concerning the role of communication for the co-construction of knowledge, we identify a conflict between claims of science and social studies at primary level, and digitally mediated teaching: There seems to be a significant imbalance between written and oral formats in digital teaching situations. However, not only is orality assumed important for the acquisition of linguistic and content-related knowledge, negotiating content and positions is an integral part of science and social studies. Drawing on statements by primary school teachers, we argue that the observed preponderance of written tasks formats without any chance for direct exchange might furthermore reinforce processes of social inequality. 1 Einleitung Der Mündlichkeit und dem argumentativen Ver- und Aushandeln von Inhalten und Positionen als konstitutives Element kommen im Sachunterricht eine be- deutende Rolle zu (Rank, Wildemann & Hartinger 2016). Schüler*innen eignen sich Sachverhalte oft zunächst in medialer und konzeptioneller Mündlichkeit an, bevor sie sie unter Anleitung und mit Unterstützung in schriftnähere Formen übertragen. In der Zeit des pandemiebedingten Distanzunterrichts und digitaler Lehr-Lernformate erfolgte die Kommunikation vermehrt über schriftliche Aufga- benformen. Der damit einhergehende Verlust an direkter mündlicher Interaktion und Interaktionsformen riskiert die Aneignung wichtiger Sprach- und Sachkom- petenzen medial zu vereinseitigen, damit zu erschweren und bestehende soziale Ungleichheiten weiter zu verstärken. Diese Problematik greift der Beitrag auf, in- dem er theoretische Überlegungen zur Rolle von kommunikativen Interaktionen für die gemeinsame Konstitution von Wissen mit Äußerungen von Grundschul- lehrkräften kontrastiert. Dadurch wird ein Konflikt zwischen sachunterrichtsdi- daktischen Ansprüchen und digital vermittelter Unterrichtswirklichkeit sichtbar. Im nächsten Schritt richten wir den Blick auf mögliche Konsequenzen, die sich doi.org/10.35468/5935-11 Zum Ungleichgewicht digital vermittelten Sachunterrichts | 115 aus diesem Dilemma für die (Aus-)Bildung von Studierenden und hochschuldi- daktische Konzeptualisierungen im Bereich sachunterrichtsbezogener Lehrer*in- nenbildung ergeben. Ausgehend von eigenen Arbeiten (Schüssler, Schöning, Schwier, Schicht, Gold & Weyland 2017; Kern & Stövesand 2019) diskutieren wir abschließend im Rahmen des Forschenden Lernens qualitativ-rekonstruktive Zugänge in ethnografischer Tradition, durch deren wissenschaftliche Wahrneh- mungs- und Erkenntnispraktiken ein Sensibilisierungsprozess angeregt werden kann, der Studierende befähigt, das genannte Spannungsfeld sowohl reflexiv zu erfassen als auch produktiv zu bearbeiten. Zitate aus einem Gespräch mit einer Lehrkraft aus dem Corona-Sommer 2021 illustrieren die beschriebenen Proble- matiken bezüglich der Rolle von kommunikativen Interaktionen für den Wissen- serwerb allgemein und für die Vermittlung sachunterrichtsdidaktischer Ziele im Besonderen.1 2 Der Sachunterricht als sprachlich-soziale Interaktion Was schon für den Unterricht (in der Primarstufe) generell gilt, erfährt im Kon- text des Sachunterrichts besondere Relevanz: „Gemeinsames Lernen hat Anregungspotential durch die kognitive Vielfalt, wenn Wis- sen in sozialer Ko-Konstruktion – kognitiv aktiviert – gemeinsam ausgehandelt wird und / oder Modelllernprozesse stattfinden.“ (Munser-Kiefer 2019, 105) Doch im Zuge einer sich ausweitenden digital vermittelten Unterrichtsrealität kommt es zu einer stärkeren Individualisierung von Lernprozessen. Sachunter- richtsdidaktische Ansprüche werden so teils unterlaufen: „Im Sachunterricht erfahren die Kinder, dass nicht mehr das, was man für sich alleine weiß und für richtig hält, als Wissen gilt, sondern zunehmend das, was auch andere verstehen, einsehen und nutzen können. In der Interaktion mit anderen, denen man et- was erklärt oder plausibel machen muss, mit deren Einwänden man umgeht und deren Vorschläge man abwägt, annimmt, verwirft, wird Wissen, auf das man vertraut, einer Bewährung unterzogen.“ (Kahlert 2016, 138) 1 In diesem Sinne entsprechen wir in unserem Beitrag den ethnografischen Gedanken, die weder bestimmte Arten von Datenkorpora noch typische Verfahrensschritte vorschreiben, schon gar nicht in Richtung vermeintlich umfänglicher Quantifizierung oder statistischer Repräsentativität. Statt- dessen folgen wir dem Ziel, durch verschiedene Datentypen die Komplexität eines Phänomens sichtbar zu machen oder sogar zu erhöhen (Breidenstein, Hirschauer, Kalthoff & Nieswand 2020, 38 f.). So dient das Gespräch mit der Lehrkraft als Ausgangs- und Fluchtpunkt unserer sonst eher theoretischen Diskussion um die Rolle von Kommunikation und Interaktion im Sachunterricht. doi.org/10.35468/5935-11 116 | Friederike Kern, Volker Schwier und Björn Stövesand Besonders das gemeinsame Lernen eröffnet Interaktionen, in denen sachunter- richtliches Wissen von den Lernenden ko-konstruiert werden kann, so wie es auch eine von uns befragte Lehrkraft einfordert (siehe Zitat am Ende dieses Ab- schnitts). Sachunterricht zielt also darauf ab, einerseits entsprechende (individu- elle) Erfahrungen zu initiieren und andererseits Möglichkeiten zum Austausch von Erfahrungen in sozialen Interaktionen zu eröffnen. Dieser fachdidaktische Anspruch ist insofern folgenreich, als damit „Wissen [...] nicht mehr nur bezogen auf eigene Lebensweltprobleme und -interpreta- tionen gültig sein [soll]. Zugleich wird der Gebrauch der Symbole, mit denen Wissen kommuniziert wird (spezielle Wortbedeutungen, Fachausdrücke, mathematische Sym- bole) spezifischer. Man kann sein Wissen nicht mehr ‚irgendwie‘ ausdrücken, sondern muss sich an Regeln halten, die allgemein verstanden und akzeptiert werden“ (a.a.O.). Grundsätzlich stellt auch Tänzer (2015, 449) fest: „Sacherschließungsprozesse sind Verstehensprozesse. Ihr Gelingen ist entsprechend da- nach zu beurteilen, ob aus der Begegnung mit einer Sache eine fruchtbare, aktive Aus- einandersetzung wird, innerhalb derer den Kindern ihre individuellen Wahrnehmungs-, Deutungs- und Interpretationsmuster bewusst und zum Ausgangspunkt des Auf- und Ausbaus stabiler, intersubjektiv gültiger, allgemeiner Sinn- und Sachzusammenhänge (nach Maßgabe fachwissenschaftlicher Deutungen und Erklärungen) werden. Es wird sichtbar an der Fähigkeit, ihr Verständnis auch diskursiv vertreten zu können.“ Didaktische Erwartungen zum Modus sachunterrichtlicher Lernprozesse stehen so in einem auffälligen Kontrast zu jener sachunterrichtlichen Gegenwart, wie sie von der von uns befragten Lehrkraft wahrgenommen wird: „(...) bisschen was erklären lassen oder so kann man ja. Aber Sachunterricht ist ja ganz oft auch Experimente machen und erklären warum ist das so (...) oder vermuten (...) ich vermute das dann überlegen wir was passiert (...) dann machen wir das (...) und dann reflektieren wir was ist denn jetzt wirklich passiert und warum ist das so. Das fällt ja alles weg. Das ist ja jetzt nur Arbeitsblätter machen (...) ähm (...) und das wars.“ (Zitat 1) Das Unbehagen der Lehrkraft darüber – angesichts der coronabedingten Distanz- und Wechsel-Lehr-Lernformate – den genuinen sachunterrichtsdidaktischen Er- wartungen wohl kaum entsprechen zu können, ist gut begründet, denn „Gespräch und kommunikativer Austausch unterschiedlicher Form sind [...] konstituti- ver methodischer Bestandteil jeder Sacherschließung“ (Tänzer 2015, 449). Wenn nun im Zuge der digital vermittelten Unterrichtspraktiken besonders die schriftfixierten Aufgaben- und Bearbeitungsformate ausgeweitet werden, während die Gelegenheiten mündlicher Teilhabe für die Schüler*innen reduziert sind, be- steht jedoch das Risiko, die Aneignung wichtiger Sprach- und Sachkompetenzen doi.org/10.35468/5935-11 Zum Ungleichgewicht digital vermittelten Sachunterrichts | 117 medial zu vereinseitigen. Mit Blick auf bildungssprachliche Praktiken entfallen so bspw. Möglichkeiten des Scaffoldings (Gibbons 2006) und damit einer situierten Transformation konzeptionell mündlicher Sprachformen in bildungssprachliche. Das gemeinsame Lernen als möglicher Ort für solche Transformationen droht in digital vermittelten Lehr-Lernformaten zunehmend marginal zu werden. 3 Die Sprache als Werkzeug des Denkens Anknüpfend an Zielsetzungen des Sachunterrichts und der Rolle des sprach- lich-kommunikativen Austauschs für Sacherschließungsprozesse werden nun zwei der Funktionen von Sprache und Kommunikation in Lehr-Lern-Prozessen be- trachtet. Erstens wird der Sprache eine wesentliche Bedeutung bei der Vermittlung und Aneignung sach- und fachbezogenen Wissens zugeschrieben; zweitens wird Wissen in sprachlich-kommunikativen Interaktionen von den Teilnehmenden gemeinsam konstruiert, wie die ethnomethodologisch inspirierte Interaktions- forschung empirisch belegt (Bergmann & Quasthoff 2010). Insbesondere im Zusammenhang mit der Diskussion um bildungssprachliche Praktiken wird die epistemische, d.h. auf Erkenntnis bezogene Funktion von Sprache im Unterricht hervorgehoben (Morek & Heller 2012). Das Erlernen fachlicher Termini führe einerseits dazu, dass die entsprechenden Konzepte ebenfalls angeeignet werden: „learning science is the same as learning the language of science“ (Halliday 1993, 77). Andererseits zeigt sich gerade bei der Verwendung von Fachbegriffen, ob bzw. inwieweit die jeweiligen Konzepte überhaupt korrekt erschlossen wurden (Ortner 2009, 2231). Für eine korrekte Begriffsbildung, die mit Wissenszugewinn einher- geht, sind also bildungssprachliche Praktiken – d.h. in interaktive Zusammen- hänge eingebettete und damit situierte und kontextbezogene sprachliche Hand- lungen – besonders relevant (Kern, Schwier & Stövesand 2021). Dies führt uns zu der zweiten Funktion von Sprache und Kommunikation in Lehr-Lern-Prozessen. Zwar ist Wissen im allgemeinen Verständnis zunächst ein kognitives und perso- nenbezogenes Konzept (z.B. Kahlert 2016, 138), jedoch spielen sprachlich-kom- munikative Prozesse bei seiner Herstellung und Vermittlung eine wichtige Rolle. Dass und wie Wissen in Interaktionen gemeinsam hergestellt wird, zeigen z.B. Studien aus dem rekonstruktiven Paradigma. Gerade die mündlich-diskursive und multimodale Auseinandersetzung mit fachlichen Inhalten hat offenbar ein hohes Potenzial für die Aneignung fachlichen Wissens (z.B. Dalgren 2017). Aus dieser Perspektive ist die Bedeutsamkeit kommunikativen Austauschs zur Aneig- nung von Wissen nicht zu unterschätzen. Nun böte der digitale Fernunterricht zwar die Möglichkeit, kommunikativen Austausch mit Hilfe technischer Tools zu organisieren, dies wird aber, wie die bereits angeführte Aussage der Lehrkraft doi.org/10.35468/5935-11 118 | Friederike Kern, Volker Schwier und Björn Stövesand zeigt, offenbar kaum genutzt. „Das ist ja jetzt nur Arbeitsblätter machen (...) ähm (...) und das wars.“ (Zitat 2) Aus diesem Zitat sowie aus Gesprächen mit weiteren Lehrkräften lässt sich als vorläufige Hypothese ableiten, dass Formen kommuni- kativen Austauschs im pandemiebedingt digital vermittelten Sachunterricht wohl eine eher untergeordnete Rolle spielen (wenn sie überhaupt erfolgen). Ebenso we- nig werden offenbar digitale Tools für einen informellen Austausch genutzt, wie z.B. Messenger-Dienste, die auch auditive (Sprach-)Nachrichten ermöglichen. So werden gerade die jüngeren Kinder systematisch aus der Kommunikation unter- einander sowie mit Lehrkräften ausgeschlossen; diese konzentriert sich stattdessen auf den Austausch mit den Eltern. Auf die Frage, wieviel Interaktion im Sachun- terricht aktuell schriftlich ablaufe, antwortet die befragte Lehrkraft: „Mit den Kindern kaum. Mit den Eltern viel, weil gut die Einser können noch nicht schreiben ähm und die anderen halt über diese Chatfunktion. Aber ähm (...) vielleicht (...) zwan_zehn_zwanzig prozent? Ganz wenig.“ (Zitat 3) Die Auslagerung der mündlichen (Wissens-)Kommunikation in die Familie kann wiederum der Verschärfung sozialer Ungleichheit Vorschub leisten, da Familien- kommunikation eine wesentliche Rolle beim Erwerb schulrelevanter diskursiver Fähigkeiten spielt (z.B. Kern & Quasthoff 2007). Ausgehend von diesen Überle- gungen erörtern wir nun, wie dem durch eine Sensibilisierung für fachbezogene Sprachpraktiken bereits bei Studierenden des Lehramts im Rahmen Forschenden Lernens entgegenwirkt werden kann. 4 Ethnografisch inspiriertes Forschen über Sachunterricht Die vorherigen Ausführungen haben gezeigt, dass der Sachunterricht in beson- derem Maße eine reflexive Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen epi- stemischen Konfigurationen von Sprache notwendig macht. Bildungssprachliche Praktiken, wie z.B. Experimentierhinweise, Bildkartenbeschreibungen, Lernspiel- anleitungen, Forscher*innentagebücher u.Ä. konzentrieren sich oft ebenfalls auf die Vermittlung von Fachtermini, sind dabei jedoch konstitutiver Teil der Fach- lichkeit im Sachunterricht. Dennoch muss sich die Sachunterrichtsdidaktik auf besondere Weise mit Sprache und Sprachgebrauch auseinandersetzen, wie das Zitat 1 der Lehrkraft eindrücklich zeigt. So wird von ihr vor allem die Relevanz der Operatoren „vermuten“, „überlegen“ und „reflektieren“ angesprochen, welche sich mit den schultypischen Praktiken des „Erklärens“, „Begründens“ und „Argu- mentierens“ identifizieren lassen (auch GDSU 2013, 12 ff.) – alles Praktiken, die im (Sach-)Unterricht zunächst vornehmlich mündlich auftreten. Beim Erwerb und Üben solcher mündlicher ‚bildungssprachlicher Praktiken‘ geht es jedoch nicht ausschließlich um das Einüben von probater Lexik und komplexer Syntax, doi.org/10.35468/5935-11 Zum Ungleichgewicht digital vermittelten Sachunterrichts | 119 sondern vor allem um einen diskursiv angemessenen, situierten und damit kon- textualisierten Gebrauch der entsprechenden Praktiken (Morek & Heller 2012). Der zunehmende Einsatz digitaler Tools oder gar der vollständige Wechsel in einen medial vermittelten Distanzunterricht während der Corona-Pandemie macht, neben der kritischen Auseinandersetzung mit interaktionsrelevanten Konsequenzen dieser Tools für den Unterricht, eine Beschäftigung mit den skiz- zierten fachlich-sprachlichen Implikationen notwendig. Unser Vorschlag schließt hier an eine Verbindung aus Forschendem Lernen (Fichten 2010) und der Ka- suistik an (Schmidt & Wittek 2020) an. Durch einen fallorientierten und vor- nehmlich rekonstruktiven Zugang sollen angehende Lehrkräfte so an prinzipiell qualitativ-wissenschaftlichen Praktiken partizipieren und darüber die Fähigkeit zur kritisch-reflexiven Distanz entwickeln. Dabei folgen wir einem hochschuldi- daktischen Konzept, das im Teilprojekt 3 („Fachdidaktische Professionalisierung unter Berücksichtigung sozialer Ungleichheit und Inklusion“) des BiProfessio- nal-Projekts2 entwickelt wurde und in der Fachdidaktik Deutsch bereits im Um- feld der studentischen Praxisaufenthalte eingesetzt wird (Kern & Stövesand 2019). Darin führen Studierende eigenständig ethnografisch inspirierte Beobachtungen durch, um so einen Verfremdungseffekt zu erzielen zugunsten eines Blicks für die fachspezifische Mikrokultur, wie sie im interaktiven Vollzug des Unterrichts her- gestellt wird. Mit Blick auf den Sachunterricht kann ein ethnografisch inspiriertes Erforschen seitens der Studierenden den Blick dafür weiten, wie sich die Rolle der Sprache in der Unterrichtspraxis durch die Zunahme digitaler Hilfsmittel wan- delt und welche potenziellen Konsequenzen dies für den Wissenserwerb seitens der Schüler*innen hat. Als forschend Teilnehmende an der Unterrichtssituation haben angehende Lehrkräfte so die Möglichkeit, den Entschleunigungs- und Ver- fremdungseffekt von wissenschaftlichen Beobachtungsformaten zu nutzen und die dabei entstehenden Daten (Protokolle, Transkripte, etc.) analytisch zu durch- dringen. So können bspw. auf Basis von detaillierten Beobachtungsprotokollen, die auf Relationierung von mündlichem Unterrichtsgespräch und schriftlichen Aufgabenstellungen und Gegenstandspräsentationen im Digitalen fokussieren, fachliche Spannungsfelder identifiziert werden. Dabei kann es z.B. gelingen, grundlegende Differenzen oder Widersprüche im mündlichen wie (konzeptio- nell) schriftsprachlichen Vollzug von Unterrichtsexperimenten zu reflektieren. Als Teilnehmende an der Unterrichtssituation wird so eine Reflexionsebene eingezo- gen, die den sachunterrichtlichen Sprachgebrauch zu einem „cognitive artifact” (Goodwin 1994, 615) werden lässt: Sprache wird als Unterrichtsmedium und sachunterrichtlicher Lerngegenstand erfahr- und analysierbar, auch in Bereichen, in denen digitale Hilfsmittel ggf. die schriftsprachliche Dimension überbetonen. 2 Der Beitrag ist in dem Projekt BiProfessional entstanden. BiProfessional wird im Rahmen der ge- meinsamen Qualitätsoffensive Lehrerbildung von Bund und Ländern aus Mitteln des Bundesmi- nisteriums für Bildung und Forschung gefördert (Förderkennzeichen 01JA1908). doi.org/10.35468/5935-11 120 | Friederike Kern, Volker Schwier und Björn Stövesand Damit einher geht das Potenzial, sprachlich bedingte Ungleichheitsfaktoren in diesen neuen Unterrichtsmodalitäten zu entdecken und in ihrer jeweils situier- ten Relevanz zu reflektieren. So wird eine Dimension von Digitalitätskompetenz adressiert, die über das angemessene Verwenden von Tools deutlich hinausgeht: Es wird vielmehr ein analytischer Blick angeeignet, der die Herstellung einer sa- chunterrichtlich-sprachlichen Unterrichtsrealität im Kontext der Verwendung di- gitaler Hilfsmittel fokussiert und damit deren prozessualen Charakter gegenüber einer vermeintlichen Objekthaftigkeit prominent setzt. Die Kontrastierung eines sachunterrichtsdidaktisch-sprachlichen Anforderungsprofils mit Erfahrungen von (pandemiebedingt) digital vermittelter Sachunterrichtsrealität einzelner Lehr- kräfte unterstreicht grundlegende Problemlagen kommunikativer Interaktion im Sachunterricht. Konstruktiv gewendet – so unser Vorschlag – können diese gleichwohl als Reflexionsanlässe genutzt werden, um Studierende zu unterstüt- zen, den (fach- und bildungs-)sprachlichen Implikationen fachdidaktischer Ent- scheidungen gewahr zu werden. Obgleich herausfordernd, entstehen durch dafür notwendige Distanzierungen und Verfremdungen essenzielle professionalitätsbe- zogene Lerngelegenheiten. Literatur Breidenstein, G., Hirschauer, S., Kalthoff, H. & Nieswand, B. (2020): Ethnografie. Die Praxis der Feldforschung. 3., überarb. Aufl., München. Dalgren, S. (2017): Questions and answers, a seesaw and embodied action: How a preschool teacher and children accomplish educational practice. In: Bateman, A. & Church, A. (Hrsg.): Children’s knowledge-in-interaction. Studies in Conversation Analysis. Singapore, S. 37-56. Fichten, W. (2010): Forschendes Lernen in der Lehrerbildung. In: Eberhardt, U. (Hrsg): Neue Im- pulse in der Hochschuldidaktik. Wiesbaden, S. 127-182. GDSU (Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts) (Hrsg.) (2013): Perspektivrahmen Sachunter- richt. Vollst. überarb. und erw. Ausgabe. Bad Heilbrunn. Gibbons, P. (2006): Unterrichtsgespräche und das Erlernen neuer Register in der Zweitsprache. 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The results show both a sui- tability of the test based on Rasch modeling and a significant increase in computational thinking skills as a result of attending the teaching-learning-lab. 1 Problemaufriss Informations- und Kommunikationstechnologien gelten aufgrund ihrer stra- tegischen Bedeutung als „Inbegriff des Strukturwandels zur Informationsgesell- schaft“ (Steinbricker 2011, 409) und werden daher auch als „Leitmedien“ (a.a.O.) bezeichnet. Ein reflektierter und kritischer Umgang mit diesen neuen Leitmedi- en im Rahmen von Auseinandersetzungen mit der Digitalität im Sachunterricht kann jedoch nur gelingen, wenn auch Lehrkräfte zumindest ein Grundverständ- nis von den hinter diesen Technologien ablaufenden Prozessen wie beispielsweise Algorithmen besitzen (Stalder 2016; Knaus 2017, 42). Aus diesem Grund haben wir diese für den Studiengang und den Sachunterricht noch recht neuen Inhalte aus der Informatik in die universitäre Lehramtsausbildung integriert und dabei auf grundlegende Handlungskompetenzen und Konzeptwissen (Döbeli Honeg- ger 2016, 98) fokussiert. Diese Aspekte lassen sich in der Informatik unter dem Begriff ‚Computational Thinking’ (CT) fassen, welcher definiert wird als „[…] the thought processes involved in formulating a problem and expressing its soluti- on(s) in such a way that a computer — human or machine — can effectively carry out” (Wing 2017, 8). Aktuell fehlen nationale Befunde zu den Fähigkeiten im Bereich von CT bei Sachunterrichtsstudierenden (Hsu, Chang & Hung 2018). doi.org/10.35468/5935-12 Computational Thinking – Eine Rasch-Analyse | 123 Diesem Forschungsdefizit widmete sich eine Studie im Rahmen des durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projektes K2teach1 an der Freien Universität (FU) Berlin: Im ersten Schritt ging es um die Test- validierung eines für die Sekundarstufe validierten Instruments zum ‚Informa- tischen Denken‘ (Computational Thinking) (Román González, Pérez-González & Jiménez-Fernández 2017; Guggemos, Seufert & Román-González 2019). In einem zweiten Schritt sollte mithilfe dieses Tests festgestellt werden, inwiefern die Teilnahme an einem entsprechend ausgerichteten Lehr-Lern-Labor (LLL) mit dem Titel ‚Computational Playground‘ (Brämer, Rehfeldt, Bauer & Köster 2020) das CT bei den Studierenden fördern kann. Hierbei wurde insbesondere die für ein LLL zentrale Verzahnung von Theorie- und Praxisphasen (Köster, Mehrtens, Brämer, Steger 2020) in Relation zu einem reinen Theorieseminar sowie einer Kontrollgruppe untersucht. 2 Forschungsstand In Deutschland fehlt es derzeit noch an repräsentativen Daten zu Fähigkeiten bezüglich CT bei Grundschullehramtsstudierenden. Im Hinblick auf informa- tisches Fachwissen wurden jedoch bereits erste Studien durchgeführt, die zum Teil recht große Defizite aufzeigen: So beschreibt Gläser (2020) das informatische Wissen bei den Studierenden z.B. als „rudimentäre[s] Anfangswissen und Repro- duzieren von elementarem Faktenwissen“ (a.a.O., 318), und nach Dengel und Heuer (2017) basieren diesbezügliche Vorstellungen insbesondere bei Grund- schullehramtsstudierenden auf „drastischen Fehlannahmen“ (a.a.O., 87). Diese Befundlage steht in Einklang mit der Erkenntnis, dass Programmiererfahrungen bzw. -kenntnisse unter Grundschullehramtsstudierenden rar sind. So geben 64% der Studierenden mit dem Studienfach Sachunterricht an der FU Berlin an, gar keine Programmiererfahrungen zu besitzen (Brämer et al. 2020, 102). Diese alarmierend erscheinenden Ergebnisse sind vor dem Hintergrund der aktuellen Schul- und Universitätscurricula jedoch auch erwartbar, da informatische Bil- dung in der Vergangenheit erst in der Sekundarstufe und dann meist auch nur als Wahlmöglichkeit angeboten wurde. Auch international existieren bisher keine quantitativen Erhebungen zu CT-Fähigkeiten bei Grundschullehramtsstudieren- den. Eine der wenigen Studien, welche explizit CT in Primar- und Sekundarstu- fenlehramtsstudiengängen erforscht, stammt aus den USA. Die Ergebnisse zeigten eher oberflächliche Vorstellungen von CT bei den Studierenden. Eine an diese Erhebung anschließende kurze Intervention (Dauer unter zwei Stunden) zeigte 1 Das Projekt K2teach wird im Rahmen der gemeinsamen „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ von Bund und Ländern aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert (FKZ: 01JA1802). doi.org/10.35468/5935-12 124 | Martin Brämer, Daniel Rehfeldt und Hilde Köster allerdings bereits einen Wissenszuwachs in Bezug auf die Definition von CT sowie einen Zusammenhang mit der Bereitschaft, CT zukünftig zu unterrichten (Yadav, Mayfield, Zhou, Hambrusch & Korb 2014). 3 Forschungsfragen und Hypothesen 3.1 Validierung CT-Test Da auf Basis des Forschungsstandes von einer gering ausgeprägten Fähigkeit zum CT bei Studierenden mit dem Fach Sachunterricht ausgegangen werden kann, könnte ein bereits in der Sekundarstufe validierter CT-Test (Román-González et al. 2017) auch für diese Stichprobe geeignet sein. Ob diese Annahme zutrifft, sollte jedoch auf Basis der neuen Stichprobe validiert werden. FF 1 (Validierung des CT-Tests): Ist der CT-Test für Sekundarstufen-Schü- ler*innen auch zur Messung von CT-Fähigkeiten von Sachunterrichtsstudieren- den geeignet? 3.2 CT-Förderung (LLL-Intervention) Im zweiten Schritt sollte untersucht werden, inwiefern die Teilnahme am LLL ‚Computational Playground‘ die Fähigkeit zum CT bei den Studierenden fördert. Auch zur Förderung der Fähigkeit zum CT bei Sachunterrichtsstudierenden exi- stieren unseren Recherchen zufolge bislang keine Untersuchungen. Die Ergebnisse von Yadav et al. (2014) geben jedoch Hinweise darauf, dass eine Verbesserung des deklarativen Fachwissens bereits im Rahmen kurzer Interventionen möglich ist. Eine Intervention im Umfang eines einsemestrigen Seminars im LLL-Format sollte daher zur Förderung des CT beitragen können. Die zweite Forschungsfrage lautet dementsprechend: FF 2 (Interventionsstudie im LLL): Inwiefern lässt sich die Fähigkeit zum CT in einem LLL (mit informatikbezogenen Inhalten) fördern? 4 Stichprobenbeschreibung Es wurden zwei unterschiedliche Stichproben betrachtet: Eine größere Ge- samtstichprobe mit N = 112 (w = 95, m = 11, d = 0, Alter = 25.42 (5.34) Jahre) Studierenden wurde für die Validierung des Tests sowie die Schätzung der Item- schwierigkeiten verwendet. Eine Teilstichprobe mit n = 71 (w = 63, m = 6, d = 0, Alter = 24.92 (4.33) Jahre) Studierenden wurde zur Schätzung der Personenfähig- keiten im Rahmen der (pandemiebedingt) nur für diese Stichprobe erfolgten In- tervention herangezogen. Bei beiden Gruppen handelt es sich um Studierende im sechsten Bachelorsemester an der FU Berlin. Die Teilstichprobe ist entsprechend der Beschreibung in der Gesamtstichprobe enthalten. doi.org/10.35468/5935-12 Computational Thinking – Eine Rasch-Analyse | 125 5 Design und Forschungsmethoden Die LLL-Intervention ‚Computational Playground‘ fand im Sommersemester 2019 im sechsten Semester des Studienfachs Sachunterricht statt und wurde mittels Prä-Posttest-Verfahren evaluiert. Das Seminar war strukturiert in eine Theorie- sowie Praxisphase (inklusive Schüler*innenbesuche; Brämer, Rehfeldt & Köster 2021). Dabei wurde der CT-Test von Román-González et al. (2017) mittels Online-Fragebogen und einem Zeitlimit von 20 Minuten eingesetzt (Bei- spielitem angelehnt an das Spiel Pacman inklusive 4 ‚Programmantwortoptionen‘: Welche Befehle bringen Pac-Man auf dem markierten Weg zum Geist?). Da das LLL insbesondere auf die Verzahnung dieser Theorie- und Praxisphasen sowie deren Einfluss auf CT fokussiert, wurde zusätzlich eine Parallelgruppe (PG) un- tersucht (ein Seminar mit gleichem Inhalt, aber ohne Schüler*innenbesuche). Au- ßerdem erfolgte eine Baseline-Erhebung in einer Kontrollgruppe (KG) im Rah- men eines Seminars mit nicht informatischen, sondern naturwissenschaftlichen Inhalten. Bei allen Erhebungen wurde mit einem quasiexperimentellen Design (ohne Randomisierung) gearbeitet. 5.1 Auswertungsmethode – Validierung Die Validierung (FF 1) fand im Rahmen der probabilistischen Testtheorie sowie einer Raschmodellierung statt und basiert somit auf der Vorarbeit von Gugge- mos et al. (2019) zur Validierung des bereits besprochenen CT-Tests, weshalb beispielsweise auf eine konfirmatorische Faktorenanalyse verzichtet werden konn- te (ausführlicher zur Validierung siehe a.a.O.). Zur Überprüfung der Raschkon- formität wurde ein Andersen’s Likelihood Ratio Test (LRT) (Andersen 1973) sowie eine Untersuchung des Yens Q3-Kriteriums (Christensen, Makransky & Horton 2017) durchgeführt. Danach wurde mittels 1pl Marginal Maximum Li- kelihood-Schätzung (Bock & Aitken 1981) die Raschanalyse mittels R packa- ge ‘TAM 3.1-45’ (Robitzsch, Kiefer & Wu 2019) durchgeführt. Zum Umgang mit fehlenden Werten wurde angelehnt an das Vorgehen bei Ludlow & O‘Leary (1999) eine Strategie verwendet, welche auch in größeren Untersuchungen wie bspw. TIMMS oder ACER Verwendung findet (Adams, Wu & Macaskill 1997; näheres in Brämer et al. 2021). 5.2 Auswertungsmethode – LLL-Intervention Im Rahmen der LLL-Intervention (FF 2) in der Teilstichprobe wurden die vorher errechneten Itemschwierigkeiten übernommen und innerhalb der Prä-Post-Mes- sung verwendet. Somit konnten diese auf Basis der größeren Gesamtstichprobe genauer geschätzt werden. Ausgelassene und aufgrund des Zeitlimits nicht er- reichte Items wurden als falsch gewertet (Ludlow & O‘Leary 1999). Im Rahmen doi.org/10.35468/5935-12 126 | Martin Brämer, Daniel Rehfeldt und Hilde Köster der Prä-Post-Analyse wurden im Anschluss je Zeitpunkt eine Personenfähigkeits- schätzung mit genormten Itemschwierigkeiten durchgeführt. Die daraus resul- tierenden Personenfähigkeiten (EAP-Werte) für die zwei Messzeitpunkte wurden daraufhin je Gruppe auf Mittelwertunterschiede untersucht. 6 Ergebnisse In Bezug auf die FF 1 zeigen die Daten der Gesamtstichprobe, dass von den 28 Items im Durchschnitt 16.32 Items richtig gelöst wurden (SD = 3.51, median = 16.5, min = 8, max = 23). Das Ergebnis des Andersen’s Likelihood Ratio Tests (LRT) war nicht signifikant. Auch der Test zum Yen Q3-Kriterium war größten- teils unauffällig. Lediglich bei Item 5 und Item 6 lag der Wert mit 0.3 genau auf dem konventionellen Grenzwert, was vermutlich der geringen Stichprobengröße zugeschrieben werden kann (Christensen et al. 2017, 183 ff.). Die Analyse der Modellfitindizes (Infit-, Outfit-Wert und die RMSD) ergab bei keinem der 28 Items Auffälligkeiten (Linacre 2002 & 2003; MacCallum, Browne & Sugawara 1996). Laut Analyse einer Wrightmap scheinen die Aufgaben 1, 5 und 8 aufgrund ihres niedrigen Schwierigkeitsgrades jedoch kaum aussagekräftig. Da Aufgabe 5 bereits bei der Analyse des Yens Q3-Kriteriums auffällig war, gibt es in Bezug auf diese Aufgabe sogar zwei Gründe, diese zu entfernen. Die Aufgaben 1, 5 und 8 waren dementsprechend nicht Teil der nachfolgenden Berechnungen und ent- sprechende Analysen wurden mit den verbleibenden 25 Items durchgeführt. Die Raschkonformität kann somit angenommen werden und der Test scheint nach dem Entfernen zu leichter Aufgaben eine gute Passung zur Stichprobe zu besitzen. Mit einer Reliabilität von EAPRel = 0.72 weist der Test außerdem eine akzeptable mittlere Messgenauigkeit in Bezug auf die Schätzung der Personenfähigkeiten auf (Guggemos et al. 2019, 187). Unter anderem aufgrund des hohen Dropouts in der Post-Erhebung konnten im Rahmen der Intervention von den ursprünglich n = 71 lediglich n = 48 Datensätze ausgewertet werden. In unserer Interventions- studie (FF 2) zeigten sich vergleichbare signifikante Veränderungen der Personen- fähigkeiten im CT sowie große Mittelwertunterschiede in der Untersuchungs- gruppe (UG LLL; ∆M = 0.46***; d = 1.17; n = 19) und in der Parallelgruppe (PG Theorieseminar; ∆M = 0.40**; d = 1.03; n = 16). In der Kontrollgruppe (KG) ließ sich kein Unterschied feststellen (∆M = 0.08; n.s.; n = 8). Die KG zeigt somit, dass die Testwerte über die Zeit stabil bleiben. Die mittlere Messgenauigkeit der Per- sonenkennwerte anhand der Schätzung ist auch hier mit EAPRel = 0.74 akzeptabel. doi.org/10.35468/5935-12 Computational Thinking – Eine Rasch-Analyse | 127 7 Zusammenfassung und Diskussion Die Ergebnisse zur ersten Forschungsfrage (FF 1) zeigen, dass von einer Eignung des CT-Tests für Grundschullehramtsstudierende ausgegangen werden kann. Die Ergebnisse zur zweiten Forschungsfrage (FF 2) zeigen einen deutlichen Anstieg der CT-Fähigkeit innerhalb der LLL-Untersuchungs-, aber auch der Parallelgruppe im Theorieseminar. Dieser Befund ist bemerkenswert, da im LLL aufgrund der Praxis- phasen insgesamt weniger Sitzungen für die Aneignung von theoretischen Inhalten sowie Fachkompetenz vorhanden waren (genauer siehe Brämer et al. 2021). Dieses Ergebnis könnte einerseits darüber erklärt werden, dass die Praxisphasen mit Kin- dern die CT-Fähigkeiten genauso zu fördern scheinen, wie der erweiterte theore- tische Diskurs und die Arbeit mit verschiedenen Robotikmaterialien in der Paral- lelgruppe. Andererseits kann auch der Umstand, die theoretisch gelernten Inhalte später innerhalb der Praxisphasen anwenden zu dürfen / müssen, zu einer höheren Motivation und einem höheren Lernerfolg innerhalb der ersten Theorie-Sitzungen im LLL geführt haben (Reusser 2005, 160 ff.). Dies müsste eine weiterführende Untersuchung von Praxisphasen mit Prä-Post-Design oder ein weiterer Messzeit- punkt innerhalb des LLL klären. Erweitert man den Blick über die hier beantwor- teten Forschungsfragen hinaus, so ist das LLL auf Basis bisheriger Forschungsbe- funde einer rein theoretischen Vermittlung der informatischen Inhalte überlegen, da lediglich im LLL zusätzlich zu einem ähnlichen Kompetenzzuwachs auch die Interessen der Studierenden in Bezug auf das Themenfeld Informatik im Sachun- terricht messbar gesteigert bzw. gefördert werden konnten (Brämer et al. 2020). Das LLL scheint also besonders geeignet, die angestrebten neuen informatischen Inhalte in den späteren Unterricht der Studierenden zu transferieren (a.a.O.). Die- se Ergebnisse sind jedoch in Anbetracht der pandemiebedingt noch kleinen Stich- probe sowie einer nicht vorhandenen Randomisierung limitiert. Literatur Adams, R. J., Wu, M. L., & Macaskill, G. (1997): Scaling methodology and procedures for the ma- thematics and science scales. In: Martin, M. O. & Kelly, D. L. (Hrsg.): TIMSS technical re-port, Volume II: Implementation and analysis. 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Against this background, the article deals with the state of empirical research on political literacy by children up to the age of ten, asks about the implications that arise from this for further research and the mediation tasks in day care centers and schools, and provides a concrete research and development project that takes on the methodological challenges. 1 Einleitung Kindertageseinrichtungen und Grundschulen sind Orte der demokratischen und auch zumindest basalen politischen Bildung – so jedenfalls die einschlägigen Posi- tionspapiere der KMK und die entsprechenden Bildungspläne für diese Bildungs- institutionen (vbw 2020). Auch die Kinderrechtskonvention (KRK) der Vereinten Nationen enthält das unverbrüchliche Recht, dass Kinder sich mit Themen der politischen Welt beschäftigen und an ihr partizipieren können sollen (BMFSFJ 2014). Politische Bildung als Kinderrecht ernst zu nehmen, heißt nichts anderes, als sie auch zu betreiben – und das am besten evidenzbasiert. Der Beitrag befasst sich vor diesem Hintergrund mit dem Stand der empirischen Forschung zu Political Literacy von Kindern bis zum Alter von zehn Jahren (Pau- en & Goll 2021), fragt nach den Implikationen (Goll 2021), die daraus für wei- terführende Forschung und die Vermittlungsaufgaben in Kita und Schule erwach- sen, und stellt ein konkretes Forschungs- und Entwicklungsprojekt vor, das die methodischen Herausforderungen annimmt. doi.org/10.35468/5935-13 132 | Thomas Goll 2 Political Literacy Kinder wachsen in spezifischen Kontexten und in Kommunikationsgemeinschaf- ten auf, in denen auch Politik sozial repräsentiert ist. Daher ist davon auszugehen, dass die kindliche Wahrnehmung von politischen Sachverhalten genau davon auch beeinflusst ist (Berti 2005, 74) und auch den wandelnden Bedingungen in der Informationsgesellschaft unterliegt. Die dort kursierenden Interpretationen von politischen Sachverhalten und Vorgängen werden zudem von den Kindern aktiv mitgestaltet, sobald sie an der Kommunikation teilhaben und diese kognitiv verarbeiten. Kinder sind damit nicht nur als passive Objekte politischer Sozia- lisation in der Informationsgesellschaft ausgesetzt, sie sozialisieren sich selbst in die Welt der Politik hinein und entwickeln dazu auch schon vor dem Jugendal- ter eigene Vor- und Einstellungen (Eckstein 2019, 408). Deshalb ist auch For- schung zu naiven Theorien als Ansatz vielversprechend und produktiv (Barrett & Buchanan-Barrow 2011, 589). In naiven, d.h. nicht-wissenschaftlichen Theorien konstruieren Menschen Beziehungen zwischen Elementen einer Domäne (hier der Welt der Politik), sie setzen ihr Wissen in Form von domänenspezifischen Konzepten (hier politische Konzepte) miteinander in Beziehung, um sich damit Vorgänge und Strukturen in einem klar von anderen Bereichen abgegrenzten Feld plausibel erklären zu können (Götzmann 2015, 12 ff.). Dazu gehören z.B. Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zu Phänomenen und hypothetische Über- legungen zu nicht direkt beobachtbaren Faktoren oder Prozessen in der entspre- chenden Domäne (Barrett & Buchanan-Barrow 2005, 4). Naive Theorien sind daher anspruchsvolle Konstruktionen. Voraussetzung von naiven politischen Theorien ist wiederum die Existenz von politischen Wissensbeständen in Form von politischen Konzepten. Diese können als Political Literacy definiert werden, wenn weniger ihr interner Aufbau als vielmehr ihre Anwendungsperspektive fo- kussiert wird: Political Literacy ist in der Politikwissenschaft als das Potential zu einer informierten politischen Partizipation konzeptualisiert (Cassel & Lo 1997, 317). Mit diesem domänenbezogenen Verständnis von Literacy ist die Brücke zur UN-Kinderrechtskonvention geschlagen. Kann Political Literacy bei Kindern im Vorschulalter nachgewiesen werden, verfügen sie über Bausteine für naive Theo- rien über Politik. Political Literacy ist zudem gemäß des auf eine moderne Allgemeinbildung ab- zielenden Literacy-Konzepts von Bybee, das in der Politikdidaktik als Civic Liter- acy rezipiert wurde (Weißeno, Detjen, Juchler, Massing & Richter 2010, 18 ff.), gestuft und damit für Diagnostik in und Planung von Lehr-Lern-Prozessen gut geeignet. Beschrieben werden Basisfähigkeiten in vier Stufen: – Stufe 1: nominale Literacy (Kenntnis von Namen und Themen) – Stufe 2: funktionale Literacy (korrekte Verwendung von Begriffen) doi.org/10.35468/5935-13 Political Literacy von Kindern | 133 – Stufe 3: konzeptuelle und prozedurale Literacy (Verständnis von zentralen Kon- zepten der Domäne und Fähigkeit zur Herstellung von Zusammenhängen in- nerhalb der Domäne) – Stufe 4: multidimensionale Literacy (Verständnis der Besonderheiten der Do- mäne und Einordnung in weiterführende Zusammenhänge) 3 Befunde Die nationale und internationale Forschung kann belegen, dass Kinder im Alter von sechs Jahren, d.h. am Ende der Vorschulzeit bzw. bei Eintritt in die Grund- schule, über politisches Wissen verfügen. Die Informationsgesellschaft ist an ih- nen nicht spurlos vorübergegangen: – Sie kennen Politiker*innen und Repräsentant*innen des Staates, in dem sie le- ben (Berti 2005, 78; Schauenberg 2014; Gläser & Becher 2020, 72). – Es gibt Indizien dafür, dass sie in der Lage sind, politische Wissensbestände zu kategorisieren (Vollmar 2007, 159). – Zudem haben sie ein auch stark medienbedingtes Bewusstsein von politischen Themen und Problemen (van Deth 2007, 117f.). Eine im Rahmen des PBKS-Projekts [Politische Bildung von Anfang an (Kinder- tagesstätten und Sachunterricht)] an der TU Dortmund durchgeführte explora- tive typenbildende PKjK-Teilstudie (Politische Konzepte junger Kinder) kann zei- gen, dass schon Kinder im Alter von fünf Jahren über unterschiedlich ausgeprägte Stufen von Political Literacy verfügen (Goll 2020): – Typ 1 zeigt keine Political Literacy. Sprachliche Äußerungen zu Politik werden nicht getätigt (z. B. „Weiß nicht.“). – Typ 2 sind politische Begriffe bekannt, ohne dass diese erklärt werden könnten (z.B. „Wahl“). – Typ 3 kann die Begriffe im Zusammenhang korrekt verwenden (z.B. in der Zuordnung von „Politiker*in“ zu Tätigkeiten). – Typ 4 äußert konkrete Vorstellungen zu Phänomenen (z.B. Macht) und Funk- tionen der Politik bzw. Verwaltung (z.B. Ordnungsfunktion: „… sorgt dafür, dass es nicht drunter und drüber geht“). Das deutet auf politische Konzepte hin, wenn auch auf einem noch wenig elaborierten Niveau. Im Sinne des Kompetenzstufenmodells von Bybee (s.o.) sind bei den Kindern des Typs 2 die erste Stufe (Kompetenzstufe I: nominal = politische Begriffe sind bekannt) und bei Kindern des Typs 3 die zweite Stufe (Kompetenzstufe II: funk- tional – politische Begriffe werden korrekt verwendet) nachweisbar. Hinsichtlich Kompetenzstufe III (konzeptuell = politisches Verständnis wird ge- zeigt) bleiben die Befunde vage, da die Sprachäußerungen der Kinder im vorlie- genden Material nicht hinterfragt werden konnten. Durch die PKjK-Studie ist doi.org/10.35468/5935-13 134 | Thomas Goll daher auch nicht gesichert, ob schon Kinder im Kita-Alter über naive Theorien zu Politik verfügen. Das wäre bei Kindern vom Typ 4 aber am ehesten zu erwar- ten. Im Material zeigen sich auch Indizien dafür, dass Kinder, die Begriffe zwar kennen, diese aber nicht richtig verwenden, Schwierigkeiten mit der Domänen- abgrenzung haben (z.B. politisches Verständnis von Wahl im Gegensatz zu einem allgemeinen Auswahlverständnis). Diese können auch rein sprachlich bedingt sein, was dem internationalen Forschungsstand entspräche (Barrett & Buchan- an-Barrow 2005, 4). Alles in allem kann durch die vorhandene Forschung jedoch als erwiesen gelten, dass schon junge Kinder und erst recht solche im Grund- schulalter in der Lage sind, gesellschaftliche Problemlagen wahrzunehmen und politische Vorstellungen zu entwickeln, allerdings mit Einschränkungen, denn aufgrund ihres Entwicklungs- und Lernstands sind die erworbenen Wissensbe- stände nicht nur beschränkt, sondern häufig unverbunden und fachlich nicht kor- rekt (Brophy & Alleman 2002, 104; Gläser & Becher 2020, 63). Zweifelllos sind Kinder aber fähig, auch politischen Sachverhalten und Prozessen Sinn zu geben und sich dazu eigene Ideen zu bilden (Sullivan, Wilton & Apfelbaum 2020). Da aber die kindlichen Sinnbildungen noch nicht auf abstrakten Funktionsmustern und -erklärungen aufbauen können, müssen junge Kinder auf ihnen verständliche Logiken zurückgreifen. Diese finden sie insbesondere in ihren Familien und Peer- Groups vor. 4 Implikationen Auf der Grundlage der vorhandenen empirischen Studien zum politischen Ver- ständnis junger Kinder kann als theoretisch begründet und empirisch validiert gelten, dass schon junge Kinder im Vorschul- und erst recht im Grundschulalter Politik wahrnehmen und in ihre Weltvorstellungen integrieren. Weil zudem ge- mäß der Impressionable Years Hypothese (Sears & Levy 2003) davon ausgegan- gen werden muss, dass die Zeitspanne zwischen dem 3. und dem 13. Lebensjahr prägend für das Verhältnis zur Politik ist (Berti 2005, 70), müssen die frühen Lebens- und Lernjahre von Kindern genutzt werden, um ihnen die Welt der Po- litik zu erschließen. Dazu müssen jedoch für beide Bildungsphasen bestimmte Voraussetzungen geschaffen werden: (1) Professionalisierung: Eine wesentliche Voraussetzung für gelingende politische und demokratische Bildung schon in Kindertageseinrichtungen, erst recht aber in der Grundschule, ist die Ausbildung der pädagogischen Fach- und Lehrkräf- te: „Demokratiebildung und Kinderrechte, Wissen über vorurteilsbewusste Bil- dung und Erziehung sowie Demokratiegefährdungen sollten zentraler Teil der Qualifizierung von pädagogischen Fachkräften und Kindertagespflegepersonen sein und dafür verbindlich in den Curricula von Fach- und Hochschulen fest- doi.org/10.35468/5935-13 Political Literacy von Kindern | 135 geschrieben werden.“ (BMFSFJ 2020, 176) Die Lehramtsstudiengänge müssen „den Bereich der Förderung demokratischer Kompetenzen zukünftig systema- tisch aufnehmen“, das heißt, die Thematik „muss sich […] verstärkt in der Lehramtsausbildung für die Grundschule widerspiegeln“ (vbw 2020, 114). Zu- dem muss es „entsprechende Weiterbildungsmaßnahmen“ geben (a.a.O., 115). Die Vermittlung von Political Literacy setzt voraus, dass die pädagogischen Fach- und Lehrkräfte wissen, um was es geht und das auch vermitteln können. Dies betrifft auch die Rolle der Medien in der Informationsgesellschaft. (2) Fokussierung und Klarheit: Da in Kitas und Schulen eine Fülle von Erziehungs- und Bildungsanliegen verfolgt wird, sollte in Kitas „eine Fokussierung auf den substanziellen Kern von Demokratie erfolgen“ (BMFSFJ 2020, 175), z.B. also auf die Anwendung des Mehrheitsprinzips in der Einrichtung, während das Unterrichtsfach Sachunterricht in der Grundschule eine breitere inhaltliche Schwerpunktsetzung in diesem Bereich erhalten sollte: „Bildungsinhalte zur Vermittlung demokratischer und zivilgesellschaftlicher Kompetenzen müssen fest im Sachunterricht der Primarstufe verankert werden.“ (a.a.O., 114) Dazu braucht es ein bildungsinstitutionenübergreifendes Modell demokratischer und politischer Kompetenzen, das die zu vermittelnden Facetten eindeutig be- schreibt und dabei die Entwicklungs- und Lernvoraussetzungen der Kinder in den Institutionen und im Übergang zwischen ihnen berücksichtigt. D.h., „die Anschlussfähigkeit von Partizipation und Demokratiebildung im Übergang von der Kindertageseinrichtung in die Grundschule [wäre] in die bestehen- den Bildungspläne mit aufzunehmen“ (a.a.O., 97) und Political Literacy auf den höheren Kompetenzstufen systematisch und konsistent zu fördern. Da die Wirkung von Medien in der Informationsgesellschaft jedoch immer als ein ‚Hintergrundrauschen‘ verstanden werden muss, gehört die Entwicklung von medienbezogener Literacy dazu. (3) Bildungsorte der erlebten Demokratie: Es gilt den Alltag in den Bildungseinrich- tungen so zu gestalten, dass es zu einer „Verminderung von Widerspruchser- fahrungen zwischen postulierter und tatsächlich erlebter Demokratie“ kommt (a.a.O., 175). Das gilt für Kitas genauso wie für Grundschulen. In beiden dürfen „Gelegenheiten zu Demokratieerfahrungen […] nicht auf Projekte oder Gremien beschränkt bleiben. Vielmehr geht es darum, die Erfahrung von Kindern im pädagogischen Alltag unter Regelbedingungen mit dem sub- stanziellen Kern von Demokratie verlässlich in Übereinstimmung zu bringen“ (a.a.O.). Die immer noch bestehende „Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ muss abgebaut und den „Zielsetzungen müssen konkrete Maß- nahmen für die Umsetzung in den Schulen folgen. Bildung zu demokratischer Kompetenz und ein Selbstverständnis als (junge) Bürgerin beziehungsweise (junger) Bürger müssen an den Schulen explizit und aktiv vermittelt werden.“ (vbw 2020, 114) Dies gelingt nur, wenn die angesprochenen Widerspruchs- doi.org/10.35468/5935-13 136 | Thomas Goll erfahrungen offensiv und systematisch thematisiert werden. So lassen sich Demokratiedefizite beseitigen (BMFSFJ 2020, 175) und Political Literacy als konzeptuelles Wissen in Anwendung ausprägen. (4) Stärkung der Forschungsbasierung: Die gerade formulierten Implikationen kön- nen Wirkung über Absichtserklärungen hinaus nur dann entfalten, wenn sie empirisch begründet sind. So ist es möglich, „zu realistischen Erwartungen zu kommen und überhöhte Zielvorstellungen zu vermeiden“ (vbw 2020, 97). Das betrifft neben der Formulierung von Bildungsplänen und der Konstruk- tion von Kompetenzmodellen vor allem auch die „Klärung der Wirksamkeit“: „Wissenschaftliche Evaluationen, welche Konzepte (auch mittel- und langfris- tig) wirken und welche Rahmenbedingungen die Wirksamkeit begünstigen, sind notwendig […]“. (a.a.O., 115) 5 PoJoMeC Eine zentrale Herausforderung für die Forschung besteht insbesondere darin, vali- de domänenspezifische Instrumente zu entwickeln, die z.B. Aufschluss über naive Theorien von Kindern im Kita-Alter und später ermöglicht. Da für die Beurtei- lung kindlicher Theorien über Politik das Domänenverständnis zentral ist, wird diese Forschung nur interdisziplinär zu denken sein. Sie ist auch deshalb wichtig, weil es für ältere Kinder Hinweise darauf gibt, dass das Konzept, über Partizipati- onserlebnisse demokratische Einstellungen zu fördern und damit die Brücke zur Politik zu schlagen, wenig wirksam ist (Biedermann 2005). Es reicht daher nicht aus, Demokratie nur zu erleben, denn die wenige Empirie, die es dazu gibt, hebt die Bedeutung des expliziten Unterrichts klar hervor (Berti 2005, 83). Benötigt werden daher Grundlagen- und Interventionsstudien, die einem domänenspezi- fischen Ansatz folgen. Nur dann können demokratische Partizipationsformate in Hinsicht auf die Vermittlung politischer Konzepte und Political Literacy in der Informationsgesellschaft erweitert werden. Zudem muss der Mangel an Längsschnittstudien angegangen werden, die Kennt- nisse über die Wirkung früh einsetzenden politischen Lernens auf das politische Engagement im Erwachsenenalter vermittelt können. Hier setzt das an der TU Dortmund von der Didaktik der Sozialwissenschaften und des Sachunterrichts, der Journalistik und Mediendidaktik gemeinsam getragene Forschungs- und Ent- wicklungskonzept PoJoMeC („Politik, Journalismus, Medienbewusstsein – Kom- petenzen von Kindern im Vor- und Grundschulalter“) an. Das von der Bundes- zentrale für politische Bildung unterstützte Projekt startet im November 2021 mit einer Auftakttagung und wird bis 2025 laufen. Ziel ist es, zu untersuchen, welche politischen Sozialisationseffekte und -bedingungen vorhanden sind und wie Demokratiebildung im Zusammenhang mit Medienangeboten und Medi- doi.org/10.35468/5935-13 Political Literacy von Kindern | 137 enhandlungen gelingen kann. Dafür bringen drei Lehr- und Forschungsgebiete der TU Dortmund ihre Expertise in die gemeinsame Konzipierung, Erstellung, Erprobung und Verbreitung von innovativen Lehr- und Fortbildungsformaten der politischen Bildung unter besonderer Berücksichtigung von Journalismus und Medien ein. Der Fokus liegt auf der bislang noch kaum adressierten Zielgruppe der Kinder im Vor- und Grundschulalter. Diese sollen auch in von ihnen selbst produzierten Medienformaten zu Wort kommen. Literatur Barrett, M. & Buchanan-Barrow, E. (2005): Emergent themes in the study of children’s understanding of society. In: Barret, M. & Buchanan-Barrow, W. (Hrsg.): Children’s Understanding of Society. London, S. 1-16. Barrett, M. & Buchanan-Barrow, E. (2011): Children’s Understanding of Society. In: Smith, P. K. & Hart, C. H. (Hrsg.): The Wiley-Blackwell Handbook of Childhood Social Development. Second Edition. Oxford, S. 584-602. Berti, A. E. (2005): Children’s understanding of politics. In: Barrett, M. & Buchanan-Barrow, E. (Hrsg.): Children’s Understanding of Society. London, S. 69-103. Biedermann, H. (2006): Junge Menschen an der Schwelle politischer Mündigkeit. Partizipation: Pa- tentrezept politischer Identitätsfindung? Münster. Brophy, J. & Alleman, J. (2002): Learning and Teaching about Cultural Universals in Primary-Grade Social Studies. In: The Elementary School Journal, Vol. 103, No. 2, Special Issue: Social Studies, S. 99-114. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (2014): Übereinkommen über die Rechte des Kindes. VN-Kinderrechtskonvention im Wortlaut mit Materialien. 5. Auflage. Berlin. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (Hrsg.) (2020): 16. Kinder- und Jugendbericht. Förderung demokratischer Bildung im Kindes- und Jugendalter. Berlin. Cassel, C. A. & Lo, C. C. (1997): Theories of political Literacy. In: Political Behavior, 19, 4, S. 317- 335. Eckstein, K. 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Bonn. doi.org/10.35468/5935-13 | 139 Melanie Haltenberger, Florian Böschl und Katharina Asen-Molz Das Modell der Didaktischen Rekonstruktion als Kriterienraster für studentische Erklärvideos nutzen – Ergebnisse aus einem standortübergreifenden Seminar zur geographischen Perspektive This paper outlines an approach to integrate explanatory videos in a course for pre- service elementary teachers. We argue that the quality of (geographic) explanatory videos benefits from being aligned with the principles of the Model of Educational Reconstruction (MER). Therefore, students created explanatory videos on geographic topics as a contemporary and meaningful application of the model and to support their general understanding of it. We present results from the analysis of respective videos’ (explanatory) quality and application of MER aspects, using a MER-aligned observation protocol. 1 Zielsetzung des Beitrags Erklärvideos sind aus dem schulischen Kontext kaum mehr wegzudenken. Wäh- rend sie bereits vor der Pandemie bei Schüler*innen und Lehrkräften beliebt waren und vielseitig genutzt wurden (Bertelsmann Stiftung 2017; Rat für kulturelle Bil- dung 2019), kann seit Distanz- und Wechselunterricht ein noch intensiverer Ein- satz vermutet werden. Für die Verwendung in der Schule sollten Erklärvideos von entsprechend hoher fachlicher und fachdidaktischer Qualität sein, was Gaubitz (2021) zufolge jedoch bei online verfügbaren Erklärvideos nicht immer der Fall ist. Um folglich die Qualität bestehender Erklärvideos beurteilen bzw. selbst qua- litätsvolle Erklärvideos erstellen zu können, bedarf es einer intensiven Auseinan- dersetzung auf inhaltlicher und didaktischer Ebene sowie einer entsprechenden Erklärkompetenz. Das im Sachunterricht bewährte Modell der Didaktischen Rekonstruktion nach Kattmann, Duit, Gropengießer und Komorek (1997) um- fasst Aspekte, die auch für die Beurteilung von Erklärvideos sinnvoll erscheinen. Inhaltlich spezifiziert an der geographischen Perspektive des Sachunterrichts wur- doi.org/10.35468/5935-14 140 | Melanie Haltenberger, Florian Böschl und Katharina Asen-Molz de auf Basis des Modells ein Kriterienraster zur Beurteilung der fachlichen und fachdidaktischen Qualität von Erklärvideos entwickelt (Haltenberger, Asen-Molz & Böschl 2021). Im Rahmen des Beitrags wird daher folgenden Fragen nachge- gangen: (F1) Inwieweit decken sich die von angehenden Grundschullehrkräften als bedeutsam erachteten Kriterien „guter“ Erklärvideos mit dem entwickelten Kriterienraster? (F 2) Inwieweit spiegeln sich die zentralen Aspekte des entwi- ckelten Kriterienrasters in den selbst konzipierten Erklärvideos wider? 2 Theoretischer Hintergrund Unter Erklärvideos werden (eigen)produzierte, kurze Filme gefasst, „in denen Inhalte, Konzepte und Zusammenhänge erklärt werden (Erklärvideos im engeren Sinne) oder Tätigkeiten und Prozesse demonstriert und kommentiert werden (Tutorial), jeweils mit der Intention, beim Betrachter ein Verständnis zu erreichen bzw. einen Lernprozess auszulösen“ (Findeisen, Horn & Seifried 2019, 18). Befunde zeigen positive Effekte des Einsatzes von Erklärvideos im Unterricht auf die Lernleistung von Schüler*innen sowie auf nicht-kognitive Fähigkeiten wie das Engagement, die Aufmerksamkeit, das Bedeutungsempfingen und die Motivation (a.a.O.; Hartsell & Yuen 2006). Sich im Studium mit Erklärvideos auseinander- zusetzen und diese selbst zu erstellen, bietet das Potenzial, einen reflektierten Blick hinsichtlich des gewinnbringenden Einsatzes sowie der Qualität von Erklärvideos und damit digitaler Medien im Allgemeinen zu entwickeln. In Bezug auf (quali- tätsvolles) Erklären liegen bereits Erkenntnisse zu Qualitätskriterien vor, beispiels- weise durch das FALKE-Forschungsprogramm (Schilcher, Krauss, Lindl & Hil- bert, i. V.), das u.a. Strukturiertheit, Adressat*innenorientierung und sprachliche Verständlichkeit als wesentlich identifiziert hat. Solche Kriterien guten Erklärens können auch auf Erklärvideos übertragen werden (Wolf & Kulgemeyer 2016; Kulgemeyer 2018) und die Wirksamkeit von Erklärvideos positiv beeinflussen (Kulgemeyer 2020a). Zentral sind dabei (1) die Anpassung (der Erklärung) an die adressierte Zielgruppe durch Berücksichtigung des Vorwissens und des Interesses, (2) die Strukturiertheit des Videos (durch gezielte Zusammenfassungen), (3) die Verwendung adäquater Veranschaulichungen (Beispiele, Modelle), (4) die Präzisi- on und Kohärenz (durch Einbindung entsprechender Konnektoren), (5) die Re- levanz der Erklärung für den Lernenden, (6) die Bereitstellung von Lernaufgaben (z. B. im Anschluss an das Video) und (7) der Fokus auf ein wissenschaftliches Prinzip, welches zu komplex für Selbsterklärungen ist (Kulgemeyer 2018, 2020b). Trotz einiger Kataloge von Gestaltungsmerkmalen gibt es bisher wenige, die sich explizit auf Erklärvideos für Grundschüler*innen beziehen (für die sozialwissen- schaftlichen Perspektive: Gaubitz 2021) und keine, die die geographische Perspek- doi.org/10.35468/5935-14 Das Modell der Didaktischen Rekonstruktion | 141 tive des Sachunterrichts thematisieren. Daher wurde ein solches Kriterienraster im Rekurs auf bisherige Qualitätskriterien entwickelt (ausführliche Beschreibung des Konzeptionsprozesses in Haltenberger u.a. 2021). Strukturiert wird das Raster nach dem Modell der Didaktischen Rekonstruktion, das sich aus drei zentralen Säulen zusammensetzt (Kattmann u.a. 1997): die fachwissenschaftliche Klärung des Unterrichtsgegenstandes, die Erfassung von Schüler*innenperspektiven hierzu und die sich durch eine geeignete didaktische Strukturierung ergebende Planung bzw. Analyse von Unterricht (Abbildung 1). Abb. 1: Modell der Didaktischen Rekonstruktion mit den integrierten Qualitätskriterien von Erklärvideos (eigene Darstellung, in Anlehnung an Kattmann u.a. 1997) Da eine hohe Unterrichtsqualität im Sachunterricht durch Berücksichtigung dieses Modells angenommen werden kann (Reinfried, Aeschbacher, Kienzler & Tempelmann 2013), so kann auch davon ausgegangen werden, dass Erklärvideos, die dieser Struktur folgen, eine hohe Qualität aufweisen. Deshalb wurden von den genannten Erklär(video)-Qualitätskriterien diejenigen ausgewählt, die für den (geographischen) Sachunterricht bedeutsam erscheinen und den Elementen doi.org/10.35468/5935-14 142 | Melanie Haltenberger, Florian Böschl und Katharina Asen-Molz der Didaktischen Rekonstruktion zugeordnet (Abbildung 1). Ergänzt werden die Qualitätskriterien im Bereich der fachlichen Klärung um den Einbezug geogra- phischer Basiskonzepte (Fögele 2016). Nicht in der Abbildung 1 enthalten ist die Kategorie Sonstiges, die u.a. „technische Umsetzung“ und „Sprech- und Körperaus- druck“ enthält. Das erweiterte und transferierte Modell bildet den Orientierungs- rahmen sowohl für das Seminarkonzept als auch für das erwähnte Kriterienraster. 3 Fragestellungen und methodisches Vorgehen Schön (2013) sowie Findeisen u.a. (2019) konstatieren, dass neben der hohen Anzahl an empirischen Ergebnissen zur Wirkung von Erklärvideos vor allem didaktische sowie domänenspezifische Qualitätskriterien fehlen. Der Fokus des Beitrags liegt daher auf dem entwickelten Raster, das solche (fach)didaktischen Qualitätskriterien verstärkt integriert und in Seminaren in der Sachunterrichtsdi- daktik zu geographischen Inhalten erprobt wurde. Folgend wird nun folgenden Forschungsfragen nachgegangen: – Inwieweit decken sich die von angehenden Grundschullehrkräften als bedeut- sam erachteten Kriterien „guter“ Erklärvideos mit dem entwickelten Kriterien- raster? (F1) – Inwieweit spiegeln sich die zentralen Aspekte des entwickelten Kriterienrasters in den selbst konzipierten Erklärvideos wider? (F2) Zur Beantwortung dieser Forschungsfragen wurde ein querschnittliches, explora- tiv-qualitatives Design gewählt. Die Zielgruppe sind Teilnehmende eines Sachun- terrichtsseminars, welches standardisiert an fünf Standorten durchgeführt wird. Eingebettet in ein übergeordnetes Dissertationsprojekt (Haltenberger u.a. 2021), basiert das Seminar „Die geographische Perspektive des Sachunterrichts motivierend unterrichten“ inhaltlich auf den Teilelementen des Modells der Didaktischen Re- konstruktion: Die Studierenden setzen sich aus fachwissenschaftlicher Sicht gezielt mit geographischen Theorien und Konzepten sowie aus fachdidaktischer Sicht mit der Erhebung und Analyse von Präkonzepten und der Konzeption anschluss- fähiger Lerngelegenheiten auseinander. Die erarbeiteten Erkenntnisse werden von Studierenden als (Teil)Prüfungsleistung – diesem Dreischritt folgend – in einem Erklärvideo zusammengeführt. Fokussierte Zielgruppe der Videos sind Grund- schüler*innen. Für die vorliegende Studie wurden Daten der Standorte Augsburg und Regensburg ausgewertet. Die Stichprobe besteht aus Grundschullehramtsstu- dierenden (3.-8. Semester; N = 128), die das Seminar im Sommersemester 2021 besuchten. Die erste Datengrundlage bildet eine freiwillige Online-Befragung, an der 49 Studierende teilgenommen haben. In einer offenen Frage konnten sie bis zu zehn für sie bedeutsame Kriterien guter Erklärvideos nennen (F1). Die doi.org/10.35468/5935-14 Das Modell der Didaktischen Rekonstruktion | 143 zweite Datenerhebung besteht aus dem Rating der studentischen Erklärvideos (F2). Analysiert wurde hierfür eine Teilstichprobe von 80 Videos mit einer durch- schnittlichen Laufzeit von 5,20 Minuten. Das beschriebene Kriterienraster stellt dabei jeweils das zentrale Analyseinstrument dar. Bei F1 fungiert es als deduktives Kategoriensystem (mit Definitionen und entsprechenden Indikatoren), um die offenen Antworten der Studierenden im Rahmen einer strukturierenden, qualita- tiven Inhaltsanalyse (Mayring & Fenzl 2019) konsensual systematisch einzuord- nen. Mit Blick auf F2 dient das Kriterienraster als Kategoriensystem zur Analyse und Beurteilung der Qualität der studentischen Erklärvideos. Hierfür wird jede Kategorie durch ein geschlossenes Item mit einer vierstufigen Ratingskala (1 = „trifft nicht zu“ bis 4 = „trifft voll zu“; 99 = nicht bewertbar) repräsentiert. Sämt- liche Videos wurden so arbeitsteilig durch zwei Autor*innen dieses Beitrags erst- kodiert. Mittels vorangehender Doppelkodierung einer Teilstichprobe von n = 10 Videos wurde die Interrater-Reliabilität überprüft, die mit einem Cohens Kappa von к ≥ 0.76 als gut einzuschätzen ist (Wirtz & Caspar 2002). 4 Ergebnisse Die Befragung zu Erklärvideo-Kriterien (F1) evozierte insgesamt 256 Aussagen. Die im Rahmen der Analyse vorgenommene Zuordnung zu den drei Säulen des Modells ergibt nachfolgende Verteilung: Fachliche Klärung (33 Aussagen), Erfas- sung von Schüler*innenperspektiven (14 Aussagen) und Didaktische Strukturierung (160 Aussagen). Die ausstehenden 49 Aussagen wurden in die Kategorie Sonstiges kodiert: Technische Umsetzung (z.B. „Bild- und Tonqualität“; „Technische Auf- machung“) oder Sprech- bzw. Körperausdruck (z.B. „gut artikulierter Redefluss“; „angemessenes Tempo“). In Bezug auf das Modell zeigt sich also deutlich, dass die Studierenden primär Elemente der didaktischen Strukturierung bei Erklärvi- deos fokussieren. Am häufigsten konnten hierbei Ausführungen den Subkatego- rien Veranschaulichung (58 / 160 Aussagen, z. B.: „Visualisierung“; „Anschaulich- keit“), sprachliche Verständlichkeit (43 / 160 Aussagen) sowie didaktische Reduktion (29 / 160 Aussagen, z. B. „Komplexität reduzieren“; „kindgerechte Sachlichkeit“) zugeordnet werden. Mit Blick auf die fachliche Klärung erscheint den Studie- renden besonders die fachliche Korrektheit (30 / 33 Aussagen, z. B.: „fachwissen- schaftlicher Bezug“) bedeutsam zu sein, während Hinweise zu geographischen Arbeitsweisen, den Basiskonzepten, aber auch den Bildungsstandards, Lehrplänen und dem Perspektivrahmen wenig Beachtung finden. Interessanterweise tangierten lediglich 14 Aussagen Aspekte der für die Planung und Gestaltung von Sachunter- richt essentiellen Schüler*innenperspektive. Nur eine Aussage bezieht sich direkt auf den Lebensweltbezug, sechs Nennungen fokussieren die Berücksichtigung von doi.org/10.35468/5935-14 144 | Melanie Haltenberger, Florian Böschl und Katharina Asen-Molz Schüler*innenvorstellungen (z. B. „Vorwissen aktivieren“; „knüpfen an Schülervor- stellungen an“) und sieben Hinweise werden zur Aktivierung (z. B. „spannende Fragen“; „mit Frage beginnen, zum Ende aufklären“) genannt. Nachfolgend werden exemplarische Ergebnisse aus der Erklärvideoanalyse (F2) vorgestellt. Hinsichtlich der Säule fachliche Klärung und der Unterkategorie fachliche Korrektheit zeigt sich, dass Studierende Inhalte nahezu wissenschaftlich korrekt darstellen (M = 3.45; SD = 0.53). Im Bereich der Berücksichtigung von Schüler*innenperspektiven lassen sich ähnliche Trends wie in F1 erkennen: Schü- ler*innenvorstellungen werden nur von sehr wenigen Studierenden explizit berück- sichtigt oder direkt angesprochen (M = 1.86; SD = 0.80). Anknüpfungspunkte an bestehende Vorstellungen von Schüler*innen werden meist durch Setzen von Pau- sen und durch gezieltes Fragen nach Schüler*innenvorstellungen in Erklärvideos realisiert. Eine Studentin fordert die Schüler*innen beispielsweise durch Setzen einer Pause im Video direkt auf, sich ihre Vorstellungen bewusst zu machen (V40: „Schreibe oder male auf, was du über das Moor bereits weißt.“). Ein Bezug zur Lebenswelt der Grundschüler*innen lässt sich anders als in F1 zwar etwas häu- figer feststellen (M = 2.86, SD = 0.85), oftmals werden Hinweise zur Bedeutung der Lebens(um)welt jedoch nur in einem Nebensatz (V43: „Wasser kennt ihr ja bereits“) gegeben und nicht direkt thematisiert (V48: „Hinter mir seht ihr das Meer. Viele von euch waren bestimmt schon einmal im Urlaub am Meer. Habt ihr euch auch schon mal gefragt, wohin das Wasser im Meer verschwindet?“). Den meisten Videos liegt eine zentrale Fragestellung zugrunde. Nur in Teilen handelt es sich dabei jedoch um eine aktivierende geographische Problemstellung, die sich zudem an der Lebenswelt der Schüler*innen orientiert (Aktivierung, M = 2.64; SD = 0.84). Bei der didaktischen Strukturierung zeigt sich, dass Studierende zur Unterstützung geographischer Lernprozesse ihren Fokus v.a. auf die visuelle Um- setzung und Veranschaulichung (M = 3.00; SD = 0.70) legen. Während Zusam- menhänge in Teilen durch passende bzw. zielführende Konnektoren („deshalb“, „weil“, „folglich“) transparent gemacht werden (Prozessorientierung, M = 2.77; SD = 0.65), spielt insbesondere das Anregen transfer- und anwendungsorientierter kognitiver Prozesse (M = 1.70; SD = 0.77; V 45: „Wenn wir den Aufbau einer Stadt kennen, können wir diesen dann auf alle Städte übertragen?“) nur eine un- tergeordnete Rolle. Der Inhalt wiederum erfährt in der Regel eine ausreichend didaktische Reduktion (M = 3.12; SD = 0.68), indem zum Beispiel am Ende des Erklärvideos Zusammenfassungen gegeben werden (V 48: Mithilfe einer inter- aktiven Abbildung wird der Kreislauf des Wassers – und seine Teilprozesse – am Ende des Videos gezeigt und erklärt). Der Erwerb von Fachbegriffen (M = 3.01; SD = 0.72) steht in vielen der Videos im Vordergrund, teilweise werden diese sogar sprachsensibel eingeführt, indem Formulierungshinweise gegeben werden (V 41: Zur Einführung der Himmelsrichtungen werden den Schüler*innen Satz- bausteine sowie integrierte Übungen zur Verfügung gestellt). doi.org/10.35468/5935-14 Das Modell der Didaktischen Rekonstruktion | 145 5 Diskussion und Ausblick Die Ergebnisse zeigen, dass die untersuchten angehenden Grundschullehrkräfte v.a. Aspekte der fachlichen Klärung und der didaktischen Strukturierung als be- sonders relevant für das Erstellen und die Analyse „guter“ Erklärvideos erachten. Die Berücksichtigung der Schüler*innenvorstellungen und in Teilen die Lebens- welt erfährt indes nur eine marginale Bedeutungszuschreibung. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch in der Analyse der studentischen Erklärvideos. Erneut scheinen primär fachliche Klärung und didaktische Strukturierung im Fokus zu sein. So lassen sich nur in wenigen Fällen zielführende Bezüge zur Lebenswelt und / oder eine direkte Ansprache der Schüler*innenvorstellungen finden, und dies, obwohl sich die Studierenden ein Semester intensiv mit dem Modell der Didaktischen Re- konstruktion beschäftigt und Schüler*innenvorstellungen erhoben haben. Folg- lich sollte die Relevanz einer direkten Ansprache der Schüler*innenvorstellungen und -interessen stärker in der Lehre betont werden. Interaktive Videos oder Ele- mente sowie das Setzen von Pausen könnten hier einen ersten Ansatz bieten und zu einer verstärkten Explizierung führen. Trotz verschiedener Limitationen (u.a. geringe Stichprobengröße, kein Prä-Post-Vergleich in der Anwendung des Rasters durch die Studierenden) zeigen die Befunde der Studie, dass das Modell der Di- daktischen Rekonstruktion mit seinen drei Phasen einen guten Orientierungsrah- men für die Berücksichtigung bedeutsamer unterrichtlicher Aspekte in Erklärvi- deos bieten kann. Das Modell sollte in der universitären Lehre daher nicht nur verstärkt bei der unterrichtlichen Planung, sondern auch bei der Konzeption von Erklärvideos seinen Einsatz finden. Dabei kann es nicht nur als Kriterienraster zur Erstellung, sondern auch als Feedback- und Beurteilungsinstrument dienen. Literatur Bertelsmann Stiftung (2017): Monitor Digitale Bildung. Die Schulen im digitalen Zeitalter. ht- tps://www.bertelsmann-stiftung.de / de / publikationen / publikation / did / monitor-digitale-bil- dung-9 / [01.10.2021]. Findeisen, S., Horn, S. & Seifried, J. 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By combining immersive and interactive elements, virtual reality offers a promising way to connect inaccessible parts of the world to direct sensory experience. This article explores possible guidelines for creating effective learning envi- ronments by reviewing opportunities and risks related to the use of virtual reality in science education. These ideas are illustrated with an example of virtual-reality-based teaching about the water cycle in primary school. 1 Einleitung Das aktive Erleben und Manipulieren der Umwelt ist eine entscheidende Quelle des Lernens (z.B. Gopnik & Wellman 2012). Die Bedeutung von sensorischen Erfahrungen und Handlungen für die Begriffsbildung wird sowohl von Entwick- lungstheorien (Carey 2009; Piaget 1967) als auch von neurowissenschaftlichen und linguistischen Theorien der Begriffsbildung (Blouw, Solodkin, Thagard & Eliasmith 2016) betont. Darüber hinaus wird die Relevanz der situierten Akti- vität, durch die Wissen erworben wird, auch von vielen Bildungstheorien her- vorgehoben (z.B. Collins, Brown, & Newman 1988). Jedoch entziehen sich einige Aspekte der Umwelt unserer Wahrnehmung und sind für Handlungen nicht direkt zugänglich. Beispielsweise können weder Elemente und Strukturen des Mikrokosmos (z.B. Moleküle) oder des Makrokosmos (z.B. Sonnensystem) noch Prozesse, die sich über einen sehr kurzen oder einen sehr langen Zeitraum erstrecken, vollständig erfahren werden. Durch wissenschaftliche Techniken und 1 *geteilte Erstautor*innenschaft doi.org/10.35468/5935-15 148 | Josua Dubach, Natalie Schelleis et al. Theoriebildung können diese Aspekte zwar konzeptionell fassbar gemacht wer- den, das Wissen kann aber nicht oder nur sehr geringfügig in sensorischer Erfah- rung verankert werden. Immersive Virtuelle Realität (IVR) hat das Potential, diese Verankerung herzustellen, indem beliebige virtuelle Welten dreidimensional und in 360° aus der Ich-Perspektive erlebt werden. Um den Nutzen von IVR für den Sachunterricht zu beurteilen, ist eine Verzahnung von Entwicklungs- und Wirk- samkeitsforschung erforderlich, wodurch komplexe interdisziplinäre Arbeitsab- läufe entstehen. Dieser Artikel geht der Frage nach, inwiefern IVR den Sachunterricht bereichern kann und gibt einen Einblick in mögliche Anwendungsfälle. Hierfür werden Chancen und Risiken beim Lernen mit IVR anhand von psychologischer und fachdidaktischer Fachliteratur beleuchtet. Daraus werden Arbeitshypothesen zur Gestaltung von IVR-Anwendungen für den Sachunterricht abgeleitet. Ex- emplarisch illustriert wird die Umsetzung durch eine Unterrichtseinheit zum Wasserkreislauf (WK) für 11- bis 12-jährige Kinder (5. und 6. Klasse). Einge- bettet ist diese Entwicklung in ein interdisziplinäres Forschungsprojekt, welches vom Schweizerischer Nationalfonds im Rahmen des Nationalen Forschungspro- gramms „Digitale Transformation“ gefördert wird.2 2 Grundlagen IVR sind Computersysteme, die virtuelle Umwelten abhängig vom Nutzungs- verhalten simulieren und sensorisch darstellen. Entscheidend ist die Verwendung eines Head-Mounted-Displays (VR-Brille), was dreidimensionales Sehen mit 360°-Umschau bewirkt. Dazu können weitere Schnittstellen kommen, bspw. über Hand-Tracking oder Controller, was das Interagieren mit den eigenen Händen erleichtert. Virtuelle Welten können auch auf PCs erlebt werden, jedoch ist die visuell-räumliche Immersion (fortan: Immersion) in das virtuelle Geschehen dann gering. Unterschieden wird deshalb immersive VR (IVR) von Desktop-VR (DVR) (z.B. Bailey & Bailenson 2017). Die Immersion bewirkt ein starkes Erleben von räumlicher Präsenz (Gefühl des Dortseins), welches andere mediale Effekte ver- stärken kann (z.B. Hartmann, Wirth, Vorderer, Klimmt, Schramm & Böcking 2015). Lernen mit IVR. Das für IVR charakteristische Präsenzerleben geht häufig mit po- sitiven emotionalen und motivationalen Effekten einher (Hartmann et al. 2015), was sich – auf unterschiedlichen Wegen – günstig auf Lernprozesse auswirken kann (Makransky & Petersen 2020). Ein weiteres Potential könnte in der physischen 2 Die Entwicklung erfolgt gemeinsam mit der Firma Ateo (Zürich). doi.org/10.35468/5935-15 Unzugängliche Welten für das erfahrungsbasierte Lernen erschließen | 149 Komponente von IVR liegen: Durch körperliche Aktivierung können Wissens- strukturen – im Sinne des Embodied Learning – leichter und tiefer angelegt werden (z.B. Skulmowski & Xu 2021; Johnson-Glenberg 2018). Eine erste Meta-Analyse findet jedoch nur schwach-positive Effekte von IVR gegenüber anderen, weni- ger immersiven Medien (Wu, Yu & Gu 2020). Ein Grund für das Ausbleiben von starken Lernvorteilen kann kognitive Beanspruchung (Cognitive Load) sein (z.B. Parong & Mayer 2021). In IVR werden Nutzer*innen allein durch die freie 3D-360° Umsicht bereits von vielen Reizen erreicht. Zusätzliche interaktive Ele- mente beanspruchen ebenfalls kognitive Ressourcen, da jede Handlung geplant, ausgeführt und evaluiert wird. Diese Effekte könnten die Vorteile durch positive Emotion, Motivation und Embodiment eindämmen. Chancen und Risiken von IVR im Sachunterricht. Mit IVR lassen sich Ex- kursionen und Experimente unabhängig von Raum und Zeit durchführen – die Optionen scheinen zunächst sehr vielversprechend. Gerade das Interagieren mit der Umwelt mit den eigenen Händen ist für den Sachunterricht eine interes- sante Eigenschaft, insbesondere weil die Umwelt um sonst nicht zugängliche Ar- tefakte erweitert werden kann (Lui, McEwen & Mullally 2020). Jedoch bleibt der mögliche sensorische Erfahrungsraum dabei, trotz beachtlicher technischer Fortschritte, eingeschränkt und stets vordefiniert, was die möglichen didaktischen Anwendungen limitiert. Unterscheiden können wir zwischen schwer zugänglichen Exkursionszielen, wie Vulkanen, der Tiefsee oder dem Weltraum (z.B. Stein 2021), die durch echte Daten generiert werden können und komplett unzugänglichen Zielen, deren sensorische Darstellungen auf (Denk-)Modellen beruhen. Gerade bei den unzugänglichen Zielen kann die Kombination aus Immersion und In- teraktion Chance und Risiko zugleich sein: Irrtümliche Attributionen der All- tagswelt wie Animismen können typische Fehlvorstellungen des Sachunterrichts fördern (Coley & Tanner 2015). Aufgrund des starken Präsenzerlebens könnte es für Kinder schwieriger sein, die dualen Repräsentationen zwischen Symbolen (den konkreten sensorischen Darstellungen) und Referenten (den theoretischen Vorstellungen) aufrecht zu erhalten (Bailey & Bailenson 2017), d.h. Realität und Vorstellung können in gewissem Masse vermischt werden. Diese Gefahr ist beim Lernen mit Modellen bei Kindern gut dokumentiert (Heitzmann 2019). Obwohl einige beispielhafte IVR-Lehrmittel für unzugängliche Umweltaspekte entwickelt wurden und sich eine positive Wirkung andeutet (z.B. Lui et al. 2020), existiert bisher keine systematische Überblicksarbeit zu diesen spezifischen Anwendungs- fällen von IVR, noch gibt es Studien zur experimentellen Manipulation einzelner Designelemente. doi.org/10.35468/5935-15 150 | Josua Dubach, Natalie Schelleis et al. 3 Prinzipien zur Gestaltung von IVR-Lehrmitteln im Sachunterricht Das im Folgenden beschriebene Set von Prinzipien leitet sich aus Theorien und Erkenntnissen unterschiedlicher Disziplinen ab. Es dient als Orientierungsrah- men unserer laufenden Forschung (vgl. Abschnitt 4) und hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es bezieht sich auf den spezifischen Anwendungsfall, bei dem IVR als didaktisches Medium verwendet wird, um sonst unzugängliche As- pekte der Umwelt virtuell erlebbar und damit auch der Interaktion zugänglich zu machen. Die Prinzipien beziehen sich dabei auf das gesamte Lernarrangement, welches aus unterrichtlicher Vor- und Nachbereitung und kurzen Arbeitsphasen mit IVR (IVR-Episoden) besteht3. Forschend-entdeckendes Lernen ermöglichen. Das entdeckende Lernen lässt sich gemäß Hartinger und Lohrmann (2014) in drei Typen unterteilen: Endeckendes Lernen durch (i) Konfliktinduktion und Konfliktlösung, (ii) Beispiele und (iii) Experimentieren. Mit IVR erscheint eine Kombination aller genannten Grund- formen erstrebenswert und möglich. Ein ergebnisoffenes freies Experimentieren ist in einer (vor-)programmierten IVR jedoch schwer umsetzbar. Konkret werden die Schüler*innen deshalb bei der Interaktion in und mit der virtuellen Realität im Sinne eines moderat konstruktivistischen Lernens durch Instruktionen beglei- tet (Einsiedler 2014) sowie die Reflektion darüber gezielt gefördert (Mayer 2004). Natur von (Denk-)Modellen beachten. Hier steht die Didaktik vor einem Di- lemma: Die immersive Realität macht „real“, was nicht real ist und fördert so das Lernen über das Modell selbst, erschwert damit aber wahrscheinlich ein grund- sätzliches Modellverständnis. Somit muss das virtuelle Erleben von Modellwelten von didaktischen Maßnahmen flankiert werden. Z.B. sollte das Vergleichen von Modelltypen oder das Lernen über den Zweck von Modellen in die Vor- und Nachbereitung einfließen. Konkret werden zudem zusätzliche Hinweise oder Strategien in die IVR-Episoden integriert. Kognitive Beanspruchung minimieren. Sorgfältige Vorbereitung und gezieltes Setzen von Hinweisreizen kann helfen, die Wahrnehmung in der virtuellen Welt auf relevante Aspekte zu lenken. Die Informationsverarbeitungsprozesse in IVR-Episoden sollten sorgfältig auf ihre Notwendigkeit geprüft werden. Dies be- trifft besonders den Realismus von Strukturen und Prozessen sowie den Grad an zugelassener Interaktivität (Skulmowski & Xu 2021). Embodiment ausschöpfen. Konkrete Stellschrauben hierfür befinden sich beim Input (Steuerung einer Handlung) und beim Output (Feedback auf eine Hand- lung). Seitens der Steuerung werden möglichst große und inhaltlich kongruente Gesten diskutiert (Johnson-Glenberg 2018). Beim Handlungsfeedback sollten 3 Hier kann aus Platzgründen nur eine kleine Auswahl präsentiert werden. doi.org/10.35468/5935-15 Unzugängliche Welten für das erfahrungsbasierte Lernen erschließen | 151 kontingente, multimodale sensorische Rückmeldungen beim Lernen unterstüt- zen. Diese sind nicht nur für das Erleben von Präsenz essentiell (Hartmann et al. 2015), sondern auch beim Lernen von Zusammenhängen und Kausalität in der menschlichen Entwicklung (Buehner 2017). Positive Emotionen ermöglichen. Das Potential von IVR, Menschen emotional anzusprechen und zu begeistern sollte als Lernfaktor nicht ungenutzt bleiben. Hierfür kommen zahlreiche Stellschrauben infrage: Farben, Geräusche, Narrative mit interessanten Charakteren oder spielerische Interaktionen. 4 Implementierung am Beispiel des Wasserkreislaufes Der Wasserkreislauf (WK) zeichnet sich durch eine Reihe von schwer zugäng- lichen oder unzugänglichen Strukturen und Prozessen aus: Verdunstung und Kondensation sind als Prozesse weitestgehend unsichtbar, Wolken schwer zu erreichen und die häufig mit dem Teilchenmodell erklärten mikrokosmischen Bereiche der sensorischen Erfahrung unzugänglich. Der WK ist im Zyklus 2 (d.h. die Klassenstufen 3 bis 6) ein zentrales Thema im Schweizer Lehrplan 21 (D-EDK 2016). Ablauf der Unterrichtseinheit. Die Unterrichtseinheit beinhaltet sechs Doppel- lektionen, in welchen sich die Lernenden mit den Phänomenen und Prozessen des WK auseinandersetzen, welche v.a. den „kleinen WK“ betreffen, also Prozesse der Verdunstung, Kondensation und Wolkenbildung sowie der Entstehung von Re- gentropfen. Zentral für das Verständnis sind hierbei das Teilchenmodell und der Temperaturgradient der Atmosphäre4. Die Lerneinheit beginnt mit einer holis- tischen Betrachtung des WKs im Sinne eines Advanced Organizers, anschließend werden die Teilprozesse gesondert betrachtet und zum Schluss der Prozess wieder als Ganzes. Ein zentrales Element der Einheit ist das Entwickeln und Überprüfen von Hypothesen. Dabei werden die Kinder mit einem Phänomen wie beispiels- weise der Verdunstung von Wasser in der realen Welt konfrontiert. Ausgehend von ihren Vorstellungen bilden sie Hypothesen für die Wirkungszusammenhänge und Ursachen. Diese Hypothesen können sie dann in der virtuellen Welt über- prüfen, indem sie sich bspw. in die (Modell-)Welt der Teilchen teleportieren und den Prozess der Verdunstung auf Modellebene erleben können. Der Austausch über die gemachten Erfahrungen sowie die Diskussion der Hypothesen erfolgt im Schulzimmer. Elemente der virtuellen Welt. Nach dem Aufsetzen der VR-Brille finden sich die Kinder in einer Landschaft mit See und Bergen wieder. Alle wesentlichen Struk- 4 Zudem werden horizontale Luftmassenverschiebungen, Prozesse der Versickerung, der Pflanzen- transpiration und die Verdunstung in Abhängigkeit der Oberflächenstruktur thematisiert. doi.org/10.35468/5935-15 152 | Josua Dubach, Natalie Schelleis et al. turen und Prozesse sind moderat realistisch dargestellt. Zusätzlich enthält die virtuelle Welt fiktive Elemente. Dazu gehören ein Non-Player-Character (NPC), ein Roboter mit menschlichen Zügen, sowie eine kleine Forschungsplattform mit einem großzügigen Deck. Das Deck dient dabei als Menü: Je nach Lektion befinden sich dort nur jene Gegenstände, mit denen die Kinder im Augenblick interagieren können. Zusätzlich kanalisieren visuelle und akustische Hinweisreize die Aufmerksamkeit, damit wesentliche Änderungen in der Umgebung nicht ver- passt werden. Weitere Orientierung bietet der NPC. Er strukturiert die Lernerfah- rungen, indem er problemorientierte Instruktionen, Hinweise und Erklärungen gibt. Bei längeren Pausen oder missglückten Interaktionen hilft diese Figur eben- falls weiter. Insgesamt wird durch das Verhalten und Narrativ des NPCs eine wechselseitige Lehr-Lern-Beziehung angestoßen. Handeln in der virtuellen Welt. Um etwas über unzugängliche Strukturen und Prozesse des WKs zu erfahren, stehen den Kindern verschiedene Arten von Hand- lungen zur Verfügung: Sie können Einflussfaktoren (z.B. die Umgebungstem- peratur) manipulieren oder Prozesse spielerisch imitieren; sie können zwischen Modell-, Mikro- und Mesoebene wechseln und z.B. Moleküle berühren und ma- nipulieren. Konkret bedeutet dies beispielsweise, dass sie nicht nur den Prozess der Verdunstung durch Temperaturveränderung auslösen bzw. beschleunigen, son- dern zusätzlich den Vorgang auf der Modellebene betrachten können. Neben vi- suellen und auditiven Reizen erleben die Kinder auch haptische Rückmeldungen (z.B. vibrieren Wassermoleküle je nach Umgebungstemperatur unterschiedlich stark). Die Handlungen mit möglichst kongruenten Gesten bzw. Instrumenten zu versehen, gestaltete sich als herausfordernd. Bei alltagsnäheren Interaktionen kann leichter auf bestehende Konzepte zurückgegriffen werden: Um die Umge- bungstemperatur zu ändern, muss ein Regler mit einer Hand hoch (wärmer) oder runter (kälter) gefahren werden. Wie aber sollte ein Wechsel in die Teilchene- bene initiiert werden? Entschieden haben wir uns für eine spezielle Lupe mit zwei Modi: Sie kann auf mikroskopische Ebene vergrößern und bspw. kleinste Tröpf- chen der Wolken sichtbar machen, und sie kann Wassermoleküle der Modellwelt sichtbar machen. Um der Vorstellung eines Kontinuums entgegenzuwirken, müs- sen die Modi per Knopfdruck ein- oder ausgeschaltet werden, sodass die Wechsel dichotom und abrupt erscheinen. doi.org/10.35468/5935-15 Unzugängliche Welten für das erfahrungsbasierte Lernen erschließen | 153 5 Ausblick IVR eröffnet für den Sachunterricht vielversprechende innovative Perspektiven. Als innovativ kann etwas jedoch erst bezeichnet werden, wenn es sich umsetzen lässt und sich langfristig durchsetzen kann (Hauschildt, Salomo, Schulz & Kock 2016). Dafür ist neben der Praktikabilität in einem Schulsetting in erster Linie die Lernwirksamkeit ausschlaggebend (Gervé 2015). Ziel des Forschungsprojekts ist es, beide Kriterien zu untersuchen. Die gesamte Unterrichtseinheit wird nun bezüglich ihrer Umsetzbarkeit in einer Schulsituation erprobt. In einem kontrol- lierten 2x2-Design werden auch die Einflüsse von immersiven und interaktiven Elementen auf das Lernen getestet. Konkret werden acht Klassen unterrichtet, wobei jeweils zwei Klassen die VR-Umgebung in einer bestimmten Bedingung erleben (DVR passiv / aktiv, IVR passiv / aktiv). Für die gezieltere Überprüfung der globalen Wirkungszusammenhänge werden zusätzlich kontrollierte Labortests durchgeführt. Die so gewonnenen Erkenntnisse führen im Sinne des Design-Ba- sed Research (z.B. Bakker 2019) zu einer Weiterentwicklung der Lernumgebung. Damit verbinden wir Grundlagenforschung mit exemplarischer Implementie- rungsforschung. Literatur Bailey, J. O. & Bailenson, J. N. (2017): Immersive Virtual Reality and the Developing Child. In: Cognitive Development in Digital Contexts. Elsevier, 181-200. Bakker, A. (2019): Design principles in design research: A commentary. In: Bikner‐Ahsbahs, A. & Peters, M. (Hrsg.): Unterrichtsentwicklung macht Schule. Wiesbaden, S. 177-192. Blouw, P., Solodkin, E., Thagard, P. & Eliasmith, C. (2016): Concepts as Semantic Pointers: A Frame- work and Computational Model. 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Wu, B., Yu, X. & Gu, X. (2020): Effectiveness of immersive virtual reality using head-mounted dis- plays on learning performance: A meta-analysis. In: British Journal of Educational Technology, 51(6), 1991-2005. doi.org/10.35468/5935-15 | 157 Autorinnen und Autoren Katharina Asen-Molz Swaantje Brill Lehrstuhl für Pädagogik (Grundschul- Arbeitsgruppe Grundschulpädagogik – pädagogik) Didaktik des Sachunterrichts Universität Regensburg Universität Siegen katharina1.asen-molz@ur.de swaantje.brill@uni-siegen.de Prof. Dr. Andrea Becher Prof. Dr. Trix Cacchione Sachunterrichtsdidaktik – Lernbereich Professur Entwicklungspsychologie Gesellschaftswissenschaften Pädagogische Hochschule der Fach- Universität Paderborn hochschule Nordwestschweiz andrea.becher@uni-paderborn.de trix.cacchione@fhnw.ch Prof. Dr. Eva Blumberg Josua Dubach Didaktik des naturwissenschaftlichen Pädagogische Hochschule Bern Sachunterrichts Institut für Forschung, Entwicklung Universität Paderborn und Evaluation eva.blumberg@uni-paderborn.de Pädagogische Hochschule Zürich, Abteilung Primarstufe, Fachdidaktik Prof. Dr. Katrin Bölsterli NMG Professorin für Chemie und ihre josua.dubach@phbern.ch Didaktik Pädagogische Hochschule Luzern Prof. Dr. Alexandra Flügel katrin.boelsterli@phlu.ch Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Schul- und Unterrichts- Florian Böschl entwicklung in der Grundschule Grundschuldidaktik Sachunterricht Universität Siegen unter besonderer Berücksichtigung alexandra.fluegel@uni-siegen.de von Naturwissenschaft und Technik Universität Leipzig Jun.-Prof. florian.boeschl@uni-leipzig.de Dr. Henrike Friedrichs-Liesenkötter Institut für Bildungswissenschaft Martin Brämer Leuphana Universität Lüneburg Sachunterricht und seine Didaktik henrike.friedrichs-liesenkoetter@ Freie Universität Berlin leuphana.de braemer@zedat.fu-berlin.de 158 | Autorinnen und Autoren Prof. Dr. Friedrich Gervé Pascal Kihm Institut für Sachunterricht Didaktik des Sachunterrichts Pädagogische Hochschule Heidelberg Universität des Saarlandes gerve@ph-heidelberg.de pascal.kihm@uni-saarland.de Prof. Dr. Thomas Goll Prof. Dr. Hilde Köster Lehrstuhl für integrative Fachdidaktik Sachunterricht und seine Didaktik Sachunterricht und Sozialwissen- Freie Universität Berlin schaften hkoester@zedat.fu-berlin.de Technische Universität Dortmund thomas.goll@tu-dortmund.de Prof. Dr. Corinna S. Martarelli Fakultät für Psychologie Prof. Dr. Inga Gryl FernUni Schweiz Didaktik des Sachunterrichts – corinna.martarelli@fernuni.ch Schwerpunkt Gesellschaftswissen- schaften – Universität Duisburg-Essen Prof. Dr. Kerstin Michalik inga.gryl@uni-due.de Didaktik des Sachunterrichts Universität Hamburg Dr. Michael Haider kerstin.michalik@uni-hamburg.de Akademischer Rat am Lehrstuhl für Pädagogik (Grundschulpädagogik) Prof. Dr. Detlef Pech Universität Regensburg Grundschulpädagogik mit dem michael.haider@ur.de Schwerpunkt Sachunterricht Humboldt-Universität zu Berlin Melanie Haltenberger detlef.pech@hu-berlin.de Didaktik der Geographie Universität Augsburg Prof. Dr. Markus Peschel melanie.haltenberger@geo.uni- Didaktik des Sachunterrichts augsburg.de Universität des Saarlandes markus.peschel@uni-saarland.de Prof. Dr. Thomas Irion Erziehungswissenschaft / Grundschul- Julia Peuke pädagogik – Pädagogische Hochschule Arbeitsbereich Sachunterricht und Schwäbisch Gmünd seine Didaktik thomas.irion@ph-gmuend.de Humboldt-Universität zu Berlin julia.peuke@hu-berlin.de Prof. Dr. Friederike Kern Fakultät für Linguistik und Dr. Matthias Probst Literaturwissenschaft – Institut für Forschung, Entwicklung Sprachliche Grundbildung und Evaluation Universität Bielefeld Pädagogische Hochschule Bern friederike.kern@uni-bielefeld.de matthias-probst@phbern.ch Autorinnen und Autoren | 159 Dr. Daniel Rehfeldt Björn Stövesand Sachunterricht und seine Didaktik Fakultät für Lingusitik und Literatur- Freie Universität Berlin wissenschaft – Germanistik daniel.rehfeldt@fu-berlin.de Universität Bielefeld stoevesand@uni-bielefeld.de Corinne Ruesch Schweizer Didaktik des Sachunterrichts Prof. Dr. Sebastian Tempelmann Fachhochschule Nordwestschweiz Schwerpunktprogramm Fachdidak- corinne.ruesch@fhnw.ch tische Forschung – Institut für For- schung, Entwicklung und Evaluation Natalie Schelleis Pädagogische Hochschule Bern Professur für Entwicklungspsychologie sebastian.tempelmann@phbern.ch Pädagogische Hochschule der Fach- hochschule Nordwestschweiz Prof. Dr. Claudia Tenberge natalie.schelleis@fhnw.ch Sachunterrichtsdidaktik mit sonderpä- dagogischer Förderung Prof. Dr. Daniela Schmeinck Universität Paderborn Institut für Didaktik des Sachunter- claudia.tenberge@uni-paderborn.de richts – Universität zu Köln Daniela.Schmeinck@uni-koeln.de Jara Urban Arbeitsbereich Sachunterricht und Dr. Andreas Schmitt seine Didaktik Fachgebiet Sachunterricht Universität Osnabrück Humboldt-Universität zu Berlin andreas.schmitt@uni-osnabrueck.de urbanjaa@hu-berlin.de Prof. Dr. Carsten Schulte Didaktik der Informatik Universität Paderborn carsten.schulte@uni-paderborn.de Prof. Dr. Svantje Schumann Leiterin Professur Didaktik des Sachunterrichts Fachhochschule Nordwestschweiz svantje.schumann@fhnw.ch Dr. Volker Schwier Lehrer im Hochschuldienst – Didak- tik der Sozialwissenschaften Universität Bielefeld volker.schwier@uni-bielefeld.de Kinder wie Erwachsene als Teil der Informations- und Probleme und Perspektiven Wissensgesellschaft sind zugleich Betroffene wie Be- teiligte der digitalen Transformation. Inwieweit Infor- des Sachunterrichts mationen und Wissen tatsächlich für jeden zugänglich, nutzbar und gestaltbar sind, stellt eine bildungstheore- tische sowie fachdidaktische Frage dar. Schüler*innen, Lehrer*innen, Studierende, Lehramtsanwärter*innen sind dabei zu unterstützen, sich Möglichkeiten und Grenzen der Informationsgesellschaft zu erschließen, diese zu reflektieren sowie Handlungs-, Orientierungsoptionen und -fähigkeiten zu erkennen und auszubilden. Im vorliegenden Band wird Sachunterricht in der Infor- mationsgesellschaft aus den Blickwinkeln der sachun- terrichtsdidaktischen Rekonstruktion, der Medienbil- dung und der informatischen Bildung beleuchtet; die Frage nach entsprechenden Orten, Medien und Techno- logien werden ebenso thematisiert wie auch Projekte in der universitären Lehrerbildung als auch perspektiven- bezogene Zugangsweisen. Probleme und Perspektiven des Sachunterrichts Band 32 Andrea Becher / Eva Blumberg / Thomas Goll / Kerstin Michalik / Die Herausgeber*innen Claudia Tenberge Dr. Andrea Becher ist Professorin für Sachunterrichtsdi- (Hrsg.) daktik – Lernbereich Gesellschaftswissenschaften an der Universität Paderborn. Dr. Eva Blumberg ist Professorin für Didaktik des natur- Sachunterricht in der wissenschaftlichen Sachunterrichts an der Universität Paderborn. Informationsgesellschaft Dr. Thomas Goll ist Professor für Integrative Fachdidaktik Sachunterricht und Sozialwissenschaften an der TU Dort- mund in der Fakultät Sozialwissenschaften. Dr. Kerstin Michalik ist Professorin für Erziehungswissen- 978-3-7815-2496-5 schaft unter besonderer Berücksichtigung der Didaktik des Sachunterrichts an der Universität Hamburg. Dr. Claudia Tenberge ist Professorin für Sachunterrichts- didaktik mit sonderpädagogischer Förderung an der 9 783781 524965 Universität Paderborn. Becher et al. (Hrsg.) Sachunterricht in der Informationsgesellschaft