Heinz Messmer | Marina Wetzel | Lukas Fellmann | Oliver Käch Sozialpädagogische Familienbegleitung Heinz Messmer | Marina Wetzel | Lukas Fellmann | Oliver Käch Sozialpädagogische Familienbegleitung Ausgangsbedingungen – Praxis – Wirkungen Die Autor_innen Heinz Messmer (1955), Prof. Dr. rer. soc. habil., ist seit 2009 Professor an der Hochschule für Soziale Arbeit/FHNW (Basel/Muttenz). Marina Wetzel (1986), MSc, ist seit 2014 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Soziale Arbeit/FHNW (Basel/Muttenz). Lukas Fellmann (1984), MA, ist seit 2016 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule für Soziale Arbeit/FHNW (Basel/Muttenz). Oliver Käch (1984), MA, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule für Soziale Arbeit/FHNW (Basel/Muttenz). Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Der Text dieser Publikation wird unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International (CC BY-NC-ND 4.0) veröffentlicht. Den vollständi- gen Lizenztext finden Sie unter: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/ legalcode.de. Verwertung, die den Rahmen der CC BY-NC-ND 4.0 Lizenz überschreitet, ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für die Bearbeitung und Übersetzungen des Werkes. Die in diesem Werk enthaltenen Bilder und sonstiges Dritt- material unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Quellenangabe/ Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwen- dungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen. Dieses Buch ist erhältlich als: ISBN 978-3-7799-6537-4 Print ISBN 978-3-7799-5862-8 E-Book (PDF) 1. Auflage 2021 © 2021 Beltz Juventa in der Verlagsgruppe Beltz · Weinheim Basel Werderstraße 10, 69469 Weinheim Einige Rechte vorbehalten Herstellung: Ulrike Poppel Satz: Helmut Rohde, Euskirchen Druck und Bindung: Beltz Grafische Betriebe, Bad Langensalza Printed in Germany Weitere Informationen zu unseren Autor_innen und Titeln finden Sie unter: www.beltz.de Inhalt Danksagung 7 1 Sozialpädagogische Familienbegleitung – Eine Studie zur aufsuchenden Sozialpädagogischen Familienarbeit 9 2 Aufsuchende Soziale Arbeit mit Familien – ausgewählte empirische Untersuchungen 15 2.1 Exkurs: SPF im Kinder- und Jugendhilfesystem der Schweiz 15 2.2 Studien zur Praxis der SPF 18 2.3 Wirkungen und Wirkfaktoren der SPF 20 2.4 Die Rolle der Kinder in der SPF 24 2.5 Die Rolle von Netzwerkbeziehungen in der SPF 26 2.6 Studienleitende Forschungslücken 28 3 Untersuchungsdesign und Datenerhebung 30 3.1 Erkenntnisinteressen, Zielsetzungen und Fragestellungen 30 3.2 Untersuchungsdesign 32 3.3 Feldzugang und Sampling 38 4 Multiperspektivische Wirkungsanalyse 42 4.1 Kurzbeschreibung der teilnehmenden Familien 42 4.2 Dokumentenanalyse – Selbstbeschreibungen der Anbieter- organisationen 48 4.3 Dossieranalyse – SPF als dokumentierte Fallwirklichkeit 60 4.4 Hausbesuche aus ethnografischer Sicht 78 4.5 Die Perspektive der Fachpersonen auf die SPF 98 4.6 SPF aus der Perspektive der Eltern 127 4.7 Die unerforschte Sichtweise der Kinder auf die SPF 153 4.8 Ausgangsbedingungen, Praxis und Wirksamkeit von SPF – Eine Zwischenbilanz 168 5 Netzwerkressourcen und -belastungen von Eltern mit SPF 181 5.1 Operationalisierung 182 5.2 Beschreibung der Stichprobe 186 5.3 Problemlagen, Ziele und Interventionsmerkmale 190 5 5.4 Netzwerkressourcen und -belastungen zu Beginn der SPF 194 5.5 Zusammenfassende Diskussion der Ausgangsbedingungen 200 5.6 Netzwerkressourcen und -belastungen im Längsschnitt 203 5.7 Zusammenfassende Diskussion der SNA 220 6 Wirkungen in Spannungsfeldern der Sozialpädagogischen Familienbegleitung – Diskussion und Reflexion 223 6.1 Wirkungen von SPF im Spannungsfeld von Hilfe und Kontrolle 224 6.2 Wirkungen von SPF im Spannungsfeld der Adressierung von Eltern und Kind 229 6.3 Wirkungen von SPF im Spannungsfeld von familieninternen und -externen Unterstützungsressourcen 234 6.4 Wirkungen von SPF im Spannungsfeld von Befähigung und Entlastung 238 6.5 Wirkvoraussetzungen der Sozialpädagogischen Familienbegleitung – Diskussion und Ausblick 244 6.6 Reflexionsangebote für eine verbesserte Wirksamkeit Sozial- pädagogischer Familienbegleitung 248 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis 251 Literatur 253 6 Danksagung Eine Studie dieses Umfangs wäre ohne die grosszügige finanzielle Unterstüt- zung des Schweizerischen Nationalfonds nicht möglich gewesen, dem wir an dieser Stelle herzlich danken. Immaterielle Unterstützung haben wir von zahl- reichen Institutionen erfahren. In Fragen des Feldzugangs hat uns vor allem der Fachverband „Sozialpädagogische Familienbegleitung Schweiz“ engagiert un- terstützt. Allen Anbieterorganisationen, die sich zur Teilnahme an dieser Studie bereit erklärt haben, schulden wir ebenso Dank wie den Fachpersonen, die sich im Zuge von Hausbesuchen über die Schulter schauen liessen, sich für umfas- sende Interviews zur Verfügung gestellt oder standardisierte Fragebogen aus- gefüllt haben. Und nicht zuletzt sind es die Eltern und Kinder, die uns in Bezug auf Fragen zu ihren Wahrnehmungen von SPF sowie familialen Netzwerk- strukturen bereitwillig Auskunft gaben. Ihnen allen sei herzlich gedankt. Das Institut „Kinder und Jugendhilfe“ der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW hat uns als Projektteam – wo immer nötig – nach Kräften Unterstützung zuteilwer- den lassen. Vertretungsweise hat sich Daniela Baumgartner im Zuge der Daten- erhebung und -auswertung engagiert eingebracht und das Projektteam dabei ebenso kompetent wie engagiert unterstützt. Heinz Messmer 7 1 Sozialpädagogische Familienbegleitung – Eine Studie zur aufsuchenden Sozialpädagogischen Familienarbeit Die vorliegende Studie behandelt die Frage nach den Ausgangsbedingungen, Praxen und Wirkungen der Sozialpädagogischen Familienbegleitung (SPF). Sie ist das Ergebnis einer vierjährigen, mit den Mitteln des Schweizerischen Natio- nalfonds finanzierten und in der Deutschschweiz durchgeführten empirischen Forschung, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Wirkungen und Wirkvorausset- zungen einer im System der Kinder- und Jugendhilfe zentral platzierten sozial- pädagogischen Intervention in ihrer Vielschichtigkeit und Formenvielfalt empi- risch umfänglich und detailliert zu erfassen. Forschungsleitend dafür war eine Heuristik, derzufolge die Praxis der SPF nicht im luftleeren Raum operiert. Auf der einen Seite sieht sich die Praxis der SPF vielmehr mit den Strukturen und Rahmenbedingungen eines institutionellen Helfersystems konfrontiert, das sich entlang gesetzlicher Regelungen, finanzieller Ressourcen, gesellschaftlichen Be- darfen u. ä. m. ausdifferenziert und die SPF hinsichtlich ihrer Möglichkeiten und Zielsetzungen steuert und reglementiert. Auf der anderen Seite – der Fa- milie als ihre Zielgruppe – sieht sich die SPF dagegen mit einer hohen Variabi- lität und Diversität von Typiken familiärer Problembelastungen konfrontiert, die jeden Fall in seiner Einzigartigkeit deutlich hervortreten lassen. Familien in westlich geprägten Gesellschaften stehen aus unterschiedlichen Gründen unter Druck. Mit der Entgrenzung von Privat- und Erwerbsleben sowie den kontinuierlich steigenden räumlichen und zeitlichen Mobilitätser- wartungen geraten Familien zunehmend in Bedrängnis. Gleichzeitig steigen die gesellschaftlichen Erwartungen an die Funktion von Elternschaft im Sinne einer intensivierten Zuwendung, Förderung, Pflege und Erziehung der Kinder. Fa- milie ist, wie es bei Beham-Rabanser/Jenni (2012, S. 84) zutreffend heisst, „keine unerschöpfliche Ressource“ und aus sozial- und gesellschaftspolitischer Perspektive trotz allen Wandlungen immer noch eine schützenswerte Institu- tion. Als Antwort auf die gesellschaftlichen Herausforderungen bezüglich der Unterstützung von Familien in schwierigen Lebenslagen hat sich in vielen westlichen Gesellschaften ein System der Hilfen zur Erziehung ausdifferenziert, das auf die Kompensation gesellschaftsstruktureller Belastungen für die Familie 9 und ihrer Kinder zielt und analog zu den familiären Belastungen an Bedeutung gewinnt.1 Konzeptionell beinhaltet die SPF – wie in anderen Ländern auch2 – die aufsuchende Begleitung von Familien, denen es aufgrund einer herausfordern- den Lebenslage nicht möglich ist, ihren Kindern diejenigen Bedingungen zu- kommen zu lassen, die zu einer altersgerechten Bewältigung ihrer Entwick- lungsaufgaben notwendig sind. Ihre sozialpädagogischen Interventionen zielen demgemäss auf das Erkennen spezifischer Belastungsstrukturen und den Mög- lichkeiten ihrer Bearbeitung innerhalb der Familie (vgl. Wolf 2012, S. 99 ff.). Im Sinne einer „Hilfe zur Selbsthilfe“ sollen unter Mitwirkung aller Familienange- hörigen Lösungsstrategien entwickelt und ausprobiert werden, die einen Bei- trag zur Entlastung familiärer Belastungen leisten und sich dabei an den spezifi- schen Bedarfslagen der einzelnen Familienmitglieder orientieren. Wenn mög- lich werden die Familienangehörigen in diesem Zusammenhang zudem bei der Erschliessung notwendiger oder hilfreicher Netzwerkressourcen unterstützt (vgl. Schattner 2007, S. 594). Vor diesem Hintergrund behandelt die vorliegende Studie die Frage nach den Ausgangsbedingungen, Praktiken und Wirkungen von SPF. Im Mittel- punkt der Untersuchungen steht die Frage, welche Wirkungen die SPF auf das Familiensystem und seine Netzwerkressourcen entfaltet und unter welchen Voraussetzungen dies geschieht. Aus Sicht der hier skizzierten Wirkheuristik ist „Wirkung“ primär das Resultat des Zusammenwirkens von Fachperson und Familie, das durch die konkreten Belastungen des Familiensystems und die institutionellen Rahmenbedingungen der sozialstaatlichen Leistungsgewährung abgesteckt wird. Entsprechend muss die SPF in ihrer konkreten Praxis grund- sätzlich beiden Seiten Rechnung tragen: Als Mandatsträgerin ist sie den Aufträ- gen und Erwartungen sozialpolitischer Akteure verpflichtet, als Fachperson 1 Vor diesem Hintergrund sind im Hinblick auf die Angebote der aufsuchenden Familienar- beit deutliche Zuwachsraten zu verzeichnen. So ist bspw. die Zahl der Inanspruchnahmen von SPFH in Deutschland zwischen 2008 und 2016 um 40 Prozent gestiegen (vgl. Fendrich/ Pothmann/Tabel 2018, S. 70). In Bezug auf die Schweiz stehen solche Statistiken weder auf bundes- noch auf kantonaler Ebene zur Verfügung. Jedoch kann von ähnlichen Zuwachs- raten ausgegangen werden. Eine amtsinterne Quartalsstatistik des Kantons Basel-Stadt verzeichnet bspw. zwischen Anfang 2015 und Mitte 2019 mit 66,5 Prozent einen beacht- lichen Zuwachs von in Anspruch genommenen Leistungen der SPF in vergleichsweiser kurzer Zeit (vgl. Basel-Stadt 2020, Anzahl laufender ambulanter Hilfen). 2 Der in der Deutschschweiz (und auch in Teilen Österreichs, vgl. Semmler 2008, S. 40 f.) gebräuchliche Begriff ‚Sozialpädagogische Familienbegleitung (SPF)‘ kann konzeptionell weitgehend synonym mit dem in Deutschland üblichen Begriff der Sozialpädagogischen Familienhilfe (SPFH) aufgefasst werden. Unterschiede bestehen jedoch im Hinblick auf die Ausgangs- und Rahmenbedingungen von Angebotsstrukturen der SPF, von denen im nächsten Kapitel noch genauer die Rede ist. 10 steht sie dagegen den unmittelbaren Unterstützungsanliegen der Familie ge- genüber in der Verantwortung, was – wie noch stärker erkennbar sein wird – nicht immer widerspruchsfrei ausbalanciert werden kann. In Anlehnung an Klawe (2006) bezeichnet der hier verwendete Wirkbegriff zunächst einmal die wahrgenommenen Veränderungen „lebensweltlicher Fak- toren, Ressourcen und Handlungsoptionen“ (vgl. ebd., S. 126), welche die Fa- milie zu einer besseren, d. h. eigenständigen und selbstverantwortlichen Le- bensführung befähigen sollen. Eine Wirkung ist demnach primär das, was die beteiligten Akteure selbst darunter fassen. Der Verzicht auf ein deduktives Wirkverständnis im qualitativen Teil der Studie verlagert die Definitionskom- petenz einer Wirkung in das standpunktbezogene Erleben aller Mitwirkenden gleichermassen. Entsprechend können die Dimensionen und Relevanzen wahr- genommener Veränderungen je nach Perspektive variieren, was erfahrungsge- mäss ohnehin mehr die Regel als die Ausnahme ist. Basierend auf diesen Über- legungen, wonach sich die SPF im Spannungsfeld zwischen institutionellen und lebensweltlichen Erwartungsstrukturen bewegt, macht es sich die vorliegende Studie zur Aufgabe, die Aktivitäten der SPF im Kontext der institutionellen und organisationalen Rahmenbedingungen wie auch der familienbezogenen Belas- tungen zu untersuchen. Vereinfacht ausgedrückt wird in dieser Studie danach gefragt, wie Fachpersonen der SPF ihre Aktivitäten fallbezogen gestalten, unter welchen Voraussetzungen sie dies tun und wie ihre Wirksamkeit von den Be- teiligten (Betroffene und Fachpersonen) eingeschätzt wird. Aus verschiedenen Gründen, die nachfolgend noch deutlicher werden, liegt ein besonderes Augenmerk dieser Studie auf der Rolle der Kinder und ihrer Bedeutung für die Familienbegleitung. Obgleich Kinder die eigentlichen Auslö- ser wie auch die intendierten Nutzniesser/innen dieser Massnahme sind, ist nur wenig darüber bekannt, ob und in welchen Hinsichten sie im Zuge der Fallbe- arbeitung tatsächlich auch einbezogen und berücksichtigt werden. Diesbezügli- che Forschungen im deutschsprachigen Raum sind praktisch nicht existent. Vergleichbar ist die Befundlage mit Blick auf die sozialen Netzwerke der Fami- lie. Obschon ein wesentlicher Bedingungsfaktor ihrer Resilienz und Wider- standsfähigkeit, spielen soziale Netzwerkstrukturen sowie die daraus hervorge- henden Ressourcen und Belastungen bei den bisherigen Untersuchungen in diesem Feld bislang kaum eine Rolle. Beide Themen – Kinder und Netzwerk- ressourcen/-belastungen – sind für die vorliegende Studie insofern konstitutiv, sofern sie als potenziell bedeutsame Wirkfaktoren für die Effektivität von SPF aufgefasst werden. Gemäss dieser Fragestellung ist das methodische Vorgehen dieser Studie zweigeteilt. Es umfasst zunächst einen qualitativen Untersuchungsteil, bei dem insgesamt 16 Familien aus der Zuständigkeit von fünf Anbieterorganisationen im Mittelpunkt stehen. Dabei werden die Perspektiven von Eltern, Kindern und Fachpersonen im Hinblick auf die Wirksamkeit einer Familienbegleitung erho- 11 ben und zu den Rahmenbedingungen ihrer Durchführung in Beziehung ge- setzt. Dieser analytische Strang wird nachfolgend als Multiperspektivische Wir- kungsanalyse (MWA) bezeichnet und hat sich bereits in anderen Studien be- währt (vgl. Anderson 2003; Frindt 2009). Der zweite, quantitative Untersu- chungsteil dieser Studie nimmt vor allem die Netzwerkressourcen und Netz- werkbelastungen von Eltern resp. Elternteilen in den Blick. Anhand einer Stichprobe von 103 Familien aus der Zuständigkeit von 18 Anbieterorganisa- tionen wird untersucht, über welche Netzwerkressourcen und -belastungen die Eltern dieser Stichprobe verfügen und inwieweit sich diese im Zuge einer SPF verändern. Dieser Untersuchungsteil wird nachfolgend als Soziale Netzwerk- analyse (SNA) bezeichnet. In der Zusammenschau sind die Ergebnisse der vorliegenden Studie – wie nicht anders zu erwarten – vielfältig und komplex. Wie die Befunde der MWA im Einzelnen zeigen, sind nicht nur die Rahmenbedingungen einer Familienbe- gleitung heterogen, sondern im gleichen Masse auch ihre praktische Umset- zung im Hinblick auf die besonderen Umstände und Belastungen der Familien. Darüber hinaus werden auch die Wirkungen von Hausbesuchen der SPF aus Sicht der einzelnen Beteiligtengruppen durchaus verschieden bewertet. Nichts- destotrotz geben die einzelnen Untersuchungsschritte zahlreiche Gleichläufig- keiten zu erkennen, aus denen wiederum begründete Rückschlüsse auf förderli- che und hemmende Wirkfaktoren der SPF abgeleitet werden können. Der quantitative Teil (SNA) dieser Studie hingegen macht deutlich, dass die Unter- stützungspotenziale aus den sozialen Netzwerken der ausgewählten Familien trotz hoher Belastungen dennoch recht hoch sind und sich während des Unter- suchungszeitraums kaum verändern, wohingegen Belastungen aus sozialen Netzwerkstrukturen im Verlauf der Fallbearbeitung anscheinend abgeschwächt werden können. Zusammenfassend lassen die Befunde der vorliegenden Studie erkennen, dass die Wirkungen der aufsuchenden Familienarbeit sich entlang diverser Spannungsfelder entfalten (bzw. von diesen eingegrenzt werden), die für die Kinder- und Jugendhilfe keineswegs untypisch sind. Aufgrund der program- matischen Nähe zwischen SPF und zivilrechtlichem Kinderschutz machen die Ergebnisse zunächst darauf aufmerksam, dass die sozialpädagogischen Inter- ventionen der SPF (zumindest anfänglich) in einem Spannungsfeld von helfen- den und kontrollierenden Funktionszuschreibungen operieren, das je nach Auf- tragszielen der zuweisenden Stellen und Bedarfslagen der Familien immer wie- der neu ausbalanciert werden muss. Zweitens wird deutlich, dass sich die so- zialpädagogischen Interventionen der SPF in einem Spannungsfeld von Entlas- tung und Befähigung situieren, das je nach den unmittelbaren Anforderungen der Fallbearbeitung, den zur Verfügung stehenden Ressourcen und intentiona- len Bereitschaften der jeweiligen Fachperson verschieden ausgefüllt werden kann. In Bezug auf den Einbezug von Kindern in die sozialpädagogischen In- 12 terventionen der SPF ergibt sich ein drittes Spannungsfeld sozialer Adressierung, demzufolge Eltern die bevorzugten Adressat/innen der SPF sind und Kinder mehrheitlich als Reflex der elterlichen Wahrnehmung auftreten. Viertens ma- chen die vorliegenden Daten auf das Spannungsfeld familiärer Netzwerkstruktu- ren aufmerksam, wonach der Fokus sozialpädagogischer Interventionen nach vorliegenden Ergebnissen vornehmlich auf den innerfamilialen Strukturen liegt, wohingegen ausserfamilialen Netzwerkstrukturen weniger Aufmerksam- keit erfahren. „Wirkung von SPF“ ist demnach mithin das Produkt des reflektierten Um- gangs mit widersprüchlichen Intentionen, und wie so oft bei empirischen Un- tersuchungen in vergleichbarer Breite werfen die Ergebnisse mehr Fragen auf als dass sie zu analytisch eindeutigen Antworten führen. Nichtsdestotrotz er- möglichen die einzelnen Untersuchungsschritte dieser Studie je für sich vielfäl- tige Einblicke in die Voraussetzungen, Interdependenzen und wahrgenomme- nen Wirkungen von SPF als einer im Feld erzieherischer Hilfen massgeblichen sozialpädagogischen Intervention. Aufbau des Buches Auf der Grundlage der hier skizzierten inhaltlichen und methodischen Überle- gungen ist das vorliegende Buch wie folgt aufgebaut: Im Kap. 2 wird zunächst der für die nachfolgenden Untersuchungen mass- gebliche Forschungsstand zu den Rahmenbedingungen, der Praxis sowie zu Wirkannahmen von SPF auf das Familiensystem (einschliesslich der Rolle von Kindern) und seiner Netzwerkressourcen erörtert. Das abschliessende Fazit verdeutlicht, auf welcher Erkenntnisgrundlage das Forschungsprojekt Anleihen bezieht und welche Forschungslücken damit bearbeitet werden. Kapitel 3 legt das methodische Vorgehen dieser Studie im Detail mit Blick auf den qualitativen (MWA) und quantitativen (SNA) Teil dieser Studie dar. Diesbezüglich werden das jeweilige Untersuchungsfeld, der Feldzugang, die Stichproben sowie die Durchführung der Datenerhebung erläutert. Darüber hinaus werden die für die SNA zur Anwendung kommenden Auswertungs- methoden vorgestellt. Detaillierte Ausführungen zu den Analysen und Ergebnissen des qualitati- ven Forschungsteils (MWA) stehen im Zentrum von Kap. 4. Dieses Kapitel beginnt mit anonymisierten Kurzbeschreibungen der beteiligten Familien und deren Ausgangssituation für die SPF. Anschliessend werden die institutionellen Rahmenbedingungen und fallbezogenen Herausforderungen des MWA-Sam- ples aufgezeigt. Im Rahmen einer Dokumentenanalyse werden die Konzepte und Programmatiken der Anbieterorganisationen des Samples vorgestellt und verglichen. Anhand der Dossieranalyse wird darauffolgend untersucht, wie sich 13 die Familie als „Fall“ bezüglich Ausgangsbedingungen, Interventionspraxis und Wirkungen in den Fallakten reflektiert. Ein zweiter Schwerpunkt der Analysen in diesem Kapitel konzentriert sich auf die Strukturen und Merkmale der SPF-Praxis. Anhand der Ergebnisse aus ethnografischen Beobachtungen von Hausbesuchen wird gezeigt, wie Professio- nelle ihre Interventionen gestalten und inwieweit die konkrete Zusammenarbeit mit den Familien(-mitgliedern) gelingt. Ein dritter Schwerpunkt der Analysen fokussiert auf das Erleben der SPF- Praxis und ihrer Wirksamkeit. Auf der Basis von problemzentrierten Interviews werden dazu die Einschätzungen der beteiligten Fachpersonen, Kinder und Eltern analysiert. Abschliessend folgt der Versuch, die separat erhobenen und untersuchten Perspektiven zu Vorgehen und wahrgenommenen Wirkungen der SPF im Sinne der Multiperspektivität zu einem aussagekräftigen Bild der Fallbearbeitung zu verdichten. Die Ergebnisse des quantitativen Teils der Studie (SNA) werden in Kap. 5 dokumentiert. Auf der Basis standardisierter Fragebogenerhebungen wird ge- zeigt, wie Eltern ihre Netzwerkressourcen und -belastungen zu Beginn der In- tervention einschätzen und inwieweit deren Einschätzungen über drei Mess- zeitpunkte einer Veränderung (positiv oder negativ) unterliegen. Schliesslich wird die Frage nach der Wirkung von SPF hinsichtlich ihrer Netzwerkressour- cen und -belastungen diskutiert. Kap. 6 diskutiert die zentralen Erkenntnisse dieser Studie im Hinblick auf die Frage, wie Ausgangsbedingen und Praxen der SPF ihre Wirksamkeit beein- flussen und leitet auf dieser Basis handlungspraktische Schlüsse ab. 14 2 Aufsuchende Soziale Arbeit mit Familien – ausgewählte empirische Untersuchungen Dieses Kapitel beginnt mit einem Exkurs zum Kinder- und Jugendhilfesystem der Schweiz. Mit diesen Erläuterungen soll die institutionelle Verortung und Einbettung der SPF verdeutlich werden, um die nachfolgenden Ausführungen zum Forschungsstand sowie zu den Ergebnissen der vorliegenden Studie besser einordnen zu können. Anschliessend wird der aktuelle Forschungsstand zur SPF dargelegt. Der Fokus liegt dabei auf Erkenntnissen, welche für dieses Pro- jekt wesentlich sind. Vor diesem Hintergrund wird anhand der vorliegenden Studien zusammengetragen, wie sich Wirkungen von SPF einschätzen lassen und aufgezeigt, welche Faktoren deren Wirksamkeit begünstigen oder hem- men. Daraufhin wird der Forschungsstand zur Rolle der Kinder in der SPF beleuchtet und deutlich gemacht, dass die Sichtweise der Kinder auf die SPF bislang weitgehend unerforscht ist. Ein zweiter wichtiger Befund der Sichtung des aktuellen Forschungsstands zu SPF ist, dass die soziale Umwelt eines Fami- liensystems ein wesentlicher Faktor für die Qualität der Erziehung darstellt und Familien daher auch nicht losgelöst von ihrem sozialen Kontext verstanden und bearbeitet werden sollten. 2.1 Exkurs: SPF im Kinder- und Jugendhilfesystem der Schweiz Einen grundlegenden Faktor, der sich auf das wohlfahrtsstaatliche Arrange- ment und damit auf die Ausgestaltung des Feldes der aufsuchenden Familien- arbeit in der Schweiz auswirkt, ist das vom Föderalismus geprägte politische System in der Schweiz auf den Ebenen Bund, Kantone und Gemeinden. Im Rahmen der föderalen Aufgabenteilung geniessen die Kantone und die Ge- meinden insbesondere auch in den Bereichen des Sozial- und Gesundheitswe- sens eine weitreichende Autonomie, die ihnen vielfältige Gestaltungsmöglich- keiten und Freiheiten für Marktlösungen bietet. Dies hat zur Folge, dass die Angebotspalette der Kinder- und Jugendhilfe zahlreiche kantonale und ge- meindliche Besonderheiten und Unterschiede aufweist (vgl. Wigger 2013, S. 50). Nach wie vor mangelt es an einer einheitlichen Definition bzw. an einem 15 gemeinsamen Verständnis über die Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe und ihren Zuständigkeiten (vgl. Bundesrat 2012). Auch hat sich der Begriff der Kin- der- und Jugendhilfe sowie eine Verständigung über diesbezügliche Leistungen erst vor wenigen Jahren in der Schweiz etabliert. Hierbei kommt dem Grund- leistungskatalog der Kinder- und Jugendhilfe, erstellt im Auftrag des Bundes- amts für Sozialversicherungen, eine wichtige Aufgabe zu (vgl. Schnurr 2012). Dieser Katalog sollte schweizweit als Bezugspunkt für Ist-Analysen und die weitere Ausgestaltung des Leistungsangebots dienen. Er unterscheidet drei Gruppen von Grundleistungen: (1) Angebote zur allgemeinen Förderung von Kindern, Jugendlichen und Familien, (2) Beratung und Unterstützung zur Be- wältigung allgemeiner Herausforderungen und schwieriger Lebenslagen, (3) Hilfen zur Erziehung. Zur dritten Gruppe zählt auch die SPF (vgl. Schnurr et al. 2017, S. 11). Die Hilfen zur Erziehung zählen zu den besonders aufwändigen und kos- tenintensiven Leistungen. Mit ihnen sind darüber hinaus zum Teil auch erheb- liche Eingriffe in die Lebensführung und Autonomie der Adressat/innen ver- bunden. In der Regel werden diesbezügliche Entscheidungen deshalb durch rechtliche Vorgaben gestützt. In der Schweiz existiert jedoch kein nationales Jugendhilfegesetz3, ebenso wenig ein Rechtsanspruch auf Leistungen der Kin- der- und Jugendhilfe, wie dies bspw. in Deutschland der Fall ist (vgl. SGB VIII). Das Schweizerische Zivilgesetzbuch (ZGB) regelt dagegen nur die Eingriffs- rechte des Staats in Familien sowie Massnahmen bei Kindeswohlgefährdungen (z. B. Art. 308 Abs. 1 & Abs. 2 ZGB). Diese Bestimmungen im ZGB werden auf der Ebene der Kantone und Gemeinden als rechtliche Grundlage für die An- ordnung (und Finanzierung) von Leistungen herangezogen (vgl. Eberitzsch 2017, S. 164). Dahingegen mangelt es bislang vielerorts an einer ausreichenden gesetzlichen Verankerung von (sog. freiwillig) vereinbarten Hilfen (siehe un- ten). Charakteristisch für die kantonalen Jugendhilfesysteme ist ferner, dass die Zuständigkeiten für Teile der Kinder- und Jugendhilfe sowohl bei kantonalen wie auch bei kommunalen Stellen liegen. In Kombination mit einer fehlenden nationalen Kinder- und Jugendhilfestatistik und somit einem Mangel an zu- verlässigen Daten, anhand derer sich der Ist-Zustand in diesem Bereich verläss- lich abschätzen lässt, werden auf diese Weise eine unzureichende Koordination der Angebotslandschaften, ein angebotsseitiges Wachstum sowie regionale Unterschiede bei der Bereitstellung von Angeboten und Leistungen befördert (vgl. Wetzel/Messmer/Fellmann 2020). 3 In 11 der 26 Schweizer Kantone gibt es kantonseigene Jugendhilfegesetze, die v. a. die Finanzierung der Angebote und Leistungen regeln, jedoch nicht die Voraussetzungen, un- ter welchen Bedingungen diese zu gewähren sind (vgl. Piller/Schnurr 2013, S. 8). 16 Entsprechend ist auch die SPF nicht in einem Bundesgesetz verankert. Es besteht daher kein Rechtsanspruch auf diese Leistung und es gelten auch keine schweizweit einheitliche Finanzierungsgrundlagen dafür. Vielmehr wird SPF vorwiegend auf kantonaler und kommunaler Ebene finanziert und gesteuert. Grundsätzlich kann eine SPF entweder vereinbart oder aber von den Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (KESB) auf der Grundlage des Zivilgesetzbu- ches (ZGB) sowie von Jugendstrafbehörden auf der Grundlage des Jugendstraf- gesetzes (JStGB) – gegebenenfalls auch gegen den Willen der Sorgeberechtigten – angeordnet werden. Vereinbarte Leistungen werden im Gegensatz zu den angeordneten Massnahmen nicht in Form einer zivilrechtlichen oder jugend- strafrechtlichen Kindesschutzmassnahme eingesetzt, sondern mit Einverständ- nis der Erziehungs- und Sorgeberechtigten entschieden. Sie sind mit weniger Einschränkungen der elterlichen Autonomie verbunden und kommen dann infrage, wenn die Eltern ohne Unterstützung nicht in der Lage sind, das Kinds- wohl sicherzustellen, jedoch bereit dazu sind, an der Realisierung der Leistung aktiv mitzuwirken (vgl. Blülle 2013, S. 38). Eine weitere Voraussetzung für vereinbarte Leistungen ist, dass die familiäre Problemlage noch nicht eskaliert oder das Kindswohl akut in Gefahr ist (vgl. Fellmann/Messmer/Wetzel 2017, S. 13). Die Zugänge zu den ambulanten vereinbarten Leistungen sind im Gegen- satz zu angeordneten Leistungen gesetzlich noch kaum reglementiert. Häufig fehlen verbindliche Regelungen zu ihrer Finanzierung, was sich mitunter nachteilig auf die Inanspruchnahme auswirken kann. Kostenträger sind hierfür laut dem Bundesamt für Sozialversicherungen „in den meisten Fällen die Ge- meinden, seltener auch die Kantone, manchmal Private wie Stiftungen u. a. m.“ (Bundesamt für Sozialversicherungen 2014, S. 18). Insofern wird eine hetero- gene Struktur von finanzierenden Stellen erkennbar, an die sich die Anbieter- organisationen von SPF anpassen müssen (vgl. Eberitzsch 2017). Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe übernehmen im vereinbarten Be- reich überwiegend die Gemeinden resp. deren Sozialdienste oder -behörden, teilweise in Zusammenarbeit mit regionalen Stellen. So sind zumeist auch diese Stellen für das Aufgleisen, die fachliche Begleitung und Finanzierung von SPF verantwortlich. Dazu gehören auch die Beistandschaften4, die nach vorheriger 4 Das ZGB regelt den Schutz von Kindern und Erwachsenen und sieht dazu nötigenfalls Massnahmen in Form von Beistandschaften vor, die von der KESB angeordnet werden: unterschiedliche Arten von Beistandschaften für erwachsene Personen (Art. 393–398 ZGB) und Erziehungs- und Besuchsrechtbeistandschaften für Kinder (Art. 308 Abs. 1 & Abs. 2 ZGB). Die von der KESB eingesetzten Erziehungsbeiständ/innen haben von Gesetzes we- gen die Aufgabe, die Eltern „bei ihren erzieherischen Aufgaben mit Rat und Tat“ zu unter- stützen (Art. 308 Abs. 1 ZGB). Um diese Aufgabe zu erfüllen, greifen sie u. a. auf die Unter- stützung der SPF zurück. 17 Abklärung durch die KESB installiert werden, wenn Eltern der Betreuung ihrer Kinder nicht mehr gerecht werden (können). Die KESB kann den Beistand- schaften bestimmte Aufgaben übertragen, wie bspw. die Unterstützung bei der Wahrnehmung der elterlichen Erziehungsverantwortung, u. a. also durch die Einrichtung einer Familienbegleitung. Die Beistandsperson übernimmt auf Grundlage der Mandatierung der KESB die Etablierung und Überwachung geeigneter Massnahmen, über die sie turnusmässig berichtet (i. d. R. alle zwei Jahre). „Das Entscheidungsrecht der Eltern kann eingeschränkt werden, wenn Eltern die Arbeit des Beistands/der Beiständin behindern“ – was möglicher- weise bis hin zum Entzug der elterlichen Sorge ausgreifen kann (vgl. Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz o. J.). Daneben weist Eberitzsch (2017, S. 168) darauf hin, dass in der Schweiz auch die Leitung aller Schulen einer Gemeinde (sog. Schulpflege bzw. -behörde) eine starke Stellung innehat und ebenfalls über Kompetenzen zur Einrichtung von Hilfen (z. B. Schulsozialar- beit, Schulpsychologischer Dienst) verfügt. Weitere Institutionen, die in vielen Kantonen zur Indikation vereinbarter Leistungen berechtigt sind und in diesem Bereich aktiv handeln, sind die Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienste. In vergleichender Perspektive zur SPFH in Deutschland betont Nüsken (2017) vor allem die „höhere Verantwortung und Gestaltungskompetenz der Akteure der Kantone und Gemeinden“ ebenso wie „eine deutlichere Kinder- schutzorientierung in der SPF“ (ebd., S. 176) und deren Verschränkung mit den umfangreicheren Kompetenzen von „Schule, Jugendstrafrechtspflege und Psy- chiatrie“ (ebd., S. 177) bei der Initiierung einer Familienbegleitung. Deren Ein- bindung in „hoheitliche Aufgaben“ etwa bei der Abklärung von Gefährdungs- meldungen des Kindeswohls (ebd.) bei gleichzeitig vermindertem Rechtsan- spruch der betroffenen Eltern stimmt „nachdenklich“ (ebd., S. 178; vgl. dazu auch Brauchli 2020, S. 250). Diese Kontext- oder Ausgangsbedingungen von SPF und ihr Einfluss auf die praktische Umsetzung sind insofern auch für die vorliegende Studie relevant. Auf konzeptioneller Ebene sind jedoch die Zielset- zungen, Leistungsangebote, aber auch die Schwierigkeiten ihrer Umsetzung seitens SPF und SPFH durchaus vergleichbar (so auch Petko 2004, S. 24). 2.2 Studien zur Praxis der SPF In der Deutschschweiz ist der Wissensstand zur Praxis der SPF bislang eher gering ausgeprägt. Insbesondere zur handlungspraktischen Umsetzung von SPF und ihren organisationalen Rahmenbedingungen besteht vergleichsweise wenig empirisch belastbares Wissen. In Basel wurde erstmals vor fast 30 Jahren ein Pilotprojekt zur SPF aus einer vorwiegend klinisch-psychologischen Perspek- tive evaluiert (vgl. Richterich 1992). Während der Projektlaufzeit wurden 13 18 Familien mit insgesamt 34 Kindern begleitet. Die Studie kommt zum Schluss, dass Fachpersonen vorwiegend mit folgenden Zielsetzungen intervenieren: Struktur geben, Modell sein und Selbstverantwortung fördern. Das Fazit dieser Studie war, dass sich SPF „als eine fachlich fundierte Massnahme zur Unter- stützung von ‚Problemfamilien‘ unter der Voraussetzung der Beschränkung auf realistische Ziele und der Einbettung in ein kooperatives Helfernetz“ eignet (Richterich 1992, S. 31). Die Studie von Petko (2004) untersuchte 50 Familien- besuche von drei SPF-Teams (Graubünden, Zürich, St. Gallen/Aargau/Appen- zell) des grössten Trägervereins in der Schweiz (pro juventute), die verbatim aufgezeichnet und zu Interviews mit Fachpersonen sowie einem Kurz-Frage- bogen in Beziehung gesetzt wurden. Wie die Ergebnisse zeigen, ergibt sich aus den Daten „eine erstaunliche Diskrepanz zwischen Anspruch und Umsetzung“ (ebd., S. 137). Diese betrifft vor allem das Spannungsfeld zwischen dem An- spruch auf Hilfe und seiner Umsetzung in Form kontrollierender bzw. direkti- ver Interventionen. In den analysierten Hausbesuchsgesprächen konnten ver- schiedene Muster der Eruierung von Problemlagen und Anregungen zu ihrer Beseitigung festgestellt werden (ebd., S. 146 ff.). In der französischsprachigen Schweiz wurde das SPF-Angebot namens AEMO (action éducative en milieu ouvert) im Kanton Waadt evaluiert. Auf der Grundlage von Dossieranalysen, Interviews mit Fachpersonen von zuweisen- den Stellen und Gruppendiskussionen auf Ausführungsebene wurde u. a. deut- lich, dass ein hoher Bedarf an Professionalisierung in dem Feld besteht. Die Fachpersonen wiesen zwar eine klare Haltung bzgl. ihrer Tätigkeit aus, jedoch konnten sie ihr Handeln und ihre Entscheidungen nur unzureichend begrün- den (vgl. Paulus/Tabin/Steiger 2013). Insgesamt ist das praktische Vorgehen der SPF anscheinend ebenso vielfäl- tig wie komplex. Eine aktuelle Literaturrecherche zu den Arbeits- und Hand- lungskonzepten von SPFH (Deutschland) und SPF (Schweiz) hat die bemer- kenswerte Zahl von 122 Arbeitsprinzipien unter folgenden Schwerpunkten zusammengefasst: (1) Ressourcen- und Risikoorientierung, (2) Alltags- und Lebensweltnähe, (3) Netzwerkarbeit, (4) Hilfe zur Selbsthilfe, (5) Stabilisierung, (6) strukturierte Offenheit sowie (7) Beziehungs- und Rollengestaltung (vgl. Metzger/Domeniconi-Pfister 2016). Die hohe Heterogenität in den Arbeitskon- zepten auf der Seite der Anbieterorganisationen lässt einerseits auf die Vielfalt methodischer Anforderungen schliessen, sie deutet aber auch auf eine Praxis hin, deren Beschreibung und systematische Überprüfung ihrer Wirksamkeit bis anhin noch aussteht (vgl. Hengartner Thurnheer 2011, S. 22). Vor diesem Hintergrund machen auch andere Studien auf die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit aufmerksam. So zeigt die gesprächsana- lytische Studie von Richter (2013) zur Praxis der SPFH, dass die untersuchten familienbegleitenden Interaktionen weitgehend unstrukturiert vonstattengin- gen, Fachpersonen das Anschneiden heikler Themen zugunsten der Aufrecht- 19 erhaltung einer Kooperationskultur mieden und Kindern nur randständig Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde. Auf der Grundlage eines ethnographischen und diskursanalytischen Zu- gangs wurden von Verhallen (2015) die Interaktionen zwischen Fachperson und holländischen bzw. holländisch-curaçaoischen alleinerziehenden Müttern analysiert. Wie die Untersuchungen zeigen, reproduzierten sich in den beob- achteten Interaktionen vor allem die Machtungleichgewichte zwischen einer staatlich mächtigen Eingriffsadministration und den betroffenen Müttern. Bei- spielsweise präjudizierten die risiko- und defizitorientierten Diagnosen die Sicht von Fachpersonen auf die alleinerziehende Mutter, die im Rahmen nach- folgender Interaktionen kontinuierlich abgebildet und reproduziert wurden. Ferner hat sich gezeigt, dass auch institutionelle Direktiven im Sinne von zu erfüllenden Erwartungsstrukturen das fachliche Handeln massgeblich prägten. Eine Studie von Frindt (2009) zur Praxis der SPFH in Deutschland kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Nach vorliegendem Forschungsstand zeigten sich verschiedene Spannungsfelder in der Praxis der SPFH, allen voran das Verhält- nis von Nähe und Distanz, aber auch im Verhältnis von Hilfe und Kontrolle der sozialpädagogischen Interventionen. Oft werde SPFH gezielt als Kontrollin- strument eingesetzt, wenn SPFH behördlicherseits ausgelöst oder in einem Zwangskontext durchgeführt wird (ebd., S. 9 ff.). Neben den hier angeführten Studien zu sozialpädagogischen Interventionen in Familien besteht kaum generalisierbares Wissen. Auch Hengartner Thurn- heer (2011, S. 22) kommt nach eingehender Bestandsaufnahme in der Schweiz hinsichtlich der Bedeutung der SPF im Hinblick auf den zivilrechtlichen Kin- desschutz zum Schluss: „Eine (systematische) Überprüfung der tatsächlichen Praxis und somit auch von Aspekten der Prozess- und Ergebnisqualität fehlt bis anhin“. 2.3 Wirkungen und Wirkfaktoren der SPF In diesem Kapitel wird anhand von national und international rezipierten Wirkstudien zur SPF zusammengetragen, wie sich der Wirknachweis von SPF einschätzen lässt. Dies erfolgt im Bewusstsein, dass die Vergleichbarkeit von Erkenntnissen aufgrund verschiedener gesellschaftlicher Kontexte sowie unter- schiedlicher Programme, Stichproben und Untersuchungsmethoden einge- schränkt ist. Weiterführend wird aufgezeigt, welche Faktoren die Wirksamkeit von SPF begünstigen oder hemmen. 20 Wirkungsstudien Für die Schweizer SPF liegen hinsichtlich ihrer Wirkungen auf begleitete Fami- lien bis anhin kaum belastbare Daten vor. Gemäss der Evaluation des Pilotpro- jekts Hometreatment Aargau ist es nach einer durchschnittlichen Interven- tionsdauer von 5,4 Monaten in den meisten Lebensbereichen der Familien zu keinen strukturellen Verbesserungen (in einigen Familien gar zu Verschlechte- rungen) gekommen. Allerdings wurde das Funktions- und Ressourcenniveau der Familien von den Fachpersonen im Anschluss an die Intervention besser bewertet und auch eine Auswahl von 32 Familien zeigte sich im Rahmen einer telefonischen Nachbefragung zum überwiegenden Teil mit dem Leistungsange- bot zufrieden (vgl. Krüger/Zobrist 2013, S. 3). Hengartner Thurnheer (2011) wiederum kommt in ihrer Lizentiatsarbeit zu dem Ergebnis, dass die Mütter die SPF zu etwa gleichen Teilen als positiv wie auch als ambivalent/negativ bewer- ten. Positiv wurde die sachliche, soziale und emotionale Unterstützung seitens der Fachpersonen erlebt, ambivalent oder negativ dagegen die mangelnde An- erkennung der für die Mütter relevanten Werte, Normen und tatsächlichen Probleme. Vor dem Hintergrund kaum belastbarer Daten zur Beurteilung der Wirksamkeit von SPF in der Schweiz wurde vom Fachverband Sozialpädagogi- sche Familienbegleitung Schweiz im Jahr 2016 ein Verbundforschungsprojekt zur „Wirksamkeit und Qualität Sozialpädagogischer Familienbegleitung“ lan- ciert.5 Erste Ergebnisse aus den einzelnen Forschungsprojekten, wozu auch das vorliegende zählt, werden in naher Zukunft erwartet. Im Unterschied zur Schweiz kann der Wirknachweis von SPF in Deutsch- land aufgrund vorliegender Studien insgesamt besser eingeschätzt werden. (vgl. Nielsen/Nielsen/Müller 1986; Blüml/Helming/Schattner 1994; Helming/Blüml/ Schattner 1999; Schmidt et al. 2002; Fröhlich-Gildhoff/Engel/Rönnau 2006). Eine Studie zur Wirksamkeit erzieherischer Hilfen in Zwei- und Einelternfami- lien (Rücker et al. 2010) gibt zu erkennen, dass in beiden Samples ein Hilfe- erfolg nachweisbar ist, der Abbau externalisierender Verhaltensauffälligkeiten in vollständigen Familien jedoch signifikant höher ausfällt als bei Beziehungs- abbruch oder Einelternfamilien. Darüber hinaus betont die Studie von Schmidt et al. (2002) die grundsätzliche Leistungsfähigkeit des SPF-Angebots, macht 5 Das Verbundforschungsprojekt wird vom Fachverband Sozialpädagogische Familien- begleitung Schweiz koordiniert, während die daran teilnehmenden Fachhochschulen (Nordwestschweiz, Zürich, St. Gallen, Luzern) die einzelnen Forschungsprojekte selbstän- dig durchführen und deren Finanzierung sichern. Der Fachverband unterstützt den Feld- zugang (Kooperation der Praxisorganisationen, Zusammenarbeit mit begleiteten Familien, Bereitstellung des Praxiswissens), ermöglicht den Austausch und Abgleich von Untersu- chungsergebnissen der beteiligten Akteure/Akteurinnen und trägt Sorge, dass die For- schungsergebnisse für die Weiterentwicklung und Evaluation des Handlungsfeldes SPF zielführend umgesetzt werden. 21 jedoch zugleich darauf aufmerksam, dass die betroffenen Kinder am wenigsten davon profitierten. Auch war die Zahl der für diese Hilfeform ungeeigneten Fälle vergleichsweise hoch. In den hier angeführten Studien wird darüber hin- aus deutlich, dass nicht alle Fälle erfolgreich abgeschlossen werden konnten. In einer älteren Studie von Blüml, Helming und Schattner (1994) wurden lediglich in 52 Prozent der Fälle die Ziele der SPF tatsächlich auch erreicht. Die Zahlen der amtlichen Statistik in Deutschland aus den Jahren 2012 und 2016 (hier waren es jeweils 64 %) erhärten diesen Befund bis heute (vgl. Fendrich/Poth- mann/Tabel 2014, S. 66; Fendrich/Pothmann/Tabel 2018, S. 70). Neben den Studien aus Deutschland gibt auch die Studie von Tausend- freund (2015) zur Evaluation eines niederländischen Familienunterstützungs- programms Aufschluss über Zielgruppen, Prozesse und Wirkungen. Zum einen wird deutlich, dass es sich bei den untersuchten Familien meist um mehrfach belastete Familien handelt, bei denen erzieherische, soziale, gesundheitliche, psychische wie auch finanzielle Belastungen nebeneinander bestehen und sich wechselseitig stimulieren. „Most importantly“, so der Autor weiter, „there is growing evidence that the problems these families experience significantly inc- rease the risk for their children to be victims of neglect and child abuse, and that they may accumulate severe disadvantages over their life course“ (ebd., S. 2). Wie die Auswertungen zeigen, stellen sich soziökonomische und erziehe- rische Problemfaktoren wie auch begrenztes Sozialkapital als die grössten Her- ausforderungen des Unterstützungsprogramms dar (ebd., S. 103 ff.). Aufgrund der Interventionen liessen sich zwar verschiedene Stressoren in Bezug auf die Elternrolle reduzieren, jedoch waren die Wirkungen mit Blick auf die Verhal- tensprobleme der Kinder weniger eindeutig. Insgesamt kann auf der Basis des bestehenden Forschungsstandes zudem festgestellt werden, dass der Erfolg von aufsuchender Familienarbeit mit der Häufigkeit, Intensität sowie Frühzeitigkeit ihrer Interventionen korreliert (vgl. Howard/Brooks-Gunn 2009; Nievar/van Egeren/Pollard 2010; Peackock et al. 2013). Studien zeigen auf, dass sich familienbezogene Interventionen positiv auf die Funktionsfähigkeit der Familie (vgl. Dagenais et al. 2004; Al et al. 2012) und darüber vermittelt auch auf die Entwicklung von Kindern auswirken können. Dieser Befund steht jedoch unter dem Vorbehalt, dass der Einbezug der Kinder in den Konzepten und Praxen der einzelnen Programme als verbindlicher Standard explizit festgeschrieben und auch umgesetzt wird. Studien zu den Wirkfaktoren der SPF Zusätzlich zu den eigentlichen Wirkungen von SPF wurden auch Faktoren untersucht, welche diese Wirkungen begünstigen oder hemmen. Neben den Wirkfaktoren (vgl. bspw. Gabriel/Keller/Studer 2007; Esser 2014), die sich auf alle Leistungstypen der Hilfen zur Erziehung beziehen, hat Fröhlich-Gildhoff 22 (2014, S. 112 f.) in einer Meta-Analyse verschiedener Studien folgende Faktoren für die SPF herausgefiltert: (1) „Matching“ zwischen Familie und Fachkraft, (2) Herstellung einer vertrauensvollen Beziehung, (3) Partizipation sowie (4) die Kooperation zwischen Familie und Fachperson. Ähnlich auch die Ergebnisse aus der oben erwähnten Studie von Tausendfreund (2015), der zufolge bei mehrfach belasteten Familien flexible Programmangebote notwendig sind, die sowohl langfristige wie auch kurzfristige Unterstützungsleistungen kombinie- ren. Langfristig bedeutsam sei der gezielte Ausbau sozialer Netzwerke sowie der Blick auf das Problemverhalten der betroffenen Kinder. Um die Programmin- tegrität sicherzustellen, bedürfe es neben gut ausgebildeter Fachpersonen dar- über hinaus eines regulären Monitorings der tatsächlichen Praxen und nicht zuletzt eines effektiven Datenmanagements, um den Ertrag des Programms kontinuierlich zu überprüfen (ebd., S. 108). Blüml, Helming und Schattner (1994) verweisen auf die Qualifikation der Fachkräfte, die Teamentwicklung und Qualität der Supervision sowie auf die Dauer der Betreuung als massgebliche Erfolgsvoraussetzungen. Wolf (2006, S. 9) stellt überdies fest, dass auch der Faktor „Kontrolle“ unter bestimmten Bedingungen (quantitative und zeitliche Begrenztheit) als vereinbarte Ziel- grösse konstruktive Wirkungen entfalten kann. Zwangskontexte wirken sich hingegen eher negativ aus (vgl. Frindt 2009). Hofstede et al. (2001) können jedoch zeigen, dass auch bei einer Anordnung durch ein Jugendgericht die Erfolgsaussichten der Familienbegleitung mit der Intensität von Partizipation steigen. Die Studie von Anis (2005) betont weiterführend vor allem das wech- selseitige Verständnis kulturell heterogener Familienvorstellungen als einen wesentlichen Erfolgsfaktor familienunterstützender Interventionen. Wirkt SPF? Dass SPF wirkt, scheint aufgrund der vorliegenden Untersuchungen unbestrit- ten. Jedoch wirkt sie nicht immer, nicht überall und auch nicht für alle gleich. Das zeigt sich bspw. daran, dass ihre Ziele nicht uneingeschränkt erreicht wer- den. Diesbezügliche Hindernisse liegen nicht nur in den Herausforderungen ihres Gegenstands begründet, sondern sind teilweise auch das Produkt einer fachlichen Praxis, die sich in einem Spannungsfeld von Hilfe und Kontrolle (vgl. Frindt 2009, S. 9 ff.) zurechtfinden muss, deren Aporien sie jedoch nur bedingt beeinflussen und auflösen kann. Entsprechend machen die Studien zu SPF nicht zuletzt auf die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit aufmerk- sam: Dass SPF nach vorliegenden Hinweisen bei bis zu der Hälfte der Fälle ihre selbstgesteckten Ziele nicht oder nicht wie beabsichtigt erreicht, ist unter Be- rücksichtigung der komplexen Anforderungen vielleicht nicht überraschend, angesichts steigender Inanspruchnahmen sowie damit einhergehender Kosten gleichwohl unbefriedigend. 23 2.4 Die Rolle der Kinder in der SPF Obwohl Kinder (resp. ihr Wohl oder die Gefährdung dessen) die eigentlichen Auslöser (und auch intendierte Nutzniessende) der Familienbegleitung sind, liegt bislang wenig Wissen darüber vor, inwieweit sie im Zuge der Fallbearbei- tung tatsächlich berücksichtigt und einbezogen werden. Diesbezügliche For- schungen im deutschsprachigen Raum geben lediglich zu erkennen, dass im Rahmen der SPF(H) auf die tendenziell eher zeitaufwändige Arbeitsweise mit dem Kind zugunsten einer eltern- resp. mütterzentrierten Arbeitsweise ver- zichtet wird (vgl. Petko 2004, S. 289; Richter 2013, S. 270). Gleichzeitig liegt der SPF jedoch eine Arbeitsweise zugrunde, wonach diese die Familie als Ganzes adressiert (vgl. Wolf 2012, S. 88 ff.). Obschon die Orientierung am gesamten Familiensystem den Kern des methodischen Ansatzes der SPF bildet, Familie durch Kinder erst entsteht (vgl. Baader 2013, S. 220) und Kinder an der Her- stellungsleistung von Familie beteiligt sind (vgl. Schier/Jurczyk 2008), kommen Kinder – wie nachfolgende Ausführungen zeigen – im Rahmen der aufsuchen- den Familienarbeit nur unzureichend in den Blick. Berücksichtigung der Kinder Die Meta-Analyse von Sweet und Applebaum (2004) zu 60 Hausbesuchspro- grammen6 in den Vereinigten Staaten macht darauf aufmerksam, dass „home visiting programs operate under the belief that parents mediate changes for their children. Most home visiting programs have trained practitioners not to interact directly with children“ (ebd., S. 1435). Gleichzeitig resümieren die Au- toren zur Frage „Is Home Visiting an Effective Strategy?“, dass aufsuchende Hausbesuchsprogramme Eltern und Kinder gleichermassen adressieren müs- sen, wollen sie nachhaltige Wirkungen erzielen: „Children in families who were enrolled in home visiting programs fared better than did control group children“ (ebd., S. 1445). Weiter macht eine Meta-Analyse von 17 niederländi- schen aufsuchenden Familienprogrammen (Veerman/Janssens/Delicat 2005, 6 Bei Wirkungsstudien zu aufsuchenden Familienprogrammen gilt es allerdings zu berück- sichtigen, dass Ergebnisse zu amerikanischen Hausbesuchsprogrammen nicht unreflektiert auf die Situation im deutschsprachigen Raum übertragen werden können, da sie in unter- schiedlichen gesellschaftlichen Kontexten erhoben wurden. Generell liegen europäische Studien näher an dem hier referierten Verständnis von SPF. US-amerikanische Angebote unterscheiden dagegen zwischen home treatment- und home visiting-Programmen, wobei erstere stärker auf psychisch belastete Elternteile fokussieren, letztere dagegen ein breit ge- fächertes Angebot an Interventionen in belasteten oder risikobedrohten Familien umfas- sen, vor allem auch im Rahmen früher Förderung. Einen Überblick über die Diversität US- amerikanischer Angebote vermittelt Pecora (2003), Hinweise zu den Verschiedenheiten europäischer Programme geben May-Chahal et al. (2003). 24 S. 186) deutlich, dass die Probleme bei den Kindern nach Abschluss der Fami- lienbegleitung häufig fortbestanden: „the risk that the problem behavior will continue or become worse is so great that subsequent treatment is indicated“. Gemäss den Autoren lassen sich die geringen Wirkungen bei den Kindern da- mit begründen, dass Kinder in nur unzureichendem Masse am Prozess des Hausbesuchsprogramms beteiligt waren. Eine unzureichende Berücksichtigung von Kindern an der Familienbeglei- tung unterstreicht auch die Studie von Tausendfreund (2015): „the share of care activities reported as performed in direct contact with children (5%) […] seems comparatively small“ (ebd., S. 67). Zu ähnlichen Ergebnissen bezüglich der Beteiligung der Kinder kommen auch die Studien von Hughes-Belding et al. (2019) aus den USA sowie Visscher et al. (2020) aus den Niederlanden, wonach sich die Fachpersonen im Rahmen der untersuchten Hausbesuche überwiegend auf die Eltern und weniger auf die Kinder beziehen. Schliesslich zeigen die Be- obachtungen aus Richters (2013, S. 265) Studie zur SPFH in Deutschland, dass Kinder bei den beobachteten Gesprächen zwar thematisiert, aber interaktiv (auch wenn sie zuhause sind) nicht in die Gespräche einbezogen wurden oder allenfalls als interaktive Störfaktoren erschienen. Demgegenüber verdeutlichen die Ergebnisse der Jugendhilfe-Effekt-Studie (JES) zur SPFH in Deutschland, dass die Kooperation mit dem Kind und die Beteiligung des Kindes wichtige Indikatoren in Bezug auf die Wirkungen einer Hilfe sind (vgl. Schmidt et al. 2002, S. 33). So verringerte sich bspw. die Wahrscheinlichkeit einer vorzeitigen Hilfebeendigung, wenn Kinder bei der Ausgestaltung der Hilfeleistung aktiv miteinbezogen wurden. SPF aus der Sicht der Kinder Jenseits dieser Hinweise liegt die Perspektive begleiteter Kinder im Rahmen sozialpädagogischer Interventionen in Familien weitgehend noch im Dunkeln. In Anknüpfung an die Nutzendenforschung (vgl. Oelerich/Schaarschuch 2005; Bitzan/Bolay/Thiersch 2006) finden sich in Deutschland und Österreich zwar bereits ältere Untersuchungen, welche die Sichtweise der begleiteten Familien- mitglieder auf die Sozialpädagogische Familienhilfe (SPFH) resp. aufsuchende Familienarbeit (AFA) explizit herausarbeiteten (für die SPFH vgl. Wolf 2006; für die aufsuchende Familienarbeit/AFA vgl. Hofer/Lienhart 2008), jedoch stand die Sichtweise der Kinder auch in diesen Studien weniger im Vorder- grund des Forschungsinteresses und wurde daher auch nicht gesondert ausge- wertet. Internationale Studien aus vergleichbaren Handlungsfeldern, in denen die Perspektive der Kinder erfasst wurde (vgl. Gallagher et al. 2012; Bijleved et al. 2015; Husby et al. 2018), betonen Spiel, Arbeitsbeziehung und emotionale Unterstützung in der direkten Interaktion mit Kindern und setzten sie im Hin- 25 blick auf die Wirksamkeit spezifischer Interventionen zueinander in Beziehung. So ist es aus Sicht der Kinder zunächst wesentlich, dass eine vertrauensvolle persönliche Beziehung zwischen Kind und Fachperson hergestellt wird (vgl. Bijleveld et al. 2015). Dies gelingt über einen kindgerechten (sozial-)pädagogi- schen Zugang (z. B. das Spiel), der einen Rahmen generiert, in dem Kinder ihre Ansichten und Sichtweisen ungehemmter ausdrücken können (vgl. Archard/ Skivenes 2009; Lefevre 2010; Ruch et al., 2017). Das vorurteilsfreie Sich-Einlas- sen auf das kindliche Spiel zum Zwecke eines Beziehungsaufbaus bietet insofern die Basis für alle weiteren Impulse der Auseinandersetzung mit dem Kind, um seine Anliegen zu verstehen und es in Problemlöseprozesse miteinzubeziehen. So betonen auch Husby et al. (2018), dass aus Kindersicht der Einbezug des Kindes über das Spiel eine zentrale Ressource darstellt, um mit ihm in Bezie- hung zu treten und es im Rahmen dieser Beziehung emotional unterstützen zu können: „The most important building block whenever the aim is to enter into true partnership with children […] is the professional’s ability to develop a trusting relationship, but also […] to provide emotional support and apply pedagogical approaches in their interactions with the children“ (Husby et al. 2018, S. 449). 2.5 Die Rolle von Netzwerkbeziehungen in der SPF In nahezu allen Studien zu familienunterstützenden Programmen finden sich Hinweise zur Bedeutung der die Familie umgebenden sozialökologischen Um- welten, womit Belastungen des Familiensystems aufgefangen und bewältigt werden können: „Family resilience can be defined as a multilevel process of interaction between families and other systems in complex and challenging environments that facilitates a family’s capacity to cope with adversity over time“ (Ungar 2015, S. 20). Die Einzigartigkeit des Familiensystems, die Her- stellung spezifischer Erfahrungs- und Erlebnisräume sowie seine Stellung in, bzw. seine Beziehungen mit den es umgebenden Umwelten bestimmen die Möglichkeiten und Herausforderungen seiner Entwicklung. Die Resilienz des Familiensystems hängt wesentlich von den Ressourcenzugängen ab, welche die familiären Bedürfnisse unterstützen: „effective parenting does not occur in isolation; it is linked to the resources available to parents in the form of money, institutional support, social connections and the like“ (Furstenberg 1997, S. 182). Verschiedene Studien haben belegt, dass Eltern in benachteiligten Lebensla- gen geringeren Zugang zu sozialer Unterstützung haben (vgl. Crittenden 1985; Henly/Danziger/Offer 2005; Harknett/Hartnett 2011). Die Verfügbarkeit von sozialer Unterstützung hängt mit sozialstrukturellen Faktoren zusammen. So 26 verfügen bspw. Personen, die in Armut leben (vgl. Bosma et al. 2015) oder einen schlechten Gesundheitszustand haben (vgl. Wang/Wu/Liu 2003) über weniger soziale Unterstützung als Personen, die nicht von diesen Problemlagen betroffen sind. In Bezug auf SPF scheint zudem der Befund wichtig zu sein, dass Alleinerziehende im Vergleich zu Elternpaaren sozial isolierter sind, über weniger soziale Unterstützung verfügen und instabilere soziale Netzwerke haben (vgl. Weinraub/Wolf 1983). Kleinere Netzwerke sind bei alleinerziehen- den Müttern jedoch teilweise auch gewünscht und dementsprechend nicht als eine Belastung zu verstehen (vgl. Niepel 1994). Die neuere Forschung zu allein- erziehenden Müttern zeigt auf, dass ihre Netzwerke und die darin verfügbare soziale Unterstützung äusserst heterogen sind. Die Zufriedenheit mit der so- zialen Unterstützung hängt dabei davon ab, ob die Hilfe als nützlich einge- schätzt wird (vgl. Keim 2018). Die Relevanz von Netzwerkbeziehungen für die Erziehung Empirisch ebenfalls gut belegt ist der Befund, dass sich soziale Unterstützung positiv auf das Wohlbefinden von Eltern (vgl. Keim 2018) sowie auf das Fami- liensystem auswirkt: „social support is constructed as a protective mechanism with main and buffering effects that can impact family well-being, quality of parenting, and child resilience at a number of junctures“ (Armstrong et al. 2005, S. 269). Soziale Unterstützung führt unter anderem zu häufigeren (und positiveren) Eltern/Kind-Aktivitäten (vgl. Green/Furrer/McAllister 2007), zu mehr Freude in der elterlichen Rolle (vgl. Crnic et al. 1983) und zu einem er- höhten Erleben von Selbstwirksamkeit in der Erziehung (vgl. Suzuki 2010). Wenn sich Eltern in schwierigen Lebenslagen befinden, kann die Inanspruch- nahme von informeller und formeller Unterstützung jedoch auch schambesetzt sein (vgl. Thompson 2015). Soziale Beziehungen sind jedoch nicht nur eine Quelle der Unterstützung, sondern auch für Konflikte, Stress oder unangemessene Kontrolle (vgl. Widmer 2010). Diesbezüglich kommt Portes (1998) in einem Literaturreview zu dem Schluss, dass sich die Beziehungen von Familienangehörigen zu ihrem Umfeld auch negativ auf familienbezogene Normen und Werte sowie auf deren Selbst- bestimmung auswirken können. Der Einfluss der sozialen Umwelt auf die Er- ziehung und das Familiensystem kann somit nur dann adäquat begriffen wer- den, wenn neben der sozialen Unterstützung auch die Netzwerkbelastungen miteinbezogen werden. Netzwerke in Studien zur SPF Obwohl die Wichtigkeit von Unterstützungsnetzwerken in den Hilfen zur Er- ziehung anerkannt wird (vgl. z. B. Geens/Vandenbroeck 2014; Pérez-Hernando/ 27 Fuentes-Paláez 2020) und zahlreiche netzwerkorientierte Ansätze zur Ver- fügung stehen (vgl. Schwarzloos 2019), ist über die Wirkungen von SPF auf die Netzwerkressourcen und -belastungen von Familien indes nur wenig bekannt. So zeigt eine Synthese von Evaluationsstudien zu Familieninterventionen in den Vereinigten Staaten (vgl. Dagenais et al. 2004), dass nur vier von 27 Evalu- ationen Veränderungen in den Unterstützungsnetzwerken der Familie in den Blick genommen haben. Hinweise für den deutschsprachigen Raum liefert allenfalls die Studie von Friedrich (2004), in der 23 Familien mit einem netz- werkaktivierenden Ansatz begleitet wurden, die 23 Familien der Kontroll- gruppe hingegen mit einem traditionellen Angebot. Die Interventionsdauer betrug in beiden Gruppen neun Monate. Die Studie zeigt auf, dass Familien mit SPFH vor der Intervention über ein Unterstützungsnetzwerk mit durchschnitt- lich 14 Personen verfügen. Etwa die Hälfte der Unterstützung, die der befragte Elternteil (in den meisten Fällen die Mütter) erhielt, wurde vom familiären Umfeld geleistet. Ein weiteres Drittel kommt aus dem Freundeskreis. Bei all- tagspraktischen Problemen wurde vorrangig auf informelle Unterstützungs- netzwerke zurückgegriffen. Akteure aus dem professionellen Helfersystem traten dagegen verhältnismässig selten in Aktion. In der Experimentalgruppe konnte im Vergleich zur Kontrollgruppe ein signifikanter Anstieg der Verfüg- barkeit von wahrgenommener sozialer Unterstützung festgestellt werden, ins- besondere aus dem verwandtschaftlichen Umfeld der Familien. Die Ursachen dieser Zunahme liessen sich jedoch nicht eindeutig erklären (vgl. ebd., S. 292). 2.6 Studienleitende Forschungslücken Auf der Basis des vorliegenden Forschungsstandes können vier Forschungs- lücken ausgemacht werden: 1. wird deutlich, dass für die Schweiz aktuell nur wenig belastbare Daten über die Praxis von SPF bestehen. Weder ist bekannt, mit welchen fachlichen Standards Fachpersonen in Familien intervenieren, noch wie das Vorgehen im Einzelnen ist. Angesprochen sind damit Fragen zur Prozess- und Ergeb- nisqualität sozialpädagogischer Interventionen von SPF. Doch auch über die Strukturqualität ist nur wenig bekannt und damit über diejenigen Einfluss- faktoren, die das institutionelle Handeln im Sinne organisatorischer oder fachlicher Standards strukturell unterstützen. 2. ist in der Schweiz kaum empirisches Wissen über die Wirkungen und Wirk- faktoren von SPF existent, obwohl SPF eine herausragende ambulante Hilfe im System der Kinder- und Jugendhilfe repräsentiert. Die ungeprüfte Über- tragung internationaler Forschungsergebnisse auf den schweizerischen 28 Kontext ist jedoch nicht zu empfehlen, solange nur wenig Wissen über die Rahmenbedingungen und das konkrete Vorgehen von SPF besteht. 3. sticht hervor, dass die Frage der Berücksichtigung von Kindern, bzw. ihrer Rolle in und ihre Perspektive auf die SPF bis anhin unterbelichtet sind, ob- wohl sie den eigentlichen Auslöser sozialpädagogischer Intervention bilden und ihre Teilhabe nachweislich ein zentraler Faktor für deren Wirksamkeit ist. 4. zeigt der Forschungsstand, dass das Wohlbefinden, die Resilienz sowie die erzieherische Qualität in der Familie zu nicht unwesentlichen Teilen ihrem sozialökologischen Umfeld geschuldet sind. Familien, die über genügend Ressourcenzugänge verfügen, können mit familiären Belastungen besser umgehen als Familien mit geringen Ressourcenzugängen. Jedoch finden sich kaum Studien zu den sozialen Unterstützungsnetzwerken sowie netz- werkbezogenen Belastungen von Familien mit SPF. 29 3 Untersuchungsdesign und Datenerhebung In diesem Kapitel werden zunächst die Erkenntnisinteressen, Zielsetzungen sowie die daraus resultierenden Fragestellungen der vorliegenden Studie be- schrieben. Danach wird das Untersuchungsdesign vorgestellt, welches aus ei- nem qualitativen und einem quantitativen Teil besteht. Abschliessend werden Feldzugang, Sampling sowie die einzelnen Schritte der Datenerhebung erläu- tert. Da in der vorliegenden Studie eine Vielzahl an Erhebungs- und Auswer- tungsmethoden eingesetzt wurden, wird das methodische Vorgehen in diesem Kapitel nur überblicksartig vorgestellt und weiterführende Überlegungen in den entsprechenden Untersuchungsabschnitten erörtert. 3.1 Erkenntnisinteressen, Zielsetzungen und Fragestellungen Im Mittelpunkt des vorliegenden Forschungsvorhabens steht die Frage nach den Rahmenbedingungen, der Praxis und den Wirkungen der SPF auf das Fa- miliensystem und seine Netzwerkressourcen resp. -belastungen. Im qualitativen Teil der vorliegenden Studie werden Wirkungen verstanden als eine „von den Adressatinnen (und anderen relevanten Beteiligten) wahrgenommene Ände- rung lebensweltlicher Faktoren, Ressourcen und Handlungsoptionen, die diese nach eigener Einschätzung in die Lage versetzt, einen gelingenden Alltag zu gestalten“ (Klawe 2006, S. 126). Vor dem Hintergrund eines solchen Wirkver- ständnisses wird deutlich, „dass der Königsweg der Analyse von Wirkungen sich auf das Erleben“ aller am Prozess der SPF beteiligten Personen konzen- triert (Wolf 2016, S. 156). Wirkungen von sozialpädagogischen Interventionen sind demnach nicht objektiv messbar, sondern erschliessen sich über die Wahr- nehmungen und Deutungen der beteiligten Akteursgruppen. Der zweite Untersuchungsteil der Studie folgt hingegen der Logik der quantitativen Wirkungsforschung. Hier werden vorab festgelegte Wirkbereiche und -annahmen mittels Hypothesentests überprüft. Ob und in welchen Berei- chen SPF wirkt, wird somit durch die Forschenden beurteilt und nicht durch die Beteiligten der Intervention. 30 Wirkfaktoren werden in beiden Untersuchungsteilen demgegenüber als in- stitutionelle, sozialökologische und individuelle Faktoren gefasst, die an eine intendierte Wirkung gekoppelt sind und einen wesentlichen Einfluss auf Wir- kungen haben. In der vorliegenden Studie werden diesbezüglich folgende fünf Wirkdimensionen berücksichtigt: Institutionelle Rahmung der SPF (1), Fami- lienbegleiter/in (2), Beziehungsgestaltung (3), Familie (4) und die sozialökologi- sche Umwelt der Familie (5), wobei jede Wirkdimension verschiedene Wirk- faktoren umfasst (vgl. Messmer et al. 2019, S. 48). Eine schematische Vorstel- lung über die Verknüpfung institutioneller und individueller Wirkfaktoren vermittelt Abbildung 1. Abbildung 1: Wirkheuristik für die SPF (vgl. Messmer et al. 2019, S. 49) Diese Wirkheuristik macht deutlich, dass Wirkung das Ergebnis eines in Ko- produktion entstandenen Arbeits- und Entwicklungsprozesses ist (vgl. Könge- ter 2009; Seithe 2012). Dieser Arbeits- und Entwicklungsprozess selbst ist wie- derum in ein dynamisch-interdependentes Geflecht von Beziehungen und Um- welteinflüssen eingebettet (vgl. Wolf 2016), welches die Beziehung zwischen den Beteiligten strukturell konditioniert. Wirkung von SPF kann also einerseits als eine Eigenleistung des „Sozialsystems Familie“ aufgefasst werden, anderer- seits als Ergebnis einer sozialpädagogischen Intervention, mit der Fachpersonen der SPF Unterstützung leisten, indem sie in Zusammenarbeit mit der Familie neue Lösungsstrategien entwickeln, deren Umsetzung begleiten sowie hinsicht- lich ihrer Effekte fortlaufend evaluieren. Sozialpädagogisches Handeln ge- schieht also nicht in einem isolierten Raum, sondern ist – genauso wie die Ent- wicklungsaufgaben der Familie – den Einflüssen einer sich dynamisch, d. h. ständig verändernden sozialökologischen Umwelt ausgesetzt (vgl. Messmer et al. 2019, S. 49). Vor dem Hintergrund dieses Wirkverständnisses ist es Ziel der vorliegen- den Untersuchung, die Wirksamkeit von SPF aus ihrer empirischen Praxis heraus zu begreifen und mit Blick auf die Wahrnehmung der von dieser Praxis 31 Betroffenen zu plausibilisieren. Dabei werden erstmals die betroffenen Kinder sowie die Netzwerkressourcen und -belastungen der Eltern systematisch be- rücksichtigt. Die Zielsetzungen dieser Studie liegen in der Gewinnung von Er- kenntnissen 1. zur Praxis der SPF und ihren organisationalen Rahmenbedingungen; 2. zu den Wirkungen von SPF innerhalb der Familie und bezogen auf ihre so- zialökologische Umwelt; 3. zur Rolle der Kinder in der SPF und deren Wahrnehmung von SPF; 4. zum Ausmass und zur Rolle von informellen und formellen Unterstüt- zungsnetzwerken von Familien mit SPF. Abgeleitet von diesen Erkenntnisinteressen lauten die übergreifenden Frage- stellungen dieser Studie: Welche Wirkungen erzeugt SPF auf die Familie sowie auf ihre Netzwerkressourcen und -belastungen? Welche Wirkfaktoren sind dafür massgeblich? 3.2 Untersuchungsdesign Um zu einem den Fragestellungen adäquaten mehrperspektivischen Blick auf den Untersuchungsgegenstand zu gelangen, wurde für diese Studie ein For- schungsdesign konzipiert, das sich aus einem qualitativen und einem quantita- tiven Untersuchungsteil zusammensetzt. Beide Studienteile weisen unter- schiedliche Qualitäten auf, um Wirkungen von SPF erfassen zu können. Die Kombination unterschiedlicher Forschungsansätze soll es ermöglichen, zu einem mehrperspektivischen Blick auf Wirkung in der SPF zu gelangen. Mit dem qualitativen Forschungsteil, der sog. Multiperspektivischen Wir- kungsanalyse (MWA), werden Wirkungen der SPF auf der Basis unterschiedli- cher Perspektiven und Datentypen untersucht. Auf der Grundlage von 16 Fa- milien aus fünf Anbieterorganisationen sollen vorrangig die Forschungsfragen nach den Konzepten und Praxen von SPF sowie den darauf bezogenen Wahr- nehmungen der beteiligten Akteure beantwortet werden. Vor diesem Hinter- grund werden auf der Grundlage des ausgewählten Samples die Praxis der SPF und ihre strukturellen Voraussetzungen rekonstruiert und deren Wirkungen von den beteiligten Personen eingeschätzt. Im quantitativen Forschungsteil, der Sozialen Netzwerkanalyse (SNA), wird der Beitrag von SPF auf die Netzwerkressourcen und -belastungen der beteilig- ten Eltern untersucht. Auf der Grundlage von 103 Familien aus 18 Anbieteror- ganisationen werden mittels einer standardisierten Panelbefragung die Netz- werkressourcen und -belastungen zu drei Messzeitpunkten untersucht. Das 32 Paneldesign ist eines der wenigen Forschungsdesigns, mit dem sich Verände- rungen tatsächlich messen und darstellen lassen, sofern die gleiche Person mehrfach mit dem gleichen Instrument befragt wird (vgl. Möhring/Schlütz 2010, S. 148 f.). Im Folgenden wird das methodische Vorgehen von MWA und SNA näher erläutert. 3.2.1 Multiperspektivische Wirkungsanalyse (MWA) Für die MWA wurde ein mehrschichtiges Untersuchungsdesign entwickelt, das die institutionellen und organisationalen Rahmenbedingungen der SPF, deren interventionspraktisches Vorgehen sowie die diesbezüglichen Wahrnehmungen und Einschätzungen der beteiligten Akteursgruppen erfasst. Damit war einer- seits intendiert, das Vorgehen der SPF in seiner ganzen Breite in den Blick zu nehmen, angefangen bei den konzeptionellen und organisationalen Merkmalen der Fallbearbeitung, den Eigentümlichkeiten der Problembelastungen einzelner Familien sowie der Fachpersonen im Zuge der Ausübung ihrer Praxis bis hin zu den wirkungsbezogenen Wahrnehmungen aus Sicht der einzelnen Beteiligten- gruppen (fallführende Fachperson, Eltern(-teil) und Kinder). Entsprechend wurde die Praxis der SPF methodisch aus sehr unterschiedlichen Perspektiven erfasst, die im Folgenden näher dargestellt werden. Untersuchungsmethoden zu Kontextbedingungen und Praxis von SPF Dokumentenanalysen Mit der Dokumentenanalyse wurde zunächst der organisationale Kontext der ausgewählten Anbieterorganisationen erfasst. Da das Leistungsangebot der Deutschschweizer SPF keinen einheitlichen und verbindlichen Standards un- terliegt, war davon auszugehen, dass das konzeptionelle Vorgehen der einzel- nen Anbieter nicht in jedem Fall gleich ist. Entsprechend wurden alle Schrift- stücke (Leistungsvereinbarungen zwischen zuweisender Stelle und Anbieteror- ganisation, Organigramme, Prozessbeschriebe, diagnostische Instrumente und Handlungskonzepte etc.) der ausgewählten Anbieterorganisationen daraufhin untersucht, inwieweit diese Hinweise über Standards, Qualität, Organisation und Zielsetzungen fachlichen Handelns vermitteln. Zu Vergleichszwecken wurde für jede Anbieterorganisation ein Leistungsprofil erstellt, das die we- sentlichen Merkmale der Leistungserbringung schematisch resümiert (vgl. Kap. 4.2). 33 Dossieranalysen Mit Hilfe der Dossieranalyse wurde untersucht, welche Informationen in wel- chem Umfang und mit welcher Qualität von den Anbieterorganisationen zu den ausgewählten Familien des MWA-Samples schriftlich festgehalten werden. Unter anderem wurde danach gefragt, wie die Belastungen der Familien erfasst und eingeschätzt werden. Besondere Aufmerksamkeit richtete sich zudem auf die Zugangswege der Familien, also auf die Frage, ob die SPF auf Nachfrage der betroffenen Familien oder auf Anordnung Dritter veranlasst wurde (vgl. Kap. 4.3). Ethnographische Beobachtungen In den ausgewählten Familien wurde nach Absprache mit der fallführenden Fachperson und der Familie je eine ethnographische Beobachtung eines Haus- besuchs durchgeführt. Sinn und Zweck der Beobachtungen bestand in der ex- emplarischen, gleichwohl systematischen Beschreibung und Rekonstruktion der Eigenlogik eines institutionell strukturierten Feldes (vgl. Amann/Hirsch- auer 1997; Milbradt 2015) und der darin verankerten Praxen (vgl. Reckwitz 2003, S. 295). Die Hausbesuche wurden in Form von Beobachtungsleitfäden erhoben (vgl. Kelle/Bollig 2012) und per Audioaufzeichnung dokumentiert. Im Vordergrund der Beobachtungen standen Fragen zu den Formen professio- neller Aktivitäten und ihrer Umsetzung (vgl. Kap. 4.4). Untersuchungsmethoden zu den Perspektiven der beteiligten Akteure Der empirische Zugang zur Erfassung der Perspektiven der einzelnen Beteilig- tengruppen (Fachpersonen, Eltern und Kinder) erfolgte mittels situationsnaher (vgl. Fuhs 2012) und problemzentrierter Interviews (vgl. Witzel 1985), die den Interviewten jeweils viel Raum für die Explikation ihrer Erfahrungen und An- sichten über das Vorgehen der SPF liessen. Problemzentrierte Interviews mit den fallführenden Fachpersonen Die Interviews mit zuständigen Fachpersonen bezogen sich zunächst auf ihre Einschätzungen zur Qualität und Wirkung von SPF allgemein, unter besonde- rer Berücksichtigung der Kontextbedingungen fachlichen Handelns. Sodann wurden die Zielsetzungen, Vorgehensweisen und Herausforderungen hinsicht- lich der ausgewählten Familie thematisiert (Situation zu Hilfebeginn, Ziele und Umsetzung der sozialpädagogischen Intervention sowie mögliche Veränderun- gen innerhalb der Familie). Ferner wurden die Interviews dazu genutzt, um die im Rahmen von Dossieranalysen und ethnografischen Beobachtungen festge- stellten Auffälligkeiten im Sinne eines Stimulated-Recall-Interviews (vgl. Mess- mer 2015) vertiefend zu klären (vgl. Kap. 4.5). 34 Problemzentrierte Interviews mit Eltern/Elternteil Vor dem Hintergrund des Forschungsinteresses gliederte sich das Interview mit den Eltern/dem Elternteil in die Themenblöcke „Ausgangslage“ (Situation der Familie zum Hilfebeginn), „Praxis der SPF“ und „Einschätzung ihres Nutzens“. Um herauszufinden, wie Eltern die Praxis der SPF wahrnehmen und bewerten, wurden sie u. a. danach befragt, wie sich die Hausbesuche inhaltlich gestalten, wie sie das Vorgehen der SPF einschätzen und bewerten und wie die Kinder sowie weitere Personen aus dem sozialen Umfeld der Familie in den Prozess der SPF miteinbezogen werden (vgl. Kap. 4.6). Situationsnahe Interviews mit Kindern Die Kinder der ausgewählten Familien wurden ebenfalls gezielt in die Untersu- chung einbezogen und mittels kindgerechter Erhebungsinstrumente dazu be- fragt, ob und inwieweit sie sich der SPF bewusst sind, wie sie diese erleben und inwieweit sie im Rahmen der Hausbesuche ggfs. selbst von der Fachperson adressiert und in den Prozess einbezogen werden. Ferner wurde eruiert, ob die Kinder in Bezug auf sich selbst oder ihre Eltern (bzw. ihres Elternteils) Verän- derungen wahrnehmen können. Die Kinderinterviews wurden zeitlich und räumlich situationsnah zum Hausbesuch durchgeführt (vgl. Kap. 4.7). Zusammenführung der Perspektiven und Datentypen der MWA Die Zusammenführung der Analyseergebnisse der MWA orientiert sich am Grundsatz der Verschiedenheit der methodischen Perspektiven. Es wird davon ausgegangen, dass die Konzepte der untersuchten Anbieterorganisationen, ihre Dossiers und tatsächliche Praxen nicht unbedingt kongruieren. Andererseits unterscheiden sich auch die Wahrnehmungen der befragten Akteure darüber, was SPF sein soll, was sie tatsächlich ist und wie sie aus den verschiedenen Blickwinkeln aufgefasst und eingeschätzt wird (vgl. Messmer 2007; Frindt 2009). Die Zusammenführung der einzelnen Untersuchungsschritte der MWA zielt insofern darauf ab, Verschiedenheiten und Gemeinsamkeiten in und zwi- schen den jeweiligen Perspektiven zu dokumentieren (vgl. Kap. 4.8). 3.2.2 Soziale Netzwerkanalyse (SNA) Bei der SNA stehen die Netzwerkressourcen und -belastungen von Eltern mit SPF im Brennpunkt der Aufmerksamkeit. Ein zentraler Aspekt bei der Unter- suchung der Beziehungen einer Person zu ihrer sozialökologischen Umwelt ist die Unterscheidung zwischen formalen und inhaltlichen Merkmalen sozialer Netzwerke. Die formalen Merkmale eines sozialen Netzwerks geben bspw. 35 Auskunft über dessen Eigenschaften und Strukturen wie zum Beispiel Grösse, Dichte, Attribute von Beziehungen oder Kontakthäufigkeit mit Personen aus dem Netzwerk. Diese Eigenschaften reflektieren vor allem die Verfügbarkeit von Netzwerkressourcen. Die inhaltlichen Merkmale eines Netzwerkes nehmen dagegen mehr die Qualitäten von Netzwerkstrukturen in den Blick. Dazu zäh- len bspw. soziale Unterstützungsleistungen (z. B. Unterstützung beim Ausfüllen der Steuererklärung oder der Kinderbetreuung), aber auch Belastungen und Konflikte, die aus solchen Netzwerkstrukturen resultieren (z. B. Konflikte mit Personen aus dem näheren oder weiteren Umfeld der Familie). Ein soziales Netzwerk lässt sich mithin als die „Infrastruktur“ sozialer Beziehungen definie- ren, in dem Ressourcen ausgetauscht werden können, das aber auch sozial be- lastend wirken kann. Die Beziehung zwischen formalen und inhaltlichen Netz- werkstrukturen ist keinesfalls fix, sondern in hohem Masse interdependent, dynamisch und veränderbar. Bei der Operationalisierung von Netzwerkressourcen und -belastungen lag der Fokus auf den inhaltlichen Merkmalen sozialer Beziehungen von Eltern, die SPF in Anspruch nehmen. Dabei spielt es keine Rolle, von wem die Eltern un- terstützt bzw. durch wen sie belastet werden, ob also eine Unterstützung oder Belastung von der eigenen Familie, von Freunden, Bekannten oder Fachperso- nen hervorgebracht wird. Vielmehr interessiert, inwiefern Ressourcen im Be- darfsfall über soziale Beziehungen zugänglich sind. Der Begriff der Netzwerkres- sourcen wird in dieser Studie definiert als die Chance, über soziale Beziehungen Unterstützung bekommen zu können, die für die alltägliche Lebensführung und Krisenbewältigung allgemein von Bedeutung ist (vgl. Kupfer/Nestmann 2015). Der Fokus der Netzwerkressourcen liegt demnach primär auf der wahr- genommenen Verfügbarkeit sozialer Unterstützung, die im Bedarfsfall mobili- siert werden kann (vgl. Diewald/Sattler 2010, S. 693). Bei den Netzwerkbelastungen wird zwischen Belastungen, welche durch Le- bensereignisse hervorgerufen werden (z. B. der Verlust einer wichtigen Person) und chronischen Belastungen, die in alltägliche Beziehungen eingelagert sind (vgl. Suter/Meyer 1997, S. 205) unterschieden. Zu den chronischen sozialen Belastungen zählen bspw. häufig auftretender Streit, Ablehnung oder Feindse- ligkeit. Auch die Abwesenheit oder Nichterreichbarkeit von Personen kann zu einer Belastung führen, die sich dann in Form von Einsamkeit äussert. Bei der Operationalisierung der Netzwerkbelastungen lag der Fokus auf den chroni- schen sozialen Belastungen, weil diese für die alltägliche Lebensführung – und insofern auch für die Interventionen von SPF – von Bedeutung sind. Datenerhebung und -analyse Die Datenerhebung für die Netzwerkbefragung über die drei Messzeitpunkte hinweg erfolgte jeweils mittels zweier standardisierter Papierfragebogen. Der 36 erste Fragebogen richtete sich an die Eltern. Mit diesem wurden ihre Netzwerk- ressourcen und -belastungen sowie weitere Kontextinformationen erhoben (z. B. Familienstruktur, sozioökonomischer Hintergrund). Aus forschungs- pragmatischen Gründen wurde immer nur ein Elternteil pro Familie befragt.7 Der Einfachheit halber wird im Folgenden der Begriff „Eltern“ verwendet, ob- wohl es sich faktisch um Elternteile (Mutter oder Vater) handelt. Der zweite Fragebogen richtete sich an die Fachpersonen. Mit diesem wurden primär In- formationen zur SPF (z. B. Dauer der SPF, Anzahl Familienbesuche, Zuwei- sungsgrundlage der SPF) sowie Merkmale zur fallführenden Fachperson erho- ben (z. B. Qualifikation, Berufserfahrung, Spezialisierungen). Dieser Fragebo- gen wurde stets von der Fachperson ausgefüllt, welche auch für die Familie zuständig war, die den Elternfragebogen ausfüllte. Alle 18 an der Netzwerkbefragung teilnehmenden Anbieterorganisationen von SPF erhielten vor Beginn der Datenerhebung die Papierfragebogen zuge- schickt. Die beteiligten Fachpersonen wurden gebeten, alle Familien, die im Zeitraum vom Juni 2018 bis April 2019 mit einer SPF starteten, für die Teil- nahme an der Studie anzufragen.8 Alle Eltern, die sich zur Teilnahme an der Studie bereit erklärten, unterzeichneten eine Einverständniserklärung, mit der sie über Ziele und Vorgehen der Studie aufgeklärt wurden. Um eine möglichst standardisierte Erhebung zu gewährleisten, wurden die Fachpersonen mit einer schriftlichen Anleitung für das Ausfüllen der Fragebögen instruiert.9 Der Frage- bogen wurde ausschliesslich in deutscher Sprache entwickelt. Bei Eltern mit Sprach- oder Verständnisschwierigkeiten wurden die Fachpersonen gebeten, Unterstützung beim Ausfüllen zu leisten. Auf diese Weise wurde Eltern mit geringen Deutschkenntnissen die Teilnahme an der Studie ermöglicht. Die aus- gefüllten Fragebogen aller drei Wellen wurden von den teilnehmenden Fach- 7 Die gleichzeitige Anwesenheit von beiden Elternteilen für das Ausfüllen der Fragebogen zu gewährleisten, wäre kaum möglich gewesen; der zeitliche Aufwand für die Fachpersonen wäre nochmals grösser gewesen; es bestand keine sinnvolle Auswertungsstrategie für die Integration von Ein-Eltern- (ein Fragebogen) und Zwei-Elternfamilien (Zwei Fragebogen) in einem Datensatz. Bei der Interpretation der Ergebnisse ist somit zu berücksichtigen, dass die hier untersuchten Wirkungen nicht auf beide Elternteile oder die Familie übertragen werden können. 8 Der Zeitraum für die zweite Befragung war von Dezember 2018 bis Oktober 2019, die dritte Welle von Juni 2019 bis April 2020. 9 Trotz der Instruktion der Fachkräfte waren die Bedingungen für das Ausfüllen des Frage- bogens nicht für alle Eltern gleich. Einige Eltern haben den Fragebogen selbstständig aus- gefüllt, andere wiederum brauchten Unterstützung von der Fachperson. Dies hat unter Umständen Einfluss auf die Beantwortung der Fragen genommen. Eine Übersetzung des Fragebogens in mehrere Sprachen hätte mögliche Effekte mindern können. Darüber hinaus hätten durchaus mehr Eltern an der Studie teilnehmen können. Gleichzeitig hätte sich der Aufwand für das Forschungsteam und die mitwirkenden Praxisorganisationen wesentlich erhöht. 37 personen gesammelt und in anonymisierter Form an das Forschungsteam zu- rückgeschickt. War eine zweite oder dritte Befragung nicht möglich, wurden die Gründe für den Austritt aus der Studie erhoben. Jede teilnehmende Organi- sation benannte eine für die Netzwerkbefragung zuständige Koordinationsper- son. Diese Person war verantwortlich für die Instruktion der Fachpersonen und Weiterleitung der Informationen. Für die Analyse der ersten Erhebungswelle wurden neben deskriptiven Verfahren zur Verteilung der Netzwerkressourcen und -belastungen auch Kor- relationsanalysen durchgeführt. Letztere dienten dazu, die Korrelationen zwi- schen den Netzwerkressourcen und -belastungen zu untersuchen sowie deren Zusammenhänge mit Kontextfaktoren der Eltern (z. B. Gesundheitszustand, Haushaltseinkommen, Bildungsniveau) zu analysieren. Für die Analyse von Veränderungen in den Netzwerkressourcen und -belastungen wurden neben Varianzanalysen mit Messwiederholung auch multiple lineare Regressionsana- lysen und T-Tests durchgeführt. Die Regressionsanalysen dienten der Analyse von Wirkfaktorenfaktoren auf die festgestellten Veränderungen. Mit den T- Tests wurde geprüft, inwiefern sich verschiedene Gruppen hinsichtlich der Veränderungen in den Netzwerkressourcen und -belastungen unterscheiden. Die Analyseverfahren werden in den jeweiligen Untersuchungsabschnitten genauer beschrieben und erklärt. Die Datenanalyse erfolgte mit der Statistik- Software SPSS. 3.3 Feldzugang und Sampling Multiperspektivische Wirkungsanalyse (MWA) Um Zugang zu den Familien des anvisierten MWA-Samples zu erhalten, wur- den in einem ersten Schritt die Anbieterorganisationen von SPF für die Studie akquiriert. Dies geschah mittels einer E-Mail-Anfrage bei Anbieterorganisatio- nen in der Deutschschweiz. Der Anfrage wurde sowohl ein Informationsschrei- ben als auch ein Kurzfragebogen beigelegt, der die Grunddaten und Angebote der jeweiligen Anbieterorganisation erfasste. Diese Anfrage wurde über zwei Kanäle gestreut: Erstens über das Sekretariat des Deutschschweizer Fachver- bands Sozialpädagogische Familienbegleitung Schweiz, das im Zeitraum von Mai bis Juni 2017 alle Mitgliederorganisationen (ca. 50) per E-Mail zur Mitwirkung aufrief. Das Untersuchungsvorhaben wurde an einem Mitgliedertreffen des Fachverbands im Juni 2017 ausführlich vorgestellt und Fragen dazu beantwor- tet. Zweitens wurde mittels Internet nach weiteren Anbieterorganisationen recherchiert. Die Recherche ergab 42 weitere, nicht verbandlich organisierte Anbieterorganisationen. Diese wurden ebenfalls per E-Mail (Infoschreiben und Kurzfragebogen) zur Mitwirkung an der Studie angefragt. Insgesamt sandten 41 38 Anbieterorganisationen den Kurzfragebogen zurück. Davon erklärten sich 28 bereit, bei einem oder beiden Teilen der Studie (MWA und/oder SNA) mitzu- wirken. Dies entspricht einem Rücklauf von 30,4 Prozent. Dreizehn Anbieter- organisationen verneinten eine Studienteilnahme – zumeist aus Gründen zeitli- cher Belastung. Auswahl der Anbieterorganisationen und Sampling In der qualitativen Sozialforschung zeichnet sich die Güte einer Stichprobe durch die inhaltliche Repräsentanz des Untersuchungsfeldes aus. Es wurde daher „eine heterogene, auf maximale Varianten ausgerichtete Strategie der Fallauswahl realisiert, [die] sich zur Beschreibung der Variabilität eines Phä- nomens“ eignet (Schreier 2010, S. 244). Ausgehend von der Fragestellung sowie „theoretischer Vorüberlegungen und anhand des Vorwissens über das Unter- suchungsfeld“ (Kelle/Kluge 2010, S. 50) wurden sodann die relevanten Merk- male für die Zusammenstellung der Stichprobe festgelegt, so dass die „theore- tisch bedeutsamen Merkmalskombinationen bei der Auswahl möglichst umfas- send berücksichtigt“ werden konnten (ebd., S. 55). Das Ziel war, den „Kern des Feldes in der Stichprobe gut [zu] vertreten“ (Merkens 2003, S. 100), um poten- zielle Einseitigkeiten, Zufälligkeiten und andere Verzerrungen zu vermeiden (vgl. Lamnek/Krell 2016, S. 182). Vor diesem Hintergrund wurden von den an der MWA-Teilnahme interes- sierten Anbieterorganisationen zunächst vier ausgewählt, die sich hinsichtlich Grösse/Fallaufkommen, Gründungsjahr, Organisationsstruktur und Standort/ Versorgungsgebiet unterschieden.10 Zusätzlich wurde darauf geachtet, dass mindestens eine Anbieterorganisation kein Mitglied des Fachverbands ist, um auch die nicht-verbandlich organisierten Anbieterorganisationen von SPF im 10 Lage/Versorgungsgebiet: Da Anbieterorganisationen aus allen Regionen der Deutschschweiz im Sample vertreten sein sollen, wurde je einer Anbieterorganisation aus der Nordwest- schweiz, aus der Ostschweiz, aus dem Raum Zürich sowie aus dem Süden der Schweiz aus- gewählt. Dabei wurde berücksichtigt, dass je zwei Anbieterorganisationen ihre Standorte in eher ländlichen resp. eher städtischen Regionen haben. Zudem wurde darauf geachtet, dass zwei Anbieterorganisationen ausschliesslich/überwiegend im ansässigen Kanton tätig sind, während zwei weitere Anbieterorganisationen in mehreren Kantonen Familien begleiten. Gründungsjahr: Im Sample sollten sowohl jüngere wie ältere Anbieterorganisationen ver- treten sein. Aus diesem Grund wurden zwei Anbieterorganisationen ausgewählt, die SPF seit mehr als 15 Jahren anbieten, wohingegen die beiden anderen Anbieterorganisationen seit etwas weniger als zehn Jahren SPF erbringen. Fallaufkommen: Auch hinsichtlich des Fallaufkommens unterscheiden sich die ausgewähl- ten Anbieterorganisationen stark. Im Sample befindet sich eine Anbieterorganisation, die weniger als 20 sowie eine Anbieterorganisation, welche mehrere hundert Familien pro Jahr begleitet. Die anderen Anbieterorganisationen bearbeiten ein mittleres Fallaufkommen von etwa 40 bis 60 Familien pro Jahr. 39 Sample berücksichtigen zu können. Aufgrund der zögerlichen Familienakquise bei einer Anbieterorganisation etwa sechs Monate nach Projektstart wurde zusätzlich eine fünfte Anbieterorganisation rekrutiert. Zur Erhöhung des Kon- trastes wurde ein Anbieter ausgewählt, der sich bezüglich der Merkmale ‚Orga- nisationsstruktur‘ und ‚Standort/Versorgungsgebiet‘ von den anderen deutlich unterschied. Auswahl teilnehmende Familien im Rahmen der MWA Auch bei der Auswahl der Familien wurde eine gewisse Varianz angestrebt, um damit ein möglichst breites Spektrum an Problem- und Bedarfslagen sowie Familienkonstellationen zu erfassen. Vorab wurde eine heterogene Stichprobe skizziert (und mit den an der Studie teilnehmenden Anbieterorganisationen diskutiert), die das Untersuchungsfeld maximal kontrastierend abbilden sollte (z. B. einfach/mehrfach belastete Familien mit den unterschiedlichen Proble- men und Ressourcen, Familien mit kürzerer/längerer Begleitdauer – jedoch mindestens vier Monate, um sicherzustellen, dass die Intervention mit Blick auf die Zielsetzungen und Praxen bereits konsolidiert war, Familien mit/ohne Migrationshintergrund, Einelternfamilien, Familien mit vereinbarter/angeord- neter SPF etc.). Um die Fragestellungen nach dem Einbezug und dem Erleben der Kinder im Rahmen der SPF beantworten zu können, sollte in den ausge- wählten Familien zudem mindestens ein Kind zwischen sechs und zwölf Jahre alt sein. Auf dieser Grundlage sollten pro teilnehmender Anbieterorganisation jeweils vier Familien ausgewählt werden. Die Auswahl selbst lag bei der jeweili- gen Anbieterorganisation. Letztlich konnten zwei Anbieterorganisationen die geforderten vier Familien für eine Projektteilnahme akquirieren. Zwei Anbie- terorganisationen konnten jeweils drei Familien und eine Anbieterorganisation konnte zwei Familien für das Projekt rekrutieren. Soziale Netzwerkanalyse (SNA) Im Gegensatz zur MWA gab es bei der SNA keine besonderen Kriterien hin- sichtlich der Berücksichtigung von Anbieterorganisationen. Das Ziel war viel- mehr, so viele Anbieterorganisationen wie möglich aus der Deutschschweiz zu akquirieren. Dementsprechend wurden alle 18 Organisation einbezogen, wel- che sich für die Mitwirkung an der SNA interessierten. Für das Sampling bzgl. der Familien wurden die Anbieterorganisationen gebeten, so viele Eltern wie möglich für die Teilnahme an der SNA zu gewinnen. Das einzige Auswahlkrite- rium dabei war, dass es sich um Familien handelt, bei denen die SPF neu auf- gegleist wurde, um die Netzwerkressourcen und -belastungen zu Beginn der SPF und zu zwei weiteren Messzeitpunkten analysieren zu können. Weitere Kriterien der Fallauswahl wurden den Fachpersonen für das Sampling nicht 40 vorgegeben. Um überprüfen zu können, ob die so generierte Stichprobe einen Anspruch auf Repräsentativität erheben kann, wurden in den Anbieterorgani- sationen auch Informationen zu den Familien erhoben, welche nicht an der Studie teilnahmen. Diese ermöglichten einen statistischen Abgleich der Stich- probe mit den Familien, die nicht an der Studie teilgenommen haben. Die Er- gebnisse dieses Abgleichs können dabei helfen, Ergebnisse der SNA besser ein- zuordnen. 41 4 Multiperspektivische Wirkungsanalyse Im Zentrum dieses Kapitels stehen detaillierte Ausführungen zu den mehrper- spektivischen Analysen und Ergebnissen des qualitativen Forschungsteils (MWA). Dieses Kapitel beginnt mit anonymisierten Kurzbeschreibungen der beteiligten Familien und deren Ausgangssituation für die SPF. Anschliessend werden die institutionellen Kontextbedingungen von SPF und fallbezogenen Herausforderungen des MWA-Samples aufgezeigt. Im Rahmen einer Doku- mentenanalyse werden dafür die Konzepte und Programmatiken der Anbieter- organisationen des Samples vorgestellt und verglichen. Anhand der Dossier- analyse wird darauffolgend untersucht, wie sich die Familie als „Fall“ bezüglich Ausgangsbedingungen, Interventionspraxis und Wirkungen in den Fallakten reflektiert. Ein zweiter Schwerpunkt der Analysen in diesem Kapitel konzentriert sich auf die Strukturen und Merkmale der SPF-Praxis. Anhand der Ergebnisse aus den ethnografischen Beobachtungen von Hausbesuchen wird gezeigt, wie Pro- fessionelle ihre Interventionen gestalten und inwieweit die konkrete Zusam- menarbeit mit den Familien(-mitgliedern) gelingt. Ein dritter Schwerpunkt der Analysen fokussiert auf das Erleben der SPF- Praxis und ihrer Wirksamkeit. Auf der Basis von Interviewdaten werden dazu die Einschätzungen der beteiligten Fachpersonen, Kinder und Eltern analysiert. Abschliessend folgt der Versuch, die separat erhobenen und untersuchten Per- spektiven zu Vorgehen und wahrgenommenen Wirkungen der SPF im Sinne der Multiperspektivität zu einem aussagekräftigen Bild der Fallbearbeitung zu verdichten. 4.1 Kurzbeschreibung der teilnehmenden Familien Die nachstehende Übersicht ist folgendermassen geordnet: Erstens erfolgt die Vorstellung der (pseudonymisierten) Familien entlang der beteiligten Anbie- terorganisationen, denen entsprechend der zeitlichen Abfolge der Zusage Nummern zugeteilt wurden. Zweitens sind die Familienbeschreibungen unter den einzelnen Anbieterorganisationen chronologisch geordnet, d. h. die Fami- lie, die sich über die jeweilige Anbieterorganisation als erste für die Mitwirkung an der Studie gemeldet hat, wird jeweils auch als erste vorgestellt. Die Kurz- beschreibungen der Familien basieren primär auf den Angaben aus den Fall- 42 dossiers. Vereinzelt stützen sie sich aber auch auf Informationen aus den Inter- views oder Kontextinformationen seitens der fallführenden Fachpersonen. Anbieterorganisation 1 (A1) Familie Isbaner/Bachmann Die Eltern sind getrennt und Simona (12 J.) lebt bei der Mutter, bei der die SPF im Januar 2014 durch ein Psychiatriezentrum im Anschluss an einen stationä- ren Aufenthalt der Mutter aufgegleist wird. Anlässlich einer Gefährdungsmel- dung durch A1 wird Simona im Sommer 2015 auf eigenen Wunsch zu ihrer Grossmutter, Frau Bachmann, platziert, bei der die SPF weitergeführt wird. Auftragsziele: Unterstützung/Förderung der Mutter (Erziehungskompeten- zen; Zusammenarbeit mit der Schule; Depression, Alkoholkrankheit); Herstel- lung von Alltagsstruktur; Unterstützung/Förderung des Kindes bei der Hausaufgabensituation. (Datenerhebung: Feb. bis April 2018) Familie Erismann Parallel zu einer Kindeswohlabklärung wird im Okt. 2017 mit der angeordneten SPF bei Frau Erismann begonnen. Die Eltern haben sich zu diesem Zeitpunkt gerade erst getrennt. Im November 2017 wird der Mutter die Obhut entzogen, und die beiden Söhne, Jaron (6 J.) und Jonas (4 J.), werden vorübergehend zum Vater platziert. Nach der Rückplatzierung der Kinder zur Mutter im Januar 2018 wird die SPF bei Frau Erismann wieder aufgenommen. Auftragsziele: Stabilisierung der familiären Situation (aufgrund der Tren- nung der Eltern, häuslicher Gewalt, Alkoholkrankheit der Mutter und deren Therapieabbruch); Unterstützung und Stärkung der Mutter in Erziehungs- bemühungen; Rückplatzierung der Kinder vom Vater zur Mutter; Zusammen- arbeit mit weiteren Fachstellen. (Datenerhebung: Okt./Nov. 2018) Familie Zumsteg Die SPF (Start April 2018) bei Familie Zumsteg ist vereinbart und wird durch die Kinderpsychologin des Sohnes aufgegleist. Zu diesem Zeitpunkt lebt die Familie – Frau und Herr Zumsteg, Jerome (10 J.) und Selina (5 J.) – noch zu- sammen. Die Eltern haben beide psychische Belastungen und es gibt viele Paar- konflikte inkl. Erziehungsunsicherheit und -uneinigkeit (auch aufgrund unter- schiedlicher kultureller Erziehungsvorstellungen). Wenige Wochen vor den Datenerhebungen zieht der Vater aus der Familienwohnung aus. Auftragsziele: Unterstützung/Förderung der Eltern (aufgrund psychischer Belastungen der Eltern; Paarkonflikte; Erziehungskompetenzen); Integration in die Gesellschaft; Stabilisierung der familiären Situation aufgrund der Trennung. (Datenerhebung: Sept. 2018) 43 Familie Grigic Die SPF bei Familie Grigic (Start März 2018) erfolgt auf Anordnung der KESB, die sie im Zusammenhang mit der Rückplatzierung von Luan (8 J.) nach einem ca. zweiwöchigen Aufenthalt in einer stationären Kinder- und Jugendhilfeein- richtung aufgegleist hat. Frau und Herr Grigic, Luan und auch der jüngere Sohn, Paul (5 J.), sind an der SPF beteiligt. Indikations-/Auftragsziel: Unterstützung der Familie nach der Rückplatzie- rung ihres Kindes aus einem Heim. (Datenerhebung: Nov./Dez. 2018) Anbieterorganisation 2 (A2) Familie Binotti Frau Binotti, die Mutter von Carlo (9 J.) und Ben (8 J.) sowie Ehefrau von Herrn Binotti, verstirbt im Mai 2014 infolge einer Krankheit. Im Oktober 2014 erstattet die Kita eine Gefährdungsmeldung bei der KESB, die daraufhin ein Kindesschutzverfahren eröffnet und schliesslich entscheidet, dass Herr Binotti an einer Abklärung mit anschliessender SPF durch A2 teilnehmen muss. Die SPF wird im Dezember 2014 aufgenommen. Auftragsziele: Unterstützung/Förderung des Vaters (Erziehungskompeten- zen); Stabilisierung der familiären Situation. (Datenerhebung: Dez. 2017) Familie Gehrig/Blaser Die SPF bei Familie Gehrig/Blaser (Start April 2017) wird durch die zuständige Erziehungsbeiständin in die Wege geleitet. Die Eltern, Herr Gehrig (ehem. Substanzabhängigkeit) und Frau Blaser (Depression), sind geschieden, leben aber mit ihrem Sohn, Tobias (10 J.), in einer gemeinsamen Wohnung. Auftragsziele: Stabilisierung des Familiensystems durch Anleitung in Erzie- hungsfragen; Unterstützung/Förderung der Mutter aufgrund der instabilen Gesundheitssituation; Unterstützung/Förderung des Kindes aufgrund seines herausfordernden Verhaltens. (Datenerhebung: Feb. 2018) Anbieterorganisation 3 (A3) Familie Ortega Die zuständige Erziehungsbeiständin initiiert die SPF bei Familie Ortega, die im Dezember 2014 begonnen wird. Zu diesem Zeitpunkt sind die Eltern gerichtlich getrennt und die Kinder, Hugo (10 J.) sowie Hernan (9 J.), leben bei der Mutter, bei der die SPF stattfindet. Indikations-/Auftragsziele: physische/psychische Gewalt (Vater gegenüber der Familie); Stabilisierung der familiären Situation; Integration in die Gesell- 44 schaft; Sicherstellung der materiellen Vorsorge. (Datenerhebung: Nov./Dez. 2017) Familie Moser Die SPF bei Familie Moser wird von der zuständigen Erziehungsbeiständin aufgegleist und im Nov. 2016 aufgenommen. Die Kinder, Marco (6 J.) und Laura (4 J.), leben zusammen mit ihren Eltern in einer Wohnung. Auftragsziele: Unterstützung/Förderung der Eltern (Erziehungskompeten- zen; Überforderung der Eltern aufgrund der Depression der Mutter; kognitive Schwäche des Vaters); Herstellen und Erarbeitung einer kindergerechten All- tagsgestaltung und Unterstützung im Umgang mit den Kindern; Schaffung von klaren und altersadäquaten Rahmenbedingungen für die Kinder sowie Thema- tisierung der Hygiene im Haushalt und der Körperhygiene sowohl bei den Kin- dern als auch den Eltern. (Datenerhebung: Dez. 2017/Jan. 2018) Familie Rohner-Hamidi Familie Rohner-Hamidi wird im Juni 2016 von der zuständigen Erziehungs- beiständin bei A3 angemeldet. Die Eltern sind zu diesem Zeitpunkt getrennt. Der Vater ist pensioniert und lebt oft im Ausland. Die beiden Kinder, Anton (10 J.) und Sonja (5 J.), leben bei der Mutter, bei der die SPF durchgeführt wird. Im Sommer 2017 kommt es zu einer familiären Krise, die zu einer vorüberge- henden Platzierung von Anton in einer stationären Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe führt. Ab Dezember 2017 wird die SPF bei Frau Rohner-Ha- midi unter neuer Zuständigkeit weitergeführt. Indikations-/Auftragsziele: Erziehungsschwierigkeiten bzw. Überforde- rungssituation der alleinerziehenden Mutter; Rückplatzierung eines ihrer Kin- der aus einem Heim; Unterstützung/Förderung der Mutter bei administrativen und Erziehungsaufgaben; Unterstützung/Förderung der Kinder (Sonja wg. defizitären Spracherwerbskompetenzen). (Datenerhebung: Juni/Juli 2018) Anbieterorganisation 4 (A4) Familie Garcia Die SPF bei Familie Garcia wird durch die zuständige Erziehungsbeiständin aufgegleist und im Juni 2016 aufgenommen. Zu diesem Zeitpunkt sind die El- tern bereits geschieden und der Sohn, Pedro (12 J.), lebt bei der Mutter, bei der die SPF sattfindet. Zunächst sollte mit beiden Eltern gearbeitet werden, doch da die Termine mit dem Vater nicht zustande kamen und im Aufenthalt beim Vater eine „Gefährdung“ für den Sohn vermutet wurde (Alkohol), ordnet die KESB 2017 begleitete Besuche beim Vater an. 45 Auftragsziele: Unterstützung/Förderung der Eltern (Erziehungskompeten- zen, Betreuung während den Abwesenheiten der Eltern, Anleitung zum (Me- dien-)Konsumverhalten des Sohnes; Alkoholkrankheit des Vaters); Unterstüt- zung und Aufbau einer alters- und kindgerechten Freizeitgestaltung. (Datener- hebung: Jan. bis März 2018) Familie Baan Familie Baan wird im August 2017 durch den zuständigen Erziehungsbeistand bei A4 angemeldet. Die Eltern sind getrennt und die beiden Söhne, Huy (7 J.) und Arun (5 J.), leben bei der Mutter, bei der noch im selben Monat mit der SPF begonnen wird. Indikations-/Auftragsziele: Abklärung der Situation in der Familie (auf- grund von Erziehungsschwierigkeiten, Überforderung der Mutter, Gewalt- handlungen der Mutter gegenüber den Kindern); Integration in die Gesell- schaft; Beruhigung und Stabilisierung der familiären Situation, damit die Kin- der bei der Mutter bleiben können (Verhinderung einer Fremdplatzierung); Unterstützung/Förderung der Mutter in Erziehungsthemen; Zusammenarbeit mit der Schule. (Datenerhebung: Jan./Feb. 2018) Familie Ziegler Familie Ziegler wird im August 2017 durch den zuständigen Erziehungsbei- stand bei A4 angemeldet, mit der SPF wird aber erst im Februar 2018 begon- nen. Die Eltern sind zu diesem Zeitpunkt getrennt, teilen sich aber die Obhut über die beiden Kinder, Fabio (10 J.) und Amelia (5 J.). Sowohl bei der Mutter als auch teilweise beim Vater finden Hausbesuche statt, die Begleitintensität bei der Mutter ist jedoch höher. Auftragsziele: Unterstützung/Förderung der Eltern (Trennung der Paar- konflikte von Erziehungsfragen; Erziehungskompetenzen); Abklärung der Situ- ation in der Familie in Bezug auf die gegenseitigen Vorwürfe der Eltern, dass der jeweils andere Elternteil nicht recht auf die Kinder achte. (Datenerhebung: Mai 2018). Familie Ronchi Die SPF bei Familie Ronchi wird durch die zuständige Erziehungsbeiständin in die Wege geleitet und im Juli 2017 aufgenommen. Die Eltern sind getrennt, der Vater lebt in Italien und die beiden gemeinsamen Söhne, Marco (13 J.) und Massimo (8 J.), leben in der Schweiz bei ihrer Mutter, bei der die SPF stattfin- det. In der Familie Ronchi gibt es noch zwei erwachsene Söhne, die aber nicht mehr bei Frau Ronchi wohnen. 46 Auftragsziele: Unterstützung/Förderung der Mutter (Erziehungskompeten- zen, Struktur und Regeln festlegen, umsetzen, einfordern); Zusammenarbeit mit der Schule. (Datenerhebung: Mai/Juli 2018) Anbieterorganisation 5 (A5) Familie Huber Nach der Scheidung der Eltern werden die gemeinsamen Kinder, Elias (14 J.) und Vanessa (11 J.), unter die Obhut und elterliche Sorge der Mutter gestellt. Im Herbst 2014 werden die Kinder von der KESB fürsorgerisch in einer statio- nären Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung untergebracht. Im Sommer 2015 erfolgt die Rückplatzierung der Kinder zur Mutter. Kurz darauf wird Elias pro- beweise zu seinem Vater platziert, während Vanessa bei der Mutter bleibt. Da auch der Vater SPF in Anspruch nehmen muss (Auflage der KESB), findet sowohl eine SPF bei der Mutter und Vanessa als auch eine SPF beim Vater und Elias statt. Im Januar 2016 wird auch Vanessa zum Vater platziert, so dass die SPF bei der Mutter aufgehoben wird. Die SPF beim Vater wird hingegen wei- tergeführt. Dort wird auch die Stiefmutter – Herr Huber hat zwischenzeitlich wieder geheiratet – in das Interventionsgeschehen eingebunden. Auftragsziele: Rückplatzierung der beiden Kinder aus einem Heim; Organi- sation und Struktur des Alltags (Betreuungs- und Erziehungsaufgaben, klare Regeln); Sichern des Wohlbefindens der Kinder: körperliche Sicherheit und psychische Stabilität; Erziehungskompetenz; sichern der schulischen Anforde- rungen. (Datenerhebung: Mai 2018) Familie Almeida Durch den zuständigen Erziehungsbeistand eingeleitet, wird im November 2017 mit der SPF bei Familie Almeida gestartet. Die Eltern sind getrennt und die gemeinsamen Kinder, Adrian (12 J.), Lara (8 J.) und Elino (4 J.), leben bei der Mutter, bei der die Hausbesuche stattfinden. Auftragsziele: Unterstützung/Förderung des älteren Sohnes in der Schule (Pünktlichkeit, Hausaufgaben, Deutschlernen) sowie der Aufbau sinnvoller Freizeit- und Wochenendprogramme; Unterstützung/Förderung der Mutter (Erziehungskompetenzen, Führen der Kinder bezüglich Grenzen setzen, Kon- sequenzen, Regeln; Sicherung der Tagesstruktur); Verbesserung der Zusam- menarbeit mit der Schule. (Datenerhebung: Juni/Juli 2018) Familie Rieder Die SPF bei Familie Rieder wird im Jahr 2013 als vereinbarte Begleitung aufge- nommen. Nach dem Umzug der Familie von der Stadt aufs Land im Jahr 2017 wird die SPF aufgehoben. Infolge von Suizidäusserungen der Mutter wird die 47 Familie im Frühjahr 2018 durch den zuständigen Dienst erneut der Anbieter- organisation zugewiesen. Frau Rieder hat eine psych. Erkrankung, ist alleiner- ziehend und hat drei Kinder, die drei verschiedene Väter haben, zu denen kein Kontakt besteht. Die SPF bei Familie Rieder richtet sich an die Mutter und den jüngsten Sohn, Etienne (8 J.). Die älteren Kinder (eine volljährige Tochter und ein bald volljähriger Sohn; suchtmittelabhängig, delinquent) werden von der SPF nicht (mehr) adressiert. Auftragsziele: Unterstützung/Förderung der Mutter (Erziehungskompeten- zen, Förderung der Mutter-Kind-Bindung zu Etienne). (Datenerhebung: Juni bis Aug. 2018) Zusammenfassung Die 16 Familien des MWA-Samples (überwiegend alleinerziehende Elternteile) haben insgesamt 30 minderjährige Kinder (23 männlichen, sieben weiblichen Geschlechts), wobei die Mehrheit der Familien zwei Kinder aufweist (drei Fa- milien haben je ein Kind/eine Familie hat drei Kinder). Zum Zeitpunkt der Erhebung schwankt die Begleitdauer zwischen vier Monaten und sechs Jahren: Je ein Drittel der Familien wird seit weniger als einem Jahr, seit einem bis drei Jahren oder seit mehr als drei Jahre begleitet. Hinsichtlich den Zugangswegen fällt über alle Familien hinweg auf, dass die SPF häufig durch eine/n Erzie- hungsbeiständin/Erziehungsbeistand (neun Familien) initiiert oder durch die KESB (vier Familien) angeordnet wurde, zumeist (neben anderen) mit dem primären Handlungsauftrag der Unterstützung und Förderung der elterlichen Erziehungskompetenzen. 4.2 Dokumentenanalyse – Selbstbeschreibungen der Anbieterorganisationen In diesem Abschnitt werden die Merkmale der für die multiperspektivische Wirkungsanalyse (MWA) ausgewählten Anbieterorganisationen A1–A5 hin- sichtlich ihrer Gemeinsamkeiten und Unterschiede beschrieben. Dies vor dem Hintergrund, dass sowohl die Kontextbedingungen der ausgewählten Anbieter- organisationen wie auch deren konzeptionelle Ausrichtungen und Spezialisie- rung möglicherweise deren Wirkungen beeinflussen können. Da der Erzie- hungsprozess zwischen (sozial-)pädagogischer Fachperson und Kind sich in einmaligen und eigentümlichen Beziehungsstrukturen entwickelt (vgl. Luh- mann/Schorr 1979), finden sich in den Institutionen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe für gewöhnlich ebenfalls kaum eindeutige Konditio- nalprogramme (im Sinne von: immer wenn x, dann y). Stattdessen werden le- 48 diglich fachliche Leitorientierungen beschrieben (vgl. etwa die einschlägigen Darstellungen auf der Homepage des Fachverbands Sozialpädagogische Fami- lienbegleitung Schweiz), „also ‚Zwecke‘, zu deren Realisierung die Akteure der Jugendhilfe entsprechend den jeweiligen Konstellationen unterschiedliche Handlungsweisen entwickeln können“ (Merchel 1996, S. 214). Sofern in der Schweiz kein einheitliches nationales Kinder- und Jugendhilfegesetz besteht, das die Ziele, Rahmenbedingungen und Verfahren sozialpädagogischer Pro- zesse schweizweit verbindlich kodifiziert, bleibt die praktische Ausgestaltung sozialpädagogischer Erziehungsprozesse den Leistungsträgern und Professio- nellen weitestgehend selbst überlassen. Vor diesem Hintergrund wurden von jeder Anbieterorganisation die ver- fügbaren Dokumente eingeholt, wie bspw. Leitbild, Beschreibung der Leis- tungsbereiche und Personalausstattung, Organigramm, Prozessbeschriebe u. ä. m. Bei diesen Dokumenten handelt es sich zum überwiegenden Teil um Aus- sendarstellungen, mit denen sich die einzelnen Anbieterorganisationen für Nutzende präsentieren, etwa in Form von Broschüren und öffentlich zugängli- cher Webseiten, die über Zweck, Angebote und Voraussetzungen der Inan- spruchnahme des jeweiligen Leistungsangebots Auskunft geben. Diese Doku- mente wurden um weitere Quellen für den internen Gebrauch ergänzt, die uns von den Anbieterorganisationen zur Verfügung gestellt wurden (bspw. Pro- zessbeschriebe, Berichtsformulare, Diagnose- und Arbeitsinstrumente, Formu- lare zur Evaluation und/oder Jahresberichte u. ä. m). In die Untersuchung ein- bezogen wurden ferner die Protokolle von Erstkontaktgesprächen zwischen Projektteam und den Mitgliedern der jeweiligen Anbieterorganisation. Die nachfolgende Ergebnisdarstellung stellt eine stark komprimierte Zusammenfas- sung der einzelnen Auswertungsschritte dieses Untersuchungsabschnitts dar.11 11 Der analytische Anspruch dieses Untersuchungsabschnitts ist aus mehreren Gründen eher zurückhaltend formuliert: Zum einen geben Dokumente (insbesondere Aussendarstellun- gen) nur bedingt Aufschluss über empirische Realitäten; zum anderen ist bekannt, dass Anbieterorganisationen Auftrag und Vorgehen entlang sehr heterogener Arbeitsprinzipien realisieren (vgl. Domenico/Metzger 2018); zu alldem besteht schliesslich keine Gewähr, dass uns von allen Anbieterorganisationen des MWA-Samples tatsächlich alle relevanten Dokumente zur Verfügung gestellt wurden. 49 4.2.1 Profile der Anbieterorganisationen Anbieterorganisation 1 (A1) Datengrundlage: Protokoll Erstkontakt; diverse Formulare (9); Prozessbeschriebe (4); Konzepte (3) sowie eine interne Statistik (2014/2016); für die Aussendarstel- lung: Homepage und Flyer. Anbieterorganisation 1 ist eingebettet in das Angebot eines kantonalen so- zialmedizinischen Zentrums, das unter anderem darauf zielt, den Schutz von im Kanton wohnhaften Kindern sicherzustellen. A1 ist tätig seit 2001 (mit einer Neubewilligung in 2013). Ihr Leistungsauftrag entspricht den gängigen Zielvor- stellungen von SPF, also durch „intensive Betreuung und Begleitung“ Kinder, Jugendliche und deren Familien „bei der Bewältigung […] von persönlichen, familiären, sozialen, schulischen oder beruflichen Schwierigkeiten [zu] unter- stützen“ und auf diesem Wege eine „institutionelle Platzierung zu vermeiden, verzögern oder zu kürzen“. Neben der Förderung der elterlichen Erziehungs- kompetenz ist intendiert, das Kind hinsichtlich „seiner familiären, schulischen, beruflichen und sozialen Integration zu fördern und gleichzeitig die Entwick- lung zur Selbständigkeit zu unterstützen“. Darüber hinaus wird bezweckt, den „familiären und familienexternen Kontext des Kindes zu mobilisieren“. Zum Leistungsangebot A1 zählen neben den sozialpädagogischen Familien- begleitungen auch Begleitungen junger Erwachsener zwischen 18 und 20 Jah- ren. Beschäftigt sind insgesamt fünf Fachpersonen mit insgesamt 270 Stellen- prozenten, einschliesslich 40 Stellenprozenten für die Leitung und Koordina- tion. Die Mitarbeitenden verfügen gemäss Angebotsbeschreibung über „eine abgeschlossene Fachausbildung in Sozialer Arbeit oder einem verwandten Be- ruf“. Laut interner Statistik werden durchschnittlich 45 Fälle pro Jahr bearbeitet (bei einem geringen Anteil „Begleitung junger Erwachsener“), wobei ca. 80 Prozent der zwischen 2014 und 2016 beendeten SPF mit einer verhältnismässig langen Dauer (zumeist länger als 24 Monate) plangemäss abgeschlossen wur- den. In rund der Hälfte der Fälle waren Einelternfamilien vertreten, im Ver- gleich zu den Vorjahren zudem häufiger Familien mit Migrationshintergrund. Unter den familiären Belastungsfaktoren ragen neben anderen Problemkon- stellationen insbes. „psychische Probleme der Eltern“, „Migrationsfragen“ und „Sozialhilfe“ hervor. Häufigste Meldegründe waren hingegen „Erziehungs- schwierigkeiten“, „schulische bzw. Ausbildungsprobleme“ und „mangelnde Tages- bzw. Alltagsstruktur“. Gemäss Grundkonzept betrachtet sich A1 als eine „intensive, zeitlich be- grenzte, umfassende Erziehungs- und Familienunterstützung“, die Familien „bei der Bewältigung von Alltagsproblemen und bei der Lösung von Konflikten und Krisen“ unterstützt. Die Interventionen zielen darauf ab, gemeinsam mit 50 den Eltern die Bedingungen für eine „angemessene Entwicklung“ der Kinder zu schaffen sowie deren Lebensqualität zu verbessern, was durch die „Optimie- rung der familiären Ressourcen“ sowie der Erweiterung diesbezüglicher Kom- petenzen erreicht werden soll. Handlungsleitend ist das Empowerment-Prinzip einschliesslich der ihm zugehörigen Arbeitsprinzipien (Partizipation, Modell- lernen und Schaffung von Arbeitsbeziehungen) sowie eine systemische und lebensweltorientierte Ausrichtung im praktischen Vorgehen. Methodisch wer- den ein bis drei Monate für die Einstiegsphase, 12 bis 18 Monate für die Haupt- sowie drei weitere Monate für die Abschlussphase eingeplant. Anbieterorganisation 2 (A2) Datengrundlage: Protokoll Erstkontakt; Konzept, Leitbild; Jahresbericht (2017); Prozessbeschrieb (differenziert nach Phasen); Leitfäden (6) mit differenzierten Hinweisen zum Vorgehen in den einzelnen Arbeitsphasen; Prozessbeurteilungs- formulare (4) aus Sicht der Beteiligten und follow-up; „Handbuch Qualitätsma- nagement“ (4 Seiten, eher eine Checkliste mit Querverweisen auf die entspre- chenden Hilfsmittel); zur Aussendarstellung: Homepage, Organigramm. Die Anbieterorganisation A2 hat einen Trägerverein, der das Vereinskapital zur Verfügung stellt. Gemäss der „Interkantonalen Vereinbarung für soziale Einrichtungen (IVSE)“ verfügt er über eine Betriebsbewilligung (stationärer Bereich und Tagesstätte). Vereinszweck ist die „Einrichtung und Führung von abstinenzorientierten Institutionen für Frauen“. Die Zielgruppe von A2 umfasst vorwiegend Frauen und (wenn vorhanden) deren Familien primär im Kontext von Sucht und/oder psychischer Erkrankung, denen neben stationären auch ambulante Angebote in Form von Einzel- und Familienarbeit vorgehalten wer- den. Diese werden bei Bedarf vernetzt bzw. kombiniert angeboten, etwa SPF in Kombination mit der Tagesstätte (Ateliers). Nach dem Organigramm ist die Geschäftsleitung eng mit externen Diensten (Psychiatrie, Kinderpsychologie, Therapie, Fachkräfte, Weiteren Diensten) vernetzt, wobei nicht ersichtlich ist, inwieweit dies in den SPF-Bereich einfliesst. Arbeitsgrundlage für die stationären und ambulanten Dienste von A2 ist ein Abklärungs- (4–6 Wochen), Haupt- (6 Monate) und Schlussmodul (3 Monate). Von insgesamt 35 Mitarbeiterinnen im Umfang von 22 Vollzeitstellen waren im Jahr 2018 drei Mitarbeiterinnen der SPF zugeteilt, eine weitere Mitarbeiterin war für das Begleitete Wohnen zuständig. Für SPF in Kombination mit „Be- gleitetes Wohnen“ standen im Jahr 2017 zwölf Plätze mit einer Auslastung von 105 Prozent zur Verfügung. Statistische Daten zur Zusammensetzung der Klientel, der Begleitung und/oder der zuweisenden Stelle liegen nicht vor. Die Qualifikationen der Mitarbeiterinnen umfassen gemäss vorliegenden Doku- menten Familienbegleitung, Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Pflegefachfrau und Psychologie mit „Interventionskompetenzen“, die auf „sucht- und frauenspezi- 51 fisches Wissen und Handeln“ abstellen. Ihre Methodik stützt sich auf die „kompetenz- und risikoorientierte Arbeit mit Familien“ (KOFA). Laut Leitbild hat A2 zum Ziel, „Frauen (mit und ohne Kinder), die sich aus unterschiedlichen Gründen in einer schwierigen Lage befinden […], zu befähi- gen, ihre Autonomie schrittweise zurückzugewinnen, einen eigenen Lebensstil zu finden und [im gegebenen Fall] ihre Kinder verlässlich zu betreuen“. Die Frauen sollen befähigt werden, ihren Alltag sowie ihre Lebensverhältnisse so zu gestalten, dass das eigene Wohlbefinden und ggfs. das aller anderen Familien- mitglieder gefestigt wird. Zudem sollen sie Bewältigungsstrategien im Umgang mit Sucht und/oder psychischer Erkrankung erlernen. Methodisch handlungsleitend für die SPF sind die aufsuchende und lebens- weltnahe Begleitung im Umfeld der Eltern, der Einbezug des gesamten Fami- liensystems, die vernetzte Zusammenarbeit mit externen Stellen sowie die Sicherung des Kindswohls in akuten Krisen- und Notfallsituationen (evtl. in Kombination mit der im Haus befindlichen Tagesstätte). Gemäss Spezialisie- rung verfügt A2 über zwei Zertifizierungen: „QuaTheDA“ („Qualität – Therapie – Drogen – Alkohol“, das ist die Qualitätsnorm des Bundesamtes für Gesund- heit (BAG) für Suchthilfe, Prävention und Gesundheitsförderung) sowie ISO 9001, die den Standard für das Qualitätsmanagement definiert. Die Bereichsleiterin ist zu Beginn des Hilfeprozesses für alle SPF-Anfragen zuständig (Koordination, Abklärungsgespräch, Bestimmung der Familien- begleiterin). Zur Gesamtdauer von SPF wird eine Zeitspanne von ein bis zwei Jahren angegeben, bei „strukturschwachen Familien“ entsprechend länger. Die Bereichsleiterin nimmt zudem nach drei, sechs und zwölf Monaten nach Ab- schluss der SPF Kontakt zur Familie auf, um die Nachhaltigkeit ihrer Wirkun- gen mittels Fragebogen zu evaluieren. Anbieterorganisation 3 (A3) Datengrundlage: Protokoll Erstkontakt; Informationsblätter für Eltern (9) und zuweisende Stellen (9); ein umfassendes Handlungskonzept (20 Seiten); zahlrei- che Arbeitsblätter (24) bezüglich Planung, Umsetzung und Dokumentation der Fallarbeit; Kostenschlüssel; für die Aussendarstellung: Homepage und Broschüre „Leistungsangebot“. Die Anbieterorganisation A3 ist an eine Stiftung angegliedert und unter- steht der kantonalen Stiftungsaufsicht. Ziel dieser Stiftung ist es, die ihr „an- vertrauten jungen Menschen und Familien zu befähigen, ihr Leben möglichst ohne fremde Unterstützung, selbstbestimmt und innerhalb anerkannter sozia- ler Normen zu gestalten“. Das SPF-Angebot untersteht (neben Krippe und familienergänzenden Tagesstrukturangeboten) dem Stiftungsrat. Entsprechend der Grösse sind dessen Angebotsstrukturen in Teams unterteilt. Krippe und 52 Tagesstruktur umfassen je zwei Teams, SPF hingegen sechs Teams mit je sechs bis acht Fachpersonen. Im Jahr 2016 gab es 204 Anmeldungen für SPF, die sich nach vorliegenden Dokumenten nur teilweise den zuweisenden Stellen zuordnen lassen (25% Kin- der- und Jugendhilfezentren, 15% Jugendanwaltschaft). Neben der mittel- bis langfristig flexibel einsetzbaren „Standardversion“ SPF werden zu geringeren Anteilen auch Besuchsbegleitung, KOFA-Abklärung und Begleitung von Ju- gendlichen angeboten. Nur marginal werden die Interventionsmodelle „KOFA- 6 Monate“ und „KOFA-6 Wochen“ sowie das Rückplatzierungsangebot in Anspruch genommen. SPF richtet sich an „Familien, welche aus verschiedenen Gründen aus dem Gleichgewicht geraten sind“, namentlich infolge klassischer Problemfelder wie Erziehungsschwierigkeiten, Schulschwierigkeiten, Überfor- derung bei der Alltagsbewältigung, Belastungen im Zusammenhang mit Tren- nung oder Scheidung der Eltern u. ä. m. Für Eltern und Kinder mit nichtdeut- scher Muttersprache bzw. geringfügigen Deutschkenntnissen hält A3 seine SPF-Angebote in 20 verschiedenen Sprachen bereit. Methodisch handlungslei- tend ist das entwicklungs- und lerntheoretisch begründete Konzept der „Kom- petenz- und Risikoorientierung“ (KOFA), also die Unterstützung von kogniti- ven, sozialen, emotionalen und motorischen Ressourcen. A3 greift darüber hinaus auf klassische fachliche Prinzipien und Konzepte zurück (Partizipation, Empowerment, Ressourcen- und Lebensweltorientierung etc.). Unter spezifi- schen Arbeitstechniken fungieren u. a. Modell-Lernen, Optimieren der Alltags- struktur, Integration in der Umgebung sowie die Analyse und Aktivierung des Netzwerkes. Auch hier durchläuft SPF ein spezifisches Phasenmodell (Vor-, Informa- tions-, Veränderungs- und Abschlussphase), wobei die unterschiedlichen Pha- sen hinsichtlich Umfang und Intensität variieren.12 Zum Zweck der Qualitäts- sicherung werden monatlich alternierend Fallsupervisionen und Intervisionen durchgeführt, darüber hinaus viermal jährlich interne Weiterbildungen und Methodenworkshops (verpflichtend). Anbieterorganisation 4 (A4) Datengrundlage: Protokoll Erstkontakt; Formblätter bzw. Checklisten und Abklä- rungsbögen (8); Konzept-/Prozessbeschriebe (3); für die Aussendarstellung: Ho- mepage, Infoblatt, Kurzporträt. 12 Nähere Angaben zu Umfang und Intensität der unterschiedlichen Phasen macht A3 in seinem Konzept lediglich zur Informationsphase: Diese umfasst in der Regel fünf bis sieben Hausbesuche. 53 Die Anbieterorganisation A4 hat sich in Form einer Aktiengesellschaft seit 2003 etabliert. SPF wird in den Varianten „SPF Klassisch, Doppel oder Einzel“ durchgeführt, wobei „Klassisch“ sich primär auf die Eltern(-teile) konzentriert, „Doppel“ auf die parallele Begleitung von Eltern(-teil) und Kind und „Einzel“ auf Elternteile oder Jugendliche in akuten Übergangs- oder Krisensituationen. Überdies bezeichnet „Platzierung vor Ort“ eine intensive Betreuung von Fami- lien in akuten Krisen zuhause. Diese Angebote zielen darauf, dass Kinder und Jugendliche „die für ihre Entwicklung nötige Geborgenheit und Förderung erhalten“ und die Eltern „in ihrer Rolle gestärkt werden und ihre Kompetenzen erweitern“. A4 offeriert überdies Beratungen und Begleitungen in den Pro- blemfeldern Jugend, Mutter/Kind- sowie Sorgerechtskonflikte bis hin zu Pro- blemen mit Alkohol, Verwahrlosung und Integration. Dabei übernimmt A4 auch Mandate im Auftrag von Behörden und Gerichten. Für die drei Ange- botsbereiche „Beratung“, „Begleitung“ und „Mandate“ besteht je eine Fachlei- tung. Zum Zeitpunkt der Erhebung waren 15 Fachpersonen auf Ausführungs- ebene angestellt, zwölf davon weiblich. Über die Inanspruchnahme der jeweili- gen Angebote liegen keine weiteren Angaben vor. Die Ausrichtung am systemisch-lösungsorientierten Ansatz im Leistungs- angebot von A4 gibt sich u. a. am Rückgriff auf die Technik der Wunderfrage (vgl. de Shazer/Dolan 2020) oder an der „zieldienliche[n] Zusammenarbeit mit weiteren Beteiligten“ zu erkennen, ferner an der Orientierung an der „Systemi- schen Interaktionstherapie (SIT)“ als Indikatoren für deren Ausrichtung an systemischen Grundsätzen sozialpädagogischer Interventionen. A4 reflektiert das fachliche Vorgehen im Rahmen von „Fallbesprechungen, Supervision und Intervision“ und orientiert seine Weiterqualifizierung an der Norm ISO 9001. Handlungspraktisch ist das Vorgehen wiederum phasentypisch organisiert: Einstiegsphase (1–3 Monate), Hauptarbeitsphase (4–12 Monate) und Schluss- phase (ohne Zeitangabe). Für SPF und Begleitungen von Einzelpersonen wird ein „Begleitplan“ erstellt, der Auftrag sowie kurz- und längerfristige Ziele der jeweiligen Intervention definiert und im Zuge des Hilfeprozesses laufend ange- passt wird. Darüber hinaus sind verschiedene Check- und Merklisten abrufbar. Über Fallbesprechungen, Intervision und Supervision hinaus wird die Arbeit von Fachpersonen durch „individuelle Fachberatung“ unterstützt. Anbieterorganisation 5 (A5) Datengrundlage: Protokoll Erstkontakt; Organigramm; interne Statistik (2011); Prozessbeschrieb; diverse Papiere und Checklisten zu Struktur, Team und Kasu- istik, Fallabschluss und Langzeitmandaten; Formulare bezüglich Kostengutspra- che und Neuantrag; diverse Evaluationsbögen; für die Aussendarstellung: diffe- renziert aufgebaute Homepage. 54 Die vermutlich als GmbH organisierte Anbieterorganisation A5 ist breit aufgestellt und offeriert neben SPF auch noch Supervision, Führungs- und kollegiales Coaching, Konflikt-, Organisations- und Projektberatung sowie Fortbildung. Konkret umfasst das Dienstleistungsangebot Familienbegleitung, Besuchsrechtsübergaben/-begleitungen, Kompetenztraining (inhouse), Eltern- coaching, Mediation, Abklärungen z. Hd. KESB und Jugendanwaltschaft, Fa- milienrat sowie Familie und Schule. Allen Angeboten liegen vergleichbare Prä- missen zugrunde, aus denen sich eine systemisch-ganzheitliche, ressourcen- und lösungsorientierte Grundhaltung herauslesen lässt. Beschäftigt sind sechs bis acht SPF-Fachpersonen mit einem Gesamtpensum von 420 Stellenprozen- ten. A5 unterstützt Familien in Belastungsphasen und Konfliktsituationen da- hingehend, dass sie ihre Situation besser verstehen und bewältigen können, indem die Kompetenzen und Ressourcen der Betroffenen in ihrem Lebensum- feld aktiviert und unterstützt werden. Als Hauptziel wird die Verbesserung der Situation rund um die Kinder angeführt, Anknüpfungspunkte sozialpädagogi- scher Interventionen sind aber gemäss Dokument „Strukturelle Voraussetzun- gen“ häufig die Eltern. Darüber hinaus wird auch Lernen am „Modellhandeln“ angeboten, ist aber laut Selbstbeschreibung mehr Ausnahme als die Regel. Das Leitbild umfasst sieben Leitsätze (von der sauberen Auftragsklärung bis zur abschliessenden Evaluation), die inhaltlich weiter ausgeführt werden. Relevante Indikatoren und Belastungsfaktoren umfassen praktisch alle für SPF gängigen Problemfelder, einschliesslich psychisch indizierter Belastungen und Suchtproblematiken. Allerdings werden auch Ausschlusskriterien benannt, wenn bspw. psychische Belastungen und Suchproblematiken eine derartige Schwere erreichen, dass sie als (chronifizierte) Krankheit aufgefasst werden müssen. Weitere Ausschlusskriterien sind: anhaltend fehlende Motivation, hohe Gewaltproblematik in der Familie, Anzeichen von Missbrauch/Kindes- misshandlung sowie geistige Behinderung. Im Selbstverständnis von A5 weisen die Mitarbeitenden verschiedene Spezialisierungen auf: (1) Bearbeitung von Gefährdungsmeldungen/Abklärungen, (2) Marte Meo, Family Group Conferen- ces, (3) Erfahrungen in Kompetenztraining, Mediation und Durchführung von Reflecting Teams sowie (4) Erfahrungen im Umgang mit psychisch kranken Menschen. Neuere Entwicklungen des Anbieters umfassen zudem Intake, Step board, Co-Beratung, Evaluation & Abschluss sowie Qualitätssicherung. Nach eigenen Angaben nehmen die Fallzahlen seit 2007 kontinuierlich zu. Derzeit werden ca. 90 Familien begleitet, davon 15 Familienbegleitungen im Besuchsrecht. Langzeitmandate mit einer Dauer von mehr als 12 Monaten sind indiziert, wenn es zu wiederkehrenden Krisen in der Familie kommt, bei feh- lenden Grundkompetenzen der Eltern oder eines Elternteils, bei fehlender In- tegration oder Integrationsbestrebungen sowie bei anhaltenden Paarkonflikt- konstellationen; darüber hinaus auch bei Kindern mit besonderen Bedürfnissen oder Einschränkungen, die in anderen Hilfesystemen nicht die notwendige 55 Beachtung erfahren. Der Hilfeprozess selbst unterscheidet folgende Phasen: (1) Vorbereitung, (2) Auftragsklärung, (3) Lösungen entwickeln und umsetzen, (4) Lösungen verankern, (5) Abschluss/überprüfte Zielerreichung sowie (6) Nach- phase (follow-up Gespräche). Teamsitzungen (wöchentlich), Tandem-Fallbe- sprechungen (regelmässig) sowie die Evaluation laufender und abzuschliessen- der Fälle begleiten den Hilfeverlauf. Es bestehen Checklisten hinsichtlich der Überprüfung von Langzeitmandaten und Abschluss bzw. Abbruch von Fällen. Laut einer internen Fallstatistik (abgeschlossene Fälle in 2010) waren u. a. Kin- der in allen Altersgruppen zwischen zwei und 18 Jahren ungefähr gleich stark in den abgeschlossenen Fällen vertreten, während unter den aufgelisteten Na- tionalitäten keine Schweizer Familie vertreten war. 4.2.2 Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Anbieterorganisationen Trotz der quantitativen und qualitativen Verschiedenheit der zur Verfügung gestellten Dokumente sowie ihrer selektiven, hier stark gerafften Darstellung sind gleichwohl bedeutsame Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Profi- len der ausgewählten Anbieterorganisationen zu erkennen. Gemeinsamkeiten Zunächst einmal fällt grundsätzlich auf, dass alle Anbieter bezüglich der Prä- sentation ihrer Ziele und Methoden auf fachlich anerkannte und zeitgemässe Rhetoriken rekurrieren. Begriffe wie Partizipation, Empowerment, Lösungs-, Ressourcen- und Lebensweltorientierung bzw. die Orientierung an ganzheit- lich-systemischen Methoden und die Verwendung diagnostischer Instrumente machen deutlich, dass die Anbieterorganisationen des Samples mit dem state- of-the-art ihres Handlungsfeldes vertraut sind. Dies betrifft zum einen die Ziel- setzungen ihres Leistungsangebots, das darauf ausgerichtet ist, die Familie bzw. deren Mitglieder in ihrem Bestreben nach Autonomie und Eigenverantwort- lichkeit zu unterstützen. Dies betrifft zum anderen aber auch den Prozess- beschrieb, also das konkrete Vorgehen sowie die dabei herangezogenen Metho- den und Instrumente. In Bezug auf die Organisation des praktischen Vorgehens ist die Orientie- rung an Phasenabläufen wesentlich (Einstiegs-, Umsetzungs- und Schluss- phase), die in den betreffenden Dokumenten meist noch näher beschrieben und teilweise auch noch weiter untergliedert und/oder mit spezifischen Zeitressour- cen dargestellt werden. In aller Regel werden die einzelnen Schritte der Fallbe- arbeitung durch detaillierte Prozessbeschriebe, Leitfäden oder Checklisten für die für die Umsetzung zuständigen Fachpersonen näher ausgeführt. Damit wird 56 deutlich, dass sich die Anbieterorganisationen der Komplexität wie auch der Vielschichtigkeit der Fallbearbeitung durchaus bewusst sind, die eine geplante und systematische Herangehensweise bedingen. Zu den Instrumenten, die den Prozess der Fallbearbeitung unterstützen, gehören bspw. KOFA (Kompetenz- und risikoorientierte Arbeit mit Familien), Marte-Meo (Kommunikationstech- nik mit Video), selbstständig entwickelte Einschätzungstools und Evaluations- bögen, systemische Interaktionstherapie (SIT) u. ä. m. Darüber hinaus wird der Prozess der Fallbearbeitung durch Angebote der Fallreflexion unterstützt (Fall- besprechungen, Super- und Intervision, Teamgespräche, kollegiale Beratung). Alle Anbieterorganisationen machen zudem Aussagen zur Professionalität und Qualität der Leistungserbringung. Zwei von ihnen orientieren ihr Quali- tätsmanagement ausdrücklich an der Norm ISO 9001. Ansonsten wird zur Einschätzung und Kontrolle der Qualität auf diverse Berichts-, Feedback-, Auswertungs- und Evaluationsbögen verwiesen. Darüber hinaus finden sich regelmässig Angaben zu den Qualifikationen der tätigen Fachpersonen (Fach- ausbildungen in den Bereichen Soziale Arbeit, Sozialpädagogik, Beratung, Pflege, Psychologie etc.), gelegentlich ergänzt durch Hinweise zu deren Berufs- erfahrung und/oder zu Weiterbildungsangeboten mit z. T. verpflichtendem Charakter. Alle Anbieterorganisationen machen zudem Angaben zu einer pro- fessionellen Ethik, an der sich auch ihr Leitbild orientiert. Stichworte hierzu sind u. a. Achtsamkeit, Empathie, Offenheit, Transparenz, Vertraulichkeit, Zusammenarbeit und anderes mehr. Ungeachtet der konzeptuellen Unterschiede im Detail und ihrer institutio- nellen Einbettung kann für alle Anbieterorganisationen festgestellt werden, dass deren Angebote die gängigen Qualitätsstandards und Zielsetzungen des SPF- Leistungsangebots in der einen oder anderen Form reflektieren, teilweise unter Zugrundelegung des „Leitbild Sozialpädagogische Familienbegleitung SPF“ (vgl. Fachverband SPF 2017). Für alle Anbieterorganisationen trifft weiterhin zu, dass sie sich den Anforderungen an die Praxis von SPF durchaus bewusst sind, was sich an den Dokumenten, die ihre Praxis nach aussen und innen re- flektieren, deutlich ablesen lässt. Neben diesen Gemeinsamkeiten und Abwei- chungen im Detail lassen sich jedoch einige bedeutsame Unterschiede in den Profilen identifizieren, die sich teilweise mit der bewusst gewählten, d. h. mög- lichst grossen Kontrastierung mittels Sampling-Strategie erklären lassen. Unterschiede Vor diesem Hintergrund ergeben sich Unterschiede beispielsweise in Bezug auf die Kontextstrukturen der einzelnen Anbieterorganisationen. A1 und A2 sind in eher ländlichen Gebieten ansässig und weisen in Bezug auf ihr Angebot die kleinsten Fallzahlen mit entsprechend geringeren Stellenprozenten auf. Aller- dings macht das SPF-Angebot von A2 nur einen geringen Teil dessen Gesamt- 57 angebots aus (vgl. weiter unten). Die in (gross-)städtischen Gebieten ansässigen Anbieter A3, A4 und A5 bewegen sich dagegen mit zwischen 90 und 400 lau- fenden Fällen und den entsprechenden Stellenprozenten deutlich darüber. Eine hohe Varianz ergibt sich darüber hinaus bezüglich der organisationalen Ein- bettung unter den Anbieterorganisationen des Samples. So ist A1 über die Ein- bindung in ein sozialmedizinisches Zentrum primär kantonal assoziiert, wäh- rend sich A2 über einen Trägerverein finanziert; A3 wiederum ist einer Stiftung angegliedert, während A4 sich in Form einer Aktiengesellschaft konstituiert. Über A5 bestehen keine konkreten Angaben, vermutlich ist sie als GmbH orga- nisiert. Ein direkter Zusammenhang zwischen der Form der Organisation und der Struktur des Leistungsangebots ist nicht zu erkennen. Unterschiede bestehen zudem mit Blick auf die Angebotsstruktur. Die eher in städtischen Regionen operierenden Anbieterorganisationen sind nicht nur grösser, sondern halten auch eine breitere Angebotspalette vor. Während A1 sich vorwiegend auf das SPF-Angebot konzentriert und für A2 das SPF-Ange- bot (gemessen an den vergleichsweise niedrigen Stellenprozenten) mehr deren spezialisierte Angebote für Frauen mit psychischen und Suchtproblematiken ergänzt, verkörpern die eher in städtischen Regionen operierenden Anbieter A3–A5 das familienergänzende Leistungsspektrum in seiner ganzen Breite, indem diese auch kurzfristige und auf spezifische Problemlagen der Familie bzw. von Kindern und Jugendlichen zugeschnittene Leistungsangebote offerie- ren. Auch scheinen die Angebote der städtischen Anbieterorganisationen nach vorliegenden Dokumenten tendenziell in einem höheren Masse auf Familien mit Migrationshintergrund ausgerichtet zu sein. Der Umstand, dass A3 sein SPF-Angebot in 20 verschiedenen Sprachen vorhält oder die Leistungsstatistik von A5 für das Jahr 2010 keine Familie mit einer schweizerischen Nationalität ausweist, ist hierfür mithin indikatorisch. Netzwerkarbeit, Kinder und die Frage der Hilfebeendigung Mit Blick auf die projekt- und forschungsleitenden Fragen – die Berücksichti- gung (bzw. der Einbezug) von Kindern und sozialen Unterstützungsnetzwerken – geben die vorliegenden Dokumente für die einzelnen Anbieterorganisationen folgenden Aufschluss: Die sozialen Umwelten der zu begleitenden Familien sind für alle Anbieter gleichermassen bedeutsam. Sie werden im Zuge der Fallbearbeitung jedoch unterschiedlich berücksichtigt. A1 reflektiert das soziale Umfeld der begleiteten Familien zwar in seinen Konzepten, berücksichtigt sie im Zuge der Fallbear- beitung allerdings nur selektiv. A2 dagegen erhebt die Einschätzungen zu den Entwicklungen des sozialen Umfelds der Familie im Zuge der gesamten Fallbe- arbeitung systematisch und detailliert, abzulesen an diversen Abklärungs- und Berichtsinstrumenten dieser Anbieterorganisation (Netzwerkkarte, Indika- 58 tionsbericht, Schlussbericht). A3 greift wiederum nur im Zuge der Fallabklä- rung auf die Netzwerkkarte zurück. Bei den anderen Anbieterorganisationen finden sich lediglich summarische Hinweise auf vernetztes Arbeiten und Ko- operationen mit dem Helfersystem. Kinder und Jugendliche stehen in den Dokumenten der ausgewählten An- bieterorganisationen deutlich mehr im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. In allen Konzepten finden sich einschlägige Hinweise auf die Bedeutung von SPF für das Kindeswohl, gleichwohl sind die ausgewiesenen Praxen durchaus ver- schieden. Entsprechend halten alle Anbieterorganisationen spezifische Unter- stützungsmassnahmen für Kinder und – häufiger – für junge Erwachsene vor. So offeriert A1 ein Begleitprogramm für junge Erwachsene (18–20 Jahre), A2 Betreuungsplätze für Kinder sowie A3 ebenso wie A5 begleitete Rückplatzie- rungen. A3 offeriert darüber hinaus separate Unterstützungs- und Förderpro- gramme (KO4JU) für diese Zielgruppe. A4 wiederum entwickelt neben beson- deren Begleitungen für Kinder und Jugendliche auch spezielle Förderpläne. Ob und inwieweit diese Angebote im Zusammenhang einer SPF stattfinden, kann jedoch nicht vorausgesetzt werden und ist auch konzeptionell nicht immer ersichtlich. Allerdings werden die Perspektiven von Kindern und Jugendlichen (bzw. deren aktuelle Situation) nach vorliegenden Hinweisen bei Fallabklärun- gen, Beobachtungen, Standortgesprächen wie auch in abschliessenden Berich- ten regelmässig explizit eingeholt – auffällig häufig durch die Anbieterorgani- sationen A2 und A3. In den zur Verfügung gestellten Dokumenten von A5 treten Kinder praktisch nie in Erscheinung, was auf den eher summarischen und überblicksartigen Charakter der vorliegenden Dokumente zurückgeführt werden kann, die kaum Schlussfolgerungsmöglichkeiten auf die tatsächlichen Praxen bieten. Mit Blick auf die Wirkungen von SPF ist nicht zuletzt die Frage bedeutsam, inwiefern die Dokumente der Anbieterorganisationen das Ende der Hilfeleis- tung reflektieren. Typisch für die Anbieterorganisationen des MWA-Samples ist, dass die Phasenunterteilung der Fallbearbeitung eine Abschlussphase vor- sieht, die sich etwa in Form von reduzierten Begleitungen (Ausfädelung), zu- meist jedoch durch ein formelles Abschlussgespräch realisiert. Bei allen Anbie- terorganisationen liegen Dokumente (oder zumindest Hinweise auf solche) vor, die den Hilfeverlauf rückblickend evaluieren. Am ausführlichsten wird Ab- schluss und follow-up in den Dokumenten von A2 erhoben und in differen- zierten Schlussberichten zusammengefasst. Darüber hinaus erhebt A2 die Situ- ation der Familien drei, sechs und zwölf Monate nach Fallabschluss und doku- mentiert diese. In den Dokumenten von A4 werden verschiedene Instrumente zur Hilfebeendigung erwähnt (Abschlussbogen; Interview „Wirkung“), diese liegen als solche aber nicht vor. Ähnlich die Situation bei A5, der eine follow- up-Phase konzeptionell erwähnt, die aber nicht näher beschrieben ist. In dessen Formblättern „Evaluation“ und „Zusammenarbeit“ werden der Zielerrei- 59 chungsgrad aus Sicht der Betroffenen summarisch eingeschätzt. Die interne Statistik aus 2011 vermerkt aus insgesamt 35 Fällen sieben Abbrüche, während in 28 Fällen das Ziel erreicht wurde, darunter 17 Mal gut und in vier Fällen sehr gut. Zusammenfassung Trotz aller Bemühungen um eine maximale Kontrastierung des Samples dürfte es sich dabei gleichwohl nur um einen kleinen und keinesfalls repräsentativen Ausschnitt aus dem gesamten Spektrum der Angebotslandschaft von SPF han- deln. Vielmehr ist zu erwarten, dass entsprechend den Unterschieden in den kantonalen Gesetzgebungen, den organisationalen Rahmenbedingungen der einzelnen Anbieterorganisationen oder bezüglich der verfügbaren Ressourcen und personalen Kompetenzen noch sehr viel mehr Kombinationsmöglichkeiten vorstellbar sind. Bei all dem muss berücksichtigt werden, dass Dokumente in Bezug auf die Wirklichkeiten der Fallbearbeitung nur bedingt aussagekräftig sind. Allenfalls geben sie Hinweise darauf, wie die Anbieterorganisationen ihre jeweilige Praxis nach innen und aussen wahrnehmen und reflektieren und wel- che Instrumente sie einsetzen, um Abweichungen zwischen Ideal und Wirk- lichkeit zu überprüfen. Mögliche für die Wirkung einzelner Leistungen bedeutsame Unterschiede können entlang den hier aufgeführten Dimensionen, wenn überhaupt, dann nur sehr bedingt abgeleitet werden. Gleichwohl vermitteln die hier festgestell- ten Gemeinsamkeiten und Differenzen eine vage Vorstellung, in welchen Hin- sichten die festgestellten Besonderheiten der Fallbearbeitung und Fallreflektion mit organisationalen Merkmalen verknüpft sowie in Beziehung gesetzt und überprüft werden können. Wo dies der Fall ist, werden in den einzelnen Unter- suchungsabschnitten entsprechende Vermerke gemacht. Vorläufig ist jedoch deutlich geworden, dass den Anbieterorganisationen im Feld der SPF vielfältige Formen und Inhalte offenstehen, die sich einzeln oder in Kombination poten- ziell auf den Effekt eines Angebots auswirken können. 4.3 Dossieranalyse – SPF als dokumentierte Fallwirklichkeit Im Vergleich zu den anderen Untersuchungsschritten der MWA ist die Frage nach der Perspektive bei der Dossieranalyse schwieriger zu beantworten. Mit Elterninterviews wird die Perspektive der Eltern auf SPF und deren Wirkungen erhoben, mit Kinderinterviews jene der Kinder und mit Fachpersoneninter- views jene der Fachpersonen. In den Dossiers fallen die unterschiedlichen Per- 60 spektiven der Beteiligten zumindest in Teilen zusammen. Darin findet sich die Perspektive der fallführenden Fachperson, der Kinder, der Eltern und nicht zuletzt auch der zuweisenden Stelle. Viele Dossiers werden durch die Anmel- dung der Familie bei der Anbieterorganisation eröffnet und durch ein Anmel- deformular dokumentiert. Gerahmt durch die kategorialen Relevanzsetzungen der Anbieterorganisation beschreibt die zuweisende Stelle darin aus ihrer Per- spektive die Ausgangssituation der Familie und benennt entsprechende Ziel- vorstellungen. Gelegentlich finden sich in den Akten auch externe Dokumente anderer Institutionen (z. B. Gutachten, KESB-Entscheide, Schulberichte etc.), welche von Fachpersonen stammen, die nicht an der SPF beteiligt sind, in de- nen aber die fallbezogene Vorgeschichte aus deren Perspektive dargelegt wird. Ab dem Zeitpunkt des Beginns der SPF (Erstgespräch) dominiert allerdings die Sichtweise der fallführenden Fachperson die Perspektive: Sie dokumentiert den Fallverlauf, schreibt Berichte und protokolliert Erst- und Standortgespräche. Die Perspektive der Eltern, der Kinder und – wenn vorhanden – der zuweisen- den Stelle fliesst primär über die Fachperson in die Falldokumentation ein und wird damit durch deren Wahrnehmung gefiltert. Die Dossiers bilden also ein Konglomerat aus unterschiedlichen Perspektiven, wobei jene der Fachperson im Zentrum steht. 4.3.1 Methodisches Vorgehen und Datenerhebung Die Erhebung der Daten fand unter unterschiedlichen Bedingungen statt: Zwei der beteiligten Anbieterorganisationen (A2 und A3) stellten uns die Dossiers vor Ort zur Einsicht zur Verfügung; zwei weitere Anbieterorganisationen (A1 und A4) gaben die Falldossiers anonymisiert aus der Hand; eine weitere An- bieterorganisation (A5) versandte die Dossiers auf dem Postweg an die zustän- digen Projektmitarbeitenden (Geschäftsadresse), die sie kopierten, anonymi- sierten und der zuständigen Fachperson zurückgaben. An der Datenerhebung waren insgesamt fünf Personen aus dem Projekt- team beteiligt, wobei für die Erhebung vor Ort i. d. R. nicht mehr als ein Ar- beitstag zur Verfügung stand. Fünf der insgesamt 16 Dossiers des MWA-Sam- ples standen somit lediglich in exzerpierter Form zur Verfügung. Exzerpte ent- halten Auslassungen; bei deren Erstellung werden Selektionen getroffen. Dar- aus ergab sich eine grundlegende methodische Schwierigkeit: Während sich auf der Basis vollständiger Dossiers klären liess, ob Unklarheiten oder Lücken in der Falldokumentation den Dossiers vorhanden waren, musste bei den Ex- zerpten immer auch die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass diese auf Auslassungen der Exzerpierenden zurückgehen. Ungeachtet dessen wurden zu Vergleichszwecken analytische Kategorien definiert, um die Beteiligten eines Falls, den Anlass für die SPF und die anfäng- 61 lichen Ziele damit zu erfassen. Im Zentrum des Interesses standen Fragen nach den Ausgangsbedingungen von SPF und den erfassten Problemlagen der Fami- lien; ferner, was sich in Bezug auf die Praxis der Hausbesuche, die Rolle der Kinder und der sozialen Netzwerke der Familien aus den entsprechenden Do- kumenten herausfiltern liess; sofern vorhanden wurden Hinweise zu den Wir- kungen von SPF erfasst. Berücksichtigt wurden insbes. Anmeldeformulare, Erstgesprächsprotokolle, Indikationsberichte sowie die aktuellsten Verlaufs- und Zwischenberichte der fallzuständigen Fachperson. Die folgenden Ausführungen vermitteln zunächst einen Überblick über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den beteiligten Anbieterorgani- sationen im Hinblick auf die verwendeten Dokumentationsinstrumente. Da- nach konzentriert sich das Vorgehen auf die Ausgangsbedingungen von SPF, einschliesslich Problemerfassung und Abklärung. Anhand der in den Dossiers festgehaltenen Fallaktivitäten wird aufgezeigt, welche Themen mit welchen Massnahmen, Methoden und Techniken im Rahmen der Hausbesuche bear- beitet wurden. Ferner wird eruiert, inwieweit im Zuge der praktischen Um- setzung Netzwerkarbeit geleistet wird und inwieweit Kinder bei den Aktivitäten der SPF Berücksichtigung fanden. Abschliessend wird erörtert, welche Bedin- gungen erfüllt sein müssen, damit die Falldokumentation nicht nur Verände- rungsaussagen, sondern auch Wirkaussagen trifft. 4.3.2 Formale Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Aktenführung Eine Gemeinsamkeit zwischen den Anbieterorganisationen findet sich – nicht ganz unerwartet – in der chronologischen Ordnung der Dossiers. Journale werden chronologisch geführt und Gesprächsprotokolle und Berichte werden nach der zeitlichen Abfolge abgelegt. Die chronologisch geordnete Dokumen- tation bringt ein fallübergreifendes formales Ablaufmuster von SPF zum Aus- druck: Für gewöhnlich wird die SPF von der zuweisenden Stelle durch eine Anmeldung der Familie bei der SPF initiiert; zumeist beginnt sie mit einem Erstgespräch zwischen Familienmitgliedern, der zuweisenden Stelle und der zuständigen Fachperson und/oder einer Leitungsperson aus der betreffenden Anbieterorganisation. In der Regel findet nach einer ersten Phase der Zusam- menarbeit mit der Familie (rund drei Monate) das erste ordentliche Standortge- spräch zwischen den Beteiligten statt, in dem über das weitere Vorgehen ent- schieden wird (z. B. Begleitintensität, zeitliche Abstände zwischen den Stand- ortgesprächen u. ä. m.). In sprachlich-stilistischer Hinsicht fällt auf, dass die für den internen Gebrauch bestimmten Journale bzw. Verlaufsnotizen in Form von stichwortar- tigen Aufzeichnungen ausgeführt werden und auch Eindrücke und Gefühle der 62 Fachpersonen dokumentieren, während die für den externen Gebrauch be- stimmten Zwischenberichte ihre Inhalte mit grammatikalisch und orthogra- fisch vollständigen Sätzen fixieren und erkennbar um Sachlichkeit bemüht sind. Erstere dienen dem organisationsinternen Controlling und als Gedächtnis- stütze für die fallführende Fachpersonen, Letztere hingegen erfüllen eine Darstellungs- und Legitimationsfunktion nach aussen.13 Zwischen den beteiligten Anbieterorganisationen finden sich jedoch auch formale Unterschiede in der Falldokumentation. Zum einem nimmt lediglich A5 vorgängig erstellte Dokumente (KESB-Entscheide, Gutachten, Abklärungs- berichte etc.) systematisch in ihre Akten auf. Darüber hinaus enthalten die Dossiers von A1, A2 und A3 Verlaufsnotizen (handschriftlich oder als Aus- druck), während A4 die einzelnen Hausbesuche im „externen Auftragsbe- richt“14 dokumentiert und den Akten von A5 wiederum gar keine Journale beigelegt wurden. Ferner arbeiten A2 und A3 nach der KOFA-Methodik und erstatten auf der Basis formalisierter Berichtsvorlagen nicht nur Zwischen-, sondern auch Indikationsberichte im Vorfeld des ersten Standortgesprächs. Schliesslich greifen die Anbieterorganisationen auf unterschiedliche Instru- mente zurück, um formelle Fallaktivitäten wie Fallaufnahme, Erstgespräche und Standortgespräche zu dokumentieren. So werden Standortgespräche von einigen Anbieterorganisationen durchgehend mithilfe einer standardisierten Vorlage protokolliert, während die Protokolle bei den anderen in den Zwi- schenbericht bzw. in den externen Auftragsbericht und teilweise den „Begleit- plan“15 integriert werden. 13 An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass die inoffizielle Seite der Falldokumentation (also Journale, Verlaufsnotizen) in der Dossieranalyse weniger Beachtung erfahren hat als die offizielle Seite des Dossiers (also Indikations- und Zwischenberichte; Gesprächsprotokolle; externe Auftragsberichte und Begleitpläne etc.). Dies ist wiederum dem Umstand geschul- det, dass zwei der fünf Anbieterorganisationen keine für den internen Gebrauch bestimm- ten Journale führen bzw. den ausgehändigten Dossiers keine solche beigelegt haben. Zum anderen bestand bei zwei der drei Anbieterorganisationen die Problematik, dass die Dos- siers lediglich vor Ort zur Verfügung gestellt wurden und die Verlaufsnotizen daher auch nicht systematisch berücksichtigt werden konnten. 14 Im ‚externen Auftragsbericht‘ werden die einzelnen Hausbesuche ebenfalls dokumentiert; dieser ist aber für die zuweisende Stelle bzw. den/die Auftraggeber/in gedacht und erfüllt primär eine Rechenschaftslegungsfunktion. 15 Der Begleitplan ist ein Dokumentationsinstrument, das die Fachpersonen bei der Fallbear- beitung unterstützt. Gleichzeitig dient er der Rechenschaftslegung nach aussen, denn er wird auch den zuweisenden Stellen vorgelegt. 63 4.3.3 Ausgangsbedingungen und Etablierung von SPF Im folgenden Abschnitt wird der Frage nachgegangen, was sich anhand den Falldossiers über Ausgangsbedingungen und Startphase von SPF in Erfahrung bringen lässt. Die zuweisende Stelle In allen Familien des Samples ist eine zuweisende Stelle dokumentiert, die als Auftraggeberin der SPF fungiert. Eine erste Frage, die sich hinsichtlich der Aus- gangsbedingungen von SPF damit stellt, ist jene nach den Personen oder In- stanzen, welche die Familien den Anbieterorganisationen zuweisen. Im Sample fungieren in neun Fällen am häufigsten Beiständ/innen als zuweisende Stelle. In weiteren vier Fällen hat die KESB eine SPF angeordnet, ohne vorab eine Erzie- hungsbeistandschaft zu errichten. Daneben übernehmen drei andere Fachstel- len diese Funktion (in einem Fall ein Dienst für Kinder und Jugendliche; in zwei Fällen ein Psychiatriezentrum). Der hohe Anteil an SPF, die von Beistän- den/Beiständinnen initiiert oder von der KESB angeordnet wird, weist darauf hin, dass SPF eng mit dem zivilrechtlichen Kindesschutz verwoben ist.16 Dazu ein Beispiel: Das Dossier der Familie Erismann wird im Oktober 2017 mittels unvollständig ausgefüllten Anmeldeformulars eröffnet. Mit Frau Eris- mann, bei der die SPF stattfindet, hat gemäss Aktenlage kein Erstgespräch statt- gefunden. In einem dem Dossier beiliegenden Antrag auf Genehmigung der SPF bei einem kantonalen Dienst schildert die zuweisende Stelle die Ausgangs- lage. Dabei verdeutlicht sie, dass sie das „Kindeswohl“ angesichts der „Tren- nung der Eltern“, „häuslicher Gewalt“ sowie „massiven Alkoholproblemen der Mutter“ und deren „Therapieabbruch“ als „gefährdet“ bewertet. Für die SPF bei Frau Erismann formuliert die zuweisende Stelle aufgrund dieser Einschätzung folgendes Ziel: „Unterstützung und Stärkung der Mutter in ihren Erziehungs- bemühungen“ (Antrag auf Genehmigung der Massnahme, Oktober 2017). Die zuweisende Stelle formuliert einen Auftrag, der auf eine defizitäre mütterliche Erziehungskompetenz reagiert, klärt aber nicht darüber auf, worin sich diese manifestiert. Die fallführende Fachperson hat dieses Ziel aber dennoch zu ver- 16 Soweit Instanzen des zivilrechtlichen Kindesschutzes als zuweisende Stellen für eine SPF fungieren, wirkt eine auf die unbestimmte Rechtsnorm des Kindeswohls abstellende Schutzorientierung und Kontrolllogik direkt oder indirekt hinein in die Aktivitäten der SPF. Aufgrund der Unterscheidung zwischen einer Hilfe, die sich durch ‚Freiwilligkeit‘ konstituiert und einer Kontroll- oder Schutzfunktion, die auf die Restitution einer gesell- schaftlich normativen Ordnung fokussiert (vgl. Scherr 2015, S. 174 f.), kann davon ausge- gangen werden, dass das Spannungsfeld zwischen Hilfe und Kontrolle (bzw. Freiwilligkeit und Zwang) im Handlungsfeld der SPF von Bedeutung ist. 64 folgen, was voraussetzt, dass sie zunächst die konkreten Veränderungsbedarfe in Frau Erismanns Erziehungspraxis lokalisiert. Anmeldung – ein erstes Bild von der Familie Normalerweise wird eine SPF dadurch initiiert, dass die zuweisende Stelle die Familie bei der Anbieterorganisation anmeldet. Entsprechend eröffnen Anmel- dungen für gewöhnlich auch die Dokumentation.17 Für die Anmeldung der Familien verwendet der grössere Teil der Anbieterorganisationen Anmelde- formulare, die durch die zuweisenden Stellen ausgefüllt werden. Mit den An- meldeformularen ist intendiert, von der zuweisenden Stelle ein erstes Bild von der Familie zu erhalten. Diese beinhalten Informationen über die aktuelle Situ- ation, über Probleme und Ressourcen der Familie, über die rechtlichen Grund- lagen für die Zuweisung sowie über die Bereitschaft der Eltern zur Mitwirkung. Darüber hinaus wird über die Zielvorstellungen und Handlungsaufträge der zuweisenden Stelle informiert. Die mithilfe von standardisierten, aber offenen Fragen generierten fallspezifischen Informationen sind aus Platzgründen in- haltlich begrenzt. Weiter werden in den Anmeldeformularen die zuweisenden Stellen dazu aufgefordert, die anzumeldenden Familien unter vorgefertigten Problem- und Indikationskategorien zu klassifizieren. Auf diese Weise werden die Familien im Anmeldeprozess auf der Grundlage von definierten Indikationskategorien (Erziehungsschwierigkeiten, Integrationsprobleme, Vernachlässigung/Verwahr- losung etc.) und psychosozialen Problemkategorien (Suchtprobleme, psychi- sche Belastungen, Migration, Scheidung usw.) vorab sozial kategorisiert. Be- sonders häufig schreiben die zuweisenden Stellen den Eltern eine Überforde- rung in der Erziehung zu (defizitäre Erziehungskompetenz), bringen diese aber mit unterschiedlichen psychosozialen Belastungen in Verbindung.18 Mit Anmeldeformularen werden demnach nur knappe Informationen ein- geholt und eher allgemein gehaltene Angaben fixiert, so dass die konkreten Ausgangsbedingungen von SPF nur in groben Umrissen vorliegen. Über die Problem- und Ressourcenlage der Familie, ihre Kooperationsbereitschaft und den Prozess der Initiierung der SPF wird in den Anmeldeformularen insofern nur skizzenhaft Aufschluss gegeben. Gleichwohl geben die Ausgangsbedingun- 17 In den Falldossiers sind in drei Fällen keine Anmeldungen verzeichnet. 18 Die Informationen, auf deren Basis die zuweisenden Stellen entsprechende Kategorisierun- gen vornehmen, werden in den Anmeldungen in der Regel anhand von hochgradig komp- rimierten Kurzbeschreibungen der Familiensituation wiedergegeben. Auf dieser Informa- tionsbasis sind die kategorialen Zuordnungen der Familien und die Beziehungen zwischen den gewählten Kategorien häufig nur begrenzt nachvollziehbar. 65 gen von SPF zu erkennen, dass eine Kooperationsbereitschaft nicht umstands- los vorausgesetzt werden kann. Erstgespräch und Auftragsklärung Nach der Anmeldung der Familien bei den Anbieterorganisationen findet in nahezu allen Fällen (13 von 16) ein Erstgespräch statt.19 In der Regel nehmen die Eltern sowie Fachpersonen aus der zuweisenden Stelle und den Anbieteror- ganisationen daran teil. Zwischen Anmeldung und Erstgespräch verstreicht unterschiedlich viel Zeit, in den meisten Fällen zwei bis vier Wochen, vereinzelt vergehen aber auch nur ein paar Tage oder dann gleich mehrere Monate.20 Im Wesentlichen zielt das Erstgespräch darauf ab, die Auftragsziel für die SPF zu konkretisieren. Aus den entsprechenden Formularen geht hervor, dass zuerst die Perspektive der zuweisenden Stelle (Situationsbeschreibung und Zielvorstellungen) und dann die der Eltern (Situationseinschätzung und Ver- änderungsanliegen) erfasst wird. Mit Blick auf die Rolle der Kinder fällt auf, dass deren Anwesenheit in nur zwei Fällen erwähnt wird, anscheinend ohne etwas zum Gespräch beigetragen zu haben. Für die Bestimmung der Ausgangs- situation von SPF sind die Sichtweisen und Veränderungsbedürfnisse der Kin- der demnach kaum von Bedeutung. In verschiedenen Erstgesprächsprotokollen ist jedoch auch die Perspektive der Eltern nicht oder nur unvollständig doku- mentiert. Eine Anbieterorganisation sieht gänzlich davon ab, die Perspektiven der Beteiligten gesondert zu protokollieren. Insofern werfen diese Protokolle immer wieder die Frage auf, um wessen Situationseinschätzungen, Zielvorstel- lungen bzw. Veränderungsanliegen es sich bei den Auftragszielen tatsächlich handelt. Unklar bleibt daher auch, inwieweit die dokumentierten Zielsetzungen von den Eltern geteilt und mitgetragen werden. Soweit die Perspektiven der Eltern erfasst und ausgewiesen werden, zeigt sich in den Dossiers, dass die Aufträge der zuweisenden Stelle mit den Verän- 19 Ausnahmen bilden die Familien Erismann und Binotti, in denen die KESB parallel (Eris- mann) oder vorbereitend (Binotti) zur SPF Abklärungen angeordnet hat. Ferner findet sich im Dossier der Familie Gehrig/Blaser kein Erstgesprächsprotokoll. Die Dossiers der Fami- lien Binotti und Gehrig/Blaser liegen allerdings lediglich in exzerpierter Form vor, sodass auch in diesen Fällen die Möglichkeit in Betracht gezogen werden muss, dass die Erstge- sprächsprotokolle bei der Dokumentenauswertung unberücksichtigt blieben. 20 Die verhältnismässig zeitnahe Ansetzung des Termins für das Erstgespräch geht in einem Fall auf die Dringlichkeit zurück, welche die zuweisende Stelle diesem Fall attestiert. In ei- nem anderen Fall soll das Kind möglichst rasch von einer stationären Kinder- und Jugend- hilfeeinrichtung zu seinen Eltern rückplatziert werden, wobei die zuweisende Stelle die Rückplatzierung an die Zustimmung der Eltern zur SPF bindet. Weshalb es in anderen Fällen nach Anmeldung mehrere Monate bis zu den Erstgesprächen dauert, lässt sich an- hand der Dossiers nicht erschliessen. 66 derungs- und Unterstützungsanliegen der Eltern in zwei Fällen weitgehend deckungsgleich sind, in drei Fällen punktuell übereinstimmen und sich in zwei weiteren Fällen punktuell widersprechen. Dazu jeweils eine Illustration. Familie Rochi Frau Ronchi macht im Rahmen des Erstgesprächs deutlich, dass sie mit Unter- stützung der SPF Folgendes erreichen möchte: Sie möchte „Regeln setzen und einfordern [können], die bei ihr zu Hause gelten. […] Sie möchte mit der SPF besprechen, welche Regeln für das Alter ihrer Kinder angemessen sind und darin gestärkt werden, die Regeln einzufordern“ (Eintrag im Begleitplan vom Juli 2017). Die zuweisende Stelle sieht dieselben Veränderungsbedarfe. Entspre- chend wird folgender Auftrag formuliert: „Unterstützung für Frau Ronchi, um Strukturen und Regeln zu Hause festzulegen, umzusetzen und einzufordern (bspw. Bettgehzeiten, TV-Konsum, Rausgehen, Ämtli, wann zu Oma, wann nicht) […]. Ziel ist, dass die Mutter den aktuellen Entwicklungsstand ihrer Kinder sowie die daraus resultierenden Entwicklungsaufgaben kennt. Ebenso […], dass sich die Kinder an die Regeln halten, die bei Mami gelten […]“ (ebd.). Familie Rohner-Hamidi Frau Rohner-Hamidi wünscht sich gemäss Erstgesprächsprotokoll (Juli 2016), dass sie arbeiten kann und von der SPF bei der Alltagsstrukturierung und im Kontakt mit den Behörden unterstützt wird. Auch die zuweisende Stelle sieht bei Frau Rohner-Hamid diesbezüglich Unterstützungsbedarf, konstatiert aber auch Erziehungsschwierigkeiten. Im Erstgesprächsprotokoll ist mit Blick auf die Mutter folgender Auftrag festgehalten: Unterstützung bei administrativen Auf- gaben (Schule, Hort, Krippe etc.) und Erziehungsstrategien. In diesem Auftrag sind die von Frau Rohner-Hamidi artikulierten Unterstützungsbedürfnisse zumindest teilweise enthalten (Unterstützung im Behördenkontakt), aber auch der von der zuweisenden Stelle festgestellte Bedarf an Veränderungen bezüglich ihrer Erziehungspraxis, obgleich Frau Rohner-Hamidi diesbezüglich keine Veränderungsbedürfnisse geäussert hat. Familie Grigic Herr und Frau Grigic machen im Rahmen der Auftragsklärung deutlich, dass sie „keinen Veränderungswunsch“ hinsichtlich ihrer Erziehungspraxis haben und die SPF für sie ein „Mittel zum Zweck“ ist, um ihren (fremdplatzierten) Sohn wieder bei sich haben zu können (Erstgesprächsprotokoll Familie Grigic, März 2018). Angesichts der Beobachtungen, welche die zuweisende Stelle im Zuge eines Hausbesuchs bei Familie Grigic zu Abklärungszwecken macht, sieht sie jedoch Veränderungsbedarf in der elterlichen Erziehungspraxis, und zwar im Hinblick auf das Setzen von Grenzen gegenüber dem Sohn und den Um- 67 gang mit Strafen und Konsequenzen. Entgegen den Veränderungsanliegen der Eltern wird als Auftrag protokolliert, den Eltern dazu zu verhelfen, „besser Grenzen zu setzen“, mit ihnen den „Umgang mit Strafen und Konsequenzen“ zu thematisieren und ihnen „Alternativen […] zu z. T. strengen Strafen [aufzu- zeigen]“ (ebd.). Im Hinblick auf die Beteiligung der Eltern an der Formulierung des Auf- trags für die SPF zeichnet sich ab, dass sie tendenziell Einfluss nehmen, wenn sie eigenständig Unterstützungsbedürfnisse artikulieren, z. B. im Hinblick auf die eigene Erziehungspraxis, die Hausaufgabensituation, die Organisation des Familienalltags und die Gestaltung von Alltagssituationen, den Kontakt mit der Schule und Behörden etc. Wenn Eltern im Erstgespräch dagegen keine Verän- derungs- bzw. Unterstützungsbedürfnisse äussern, scheint eher der Auftrag der zuweisenden Stelle für die SPF massgeblich. Auftragsziele – eine Übersicht In nahezu allen Familien des Samples bildet die Stärkung der Erziehungskom- petenzen der Eltern – vereinzelt in Kombination mit Unterstützung in der Gestaltung der Eltern/Kind-Beziehung – ein zentrales Auftragsziel für die SPF. Ein weiterer gängiger Auftrag bezieht sich auf die Strukturierung und Organi- sation des Familienalltags und die Gestaltung von Alltagssequenzen (Esssitua- tion, Abendsituation). Ebenfalls häufig beauftragen die zuweisenden Stellen die SPF mit der Unterstützung der Familien in schulischen Angelegenheiten (Hausaufgaben, Absprachen mit der Schule). Vereinzelt wird auch die Unter- stützung der Eltern in administrativen und behördlichen Angelegenheiten ge- nannt. In einem Fall wird die Fachperson beauftragt, die Eltern zu „ermächti- gen, die Erziehungsfragen und den Paarkonflikt zu trennen“ (Auftragsvereinba- rung Familie Ziegler, Februar 2018). Daneben werden die Fachpersonen der SPF vereinzelt auch mit Abklä- rungsaufgaben beauftragt. Zur Illustration ein Fallbeispiel: Die zuweisende Stelle meldet der betreffenden Anbieterorganisation Mitte August 2017, dass Frau Baan mit der Situation zuhause „vollkommen überfordert“ sei, es „Gewalt in der Familie“ gebe und daher „abzuklären [sei], ob die Kinder zu Hause blei- ben können“ (Datenblatt Familie Baan, August 2017). Einige Tage später ge- nehmigt die zuweisende Stelle qua Kostengutsprache die Offerte der betreffen- den Anbieterorganisation, wonach die SPF neben der Situationsabklärung das Ziel verfolgt, dass „keine Gewalt in der Familie mehr vorkommt“ (Offerte Fa- milie Baan, August 2017). In diesem Fall hat die fallzuständige Fachperson 68 sowohl abklärend-kontrollierende als auch beratend-begleitende Aufgaben zu erfüllen.21 4.3.4 Problemerfassung bei laufender SPF Die Auftragsziele für die SPF können insofern als Reaktion auf die in den Fa- milien identifizierten Veränderungs- und Unterstützungsbedarfe verstanden werden. Die Auftragsziele selbst sind häufig eher allgemein formuliert und die ihnen zugrundeliegenden Probleme werden unterschiedlich klar dargelegt. Wenn die Familie eine institutionelle Vorgeschichte hat, wenn es also schon Abklärungen, Begutachtungen o. ä. gegeben hat und/oder die zuweisende Stelle schon länger für die Familie zuständig ist, gestaltet sich die Informationsbasis inhaltlich meist breiter. So sind mal mehr, mal weniger fundierte Situationsbe- schreibungen – und damit verbunden – mal mehr, mal weniger nachvollzieh- bare und differenzierte Aufträge der zuweisenden Stellen in den Dossiers do- kumentiert. Vereinzelt legen die Auftragsziele lediglich die familialen Problem- bereiche fest, die durch die SPF genauer in den Blick zu nehmen und zu bear- beiten sind. Unter solchen Voraussetzungen kommen die Fachpersonen gar nicht umhin, in Zusammenarbeit mit den Familien die konkreten Unterstüt- zungsbedarfe genauer zu eruieren. In den Berichten und Standortgesprächsprotokollen wird jedoch deutlich, dass im Verlauf der SPF nicht nur vereinzelt, sondern in nahezu allen Fällen eine Modifikation des Auftrags vorgenommen wird, indem einzelne Auftrags- ziele fallspezifisch konkretisiert und/oder die Aufträge um spezifische Ziele erweitert werden. In Anlehnung an den Dreischritt von diagnosis, inference und treatment (vgl. Abbott 1988, S. 35 ff.) können solche Anpassungsleistungen der SPF als ein Ergebnis von Diagnose- und Inferenzprozessen aufgefasst werden. Auf die Ursachen der festgestellten Problemlagen gehen die Fachpersonen al- lerdings nur selten ein.22 Die Problemfeststellungsprozesse, die innerhalb der 21 Diese Doppelfunktion der SPF zeigt sich ferner bei Familie Ziegler: Die zuweisende Stelle beauftragt die Fachperson, den im Raum stehenden Verdacht, dass die Mutter (zu) streng sei zu den Kindern und grob mit ihnen umgehe, zu überprüfen; gleichzeitig erteilt sie ihr aber auch die Aufgabe, die Eltern zu befähigen, den bestehenden Paarkonflikt nicht auf die Kindererziehung zu übertragen (vgl. Auftragsvereinbarung Familie Ziegler, Februar 2018). 22 Dass die für die Familie Gehrig/Blaser zuständige Fachperson im Indikationsbericht (Juli 2017) festhält, dass es dem Kind schwerfalle, Emotionen zu erkennen, einzuordnen und zu benennen (Problemfeststellung) und dazu anführt, dass sich in der sozioemotionalen Ent- wicklung des Sohnes die fehlende Nähe der Mutter manifestieren könnte (Hypothese zum Problemzusammenhang), illustriert die Ausnahme von der Regel. Das dürfte dem Um- stand geschuldet sein, dass die Fachpersonen durch die verwendeten diagnostischen Hilfs- mittel nicht systematisch dazu angehalten werden, auch die Problemgenese bzw. -zusam- 69 SPF durchlaufen werden, lassen sich anhand der Aktenlage unterschiedlich gut rekonstruieren. Die verwendeten Dokumentationsinstrumente spielen dabei eine entscheidende Rolle. Die Fachpersonen, die für A2 und A3 auf der Basis der KOFA-Methodik tä- tig sind, erstatten im Vorfeld des ersten Standortgesprächs einen Indikationsbe- richt, der die Grundlage für die Bestätigung oder Modifikation des Auftrags im Rahmen des Standortgesprächs bildet. Im Indikationsbericht halten die Fach- personen die Informationen, die sie in der sog. „Diagnostikphase“ generiert haben, systematisch fest: Sie legen die Situationseinschätzungen, Verände- rungsanliegen und Ressourcen der einzelnen Familienmitglieder dar und do- kumentieren ihre Informationen anhand eines vorgegebenen Kategoriensys- tems. Die „Lebensbedingungen“ der Familie und die „Kompetenzen“ der Fami- lienmitglieder bilden dabei die Leitbegriffe des Kategoriensystems. Während sich die Kompetenzen der Familienmitglieder primär aus einem Set an ent- wicklungstheoretisch hergeleiteten Entwicklungsaufgaben der Kinder (alters- spezifisch) und daraus resultierenden Erziehungsaufgaben der Eltern ergeben, speist sich der Leitbegriff „Lebensbedingungen“ aus Subkategorien wie „mate- rielle Situation“, „Wohnverhältnisse“, „Struktur und tägliche Routine“, „sozia- les Netz der Familie“ u. ä. m. Über diese Beschreibungen hinaus sind die Fach- personen durch die Berichtsvorlage explizit angehalten, die Lebensbereiche der Familie sowie Kompetenzen der einzelnen Familienmitglieder entlang der Ka- tegorien „starke Punkte/Schutzfaktoren“ und „Verbesserungspunkte/Risiko- faktoren“ zu beurteilen. Schliesslich hat der Indikationsbericht auch eine handlungsleitende Funktion für die Problembearbeitung: Um auf die festge- stellten Verbesserungspunkte resp. Risikofaktoren zu reagieren, werden „Hand- lungsziele“ und „Massnahmen“ zu deren Umsetzung definiert. Im Vergleich zur Berichterstattung der anderen Anbieterorganisationen sind die Indika- tionsberichte (KOFA) detaillierter und entsprechend umfangreicher. Ausser- dem strukturieren die Kategorien der Berichtsvorlage die Einschätzungen der Fachpersonen in hohem Masse. Die Anbieterorganisation A4 arbeitet dagegen mit einem Begleitplan. Die Vorlage für den Begleitplan fordert die Fachpersonen dazu auf, die Sichtweisen und Veränderungsanliegen der Familienmitglieder einzuholen, die Unterstüt- zungsbedarfe der Familien sowie deren Ressourcen zu eruieren und auf dieser Grundlage eine Interventionsplanung vorzunehmen, indem „Entwicklungsper- spektiven“ resp. langfristige Ziele für die Familienmitglieder formuliert, mittel- menhänge zu erhellen. Selbst die KOFA-Berichtsvorlagen, welche die Fachpersonen zu um- fassenden Problemfeststellungsprozessen anregen (vgl. dazu die weiteren Ausführungen), fragen lediglich nach den Verbesserungspunkten und Risikofaktoren in der Familie, for- dern aber nicht zur Ursachenklärung auf. 70 und kurzfristige Ziele operationalisiert sowie Mittel und Strategien zu deren Umsetzung identifiziert werden. Die anderen Anbieterorganisationen erfassen die Ressourcen und Probleme der Familien nicht (oder weniger) systematisch. In den i. d. R. halbjährlichen Zwischenberichten, in denen auch Standortgespräche protokolliert werden, dokumentieren sich dennoch häufig Abweichungen von den ursprünglichen Aufträgen. Es ist anzunehmen (aber nicht sicher), dass mit den Auftragsmodi- fikationen auf neu zutage getretenen Problemlagen reagiert werden soll.23 Wird die Problemerfassung nicht systematisch dokumentiert, sind auch die Auftragsmodifikationen für Aussenstehende häufig nicht nachvollziehbar. Eine systematische Erfassung der Ressourcen und Probleme der Familien stellt dage- gen sicher, dass das im Zuge der SPF generierte Fallwissen dauerhaft fixiert und für neu Hinzukommende abrufbar ist. Eine umfassende, weitgehend standardi- sierte Problemerfassung, wie sie in der KOFA-Methodik angelegt ist, wirkt zudem der Gefahr entgegen, dass einzelne Lebensbereiche der Familien unbe- rücksichtigt bleiben, die unter entwicklungstheoretischen Gesichtspunkten möglicherweise bedeutsam sind. 4.3.5 Interventionspraxis der SPF In diesem Kapitel wird aufgezeigt, was die Dossiers im Hinblick auf die Gestal- tung der Interventionspraxis zu erkennen geben (und was nicht). Weiter wird dargelegt, wie die SPF Netzwerkarbeit betreibt und welche Rolle die Kinder im Interventionsprozess der SPF spielen. Gestaltung der Interventionspraxis Im Hinblick auf die Gestaltung der Interventionspraxis werden in den Dossiers vornehmlich diejenigen Fallaktivitäten dokumentiert, die auch Gegenstand der Auftragsziele waren. Vielfach zielen die Aktivitäten darauf ab, die Eltern in ihrer Erziehungskompetenz zu stärken und sie bei der Strukturierung des Fa- 23 So stellt sich bspw. im ersten Zwischenbericht bei Familie Erismann die Frage, ob die darin erhobenen Abweichungen von den ursprünglichen Auftragszielen auf ein durch die Mutter geäussertes Unterstützungsbedürfnis zurückgeführt werden müssen oder auf einen eher expertokratisch festgestellten Veränderungsbedarf (vgl. Zwischenbericht Familie Erismann, Mai 2018). Demgegenüber können die im Indikationsbericht für Familie Gehrig/Blaser de- finierten Handlungsziele auf der Grundlage der dargelegten Probleme und Veränderungs- anliegen der einzelnen Familienmitglieder und den festgehaltenen Einschätzungen der Fachperson zu den Kompetenzen und Lebensbedingungen der Familie gut nachvollzogen werden (vgl. Indikationsbericht Familie Gehrig/Blaser, Juli 2017). 71 milienalltags zu unterstützen, was sich in den Dossiers dahingehend reflektiert, dass häufig solche Unterstützungsleistungen nachgezeichnet werden, die als Leistungen aufsuchender Erziehungsberatung verstanden werden können. Gleiches zeigt sich bei der Unterstützung in schulischen Angelegenheiten, die sich primär auf Hausaufgabenhilfen der Kinder bezieht und bei der Unterstüt- zung in alltagspraktischen und administrativen Angelegenheiten. Gemeinhin wird in der Falldokumentation konstant ausgewiesen, was mit den Familien gemacht wird, d. h. welche Schritte zur Zielerreichung umgesetzt werden. Beispielsweise wird darin deutlich, dass Erziehungssituationen reflek- tiert, Regeln, Verhalten und Belohnungen im Umgang mit Kindern besprochen und familiäre Alltagsstrukturen reflektiert und überarbeitet werden; ferner, dass Stundenpläne oder Hausaufgabenregelungen der Schule mit den Eltern erör- tert, Kinder bei der Erledigung der Hausaufgaben und Eltern im Kontakt mit Schule und Behörden unterstützt werden. Eher selten – und auf den Bereich aufsuchender Erziehungsberatung beschränkt – wird festgehalten, auf welche spezifischen Methoden oder Techniken die einzelne Fachperson rekurriert. Nach vorliegenden Hinweisen greifen Fachpersonen vereinzelt auf das Rollen- spiel zur Einübung alternativer Erziehungspraktiken und zur Bewältigung von Erziehungsunsicherheiten zurück (vgl. Begleitplan Familie Ronchi, S. 5; Zwi- schenbericht Familie Zumsteg, September 2018). In einem anderen Fall arbeitet die Fachperson nach der „Marte-Meo-Methode“ mit videogestützten Inter- aktionsanalysen zwischen Eltern und Kind sowie daran anschliessender Video- reviews, um Probleme im erziehungspraktischen Vorgehen und in der Eltern/ Kind-Interaktion zu reflektieren (z. B.: Blickkontakt mit den Kindern aufneh- men und auf Augenhöhe gehen; Grenzen setzen; vgl. Falldossier Familie Baan). Wie die Fachpersonen konkret vorgehen, lässt sich anhand der Dossiers kaum eruieren. In der Dokumentation wird meist festgehalten, was gemacht wird, aber nur sehr selten, wie es gemacht wird. Die Dossiers klären für ge- wöhnlich nicht darüber auf, wie mit den Familien Regeln besprochen, Erzie- hungssituationen reflektiert oder familiäre Tagesabläufe organisiert werden, so dass sich auch nicht erschliessen lässt, ob die betreffende Fachperson ihre In- terventionen eher substituierend, direktiv oder reflexiv gestaltet.24 24 Das Verlaufsjournal zur SPF bei Familie Grigic, das Hinweise auf das interventionsprakti- sche Vorgehen der Fachperson enthält, stellt eine Ausnahme dar. Darin hält die Fachper- son fest, dass die Eltern trotz Abraten weiterhin unangemessene Bestrafungsmethoden praktizieren, während sie das vorgeschlagene Belohnungssystem nicht plangemäss umset- zen. Die Fachperson bringt damit zum Ausdruck, dass ihre eher direktive Interventions- strategie (Ratschläge und Lösungsvorgabe) nicht den erwünschten Erfolg zeigt. Es scheint demnach so, dass das interventionspraktische Vorgehen in der internen Falldokumentation dann thematisiert wird, wenn es sich in der Zusammenarbeit mit den Familien als unwirk- sam herausstellt. 72 Erschliessung und Vermittlung familiärer Unterstützungsressourcen Dass die SPF familiäre Unterstützungsressourcen erschliesst und vermittelt, haben die bisherigen Ausführungen in Ansätzen bereits deutlich gemacht. Die auf diesen Aspekt der Interventionspraxis der SPF fokussierte Untersuchung der Dossiers hat gezeigt, dass in der SPF mit unterschiedlichen Protagonisten aus der sozialökologischen Umwelt der Familien zusammengearbeitet wird. Eltern werden hauptsächlich in schulischen Angelegenheiten unterstützt. Meist handelt es sich um Spannungen zwischen Schule und Eltern, um Auffäl- ligkeiten im Leistungs- und Sozialverhalten der Kinder oder darum, dass die Eltern überfordert sind angesichts der Anforderungen, welche die Kooperation mit der Schule an sie stellt. Die Erschliessung oder Vermittlung weiterer Unterstützungsressourcen ge- schieht ebenfalls situativ: Bei Familie Moser wird bspw. eine Unterstützung durch Pro Infirmis aufgegleist, die dem Vater bei der Haushaltsführung und bei der Erledigung administrativer Aufgaben hilft; Frau Garcia wird von der zu- ständigen Fachperson dazu ermutigt und darin unterstützt, sich für einen Deutschkurs anzumelden; bei Familie Rohner-Hamidi wird im Rahmen der SPF eine logopädische Abklärung von Sonja in die Wege geleitet und dafür gesorgt, dass das Mädchen eine logopädische Therapie erhält; Frau Blaser wird von der zuständigen Fachperson darin unterstützt, die Psychotherapie wieder- aufzunehmen. Neben der Erschliessung familienexterner Unterstützungsressourcen wer- den auch familieninterne Ressourcen aktiviert. Dabei werden vereinzelt famili- äre Konflikte bearbeitet, insbes. solche zwischen begleiteten und nichtbegleite- ten Familienmitgliedern. Um bspw. einen Loyalitätskonflikt abzuwenden, der bei dem Kind aus einem Konflikt zwischen Mutter und Grossmutter entsteht, fungiert die Fachperson der Familie Isbaner/Bachmann als Vermittler, indem sie das gegenseitige Verständnis der Konfliktprotagonistinnen mit Rücksicht auf das Kindeswohl zu vermitteln versucht (Zwischenbericht Familie Isbaner/ Bachmann, Januar 2016). In anderen Fällen wird versucht, über die eigene Kernfamilie hinausgehende Unterstützungsressourcen zu erschliessen. So wird mit Frau Erismann darauf hingearbeitet, dass sie „Personen [kennt], die sie bei Bedarf unterstützen (praktisch, emotional) und mit denen sie gemeinsam Akti- vitäten durchführen kann“ (Zwischenbericht Familie Erismann, Mai 2018); und mit Herrn Binotti, dass er von seinen Eltern und Freunden in der Kinder- betreuung unterstützt wird (vgl. Zwischenbericht Familie Binotti, Mai 2015). In den Dossiers lassen sich drei Formen von Unterstützung der Eltern re- konstruieren. Diese werden nachfolgend entlang der Interventionen im schuli- schen Kontext illustriert. Dabei handelt es sich um 73 • substituierende Unterstützung, die – am Beispiel der Familie Isbaner/Bach- mann – dadurch gekennzeichnet ist, dass sich die Fachperson stellver- tretend für die erziehungsberechtigte Grossmutter „regelmässig mit der Klassenlehrperson [bespricht]“ und die dabei „vereinbarten Lern- und För- derziele“ der Grossmutter anschliessend „vermittelt“ (Zwischenbericht Fa- milie Isbaner/Bachmann, Januar 2016); • ermächtigende Unterstützung, die – am Beispiel der Familie Garcia – darauf zielt, die Eltern durch Vermittlung von Wissen über „die Schulstrukturen“ und Unterstützung im „Kontakt zur Schule“ schrittweise zu einer eigen- ständigen und gelingenden Kooperation mit der Schule zu befähigen (vgl. Begleitplan Familie Garcia, S. 4); • vermittelnde Unterstützung, die Spannungen zwischen Eltern und Schule zum Ausgangspunkt hat und – am Beispiel der Familie Grigic – darauf zielt, in gemeinsamen Gesprächen zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln und mittels Vereinbarungen (z. B. wöchentliche Telefonate zwischen Lehr- person und Mutter) gelingende Formen der Zusammenarbeit zu etablieren (vgl. Zwischenbericht Familie Grigic, September 2018). Rolle der Kinder Während die Kinder gemäss Aktenlage im Zuge der Vorbereitung der SPF beinahe nie in Erscheinung treten, erfüllen sie im Interventionsprozess der SPF unterschiedliche Funktionen. Im Vergleich unter den Anbieterorganisationen fällt diesbezüglich auf, dass die Kinder in den betreuten Familien von A4 kaum eine Rolle spielen. Im Fall der Familie Baan beschränkt sich bspw. die Beteili- gung der Kinder laut Aktenlage auf einen Hausbesuch im September 2017. Dabei spielen die beiden Söhne mit ihrer Mutter und der stellvertretenden Fachperson ein Spiel, das von der fallführenden Fachperson mit einer Kamera aufgezeichnet wird (vgl. externer Auftragsbericht Familie Baan). Da die Bespre- chung und Reflexion der aufgezeichneten Erziehungssituation ohne Beteiligung der Kinder erfolgt, beschränkt sich deren Funktion für die SPF – zugespitzt formuliert – darauf, als Objekte für die Beobachtung von Mutter/Kind-Inter- aktionen zu fungieren. Mit Frau Ronchi wird wiederum das Ziel verfolgt, dass sie „die Einhaltung der Regeln ein[fordert] und […] wenn nötig angemessene Konsequenzen oder Belohnungen [setzt]“. Zur Umsetzung dieses Ziels ist die Fachperson „in verschiedenen Alltagssituationen dabei“, um „Marco und Massimo bei auffälligem Verhalten direkt darauf aufmerksam“ zu machen (Be- gleitplan Familie Ronchi, S. 5). Auch hier fungieren die Kinder lediglich als Bühne für die Demonstration von guter Erziehung. Während die Kinder bei der Fallbearbeitung in den Familien von A4 nur eine marginale Rolle spielen, werden sie von anderen Fachpersonen anderer Anbieterorganisationen häufiger direkt adressiert. Dabei nehmen sie nicht nur 74 an Familiengesprächen teil, sondern fungieren auch als Adressat/innen perso- nenbezogener Interventionen. Beispielsweise kann Simona ihre Gefühle und Probleme mit der Fachperson besprechen und zusammen mit ihr ihre Bewälti- gungsstrategien reflektieren und weiterentwickeln (vgl. Zwischenbericht Fami- lie Isbaner/Bachmann, September 2014). Zudem hat sie in Gestalt der Fachper- son ein Gegenüber, das sie bei der Bewältigung der schulischen Angelegenhei- ten unterstützt (ebd.), sie in ihrer Selbstständigkeit fördert (gemeinsame Ein- käufe) und sie in ihrer psychosozialen Entwicklung begleitet (bspw. anlässlich ihrer Erlebnisse mit ihrer Peergroup, vgl. Zwischenbericht Familie Isbaner/ Bachmann, September 2017). Mit Arbeitsbeziehungen zwischen Kindern und Fachpersonen gehen evtl. auch Risiken einher, bspw., dass Eltern die Beziehung zwischen Fachperson und Kind als Konkurrenzverhältnis erleben oder die Fachperson die „Hilfe zur Erziehung“ mit „Erziehung als Hilfe“ gleichsetzt (vgl. Köngeter 2013, S. 189 f.). Eine solche Problematik wurde in den Falldossiers jedoch an keiner Stelle do- kumentiert. Umgekehrt geht mit dem Verzicht auf die direkte Adressierung von Kindern für diese möglicherweise viel verloren, so z. B. ein „kompetentes signifikantes Anderes“ (Schütze 1992, S. 156), also eine Vertrauens-, Unterstüt- zungs- und Vorbildperson, die sie in ihrer Autonomie fördert und in ihrer psychosozialen Entwicklung unterstützt. 4.3.6 Veränderung als Wirkaussage von SPF Wirkaussagen finden sich in der Falldokumentation vor allem in den Zwi- schenberichten und Protokollen der Standortgespräche, in denen die aktuellen Entwicklungen vor dem Hintergrund der Auftragsziele resümiert und einge- schätzt werden. Dabei spielen vor allem die wahrgenommenen Veränderungen eine bedeutsame Rolle. In den meisten Dossiers finden sich bspw. vergleichende Aussagen zwischen der anfänglichen und gegenwärtigen Situation. So wird be- tont, dass es Veränderungen im erziehungspraktischen Vorgehen der Eltern gab (z. B. stärkere Verhaltensregulierung, konsequenterer Umgang mit den Kindern und ihren Frustrationen etc.), dass das Verhalten der Kinder sich in die gewünschte Richtung entwickelt habe (z. B. Befolgung von elterlichen An- weisungen, Hausaufgabenerledigung, Umgang mit Medien, Betragen in der Schule etc.) oder regelmässige Tagesstrukturen geschaffen und die Familien- situation stabilisiert werden konnten. Gelegentlich werden auch Veränderun- gen in der Zusammenarbeit zwischen Eltern und Schule dokumentiert. Mit einer gewissen Plausibilität können die in den Dossiers aufgeführten Verände- rungen als Effekte der in der Zusammenarbeit mit den Familien zur Zielerrei- chung umgesetzten Massnahmen und/oder durchgeführten Netzwerkaktivitä- ten verstanden werden. 75 Mitunter wird der Nutzen einzelner Unterstützungsmassnahmen auch aus Sicht der Eltern kenntlich gemacht. Im zweiten Standortgespräch führt Herr Moser aus, dass er durch die SPF Ideen bekomme, wie in Erziehungssituationen anders reagiert werden könne und er seinem Sohn mehr Zeit einräume, um sich nach einer Niederlage bei einem gemeinsamen Spiel zu beruhigen (vgl. Standortgesprächsprotokoll Familie Moser, Oktober 2017). Auch die für Fami- lie Isbaner/Bachmann zuständige Fachperson stellt im ersten Zwischenbericht einen expliziten Zusammenhang zwischen wahrgenommenen Veränderungen und ihren Interventionen her: etwa den Erfolg eines „Ämtliplans“ zur Schaf- fung von regelmässigen Alltagsstrukturen sowie eine „Belohnungstabelle“ für Simona als Anreiz in der für sie schwierigen Hausaufgabensituation, wodurch „eine gewisse Ruhe in den Alltag“ gebracht werden konnte (Zwischenbericht Familie Isbaner/Bachmann, September 2014). In verschiedenen Dossiers finden sich darüber hinaus Hinweise, dass auf Seiten der Klientel eine gewisse Bereitschaft zu Veränderung und zur Zusam- menarbeit vorhanden sein muss, damit die intendierte Wirkung auch erzielt werden kann. So sah Frau Huber (Kindesmutter) grundsätzlich keinen Bedarf für eine Veränderung hinsichtlich ihrer Erziehungspraxis und stand der SPF generell ablehnend gegenüber, so dass das Angebot bereits 2016 eingestellt und nur mit Herrn Huber sowie den bei ihm platzierten Kindern fortgeführt wurde. Auch Herr und Frau Grigic konnten die ursprünglichen Auftragsziele nicht teilen, jedoch gelingt es der Fachperson mit der Zeit, eine tragfähige Arbeitsbe- ziehung zu etablieren und verschiedene Veränderungen zu erzielen. In einem „Antrag auf Verlängerung der Massnahme“ vom September 2018 führt die Fachperson hierzu aus, dass die Eltern infolge der Aneignung „neuer Umgangs- strategien“ nun „konsequenter mit den Kindern umgehen“ könnten und auch ihr „Belohnungs- und Strafsystem“ angepasst hätten. Allerdings lässt sich aus der Falldokumentation nicht erschliessen, wie es der Fachperson gelang, die nötige Veränderungs- und Kooperationsbereitschaft bei den Eltern zu erwir- ken. 4.3.7 Zusammenfassende Diskussion der Dossieranalyse Mit Blick auf die Ausgangsbedingungen von SPF-Interventionen hat die Ana- lyse der Dossiers gezeigt, dass die SPF eng mit dem zivilrechtlichen Kindes- schutz verwoben ist, wodurch eine auf die unbestimmte Rechtsnorm des Kin- deswohls abstellende Schutzorientierung und Kontrolllogik in die SPF hinein- diffundiert. Das Dilemma von Hilfe und Kontrolle reflektiert sich in den Dos- siers in wenigstens zwei Aspekten. Zum einen dokumentiert es sich in der Doppelfunktion der SPF, die durch die Gleichzeitigkeit von abklärend-kontrol- lierenden und beratend-begleitenden Aufgaben gekennzeichnet ist, in der sich 76 die „Gleichzeitigkeit von Hilfe und Kontrolle“ (Köngeter 2013, S. 190) manifes- tiert. Diese Doppelfunktion wird der SPF zuweilen explizit durch die zuweisen- den Stellen zugeschrieben: Die für A2 und A3 tätigen Fachpersonen haben in den Zwischenberichten nicht nur die Entwicklungen in der Familie auf der Basis ihrer Unterstützungsleistungen, sondern parallel dazu immer auch die Gewährleistung des Kindeswohls mit im Blick. Darüber hinaus müssen Fach- personen trotz z. T. fehlender Veränderungs- und Mitwirkungsbereitschaften aufseiten der Eltern eine Arbeitsbeziehung etablieren. In den vorliegenden Akten variieren die Ausgangsbedingungen für die Schaffung eine Arbeitsbezie- hung zwischen manifestem Zwangskontext ohne Veränderungs- und Koopera- tionsbereitschaft bis zur Übereinstimmung von Auftragszielen und Verände- rungsanliegen seitens der Eltern. Den Rahmen für die Zusammenarbeit mit den Familien bilden insofern die in unterschiedlichem Masse mit den Anliegen und Vorstellungen der Eltern korrespondierenden Aufträge der zuweisenden Stellen. Diesbezüglich haben die Analysen gezeigt, dass die SPF in nahezu allen Fällen des Samples damit beauf- tragt wird, die Eltern in ihren Erziehungskompetenzen zu stärken. In vielen Familien hat die SPF darüber hinaus bei der Organisation und Strukturierung des Familienalltags und/oder in schulischen Angelegenheiten zu unterstützen. Hinsichtlich der Problemerfassung hat sich gezeigt, dass die Aufträge der zuweisenden Stellen im Verlauf der SPF zwar in nahezu allen Fällen konkreti- siert und/oder erweitert werden, die zugrundeliegenden Ursachen für diese Anpassungen anhand der Dossiers aber weniger gut nachvollzogen werden können. Die Indikationsberichte der Fachpersonen von A2 und A3 (KOFA- Methodik) dokumentieren die diesbezüglichen Abklärungen besonders detail- liert, jedoch wird auch hier nicht weiter auf zugrundeliegende Ursachen einge- gangen. In die gleiche Richtung weist der Befund, dass zwar in nahezu allen Fällen neue Problemaspekte hinzutreten, sich aber nur selten Hinweise zur Pro- blemgenese finden. Insofern bleibt nicht nur unklar, worauf sich der Hand- lungsauftrag der zuweisenden Stelle stützt, sondern auch, auf welche Sach- verhalte sich die Befunde der erweiterten Abklärung begründen. In der Falldokumentation weisen die Fachpersonen aus, welche Interven- tionen mit den Familien durchgeführt bzw. welche Schritte zur Zielerreichung umgesetzt werden. Hingegen machen sie nur selten explizit, auf welche Metho- den und Techniken sie dabei rekurrieren. Häufiger beschränkt sich der Inter- ventionsbereich der SPF nicht allein auf die begleiteten Familien, sondern er- streckt sich auf deren näheres und ferneres Umfeld. Mit der Erschliessung und Vermittlung familieninterner und -externer Unterstützungsressourcen ist in- tendiert, die Belastungen der Familien zu reduzieren. Kinder werden nach vorliegenden Dokumenten mit unterschiedlicher In- tensität in den Interventionsprozess involviert, wobei sie jedoch primär als Objekt der Beobachtung bzw. für das Modelllernen erzieherischer Handlungs- 77 alternativen fungieren. In anderen Fällen werden Kinder direkt adressiert und beteiligen sich nicht nur an Familiengesprächen, sondern fungieren auch als Gegenüber in unterstützenden und pädagogischen Situationen. Mit Blick auf Wirkungen der SPF machen einzelne Dossiers auf die Bedeu- tung des elterlichen Commitment aufmerksam. Zwangskontexte erschweren diese Zielsetzung, verunmöglichen sie aber nicht. Dass dies scheitern kann, dokumentiert sich lediglich im (zurückliegenden) Fall von Frau Huber. In den meisten Fällen des Samples sind die Ausgangsbedingungen nach vorliegenden Hinweisen anscheinend weniger eklatant, abzulesen an den herbeigeführten Veränderungen. Darüber hinaus werden Verhaltensveränderungen auch am Verhalten der Kinder sowie an den Veränderungen im erzieherischen Handeln der Eltern festgemacht, zuweilen auch an Veränderungen in der Zusammenar- beit zwischen Eltern und Schule. 4.4 Hausbesuche aus ethnografischer Sicht In den Hausbesuchen werden die vielfältigen Wirkinteressen der SPF hand- lungspraktisch konkret. Auf der einen Seite stehen die Perspektiven und Er- wartungen der zuweisenden Stellen, auf der anderen die Bedürfnisse der be- troffenen Familien(-mitglieder) und ihrer Belastungen. Dazwischen gliedern sich die fallzuständigen Fachpersonen der SPF ein, welche die entweder kon- gruenten oder widersprüchlichen Interessen aller Beteiligten in ein sequenziell aufeinander aufbauendes Konzept sozialpädagogischer Interventionen integrie- ren und dieses flexibel an den Bedingungen und Möglichkeiten der Zielerrei- chung ausrichten müssen. Auch wenn im Zuge der vorliegenden Studie ein nur bescheidener Ausschnitt an Beobachtungen möglich war, und dieser Ausschnitt hinsichtlich aller prinzipiell denkbaren Möglichkeiten wiederum nur in be- grenzter Breite und Tiefe untersucht und ausgewertet werden konnte, so eröff- net dieser methodische Zugang gleichwohl einen lebhaften Einblick in die Chancen und Grenzen handlungspraktischer Interventionen der SPF. 4.4.1 Feldzugang und methodisches Vorgehen Bei den insgesamt 16 Familien des MWA-Samples wurde je ein Hausbesuch teilnehmend beobachtet und protokolliert. Bei den Beobachtungen war vorran- gig von Interesse, wie die Hausbesuche formal und inhaltlich strukturiert und handlungspraktisch umgesetzt werden. Entsprechend richtete sich das Augen- merk zunächst auf die formalen Rahmenbedingungen des Hausbesuchs (Set- ting, Dauer, Sequenzierung, Beteiligte etc.), sodann auf seine inhaltliche Struk- 78 turierung (welche Themen werden behandelt und wer bringt sie ein?) und schliesslich auf das praktische Vorgehen der Fachperson im konkreten Fall (wie geht die Fachperson bei der Themenbearbeitung vor?). Während der Beobachtungen wurden von den Mitarbeitenden aus dem Projektteam Feldnotizen gemacht, die möglichst zeitnah in Form von umfas- senderen Beobachtungsprotokollen (nachfolgend: BP) ausgearbeitet wurden. Im Zuge der Terminabsprachen und/oder auf dem gemeinsamen Hinweg zu den Familien fand für gewöhnlich ein informelles Vorgespräch zwischen Fach- person und Projektmitarbeitenden statt, bei dem erste Informationen über den anstehenden Hausbesuch ausgetauscht wurden (Was ist geplant? Was sind die Hintergründe und Besonderheiten dieser Familienbegleitung? Mit welchen Vorkommnissen wird gerechnet?). Entsprechend wurde bei den Beobach- tungsprotokollen zwischen verschiedenen Informationstypen unterschieden (eigene Beobachtungen, Kontextinformationen, methodische/theoretische Reflexionen, vgl. dazu auch Przyborski/Wohlrab-Sahr 2008, S. 63 ff.). Um die abgefassten Protokolle überprüfen und ggfs. ergänzen zu können, wurden mit Zustimmung aller Beteiligten (mit zwei Ausnahmen25) Audioauf- zeichnungen von den Hausbesuchen gemacht. Neben der nachträglichen Über- prüfung und Vervollständigung der Beobachtungsprotokolle hatte dies den Vorteil, dass die Gesprächsdaten allen Mitgliedern des Forschungsteams zu- gänglich waren und die in den Beobachtungsprotokollen eingelagerten Inter- pretationen intersubjektiv überprüft werden konnten.26 Als Rahmen für die vergleichende Analyse der Beobachtungsprotokolle galten die Kategorien des Beobachtungsleitfadens. Auf dieser Grundlage wurden fallübergreifende Handlungsmuster der Fachpersonen herauszuarbeiten versucht, die auf die formale und inhaltliche Gestaltung der Hausbesuche fokussierten. 4.4.2 Der Hausbesuch als interventionspraktisches Setting Der Begriff des Hausbesuchs macht zunächst auf den Umstand aufmerksam, dass es sich dabei um eine Besuchssituation handelt. Die Fachpersonen agieren dabei nicht in ihren angestammten institutionellen Settings, sondern in der 25 Bei Familie Isbaner/Bachmann äusserte die Grossmutter Skepsis gegenüber einer Ton- bandaufnahme, so dass auf eine Aufzeichnung des Familieneinsatzes verzichtet wurde; bei Familie Ziegler kam der Familieneinsatz bereits zwischen Tür und Angel voll in Gang, wo- bei der Beobachter – damit die Intervention ihren natürlichen Lauf nehmen konnte – von einer Unterbrechung absah, um die nötigen Arrangements für eine Tonbandaufnahme zu treffen (Einholen des Einverständnisses, Erläuterung der Datenschutzvorkehrungen etc.). 26 Die Audioaufzeichnungen selbst waren jedoch nicht Grundlage der Analyse. Dies hätte die verfügbaren Ressourcen für diesen Untersuchungsschritt bei weitem gesprengt. 79 Privatsphäre der Familien. Mit der Besuchssituation ist folglich ein bestimmtes Rollenverhältnis impliziert: Neben ihrer professionellen Identität treten Fach- personen auch in der Besuchsrolle in Erscheinung, wohingegen die Familien neben ihrer klientelen Identität auch in ihrer Gastgeberrolle agieren. Nach vor- liegenden Hinweisen aus den Beobachtungsprotokollen finden insbesondere in der Anfangsphase, also im eher informellen Teil der Hausbesuche, häufig sol- che Interaktionen statt, die für eine Besuchssituation typisch und aufschluss- reich sind: Fachpersonen werden wie Gäste empfangen, eingangs wird Small- talk betrieben und es werden (der Jahreszeit entsprechend) Getränke angebo- ten. Bei den Hausbesuchen stehen sich mithin institutionelle Autorität und private Souveränität gegenüber, die im Verlauf wiederholter Interaktionen in irgendeiner Form ausgesöhnt werden müssen, damit ein für beide Seiten trag- fähiger Interaktionsrahmen daraus resultiert.27 Obschon die Fachpersonen im Zuge des Hausbesuchs auf verschiedene In- signien ihrer institutionellen Autorität verzichten (Büros, Schreibtische, Akten- schränke, Telefone etc.), besuchen sie die Familien nicht als Privatpersonen, sondern im Auftrag einer zuweisenden Stelle und als Mitglieder einer Anbie- terorganisation. Während der Einfluss der zuweisenden Stellen auf die konkrete Ausgestaltung der einzelnen Hausbesuche typischerweise unsichtbar bleibt28, zeigen sich bei den Rahmenbedingungen der Hausbesuche deutliche Unter- schiede gemäss Anbieterorganisation. Dauer der Hausbesuche Im Hinblick auf die formale Gestaltung der Hausbesuche geben die Beobach- tungsprotokolle zu erkennen, dass deren Dauer stark variiert: Während sich die längsten Hausbesuche über drei Stunden erstrecken, dauern die kürzesten 30 Minuten. Differenzen in der Dauer der Hausbesuche sind in erster Linie den 27 Der Frage nachzugehen, welche Implikationen das Setting des Hausbesuchs für die Bezie- hungsgestaltung bzw. die Gestaltung der Arbeitsbeziehung hat, wäre durchaus interessant, würde aber den Rahmen der vorliegenden Untersuchung ebenfalls überstrapazieren. Man könnte jedoch argumentieren, dass die eher informelle Privatsphäre der Hausbesuche die Herstellung einer persönlich-sozialen Arbeitsbeziehung durchaus unterstützt. Ferner steht zu vermuten, dass ein Teil der zurückhaltenden bzw. sich zurücknehmenden Haltungen der Fachpersonen auf deren Besuchsrolle zurückgeführt werden kann. Petko (2004, S. 194) spricht in diesem Zusammenhang vom ‚sich zurückhalten‘ angesichts der Souveränität fa- milialer Lebenswelten. 28 Lediglich in einem Fall unseres Samples bildet ein spezifischer Auftrag der zuweisenden Stelle (Besprechung eines Betreuungsplans) auch den thematischen Schwerpunkt des beob- achteten Hausbesuchs (vgl. BP Ronchi, S. 6). Ansonsten beschränken sich die spezifischen Aufträge der zuweisenden Stellen auf die Koordination von Standortgesprächsterminen (vgl. BP Erismann, S. 2; BP Garcia, S. 11). 80 Konzepten und Schwerpunkten der Anbieterorganisationen geschuldet. So dauern die Hausbesuche der Fachpersonen von A3 jeweils drei Stunden, die von A2 und A5 durchschnittlich jeweils eine Dreiviertelstunde und jene von A4 in der Regel eineinhalb Stunden. Die Hausbesuche von Fachpersonen von A1 variieren dagegen in ihrer Dauer zwischen einer und zweieinhalb Stunden. Einbezug der Familien(-mitglieder) Auffällig ist, dass in den länger dauernden Hausbesuchen eher gemeinsame Aktivitäten mit den Familien umgesetzt werden. Dabei werden Gesellschafts- spiele gespielt, Fruchtspiesse für eine Zwischenmahlzeit zubereitet u. ä. m. Ge- meinsame Aktivitäten mit den Familien bedeuten, dass für gewöhnlich Eltern und Kinder beteiligt sind. Die triadische Form der Zusammenarbeit, also in Form einer Rollentrias von Eltern(-teil), Kind und Fachperson entspricht je- doch nicht dem Standard im Sample. In rund einem Drittel der beobachteten Hausbesuche (fünf Fälle) werden Kinder nicht in die Hausbesuche einbezo- gen.29 Eine konstant dyadische Zusammenarbeit zwischen Eltern und Fachper- son ist das Zusammenarbeitsmuster der Hausbesuche von A4. Darin kommt eine Programmatik der Anbieterorganisation zum Ausdruck, die ihr klassisches Angebot primär als Zusammenarbeit mit den Eltern konzipiert. Die weiteren Beobachtungsprotokolle geben diesbezüglich weniger Unter- schiede zwischen den Anbieterorganisationen als vielmehr zwischen den ein- zelnen Familien zu erkennen. Drei Fachpersonen arbeiten während ihres Haus- besuchs konstant mit der Familie zusammen. Dabei variieren sie den Fokus ihrer Interventionen themen- und situationsspezifisch auf einzelne Familien- mitglieder (konstant triadische Zusammenarbeit mit sequenzweiser Fokusver- lagerung, vgl. BP der Familien Binotti, Gehrig/Blaser, Huber und Almeida). Sechs Fachpersonen arbeiten wechselweise mit einzelnen Familienmitgliedern (Eltern, Kinder) und der ganzen Familie zusammen (alternierend dyadische und triadische Zusammenarbeit, vgl. BP der Familien Isbaner/Bachmann, Erismann, Grigic, Ortega, Moser, Rohner-Hamidi). Auf die Bedeutung der 29 Vier dieser fünf Hausbesuche werden von Fachpersonen durchgeführt, die für A4 tätig sind. Die beobachteten Hausbesuche bei den Familien Ziegler und Ronchi finden statt, während sich die Kinder in der Schule aufhalten. Das Kind der Familie Garcia ist dagegen zuhause, hält sich jedoch in seinem Zimmer auf und kommt nur bei der Begrüssung mit der Fachperson in Kontakt. Beim Hausbesuch bei Familie Baan sind die beiden Söhne an- fänglich abwesend. Der eine kommt während des Hausbesuchs nicht nach Hause, der an- dere kommt zwischenzeitlich vom Kindergarten zurück, verschwindet jedoch direkt in sei- nem Zimmer. 81 unterschiedlichen Zusammenarbeitsformen im Rahmen der Hausbesuche wird in den folgenden Abschnitten noch näher eingegangen.30 4.4.3 Thematische Strukturierung der Hausbesuche Hausbesuche werden für gewöhnlich seitens den Fachpersonen strukturiert. Unter anderem werden dabei auch Programmpunkte umgesetzt, die zuvor vereinbart bzw. beim letzten Hausbesuch abgesprochen wurden. Vereinzelt bringen aber auch Familien(-mitglieder) ihre Themen ein. Lediglich in einem Fall ist es die zuweisende Stelle (Beiständin), die den thematischen Schwer- punkt für den beobachteten Hausbesuch erkennbar beeinflusst. Durch Fachpersonen strukturierte Hausbesuche Die meisten Hausbesuche werden durch die Fachperson strukturiert, oft mittels Rückschau auf die seit dem letzten Hausbesuch angefallenen Themen. Gele- gentlich wird den Familien auch ohne Rückschau ein Programm unterbreitet. So hat die für Familie Moser zuständige Fachperson für den Hausbesuch ein Programm konzipiert, das sie den Familienmitgliedern vorschlägt, nachdem sich alle an den Tisch gesetzt haben: „Ich habe mir gedacht, dass wir heute zu- erst gemeinsam ein Spiel spielen und danach das Thermometer und der Wo- chenplan jeweils einzeln mit den Eltern besprechen können“ (BP Moser, S. 1). Ihr Programm rahmt die Fachperson als Strukturierungsvorschlag, der ange- nommen, abgelehnt oder ergänzt werden kann. Trotz der eingeräumten Mitbe- stimmungsmöglichkeiten wird das vorgeschlagene Programm ohne wesentliche inhaltliche Veränderungen übernommen (ebd., S. 2). Wenn sich die SPF bereits im Abschlussstadium der Hilfe mit noch rund ei- nem Hausbesuch pro Monat befindet, strukturieren die Fachpersonen die Hausbesuche häufig so, dass sie die bisher behandelten Themenbereiche nur noch summarisch besprechen, damit Platz für noch bestehende Unterstüt- zungsanliegen ist. Insofern ist nicht nur eine Ausdünnung der Begleitung, son- 30 Diese Angaben decken sich in etwa mit den Hinweisen in der Studie von Petko (2004, S. 139). Der grösste Teil der dort beobachteten Hausbesuche (23 von insgesamt 50) kon- zentrierte auf die Eltern bzw. einen Elternteil, 12 Hausbesuche adressierten sowohl Eltern allein als auch Eltern und Kinder gemeinsam, 13 Hausbesuche nutzen alle Zusammenar- beitskonstellationen und in nur zwei Fällen wird die vollständige Besuchszeit mit Eltern und Kindern gemeinsam verbracht. Auch in dieser Studie werden die festgestellten Unter- schiede auf die einzelnen Regionalteams des Samples zurückgeführt. In den drei beobach- teten Hausbesuchen von Richter (2013, S. 265) sind die Kinder der Familien zwar anwe- send, werden aber nicht in das Gespräch einbezogen. 82 dern auch eine pauschalisierende Themenbearbeitung indikatorisch für einen baldigen Abschluss der SPF. So erkundigt sich die Fachperson beim Hausbe- such bei Familie Huber31, wie die Kinder in der Schule vorankommen, wie es um Elias’ Konsum von Energydrinks steht, ob sich Vanessa wie besprochen um den Hund der Familie kümmert und wo es ggfs. noch Unterstützung braucht (vgl. BP Huber, S. 2 ff.).32 Abgesprochene Programmpunkte Vereinzelt werden bei den beobachteten Familieneinsätzen auch zuvor abge- sprochene Programmpunkte umgesetzt, so beim Hausbesuch bei Familie Or- tega: „Wir haben das letzte Mal abgemacht, dass wir die Auswertung/Evalua- tion der aktuellen Situation noch machen wollen“ (BP Ortega, S. 1). Dazu hat die Fachperson Kärtchen mitgebracht, auf denen die bisher bearbeiteten Themen festgehalten sind. Auch die Zubereitung von Fruchtspiessen bei Fami- lie Rohner-Hamidi war im Vorfeld vereinbart (BP Rohner-Hamidi, S. 2).33 Indem sich die Fachpersonen im Voraus mit den Familien absprechen, stellen sie damit Planungssicherheit her, womit u. a. gewährleistet ist, dass die Vorbe- reitungen für den Hausbesuch nicht unnötig getroffen wurden. Darüber hinaus wird auf diesem Wege die Relevanz der zu bearbeitenden Themen vorab evalu- iert und die Mitwirkungsbereitschaft der Familien sichergestellt. Thematisch mehrheitlich durch Familien(-mitglieder) strukturierte Hausbesuche Beim Hausbesuch bei Familie Zumsteg werden schwerpunktmässig zwei The- men bearbeitet, die nicht durch die Fachperson eingebracht werden. Während sich das Erstere aus einer situativen Notwendigkeit heraus aufdrängt, wird Letzteres eher unvermittelt von der Mutter initiiert. Zunächst wird im Einzelge- 31 Die Fachperson hat der Beobachterin im Vorfeld erklärt, dass die SPF bei Familie Huber demnächst abgeschlossen wird (vgl. BP Huber, S. 2). 32 Bei den Familien Isbaner/Bachmann und Almeida steht die SPF ebenfalls kurz vor dem Abschluss und die beobachteten Hausbesuche werden – bei Familie Almeida zumindest im zweiten Teil – von den Fachpersonen in einer ähnlichen Art und Weise strukturiert (vgl. BP Isbaner/Bachmann, S. 2 ff.; BP Almeida, S. 5 ff.). 33 Im weiteren Verlauf der beobachteten Hausbesuche bei den Familien Rohner-Hamidi und Ortega werden dann jedoch noch andere, in erster Linie durch die Fachpersonen initiierte Themen bearbeitet: Im Anschluss an die gemeinsame Herstellung der Fruchtspiesse spielt die Fachperson beim Hausbesuch der Familie Rohner-Hamidi mit der Tochter ein Spiel zur Förderung ihrer Sprachkompetenzen, bevor sie abschliessend mit der Mutter behördli- che und administrative Angelegenheiten bespricht. Bei Familie Ortega bespricht die Fach- person mit der Familie den kommenden Hausbesuch (es sollen Weihnachtsplätzchen ge- backen werden) und unterstützt den Sohn bei den Hausaufgaben. 83 spräch mit Jerome ein Mutter/Sohn-Konflikt besprochen, der sich unmittelbar vor dem beobachteten Hausbesuch ereignet und den Sohn emotional stark aufgewühlt hat (vgl. BP Zumsteg, S. 1 ff.). Gegen Ende des Hausbesuchs wird über die Beendigung der SPF diskutiert, die von der Mutter gewünscht und spontan zur Debatte gestellt wird, als die Fachperson einen Folgetermin mit den Eltern vereinbaren wollte. Dabei äussert Frau Zumsteg, dass sie die SPF nicht mehr fortführen möchte, da ihr Ex-Mann nun ausgezogen sei und bei ihr alles gut funktioniere (ebd., S. 6). Demgegenüber macht die Fachperson deut- lich, dass sie die Situation anders beurteile und sich nicht für eine Beendigung aussprechen werde, da Jerome angesichts der Konflikte in der Familie „tief verletzt“ sei und weiterhin „Hilfe“ brauche (ebd.). Auch beim Hausbesuch bei Familie Rieder bringt Frau Rieder die Mehrheit der besprochenen Themen ein. Im Anschluss an die offenen Fragen der Fach- person nach dem Befinden und dem Stand der Dinge spricht Frau Rieder aus- führlich über die Themen, die sie aktuell beschäftigen und greift von sich aus eine Reihe weiterer Themen auf (vgl. BP Rieder, S. 3 f.). Die Fachperson hört zu, fragt vertiefend nach und bestärkt Frau Rieder in ihrem Vorgehen. Im Vor- feld des Hausbesuchs hatte die Fachperson der Beobachterin mitgeteilt, dass Frau Rieder „sehr schnell gestresst“ sei, eine „Borderlinestörung“ habe und sie es „nicht sinnvoll [fände], wenn auf Frau Rieder Druck ausgeübt“ werde (ebd., S. 1). Entsprechend konzentriert sich die Fachperson nicht nur auf die Bespre- chung ihrer, sondern auch auf die Themen der Fokusperson, womit sie deren Belastung Rechnung trägt. In der inhaltlichen Strukturierung der Hausbesuche, die meist durch die Fachpersonen, vereinzelt aber auch durch die Familien(-mitglieder) einge- bracht werden, reflektiert sich mithin ein Spannungsfeld zwischen situativer Offenheit und planerischer Weitsicht bei der Umsetzung von Zielen der SPF, das nach vorliegenden Beobachtungen von den Fachpersonen soweit flexibel gehandhabt werden kann, dass keine Konflikte daraus erwachsen. 4.4.4 Bearbeitete Themen Die Sachverhalte, die im Rahmen der Hausbesuche nicht nur vereinzelt, son- dern mehrfach bearbeitet werden, lassen sich zu folgenden Themenkomplexen verdichten: Kompetenzentwicklung der Kinder, Organisation und Gestaltung des Familienalltags, erzieherische Themen und Eltern/Kind-Konflikte. Kompetenzentwicklung der Kinder Die Förderung von Selbst-, Sozial- und/oder Sachkompetenzen der Kinder steht bei mehreren Hausbesuchen im Fokus der Themenbearbeitung. So wer- 84 den z. B. Brettspiele gespielt, um das selbstständige Spielen und die Frustra- tionstoleranz bei den Kindern damit zu fördern (vgl. BP Grigic, S. 6; BP Moser, S. 2); es werden Fruchtspiesse zubereitet, um das Kind bei der Weiterentwick- lung seiner motorischen und sprachlichen Fähigkeiten zu unterstützen (vgl. BP Rohner-Hamidi, S. 2); ferner werden die Kinder von den Fachpersonen bei den Hausaufgaben und beim Lernen unterstützt (vgl. BP Ortega, S. 4; BP Erismann, S. 6) oder in ihrer Lesekompetenz gefördert (vgl. BP Grigic, S. 2). Die Gründe dieses Vorgehens sind nicht eigens protokolliert. Nur die für die Familie Ortega zuständige Fachperson stellt explizit klar, dass in schuli- schen Dingen weiter Unterstützungsbedarf besteht (vgl. BP Ortega, S. 3). In zwei weiteren Fällen machen die Fachpersonen ihre Absichten ebenfalls expli- zit, indem sie darauf hinweisen, dass das gemeinsame Spiel die Kinder darin unterstützen soll, selbst aktiv zu werden und auch einmal verlieren zu können (vgl. BP Grigic, S. 6 f.; BP Moser, S. 1 f.). Idealerweise haben diese Interventio- nen zur Folge, dass auch die Eltern befähigt werden, ihre Kinder auf diese Weise zu unterstützen. Organisation und Gestaltung des Familienalltags Die Organisation und Gestaltung des Familienalltags wird ebenfalls anlässlich mehrerer Hausbesuche thematisiert: So wird gemeinsam mit Herrn Moser ein Wochenplan diskutiert, den die Fachperson und Frau Moser in Grundzügen bereits erarbeitet haben (vgl. BP Moser, S. 2 f.); mit Frau Garcia wird erörtert, wie die Kinderbetreuung an den Wochenenden, an denen sie arbeitet, organi- siert werden kann (vgl. BP Garcia, S. 11); mit Frau Ziegler nimmt die Fachper- son die Gestaltung des gemeinsamen Mittagessens mit den Kindern in den Blick (vgl. BP Ziegler, S. 2 ff.); und mit Familie Gehrig/Blaser werden die mor- gendlichen Abläufe besprochen (vgl. BP Gehrig/Blaser, S. 2 f.). Mit der Bearbeitung von Themen rund um die Organisation und Gestaltung des Familienalltags wird insbesondere auf Belastungen und Veränderungsanlie- gen der Eltern reagiert, z. B., dass die Kinder mittags „weniger spielen und mehr essen“ (BP Ziegler, S. 5) oder dass für die Betreuung der Kinder während der Arbeitszeiten gesorgt ist (vgl. BP Garcia, S. 11). Ein gängiges (sozial-)päda- gogisches Begründungsmuster für verbindliche und wohlgeordnete Tages- strukturen ist, dass damit die kindlichen Bedürfnisse nach Orientierung und Sicherheit zufriedengestellt werden. Erzieherische Themen Bei vielen Hausbesuchen werden erzieherische Fragen thematisiert, die von den Eltern eingebracht werden. Bspw. wirft Frau Rieder die Frage nach der Ange- messenheit einer erzieherischen Sanktion auf, die sie kürzlich wegen Türzu- 85 knallens gegen ihren Sohn verhängt hat (vgl. BP Rieder, S. 3). Bei anderen Hausbesuchen greifen die Fachpersonen vorgängig bearbeitete erzieherische Themen auf, bspw. wie man dem Kind „mehr Führung geben“ kann (BP Baan, S. 3) oder wie sich der Medienkonsum des Sohnes entwickelt (Spielen auf dem Tablet) und welche Reaktionen sich dabei bewährt haben (vgl. BP Almeida, S. 6 f.). Andere Themen ergeben sich eher assoziativ, z. B. die Frage nach der Internetnutzung während der mütterlichen Abwesenheit (vgl. BP Garcia, S. 12). Anhand der Beobachtungsprotokolle lässt sich nicht durchgehend klären, wer die bearbeiteten erzieherischen Themen eingebracht hat. Sofern sie von den Eltern eingebracht wurden (z. B. von Frau Rieder), sind sie im Hinblick auf die Bewältigung elterlicher Erziehungsunsicherheiten oder die Durchsetzung ihrer Erziehungsziele zu verstehen. Werden sie hingegen von der Fachperson initi- iert, sind sie als Versuch zu begreifen, Veränderungen in deren Erziehungspra- xis anzuregen, um nachteilige Folgen für die kindliche Entwicklung abzuwen- den. Dies deutet darauf hin, dass neben verbindlichen und wohlgeordneten Tagesstrukturen die „Führung der Kinder“ als ein massgebliches Kriterium für „gelingende Familialität“ betrachtet wird. Eltern/Kind-Konflikte Konflikte zwischen Eltern und ihren Kindern werden ebenfalls häufiger thema- tisiert. Bei den Hausbesuchen bei den Familien Ziegler, Moser und Zumsteg ist ihre Bearbeitung von zentraler Bedeutung. Aber auch in anderen Familien wer- den mit unterschiedlicher Gewichtung solche Konfliktsituationen angespro- chen. Meistens handelt es sich dabei um Mutter/Kind-Konflikte, die von den zuständigen Fachpersonen mit Ausnahme der Familie Zumsteg (s. u.) durch- gängig mit den Eltern bearbeitet werden. Methodisch gehen die Fachpersonen dabei unterschiedlich vor: In einem Fall wird eine spezifische Konfliktsituation in einem Rollenspiel nachgespielt, um der Mutter alternative Interaktionsstrategien aufzuzeigen (vgl. BP Ziegler, S. 6); in einem anderen Fall werden Hilfsmittel zur Einschätzung des eigenen Stresslevels und neue Verhaltensstrategien erarbeitet, um Konfliktsituationen künftig besser bewältigen zu können (vgl. BP Moser, S. 3); mit Frau Baan wer- den zwei Konfliktsituationen reflektiert, die sich erst kürzlich zugetragen haben, wobei die Fachperson die Mutter ermutigt, ihrem Sohn „ein bisschen mehr Struktur [zu] geben“ und auch mal „Konsequenzen“ zu ziehen (vgl. BP Baan, S. 9). Beim Hausbesuch bei Familie Zumsteg wird der aktuell ausgelöste Mut- ter/Sohn-Konflikt wie erwähnt nicht mit der Mutter, sondern mit dem Sohn durchgesprochen, da dieser emotional zu aufgewühlt ist, um am Tisch darüber zu sprechen (vgl. BP Zumsteg, S. 2). In der Konfliktreflexion werden Müttern alternative Handlungsmöglich- keiten aufzuzeigen bzw. mit ihnen neue Strategien zu entwickeln versucht, 86 damit sich der Umgang mit Konflikten zukünftig auf eine bessere Art bewälti- gen lässt. Bemerkenswert daran ist allerdings die Einseitigkeit der diesbezügli- chen Interventionen: Obschon Eltern/Kind-Konflikte (wie übrigens auch Er- ziehungsprobleme) immer zweiseitig begründet sind, werden sie primär mit den Eltern bearbeitet, während die Konfliktperspektive der Kinder (mit der erwähnten Ausnahme) weitgehend unbeachtet bleibt. Weitere Themen Im Rahmen der Hausbesuche werden potenziell ursächliche Problemlagen der Familien (Elternkonflikte, psychische Probleme oder Suchtprobleme der El- tern) eher selten thematisiert. Lediglich bei einem Hausbesuch bildet ein Kon- flikt zwischen den Eltern – initiiert von der Mutter – ein Schwerpunktthema (vgl. BP Erismann, S. 3). Im Kontext der Diskussion rund um die Beendigung der SPF bei Familie Zumsteg spricht die Mutter zwar ebenfalls vereinzelt Kon- fliktpunkte zwischen ihr und ihrem Ex-Gatten an, jedoch geht die Fachperson darauf nicht näher ein (vgl. BP Zumsteg, S. 6). Auch psychische Belastungen der Eltern werden nur bei zwei Hausbesuchen thematisiert: Mit Frau Rieder wird ihre Prüfungsangst besprochen (vgl. BP Rieder, S. 4), mit Frau Moser sich darüber ausgetauscht, wie ihrem Erschöpfungszustand entgegengewirkt werden kann (vgl. BP Moser, S. 2). Zudem werden die Suchtprobleme der Eltern eben- falls kaum angesprochen. Einzig beim Hausbesuch bei Familie Erismann wird der Alkoholkonsum der Mutter kurz angeschnitten, aber nicht weiter vertieft (vgl. BP Erismann, S. 5). 4.4.5 Vorgehen bei der Themenbearbeitung Im Hinblick auf die Frage, wie die fallübergreifend relevanten Themen mit den Familien bearbeitet werden, geben sich in den Beobachtungsprotokollen einige Unterschiede zu erkennen. Diese betreffen zunächst die handlungspraktischen Aktivitäten (Tun vs. Reden) und die Zusammenarbeitsformen mit den Fami- lienmitgliedern (dyadisch vs. triadisch), die wiederum mit verschiedenartigen Interventionspraktiken korrelieren (Modellhandeln vs. substituierende Hilfe; Partizipation der Kinder an Prozessen der Lösungsfindung). Des Weiteren lassen sich in den Beobachtungsdaten unterschiedliche Interventionspraktiken in der Zusammenarbeit mit den Eltern rekonstruieren, auf deren Grundlage vor allem erzieherische und alltagsorganisatorische Themen sowie Eltern/Kind- Konflikte bearbeitet werden. 87 Tun vs. Reden Gemeinsame praktische Tätigkeiten mit den Familien(-mitgliedern) finden – wie schon erwähnt – gehäuft während der eher länger dauernden Hausbesuche statt. Zumeist bilden sie den Rahmen für die Unterstützung der Kinder in ihrer Kompetenzentwicklung und legen den Fokus demgemäss auf die Kinder. Mit Spielen und konkreten alltagspraktischen Tätigkeiten wird an die zentralen Modi kindlicher Aneignung von äusserer Realität (physikalische Umwelt, Spra- che, soziale Normen, Regeln und Verhaltensmuster etc.) angeknüpft: Lernen im Spiel und Lernen durch Tun. Leseübungen und gemeinsame Hausaufgabener- ledigung können hingegen als konkrete Unterstützungsleistungen der Fachper- sonen für die Kinder im Hinblick auf die Bewältigung der schulischen Leis- tungsanforderungen verstanden werden. Während die Unterstützung der Kinder in ihrer Kompetenzentwicklung zumeist im Rahmen gemeinsamer praktischer Tätigkeiten erfolgt, werden die anderen fallübergreifenden Themen (erzieherische Themen, Eltern/Kind-Kon- flikte und Fragen der Alltagsorganisation) vornehmlich in Gesprächen aufge- griffen und bearbeitet. Das weiter oben erwähnte Rollenspiel mit Frau Ziegler, in dem ein Mutter/Kind-Konflikt nachgespielt wird (vgl. BP Ziegler, S. 6), stellt in diesen in diesem Zusammenhang eine Ausnahme dar. Dyadische vs. triadische Zusammenarbeit Wie ebenfalls schon angedeutet, geben sich im Hinblick auf den Einbezug der Familienmitglieder drei Beteiligungsmuster zu erkennen: Konstant dyadische Zusammenarbeit zwischen Eltern und Fachperson, konstant triadische Zu- sammenarbeit mit Eltern und Kindern mit wechselnder Fokusperson sowie alternierend dyadische und triadische Zusammenarbeit, wobei die dyadische Zusammenarbeit mit den Eltern als auch mit dem Kind stattfinden kann. Konstant dyadische Zusammenarbeit mit den Eltern Eine konstant dyadische Zusammenarbeit mit den Eltern, wie von A4 konzi- piert, impliziert, auf die Zusammenarbeit mit Kindern zu verzichten, was nach vorliegenden Beobachtungen mindestens drei nachteilige Folgen hat. Zum einen werden die Veränderungsanliegen, Situationseinschätzungen und Lö- sungsideen der Kinder allenfalls indirekt über die Eltern eruiert. Entsprechend können die Kinder die Unterstützungs- und Veränderungsprozesse im Fami- liensystem nur bedingt mitgestalten. Zum anderen bleibt den Kindern eine kompetente Unterstützungsperson und ggfs. ein alternatives Erwachsenen- modell vorenthalten, womit sie möglicherweise neue Verhaltensweisen ken- nenlernen und für sich übernehmen könnten. Schliesslich bleibt auch den 88 Fachpersonen die Möglichkeit vorenthalten, über die direkte Interaktion mit dem Kind eine Modellfunktion für die Eltern einzunehmen. Dyadische Zusammenarbeit mit Kindern als substituierende Unterstützung Zuweilen erfolgt die Förderung der Kinder in ihrer Kompetenzentwicklung auch in einer dyadischen, d. h. in einer substituierenden Zusammenarbeits- konstellation, d. h. ohne Beteiligung der Eltern, so etwa bei den Hausbesuchen bei den Familien Ortega und Grigic.34 Im ersten Teil des Hausbesuches bei Familie Ortega wird gemeinsam mit der Mutter zunächst die aktuelle Situation evaluiert und dabei weiterer Unterstützungsbedarf bei den Hausaufgaben des Sohnes festgestellt (vgl. BP Ortega, S. 3), so dass ihn die Fachperson nach des- sen Rückkehr aus der Schule ohne Einbezug der Mutter bei den Hausaufgaben unterstützt (ebd., S. 4). Auch die Leseübung mit Luan findet in dessen Zimmer ohne Anwesenheit des Vaters statt (vgl. BP Grigic, S. 2). Wie die Fachperson genau Lesehilfe leistet, bekommt Herr Grigic demnach nicht mit, womit ihm die Möglichkeit, am Beispiel der Fachperson zu lernen, versagt bleibt. Langfris- tig laufen Fachpersonen Gefahr, die Familien mit substituierenden Interventio- nen zu de-autonomisieren, indem sie statt einer „Hilfe zur Erziehung“ mehr eine „Erziehung als Hilfe“ praktizieren (so auch Köngeter 2013, S. 189 f.). Sub- stituierende Hilfe mag zwar eine Unterstützung für die Kinder und eine Ent- lastung für die Familien sein, langfristig gesehen ist dieses Vorgehen jedoch ambivalent, weil potenzielle Ressourcen auf Seiten der Eltern unausgeschöpft bleiben. Vor diesem Hintergrund erweist sich wiederum eine Konzeption von SPF als dyadische Zusammenarbeit zwischen Fachperson und Eltern als Vor- teil: Der grundsätzliche Verzicht auf den Einbezug von Kindern schliesst zu- mindest aus, dass Fachpersonen der SPF anstelle der Eltern handeln. Triadische Zusammenarbeit als Modellhandeln Ein erster Vorteil einer triadischen Zusammenarbeit ist darin zu sehen, dass die Fachperson als kompetente Unterstützungsperson für die Kinder fungieren und darüber vermittelt den Eltern wiederum alternative Handlungsmöglichkeiten aufzeigen kann. Um Herrn Binotti exemplarisch vorzuzeigen, wie die Medien- kompetenz seiner Kinder gefördert werden kann, holt ihn die Fachperson bei der Einführung in das Spiel zum Umgang mit internetfähigen Geräten als Be- obachter mit an den Tisch (vgl. BP Binotti, S. 2). Auch die gemeinsamen Brett- spiele mit den Familien Grigic und Moser werden als Plattform für Modelller- 34 Dass die direkte Interaktion mit dem Kind während der beobachteten Hausbesuche vor- zugsweise in Form substituierender Unterstützung stattfindet, bedeutet nicht, dass nicht andere Formen der direkten Auseinandersetzung zwischen Fachperson und Kind denkbar und möglich wären. 89 nen für die Eltern genutzt (vgl. BP Grigic, S. 6; BP Moser, S. 2). Besonders an- schaulich zeigt sich dies am Vorgehen der für die Familie Grigic zuständigen Fachperson: In der ersten Runde spielt sie mit den Kindern und lässt die Eltern zuschauen (Modellhandeln), in der zweiten Runde lässt sie die Eltern mit den Kindern spielen und begibt sich selbst in die Rolle eines moderierenden Beob- achters (vgl. BP Grigic, S. 6 f.). Dieselbe Strategie kommt beim Hausbesuch bei Familie Rohner-Hamidi zur Geltung: Bei der Herstellung der Fruchtspiesse führt die Fachperson Regie. Zur Förderung von Sonjas sprachlichen Fähigkei- ten (Wortschatz, Aussprache) spricht sie die Bezeichnungen für die verwende- ten Obstsorten, die benutzten Hilfsmittel und die zu vollziehenden Arbeits- schritte deutlich vor und bittet Sonja um Wiederholung, die sie mittels Lob verstärkt. Die Mutter unterstützt die Fachperson und ihre Tochter in prakti- scher Hinsicht, beobachtet gleichzeitig aber auch das Vorgehen der Fachperson und die Reaktionen ihrer Tochter „recht aufmerksam“ (BP Rohner-Hamidi, S. 2 f.). Ausserdem wird sie von der Fachperson dazu angeregt, selbstständig mit ihrer Tochter an deren sprachlichen Fähigkeiten zu arbeiten, denn die Fachperson hat ein darauf ausgerichtetes Spiel mitgebracht, das die Mutter mit ihrer Tochter spielen kann (ebd., S. 4). Triadische Zusammenarbeit als Partizipation der Kinder an Prozessen der Lösungsfindung Gegenüber dyadischen Interventionspraktiken bietet die triadische Zusammen- arbeit neben dem Modellhandeln auch noch einen weiteren Vorteil: Ausser den Eltern können auch Kinder die Unterstützungs- und Veränderungsprozesse im Familiensystem mit ihren Situationseinschätzungen, Veränderungsbedürfnis- sen und Lösungsideen mitgestalten, bspw. in Fragen des familialen Zusam- menlebens und/oder der Organisation des Familienalltags. So wird die Gestal- tung der morgendlichen Abläufe bei Familie Gehrig/Blaser als ein Aushand- lungsprozess arrangiert, bei dem auch der Sohn seine Ansichten und Lösungs- ideen einbringen kann (vgl. BP Gehrig/Blaser, S. 2 f.). In der Familie Ortega wird der Sohn in die Besprechung der Frage einbezogen, wie erreicht werden kann, dass er seine Hausaufgaben verlässlich erledigt (vgl. BP Ortega, S. 4). In vergleichbarer Weise wird auch der Sohn von Familie Almeida in die Klärung der Frage nach der Regulierung seiner Spielzeiten am Tablett involviert (vgl. BP Almeida, S. 6). Die Beteiligung von Kindern an Entscheidungsprozessen der Lösungsfin- dung macht es wahrscheinlich, dass sie die sie betreffenden Veränderungspro- zesse im Familiensystem mit ihren Ansichten und Lösungsideen mitgestalten und – darüber vermittelt – Selbstwirksamkeit erfahren können, was die Wahr- scheinlichkeit nachhaltiger Lösungen entsprechend erhöht, indem die Teilhabe 90 an Prozessen der Lösungsfindung den Kindern Gelegenheit gibt, ihre eigene Problemlösungs- und Aushandlungskompetenz zu erproben. 4.4.6 Techniken und Interventionspraktiken in der Zusammenarbeit mit den Eltern Fragen der Alltagsorganisation und Alltagsgestaltung, erzieherische Themen sowie Eltern/Kind-Konflikte werden im Rahmen der beobachteten Hausbesu- che zumeist in dyadischer Form mit den Eltern bearbeitet. Dabei bringen die Fachpersonen unterschiedliche Techniken und interventionspraktische Vorge- hensweisen ein, die im Folgenden veranschaulicht werden. Positive Verstärkung durch Lob Nicht nur die Kinder werden von den Fachpersonen für erwünschtes Verhalten gelobt, sondern die Eltern ebenso. So erhält bspw. Frau Garcia im Anschluss an die Schilderung einer Erziehungssituation, in der sie sich gegen ihren Sohn durchsetzen konnte, Lob von der Fachperson für das beschriebene Vorgehen (vgl. BP Garcia, S. 7 f.). Auch Frau Baan und Frau Rieder werden mit lobenden Worten im geschilderten Erziehungshandeln bedacht (vgl. BP Baan, S. 4; BP Rieder, S. 3).35 Mit positiver Verstärkung greifen Fachpersonen mithin auf eine bewährte Technik zurück, um die Wahrscheinlichkeit erwünschter Verände- rungen zu erhöhen. Rollenspiel als Plattform für Modelllernen Dass den Eltern nicht nur in einer triadischen Zusammenarbeitskonstellation Modelllernen ermöglicht werden kann, zeigt sich beim Hausbesuch bei Familie Ziegler. In einem Rollenspiel spielt die Fachperson mit Frau Ziegler eine Kon- fliktsituation nach, die sich an einem Mittag in der vorangegangenen Woche zwischen Frau Ziegler und ihrem Sohn zugetragen hat. Dabei übernimmt die Fachperson die Rolle der Mutter und macht Frau Ziegler, die ihren Sohn spielt, exemplarisch vor, wie sie alternativ hätte vorgehen können, um Fabio dazu zu bewegen, sich auf das Essen zu konzentrieren und von seinen Provokationen gegen seine Schwester zu lassen. Im Unterschied zu Frau Ziegler, die in der ersten Runde sich selbst gespielt hat, fordert die Fachperson ihren „Sohn“ nicht 35 Darüber hinaus bestärken die Fachpersonen die Eltern durch Lob vereinzelt auch bei Paar- konflikten (vgl. BP Erismann, S. 5) oder im Umgang mit Problemen von Bekannten (vgl. BP Rieder, S. 4). 91 wiederholt zum Essen auf, sondern erkundigt sich nach seinen Erlebnissen in der Schule und nach seinen Plänen für den bevorstehenden Nachmittag. Und anders als Frau Ziegler zuvor, die wiederholt zur Unterlassung der Provokatio- nen aufgefordert hat, geht die Fachperson zu ihrem „Sohn“, begibt sich auf Augenhöhe, legt einen Arm um ihn und sagt, dass er doch der Grössere sei und seiner Schwester zeigen müsse, wie man „richtig“ esse (vgl. BP Ziegler, S. 6 f.). Die seitens der Fachperson demonstrierte Interaktionsstrategie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie Interesse an den Erlebnissen und Plänen ihres Gegen- übers zeigt und auch taktil mit ihm interagiert; andererseits ist sie dadurch charakterisiert, dass sie den Sohn als Vorbild für seine Schwester inszeniert und darüber vermittelt zum erwünschten Verhalten anregt. Obschon das Rollen- spiel ein mithin probates Demonstrations- und Lernmittel ist, bleibt es bei den beobachteten Hausbesuchen dennoch die Ausnahme. Hilfe zur Selbsthilfe vs. direktive Interventionen In den Gesprächen mit den Eltern zu Erziehungsfragen oder zur Organisation und Gestaltung des Familienalltags lassen sich anhand der Beobachtungsdaten schliesslich zwei sich diametral gegenüberstehende Vorgehensweisen rekon- struieren: Die eher direktive Hilfe einerseits und die am Grundsatz der Hilfe zur Selbsthilfe ausgerichtete Form der Reflexion andererseits. Hilfe zur Selbst- hilfe bedeutet, die Eltern mit ihren Reflexions- und Selbsthilfepotenzialen so- weit wie möglich in die Entwicklung von Handlungsalternativen und Pro- blemlösungen einzubeziehen. Eine eher direktive Hilfe dagegen ist dadurch ge- kennzeichnet, dass die Fachperson die Komplexität von Entscheidungssituatio- nen reduziert, indem sie den Eltern Ratschläge erteilt oder Lösungsvorschläge unterbreitet. Hilfe zur Selbsthilfe Eine am Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe orientierte interventionspraktische Vorgehensweise lässt sich bei mehreren Hausbesuchen beobachten (vgl. BP Moser, S. 3; BP Gehrig/Blaser, S. 5; BP Almeida, S. 5). Mit am anschaulichsten kommt sie jedoch im Einzelgespräch mit Frau Ziegler zum Ausdruck, das die Gestaltung der Mittagssituation thematisiert: Nachdem sich die Beteiligten an den Tisch gesetzt haben, unterrichtet die Fachperson den Beobachter darüber, dass sich Frau Ziegler um das geringe Körpergewicht ihrer Kinder sorge und sich wünsche, dass sie mehr und auch schneller zu Mittag ässen, damit sie ge- sättigt und pünktlich zur Schule kämen (vgl. BP Ziegler, S. 2). In diesem Zu- sammenhang habe sie mit Frau Ziegler beim letzten Hausbesuch ein „Experi- ment“ entwickelt, das darauf ziele, dass die Kinder schneller essen. Der Versuch bestehe darin, die Kinder während des Mittagessens nach Belieben walten zu 92 lassen, dabei aber die Essenszeit auf vierzig Minuten zu beschränken und die Kinder anschliessend zu fragen, ob sie noch Hunger hätten und ihnen gegebe- nenfalls etwas Obst zu geben. Im Anschluss an diese Erläuterungen erkundigt sich die Fachperson, wie es mit der Umsetzung des „Experiments“ funktioniert hat: „Ob sie nach vierzig Minuten auch abgeräumt habe und wie die Kinder reagiert hät- ten, fragt die Fachperson die Mutter. Ihr Sohn habe eingewendet, dass er noch nicht fertig sei, entgegnet Frau Ziegler, aber sie habe abgeräumt und die Kinder hätten auch keinen Hunger mehr gehabt; sie hätten dann später wie immer eine Zwischenmahlzeit zu sich genommen. Die Kinder hätten also, resümiert die Fach- person, nicht gesagt, dass sie noch hungrig seien und hätten dann eben eine Zwi- schenmahlzeit zu sich genommen. Sie hätten keinen Hunger mehr gehabt, erwi- dert Frau Ziegler, beim Abendessen sei es dann auch gut gegangen. Was sie denn zum Abendessen gemacht habe, will die Fachperson wissen. Brot, Milch, Käse, Fleisch habe es gegeben, entgegnet Frau Ziegler. Sie habe es auf den Tisch gestellt und die Kinder hätten dann selber auf ihre Teller genommen, was sie wollten. Die Fachperson fasst zusammen: die Kinder hätten also das Essen selbst genommen und das Abendessen sei so zufriedenstellend verlaufen. Daraufhin kommt sie auf den Frau Ziegler bereits bekannten Grundsatz zu sprechen, dass man von dem, was funktioniert, mehr machen und sich von dem, was nicht funktioniert, verab- schieden solle. Ob sie eine Idee habe, fragt sie bei Frau Ziegler nach, wie man mehr von dem machen könne, was gut gehe – selbst schöpfen, entgegnet die Mutter prompt, die Pfannen auf den Tisch stellen und die Kinder selbst schöpfen lassen.“ (ebd., S. 2 f.) Bei der Entwicklung einer Handlungsalternative geht die Fachperson nach dem Grundsatz der Hilfe zur Selbsthilfe vor. Sie hört aufmerksam zu und paraphra- siert die durch Frau Ziegler genannte Bedingung für das gelingende Abendes- sen (die Kinder nehmen ihr Essen selbst). Anschliessend rekurriert sie auf den Grundsatz, mehr von dem zu machen, was funktioniert, um mit einer An- schlussfrage (wie könnte man mehr von dem machen, was gut geht?) die Refle- xions- und Selbsthilfepotenziale der Mutter zu stimulieren. So ist es schliesslich Frau Ziegler, die die Bedingung für eine zufriedenstellende Esssituation – das Selbstschöpfen – benennen und diese Form der Problemlösung auf andere Kontexte übertragen kann. Direktive Interventionen In den Beobachtungsdaten lässt sich jedoch auch erkennen, dass in der Zu- sammenarbeit mit den Eltern in anderen Fällen eher direktiv vorgegangen wird, indem Ratschläge erteilt und/oder Lösungsvorschläge unterbreitet werden, wobei davon abgesehen wird, die Eltern (ebenso wie die Kinder) mit ihren Re- flexions- und Selbsthilfepotenzialen einzubeziehen (vgl. BP Ronchi, S. 8 ff.; BP 93 Baan, S. 9 f.; BP Garcia, S. 12). Zur Veranschaulichung einer eher direktiven Vorgehensweise dient die nachfolgende Sequenz aus dem Protokoll des Haus- besuchs bei Familie Garcia. Im Zuge der Besprechung der Organisation der Wochenenden, an denen Frau Garcia arbeitet und ihr Sohn allein zuhause ist, kommt die Fachperson auf das Thema „Internetnutzung“ und Frau Garcias diesbezügliche Einflussnahme zu sprechen: „Die Fachperson erkundigt sich nun, wie es während dieser Zeit [während der Ab- wesenheit von Frau Garcia] mit dem Computer bzw. dem Internet so läuft. Er habe jeweils gespielt und auch gemalt, entgegnet Frau Garcia, so viel und schön. Ob er denn nicht auf das Internet gehen könne, wenn sie nicht da sei, fragt die Fachper- son weiter. Er sei nur am Nachmittag auf dem Internet, meint Frau Garcia. Und wie sie es dann am Nachmittag mit dem Internet mache, wenn sie nicht da sei, möchte die Fachperson wissen, ob Pedro denn kein Passwort habe. Doch, er habe ein Passwort, antwortet Frau Garcia, aber er sage ihr, dass er nur am Nachmittag auf dem Internet sei. Da müsse sie gut schauen, was er da mache, wenn er allein auf dem Internet sei, mahnt die Fachperson; dass sie das Internet halt irgendwie blo- ckiere oder nachher kontrolliere, was er auf dem Netz gemacht habe.“ (BP Garcia, S. 12) Auf Nachfrage bei Frau Garcia zur Regelung von Pedros Internetnutzung wäh- rend ihrer Abwesenheit erhält die Fachperson die Information, dass Pedro ein Passwort habe und sich somit frei im Internet bewegen kann. Anstatt an dieser Stelle mit Frau Garcia über die Vor- und Nachteile der bestehenden Zugangsre- gelung zu diskutieren und gemeinsam eine alternative Lösung zu entwickeln, hält die Fachperson Frau Garcia dazu an, Pedros Internetaktivitäten im Zeit- raum ihrer Abwesenheit zu kontrollieren, wobei sie zwei Vorschläge unter- breitet: Blockierung des Internets für den Zeitraum ihrer Abwesenheit oder aber ex-post-Überprüfung von Pedros Internetaktivitäten. Wie die beiden Beispiele zeigen, können Veränderungen in der Familie un- terschiedlich angeregt werden. Eine eher direktive und eine eher am Grundsatz der Hilfe zur Selbsthilfe orientierte Unterstützung haben jedoch unterschiedli- che Implikationen. Hilfe zur Selbsthilfe zielt darauf ab, die Betroffenen mit eigenständigen Überlegungen und Ideen aktiv in die Entwicklung alternativer Problemlösungen einzubeziehen. Wenn Eltern ihren Beitrag zur Lösung eines Problems zu erkennen und praktisch umzusetzen imstande sind, steigt die Wahrscheinlichkeit, positive Selbstwirksamkeit zu erfahren, so dass auch zu- künftige Anforderungen oder Probleme in vergleichbaren Situationen von den Eltern erfolgreich bewältigt werden können. Bleiben Eltern dagegen von der Entwicklung praktischer Handlungsalternativen ausgeschlossen, sind sie ver- mutlich auch weniger imstande, bestehende Einsichten (was gut funktioniert) auf andere Kontexte zu übertragen. Direktive Interventionspraktiken haben mitunter den Effekt, dass Eltern weniger Selbstwirksamkeit erfahren, dass deren 94 Selbsthilfepotenziale unausgeschöpft bleiben und insofern gegenüber neuen Anforderungen auf Hilfen von aussen angewiesen bleiben (vgl. Hurrelmann 2006, S. 66 f.). Wie schon die substituierende Hilfeleistung erzeugt auch die direktive Intervention potenziell langfristige Abhängigkeitsverhältnisse. 4.4.7 Zusammenfassende Diskussion der beobachteten Hausbesuche Hausbesuche sind der Ort, an dem sich die Problemlagen der Familie sowie die Intentionen der SPF handlungspraktisch manifestieren. Hier müssen die Auf- tragsziele der zuweisenden Stellen, die Erwartungen der Familienmitglieder an SPF, die konzeptuellen Programmatiken der Anbieterorganisationen und nicht zuletzt die methodischen und handlungspraktischen Kompetenzen von Fach- personen rollenspezifisch und adressatengerecht von Moment zu Moment ausbalanciert und in Form konkreter Interventionen umgesetzt werden. Was die Untersuchungen hierzu im Einzelnen zeigen, ist, dass das Vorgehen von Fachpersonen bei den Familien des MWA-Samples erstaunlich konfliktfrei vonstattengeht. Offenbar sind Fachpersonen es gewöhnt, potenzielle Kontroll- aspekte von SPF so in einvernehmliche und produktive Beziehungsmuster zu transformieren, dass der unmittelbare Nutzen sozialpädagogischer Interventio- nen für alle Beteiligten plausibel und greifbar wird.36 Insgesamt deuten die ethnografischen Untersuchungen zu den Hausbesu- chen des Samples auf eine hohe Diversität sozialpädagogischer Interventionen. Das beginnt mit den formalen Rahmenbedingungen der Hausbesuche (Dauer), pflanzt sich fort über die unterschiedlichen Varianten des Einbezugs der einzelnen Familienmitglieder bis hin zu den angewendeten Interventions- praktiken. Mehr Einheitlichkeit zeigt sich dagegen in den bearbeiteten Pro- blemlagen: Im Vordergrund der beobachteten Hausbesuche stehen zum einen die Kompetenzentwicklung der Kinder, zum anderen konkrete Erziehungs- probleme und Eltern/Kind-Konflikte auf Seiten der Eltern. Eng damit ver- knüpft sind Fragen der Alltagsstrukturierung, welche die Eltern bei der Lösung ihrer Erziehungsprobleme flankierend unterstützen. Auffallend wenige Haus- besuchssequenzen beziehen sich dagegen auf eher ursächliche Familienproble- 36 Dieser Befund spiegelt sich auch deutlich in Petkos (2004) mikroanalytischen Unter- suchungen der Hausbesuche wider. Beispielsweise stossen die impulsgebenden Aktivitäten von Fachpersonen während der Hausbesuche dort praktisch niemals auf Widerstand (ebd., S. 203), und auch sonst kommt es zu keinem offenen Konfliktaustrag (ebd., S. 301). Hier wie dort werden die Durchsetzungsinteressen im Rahmen institutioneller Aktivitäten of- fenbar zugunsten der Aufrechterhaltung produktiver Arbeitsbeziehungen zurückgestellt (vgl. grundsätzlich Messmer 2015). 95 matiken wie Sucht oder psychische Belastungssituationen der Eltern wie auch auf die Folgen von Paar- und Trennungskonflikten. Mit Blick auf die Strukturierungskraft der Anbieterorganisationen (Kon- zepte, Programme) fällt zudem auf, dass sich deren konzeptionelle Ausrichtung nur teilweise in den praktischen Aktivitäten der Fachpersonen reflektiert. Dies betrifft vor allem das systemisch-ganzheitliche und partizipativ ausgerichtete Vorgehen der Fachpersonen bei den beobachteten Hausbesuchen. Beispiels- weise spiegelt sich die systemisch-lösungsorientierte Ausrichtung von A4 al- lenfalls im Vorgehen der für die Familie Ziegler zuständigen Fachperson wider, weniger hingegen in den anderen Hausbesuchen dieser Anbieterorganisation. Auch werden nicht alle Familienmitglieder gleich in das Vorgehen bei den Hausbesuchen miteinbezogen. Dies gelingt vorwiegend dort, wo eine gemein- same Aktivität thematisch im Vordergrund steht (Spiel, Essenszubereitung), weniger aber in Gesprächen, wo eine gemeinsame Schnittmenge an Interessen und Themen erst einmal hergestellt werden muss. Einen gewissen Einfluss auf die Themengestaltung der Hausbesuche haben hingegen situative und fallspezifische Einflussfaktoren, die aus den aktuellen Belastungen der einzelnen Familien(-mitglieder) resultieren und/oder seitens der Fachpersonen identifiziert und zum Thema der SPF gemacht werden. Ent- sprechend greifen die Fachpersonen gelegentlich aus der Situation heraus asso- ziativ Themen auf und machen sie zum Gegenstand ihrer Interventionen. Wenn es die fallspezifische Situation – wie in den meisten Fällen des Samples – jedoch zulässt, d. h., wenn sich aus aktuellem Anlass keine Problemlage in den Vordergrund schiebt, die Klientel über die nötige Belastbarkeit verfügt und eine grundsätzliche Kooperationsbasis dafür besteht, werden die zu besprechenden Themen (bzw. die zu bearbeitenden Anliegen) meist durch die Fachperson eingebracht. Häufig handelt es sich dabei um Themen, die im Rahmen der Hausbesuche wiederholt aufgegriffen und bearbeitet werden (Re-Thematisie- rung). Dass mit einem grösseren zeitlichen Rahmen für die Hausbesuche mehr geleistet werden kann, als wenn ein nur knappes Zeitkontingent zur Verfügung steht, versteht sich von selbst. Auffällig ist hingegen, dass und inwiefern der zeitliche Rahmen mit dyadischen oder triadischen Interventionspraktiken kor- respondiert. Wo mehr Zeit zur Verfügung steht, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass nicht nur mit mehr Familienmitgliedern, sondern auch in anderen Formen mit ihnen zusammengearbeitet wird. Triadische Formen der Zusammenarbeit haben bspw. zur Voraussetzung, dass für die betreffende Aktivität für alle Be- teiligten ein gemeinsames Zeitfenster gefunden und koordiniert werden muss; ausserdem muss deren Commitment eingeholt und sichergestellt werden. Demgemäss ist zwar der zeitliche Aufwand für die Vorbereitung grösser, aber auch der Nutzen für alle Beteiligten. Der Einbezug der Kinder macht es u. a. möglich, dass diese ihre je eigenen Interessen artikulieren und nicht nur sie 96 selbst, sondern auch ihre Eltern davon profitieren. Für die Fachperson ergibt sich ebenfalls ein breiterer Aktionsradius. So kann sie in Anwesenheit der El- tern mit dem Kind interagieren (Modellhandeln) oder durch gemeinsame Akti- vitäten (z. B. Brettspiele, gemeinsames Plätzchenbacken) die Interaktionen und Organisationsformen der beteiligten Familienmitglieder moderieren. Ein vergleichbarer Zusammenhang ergibt sich im Hinblick auf die beob- achteten Interventionspraktiken der Fachpersonen bei den Hausbesuchen. Impulsgebende Aktivitäten, die primär auf direktive oder expertokratische Vorgehensweisen zielen (also zu sagen, wie es gemacht wird), sind einfacher zu initiieren als solche, die auf das Selbsthilfepotenzial der Betroffenen zielen (wie es gemacht werden könnte). Hilfe zur Selbsthilfe zielt primär auf Reflexion und bietet keine fertigen Lösungen an. Die Fähigkeit, eigenständig Lösungen zu ersinnen, ist eine Kompetenz, die zunächst einmal gelernt werden muss – und insofern auch fehleranfällig ist und daher nicht unbedingt den kürzesten Weg von A nach B offeriert. Solche Lernprozesse sind voraussetzungsreicher, schwieriger zu initiieren und kosten in der Regel auch mehr Zeit als direktive Aktivitäten. Während diese auf kurze Sicht unmittelbar entlastend wirken, weil für die Betroffenen keine eigenen Anstrengungen notwendig sind, sind primär auf Reflexion ausgerichtete Interventionspraktiken eher langfristig angelegt, weil damit Kompetenzen angeeignet werden sollen, die auch auf andere Kon- texte übertragen werden können. Ein letzter Punkt betrifft das Verhältnis zwischen ursprünglich festgestellten und bearbeiteten Problemlagen in den Familien. Es fällt auf, dass die ursprüng- lichen Problemlagen in einigen Familien (soweit festgestellt: Sucht, psychische Belastung, Paar- und Trennungskonflikte, migrationsbedingte Desintegration) in den beobachteten Hausbesuchen kaum eine konkrete Rolle spielen, sondern allenfalls indirekt (als Kontextinformation) das interventionspraktische Han- deln der Fachpersonen instruieren. Im Vordergrund der Hausbesuche stehen vielmehr solche Themen und Aktivitäten, die einen handlungspraktischen Nut- zen versprechen und anscheinend auch „griffiger“ zu bearbeiten sind (Erzie- hungsthemen, Konfliktlagen zwischen Eltern und Kind, Alltagsstrukturierung). Der hohe Anteil an Familien mit einem kinderschutzrechtlichen Hintergrund wirkt allenfalls als ein Kontext, der als solcher jedoch im Rahmen der Hausbe- suche weitgehend unsichtbar bleibt und sich in den beobachteten Interventio- nen als solcher nicht reflektiert. Das lässt darauf schliessen, dass die Hausbesu- che der SPF primär auf die Folgenbearbeitung ursächlicher Problemlagen für das Kind fokussieren, wobei es den Fachpersonen des Samples gelingt, mit ihren Angeboten und Interventionen insbesondere den Erwartungen und Inte- ressen der Betroffenen zu entsprechen (bzw. diesen zumindest nicht zu wider- sprechen). 97 4.5 Die Perspektive der Fachpersonen auf die SPF In diesem Untersuchungsschritt werden die Aussagen und Hinweise von Fach- personen aus den Interviews daraufhin untersucht, wie sie ihr handlungsprakti- sches Vorgehen und die Wirksamkeit von SPF reflektieren und begründen. Anders als Kinder und Eltern verfügen Fachpersonen über einen reichhaltigen Erfahrungsschatz bezüglich der Anforderungen, Durchführungs- und Gelin- gensbedingungen von SPF, der über die Hausbesuche des MWA-Samples weit hinausreicht. Entsprechend waren die Interviewfragen zur Perspektive von Fachpersonen auf SPF eher breit angelegt. In diesem Kapitel wird gezeigt, unter welchen Voraussetzungen Fachpersonen der SPF in die betroffenen Familien intervenieren, welchen Herausforderungen sie dabei begegnen, wie ihre Reak- tionen darauf sind und wie sie ihre Praxis im Hinblick auf ihre Wirksamkeit beschreiben. 4.5.1 Datengrundlage und methodische Umsetzung Das Leitfadeninterview mit den Fachpersonen bestand aus zwei Teilen. Ein erster Fragenkomplex betraf zunächst die Familien der MWA. Aufbauend auf den ethnografischen Beobachtungen und den Befunden der Dossieranalyse war intendiert, in Erfahrung zu bringen, wie die fallzuständige Fachperson die dort festgestellten Fallbesonderheiten reflektiert und begründet. Ausgehend von unklaren Sachverhalten aus den Aktenanalysen und/oder Beobachtungen soll- ten die Interviews mit offenen Frageformen eröffnet und eingeleitet werden: „Bei den Beobachtungen ist aufgefallen, dass …“ oder „In den Fallakten habe ich gelesen, dass …“. Entsprechend hatte sich der weitere Interviewverlauf zu- nächst an den darauf bezogenen Antworten der Fachpersonen und diesbezügli- chen Nachfragen orientiert. Der zweite Teil des Interviews bezog sich dagegen stärker auf die über das MWA-Sample hinausgehenden Erfahrungen der Fachpersonen zu den Aus- gangs- resp. Kontextbedingungen und Wirkungen der Praxis von SPF. So wur- den die Fachpersonen nach „typischen“ Fallkonstellationen und Entwicklungs- verläufen von SPF sowie nach charakteristischen Familien- und Problemkon- stellationen befragt, mit denen sie sich im Rahmen von SPF für gewöhnlich be- fassen. Ferner wurden typische Fallverläufe, ihre Gelingensbedingungen sowie der Einbezug von Kindern in, und die Bedeutung von sozialen Netzwerkres- sourcen für die praktische Fallarbeit thematisiert. Weitere Fragen bezogen sich auf die grundsätzlichen Herausforderungen ihrer Praxis, auf Wirkung und Wirkfaktoren sowie auf die Grenzen der praktischen Machbarkeit. 98 Bei der Durchführung der Interviews wurde dem zweiten, also dem fall- übergreifenden Fragenkomplex aus verschiedenen Gründen analytisch deutlich mehr Gewicht zugedacht. Zum einen sind die von den Besonderheiten eines konkreten Fallverlaufs unabhängigen Themen und Fragestellungen im Sinne ihrer Vorhersehbarkeit und Vergleichbarkeit interviewtechnisch leichter zu planen; zum anderen sollten mit den Interviews auch die über den einzelnen Fall hinausgehenden Erfahrungen und Einschätzungen der Fachpersonen ein- geholt werden. Eine Fokussierung der Interviews allein auf die laufenden Fälle der MWA hätte demnach nicht nur den Verzicht auf die Bergung eines sehr viel breiteren Erfahrungsschatzes der befragten Fachpersonen bedeutet, son- dern darüber hinaus die Unsicherheit mit sich gebracht, inwieweit eine Vertie- fung von vorab nicht vorhersehbaren Fallbesonderheiten und Entwicklungs- verläufen im Hinblick auf ihre Vergleichbarkeit methodisch sinnvoll gewähr- leistet werden kann. Vor diesem Hintergrund wurde mit jeder fallzuständigen Fachperson der 16 Familien des Samples ein Interview geführt. Da vier Fachpersonen für zwei Familien der MWA zuständig waren, wurden insgesamt 16 Interviews mit zwölf Fachpersonen durchgeführt. Die interviewten Fachpersonen waren zwi- schen 32 und 61 Jahren alt, zehn Fachpersonen waren weiblichen und zwei männlichen Geschlechts und mit einem Pensum zwischen 40–75 Stellenpro- zenten zwischen zwei und 15 Jahren (meist bei der aktuellen Anbieterorganisa- tion) tätig. Alle Interviews wurden zeitnah an den beobachteten Hausbesuch durchge- führt, wenngleich nicht am selben Tag, da zu dieser Zeit bevorzugt die Kinder- und Elterninterviews durchgeführt wurden. Die Interviewdauer bewegte sich zwischen ein und zwei Stunden, zum überwiegenden Teil betrug die Interview- dauer eineinhalb Stunden. Alle Interviews wurden aufgezeichnet und vollstän- dig transkribiert und die Transkripte von der interviewführenden Person auf ihre inhaltliche Richtigkeit gegengelesen. In einem ersten Auswertungsschritt wurden beide Interviewteile inhaltlich exzerpiert und die Interviewexzerpte anschliessend themenspezifisch gruppiert und verdichtet. Dabei verdienten insbesondere solche Hinweise aus den Inter- views Beachtung, die potenziell fallübergreifende Erklärungsmuster für die Interventionen der SPF offerieren. Die nachfolgende Ergebnisdarstellung orien- tiert sich entlang den drei übergreifenden Themenkomplexen „Kontextbedin- gungen von SPF“, „Praxis“ und „Wirkung“. Dazu werden zunächst die fall- übergreifenden Hinweise aus den Interviews mit den Fachpersonen aufgeführt, an die sich – sofern vorhanden – die Hinweise zu den fallbezogenen Merkma- len anschliessen und diese spezifisch ergänzen. 99 4.5.2 Kontextbedingungen von SPF In diesem Kapitel werden die für die SPF kennzeichnenden Ausgangs- resp. Kontextbedingen aus Sicht der Fachpersonen dargestellt. Zu Beginn wird ver- deutlicht, mit welchen Familien- und Problemkonstellationen Fachpersonen der SPF mehrheitlich konfrontiert sind. Anschliessend wird gezeigt, dass Fach- personen der SPF sich bei Hilfebeginn wiederholt vage gehaltenen Abklärungs- und Handlungsaufträgen gegenübersehen. Zudem ist häufiger unklar, welche institutionellen Akteure ausserdem noch mit dem Fall befasst sind und mit wem eine Zusammenarbeit notwendig und sinnvoll erscheint. Typische Familien- und Problemkonstellationen der SPF Nach vorliegenden Angaben sind Ein-Elternfamilien (bzw. alleinerziehende Elternteile, die sich in einer akuten oder nicht allzu weit zurückliegenden Tren- nungssituation befinden) ausgesprochen typische Adressatinnen und Adressa- ten von SPF. Bei den meisten Familien der SPF handelt es sich um alleinerzie- hende Mütter. Familienkonstellationen, bei denen beide Elternteile in einem gemeinsamen Haushalt leben, sind nach vorliegenden Hinweisen eher selten. Zudem haben die von der SPF adressierten Familien häufig einen Migrations- hintergrund. Der Beschäftigungs- und/oder Bildungsstand der Eltern ebenso wie die Anzahl der Kinder sind weniger indikatorisch und finden in den Hin- weisen der Fachpersonen – wenn überhaupt – nur randständig Erwähnung. Typische familiäre Problemkonstellationen, die von den Fachpersonen wie- derholt angeführt werden, sind gesundheitliche und psychische Beeinträchti- gungen der Eltern und damit einhergehend Überforderungssituationen in Be- zug auf die Erziehung und Förderung ihrer Kinder. Unter der Rubrik „gesund- heitliche und psychische Beeinträchtigung“ werden vor allem Suchterkrankun- gen und psychische Belastungen der Eltern aufgeführt (häufig auch in Kombi- nation). Die davon betroffenen Familien träten mit zunehmend komplexen Problemmustern in Erscheinung, die sich mitunter schnell zu Risikofaktoren für die betroffenen Kinder aufaddieren und das Familiensystem, bspw. in Form finanzieller Belastungen, beeinträchtigen können. Bei den gesundheitlich oder psychisch belasteten Eltern(-teilen) handelt es sich oft um Personen, die selbst eine schwierige Kindheit oder eine problembelastete Phase als Heranwachsende durchlebt und durchlitten haben. Bezüglich des Migrationshintergrunds sind vor allem jene Familien betrof- fen, die aus Sicht der befragten Fachpersonen mit Blick auf Erziehungsproble- matiken (Alltagsstrukturierung, Grenzsetzung, Verlässlichkeit etc.) oft einen kulturell verschiedenartigen Habitus pflegen und/oder mit den landesüblichen Wertevorstellungen nicht hinreichend vertraut sind. Oftmals sei den betreffen- 100 den Eltern nicht klar, inwieweit sich die Alltagsstruktur nachteilig auf das Ver- halten und die Entwicklung ihrer Kinder auswirken könne. Auch die betroffenen Kinder werden von Fachpersonen als Symptomträger aufgefasst, an denen sich vermehrt Auffälligkeiten dokumentieren. Dazu zählen u. a. Autismus, Aggressivität, ADHS oder ein überhöhter Medienkonsum. Da- bei falle die wechselseitige Durchdingung einzelner Problemindikatoren auf, in dem Sinne, dass familiäre Auffälligkeiten (bspw. Konflikte/Gewalt in der Fami- lie, Trennungs- und Scheidungssituationen, Sucht, migrationsbedingte Belas- tungen etc.) die Belastbarkeit der Eltern hinsichtlich ihrer Erziehungsaufgaben schwächten und darüber vermittelt zu Verhaltensauffälligkeiten der betroffenen Kinder führten, was wiederum institutionelle Akteure auf den Plan treten lässt, um präventiv oder reaktiv in das Familiensystem zu intervenieren.37 Unklare Sachverhalte bei Falleingang Als eine wiederholte Reaktion auf die Frage nach typischen Fallverläufen wird angemerkt, dass es keine typischen Fallverläufe gäbe, allenfalls typische Phasen, innerhalb deren Fälle bearbeitet würden. Wiederkehrende Hinweise auf Fall- verlaufstypiken beziehen sich indes auf den Umstand, dass bei Hilfebeginn oftmals kein klarer Handlungsauftrag vorläge. Bei den betreffenden Familien läge stattdessen (wenigstens) eine Gefährdungsmeldung vor. Daraus resultiere eine eher vage gehaltene Vorgehensweise beim Falleingang, nämlich zu schauen, welche Probleme die Familie belasten und welche Massnahmen zur Beseitigung dieser Belastungen notwendig seien. Dabei würden oftmals allge- mein gehaltene Floskeln als Ziele formuliert, wie bspw. „Grenzen setzen“, „Kommunikation in der Familie verbessern“, „Schulprobleme bearbeiten“ u. ä. m. Diese meist offen gehaltene Auftragsform lässt sich entsprechend als ein Kontroll- wie auch als ein Unterstützungsauftrag interpretieren, welcher von der beauftragten Seite entsprechend mit Inhalten gefüllt und konkretisiert wer- den muss. Auch im Zuge der Erläuterungen zu den Sachverhalten in den Familien des Samples wird deutlich, dass bezüglich der Problem- und Bedarfslagen der Fa- milie sowie der Zielsetzungen und Aufträge der zuweisenden Stellen oftmals keine hinreichende Klarheit herrscht. Dieses Problem hat verschiedene 37 Die Angaben in diesem Abschnitt sind den Formen und Problemfeldern von Familien in der Stichprobe der Studie von Petko (2004, S. 92 ff.) sehr ähnlich. Abweichungen betreffen vor allem einen geringeren Anteil von Eltern mit Migrationshintergrund (bzw. nicht- schweizerischer Staatsbürgerschaft) und schulischen Themen in dessen Sample. Im Ver- gleich zu deutschen SPFH-Statistiken fiel jedoch damals schon der hohe Anteil an Eltern mit Belastungen (Behinderung, Sucht, Depression etc.) auf, ebenso die enge Verknüpfung von SPF mit Themen des zivilrechtlichen Kindesschutzes (vgl. ebd., S. 94). 101 (Hinter-)Gründe. Zum einen sehen die meisten Anbieterorganisationen des Samples sogenannte „Abklärungsphasen“ mit unterschiedlicher Dauer im Regelangebot zu Beginn einer Durchführung vor, die dazu dienen, die Themen der Fallbearbeitung und die Modalitäten ihrer Umsetzung zu präzisieren. Vor diesem Hintergrund würden die Aufträge der zuweisenden Stellen zuweilen explizit vage definiert, um sie später noch einmal genauer und einvernehmlich zu evaluieren. Die Vagheit der Arbeitsaufträge und/oder unzulängliche Informationen zu den Hintergründen eines Falls lassen verschiedene Vorgehensweisen zu. Im günstigsten Fall eröffnet dieser Sachverhalt konstruktive Handlungsspielräume der Fallbearbeitung, im ungünstigen Fall führt dies zu Verunsicherungen der fallführenden Fachperson. Zur Illustration: Nach Hinweisen der für die Familie Erismann zuständigen Fachperson habe die zuweisende Stelle den Fall ohne Abklärung überwiesen, da anscheinend eine gewisse Dringlichkeit gegeben war. Die Problemlagen der Familie (Alkoholsucht der Mutter, häusliche Gewalt seitens des Kindsvaters, was dieser aber bestreitet) waren der Fachperson als solche zunächst jedoch nicht bekannt: „[…] ist noch keine Abklärung gemacht worden, aber er [der Fall] hat eine Dring- lichkeit gehabt, und dann hat es geheissen, äh, wir haben noch keine Abklärung gemacht, noch keine Zielsetzungen mit der Familie gemacht, aber, äh, steigen ein, ‚geht einfach mal, schauen gehen, wo ist die Wichtigkeit jetzt so drin, wo kann man im Moment gerade so ähm Unterstützung bieten für die Familie.‘ In dem Sinn, so“ (Fachpersoneninterview 1b, Z. 30–34).38 Nach vorliegender Aussage handelt es sich hier um eine Ausnahmesituation, die aber in vergleichbaren Formen in allen Familien dieser Anbieterorganisa- tion auftritt, vereinzelt auch bei den Familien der Anbieterorganisationen A4 und A5. So wird bspw. im Meldeformular zur Familie Erismann vermerkt, dass in der Familie Schläge vorgekommen sein sollen, worüber die Fachperson aber keine Auskunft geben kann, da sie selbst nichts darüber weiss. Bei Familie Gri- gic wiederum macht der Sohn der Familie in der Schule fälschliche und irrefüh- rende Angaben hinsichtlich körperlicher Züchtigung seitens der Eltern. Dar- aufhin wurde er ohne weitere Abklärung umgehend aus der Schule abgeholt und untergebracht, wobei es nach der Rückplatzierung zu den Eltern haupt- sächlich der zuständigen Fachperson zukommt, die diesbezüglichen Hinter- gründe zu eruieren. 38 Demgemäss erfolgte eine Abklärung seitens der zuweisenden Stelle erst einige Monate später, zumal auch nicht vollumfänglich, da die zuständige Person kurz vor der Pensionie- rung stand und man daher auch nicht wie geplant ein Standortgespräch habe durchführen können, da sich die Nachfolgerin erst einmal in den Fall einarbeiten musste. 102 Neben vage gehaltenen Abklärungs- und Handlungsaufträgen beim Fallein- gang kommt es auch beim Wechsel der fallzuständigen Fachperson häufiger vor, dass diese teilweise ohne hinreichenden Informationsaustausch in eine andere Zuständigkeit transferieren. So etwa bei der Familie Isbaner/Bachmann, bei der die Alkoholsucht der Mutter erst vergleichsweise spät in den Aufmerk- samkeitsfokus der nachfolgenden Fachperson gerät; oder bei Familie Moser, bei der der Fachperson nicht ersichtlich wird, warum nur eines der Kinder bis dahin im Fokus der Bearbeitung stand. Ähnliches lässt sich auch bei der Familie Rohner-Hamidi rekonstruieren, bei der das ältere Kind aufgrund vermutlich falscher Aussagen des Kindsvaters fremdplatziert wurde, was von der Fachper- son, die den Fall erst später übernahm, zwar in Grundlagen rekonstruiert, in- haltlich jedoch nicht nachvollzogen werden konnte. Wo Fälle zuvor nicht hinreichend abgeklärt oder bestehendes Fallwissen nicht umfänglich weitervermittelt wird, schlägt sich dies als Unsicherheit be- züglich der Zielvorstellungen und Handlungsaufträge nieder. So antwortet die für die Familie Ziegler zuständige Fachperson auf die Frage, was für sie die Besonderheit des ausgewählten Falls ausmache, dass für sie der Auftrag absolut unklar war, was sie jedoch noch im selben Moment korrigiert, indem sie aus- führt, dass diese Besonderheit doch eigentlich mehr der Alltag in der SPF aus- machen würde. Unklare Zusammenarbeit mit weiteren Institutionen Sofern neben der SPF auch noch andere Instanzen in der Fallbearbeitung invol- viert sind (z. B. Staatsanwaltschaft, Amt für Kindesschutz, Beistandschaft, KESB, Ärzte, Psychologin der Mutter, psychotherapeutische Betreuung des Kindsvaters etc.), verfügen die zuständigen Fachpersonen diesbezüglich nicht immer über ausreichende Informationen, um das eigene Vorgehen mit dem anderer Fachpersonen zu koordinieren. Formen einer gelingenden institutio- nellen Zusammenarbeit, die sich im Idealfall sinnvoll ergänzen, sich zumindest nicht widersprechen, sind nach vorliegenden Hinweisen insgesamt aber eher selten. Häufiger dagegen finden sich in den fallbezogenen Interviewabschnitten Ausführungen, denen zufolge Fachpersonen über das Vorgehen anderer Perso- nen nicht oder nur unzureichend im Bilde sind. Das muss sich auf das eigene Vorgehen nicht zwangsläufig negativ auswirken, erzeugt aber potenziell Un- klarheit. Probleme der Zusammenarbeit mit institutionellen Akteursgruppen werden von Fachpersonen aller Anbieterorganisationen berichtet. Dabei lassen sich zwei grundlegende Erscheinungsformen unterscheiden: Zum einen ergeben sich Probleme der Zusammenarbeit mit Institutionen, die unmittelbar mit dem Fall befasst sind und das jeweilige Vorgehen der betreffenden Fachperson mit- telbar beeinflussen können (wie bspw. Sozialdienste, KESB, Amt für Kinder- 103 schutz, Beistände/Beiständinnen oder psychologische und medizinische Dienste). Zum anderen bestehen häufig Unklarheiten der Zusammenarbeit mit Fachpersonen aus Schule, Kita, Beratung und Mediation. Unklare Zusammen- arbeit hat nicht nur zur Folge, dass die Fachperson über Vorgänge, die ihre Arbeit betreffen, nicht nur unzureichend im Bilde ist, sondern auch, dass hin- sichtlich der Zuständigkeiten einzelner Aspekte der Fallbearbeitung mitunter keine ausreichende Klarheit herrscht. Dies betrifft bspw. die Frage, wer in un- klaren und/oder risikobehafteten Situationen Entscheidungen trifft, bei wel- chen Entscheidungsinstanzen Hinweise zusammenlaufen und wie bzw. wem diese mitgeteilt werden sollen.39 Gefährdungsmeldungen Neben unklaren Sachverhalten sowie der offenen Frage, mit welchen weiteren Akteursgruppen eine Zusammenarbeit aufgegleist werden muss, liegt dem Fall- eingang nach vorliegenden Hinweisen häufig eine Gefährdungsmeldung zu- grunde. In solchen Situationen werden die Fachpersonen den Angaben zufolge in zwei Richtungen aktiv: Zum einen müssten sie klären, welche weiteren Per- sonen mit dem Fall befasst sind und mit wem eine Zusammenarbeit notwendig und sinnvoll ist. Zum anderen seien sie regelmässig mit einer anfänglich eher zurückhaltenden und misstrauischen Klientel konfrontiert, welche die SPF in den wenigsten Fällen aus freien Stücken in Anspruch nimmt, sondern sich deshalb für eine solche entscheidet, um eine (drohende) Fremdplatzierung ihrer Kinder abzuwenden oder deren Rückplatzierung zu erreichen. Demgemäss sind Fachpersonen zu Beginn einer SPF häufig damit befasst, implizite oder explizite Zwangskontexte in Arbeitsbeziehungen zu transformieren, um das für länger- 39 Solche und ähnliche Formen unklarer Zuständigkeiten finden sich häufiger in den Inter- viewdaten (vgl. etwa die Familien Zumsteg, Grigic, Gerig/Blaser, Moser und Ziegler). Ein Teil dieses Problems entsteht möglicherweise durch die Fokussierung auf einen Elternteil, so dass über den anderen Elternteil (meist der Kindsvater) kein verlässliches Wissen be- steht. Aber auch, wenn beide Elternteile, wie im Fall der Familie Ziegler, Gegenstand der SPF-Aktivitäten sind (wenn auch getrennt), heisst das nicht, dass die eine Fachperson über das Vorgehen der Anderen im Bilde ist (im vorliegenden Fall sind dies: Gericht; KESB; Bei- stand; Gutachter; Berater/Paarmediation). Viele der Aktivitäten laufen nach Auskunft der Fachperson in dieser Familie weitgehend parallel zueinander und verfolgen jeweils eigen- ständige Interessen und Ziele, die keinesfalls immer kommuniziert oder aufeinander abge- stimmt werden (Fachpersoneninterview 4c, Z. 1051 ff.). Die Folge davon ist, dass die Akti- vitäten verschiedener Fachpersonen zum Teil konfus und unkoordiniert zueinander ver- laufen und (eventuell weitreichende) Entscheidungen ohne vorherige Abstimmung und/ oder Rückversicherung umgesetzt werden (ebd., Z. 1109), so dass die SPF auch diejenigen Konsequenzen bearbeiten muss, die anderswo getroffen wurden, auch wenn sie diese selbst nicht zu verantworten hat. Entsprechend gering sind nach Auskunft der Fachperson dann auch die Wirkungen ihrer Interventionen in dieser Familie (ebd., Z. 847). 104 fristige Interventionen notwendige Vertrauen zu etablieren. Da die Anmeldun- gen für eine SPF teilweise erst sehr spät kämen – also zu Zeitpunkten, wo sich Probleme bereits zugespitzt hätten – benötigt die Phase der Etablierung einer offenen und vertrauensvollen Zusammenarbeit aufgrund verhärteter oder chro- nifizierter Problemlagen oft übermässig viel Zeit. Auch im vorliegenden Sample sind Gefährdungsmeldungen in Bezug auf das Kindeswohl ein häufiger Grund für die Errichtung und Durchführung einer SPF. So finden sich in den vorliegenden Fachpersoneninterviews in zwölf Fällen explizite Hinweise auf eine Meldung bezüglich der Familien des MWA-Sam- ples,40 vorwiegend von Seiten der Schule und Eltern. Gefährdungsmeldungen haben grundsätzlich Auswirkungen auf die Fallbearbeitung, weil sie auf die Be- troffenen – Kinder und Eltern gleichermassen – verunsichernd wirken, vor allem, wenn das Kind in der Folge fremdplatziert wird. Gefährdungsmeldun- gen, die von den zuständigen Fachpersonen während einer laufenden SPF ini- tiiert und ausgeführt werden, sind aus deren Sicht besonders nachteilig, da sie die Kooperationsbereitschaft der Eltern und/oder deren Vertrauen in die SPF unterminieren. Der hohe Anteil an Gefährdungsmeldungen bei den Familien im Sample sowie der nicht unbeträchtliche Anteil fremdplatzierter Kinder vor oder wäh- rend der Durchführung einer SPF lassen darauf schliessen, dass der Zwangs- kontext in Bezug auf die Familien des Samples vielleicht mehr die Regel denn die Ausnahme ist. Dabei handelt es sich um Kontextbedingungen, die von Fachpersonen in der Regel selbst nicht verantwortet werden, mit deren Konse- quenzen sie sich gleichwohl befassen müssen. Die für Familie Huber zuständige Fachperson hat diesen Konnex ausgehend von ihrer Fallzuständigkeit folgen- dermassen formuliert: „Wenn man wirklich gut hinschaut, ist es bei den meisten, ein wirklich verkappter Zwangs-Gesamtkontext. Auch dort, wo es freiwillig ist. Also man muss wirklich et- was aufpassen, wenn zwischen Platzierung und Familienbegleitung gewählt wird, dann wird halt Familienbegleitung gewählt, und wir machen es freiwillig! Das ist für mich eigentlich nicht freiwillig. Das ist Augenwischerei. Schöngeredet. Ähm, das ist für mich nach wie vor- eher Zwangskontext als nicht.“ (Fachpersoneninterview 5a, Z. 423–428) 40 In einem Fall (Familie Zumsteg) wurde die Gefährdungsmeldung aufgrund unzureichen- der Verdachtsmomente wieder zurückgenommen, in einem weiteren Fall (Familie Huber) gibt sie sich lediglich indirekt zu erkennen, da sich die KESB in den Fall eingeschaltet hatte. Die Zahlen sind in Bezug auf ihre Untergrenze darüber hinaus nicht unbedingt verlässlich, sofern Gefährdungsmeldungen möglicherweise auch in den anderen Fällen des Samples eine Rolle spielen, jedoch in den Interviews nicht zur Sprache kommen. Die Studie von Petko (2004, S. 94) ordnet von den insgesamt 50 untersuchten Familien 30 einem Zwangs- kontext zu. 105 4.5.3 Praxis der SPF Aus den oben beschriebenen Kontextbedingungen ergeben sich verschiedene Unsicherheiten für das weitere Vorgehen der Fachpersonen in den Familien. Diese betreffen v. a. Merkmale der Fallbearbeitung wie bspw. die Passung, den Einbezug von Kindern und Kindsvätern oder den Umgang mit Gefährdungs- meldungen. Anschliessend werden Indikatoren erörtert, an denen sich aus Sicht der befragten Fachpersonen die Qualität der Fallbearbeitung ablesen lässt. Passung: Methodisches Vorgehen in Bezug auf den Fall In den Interviewpassagen, in denen Fachpersonen ihr methodisches Vorgehen in Bezug auf den Fall näher beschreiben, machen sie deutlich, dass das ausge- wählte Vorgehen in einem nachvollziehbaren Bezug zur Problemlage der jewei- ligen Familie steht. Mit Blick auf die Kontextbedingungen der Fallbearbeitung wird ausserdem sichtbar, dass die Passung umso besser gelingt, wie der Kontext der Fallbearbeitung (bspw. transparente Fallabklärung, Kooperation mit ande- ren Fachpersonen) das methodische Vorgehen während der SPF unterstützt. Beispiele einer schlüssigen Passung ergeben sich u. a. aus den Hinweisen zur Familie Binotti, in der die Kindsmutter seit geraumer Zeit verstorben ist, wodurch der Kindsvater im Umgang mit den beiden Kindern überfordert ist. Die Fachperson zeigt im Interview viel Verständnis für die Situation des Vaters (vgl. Fachpersoneninterinterview 2a, Z. 378 ff.), wobei sie einen anhaltenden Vater/Sohn-Konflikt transparent und nachvollziehbar reflektiert und daraus die Priorität für ihr Vorgehen in Bezug auf die Kinder begründet. In anderen Fällen ist das Vorgehen der Fachpersonen schwerer nachzuvoll- ziehen. Im Fall der Familie Grigic bspw. konzentrieren sich die Aktivitäten der Fachperson, zu denen auch Leseübungen zählen, auf die Kinder. Dieses Vorge- hen wird indessen kaum einsichtig, da schon die Mutter mit dem Kind Lesen übt, ihre diesbezügliche Kompetenz jedoch von der Fachperson mit der Be- gründung in Abrede gestellt wird („da habe ich grosse Bedenken, da die Mutter ja auch Schwierigkeiten hat mit der Sprache“, vgl. Fachpersoneninterview 1d, Z. 438 f.). Und obwohl die Fachperson für sich reklamiert, mittels Modellhan- deln den Eltern ein Vorbild zu sein („um den Eltern zu zeigen, wie es geht“, vgl. ebd., Z. 442), bleibt die Tür während der Leseübungen für die Mutter gleich- wohl geschlossen. Wie sich in den Hinweisen der Fachpersonen zu den Modalitäten ihrer Fallbearbeitung näher zeigt, ist „Passung“ einerseits das Produkt der Kontext- bedingungen, innerhalb derer sich die Fachperson zurechtfinden muss, ande- rerseits aber auch das Ergebnis einer fachlichen Haltung, die sich auf metho- disch begründete Standards der Fallbearbeitung stützt. Im besten Fall ergänzen sich klare Kontextbedingen und klare Haltungen, in weniger gut strukturierten 106 Situationen können sich unklare Kontextbedingungen und unklare Haltungen jedoch ebenfalls wechselseitig verstärken. Einbezug der Kinder Der Einbezug von Kindern (wie im Übrigen auch weiterer Familienmitglieder) hängt nach vorliegenden Hinweisen sowohl von den Voraussetzungen der Fall- bearbeitung wie auch von situativen Einschätzungen der Fachpersonen ab. Grundsätzlich wird der Einbezug von Kindern in die Fallbearbeitung von den befragten Fachpersonen als wichtig erachtet. Schutz und Sicherheit für die be- troffenen Kinder seien die hauptsächlichen Anliegen bei der Etablierung einer Begleitung. Hinsichtlich deren Umsetzung gehen die Fachpersonen jedoch verschiedene Wege: Einige Fachpersonen geben an, die betroffenen Kinder soweit als möglich in die Fallbearbeitung zu integrieren, sofern diese während der Hausbesuche anwesend sind. Andere Fachpersonen wiederum führen an, dass sie Kinder nur dann adressieren, wenn es dafür einen konkreten Auftrag gibt. Die Fachpersonen der Anbieterorganisation A4 wiederum machen gel- tend, dass sie ausschliesslich mit Eltern zusammenarbeiten würden, da es pri- mär ihr Auftrag sei, die Eltern in ihrer Erziehungsverantwortung zu unterstüt- zen. Ungeachtet der unterschiedlichen Formen und Grade des Einbezugs ist das Wohlergehen der Kinder aus Sicht der Fachpersonen gleichwohl ein wesentli- cher Wirkfaktor ihrer Interventionen. Kinder stünden zwar regelmässig im Fokus eines expliziten oder unausgesprochenen Kontrollauftrags, jedoch seien die für ihren Einbezug erforderlichen Rahmenbedingungen (bspw. Auftragsklä- rung) und Ressourcen (bspw. Besuchszeiten) keinesfalls immer gegeben. Auch bei akuten Konflikten zwischen den Eltern drohe deren Einbezug aus dem Blick zu geraten. Darüber hinaus seien Kinder während der Hausbesuche häufiger abwesend, was zum Teil eine Folge von Terminvereinbarungen (Werktage, tagsüber) bzw. den begrenzten Arbeitszeiten der betreffenden Fachperson ist. Eine weitere Fachperson macht auf den Umstand aufmerksam, dass eine zu starke Fokussierung auf das Kind sich ggfs. nachteilig auf das elterliche Auto- nomieempfinden auswirken könne und die Fachperson als Konkurrenz zu den elterlichen Erziehungskompetenzen wahrgenommen wird. Ausser in Fällen, in denen das Kind via Ziel- und Auftragsklärung aus- drücklich im Fokus der SPF steht, scheint sein Einbezug massgeblich davon abzuhängen, inwieweit es im Zuge der laufenden Fallbearbeitung in den Auf- merksamkeitsfokus der betreffenden Fachperson rückt (bspw. als Bestandteil einer problematischen Eltern/Kind-Beziehung) oder aus diesem Aufmerksam- keitsfokus wieder herausfällt (bspw. im Zuge eskalierter Paarkonflikte). Neben Auftrag und situativen Entwicklungen spielen möglicherweise auch methodi- sche Überlegungen eine Rolle, je nachdem, ob die Interventionen der SPF pri- 107 mär auf stellvertretende (bspw. Modellhandeln) oder befähigende (bspw. Anre- gungen vermittelnde) Prämissen fachlichen Handelns rekurrieren, ob also die Fachpersonen entweder selbst mit dem betreffenden Kind interagieren oder dem Elternteil auf das Kind bezogene Hinweise geben. Einbezug des Kindsvaters Auffällig an den Hinweisen zur Fallbearbeitung ist ferner die Rolle der Kinds- väter bei der SPF-Praxis. Trotz der Beteuerungen der interviewten Fachperso- nen, dass das methodische Vorgehen der SPF einen systemisch-ganzheitlichen Ansatz erfordert, fällt auf, dass den Kindsvätern häufiger die Rolle unbeteiligter Dritter zugedacht wird und diese oft nur am Rande berücksichtigt werden.41 In verschiedenen Fallkonstellationen (vgl. bspw. die entsprechenden Hinweise der für die Familien Erismann und Rohner-Hamidi zuständigen Fachpersonen) machen die Fachpersonen u. a. darauf aufmerksam, dass sie diesbezüglich sei- tens der zuweisenden Stellen keinen konkreten Arbeitsauftrag erhielten. In vier weiteren Konstellationen ist der Kindsvater nach Auskunft der Fachperson wiederum ganz oder häufiger abwesend, schwer erreichbar oder zeigt wenig Interesse an einer Zusammenarbeit. Hinweise zum Vorgehen, bei dem der Kindsvater aktiv in die aktuelle Fallbearbeitung einbezogen ist, kommen vor, sie sind jedoch in der Unterzahl. Die teilweise geringe Beachtung von Kindsvätern in der Fallbearbeitung der SPF ist umso mehr bemerkenswert, als in nahezu allen Familien Paar- oder Trennungskonflikte (auch in Verbindung mit häuslicher Gewalt) eine mass- gebliche Rolle bei der Problembearbeitung spielen, so z. B. wenn diese Kinder zu sich in Obhut nehmen, weil die Unterbringung bei der Mutter nicht mehr tragbar ist oder die Kinder bei ihnen zu Besuch sind, auch wenn die Besuchs- rechtsfrage noch nicht abschliessend geregelt ist. Zuweilen spielen Kindsväter auch im Hinblick auf das Kindeswohl eine unklare Rolle, weil sie selbst alkohol- abhängig sind, ihnen körperliche oder sexuelle Übergriffe zur Last gelegt wer- den oder sie sich einer therapeutischen Behandlung unterziehen. Seitens der Fachpersonen findet in solchen oder vergleichbaren Situationen anscheinend eine Risikoabwägung statt, wobei die Entscheidungsgrundlagen im Einzelnen nicht immer einsichtig werden. Vor diesem Hintergrund wird von den interviewten Fachpersonen ver- schiedentlich angeführt, dass eskalierte Paarkonflikte generell schwierig zu bearbeiten seien und den eigenen Interventionen Grenzen setzten oder diese 41 Die Studie von Richter (2013, S. 266) spricht in diesem Zusammenhang von einer virtuell wirkmächtigen Sprecherposition, die trotz der Abwesenheit von Vätern stark in das Fami- lienensemble der SPF hineinwirkt. 108 gar unterminierten, so z. B., wenn die Fachperson von beiden Seiten in den Paar- oder Trennungskonflikt hineingezogen und für deren Interessen instru- mentalisiert würde. In diesen, für die Familien unseres Samples durchaus typi- schen Fallkonstellationen hängt es dann stark von der Fachperson ab, inwieweit es ihr gelingt, die widersprüchlichen Interessen der Eltern mit denen der Kin- der wie auch mit den eigenen Erwartungen an die Fallbearbeitung in Einklang zu bringen. Nach vorliegenden Hinweisen gelingt dies jedoch nur bedingt. Einbezug weiterer Familienmitglieder und Netzwerkressourcen Auch der Einbezug weiterer Familienmitglieder (meist Grosseltern und Ge- schwister) ist nicht unproblematisch. Diesbezüglich wird angemerkt, dass die Beziehungen innerhalb der Familie oftmals selbst schon problembelastet seien und andere Familienmitglieder in einem schwierigen Beziehungsverhältnis zum betreffenden Elternteil stünden. Fernerliegende Verwandtschaftsverhältnisse würden dagegen eher selten in Erwägung gezogen. Zum überwiegenden Teil scheint sich die Praxis der SPF auf denjenigen Elternteil (meist die Kindsmut- ter) zu konzentrieren, bei dem das Kind untergebracht ist. Aus den Reaktionen auf die Frage nach der Bedeutung „ausserfamilialer Unterstützungsnetzwerke“ geht hervor, dass die interviewten Fachpersonen nur wenig Konkretes damit verbanden. Teils wurden mit ausserfamilialen Unter- stützungsnetzwerken primär institutionelle Einrichtungen assoziiert (Kinder- garten, Schule, therapeutische Einrichtungen), teils formelle Angebote oder informelle Beziehungsressourcen (Nachbarn, Vereine, Gemeindezentren). Während die Zusammenarbeit mit institutionellen Fachpersonen ohnehin als unumgänglich eingeschätzt wird (vgl. dazu jedoch die Erläuterungen zur unkla- ren Zusammenarbeit oben), werden soziale Unterstützungsangebote dagegen anscheinend eher selten aktiviert. Als Begründung wird angeführt, dass die Unterstützungsanliegen der Eltern jenseits des näheren Familienumfeldes ten- denziell schambesetzt seien. Indikatoren einer gelingenden und weniger gut gelingenden Fallarbeit Auf Nachfrage, an welchen Indikatoren die Fachpersonen die Qualität ihrer Praxis erkennen, werden vorwiegend zwei Themenfelder angeführt: „Zusam- menarbeit mit den Eltern“ sowie „Veränderungen im Familiensystem“. Ein wichtiger und häufig angeführter Indikator einer gelingenden Praxis betont daher die nicht selbstverständliche Zusammen- bzw. Mitarbeit der Mitglieder aus dem Familiensystem. Wesentlich dafür sei das transparente Vorgehen der 109 Fachperson gegenüber der Familie sowie ein vertrauter Beziehungsaufbau und die Wertschätzung, die daraus resultiert.42 Aus Sicht der Fachpersonen dokumentiere sich eine gelingende Praxis an der Bereitwilligkeit der Betroffenen, zu lernen sowie problematische Verhal- tensmuster soweit möglich zu modifizieren. Dies betrifft neben den sichtbaren Veränderungen der einzelnen Familienmitglieder auch das Zusammenleben der Familie, wenn bspw. Konflikte weniger würden, wenn sich die Stimmung in der Familie aufhellen würde und es den Kindern gut dabei gehe. Ein wichtiger Gelingensfaktor der SPF ist insofern der Zuwachs an Problemlösungskompe- tenzen der Familienmitglieder nach innen und aussen. Mitunter dokumentier- ten sich positive Veränderungen auch am Erscheinungsbild der Wohnsituation. Wenn Eltern wüssten, was sie tun und ihr eigenes Verhalten besser reflek- tieren und einschätzen könnten, hätte die SPF aus Sicht der Fachpersonen schon Vieles bewirkt, was sich für gewöhnlich auch an den positiven Rückmel- dungen reflektiere. Wenn die Eltern dann zum Ende der Intervention weniger Unterstützungsbedarf signalisierten und sich diesbezüglich weniger melden würden, betrachten Fachpersonen dies als ein positives Signal für den Hilfeer- folg. Skeptischer hingegen wird der Grad der formellen Zielerreichung gemäss Auftrag der zuweisenden Stellen eingeschätzt. Eine gelingende Praxis sei viel- mehr an den kleinen Entwicklungsschritten zu erkennen, was voraussetzt, die Familie als Ganzes im Auge zu behalten, auf die Bedürfnisse der einzelnen Fa- milienmitglieder einzugehen und deren Fortschritte wertschätzend zu reflektie- ren. Die Indikatoren einer weniger gut gelingenden Praxis zeigen sich meist spie- gelverkehrt zu den oben erwähnten Indikatoren. Sie sind etwa abzulesen an einer anhaltenden Abwehrhaltung der Familie oder einzelner Familienmitglie- der, am Stillstand von Entwicklungen bzw. Apathie von allen Seiten (die Fach- person eingeschlossen), wofür ein Wechsel der zuständigen Fachperson manchmal schon hilfreich wäre. Unter diesen Voraussetzungen würden nach Angaben der Fachpersonen auch die definierten Ziele oft nicht erreicht. 4.5.4 Herausforderungen an die Fallarbeit Grundsätzlich sind – wie die obigen Ausführungen zeigen – die Anforderungen an die Praxis der SPF an sich herausforderungsreich. Darüber hinaus wurde in 42 Die Bedeutung einer einvernehmlichen Arbeitsbeziehung wurde bereits in anderen Studien betont. Petko (2004, S. 210) erachtet sie als „einen zentralen Punkt für die Wahl der Hand- lungsstrategie im Einzelfall“. 110 den Interviews danach gefragt, was regelmässig wiederkehrende Problematiken der Fallarbeit sind, die den Hilfeerfolg vor besondere Herausforderungen stel- len, die Praxis der SPF an ihre Grenzen führen oder deren Scheitern verursa- chen. An den Überlappungen diesbezüglicher Antworten wird mithin kennt- lich, dass die genannten Indikatoren Teil der alltäglichen Fallarbeit sind, aber auch zum Scheitern von SPF führen können. Regelmässige Herausforderungen der Fallarbeit Nicht ganz unerwartet hat die Frage nach den regelmässig wiederkehrenden Herausforderungen an die Fallarbeit bei den interviewten Fachpersonen im fallübergreifenden Teil der Interviews einige Resonanz ausgelöst. Kontextfaktoren Nach vorliegenden Hinweisen liegen die grössten Herausforderungen der Fall- bearbeitung in den intransparenten Fallabklärungen und Auftragslagen der zuweisenden Stellen begründet. Davon betroffen sind insbesondere die Fach- personen der Anbieterorganisation A1, teilweise aber auch die von A3 und A4, was möglicherweise auf institutionell unterschiedliche Rahmenbedingungen der Fallarbeit zurückschliessen lässt. Nach deren Auskünften sind die Fachper- sonen häufiger mit dem Problem konfrontiert, auch unzureichend abgeklärte Fälle übernehmen zu müssen. Mitunter entstehe der Eindruck, dass die SPF ein diffuses, zwischen Abklärung und Überprüfung angesiedeltes Kontrollbedürf- nis der zuweisenden Stellen erfüllt, oft ohne genauere Angaben darüber, wie die Familie selbst dazu steht. Mithin übernehme man für die Entscheidungsinstan- zen (Soziale Dienste, KESB) bzw. deren Repräsentanten (Beistandschaften) in solchen Fällen eine „Türöffnerfunktion“ (vgl. Fachpersoneninterview 1c, Z. 1367). Kontrollfunktion Der Eindruck, dass SPF mitunter ein diffuses Kontrollbedürfnis institutioneller Akteure/Akteurinnen erfüllt, zeigt sich auch an der Kooperationsbereitschaft der betroffenen Klientel. Nach Einschätzung einer Fachperson eines grösseren städtischen Trägers (vgl. Fachpersoneninterview 3c, Z. 492 ff.) beträgt der An- teil freiwillig vereinbarter SPF-Begleitungen für gewöhnlich nicht mehr als 30 Prozent, während sich der überwiegende Teil der Familien eher passiv dem vorgeschlagenen Kurs unterwerfe und weitere 30 Prozent die Durchführung einer Familienbegleitung explizit ablehnen würden. Offiziell als „freiwillig“ (bzw. nicht explizit behördlich angeordnete) deklarierte SPF sei oft das Ergeb- nis eines latenten Drohszenarios, hinter dem sich die Fremdplatzierung von Kindern verberge und das auf Seiten der betroffenen Familien Ressentiments 111 nach sich zieht. Diese Doppelfunktion einer Orientierung an den Bedürfnissen der zuweisenden Stellen und den genuinen Aufgaben von SPF führe zuweilen in einen Rollenspagat, der den betroffenen Familien transparent und nachvoll- ziehbar gemacht werden müsse, um sie vom Unterstützungspotenzial der SPF zu überzeugen. Gefährdungsmeldungen Gelegentlich kommt es zu Gefährdungsmeldungen während der laufenden Fallbearbeitung, sei es von Seiten Dritter (Schule, Kindertageseinrichtung) oder von einem Elternteil im Zuge eines Paar- oder Trennungskonflikts. Mitunter sehen sich aber auch die Fachpersonen selbst zu Gefährdungsmeldungen ver- anlasst, sofern die Problemlagen der Familie nicht immer eindeutig abgeklärt sind und sich aus dem Prozess der Fallbearbeitung entsprechende Hinweise ergäben, die einer Meldepflicht unterliegen. Diese erweist sich mitunter als ein Stolperstein für die Zusammenarbeit mit der Familie, da eine Meldung von Seiten der Fachperson nahezu zwangsläufig mit dem Vertrauensentzug der da- von Betroffenen einhergeht. Die Frage, ob seitens der Fachperson eine Meldung lanciert werden soll, erfordert insofern die Abwägung möglicher Konsequen- zen. Fachpersonen können dieses Dilemma umgehen, indem sie die Melde- pflicht an die Eltern oder an Dritte (z. B. Beistandschaft) delegieren. Verspätete Zuweisung Als Herausforderung wird mitunter auch die späte Zuweisung der Familien thematisiert (gehäuft bei Fachpersonen der Anbieterorganisation A3), was die Fachperson vermehrt mit chronifizierten Problemlagen in den Familien kon- frontiert. In diesem Problemkonnex wirke sich auch die lange Verfahrensdauer bei der Anerkennung von Asylanträgen negativ aus.43 Der späte Fallzugang führe oft zu höheren Anforderungen an die Fallbearbeitung, da sich die Betrof- fenen weniger situationsoffen präsentierten. Beistandschaften und Kostenbeteiligung Probleme der Zusammenarbeit bestünden zuweilen auch mit den Beistand- schaften im Rahmen der konkreten Fallbearbeitung, die sich hinsichtlich der 43 Teilweise hat die verspätete Anmeldung auch in den Finanzierungmodalitäten für SPF ihre Gründe. Während angeordnete erzieherische Hilfen (unabhängig von der Einkommenssi- tuation der Familie) zwingend von den Kantonen finanziert werden müssen (unter Vorbe- halt der finanziellen Beteiligung der Familie), ist dies bei vereinbarten Leistungen anders. Sofern sich die Finanzierung von SPF – aus welchen Gründen auch immer – als schwierig erweist, wird mitunter zugewartet, bis sich die Situation in den Familien so zuspitzt, dass die Hilfe auch angeordnet werden kann. 112 Qualität ihrer Aufgabenwahrnehmung sehr unterschiedlich repräsentierten, auf den Fallverlauf jedoch einen massgeblichen Einfluss ausüben würden. Die Zu- teilung einer Beistandschaft gleiche mithin einem „Lotteriespiel“ (vgl. Fachper- soneninterview 2a, Z. 1580). Auch die Kostenbeteiligung der Eltern (insbes. in angeordneten Fällen) erweise sich mitunter als ein echter „Kooperationskiller“ (vgl. Fachpersoneninterview 5a, Z. 646), da die Eltern für eine Leistung, die sie nicht wollten, auch noch bezahlen müssten. Grenzsituationen fachlichen Handelns Neben herausfordernden Ausgangsbedingungen, die sich über die oben be- schriebenen Kontextbedingungen begründen oder den Merkmalen der Fami- lien und ihren Problemlagen als Herausforderung der SPF geschuldet sind, be- zeichnen einige Fachpersonen auch persönliche Grenzen in der Zusammenar- beit mit den Familien als eine ständige Herausforderung. Blinde Flecken Eine Fachperson macht bspw. geltend, dass sich im Laufe von ausgebildeten Arbeitsroutinen mitunter blinde Flecken entwickeln würden, die sie selbst nur unter grossen Schwierigkeiten erkennen, reflektieren und ausmerzen könne. Bei einem zu langen Agieren im Familiensystem bestünde zudem die Gefahr, selbst ein Teil davon zu werden, indem man sich von den bestehenden Pro- blemlagen persönlich vereinnahmen liesse. Vereinzelung Eine andere Fachperson verweist auf das aus der Forschung bekannte Problem der Vereinzelung, wonach SPF ein Berufsfeld markiere, in dem die einzelnen Fachkräfte über längere Zeiträume als Einzelpersonen in Familien in schwieri- gen Lebenssituationen intervenierten, ohne sich mit anderen Fachpersonen darüber kontinuierlich oder umfänglich austauschen zu können. Fallbezogene Krisen oder Unsicherheiten liessen sich zwar im Rahmen professioneller Set- tings reflektieren (kollegiale Beratung, Dienstgespräche mit der vorgesetzten Person, Supervision etc.), weniger aber die Stolpersteine und blinden Flecke in der alltäglichen Praxis, mit denen die Fachperson für gewöhnlich alleine zu- rechtkommen muss. Zuständigkeit Während die beschriebenen Herausforderungen fachlichen Handelns von den interviewten Fachpersonen als strukturell wiederkehrend, aber prinzipiell als beherrschbar eingeschätzt werden, gibt es aus deren Sicht jedoch auch eindeu- tige Grenzen der Machbarkeit. Diese sind zum überwiegenden Teil an den 113 Fallmerkmalen festzumachen. Diesbezüglich werden an erster Stelle Sucht- problematiken oder psychische Belastungen angeführt, die je nach Umfang und Intensität ohne spezialisierte Fachkompetenzen nicht mehr erwartungssicher aufgefangen und/oder bearbeitet werden können. Oft greifen Sucht und psychi- sche Belastungsfaktoren auch eng ineinander, so dass die Fallbearbeitung mit- unter grenzwertig wird. Die SPF könne möglicherweise kompensierend in das Familiensystem intervenieren, die eigentlichen Ursachen würden jedoch davon nicht (oder nur teilweise) aufgefangen. Ähnliches gelte mit Blick auf chronifi- zierte und/oder eskalierte Paarkonflikte, sofern für die intervenierende Fach- person u. U. ein persönliches Gefährdungspotential daraus resultiert. Kulturelle Verschiedenartigkeit Grenzen der Machbarkeit bestünden weiterhin hinsichtlich der weiter oben schon erwähnten kulturellen Andersartigkeit der Fokusfamilie, auf die sich lediglich partiell oder vorübergehend Einfluss nehmen liesse. Gründe des Scheiterns Nach wiederkehrenden Gründen ihres Scheiterns befragt, reagieren die inter- viewten Fachpersonen erneut mit Hinweisen zum Kontext der Fallarbeit. Am häufigsten wird der Zwangskontext von SPF genannt, der dazu führt, dass die Kooperationsbereitschaft der betroffenen Eltern darunter leidet. Die Eltern verhielten sich weniger kooperativ und erteilten von sich aus keinen konkreten Arbeitsauftrag an die SPF, was die Etablierung tragfähiger Arbeitsbeziehungen schwieriger mache. Zuweilen scheitere SPF auch am unglücklichen „Matching“, daran also, dass die „Chemie“ zwischen Fachperson und Klient/in nicht har- moniert und der Fall in eine andere Zuständigkeit übergeben werden müsse. Darüber hinaus misslingt SPF zuweilen aber auch an den oben bereits er- wähnten Finanzierungs- resp. Kostenbeteiligungsgründen. Wird eine verein- barte SPF nicht finanziert, werde mitunter zugewartet, bis eine Krise entstünde, die es rechtfertigt, das Kindeswohl als gefährdet einzustufen, wofür dann wieder andere Finanzierungsrichtlinien gelten. Dieser Konnex erklärt evtl. auch, wa- rum nach Dafürhalten mehrerer Fachpersonen die SPF häufig erst spät (bzw. zu spät) aufgegleist würde. Verschiedene Hinweise machen auf den Umstand aufmerksam, dass SPF an der unzureichenden Zusammenarbeit verschiedener Institutionen scheitere, die sich untereinander nicht ausreichend über ihr Vorgehen abstimmen und/oder über ihre jeweiligen Schritte informieren würden. Schliesslich wird die andau- ernde häusliche Gewalt als ein weiterer Scheiterungsgrund angeführt, insbe- sondere dann, wenn Fachpersonen in die Auseinandersetzungen hineingezogen oder selbst zur Zielscheibe würden. 114 In nur einem Fall wird das Scheitern auf die persönlichen Kompetenzen der Fachperson selbst zurückgeführt: Diese attestiert sich selbst ein zuweilen zu forsches Vorgehen in der Fallbearbeitung und manchmal auch ein zu grosses Mitgefühl für die betroffenen Kinder, was bei den Eltern Konkurrenzgefühle und Ablehnung auslösen kann. 4.5.5 Wirkungen von SPF Die Kontextfaktoren von SPF, die Modalitäten ihrer Umsetzung sowie die be- sonderen Herausforderungen an die Praxis bilden den Grund, auf dem Fach- personen der SPF ihre Arbeit evaluieren. Vor diesem Hintergrund werden in diesem Kapitel die von den Fachpersonen wahrgenommenen Wirkungen in den Familien des Samples resümiert. Darüber hinaus wurden die Fachpersonen auch nach den möglichen Wirkvoraussetzungen befragt, die aus ihrer Sicht für die wahrgenommenen Wirkungen massgeblich sind. Schliesslich wird in die- sem Kapitel die Frage beantwortet, wann genug geholfen wurde resp. es wird erörtert, unter welchen Voraussetzungen die SPF in den Familien des Samples abgeschlossen werden kann. Indikatoren bislang erzielter Wirkungen in den Familien des Samples Ebenso vielfältig und komplex, wie sich aus Sicht der Fachpersonen die kon- krete Fallbearbeitung präsentiert, sind auch deren Hinweise im Hinblick auf die bislang erzielten Wirkungen in den Familien. In einigen Familien liegt die Frage nach der Zielerreichung anlässlich einer sich bereits abzeichnenden Fall- beendigung ohnehin nahe, in anderen Familien explizieren die Fachpersonen ihre diesbezüglichen Einschätzungen als Momentaufnahmen unter Vorbehalt ihrer Vorläufigkeit. Wohlergehen der Kinder Danach befragt, wie Fachpersonen die bislang erzielten Wirkungen werten, stützen sich diese auf unterschiedliche Indikatoren. Ein erster Wirkindikator orientiert sich am Wohlergehen der betroffenen Kinder, sofern ungeachtet noch fortbestehender Problemlagen auf Seiten der Eltern für die Kinder keine unmittelbare Gefährdung mehr besteht: „Da ist viel passiert. Also der Luan ist ruhiger, ist ausgeglichener. Der hat von mir aus gesehen Vertrauen in die Welt bekommen“, sagt bspw. die zuständige Fachperson für die Familie Grigic (vgl. Fachpersoneninterview 1d, Z. 666 f.). Neben den eigenen Wahrnehmungen aus den Hausbesuchen spielen zudem häufiger auch die Rückmeldungen aus anderen Lebensorten der Kinder eine Rolle (Schule, Kita etc.). 115 Bewältigung familiärer Belastungen Eine günstigere bzw. weniger risikoreiche Ausgangsposition für die betreffen- den Kinder sehen die Fachpersonen im Abbau familiärer Belastungen. Wenn es bspw. gelingt, die familiäre Situation im Hinblick auf einen bestehenden Paar- konflikt oder bezüglich der Suchterkrankung eines Elternteils kontrollierbar zu machen, werten Fachpersonen dies als verbesserte Ausgangsbedingungen für die Kinder wie bspw. die fallzuständige Fachperson der Familie Erismann: „sie [die Mutter] ist sich jetzt am neu einrichten, in einer neuen Wohnung, sie hat Kinderbetreuung, geht arbeiten, sie meistert das Leben ganz gut“ (vgl. Fachper- soneninterview 1b, Z. 608 f.). Als Indikator für die Stabilisierung des Familien- systems gelte neben einem verbesserten und reflektierten Umgang mit den eigenen Defiziten auch mehr Klarheit im Umgang mit dem bestehenden Part- nerkonflikt. Davon betroffen sind u. a. auch Besuchsregelungen, Zuständigkei- ten und Verantwortlichkeiten für Erziehungsaufgaben, mitunter auch die räumliche Trennung der Eltern zueinander, so dass sich Streit- und Reibungs- punkte im Zusammenleben der Eltern verringern. Für die zuständige Fachper- son der Familie Zumsteg stellte sich bspw. die Frage, wie der Kontakt zwischen Eltern und Kind so organisiert und strukturiert werden konnte, dass er nicht ständig weitere Konflikte nach sich zog: „Eigentlich ist das [die Anregung zur Trennung] vom Therapeut aus entstanden, aber da hat sich nichts mehr weiterentwickelt. Und dann habe ich das in die Finger genommen und gesagt: ‚hört zu, ich kann hier nicht arbeiten, solange ihr immer streitet. Wenn ihr wirklich diese Trennung wollt, dann gehen wir diese an.‘ Und dann haben wir gleich Nägel mit Köpfen gemacht […] Und sobald dies stattgefun- den hat, war auch Ruhe bei den Kindern. Also Du musst dir vorstellen, es ist jetzt viel weniger Streit zu Hause.“ (Fachpersoneninterview 1c, Z. 566–572) In vielen Fällen seien die aktuellen Familienstrukturen aus Sicht der Fachper- sonen zwar immer noch suboptimal, aber immerhin so weit gediehen, dass sie für das Kindeswohl keine unmittelbare Bedrohung mehr generierten. Bewältigung chronischer Belastungen Die unterstützenden Wirkungen von SPF auf die Eltern oder Elternteile lassen sich nach vorliegenden Hinweisen jedoch nicht immer eindeutig evaluieren. Ist bspw. elterliches Suchtverhalten mit im Spiel (z. B. eine Alkoholabhängigkeit), so lassen sich dessen Folgen für die Alltagsstrukturierung zum Teil kompensie- ren, während die Ursachen familiärer Desorganisation meist tiefer liegen. Ent- sprechend zielen die Interventionen der SPF auf die Kontrolle von Folgen der Suchtabhängigkeit, so dass die betroffenen Kinder möglichst wenig Schaden 116 davon nehmen. Für die zuständige Fachperson der Familie Isbaner/Bachmann ist bspw. die Sicherstellung einer verlässlichen Tagesstruktur indikatorisch: „wird das Kind am Morgen geweckt? Ist die Mama da, wenn es aus der Schule kommt, um das Mittagessen zu machen? (…) Und wie ist nachher das Abendessen und Abendritual?“ (Fachpersoneninterview 1a, Z. 108 ff.) Die Etablierung und Aufrechterhaltung verlässlicher und z. T. auch ritualisier- ter Tagesstrukturen markiert für Fachpersonen einen wichtigen Ankerpunkt, an dem sich die Beherrschbarkeit einer Problemlage im Familiensystem ablesen lässt. Ähnlich ist die Situation bei Eltern mit psychischen Belastungen, bspw. im Hinblick auf die Borderlinestörung der Mutter der Familie Rieder, die sich ebenfalls nicht ursächlich auflösen, sondern allenfalls besser kontrollieren lässt, was wiederum die Mutter für ihre Kinder besser erreichbar macht. Für anhal- tende Problembelastungen wie die Suchtproblematiken der Eltern, psychische Belastungen sowie eskalierte Paar- und Trennungskonflikte lassen sich demge- mäss meist keine schnellen und nachhaltigen Lösungen finden. Vielmehr gleicht die Fallbearbeitung aus Sicht der für die Familie Erismann zuständigen Fachperson einer Berg- und Talfahrt (vgl. Fachpersoneninterview 1b, Z. 616), bei der es manchmal aufwärtsgeht, bei der aber immer auch Rückschläge ein- kalkuliert werden müssten. Bewältigung kultureller Unterschiede Ähnlich verhält es sich bei Familien mit Migrationshintergrund. Hier bestün- den – teils zwischen den Eltern, teils zwischen Eltern und Fachperson – öfter unterschiedliche Vorstellungen über ein angemessenes Erziehungsverhalten, die sich aufgrund kultureller Wertunterschiede jedoch nur begrenzt beeinflus- sen liessen. Die für die Familie Rohner-Hamidi zuständige Fachperson gibt hierfür ein Beispiel: „Ja. Es gibt verschieden Risikofaktoren, die sich dann summieren. Ähm, ich denke, was bei ihr [der Mutter] wie noch so ein zusätzlicher Risikofaktor ist, dass sie we- nig, also, dass sie so von ihrer eigenen Struktur jetzt nicht so gut in ein Land wie die Schweiz passt, wo sehr Wert daraufgelegt wird, dass diese Schulpost am nächsten Tag in diesem blauen Mäppchen, und das gelbe Mäppchen für die jene Hausaufgaben … Das liegt ihr gar nicht, und das konnte sie sich auch gar nicht adaptieren. Und das wirft neue Konflikte auf, die vielleicht gar nicht unbedingt not- wendig wären, aber die halt so sind, weil die Schule da so ist, wie sie ist.“ (Fachper- soneninterview 3d, Z. 425–431) 117 Zusammenfassung Wirkungen bezüglich der Eltern werden nach den vorliegenden Hinweisen immer relativ zu Gefährdungen des Kindeswohls interpretiert. Ob und inwie- weit sich darin tatsächlich auch die Lernbereitschaften auf Seiten der Eltern bzw. die Einflüsse fachlichen Handelns reflektieren oder lediglich das Wissen der Eltern um die Möglichkeit eines Obhutentzugs, lässt sich im Einzelfall nicht zweifelsfrei klären. Ungeachtet dessen gibt sich in den meisten Hinweisen zu den Wirkungen in den Familien des Samples ein verhaltener Optimismus zu erkennen. Neben den oben schon angesprochenen Verbesserungen für die betroffenen Kinder werden auch in Bezug auf die Eltern positive Veränderun- gen konstatiert. Registriert werden bspw. verbesserte Umgangsformen mit den eigenen Schwächen und Defiziten, die zwar nicht vollumfänglich ausgeräumt würden, jedoch so weit unter Kontrolle gebracht werden könnten, dass für die betroffenen Kinder keine akute Gefährdung mehr besteht. Aus Sicht der be- fragten Fachpersonen bezeichnet „Wirkung“ insofern nicht primär eine einma- lige, irreversible oder eindeutig zu identifizierende Veränderung bei einzelnen Familienmitgliedern oder im Familiensystem, sondern steht weit mehr für z. T. unscheinbare Anzeichen der Verbesserung oder Entlastung hinsichtlich der Situation des Familiensystems, die auf beharrlich fortlaufende Anstrengungen der Fachperson zurückgeführt werden können. Wirkvoraussetzungen fachlicher Interventionen Im Anschluss an die Frage nach den Wirkungen wurden die Fachpersonen auch nach den möglichen Wirkvoraussetzungen befragt – danach also, was aus deren Sicht für die festgestellten Veränderungen massgeblich ist. Aus deren Antworten geht hervor, dass es eher die kleinen und beharrlichen Schritte der Fachpersonen sind, mit denen die wahrgenommenen Veränderun- gen im Familiensystem hervorgebracht werden. Damit in Einklang fällt weiter- hin auf, dass potenzielle Wirkvoraussetzungen, die sich auf die Rahmenbedin- gungen der Fallbearbeitung konzentrieren (Fallmerkmale, Ausgangsbedingun- gen der Fallbearbeitung), in den Antworten der Fachpersonen weniger in Er- scheinung treten. Auch beziehen sich deren Hinweise weniger auf Aspekte methodisch-fachlichen Handelns (wie bspw. Fallabklärung, Diagnostik, Anlei- tungsorientierung vs. Modellhandeln etc.), sondern mehr auf die persönlichen Eigenschaften (soft skills) der Fachperson, die für einen gelingenden Bezie- hungsaufbau förderlich sind. Auf die Frage, was für das Erreichen angestrebter Wirkungen bei den Familien des Samples ausschlaggebend ist, wurden am häufigsten „Vertrauen“ und „Empathie“ als Wirkvoraussetzungen der Fallbear- beitung angeführt. Weitere Hinweise thematisierten „Wertschätzung“ resp. „Zurückhaltung wertender Urteile“ als Grundlagen der fachlichen Intervention 118 – vorwiegend also Qualitäten der professionellen Beziehungsgestaltung, die als solche im Alltag ebenfalls gelten, in institutionellen Kontexten jedoch einer be- sonderen Erwähnung bedürfen.44 Als Illustration dient folgendes Interview- exzerpt: „Hm, also ich glaube, das ist wirklich auch für mich generell in meiner Arbeit, habe ich das festgestellt, wenn man, einer Person, wenn man die wirklich wahrnehmen kann, und auch diese, ähm, diese Ängste, oder die, ja, diese Geschichte, die sie mitbringt, wenn man das, ernst nimmt und auch auf die Person eingeht, dass das ein ganz anderen Boden ergibt, als wenn einem das nicht so gelingt. Aber das ist klar, das ist auch bei jeder Familie, oder jeder Situation anders, aber ich merke, jetzt bei Frau G., ist mir das, also ich habe mich gut können, so in sie hineinverset- zen und sie auch mit ihren ganzen Gefühlen und so, wahrnehmen. Das ist mir ir- gendwie, ich glaube, das ist das Wichtigste, ich glaube, sie findet sich wirklich, ich denke, sie hat wirklich ein Vertrauen. Weil sie, weil sie merkt, dass, das, was sie sagt, das wird ernst genommen und das wird nicht irgendwie beschönigt oder, be- lächelt, oder, ja, sondern sie, hat wirkliches Vertrauen, denke ich. Und ich glaube das ist für mich das Wichtigste, ja.“ (Fachpersoneninterview 4a, Z. 529–538) Eine zweite Gruppe mehrfach genannter Wirkvoraussetzungen thematisiert die Kooperationsbereitschaft der Familie. Kooperation, verstanden als Mitwir- kungs-, Lern- und Veränderungsbereitschaft der betreffenden Familienmitglie- der, stellt aus Sicht der Fachpersonen den zweiten grundlegenden Baustein für gelingende Interventionen in die Familie dar. Wo diese fehlt oder im Zuge der Fallbearbeitung nicht hergestellt werden kann, lassen sich auch die Ziele der SPF ohne äusseren Druck oder ausdauerndes Beharrungsvermögen nur bedingt realisieren. Die starke Betonung beziehungsfördernder Indikatoren legt im Umkehrschluss die Annahme nahe, dass ein Gutteil professioneller Aktivitäten darin besteht, die ungünstigen Ausgangsbedingungen der Fallbearbeitung auf diesem Wege zu kompensieren. Auch dazu als Illustration folgende Aussage: „Die Eltern müssen wie auf irgendeine Art und Weise natürlich mit dem Ziel, das von aussen kommt, einverstanden sein. Oder auch mit dem Ziel, das von ihnen kommt, aber sie müssen das so auch wirklich wollen. […] Und wenn es einen Ge- winn für die Eltern hat. Also wenn sie merken, ‚aha, es wird wirklich ruhiger‘. Oder wenn die Kinder früher schlafen. […] Dann ja, beeinflusst sich das gegenseitig positiv.“ (Fachpersoneninterview 3c, Z. 441–446) 44 Die hier festgestellten Eigenschaften fachlichen Handelns decken sich mit den Beobachtun- gen der Studie von Petko (2004, S. 194 ff., S. 199), der diese Verhaltenseigenschaften als Signale der Anerkennung elterlicher Kompetenzen und ihrer familiären Lebensweisen in- terpretiert. 119 Beendigung von SPF Die Frage, wann genug geholfen wurde, ist auch für die SPF bedeutsam. Eine ordnungsgemässe Hilfebeendigung setzt voraus, dass die festgestellten Bedarfe und Problembelastungen in der Familie soweit bearbeitet und gelöst worden sind, dass die Eltern ihren Alltag weitgehend eigenständig bewältigen können und ihren Kindern die für ihre Entwicklung notwendigen Aufwachsbedingun- gen bieten. Die Hinweise aus den Interviews zu den Familien des Samples ma- chen allerdings deutlich, dass die Hilfebeendigung anscheinend nicht immer die Konsequenz reduzierter Problembelastungen in den Familien ist. Bei we- nigstens zwei Familien des Samples wurde die SPF zuvor schon einmal beendet, was jedoch infolge neu auftretender Krisen wieder rückgängig gemacht werden musste. Ein absehbares Ende der Hilfe wird im Fall der Familie Rohner-Hamidi konzediert. Die Fachperson spricht in diesem Fall von „Abnutzungserschei- nungen“ auf beiden Seiten (vgl. Fachpersoneninterview 3d, Z. 264), da die SPF in dieser Familie schon seit sechs Jahren tätig ist, nachdem eine frühere Be- endigung aufgrund krisenhafter Entwicklungsverläufe wieder rückgängig ge- macht wurde. Die erwähnten „Abnutzungserscheinungen“ beziehen sich dabei auf das Erziehungsverhalten der Mutter, die ihren Erziehungsstil nach Ein- schätzung der Fachperson kaum je ändern wird (vgl. dazu auch das Zitat im obigen Abschnitt), wohingegen die erreichten Veränderungen in der Familie für eine eigenständige und krisenfreie Lebensführung durchaus ausreichend seien. In anderen Familien, in denen eine zeitnahe Beendigung ebenfalls ange- strebt wird, sind die bis dahin erzielten Wirkungen weniger klar. So sollte die SPF bei Familie Isbaner/Bachmann nach Aussage der Fachperson bereits abge- schlossen sein (vgl. Fachpersoneninterview 1a, Z. 492 ff.), jedoch wurde sie auf Wunsch der Grossmutter weitergeführt. Dabei sind die aktuellen Entwicklun- gen in dieser Familie jedoch alles andere als ideal, sofern das Kind bei seiner Grossmutter untergebracht ist, die ihrer Erziehungsverantwortung aufgrund ihres hohen Alters nur teilweise nachkommen kann. In zwei weiteren Fällen ist das Ende aufgrund auslaufender Finanzierung ebenfalls absehbar. Im Fall der Familie Gehrig-Blaser sind die Entwicklungen vergleichbar mit denen bei Familie Isbaner/Bachmann, die Lage gestaltet sich also trotz erzielter Verbesserungen immer noch als weitgehend instabil. Fachli- che Begründungen für eine Beendigung bestehen keine, vielmehr erwartet die Fachperson, dass weitere Krisen auftreten werden: „Also ich gehe davon aus, dass es [der Abschluss] Sommer dieses Jahr wird. Das fände ich einen guten Zeitpunkt […] Aber ich denke, das System wird immer das Thema sein, weil sie [die Mutter] dermassen traumatisiert ist, dass der Tobias 120 [Sohn] wird immer eine schwierige Mama haben […]. Von daher denke ich, sie braucht Unterstützung, unbedingt.“ (Fachpersoneninterview 2b, Z. 519–538, mit Auslassungen) Auch bei Familie Huber läuft nach drei Jahren die Finanzierung aus und die SPF befindet sich deshalb in der Abschlussphase. In der Schule hätte es jedoch einen neuen Vorfall gegeben (vgl. Fachpersoneninterview 5a, Z. 205), der Kindsvater, der beide Kinder bei sich hat, bräuchte diesbezüglich weiterhin Unterstützung, zeige sich aber bezüglich seinen Erziehungsaufgaben gewach- sen, sodass eine Hilfebeendigung in diesem Fall dennoch machbar scheint. Konkrete Hinweise zur Fallbeendigung macht auch die Fachperson für die Familie Garcia, die davon ausgeht, den Fall in etwa einem halben Jahr ab- schliessen zu können (vgl. Fachpersoneninterview 4a, Z. 610). Zwar sei man hier auf einem guten Weg, gleichwohl gäbe es noch viel zu tun, vor allem betreffs Pedro, der mit der aktuellen Situation (eingeschränkte Besuchsrechte beim Vater) unzufrieden ist. Neben den bereits absehbaren Beendigungen ist ein Ende der SPF in ande- ren Familien noch unbestimmt, bspw. bei Familie Erismann, Binotti, Moser oder Rieder. In diesen Familien hätte sich schon Vieles zum Besseren gewendet, aber die bestehenden Problemlagen sprächen für eine Weiterführung der SPF, zumal in diesen Familien wenigstens ein Elternteil unter chronifizierten psychi- schen Belastungen oder Beeinträchtigungen leidet oder mit einer Alkoholab- hängigkeit kämpfe. In zwei weiteren Familien ist die Frage der Hilfebeendigung strittig, so bei Familie Zumsteg, bei der die Mutter die SPF gerne beenden möchte, während Vater und Fachperson noch weiteren Unterstützungsbedarf sehen und für eine Fortführung der SPF plädieren. Ähnliches gilt für Familie Ortega, bei der die SPF nach Einschätzung der Fachperson gut abgeschlossen werden könnte, jedoch auf Wunsch der Mutter weitergeführt wird.45 4.5.6 Zusammenfassende Diskussion der Perspektive der Fachpersonen auf die SPF Nachfolgendes Resümee mit Blick auf die Wirkungen und Wirkfaktoren orien- tiert sich an den Merkmalsbeschreibungen Kontextfaktoren der Fallbearbei- tung, Merkmale der Familien und ihrer Problem- und Bedarfslagen sowie 45 Bezüglich der Hilfebeendigung liegen in den Familien Grigic, Baan, Ziegler und Ronchi keine Angaben vor. Die SPF-Dauer in diesen Familien liegt zum Zeitpunkt der Beobach- tung unter einem Jahr. 121 Praktiken der Fallbearbeitung. Jede Gruppe steht für ein Cluster an Wirkfakto- ren, von denen die Wirkung von SPF abhängen kann. Kontextfaktoren der Fallbearbeitung Als Kontextfaktoren der institutionellen Fallbearbeitung werden nachstehend die institutionellen Aktivitäten der Fallkonstitution verstanden. Zu dieser Gruppe zählen bspw. Hinweise darüber, wie Familien in den Aufmerksam- keitsfokus institutioneller Aktivitäten geraten, wie sie dort definiert und mit welchen Zielsetzungen sie an die SPF weitervermittelt werden. In diesem Zu- sammenhang werden von den befragten Fachpersonen öfter unklare Auftrags- und Fallabklärungen thematisiert, ferner die Zwangskontexte der Fallbearbei- tung sowie der Umstand, dass die Familien häufig erst spät an die SPF gelan- gen. Daraus lässt sich schliessen, dass bei einem nicht unerheblichen Anteil aller Familien des Samples die Kontextbedingungen der Fallbearbeitung nicht ideal sind. Nach vorliegenden Hinweisen werden Auftrag und Zielsetzung einer Familienbegleitung häufig nur vage oder bewusst offen definiert. Hinreichende Abklärungen und Informationen zu den familiären Belastungen sind ebenfalls keine Selbstverständlichkeit. Der hohe Anteil an Gefährdungsmeldungen und Fremdunterbringungen vor und während der laufenden SPF macht zudem darauf aufmerksam, dass familiäre Belastungs- und Risikofaktoren möglicher- weise bereits so weit fortgeschrittenen sind, dass offene oder latente Zwangs- kontexte die Rahmenbedingungen der Fallarbeit dominieren und ein erhöhter Abstimmungsbedarf mit Fachpersonen anderer Institutionen notwendig wird. Merkmale der Familien und ihrer Problem- und Bedarfslagen Wirkungen der SPF hängen mithin nicht nur davon ab, unter welchen Voraus- setzungen Familien an die SPF gelangen, sondern auch von den Belastungen, die für das Familiensystem kennzeichnend sind. Diesbezüglich geben die Inter- views zu erkennen, dass die SPF typischerweise in Ein-Elternfamilien interve- niert, meist mit Fokus auf die Kindsmutter. Kindsväter dagegen werden eher randständig thematisiert. Häufig besteht zwischen den Eltern ein Paar- oder Trennungskonflikt, der in das Familienensemble hineinspielt, auch wenn der andere Elternteil selbst nicht mehr Teil davon ist. Darüber hinaus wird bei den Familien des Samples deutlich, dass ein nicht unerheblicher Teil wenigstens einen Elternteil mit Migrationshintergrund impliziert. Darin spiegeln sich mit- unter ungleiche Erziehungshaltungen wider, die teils zwischen den Eltern, teils zwischen Eltern und Fachperson kontinuierlich Problemanlässe generieren. Familiäre Belastungsfaktoren lassen sich grundsätzlich danach unterschei- den, wo genau sich diese lokalisieren. Nach vorliegenden Hinweisen werden insbesondere Kinder als die Symptomträger familiärer Belastungen aufgefasst. 122 Aufgrund unterschiedlicher Verhaltenssymptome (fehlende Aufmerksamkeit im Unterreicht, ADHS, autistisches und aggressives Verhalten, mangelhafte Sprachkompetenzen) geraten diese zuerst in den Fokus institutioneller Auf- merksamkeit (z. B. Schule, Kita). Diese können sich vor oder während der lau- fenden SPF zu weiteren Risikoindikatoren verdichten, was ggfs. eine Fremd- platzierung gegen den Willen der Eltern nach sich zieht. Die Eltern treten dagegen häufiger durch Suchterkrankungen und psychi- sche Belastungen in den Blick. Nach Einschätzung mehrerer Fachpersonen sind diese Symptomatiken zunehmend bestimmend für Familien mit SPF und kor- respondieren mit gravierenden Paar- und Trennungskonflikten im Familien- system. Das führt zu der Annahme, dass sich die Zielgruppe der SPF vermehrt auf Familien mit multiplen Problemlagen konzentriert. Elterliche Belastungen haben mittelbar und unmittelbar Konsequenzen für die Aufwachsbedingungen der betroffenen Kinder. Damit ist eine elternbezo- gene Überforderungssituation indiziert, die darauf hinweist, dass eine verlässli- che und kindgerechte Erziehung nicht mehr gewährleistet ist. Oft geraten Kin- der zum Spielball im Paar- und Trennungskonflikt, wobei seitens der Eltern zuweilen Gefährdungsmeldungen eingesetzt werden, wenn es um die Besuchs- rechte der Kinder oder um unterschiedliche Erziehungsvorstellungen geht. Anforderungen an die Fallbearbeitung Im Zuge der Fallbearbeitung treffen die Kontextbedingungen des Fallzugangs mit den familiären Belastungsstrukturen zusammen. Im Idealfall wird die Fall- bearbeitung dadurch erleichtert, dass komplexe Belastungsstrukturen vorab soweit abgeklärt sind, dass sich für die SPF ein konkretes Vorgehen daraus ableiten lässt, was jedoch keineswegs immer der Fall ist. Entsprechend sind die fallführenden Fachpersonen gehalten, sich selbst ein Bild von den Familien und ihren Problemlagen zu verschaffen. Wenn die zuweisende Stelle zudem keine (oder nur vage) Zielvorgaben macht, ist dies evtl. sogar ein Vorteil, sofern sich der Ermessenspielraum professioneller Interventionen damit erhöht. Zugleich liegen darin auch die Chancen begründet, aus den vergleichsweise ungünstigen Ausgangsbedingungen der SPF (z. B. angeordnete oder passive Hinnahme ent- sprechender Massnahmen) solide Zusammenarbeitsformen zu entwickeln. Bei den Familien des MWA-Samples scheint dies mehrheitlich auch zu gelingen. Gleichwohl sehen die Fachpersonen in den unklaren und/oder ambivalenten Kontextbedingungen der SPF weitgehende Ursachen für Hilfeabbrüche und Scheinkooperation. 123 Arbeitsbündnisse Ferner lässt sich aus diesen Hinweisen schliessen, dass ein beträchtlicher Anteil an Arbeitsressourcen in die Entwicklung tragfähiger Arbeitsbeziehungen fliesst, um die Betroffenen zu überzeugen, dass das Leistungsangebot der SPF in erster Linie nicht zu ihrer Kontrolle, sondern zu ihrer Entlastung dient. Die essen- ziellen Gelingensfaktoren sind dabei solche, die auch im Alltag das soziale Zu- sammenleben normieren (Wertschätzung, Achtsamkeit, Herstellung von Transparenz etc.). Die Grenzen bei der Herstellung tragfähiger Arbeitsbezie- hungen liegen demgegenüber in der Intensität einer Belastung, so wenn ein Elternteil das eigene Suchtverhalten nicht kontrollieren kann oder an den Fol- gen psychischer Belastungen scheitert. Kinder Ein weiterer Wirkfaktor betrifft die unterschiedliche Handhabung im Hinblick auf den Einbezug der Kinder (und deren Väter) in das methodische Vorgehen der SPF. Obwohl SPF von ihrem Anspruch her auf die Familie als Ganzes zielt, ist der Einbezug aller Familienmitglieder nach vorliegenden Hinweisen keines- wegs selbstverständlich. Die Gründe dafür können vielfältig sein. Hinsichtlich des Einbezugs von Kindern spielen etwa konzeptionelle und methodische Überlegungen einzelner Anbieterorganisationen eine Rolle, die sich aufgrund ihrer Spezialisierung (z. B. Sucht) oder ihrer methodischen Haltung vor allem auf die Belastungen der Eltern konzentrieren – dies z. T. mit dem (durchaus nachvollziehbaren) Argument, die SPF könne die Kinder selbst nicht erziehen, sie aber mittels Einwirkung auf die erzieherischen Kompetenzen ihrer Eltern mittelbar fördern. In anderen Fällen wiederum sind Kinder nicht Teil des Handlungsauftrags oder geraten im Zuge eskalierter Elternkonflikte vermehrt aus dem Blick. Auch bereitet die gleichzeitige Berücksichtigung von Eltern und Kindern einige Mühe, was für ein separates oder sequenzielles Vorgehen spricht. Unabhängig davon besteht jedoch Einigkeit, dass der Schutz der Kinder immer vorrangig ist. Väter Der Einbezug von Kindsvätern wiederum folgt einem anderen Muster. Sofern diese nicht schon von Vornherein im Fokus der SPF stehen oder im gleichen Haushalt wohnen, treten sie meist als (abwesender) Teil eines Paar- oder Tren- nungskonflikts auf den Plan. Demgemäss ist ihre Position im Kontext der Fall- bearbeitung typischerweise randständig und ambivalent. Zuweilen erscheinen sie als ein Störfaktor praktischer Interventionen, zuweilen jedoch auch als eine soziale Ressource, welche die Belastungen der Mutter wenigstens vorüberge- hend ausgleichen kann. Seltener noch als bei den Kindern verfügen Fachperso- nen über einen auf den Vater bezogenen expliziten Handlungsauftrag. Nach 124 vorliegenden Hinweisen sind sie räumlich oft abwesend, desinteressiert oder ihrerseits stark belastet, was ihren ambivalenten Status als Unterstützungsres- source nur unterstreicht. Soziales Umfeld Auch der Einbezug von Personen aus dem näheren oder weiteren Umfeld der Fokusperson scheint keineswegs selbstverständlich. Nach vorliegenden Hinwei- sen sind dafür zwei Gründe massgeblich. Erstens weisen die familiären Bindun- gen zwischen Fokusperson und weiteren Familienmitgliedern (Grosseltern, Geschwister, Tanten und Onkel) ihrerseits häufig Spannungen auf, sodass diese nur auf ausdrücklichen Wunsch der Fokusperson adressiert und berücksichtigt werden. Ausserfamiliäre Beziehungen (Nachbarn, Arbeitskolleg/innen) wie- derum werden deshalb kaum involviert, da ihre Inanspruchnahme oft scham- besetzt ist. Am ehesten wird noch auf anonyme Unterstützungsangebote zu- rückgegriffen wie Gemeindezentren, Vereine, Caritas und ähnliches mehr. Institutionelle Zusammenarbeit während der Fallbearbeitung Ausgehend von den dominanten Fallmerkmalen der betroffenen Familien (Ein- Elternfamilien, Sucht, psychische Belastungen, eskalierte Paar- und Trennungs- konflikte, Überforderung bei der Erziehung) in Verbindung mit der nicht un- beträchtlichen Zahl an Gefährdungsmeldungen und Fremdplatzierungen der betroffenen Kinder liegt die Annahme nahe, dass neben den Fachpersonen der SPF parallel dazu regelmässig auch noch andere Institutionen oder Fachperso- nen in die Familien mit SPF intervenieren (Familienberatung, medizinische, psychologische bzw. psychotherapeutische Einrichtungen, Heime, Schulsozial- arbeit, Paarmediation, Staatsanwaltschaft etc.), über deren Vorgehen und Ziel- setzungen im Einzelnen jedoch häufig Unkenntnis herrscht. Offenbar bestehen diesbezüglich keine verbindlichen Regeln und Standards der Zusammenarbeit. Sofern sich die SPF primär oder ausschliesslich auf eine Fokusperson konzen- triert, müssen die Folgen nicht zwangsläufig nachteilig sein. Allerdings zeigen die Hinweise aus den Interviews, dass aus Unkenntnis über das Vorgehen ande- rer Institutionen zuweilen solche Unwägbarkeiten resultieren, die der Wirk- samkeit der SPF abträglich sind. Hilfebeendigung Auch mit Blick auf die Frage der Beendigung machen die (überwiegend) fallbe- zogenen Hinweise aus den Interviews deutlich, dass keineswegs immer ein fachlich begründeter Zusammenhang zwischen erfolgreichen Interventionen und Hilfebeendigung existiert. Bei wenigstens zwei Familien unseres Samples wurde die SPF ohne klare Indikatoren der Zielerreichung beendet, die dann infolge neu auftretender Krisen wiederaufgenommen werden musste. Nur in 125 einem Fall war ein gut begründeter und nachvollziehbarer Zusammenhang zwischen dem Erfolg und der Beendigung einer Hilfe zu erkennen. In den an- deren Fällen, in denen eine Hilfebeendigung aus Sicht der Fachpersonen bereits absehbar ist, sind zwar Fortschritte zu verzeichnen, die bestehenden Belastun- gen jedoch noch zu gravierend und in ihren Entwicklungen kaum vorherseh- bar, als dass verlässlich auf eine nachhaltige und dauerhafte Wirkung der SPF zurückgeschlossen werden könnte. Wirkungen und Wirkfaktoren aus Sicht der Fachpersonen Wie die vorliegenden Ergebnisse zeigen, handelt es sich bei der SPF um ein komplexes und vielfältiges Tätigkeitsfeld, bei dem zahlreiche ineinandergrei- fende Einflussfaktoren für deren Erfolg oder Misserfolg massgeblich sind. Die Herausforderungen und Grenzen einer wirksamen Fallbearbeitung fussen zum einen in den Kontextbedingungen des Falls, zum anderen in den Belastungs- strukturen der Familien. Die Hinweise aus den Interviews machen u. a. deut- lich, dass die einzelnen Wirkindikatoren nicht ursächlich-direkt auf den Effekt einer SPF durchgreifen, sondern sich wechselseitig bedingen, so bspw., wenn Sucht oder psychische Beeinträchtigungen das Commitment der Betroffenen unterminieren, wenn unzureichende Fallabklärungen oder Formen der institu- tionellen Zusammenarbeit zu evtl. falschen Weichenstellungen der Fallbear- beitung führen und/oder Zwangskontexte die Herstellung einer Arbeitsbezie- hung erschweren. Fachpersonen der SPF sehen sich mithin multiplen und in- terdependenten Problemclustern gegenüber, deren Ursachen ihnen nur bedingt zugänglich sind, deren Folgen aber (un-)mittelbar in die Fallbearbeitung hinein diffundieren und die einzelne Fachperson regelmässig vor beträchtliche Anfor- derungen stellt. Entsprechend erweist sich die Fallbeendigung (bzw. Zielerrei- chung von SPF) nach vorliegenden Hinweisen meist als ein Kompromiss zwi- schen dem Abbau der festgestellten Belastungen und einer kalkulierten Wahr- scheinlichkeit, dass es zu keinen weiteren Krisen mehr kommt – und oft ist es nicht einmal dies. Vordergründig reicht es aus Sicht der befragten Fachperso- nen aus, dass mit Blick auf das Kindeswohl keine (akute) Gefährdung (mehr) besteht und Eltern ihre Belastungen und die daraus resultierenden Konsequen- zen soweit kontrollieren und handhaben können, um ihren Alltag zu meistern. „Wirkung“ im Kontext von SPF resultiert für die Fachpersonen aus einem gangbaren Weg kleinerer Schritte mit dem Ziel, die Familienstrukturen soweit zu normalisieren, dass es den Kindern dabei besser geht und Eltern mit den alltäglichen Anforderungen besser zurechtkommen können. „Wirkung“ ist aus Sicht der Fachpersonen insofern auch kein „Befreiungsschlag“ als vielmehr „ein Faktor gerichteter Prozesshaftigkeit“ (Treptow 2002, S. 768), der sich als ein beharrliches und sukzessives Fortschreiten in Richtung autonomer Krisen- 126 bewältigung und Normalisierung hinsichtlich der alltäglichen Anforderungen im Zusammenleben der Familie manifestiert. 4.6 SPF aus der Perspektive der Eltern In diesem Untersuchungsschritt wurden 17 Interviews mit den Eltern46 aus den 16 an der MWA teilnehmenden Familien durchgeführt. Die Mehrheit der Interviewpartner/innen waren alleinerziehende Elternteile (neun Mütter, ein Vater). Die (Ex-)Partner/innen dieser Elternteile wurden aus verschiedenen Gründen nicht interviewt, weil sie nicht an der Intervention beteiligt, kontinu- ierlich abwesend oder verstorben waren. Drei Interviews fanden mit beiden Elternteilen gleichzeitig statt. Davon leben zwei Elternpaare als Paar zusammen, während ein Elternpaar eine Wohngemeinschaft ohne Paarbeziehung bildet. Jeweils ein Interview wurde geführt mit einer sorgeberechtigten und an der SPF beteiligten Grossmutter, mit einem sorgeberechtigten Vater und seiner neuen Ehefrau (Stiefmutter der Kinder) sowie mit einem Vater und einer Mutter, die sich während der Durchführung einer SPF getrennt haben. Da beide Elternteile weiterhin in die SPF miteinbezogen werden, fand je ein separates Interview statt. Vor dem Hintergrund des Forschungsinteresses gliederte sich das Interview in die drei Themenblöcke Ausgangslage, Praxis der SPF und Einschätzung des Nutzens. Ein vorbereiteter Gesprächsleitfaden gab dazu Leitfragen vor. Zum Intervieweinstieg wollten wir von den Eltern wissen, wie es dazu gekommen ist, dass ihre Familie von einer Fachperson begleitet wird. Der damit eingeleitete erste Themenblock zielte auf die Problemlage zu Hilfebeginn, die Erwartungen an die SPF und ggf. damit verbundene Ängste, Befürchtungen, Hoffnungen sowie Veränderungsanliegen aus Elternsicht. Um herauszufinden, wie Eltern die Praxis der SPF wahrnehmen und für sich bewerten, wurden sie in einem weiteren Teil des Interviews danach gefragt, wie die Hausbesuche inhaltlich gestaltet werden, ferner, wie sie das erlebte Vorgehen einschätzen und wie die Kinder sowie weitere Personen aus dem sozialen Umfeld der Familie in den Prozess der SPF miteinbezogen werden. Ein meist abschliessendes Gesprächs- thema fokussierte den Nutzen der SPF. Dabei wurden die Eltern nach Beispie- 46 Für eine bessere Lesbarkeit wird nur von Eltern gesprochen, obwohl die Mehrheit der Interviews mit Elternteilen (Mutter oder Vater) durchgeführt wurde. Gleichzeitig sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass Zitate in den Kapiteln der Eltern- und Kinderper- spektive nur dann mit den Seitenzahlen aus den entsprechenden Interview-Transkripten versehen werden, wenn es sich im längere Ausschnitte handelt. Ansonsten dienen die Pseu- donyme als Quellenhinweise. 127 len gefragt, bei denen sich aus ihrer Sicht etwas zum Positiven oder Negativen verändert hat und/oder in welchen Bereichen sie sich noch Veränderung wünschten. Das Erleben der Eltern sowie ihre Einschätzung zum Vorgehen und Nutzen der SPF wurden zeitnah an die beobachtete Intervention im Rahmen eines problemzentrierten Leitfadeninterviews nach Witzel (1985; 2000) erhoben. Die Interviewdauer lag im Schnitt bei einer Stunde, wobei das kürzeste Interview lediglich 27, das längste 100 Minuten dauerte. Die Interviews wurden mit dem Einverständnis der Eltern aufgezeichnet und anschliessend wörtlich transkri- biert. Die Auswertung erfolgte auf der Basis der qualitativen Inhaltsanalyse (vgl. Mayring 2010b), unterstützt durch das Computerprogramm Atlas.ti. 4.6.1 Situation der Familien zum Hilfebeginn Zu Beginn sollte Aufschluss darüber gewonnen werden, welche Probleme aus Elternsicht dazu geführt haben, dass sie aktuell Unterstützung in Form der SPF erhalten. Die Antworten der Eltern auf diese Einstiegsfrage zeigen, dass sich trotz der bunten Vielfalt familiärer Lebensumstände, auf welche die Eltern zur Umschreibung der Situation zum Hilfebeginn rekurrieren, gleichwohl eine Reihe typischer Problemkonstellationen herausdestillieren lassen. Paar- und Trennungskonflikte Das häufigste und meist auch erstgenannte Grundproblem, welches laut den Eltern zur Inanspruchnahme einer SPF geführt hat, bezieht sich auf (vorausge- gangene) Paarkonflikte und Streitereien mit erhärteten Kommunikationspro- blemen zwischen den Elternteilen. So erzählt bspw. Frau Ziegler, dass die Streitereien zwischen ihrem Ex-Mann und ihr zu Loyalitätskonflikten bei den Kindern geführt haben und ihr die KESB deshalb empfohlen hat, SPF in An- spruch zu nehmen. Sachlicher schildert Herr Zumsteg die Paarproblematik: Dass „meine Frau und ich eigentlich verschiedene Meinungen haben, das ist, äh, das Grundproblem. Einfach die verschiedenen Meinungen; und wir finden einfach keinen Kompromiss“. Vergleichbare Auseinandersetzungen auf Paar- ebene haben bei der Familie Almeida sogar so weit geführt, dass der Vater wäh- rend des Trennungsprozesses die Mutter vor Gericht denunziert hat, mit der Absicht, das alleinige Sorgerecht für die drei Kinder zugesprochen zu bekom- men. Überforderung Neben Schwierigkeiten auf Paarebene, die sich nachteilig auf das Kind und seine Entwicklung auswirken können, berichtet mehr als die Hälfte der Eltern 128 von (anhaltenden) Überforderungssituationen mit Erziehungsschwierigkeiten aus ganz unterschiedlichen Gründen. Genannt werden in erster Linie Tren- nungs-/Scheidungsprobleme oder der Tod eines Elternteils und in diesem Zu- sammenhang das Tragen der alleinigen Erziehungsverantwortung für die Kin- der. Daneben werden in je drei Familien auch gesundheitliche Schwierigkeiten im Zusammenhang mit Alkoholproblemen und Depressionen benannt, die auf Elternseite zu Überforderungen und/oder zur Vernachlässigung der Kinder führten. Nicht zuletzt thematisieren Eltern auch Probleme wie migrationsbedingte Schwierigkeiten, fehlende soziale Netzwerke oder mangelnde finanzielle Mittel und Arbeitslosigkeit, die dazu beigetragen haben, dass sie mit der Betreuung und Erziehung ihrer Kinder in eine belastende und überfordernde Situation geraten sind. Schulische Probleme In Ergänzung zu den aufgeführten Problemen berichtet rund die Hälfte der Eltern von schulischen Problemen der Kinder zum Hilfebeginn, die sich teil- weise aufgrund eskalierender Auseinandersetzungen zwischen Eltern und Lehrkräften belastend auf das Familienleben auswirkten. Aus Elternsicht zählt die schulische Situation der Kinder somit zum festen Bestandteil der hilfeauslö- senden Problemkonstellation. Oftmals waren es in diesem Zusammenhang auch die Schulleitungen (oder Kinderhorte), die mit Gefährdungsmeldungen an die KESB familienunterstützende Hilfen ausgelöst haben. Andere Eine weitere, von vier Eltern geschilderte SPF-auslösende Ausgangssituation ist die Rückplatzierung der Kinder aus einem stationären Setting resp. die Umplat- zierung der Kinder zum Vater/zur Grossmutter unter Auflage einer Familien- begleitung. In den Erzählungen der Eltern wurde die Thematik der häuslichen Gewalt von keiner interviewten Person explizit angesprochen. Doch vier alleinerzie- hende Mütter gaben indirekt zu erkennen, dass sie zuvor in Frauenhäusern waren oder zeitweise von der Opferhilfe dort untergebracht wurden.47 47 Während der Interviews haben wir die Mütter nicht gedrängt, vertiefend auf diese vermut- lich traumatisierenden Ereignisse einzugehen. Dass die Mütter davon berichteten, deutet jedoch daraufhin, dass die eingangs beschriebenen Paarkonflikte mancherorts auch schwerwiegende Gewalt in der Paarbeziehung mit ungünstigen Folgen für die kindliche Entwicklung implizierten. Häusliche Gewalt muss somit als Problemlage der Familie be- rücksichtigt werden. Ferner kann auch davon ausgegangen werden, dass verschiedene Schwierigkeiten oder Probleme von Eltern aus Gründen der Scham, fehlender Problemein- 129 Die hier differenziert aufgeführten Ausgangsprobleme der Familien ent- sprechen den Realitäten jedoch nur bedingt. Wie deren Schilderungen vielmehr zeigen, haben die Familien mit einer Kumulation unterschiedlicher Belastungen zu kämpfen, angefangen von finanziellen Problemen bis hin zu Belastungen der je eigenen Biografie. Das fall- und familienspezifische Problemkonglomerat sowie die darin eingelagerten Probleminterdependenzen müssen von den Fachpersonen der SPF in bearbeitbare Problemlösungsschritte aufgeschlüsselt und umgesetzt werden. Nachfolgender verdichteter Auszug aus dem Interview mit Frau Erismann verdeutlicht anschaulich eine solche multiple Belastungssi- tuation, ausgehend von Paarkonflikten und anschliessender Trennung, Über- forderung mit der Kindererziehung sowie Alkoholproblemen, die zu einer vorübergehenden Inobhutnahme der Kinder und ihrer anschliessenden Rück- platzierung zur Mutter unter Auflage einer Familienbegleitung geführt haben: „Wir [Hr./Fr. Erismann] haben durch diesen Hausbau und alles Drum und Dran, haben wir Scherereien gehabt, Theater, wir haben es miteinander gar nicht mehr können. Statt, dass ich dann, dann mit ihm [Hr. Erismann] geredet habe, bin ich dann saufen gegangen, und dann hat es natürlich total eskaliert, […] und dann bin ich dann mit den Buben gegangen. […] Zu dem Zeitpunkt ist für mich einfach auch das Problem gewesen, ich bin total überfordert gewesen, ich habe Nächte lang nicht gewusst, was machen, weil mir die Kinder einfach nie geschlafen haben. […] Und da hat es eigentlich angefangen, durch die KESB, weil, weil sie mir letztes Jahr die Kinder halt genommen haben, weil ich zu viel gesoffen habe. Zu dem stehe ich.“ (Elterninterview 1b, Z. 17 ff. mit Auslassungen) 4.6.2 Erwartungen an die SPF zum Hilfebeginn Nachdem die Eltern ihre Ausgangslage beschrieben haben, folgten Fragen zu anfänglichen Erwartungen an die SPF und den damit verbundenen Ängsten, Befürchtungen, Hoffnungen und Veränderungsanliegen. Bezüglich der Erwar- tungen bewegten sich die Antworten in emotionaler Hinsicht in einer Spann- breite zwischen Angst (insbesondere vor Kindswegnahmen) und damit einher- gehender Abneigung gegen die Besuche der Fachperson bis hin zu – wie Frau Blaser es ausdrückte – einer „rechten Erleichterung“, dass jemand kommt, um die Familie zu unterstützen. Angstauslösend war für einige fremdsprachige Eltern des Samples auch der Umstand, dass sie sich unter den Interventionen von SPF kaum etwas vorstellen konnten: „Weisst du nicht, was kommt und wie sicht, aus einem Abwehrmechanismus (Verdrängungen) heraus oder mit der Absicht, eine Situation retrospektiv auszublenden oder zu beschönigen, im Interview nicht zur Sprache kamen. 130 läuft. Und dass jemand kommt, weisst du nicht, wie das geht“ – mit diesen Worten beschreibt z. B. Frau Grigic ihr anfängliches Unbehagen gegenüber der SPF. Neben der Ungewissheit vor dem Unbekannten erweckte die Initiierung der SPF bei Frau Moser Schuld- und Versagensgefühle: „Es ist wegen mir so weit gekommen. Und habe ich wirklich versagt als Mutter? Bin ich wirklich eine so schlechte Mutter?“ Angstauslösend wirkte bei einigen Eltern mitunter der Umstand, dass ihr Umfeld ihnen ein negatives Bild von der SPF vermittelte. Dazu sagt Frau Ortega, dass „jeder“ aus ihrem Umfeld, der mit der SPF bereits vertraut war, ihr davon abgeraten habe: „Mach das nicht, sie kommen bei dir daheim, und sie kontrollieren alles!“ Gründe für die Angst vor SPF sind inso- fern Befürchtungen anlässlich einer potenziellen Kindswegnahme, Vorbehalte gegen das Unbekannte sowie der Kontrollfunktion, die der SPF im lebensweltli- chen Kontext der Klientel anscheinend zugedacht wird. Mit Ausnahme von Herrn Binotti machen die Eltern aber auch deutlich, dass es ihnen nach kurzer Zeit meist gelungen ist, ihre ursprünglichen Be- fürchtungen beiseite zu legen: „Ähm, am Anfang war ich sehr zurückhaltend, weil, ich weiss nicht, was ist Familienbegleitung, Bedeutung. Aber mit Zeit habe ich gemerkt, ah das ist etwas Gutes, öh, das nützt mir viel, ich lerne viel.“ Herr Binotti hingegen steht der SPF – trotz der bereits drei Jahre andauernden Be- gleitung mit zwei unterschiedlichen Fachpersonen – mit gemischten Gefühlen gegenüber: „Ich habe ein bisschen Bedenken, Angst, oder, weil, äh, sie sind auch im Clinch, oder, äh, sie müssen, auf einer Seite, müssen sie mir helfen, aber wir haben, im Gleichen ein Bericht schreiben müssen. […] Ich bin ein bisschen unsicher, äh, schadet mir das, anstatt hilft mir das.“ (Elterninterview 2a, Z. 229–231) Einerseits ist ihm bewusst, dass die Fachperson ihm eine Hilfestellung anbietet, ebenso ist ihm jedoch auch gewärtig, dass die Fachperson in Form eines Be- richts bei der zuweisenden Stelle Rechenschaft darüber ablegen muss, wie sie die familiäre Problembelastung einschätzt und mit welchem Erfolg sie interve- niert. Herr Binotti befürchtet, dass dies zu seinen Ungunsten ausfallen könnte. Die im Raum stehende Frage aller Eltern nach der Gefahr der SPF resp. nach den Folgen, die das Offenlegen der eigenen Schwächen – möglicherweise – haben kann, konnte in diesem Beispiel (noch) nicht günstig beantwortet wer- den. Neben Unsicherheiten und Ängsten verbinden viele Eltern auch Hoffnung mit der bevorstehenden SPF. Diese ist stark an unterschiedliche Unterstüt- zungsleistungen gekoppelt und lässt sich grob in zwei Kategorien einteilen: Unterstützung bei Erziehungsfragen und bei Problemen mit der Schule. Im Zusammenhang mit Erziehungsfragen erwarten die Eltern Hinweise darauf, wie herausfordernde Situation im Umgang mit ihren Kindern anders (bzw. besser) 131 gehandhabt werden könnten. Frau Blaser beschreibt ihre anfänglichen Erwar- tungen folgendermassen: „Ich wollte einfach, dass sie [die Fachperson] zeigt, wie man dieses Kind erzieht. […] Und so hatte ich die Hoffnung zu lernen, wie mit ihm umgehen, wie ihn fördern, wie mit ihm Verhandlungen zu machen“. Mütter erhoffen sich also Hinweise, wie sie einen partizipativen Erziehungsstil stärken, oder wie bspw. Frau Rieder, ihren Kindern gezielter Grenzen setzen können: „Meine Erwartung war, meine Kinder nicht zu verlieren. […] Und eben, Grenzen setzen können als Mutter“. Bezüglich der Unterstützung in Schulangelegenheiten wünschen sich Eltern, deren Kinder schulische Probleme aufweisen, Hilfe in Bezug auf die Zusam- menarbeit mit dieser Institution. Aus diesem Grund ist für fast die Hälfte der befragten Eltern ihr dringlichstes Veränderungsanliegen, dass sich die Schul- probleme der Kinder beruhigen: „Die Ziele waren gewesen, dass beide Kinder wieder gut in der Schule, […] dass ich nicht mehr so viel Stress habe in der Schule mit den Lehrern“, so Frau Ronchi auf die Frage, welche Ziele zu Beginn der SPF festgelegt wurden. Der Wunsch nach Unterstützung in der Zusammenarbeit mit weiteren Fachstellen, bspw. im Umgang mit administrativen Tätigkeiten (Bewerbungs- schreiben, Briefe lesen o. ä.) oder im Hinblick auf die Vermittlung weiterer (bspw. psychologischer) Unterstützungsangebote kam generell erst im weiteren Hilfeverlauf hinzu und war zumeist keine explizite Erwartung der Eltern zum Hilfebeginn. Zuletzt kristallisierte sich in vier Interviews heraus, dass sich die Eltern von der Einrichtung einer SPF eine neutrale Vermittlungs- oder Legitimationsper- son versprachen. Herr und Frau Zumsteg – die mittlerweile in Trennung leben – erwarteten zu Beginn der SPF eine Vermittlungsperson für ihren Paarkon- flikt: „Anfang, ich möchte, eine Person, dritte Person kommt, mit uns, mit ich, mein Mann, ich und meinem Mann zusammen reden“. Die Erwartung von Herrn Zumsteg war, dass es der Fachperson gelingt, die zugrundeliegenden Probleme in der Familie aufzudecken: „Die Probleme sind vielleicht Probleme, die wir gar nicht selber realisieren. Weil wir ja befangen sind. Und meine Er- wartung war, dass ein Externer das neutral beleuchten kann und uns nachher zeigen kann, was unsere, äh, Stellen sind, unsere Punkte, die wir verändern müssen“. Frau Rieder und Herr Huber versprachen sich von der SPF dagegen eine objektive Legitimationsperson, die den zuweisenden Stellen gegenüber recht- fertigt, dass in der Familie für das Kind und seine Entwicklung gesorgt ist: „Das war die einzige Möglichkeit dem Jugendamt zu zeigen, dass ich nicht so bin, wie sie es in ihrem schönen Bericht schreiben“, erklärt Frau Rieder, während Herr Huber seine Erwartungen folgendermassen formuliert: 132 „Eine Referenzperson, der man glaubt, oder, die schliesslich Fachkompetenz hat, so dass Leute aus diesem Gebiet, wenn sie ihm zuhören, dann ihm auch Glauben schenken. […] Einfach auch mit dem Gedanken, es gibt einen Bericht an die Be- hörde jedes Quartal. Und es tönt einfach besser, als wenn wir sagen: ‚Es läuft gut!‘ als wenn das jemand anderes tut.“ (Elterninterview 5c, Z. 66–69) Abschliessend sei angemerkt, dass über alle Interviews hinweg betrachtet keine Tendenz festgestellt werden kann, wonach sich eine vereinbarte von einer an- geordneten Inanspruchnahme der SPF im Hinblick auf die elterlichen Ängste, Erwartungen oder Veränderungsanliegen unterscheidet. Die hauptsächliche Befürchtung, dass es im Zug der SPF zu einer Kindswegnahme (oder Umplat- zierung zum anderen Elternteil) kommen könne, ist oder war (bei Rückplatzie- rungen der Kinder) bei vielen Eltern zu Beginn der Begleitung präsent. Nach den ersten Hausbesuchen hat sich aber gezeigt, dass die bestehenden Befürch- tungen zumeist schnell ausgeräumt werden konnten. Allerdings nur, wenn es den Eltern anzuerkennen gelang, dass die Fachperson mit neuen Ideen und Vorschlägen zur Problembearbeitung eine besondere Hilfestellung anzubieten hat, die bis dahin von niemanden sonst geleistet werden konnte. 4.6.3 Praxis der SPF aus Elternsicht Wie werden die SPF-Interventionen aus der Sicht der Eltern gestaltet? Mit Bezug auf die beobachteten Hausbesuche wurden die Eltern im Verlaufe des Interviews danach gefragt, wie die Besuche der SPF typischerweise gestaltet werden. Mit dieser Frage sollten Erkenntnisse zur Praxis der SPF aus der Sicht der Eltern gewonnen werden. Bei näherer Untersuchung zeichnete sich diesbe- züglich ein bipolares Antwortmuster der Eltern ab. Auf der einen Seite be- schreibt eine Gruppe von Eltern, dass die Hausbesuche überwiegend bis aus- schliesslich in Form von Gesprächen (mit unterschiedlichem Einbezug der Kinder) bei der Familie zu Hause (oder bei Schulgesprächen in der Schule) durchgeführt werden: „Meistens ist es immer so“, so Frau Ronchi, „sie kommt jeweils hier hin, und dann fangen wir einfach an zu reden und tue ich einfach immer alles zusammen erzählen, was passiert ist“. Eine andere Gruppe von Eltern führt aus, dass es keine typische Gestaltung der Hausbesuche gäbe: „Das ist immer verschieden“, (Frau Moser), „das Spektrum ist da riesig gefächert“ (Frau Bachmann), „es ist immer ein bisschen anders“ (Frau Ortega). Bei dieser Gruppe scheint es grundsätzlich so, dass die Gestaltung der Interventionen von (tages-)aktuellen Themen und Problemstellungen abhängt, die sehr unter- schiedliche Bearbeitungsweisen an verschiedenen Orten indizieren (zu Hause, ausser Haus, in der Schule der Kinder, bei den Behörden etc.). Trotz dieser Variationsbreite ist das Gespräch zwischen Eltern und Fachperson (mit unter- 133 schiedlichem Einbezug der Kinder) ein beständiges und wiederkehrendes Ele- ment der SPF in allen Familien des Samples. In der folgenden Interviewpassage mit Herrn Zumsteg zeigt sich aber beispielhaft, dass es – neben dem klassischen „Beratungssetting“ am Küchen-/Wohnzimmertisch – im Lebensfeld der Fami- lie eine Vielfalt an gesprächsträchtigen „tischunabhängigen“ Situationen gibt: „Anstatt zuhause Probleme anschauen oder diskutieren oder so, hat er gesagt: ‚Ich nehme das Fahrrad mit‘. Dann gingen wir Fahrrad fahren, eine Stunde unterwegs gewesen. Einmal etwas trinken vielleicht noch, einmal sind wir Fussball spielen ge- gangen, beim Sportplatz und nachher in das Schulhaus, ein bisschen Fussball ge- spielt, Pingpong gespielt. Und dann hat er [Fachperson] zwischendurch die Kinder gefragt: ‚Wie geht es?‘ Und eben: ‚Was machst du in der Schule?“ (Elterninterview 1c, Z. 221–227). Dieses Beispiel zeigt, dass das über die face-to-face-Gesprächssituation hinaus- gehende gemeinsame Tun der Fachperson weitere Spielräume eröffnet, die als unstrukturierte Situation am Rande von Alltagshandlungen genutzt werden können, um das Spektrum möglicher Interventionen zu erweitern. Gleichzeitig ermöglichen gemeinsame Aktivitäten mit der gesamten Familie, dass Eltern am Modell lernen können (hier bspw. als Vorbild für eine alternative gemeinsame Freizeitgestaltung in der Familie). Was erleben Eltern im Rahmen der SPF als unterstützend und hilfreich? Neben Fragen zur typischen Gestaltung der Interventionen wurden die Eltern danach gefragt, welche Hilfestellungen die Eltern im Rahmen der SPF als för- derlich erleben oder erlebt haben, was möglicherweise zu fallübergreifenden Rückschlüssen auf die Wirkvoraussetzungen für SPF führt. Da sich die befragten Eltern in verschiedenen Phasen der SPF befinden, be- schreiben sie mithin unterschiedliche Aspekte als hilfreich. Bedeutsam über alle Familien hinweg ist die Qualität der Arbeitsbeziehung. Weitere, auf gelingende Hilfeverläufe hindeutende Aspekte der Hausbesuche beziehen sich auf Voraus- setzungen, die für den Aufbau dieser Vertrauensbeziehung notwendig sind und letztlich entscheidend zur Qualität der Arbeitsbeziehung beitragen können. Nach vorliegenden Hinweisen spielen folgende Aspekte eine besondere Rolle: die Organisation von Entlastung sowie die flexible Erreichbarkeit, Ansprech- barkeit und Allzuständigkeit der Fachperson für Probleme jedweder Art. Ge- rade zu Beginn der Begleitung scheint es für die Eltern hilfreich, wenn die Fachperson beim Aufdecken und Sortieren der unterschiedlichen Problemlagen unterstützend wirkt. Im weiteren Verlauf der Begleitung erleben Eltern insbe- sondere solche Unterstützungsangebote als nützlich, mit denen gemeinschaft- lich alternative Handlungsmöglichkeiten erarbeitet werden und die Eltern da- 134 durch Stärkung, Ermutigung und Beruhigung erfahren. Weitere Aspekte, die Eltern als positiv erleben, betreffen die gelungene Zusammenarbeit der Fach- person mit den Kindern sowie deren Unterstützung in der Zusammenarbeit mit Schule und Behörden. Vertrauensvolle Beziehung Vor allem bei mehrjährigen Begleitungen zeigen die Ergebnisse, dass sich die Grenze der Privatheit zugunsten einer auf Vertrauen basierenden Beziehung48 verschiebt und die Fachperson mitunter zu einem „ständigen“ Mitglied der Familie reüssiert. Ein solcher Vertrauensaufbau benötigt, wie Frau Ortega meint, zuerst und vor allem Zeit: „Ich meine, es ist nicht eine Beziehung von einem Jahr. Vor einem Jahr ist [es ein] bisschen anders gewesen, nach drei Jahre ist es schon, wie der [Sohn] sagt: „[Familienbegleiterin] gehört zur Fami- lie!“ Andere Eltern bezeichnen ihre Beziehung zur Fachperson als kollegial oder sehen in ihr eine „Freundin“ (Frau Ortega), „Tante“ (Frau Rieder) oder „eine zweite Mutter“ (Frau Rohner-Hamidi).49 Eine auf Anerkennung von Fremdheit und Andersartigkeit50 gründende Be- ziehung zwischen Eltern, Kindern und Fachperson beflügelt eine gelungene Zusammenarbeit. Dabei wird eine neutrale und nicht von vornherein wertende Haltung als förderlich für den Beziehungsaufbau und positiv verlaufende Be- gleitprozesse erlebt. Herr Huber sagt dazu: „Er hat keine Vorurteile. Er ist wirklich objektiv. […] Und er sagt es auf eine Art und Weise, eben auf gleicher 48 Alle Eltern verweisen auf die Bedeutung von Offenheit und Vertrauen für die gelingende Beziehungsgestaltung zur Fachperson – mit Ausnahme von Herrn Binotti: „Und ich habe immer schauen müssen, was ich sage, was ich mache, oder, weil alles, äh, ist gegen mich nachher gelaufen (…) man tut schnell etwas falsch verstehen, das ist ganz verrückt. (…) Ich habe immer noch bisschen Ängste und so, was darf man sagen“. 49 Die Qualität der Arbeitsbeziehung als zentraler Wirkfaktor für verschiedene Hilfearten ist empirisch bereits bestätigt (vgl. Hofer/Lienhart 2008; Albus et al. 2010). Dass die Wahr- nehmung der Fachperson als Freund/Familienmitglied auch kritisch beleuchtet werden kann, wird in der Zusammenfassung am Ende dieses Kapitel diskutiert. 50 Dass die Anerkennung der Andersartigkeit vor den differenten Lebensverhältnissen oder Problembearbeitungsstrategien eine wichtige Voraussetzung für den Aufbau einer Arbeits- beziehung darstellt, zeigt sich beispielhaft bei der Familie Grigic. Ihnen wurde die SPF nach der Rückplatzierung ihres Sohnes angeordnet. Anfänglich wollte die Familie nichts von der Begleitung wissen: „Eigentlich, ich wollte nicht, dass er kommt,“ eröffnet Herr Grigic seine Ausführungen zum Beginn der SPF vor acht Monaten. Doch im Verlaufe des Interviews zeigte sich, dass der Respekt des Familienbegleiters hinsichtlich der besonderen Lebensum- stände der Familie ermöglichte, sich auf die Zusammenarbeit mit der Fachperson einzulas- sen: „[Familienbegleiter] hat wirklich Respekt von uns. Wir haben aber auch Respekt von ihm. […] Wir machen auch vielmal Spass. Wenn er hätte das gesagt vor ein paar Monaten, wir werden so, ich hätte nicht geglaubt“. 135 Höhe. Nicht irgendwie von oben herab“. Auch Frau Moser erlebt diesen Aus- senblick positiv: „Sie [Fachperson] ist eigentlich recht distanziert, was unsere Familie anbelangt. […] Sie gibt uns schon Tipps und so, aber sie sagt nicht ‚pff, ja, was haben Sie jetzt für einen Scheiss gemacht?‘. […] Also, sie hat nicht das Gefühl, dass sie es besser wisse“. „Sie macht das schön sachlich“, ergänzt Herr Moser die Erläuterungen seiner Frau. Weiter scheint auch Sympathie und Passung zwischen Fachperson und Fa- milienmitgliedern eine Voraussetzung für das Sich-Einlassen können auf die Hilfestellung: „Also an dem Tag, als ich dann [Fachperson] gesehen habe, am ersten Tag, habe ich sofort gedacht, die gefällt mir“ (Frau Ronchi); „Ich habe kennengelernt [Familienbegleiterin] und sagt perfekt“ (Frau Garcia). Wie wichtig eine positive Beziehung ist, zeigt sich auch in den Statements der Eltern gegenüber Ferienvertretungen: „Wenn sie [Fachperson] in die Ferien geht, das mag ich gar nicht, dann bekomme ich so komische Leute, die ich nicht gerne habe“, sagt Frau Rieder, die Ferienvertretungen mit wenig Begeisterung hinnimmt. Frau Blaser hingegen lässt Vertretungen gar nicht zu: „Es kommt vor, dass, wenn sie in den Ferien ist, jemand anderes kommen möchte, aber dann sage ich ‚Nö‘ “. Organisation von Entlastung Eltern beschreiben die Organisation von Entlastung für verschiedenste Pro- blemlagen in ihrer Lebensgestaltung als hilfreich (bspw. die Organisation von Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder oder die vorübergehende Übernahme der Kommunikation mit der Schule). Es zeigt sich weiter, dass diese Entlas- tungsorganisation stark (aber nicht ausschliesslich) mit der Vermittlung von weiteren Hilfen zusammenhängt (z. B. die Vermittlung von Psychologen, An- wälten oder weiterer Kontaktadressen). Das Organisieren von entlastend wirkenden Angeboten/Hilfen begünstigt eine Reduktion an Belastungen, was wiederum die Ausgangsbedingungen für die weitere Problembearbeitung in der Familie verbessern kann. In diesem Zusammenhang wirkt auch die Ansprechbarkeit der Fachperson für alle mögli- chen innerfamiliären Problemlagen begünstigend für die weitere Zusammenar- beit. Ansprechbarkeit für unterschiedliche Problemlagen Einige Eltern erleben v. a. die Unterstützung bei der Bewältigung behördlicher Anforderungen (z. B. der Brief an die Schule, an die Gemeinde usw.) als eine pragmatische, weil entlastend wirkende Hilfestellung. Frau Rohner-Hamidi berichtet, dass eine ehemalige Fachperson ihre Unterstützung bei den Briefen verweigerte: „Sie hat einmal gesagt, sie ist nicht, öh, ihre Aufgabe, mir zu, etwas 136 zu schreiben oder ausfüllen. Ihre Arbeit nur zu kommen und schauen“. Die Vorenthaltung instrumenteller Unterstützung verkennt, dass Familien, die andauernden Belastungen ausgesetzt sind, die Nützlichkeit einer Hilfe daran bemessen, inwieweit diese sie im Umgang mit ihren alltäglichen Herausforde- rungen unterstützt (vgl. Wigger 2013, S. 158). Die Ansprechbarkeit der Fachperson bei Problemen jeglicher Art erleben Eltern darüber hinaus als hilfreich für den oben beschriebenen Umdeutungs- prozess weg von einer bedrohlichen und hin zu einer hilfeleistenden Fachper- son. Die alltagsnahe Unterstützung und die dadurch unmittelbar erfahrene Entlastung zu Beginn der SPF wirkt potenziell begünstigend für die Akzeptanz des Hilfeangebots und die weitere Zusammenarbeit mit der Fachperson. Flexible Erreichbarkeit der Fachperson Die Möglichkeit, die Fachperson auch ausserhalb vereinbarter Termine zu er- reichen, wird von allen Eltern wertgeschätzt: „Ich finde es ganz gut, dass er sich auch zwischen diesen, äh, Meetings, oder, die er mit uns hat, ist er ansprech- bar“; „Da musste man nicht einen Monat auf einen Termin warten“, loben bspw. Herr Zumsteg und Herr Huber die unkomplizierte, zeitnahe und ausser-/ zwischenterminliche Erreichbarkeit der Fachperson.51 Dabei hat sich gezeigt, dass hauptsächlich die alleinerziehenden Elternteile dieses Angebot auch tat- sächlich nutzen: „Wenn ich nicht weiterweiss, oder, dann probiere ich sie anzu- rufen“ (Frau Erismann); „Dann kann ich ihr schreiben: ‚Können sie heute kommen? Da ist ein Problem‘. Wenn sie Zeit hat, oder es ihr liegt, dann kann sie kommen“ (Frau Ortega). Bei den Elternpaaren zeigte sich hingegen, dass sie diese Möglichkeit seltener oder gar nicht nutzen. Möglicherweise wirkt schon das Wissen beruhigend, dass jemand im Notfall erreichbar ist. Dazu sagt Herr Grigic, der sowohl im Besitz der geschäftlichen wie auch der privaten Telefon- nummer des Familienbegleiters ist: „Bis jetzt ich musste nicht, aber ich habe schon die andere Telefonnummer. Wenn ich brauche etwas, ich kann ihn auch am Wochenende anrufen“. Das sicherheitsvermittelnde Gefühl einer erreichba- ren Fachperson spiegelt sich auch in dieser Aussage von Frau Blaser wider: „Und so ein Notrufding gibt es eben auch, habe ich noch nie gebraucht. Aber gibt es auch. Aber ich weiss, es ist immer jemand da, wenn etwas wäre“. Dass die flexible Erreichbarkeit der Fachperson für die Eltern so wichtig ist, lässt sich möglicherweise damit erklären, dass diese häufig schwache soziale Netzwerke aufweisen. Plausibel ist auch die Erklärung, dass heikle Situationen und innerfamiliäre Schwierigkeiten sich für gewöhnlich nicht nach den Büro- 51 Auf den Wirkfaktor ‚flexible Erreichbarkeit‘ in der aufsuchenden Familienarbeit machen bereits Hofer und Lienhart (2008) aufmerksam. 137 zeiten richten. In solchen Momenten erleben es Eltern als hilfreich, wenn zeitu- nabhängig Hilfe angefordert werden kann: „Bei der Beistandschaft ist über die Feiertage niemand, in den Ferien ist da nie- mand. Und meistens ist es ja dann genau an irgend so einem blöden Tag, wo man jemanden braucht. Und, dort ist es, eh, eben ich kann [Familienbegleiter] an einem Sonntag ein SMS oder eine Whatsapp senden, und, es vergeht meistens keine halbe Stunde, habe ich eine Antwort. Es ist einfach, ich denke, dass macht viel aus.“ (Elterninterview 5a, Z. 697–702) Aufdecken und Sortieren von Problemen Wie eingangs erläutert, interveniert die SPF oftmals in Familien, die von einer anhaltenden Kumulation unterschiedlicher Benachteiligungen, Belastungen und Problemen betroffen sind. In diesem Zusammenhang erleben es Eltern als hilfreich, wenn eine aussenstehende Person sie dabei unterstützt, die verfloch- tenen Problemsituationen zu sortieren, einzelne Probleme herauszuarbeiten und diese darauf aufbauend in überschaubare und zu bearbeitbare Themen zu transformieren. Dies wird bereits im Zitat von Herrn Zumsteg im Kapitel zu den Erwartungen an SPF ersichtlich: „Meine Erwartungen waren, dass er […] aufdecken kann, wo eigentlich die Probleme sind.“ So kann es zu Beginn einer Hilfeinanspruchnahme sein, dass Eltern im Wirrwarr der Probleme die einzel- nen Problemstellungen nicht (mehr) zu erkennen oder auseinanderzuhalten imstande sind. Frau Ortega vergleicht diese anfänglichen Problemsituationen mit einer Schneekugel, bestehend aus vielen einzelnen aneinanderhaftenden Problem-Schneeflocken unterschiedlicher Tragweite: „Es ist wie ein Schneeball gewesen, wo alles drin gewesen ist. Und dann, äh, ja, mit [Fachperson] habe ich viel Sachen aussortieren können“. Koproduktive Erarbeitung alternativer Handlungsmöglichkeiten Ist es der Fachperson auf der Basis einer vertrauensvollen Beziehung möglich, die unterschiedlichen Sichtweisen auf Probleme innerhalb der Familie zu mo- derieren, ergibt sich die Chance, auf dieser Basis alternative Handlungsoptio- nen für die Familie zu eröffnen. Gelungene Hilfeverläufe scheinen sich dabei u. a. dadurch auszuzeichnen, dass mit der Moderation der vorhandenen wie auch mit der Einführung neuer Sichtweisen alternative Handlungsoptionen eröffnet werden, die ohne Druck ausprobiert werden dürfen. Dazu Frau Blaser, welche die moderierende interventionspraktische Vorgehensweise ihrer Fach- person hervorhebt: „Das hat sie noch nie gesagt: ‚Ich habe Ihnen aber gesagt, sie sollen es so ma- chen‘. Das hat es noch nie gegeben. Sie hat immer wieder geschaut, ob es anders 138 besser wäre für mich und dann haben wir [Sohn] gefragt, ob es für ihn vielleicht so besser wäre. Immer einen anderen Weg für das gleiche Ziel haben wir gesucht.“ (Elterninterview 2a, Z. 613–618) Weiter erleben es Eltern als förderlich, wenn sie aus neuen Informationen und Handlungsmöglichkeiten selbst auswählen können, wenn also der Prozess der Problembearbeitung mit einer angemessenen Form der Entscheidungsoffenheit korrespondiert. Diesbezüglich betont Frau Ortega die Nützlichkeit einer bera- tenden, nicht einmischenden Funktion der SPF: „Wenn ich zum Beispiel Fragen habe, oder etwas offen ist, oder wie ich es anders machen kann, frage ich sie und dann sagt sie: ‚Ja, man könnte da etwas anders machen, oder da‘. Aber sie lässt, sie sagt es, aber sie lässt es immer meine Ent- scheidung, oder. Das ist eben gut daran, weil, sie überschreitet nicht unsere Grenze. Sie gibt den Tipp, aber was ich damit mache, ist dann meine Sache.“ (El- terninterview 3b, Z. 410–413) Nach vorliegenden Hinweisen schätzen es Eltern, wenn ihnen im Rahmen der Begleitung nichts übergestülpt wird, sondern verschiedene Lösungswege aufge- zeigt werden, aus denen sie wählen oder die sie gemeinschaftlich erarbeiten können: „Wir wurden auch nie irgendwie in etwas gepresst, das wir nicht woll- ten. Es war immer ein miteinander Besprechen und gemeinsam Ideen entwi- ckeln. Gemeinsam Pläne aufstellen und dann gehen“, so beschreibt bspw. Herr Huber das Vorgehen der Familienbegleitung, das Raum für die beidseitige Aus- handlung und Erarbeitung einer Problemlösung lässt. Im Unterschied dazu beurteilen zwei Mütter die direktiven und/oder kon- trollierende Interventionen als wenig hilfreich. In diesem Zusammenhang ver- gleicht Frau Garcia die ehemalige Familienbegleiterin mit der Polizei: „Andere Person in meiner Wohnung, gleich so Polizist“. Auch Frau Rohner-Hamidi hat die vormalige Familienbegleiterin als zurechtweisende „strenge Lehrerin“ wahrgenommen: „Wenn ich etwas eine Meinung, sagt sie zu mir, ‚nein, nein, das darfst du nicht, nein, nein das geht nicht.‘ “ Gespräche mit dem Ziel der Stärkung und Ermutigung Eltern erwarten zu Beginn der Begleitung mitunter Unterstützung bei ihren Erziehungsaufgaben. In diesem Zusammenhang wünschen sie sich Ideen, um herausfordernde Situationen im Umgang mit ihren Kindern besser handhaben zu können. Entsprechend erleben Eltern die Unterstützung der SPF immer dann als hilfreich, wenn sie alternative Erziehungsstrategien aufgezeigt be- kommen, die zum Erfolg führen und die sie nach Möglichkeit gemeinsam mit 139 der Fachperson entwickelt haben. Wo dies gelingt, erleben Eltern eine Stärkung in ihrer Rolle als Erziehende. Neben der Stärkung der Elternrolle ist auch die Stärkung der eigenen Per- son, vor allem für alleinerziehende Mütter, bedeutsam, die es ihnen ermöglicht, Selbstvertrauen aufzubauen und mehr Zuversicht in die eigene Handlungsfä- higkeit zu gewinnen. Frau Almeida beschreibt dies mit folgenden Worten: „Ich habe auch mehr Vertrauen in mich selbst, weil ja, das vergangene Jahr war wirklich ein schreckliches Jahr, und voilà, ich habe Niemanden gehabt. Manchmal habe ich sogar Zweifel gehabt, ob ich fähig bin, die drei Kinder alleine zu erziehen. Es ist gut, dass [Fachperson] gekommen ist. Er hat auch mir ein bisschen geholfen. Er hat mir Kraft gegeben, die ich nicht hatte. Er hat mich ermutigt.“ (Elterninterview 5b, Z. 433–436) Auch bei Frau Rieder ist es der Fachperson gelungen, Zuversicht zu erzeugen: „Seit ich mit [Fachperson] bin, habe ich weniger Selbstmordgedanken und ich liebe mich selber, jetzt. Früher habe ich mich nicht geliebt, ich habe immer gedacht, ich könne nichts und schaffe nichts und [Fachperson] motiviert mich zu zeigen, ich bin ich. Ich habe viel gelernt und bin genug stark, weiter zu kämpfen.“ (Elterninterview 5c, Z. 172–175) Vorliegende Daten deuten insofern an, dass die SPF immer dann als hilfreich erachtet wird, wenn Mütter und Väter (mehr) Selbstvertrauen in das eigene Handeln entwickeln können. In diesem Zusammenhang erlebt es Herr Binotti als wenig hilfreich, dass er nur spärlich Bestätigung von seiner Familienbeglei- terin bekommt. Er würde sich wünschen, „ein bisschen mehr Mut“ zu bekom- men resp. intensiver für seine Erziehungsbemühungen gelobt zu werden: „Das ist vielleicht mein Problem, ich sehe da nur Negatives, oder, äh, ja, sie sagen ja schon: ‚Sie machen das gut!‘, oder so. Aber vielleicht zu wenig. […] Ich weiss auch nicht, was, was man da genau sucht. Eine Bestätigung, dass man es gut macht, oder so. Das ist, dünkt mich, ein bisschen zu wenig.“ (Elterninterview 2a, Z. 1288–1295) Positive Zusammenarbeit mit den Kindern Als besonders gut im Rahmen der Begleitung erlebt Herr Zumsteg, „dass die Kinder ihn [Familienbegleiter] so super akzeptieren. […] Die hören ihm immer zu und vergessen es auch nicht. Das finde ich gut, dass er wirklich einen guten Kontakt, einen guten Draht mit den Kindern hat“. Den gelingenden Bezie- hungsaufbau der Fachperson zu den Kindern erleben rund ein Drittel der be- fragten Eltern als hilfreich, weil dieser nach ihrer Einschätzung als bestärkend 140 und motivierend für das Selbstwertgefühl der Kinder wahrgenommen wird. Dazu sagt Herr Huber: „Also sein positives Bestärken von den Kindern. Das ist, eben, motivierend. […]. Also er hat dort einfach wirklich eine coole Art, die die coolen Jungs von heute auch wirklich verstehen. Nicht irgendwie von oben herab […]. Wenn er etwas gesagt hat, ratterte es bei den Kindern. Also, es ist dann nicht einfach so, dass, kaum ist er aus dem Haus, jetzt mache ich wie ich will. Sondern, es ist geblieben.“ (Elterninterview 5a, Z. 668–675) Wie dieses Beispiel zeigt, wissen es die Eltern wertzuschätzen, wenn es der Fachperson gelingt, das Kind als Gegenüber auf Augenhöhe zu adressieren und entsprechend kindgerecht in die Hausbesuche miteinzubeziehen. Oftmals ge- lang dies über das Spiel und über gemeinsame Aktivitäten: „Er hat mit allen gespielt. Die Kinder haben [Fachperson] das erste Mal gesehen und, ‚oooh, schau mal, er spielt mit uns‘ und er weiss wie, wie mit Kindern arbeiten“, meint dazu Herr Grigic. Gleichzeitig sind einige Eltern froh, wenn sie darüber Anre- gungen zum Spiel und zur Freizeitgestaltung mit den Kindern bekommen. Aus dem Interview mit Frau Moser geht hervor, dass sie die gemeinsam erlebten Aktivitäten als eine Förderung der innerfamiliären Beziehung schätzt. Auf die Frage, was Frau Moser, wäre sie an der Stelle der Familienbegleiterin, genauso machen würde, gibt sie folgende Antwort: „Zuerst mal abklären, wie die aktuellen Familienverhältnisse sind, wo man etwas machen muss. […] Und dann muss man wirklich auf das Ziel hinarbeiten und halt auch, eben vielleicht, je nachdem, mit einem gemeinsamen Familienausflug oder mit gemeinsam Spiele spielen, oder einfach so, dass dann der Zusammenhalt der Familie wiederkommt.“ (Elterninterview 3c, Z. 631–638) Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich der gelungene Umgang mit den Kindern bestärkend auf die Zusammenarbeit zwischen Eltern und Fachperson auswirkt. Dies zeigt auch nachfolgender Interviewausschnitt mit Herrn Binotti, der – wie bereits an anderen Stellen ersichtlich – den Hausbesu- chen ambivalent gegenübersteht. Würden sich seine Kinder nicht auf die Besu- che der Fachperson freuen, hätte dies möglicherweise Konsequenzen für sein Verhältnis zur Fachperson: „Wenn sie nicht da ist, dann fragen sie: ‚Wann kommt [Fachperson]?‘, und ich sage, ‚[Fachperson] kommt dann‘, dann ist wie ein Freuen, dann freuen sich diese Kinder drauf, und das finde ich gut. Und auch Interesse, dass diese Kinder Inte- resse haben, dass diese Frau kommt. Wenn es ihnen egal wäre, wäre es etwas An- deres. Ich hätte, äh, Streit, dass diese Frau kommt und ich würde sagen, ‚nein‘.“ (Elterninterview 2a, Z. 775–779) 141 Die positiv erlebte Zusammenarbeit mit den Kindern wird hingegen in drei Familien vermisst. So empfinden es Frau Garcia und Frau Rieder als „schade“, dass ihre Söhne kaum Vertrauen in die Fachperson haben und sie sich deshalb verweigern. Beide Frauen haben die SPF als eine Stärkung und Ermutigung wahrgenommen und würden sich dies auch für ihre Söhne wünschen, wie Frau Garcia erläutert: „Aber für Pedro, schade, er hat gesagt: ‚Mami, ich habe nicht gern diese‘ “. Auch Frau Baan schätzt es als wenig hilfreich, dass ihre Kinder in der Be- gleitsituation abwesend sind. Sie würde sich stattdessen wünschen, dass die Fachperson zusammen mit ihr und den Kindern konkrete Problemstellungen gemeinschaftlich bearbeitet. Hätte Frau Baan den Beruf der SPF inne, würde sie es anders machen: „Also ich habe gesehen, ich weiss nicht wo, in Amerika oder etwas, in YouTube, eine Frau, ich weiss nicht mehr Name, sie auch wie [Familienbegleiterin], aber sie machen, sie kommt, und etwas Kamera verstecken, wo sie schauen, wie zum Bei- spiel ich und Kinder das machen. Und wenn Kinder zu mir etwas schlechtmachen, was soll ich machen. Ich habe etwas im Ohr und sie sagen, was ich soll machen und das gut werden. Oder. Ich denke, ich so machen.“ (Elterninterview 4b, Z. 452– 456) Nach Meinung von Frau Baan nützen ihr verbale Hilfestellungen allein nicht: „Sie hat ein Tipp gegeben, wegen Spielen, du musst Blickkontakt und Körper. Aber nur zeigt, wo [Familienbegleiterin] kommen und nicht die Kinder. Aber nachher nützte nichts“. Unterstützung in Schulangelegenheiten Rund die Hälfte der Eltern berichtet zu Beginn von schulischen Problemen ihrer Kinder, die – oft aufgrund eskalierender Auseinandersetzungen zwischen Eltern und Lehrkräften – das Familienleben zusätzlich belasten. Aus diesem Grund erleben es alle betroffenen Eltern als hilfreich, dass die Fachperson sie im Umgang mit den schulischen Problemen ihrer Kinder (und in diesem Zu- sammenhang wo nötig auch mit der KESB, dem Sozialamt usw.) intensiv unter- stützen. So z. B., wenn die Fachperson an Schulgesprächen teilnimmt oder über Gespräche zwischen Schule und Eltern in Kenntnis gesetzt wird. In diesem Zusammenhang scheint eine Übersetzungs- und Vermittlungsfunktion, aber auch die Loyalität der Fachperson gegenüber Kind und Eltern eine massgebli- che Rolle für gelingende Hilfeverläufe zu spielen. Jedenfalls erleben es die Eltern als eine Erleichterung, jemanden an ihrer Seite zu haben, der sie dabei unter- stützt, die festgefahrene Situation in der Schule aufzuarbeiten und neue Wege 142 für eine konstruktive Zusammenarbeit mit der Schule zu finden. So z. B. Herr Huber: „Ich kochte innerlich und, ja, bei einem Elterngespräch, dass wir da mal hatten, stand ich auf und lief davon, oder und bin raus, eine rauchen, und eine halbe Stunde später wieder zurück. Danach ging es wieder. Und, eben, er hat auch dort eigentlich, ja, wenn ich jetzt alleine gewesen wäre, wäre ich wahrscheinlich nicht mehr zurückgegangen. Da wäre ich direkt nach Hause. Er [die Fachperson] hatte also auch dort Einfluss gehabt, sage ich jetzt mal, auf das Herunterkommen und das nochmals Probieren.“ (Elterninterview 5a, Z. 367–372) Auch Frau Ortega erlebt die Unterstützung der Fachperson bezüglich der ver- fahrenen Zusammenarbeit mit der Schule positiv: „Mit der Begleitung von der Schule, jedes Gespräch, wo wir gehabt haben, ist [Familienbegleiterin] dabei gewesen und es ist gut zum Sehen, dass jemand zu dir steht“. Die Parteilichkeit der Fachperson für die Familie resp. das Sich-Einsetzen der Fachperson für die Eltern gegenüber der Schule, um etwas zu erreichen, dass die Familie allein nicht geschafft hätte, scheint für Eltern vielfach ausschlaggebend für das Erle- ben einer besonderen Hilfestellung im Rahmen der SPF. 4.6.4 Was erleben Eltern als weniger hilfreich im Rahmen der Hausbesuche? Neben unterstützenden Punkten wurden die Eltern auch zu weniger hilfreich erlebten Aspekten im Rahmen der SPF befragt. Interessanterweise finden sich zu dieser Frage nur wenig Hinweise in den Interviews. Einige negative State- ments wurden im vorangegangenen Kapitel bereits erwähnt. So deuten verein- zelte Hinweise darauf hin, dass in zwei Familien aus Sicht der Mütter eine Be- ziehung zwischen Fachperson und Kindern vermisst wurde (Familie Rieder, Garcia). Weiter scheint es wenig hilfreich zu sein, dass Kinder nicht in die In- terventionen miteinbezogen werden (Familie Baan), während in zwei weiteren Familien das direktive oder kontrollierend wahrgenommene Verhalten der ehemaligen Fachperson kritisiert wurde (Familie Garcia, Rohner-Hamidi). Letztlich wird in einem weiteren Fall (Familie Binotti) Bestärkung für Erreich- tes vermisst. Ein weiterer Punkt, welcher von zwei Eltern als wenig hilfreich beschreiben wird, bezieht sich auf die wenig strukturierte (Familie Zumsteg) resp. auf die als ineffektiv beschriebene Herangehensweise (Familie Moser) während der Haus- besuche. Frau Zumsteg führt in diesem Zusammenhang aus, dass zuletzt vier Treffen stattgefunden hätten, bei denen sie nicht wusste, was genau damit er- reicht werden sollte, da sie in deren Planung anscheinend nicht einbezogen 143 wurde: „Wir hatten einen Monat, treffen viermal. Ich möchte wissen die vier Mal, was bringt das. Welches Problem wir möchten zuerst. […] Wann, was gemacht wird, was das bringt, konkret“. Die Familie Moser hingegen erlebte die Herangehensweise einer ehemaligen Fachperson als ineffektiv: „Die andere hat halt einfach mehr mit dem Laptop, da hat aufgeschrieben und Bericht verfasst und hat halt einfach, so quasi Theorie, also wirklich trocken“. Nach Aussagen von Frau Moser nimmt die aktuell zuständige Fachperson im Gegensatz dazu aktiv am Familienleben teil (z. B. mit der Familie kochen, Ausflüge unterneh- men). Die Art und Weise der Problembearbeitung der vormaligen Fachperson verbinden Herr und Frau Moser mit wenig Interesse an ihrer Familie, fehlen- dem Alltagsbezug und erachten diese somit kaum als hilfreich. Hierbei wird deutlich, dass die Art und Weise, mit der sich die Fachperson in den Alltag der Familie integriert, wesentlich zum Aufbau einer Arbeitsbeziehung beitragen kann. Abgesehen von diesen spärlichen Hinweisen zu wenig hilfreich erlebten As- pekten im Rahmen der Hausbesuche scheint die überwiegende Mehrheit der Eltern für ihre Fachperson und die erfahrene Hilfestellung zu schwärmen. Auf die Frage „Stellen Sie sich vor, Sie wären die Fachperson: Wie würden Sie die Interventionen gestalten, wenn Sie Ihre eigene Familie begleiten würden?“ ant- worten die Eltern mit wenigen Ausnahmen52 übereinstimmend, dass sie ein ähnliches Vorgehen wählen würden. Dies ist auch bei Familie Huber der Fall: „Also, wenn ich das könnte, würde ich das so machen wie er“, sagt Herr Huber und fügt an: „Ich kann jetzt nicht von allen bei [Anbieterorganisation] reden, ich kenne nur ihn. Aber er macht das wirklich sackstark“. Gleichzeitig wird aus dieser Aussage deutlich, dass Herr Huber keine Vergleichsfolie besitzt, auf der er verschiedene Herangehensweisen hätte beurteilen können. Sind die Eltern zufrieden mit der Art der Hilfeerbringung in einem vertrauensvollen Rahmen und erleben Erfolge, äussern sie wenig bis gar keine Kritik am Vorgehen. Auch Herr Huber bringt keine Kritik an und sagt dazu: „Es tönt vielleicht langsam etwas schleimig. Wir reden ja nur positiv. […] Vielleicht sind wir ja auch so ein bisschen ein Vorzeigefall“. 4.6.5 Wie werden Kinder am Prozess der SPF aus Elternsicht beteiligt? Im weiteren Verlauf des Interviews wurden die Eltern danach befragt, wer typi- scherweise in die Hausbesuche miteinbezogen wird. Mit dieser Frage sollten einerseits Erkenntnisse zur Beteiligung der Kinder am Prozess der SPF gewon- 52 So bspw. Frau Baan zum Thema „Einbezug der Kinder“. 144 nen werden. Andererseits sollte herausgefunden werden, wie im Rahmen der SPF Netzwerkarbeit betrieben wird. Letzterer Punkt wird ausführlich im nächsten Kapitel behandelt. Der Einbezug der Kinder in die Hausbesuche bewegt sich nach Aussage der Eltern auf einem Kontinuum zwischen intensiver kindgerechter Zusammenar- beit (vgl. dazu die Hinweise weiter oben) und einer Nicht-Beteiligung der Kin- der resp. exklusiven Zusammenarbeit mit den Eltern. Diesbezüglich lassen sich die Antworten der Eltern zu je einem Drittel in drei gleich grosse Gruppen einordnen. Die erste und einzig homogene Elterngruppe – bestehend aus fünf alleinerziehenden Müttern – gibt an, dass die Kinder sehr selten bis gar nicht in die Begleitung miteinbezogen werden. Die Zusammenarbeit erfolgt ausschliess- lich mit den Müttern.53 Auf die Frage, weshalb Kinder in den toten Winkel geraten, haben die Mütter unterschiedliche Antworten parat. Frau Ziegler denkt, dass „sonst die Tipps, dass sie mir gibt oder was sind Fehler, das würde nicht funktionieren, wenn sie [Kinder] schon wissen oder schon gehört haben.“ Frau Garcia meint, dass es zu keiner Zusammenarbeit kommt, weil ihr Sohn die Beziehungsangebote der Familienbegleiterin von sich aus verweigert54. Frau Baan hingegen kann sich den Nicht-Einbezug ihrer Kinder nicht erklären; vielmehr würde sie sich wünschen, dass die SPF in Zusammenarbeit aller Fa- milienmitglieder erfolgt (siehe oben), da sie nicht weiss, wie sie die erzieheri- schen Ratschläge der Fachperson in den Alltag mit ihren Kindern einbauen soll. Die zweite Gruppe gibt an, dass Eltern und Kinder von der Fachperson manchmal gemeinsam adressiert werden. Dies geschieht über gemeinsame Spiele, Unternehmungen aller Art sowie gemeinsame Tischgespräche. Auf die Frage, wie die Kinder involviert würden, lautet die meistgenannte Antwort: über das „Spielen“. Kinder dieser Elterngruppe werden jedoch zu ihrem eige- nen Schutz bei bestimmten Themen (z. B. Paarkonflikte, finanzielle Fragen) ausgeklammert. Auch werden v. a. jüngere Kinder zeitweise ausgeklammert, wenn bspw. Gespräche anstehen, bei denen Kinder als störend empfunden werden, wie Frau Erismann erläutert: „Es gibt eben wirklich Tage, an denen wir sagen: ‚Heute müssen wir das und das thematisieren, jetzt tun wir zusammen- sitzen.‘ Dann machen wir ohne Kinder ab. Weil, äh, reden, diskutieren, mit den Kindern geht nicht so gut“. Je nach Zeitpunkt oder Themensetzung der Haus- besuche gestaltet es sich auch so, dass die Kinder nacheinander oder gar nicht involviert werden, weil sie bspw. (noch) Schulunterricht haben. 53 Die Aussagen dieser Mütter stimmen mit den Aussagen der eigenen Kinder überein, wo- nach diese Kinder kaum in die Begleitung involviert werden (siehe Ergebnisse der Kinder- interviews). 54 Um dies zu erläutern, greift Frau Baan ein Beispiel auf (Uno-Spielen), auf das ihr Sohn im Kinderinterview ebenfalls rekurriert: „Aber er hat gesagt: ‚Nein ich spiele nicht mit [Fach- person].‘ “ 145 Die dritte Gruppe verweist auf eine explizite und intensive Zusammenarbeit mit den Kindern. Dieses Vorgehen zeichnet sich u. a. dadurch aus, dass Haus- besuche exklusiv mit dem Kind und ohne Beisein der Eltern stattfinden: „Sie hat Einzelgespräche mit Tobias“, antwortet Frau Blaser auf die Frage, ob ihr Sohn in die SPF involviert wird. Zu dieser Gruppe zählen auch Frau Bachmann, die Grossmutter von Simona sowie Herr und Frau Zumsteg, die Eltern von Jerome. Diese Eltern betonen den starken Einbezug der Kinder über die Insze- nierung von verschiedenen Spielen, gemeinsamer Aktivitäten und Einzelge- sprächen. Ebenfalls zu dieser Gruppe zählt die Familie Binotti. Da sich Herr Binotti im Rahmen der Hausbesuche stark zurücknimmt, damit er zuzuschauen kann, wie sich die Kinder verhalten und benehmen, hat dies zur Folge, dass die Kinder zu den primären Adressaten der Hausbesuche (jedoch grösstenteils in Anwesenheit des Vaters) avancieren. 4.6.6 Wie wird Netzwerkarbeit im Rahmen der SPF betrieben? Die Arbeit am Netzwerk der Familie stellt ein Arbeits- und Handlungsprinzip der SPF dar und wird im Leitbild „Sozialpädagogische Familienbegleitung SPF“ folgendermassen beschrieben: „Die Netzwerke der Familie sowie der einzelnen Familienmitglieder werden erschlossen und erweitert, um den Beziehungs- und Erfahrungsraum zu vergrössern und die Anschlussfähigkeit an die gesellschaft- lichen Erwartungen zu erhöhen“ (AvenirSocial & Fachverband Sozialpädagogi- sche Familienbegleitung Schweiz, 2017). Mit dieser Aussage wird postuliert, dass durch das Erschliessen eines förderlichen Netzwerkes die SPF über die Beeinflussung der innerfamilialen Prozesse hinaus die Handlungsmöglichkeiten der Familien erweitern kann. Netzwerkarbeit im Rahmen sozialpädagogischer Interventionen in Familien berührt gemäss Wolf (2006) folgende Frage: Kon- zentriert sich die Intervention lediglich auf Veränderungen innerfamiliärer Prozesse – wie die Kommunikation zwischen Familienmitgliedern, deren Be- ziehungen untereinander, deren Alltagsstruktur usw. – oder werden die Le- bens- und Lernfelder der Familien über die Familienbeziehungen hinaus be- trachtet? (vgl. ebd., S. 94). Erschliessung familieninterner Unterstützungsressourcen Um herauszufinden, ob familieninterne Unterstützungsressourcen im Rahmen der SPF erschlossen und/oder erweitert werden, wurden die Eltern danach gefragt, ob auch weitere Personen aus dem sozialen Umfeld der Familie bislang in die Hausbesuche miteinbezogen wurden und wenn ja, zu welchem Zweck und bei welchen Themen. Dabei zeigte sich, dass die SPF in den befragten Fa- milien (wenn überhaupt) nur marginal familieninterne Netzwerkarbeit betreibt. 146 Die Eltern haben dafür zwei Erklärungsmuster parat. Das häufigste bezieht sich auf den Umstand, dass kein förderliches soziales Umfeld vorhanden ist, das miteinbezogen werden könnte oder von dem sich die Eltern gewünscht hätten, dass es Bestandteil der Begleitung wird. Auf die Frage, ob es im privaten Um- feld der Familie niemanden gäbe, der oder die die Familie hätte unterstützen und in die Hausbesuche hätte miteinbezogen werden können, antwortet bspw. Herr Moser: „Nein, das ist schwierig“, und seine Frau ergänzt: „Meine Mutter hätte das Ganze nur noch schlimmer gemacht.“ Der Einbezug weiterer Perso- nen aus dem sozialen Umfeld der Familie wird aufgrund familiärer Belastungen von den befragten Eltern eher abgewehrt, weil die Belastungen den Nutzen überwiegen, sofern er angesichts schwacher Netzwerkstrukturen nicht ohnehin hinfällig ist. Oft wollen auch die getrenntlebenden Partner (zumeist die leibli- chen Väter der Kinder) nicht in die SPF einbezogen werden oder sind abwe- send. Ferner weisen einige Eltern darauf hin, dass Personen ausserhalb der Familie die eigene Situation erst gar nicht nachvollziehen oder verstehen könnten. Frau Rieder sagt diesbezüglich, dass die Fachperson versucht hat, „die Väter einzubeziehen, aber eben es interessiert die Väter nicht!“. Schliesslich gibt es Familien, die grundsätzlich nicht wünschen, dass sich jemand anders in die familiären Angelegenheiten einmischt. Nach vorliegenden Hinweisen gelang es in zwei Fällen, das familiäre Netz- werk als Ressource aufzugreifen, ohne es jedoch direkt in die Begleitung mi- teinzubeziehen. Bei der Familie Binotti gelang es der Fachperson, den Vater dafür zu gewinnen, die Kinder zu seiner eigenen Entlastung hie und da über das Wochenende bei einer Familie aus dem erweiterten familiären Umfeld unter- zubringen. Im Falle der Familie Gehrig-Blaser erreichte es die Fachperson, die Mutter davon zu überzeugen, dass ihr Sohn seinen Grossvater und dessen Frau besuchen darf – trotz der Schwierigkeiten, die Frau Blaser mit ihrem Vater/ dessen Frau hat: „Sie [Fachperson] hat mich einfach unterstützt beim Grossvater, also bei meinem Vater. Weil ich wollte ihn [Sohn] eigentlich nicht mehr geben, wegen seiner Frau. Da haben wir dann einen Kompromiss geschlossen. Sie hat mich beruhigt. Also ich habe lange gebraucht, bis ich ja gesagt habe. Aber sie hatte so gute Argumente ge- habt, und dann habe ich gesagt, okay, wir probieren es’, aber einfach bis zu diesem Punkt, wo ich sage, es geht nicht.“ (Elterninterview 2b, Z. 1040–1044) Erschliessung und Vermittlung familienexterner Unterstützungsressourcen Im Gegensatz zum Nicht-Einbezug familieninterner werden familienexterne Unterstützungsressourcen häufiger vermittelt. Dahingehend zeigen die Ergeb- nisse aus den Elterninterviews, dass in beinahe allen Familien Unterstützung in 147 Form von Psychotherapie, Hausaufgabenhilfe, juristischer Hilfe oder familien- ergänzender Kinderbetreuung über die Fachpersonen vermittelt oder teilweise auch etabliert worden ist. Die Inanspruchnahme solcher Unterstützungsange- bote soll zu einer Reduktion von Belastungen führen, damit die Bedingungen für die weitere Problembearbeitung in der Familie verbessert werden. Darüber hinaus erfolgt (wie bereits weiter oben aufgezeigt) eine intensive Zusammenar- beit zwischen Fachperson der Schule. 4.6.7 Nutzen der SPF aus Elternsicht Dieses Kapitel geht der Frage nach, wie Eltern den Nutzen der SPF einschätzen. Dafür wurden die Eltern aufgefordert, Beispiele zu nennen, bei denen sich aus ihrer Sicht etwas zum Positiven verändert hat. Gleichzeitig waren aber auch negative Veränderungen von Interesse, also ob sich etwas (noch) nicht hinrei- chend gut oder sogar zum Schlechten entwickelt hat und was es bräuchte, damit diese Punkte weiterbearbeitet werden könnten. Bei der Analyse wurde deutlich, dass viele der oben aufgeführten positiv erlebten Aspekte im Rahmen der SPF eng zusammenhängen mit dem Ergebnis nützlicher Hilfeverläufe und dass vergleichbar mit den Ergebnissen zu den wenig hilfreich erlebten Aspekten im Rahmen der SPF Eltern im Zusammenhang mit dem Nutzen nichts Negatives thematisieren: „Nein, schlechter ist eigentlich nichts geworden, es ist jetzt ei- gentlich alles besser“ (Herr Zumsteg); „Nein, soviel wie bis jetzt, bin ich zufrie- den“ (Herr Grigic), Frau Almeida wiederum erläutert, dass es keine Sachen gebe, von denen sie sagen könnte, „ah wir haben davon gesprochen, aber am Ende haben wir es fallen gelassen, weil es uns nicht gelungen ist, nein, das gibt es nicht“. Einzig Frau Baan überlegt einige Sekunden, bevor sie sagt: „Ich glaube nicht. Nur etwas nicht genützt, aber schlecht nicht. Nur ich etwas versuchen und nicht funktioniert, aber schlecht ist nicht“. Ihrer Ansicht nach hat sich also ebenfalls im Rahmen der Begleitung nichts zum Negativen verändert, jedoch vermutet sie, dass es Interventionen gab, die ihr wenig hilfreich waren (wie z. B. verbale Hilfestellungen zum Umgang mit den Kindern in deren Abwesenheit. Zu den Sachverhalten, die sich zum Positiven verändert haben, lassen sich die Antworten der Eltern wie folgt resümieren. Beruhigung schulischer Probleme In Familien, in denen Kinder und Eltern mit schulischen Problemen kämpften, kam es während der Hausbesuche zu einer Entspannung der Schulsituation. Er „macht weniger Probleme in der Schule“ antwortet bspw. Herr Grigic auf die Frage nach konkreten Beispielen, die sich aus seiner Sicht zum Positiven verän- dert haben. Zur Beschwichtigung der schulischen Situation beigetragen hat 148 hauptsächlich die loyale Unterstützung bei der Zusammenarbeit mit der Schule und in diesem Zusammenhang die Vermittlungs- und Übersetzungsleistungen der Fachperson bei festgefahrenen Konflikten sowie das Aufgleisen einer fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus. Flexibel erreichbare Ansprechperson Eine erreichbare Ansprechperson an der Seite zu haben, stellt für die meisten Eltern für sich genommen bereits eine positiv wahrgenommene Veränderung dar. Da die Eltern scheinbar über eher schwache soziale Netzwerke verfügen, werden die Fachpersonen zu wichtigen Vertrauenspersonen, mit denen sie nach eigenen Angaben über alles reden können. Deutlich wird, dass schon das Wissen, dass jemand da ist, der Hilfe anbieten kann, ausreicht, um sich unter- stützt zu fühlen. Entlastung In der eingangs beschriebenen Ausgangsproblematik der Eltern wurde deutlich, dass die Familien häufig von kumulativen interdependenten Belastungsfaktoren betroffen sind, die zu komplexen Problemlagen führen. Vor diesem Hinter- grund erfahren Eltern die Gestaltung von Entlastung als direkten Nutzen für ein konkretes Problem. Eine partikulare, aber konkrete Entlastung kann dazu führen, dass andere Problemlagen effektiver (oder zuversichtlicher) in Angriff genommen werden können, was wiederum zu einer schrittweisen Verbesserung hinsichtlich der weiteren Problembearbeitung in der Familie führen kann. Ent- lastung erfahren Eltern dabei auf vielfältige Art und Weise (bspw. über die Organisation von Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder, vorübergehende Übernahme der Kommunikation mit der Schule, Unterstützung bei behördli- chen Angelegenheiten, bei der Korrespondenz, das Vermitteln von Psycholo- gen/Psychologinnen und Anwälten/Anwältinnen oder weiteren Hilfen). Verbesserte Kommunikation Auf die Frage nach Beispielen, die sich aufgrund der Hausbesuche zum Positi- ven verändert haben, antworten einige Eltern, dass es innerhalb der Familie zu einer verbesserten Kommunikation gekommen ist. Die verbesserten kommuni- kativen Prozesse erlebten die Eltern als Bedingung für die weitere Problembe- arbeitung. Damit angesprochen ist einerseits das „Zuhören können“. Daran macht bspw. Frau Ronchi Veränderungen bei ihren Söhnen fest: „Wenn man ihnen etwas sagt, dann hören sie zu“. Neben dem Zuhören trägt auch die Ver- wendung einer sachlicheren und ruhigeren Sprache zu einer verbesserten Kommunikation und einem harmonischeren Familienklima bei. So antwortet Frau Baan, dass sie nun „ein bisschen schönere Worte“ mit ihren Kindern spricht und „nicht immer laut reden. Ein bisschen normal reden“. Auch Herr 149 Gehrig stellt als gelungene Veränderung fest, dass es in der Familie friedlicher geworden ist: „Wir schreien nicht mehr so rum. Ja. Es ist irgendwie viel harmo- nischer.“ Dank der SPF sei es in einigen Fällen auch dazu gekommen, dass man überhaupt einmal miteinander redet. Frau Moser stellt in diesem Zusammen- hang fest, dass sie und ihr Mann mehr miteinander reden und Herr Zumsteg sieht als den wichtigsten positiven Effekt, „dass wir zusammensitzen und über uns diskutieren.“ Ermutigung und Bestärkung Zu guter Letzt ist die Erfahrung der eigenen Wirkmächtigkeit sowie das Erleben des Kontrollzugewinns über das eigene Leben aufgrund der erfahrenen Ermuti- gung und Bestärkung durch die Fachperson ein Merkmal positiv wahrgenom- mener Hilfeverläufe. Ohne diese personelle Stärkung wären laut Frau Rieder ihre „Kinder weg“ und sie selbst „wäre auch nicht mehr auf dieser Erde“. Prozesserleben Das Zusammenspiel dieser und weiterer Faktoren hat in den Familien zu einer generellen Beruhigung des Familiensystems geführt. Was hauptsächlich dazu beigetragen hat, kann auf der Basis der Ergebnisse nicht an einem einzelnen Punkt festgemacht werden. Für die einen ist es das verbesserte Teamwork zwi- schen den Eltern („am gleichen Strang ziehen“, so Herr Gehrig; „am gleichen Strick ziehen“, so Frau Moser), das dazu beigetragen hat, dass das familiäre Zusammenleben ruhiger wurde. Für die anderen ist es die verbesserte Kommu- nikation mit den Kindern, die dazu geführt hat, dass die Kinder „nicht so wü- tend oder nervös“ reagieren (Frau Baan) oder dass bestimmte Situationen im Alltag „lockerer“ und „harmonischer“ (Frau Ziegler) ablaufen würden. Abschliessend soll an dieser Stelle darauf verwiesen werden, dass die von den Eltern beschriebenen wahrgenommenen positiven Veränderungen zumeist das Resultat langjähriger Begleitungen sind. Frau Ortega beschreibt in diesem Zusammenhang, dass die schrittweise Zusammenarbeit ein langwieriger Pro- zess war: „Es ist nicht etwas, dass schnell gegangen ist. Nein. Es ist etwas, dass wirklich Schritt für Schritt, äh, wir Sachen aufgeschrieben haben“. Dass SPF Zeit benötigt, hängt wahrscheinlich mit den familienspezifischen Problemge- flechten zusammen, welche zunächst freigelegt werden müssen, um sie an- schliessend in überschaubare und zu bearbeitende Themen transformieren zu können. Diesbezüglich illustriert der Interviewauszug von Frau Erismann (vgl. Kap. 4.6.1) beispielhaft, dass die SPF Lösungen für verschiedene Konglomerate aus Problemen unterschiedlicher Herkunft herbeiführen soll (bspw. bei Familie Erismann: Paarkonflikte, Kommunikationsprobleme, Trennungsproblemati- ken, Überforderung mit der Kindererziehung, Alkoholprobleme, vorüberge- hende Inobhutnahme und anschliessende Rückplatzierung der Kinder). Auf die 150 interviewabschliessende Frage nach Beispielen, die sich im Rahmen der SPF verändert haben, antwortet Frau Erismann sodann pointiert: „Dass ich endlich mal mein Leben wieder zurückhaben kann“. 4.6.8 Zusammenfassende Diskussion der Perspektive der Eltern auf die SPF Wie die Ergebnisse zeigen, benennen Eltern oft anhaltende und ineinander verwobene Probleme, die zu belastenden familiären Lebenslagen führen, welche mit Nachteilen für das Kind und seine Entwicklung verbunden sind. Diese sollen mit der SPF aufgeschlüsselt, die einzelnen Probleme bearbeitet und wenn möglich nachhaltig gelöst werden, damit sich die familiäre Situation stabilisiert und das Kind wieder diejenigen Bedingungen in der Familie vorfinden kann, die für seine Entwicklung förderlich sind. Ob ein solcher Hilfeprozess vielversprechend startet, entscheidet sich dem- nach oft schon in einer ersten Phase der Begleitung. Denn unabhängig davon, ob die SPF vereinbart oder angeordnet wurde, sehen sich die befragten Eltern zu Hilfebeginn mit Ängsten und Befürchtungen konfrontiert, im Unwissen darüber, was die Durchführung der SPF konkret für sie bedeutet. Als Gründe ihrer Befürchtungen nennen Eltern die potenzielle Kindswegnahme, das Unbe- kannte, das der SPF anhaftet, sowie die Kontrollfunktion, die der SPF in ihren lebensweltlichen Kontexten anscheinend zugedacht wird. Diese Ungewisshei- ten, evtl. in Verbindung mit bereits bestehenden Erfahrungen mit anderen Diensten/Behörden, macht es den Eltern schwer, realistisch abzuschätzen, wozu die mit institutioneller Macht ausgestatte Fachperson diese Macht faktisch nutzen kann. Nicht zuletzt sehen sich die Betroffenen mit der Situation konfrontiert, eine fremde Person in ihren intimsten Lebensbereich – ihre Wohnung – hineinzu- lassen und sich dieser mit ihren eigenen Ängsten und Schwächen zu offenbaren, im Nichtwissen darüber, welche Konsequenzen dieser Schritt für die eigene Familie haben kann. Vor diesem Hintergrund erstaunt es nur wenig, dass die Arbeit an der Vertrauensbasis über alle Familien hinweg eine bedeutsame und notwendige Komponente gelungener Hilfeverläufe repräsentiert. Gelingt es der Fachperson, vorurteilsfrei mit neuen Ideen und Vorschlägen die familialen Problembelastungen zu reduzieren, lösen sich meist auch die eingangs vorhan- denen Befürchtungen zugunsten einer kooperativen Arbeitsbeziehung.55 55 Wolf (2006) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sich Hilfeprozesse, in denen diese Umdeutung – weg von einer Bedrohung hin zu einer professionellen Unterstützung – 151 In diesem Zusammenhang spielt auch die Organisation von Entlastung eine bedeutsame Rolle, sofern sie die Ausgangsbedingungen für die weitere Pro- blembearbeitung in der Familie verbessern kann. Schliesslich vermitteln flexible Erreichbarkeit und Ansprechbarkeit der Fachperson ein Gefühl der Sicherheit in Not- und Krisenzeiten – und dies umso mehr, als die Familien des MWA- Samples scheinbar mehrheitlich über schwache soziale Netzwerke verfügen. Diese Form der Arbeitsbeziehung muss allerdings immer wieder reflektiert und auf den Prüfstand gestellt werden, zumal die von den Eltern beschriebenen Formen persönlicher Nähe (Freundin, zweite Mutter, Tante) mitunter auch kritisch betrachtet werden kann. Zumindest ist nicht von der Hand zu weisen, dass zu viel persönliche Nähe den aktiven Ausbau familienexterner Netzwerke als hinfällig erscheinen lässt. Weiter verdeutlichen die Hinweise aus den Interviews, dass eine positive Beziehung zwischen Fachperson und Kind nicht nur deren Selbstwertgefühle erhöhen, sondern sich auch bestärkend auf die Arbeitsbeziehung zwischen Eltern und Fachperson auswirken kann. Der Einbezug aller Familienmitglieder in die Aktivitäten der SPF – und damit verbunden: gemeinsam erlebte Aktivi- täten – werden für den Zusammenhalt der Familie sowie die Förderung der Beziehungen untereinander als unterstützend erlebt. Entsprechend kann der (aktive und passive) Einbezug der Kinder in die Aktivitäten der SPF als eine weitere Wirkvoraussetzung aufgefasst werden.56 Dies gilt nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Unterstützung von Eltern in schulischen Angelegenheiten, die für rund die Hälfte der Eltern des Samples zum festen Bestandteil der hilfeaus- lösenden Problemkonstellation zählt. Im Grundsatz wird die Vermittlung und Organisation weiterer unterstüt- zender Hilfen von den Eltern als entlastend und hilfreich erlebt. Zum überwie- genden Teil handelt es sich um die Erschliessung familienexterner Unterstüt- zungsressourcen (z. B. Hausaufgabenhilfe, Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder, Vermittlung von psychologischen oder juristischen Hilfen u. ä. m.), während familieninterne bzw. familiennahe Unterstützungsressourcen (Gross- eltern, Verwandte, Nachbarn, Arbeitskolleg/innen) – sofern vorhanden – oft- mals wenig förderlich sind. Interessanterweise finden sich kaum Hinweise zu weniger hilfreich erlebten Aspekten der SPF. Die wenigen kritischen Anmerkungen dazu beziehen sich nicht stattgefunden hat, kaum noch weiterentwickelten und am Ende als relativ unwirksam wahrgenommen wurden (ebd., S. 87). 56 Interessanterweise wird in keinem Elterninterview das Konfliktpotenzial angesprochen, das mit der Einrichtung einer Arbeitsbeziehung mit dem Kind einhergeht, sofern damit ein alternatives resp. konkurrierendes Erziehungs- und Beziehungsmuster in der Familie im- plementiert wird, das die familiale Autonomie potenziell bedroht, vgl. auch Köngeter 2013, S. 190 f. 152 durchweg auf vorherige Fachpersonen, was als ein Indikator für eine gelingende und tragfähige Arbeitsbeziehung aufgefasst werden kann. 4.7 Die unerforschte Sichtweise der Kinder auf die SPF Die Lebenslage und Lebensverläufe von Kindern werden massgeblich von ihrer familiären Situation beeinflusst, was die Bedeutung der Familie im Hinblick auf Kindheit unterstreicht (vgl. Liegle 2005, S. 516). In diesem Zusammenhang ist die Soziale Arbeit gefordert, auf belastete Kindheit im Kontext von Familie zu reagieren. Als eine intensive institutionelle Reaktion in Familien in prekären Lebenslagen ist SPF weit verbreitet. Doch obwohl die Orientierung am Fami- liensystem den Kern des methodischen Ansatzes der SPF bildet (und Familie zudem erst durch Kinder entsteht, vgl. Schier/Jurczyk 2008; Baader 2013, S. 220), gibt es bislang kaum (und im Kontext der Schweizerischen SPF über- haupt keine) Untersuchungen darüber, wie Kinder im Zuge der Hausbesuche eingebunden und berücksichtigt werden. Gleichzeitig weisen die Ergebnisse verschiedener Studien und Analysen auf die Bedeutung der konzeptionellen Berücksichtigung von Kindern sowie deren Umsetzung im Rahmen der SPF- Intervention hin (vgl. Messmer et al. 2019, S. 47 sowie die Ausführungen in Kap. 2.4). Die Kooperation mit dem Kind und die Beteiligung des Kindes am Hilfeprozess stellen dabei wichtige Indikatoren in Bezug auf die Wirkungen dar (vgl. Schmidt et al. 2002, S. 33). Daneben fehlt es ferner an Erkenntnissen dar- über, wie Kinder die SPF wahrnehmen und erleben (vgl. Rosenbauer 2010, S. 474). Einen Beitrag zur Schliessung dieser Forschungslücke leisten 19 Inter- views, die im Rahmen dieser Studie mit sechs- bis zwölfjährigen Kindern zu ihrer Sichtweise und ihrem Erleben auf die SPF durchgeführt wurden. 4.7.1 Datengrundlage und methodisches Vorgehen Ausgehend vom Forschungsvorhaben – Kinder im Rahmen von qualitativen Interviews zu ihrer subjektiven Sichtweise auf SPF zu befragen – galt es zu- nächst zu bestimmen, was unter „Kinder“ überhaupt verstanden wird, wann Kindheit anfängt und aufhört, sofern diese als eine sozial konstruierte und eine dem historisch-kulturellen Wandel unterworfene Kategorie von verschiedenen Disziplinen (Psychologie, Medizin, Soziologie, Pädagogik, Recht, Philosophie) 153 unterschiedlich definiert und bezüglich ihrer Grenzen jeweils anders aufgefasst wird (vgl. Deckert-Peaceman/Dietrich/Stenger 2010, S. 62).57 Mit Blick auf die Bestimmung der Altersgrenzen der Kinder zu Studienzwe- cken waren folgende Überlegungen konstitutiv: Die Grundschulzeit in der Schweiz umfasst Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren und berührt die Lebensspanne der mittleren und späten Kindheit. Damit war ein erster Richt- wert gegeben, wobei die Altersuntergrenze mit der Befragbarkeit von Kindern im Rahmen qualitativer Interviews zusammenfällt. Demnach liegt das empfoh- lene Mindestalter für Interviews mit Kindern zwischen frühestens fünf bis sie- ben Jahren, wobei das sogenannte Schulreifealter (6–7 Jahre) als Wendepunkt in der Entwicklung gilt, sofern das Sprachwissen erweitert, die Lesefähigkeit erlangt und das Kind befähigt wird, unterschiedliche Perspektiven einzuneh- men (vgl. Vogl 2015, S. 17). Das Denken und Sprechen wird in dieser Entwick- lungsphase flexibler und abstrakter. Sechs- bis siebenjährige Kinder können zudem die eigenen Gefühle von denen anderer unterscheiden (ebd., S. 35). Ebenso überzeugt eine Altersobergrenze von zwölf Jahren, die den Eintritt in die Lebensphase Jugend markiert. Diese geht einher mit abnehmendem Ein- fluss der Eltern, mit einem beginnenden Ablösungsprozess von der Familie sowie einer Relativierung der Rolle der Eltern. Ausgehend von diesen Vorüberlegungen wurden bei der Durchführung des qualitativen Teils dieser Studie alle Kinder der teilnehmenden Familien im Alter von sechs bis zwölf Jahren für ein Interview angefragt. Alle Kinder sagten zu, womit insgesamt 19 Kinder aus 16 Familien befragt werden konnten. Das Durchschnittsalter der Kinder betrug zum Zeitpunkt der Befragung neun Jahre. In drei Familien wurden zwei Kinder befragt, wobei ein Interview auf Wunsch der Kinder mit beiden gleichzeitig stattfand. Mit 16 Jungen zu drei Mädchen waren die Jungen deutlich in der Überzahl.58 Elf Geschwisterkinder wurden aufgrund ihres Alters nicht befragt. Davon waren acht unter sechsjährig und drei bereits im Jugendalter. Das Alter der Kinder spielt auch für die Methodik der Befragung eine zen- trale Rolle. Da es bezüglich der Frage, für welches Alter welche Methode geeig- 57 Nach heutigem Verständnis beginnt die Kindheit mit der Geburt. Bezüglich ihrer Ober- grenze hingegen besteht Uneinigkeit. Je nach Fachrichtung markieren unterschiedliche Alter das Ende der Kindheit, das meist zwischen dem vollendeten 12. und 14. Lebensjahr angesiedelt wird. Vor dem Hintergrund unterschiedlicher Altersdefinitionen wurde auf eine dem schweizerischen System zugrundeliegende schullogische Definition von Kindheit zurückgegriffen. 58 Der hohe Anteil an Jungen im Sample deckt sich mit den Daten zur SPFH in Deutschland, wonach konstant Jungen und junge Männer in der SPFH eher vertreten waren als Mäd- chen und junge Frauen. Die grössten geschlechtsspezifischen Diskrepanzen ergaben sich bei den sechs bis unter 14-Jährigen (vgl. Fendrich/Pothmann/Tabel 2018, S. 71). 154 net ist, keine eindeutigen Antworten gibt, kommen Balmer, Werner und Wustmann (2010) in Anlehnung an Lohaus (1989) zum Schluss, dass es letzt- lich im Ermessen der Forschenden liegt, die Befragung so zu gestalten, dass sie den sprachlichen und kognitiven Fertigkeiten der Kinder entsprechen. Im Wis- sen um diese Notwendigkeit (vgl. Wehner/Werner 2008, S. 48), wurde für die zu befragenden Kinder ein angepasster Interviewleitfaden erstellt. Um v. a. jüngere Kinder nicht zu überfordern, war auf einen zeitlich begrenzten Rahmen zu achten (vgl. Balmer/Werner/Wustmann 2010, S. 79). Das Kinderinterview sollte daher nicht mehr als 30 Minuten in Anspruch nehmen. Die durch- schnittliche Interviewdauer betrug indes zwischen 20 und 45 Minuten. Herausforderungen situationsnaher Interviews Das Interview mit dem Kind/den Kindern wurde jeweils im Anschluss an die beobachteten Hausbesuche durchgeführt. Diese situationsnahe Interviewform zeichnet sich dadurch aus, dass Kinder zu Geschehnissen, Situationen und Handlungen befragt werden, die während der vorangegangenen Intervention stattgefunden haben (vgl. Deckert-Peaceman/Dietrich/Stenger 2010, S. 70). Situationsbezogene Interviews finden sich vor allem in ethnografischen Ansät- zen: „dort ergänzen sie häufig die teilnehmende Beobachtung um die subjekti- ven Bedeutungszuschreibungen der Kinder“ (Fuhs 2012, S. 94). Der Ort, an dem das Kinderinterview durchgeführt wurde, war demnach identisch mit dem Ort der Beobachtung der Hausbesuche, also das familiäre Zuhause. Zusammen mit den Personen, mit denen die Kinder gerade noch interagiert haben (sofern sie anwesend waren), diente die Örtlichkeit der Interviewführung auch als Ge- dächtnisstütze und Erzählhilfe für die Kinder (vgl. ebd., S. 94). Mitunter erwies sich das situationsnahe Vorgehen in der praktischen Durchführung als herausfordernd. Neun Kinderinterviews wurden erst nach 16 Uhr geführt, sechs davon erst nach 17.30 Uhr. Zum Interviewzeitpunkt hatten diese Kinder bereits einen langen Tag hinter sich, gefüllt mit Schule und sozial- pädagogischer Begleitung. Die anderen neun Interviews fanden am Nachmittag zwischen 13 und 16 Uhr statt. Diese eher moderaten Uhrzeiten waren jedoch dem Umstand geschuldet, dass fünf Kinder bei den Hausbesuchen nicht zuge- gen waren. Bei den anderen vier Kindern verkürzte die Fachperson entweder die Intervention oder machte es möglich, dass die Interviews parallel zum Hausbesuch stattfinden konnten (meist in einem Nebenzimmer). Eine andere Herausforderung stellte in den Interviews die Deutschsprach- kompetenz der Kinder dar. In einem Interview fühlte sich ein (beim Hausbe- such abwesendes) Kind überfordert und beteiligte die Mutter als Übersetzerin im Gespräch. In zwei weiteren Fällen konnten die Kinder (beide abwesend beim beobachteten Hausbesuch) wenig oder keine Auskünfte geben. Die Müt- ter kommentierten entsprechend, dass der Mangel an Wissen über die SPF aus 155 dem Umstand resultiere, dass die Kinder kaum je in die Aktivtäten der SPF einbezogen waren. Thematische Schwerpunkte des Interviewleitfadens Die thematischen Schwerpunkte des Interviewleitfadens zielten auf das Erleben der Kinder und ihre subjektive Sichtweise auf SPF. In Anknüpfung an die ge- meinsam – aber aus unterschiedlichen Blickwinkeln – erlebte Intervention eröffnete die interviewführende Person das Interview mit Rekurs auf eine im Rahmen des Hausbesuchs beobachte Situation, so z. B. „Heute habe ich beob- achtet, dass der Familienbegleiter mit dir und deiner Schwester Fussball gespielt hat.“ Da Forschungsfragen einen Konnex zur Lebenswelt der Kinder aufweisen sollten (vgl. Balmer/Werner/Wustmann 2010, S. 79), richtete sich der Inhalt des Interviews so weit als möglich auf die individuelle Erfahrung der Kinder. An- schliessend wurde das Kind im Sinne einer Eröffnungsfrage um eine Einschät- zung gebeten, wie es bspw. das Fussballspiel erlebt hat: „Manche Kinder finden es blöd, dass der Familienbegleiter Fussball spielt mit den Kindern, andere Kinder finden das toll. Wie ist das bei dir?“ In Anlehnung an Nestmann et al. (2008, S. 60 f.) verfolgt dieser Frageaufbau das Ziel, das „unterschwellig viru- lente asymmetrische Erwachsenen-Kind-Verhältnis“ (Deckert-Peaceman/Diet- rich/Stenger 2010, S. 69) zu neutralisieren. Da das Wissens- und Kompetenz- gefälle zwischen Forschenden und Kind schnell dazu beitragen kann, dass Letztere sich in ihrem Antwortverhalten an den vermuteten Präferenzen der Ersteren orientieren, wurden die Fragen so formuliert, dass beide Antwort- Optionen (Fussball spielen ist doof/Fussball spielen macht Spass) als potenziell „richtig“ anerkannt wurden. Im Anschluss an die Antwort des Kindes wurden sodann fallweise Nachfragen oder weiterführende Fragen zur Begleitung im Rahmen der SPF formuliert (z. B.: „Weshalb hat dir das Fussballspiel gut gefal- len?“ bzw. „Warum hast du es doof gefunden?“). Ausgehend von der situa- tionsnahen Beobachtung wurden weitere Anschlussfragen formuliert, bspw. „Was machst du mit dem/der Familienbegleiter/in am liebsten?“; „Nenne mir drei Dinge, die du sonst noch gerne mit dem/der Familienbegleiter/in machst.“; „Was war das allerblödeste, dass der/die Familienbegleiter/in mit euch gemacht hat?“ usw. Um das monotone Frage- und Antwortmuster zwischen Interviewenden und Kind zu durchbrechen und die Aufmerksamkeit des Kindes aufrechtzuer- halten (vgl. Balmer/Werner/Wustmann 2010, S. 79), wurden den Kindern an verschiedenen Stellen des Interviews selbstgestaltete kinderfreundliche Ein- schätzungsskalen mit Smileys vorgelegt, bspw. in Bezug auf die Frage, wie gut ihnen ein spezifisches Vorgehen im Rahmen des Hausbesuches gefallen hat oder welcher Person aus der Familie die Fachperson am meisten Zuwendung schenkt. 156 Weitere Themenschwerpunkte bezogen sich auf die Anlassgründe für die SPF sowie auf die wahrgenommenen Veränderungen in der Familie. Die Kin- der wurden bspw. dazu befragt, ob sie wüssten, weshalb der/die Familienbe- gleiter/in zu ihnen nach Hause kommt, ob sich durch diese Besuche etwas ver- ändert hat und was die Gründe für die Veränderung sein könnten. Auch hier waren die Fragen kindgerecht formuliert: „Sag mal, manche Kinder wissen, weshalb Herr/Frau XY zu Besuch kommt, andere wissen das nicht. Wie ist das bei dir: Weisst du, weshalb Herr/Frau XY deine Familie begleitet?“59 Auswertung der Interviews Die Interviews wurden mit dem Einverständnis von Eltern und Kinder aufge- zeichnet und anschliessend wörtlich transkribiert. Die Auswertung der Inter- views erfolgte auf der Basis der qualitativen Inhaltsanalyse (vgl. Mayring 2010a), unterstützt durch die Software Atlas.ti. Die Stärke der qualitativen In- haltsanalyse liegt in einem an Kategorien(-systemen) orientierten Vorgehen, mit dem das transkribierte Kommunikationsmaterial in thematische Analyse- einheiten zergliedert werden konnte (vgl. Mayring 2010b). Das Kategoriensys- tem wurde induktiv aus dem Material heraus entwickelt. 4.7.2 Wie erleben Kinder die Sozialpädagogische Familienbegleitung? Wie Kinder die SPF erleben, wie sie die Hausbesuche wahrnehmen und für sich bewerten, hängt einerseits vom Ausmass ihres Einbezugs und ihrer Berück- sichtigung während des Hausbesuchs ab, andererseits aber auch von der Ge- staltung des jeweiligen Settings. Ungeachtet dieser Unterschiede förderten die einzelnen Interviews zahlreiche Gemeinsamkeiten zutage. Aspekte, die von den Kindern mehrfach thematisiert wurden, fokussieren auf die Rolle des Spiels und der gemeinsamen Freizeitgestaltung, ferner auf die methodisch angeleitete Problembearbeitung (z. B. mit Plänen oder Arbeitsblättern), auf die Unterstüt- 59 Zur Unterstützung und als Hilfe beim Erzählen einer Situation war ursprünglich ange- dacht, auch auf die von Melzer und Methner (2012, S. 93) vorgestellte Methode „Nach- spielen einer Situation mit Playmobilfiguren“ zurückzugreifen. Diese Methode wurde im Rahmen der ersten Kinderinterviews in abgeänderter Form mit Holzklötzen und Spiel- brettfiguren zum Intervieweinstieg den Kindern angeboten. Dabei wurde das Kind dazu angeregt, den Hausbesuch nachzuspielen resp. nachzuerzählen. Die interviewende Person hatte entlang der Erzählung des Kindes Konkretisierungsfragen zu stellen wie: Was hast du dabei gedacht? In der Praxis hat sich diese Methode als eher ungeeignet erwiesen, da zahl- reiche Hausbesuche überwiegend aus Gesprächen bestanden und zu Hause an den Kü- chen- oder Wohnzimmertischen stattfanden. 157 zung bei den Hausaufgaben, auf das gemeinsame Gespräch sowie auf die emo- tionale Unterstützung durch die Fachperson. SPF als Spiel und gemeinsame Freizeitgestaltung In den kindlichen Erzählungen werden Spiel, gemeinsame Freizeitgestaltung und gemeinsame Aktivitäten in unterschiedlicher, jedoch ausnahmslos positi- ver Weise thematisiert. Bezogen auf ihren Alltag im Hier und Jetzt erzählen 14 Kinder von Aktivitäten, die entweder in der letzten Zeit stattgefunden haben oder wiederkehrende Elemente der Hausbesuche sind, bspw. Kuchen und Kekse backen, gemeinsame Spaziergänge, Fahrrad/Tretroller fahren, Fussball/ Hockey spielen, in den Tierpark gehen, Picknicken, Basteln oder mit Legos und Plüschtieren spielen. Des Weiteren berichtet die Mehrheit der befragten Kinder sichtlich erfreut, dass die Fachperson häufiger mitgebrachte oder bereits vorhandene Gesellschaftsspiele mit ihnen und/oder der gesamten Familie spielt. Entsprechend erlebt es Lara (8) dann auch als Enttäuschung, dass der Familien- begleiter keine Spiele mehr mitbringt, wie dies früher der Fall war. Werden die Hausbesuche vorwiegend als ein spielerfülltes Gemeinsames-Zeit-Verbringen erlebt, freuen sich die Kinder in aller Regel auch auf die Besuche der Fachper- son. „Ich freue mich eigentlich sehr, wenn der Familienbegleiter kommt […], weil mit dem kann man eben immer Spass haben“, erzählt Jerome (10), wäh- rend Ben (8) sich freut, „weil sie mit uns Sachen macht, so coole“. Auf die Frage, was die Kinder genauso machen würden, wenn sie in der Rolle der Fachperson wären, nennen die Kinder häufig verschiedene Aktivitä- ten, die ihnen im Rahmen der Hausbesuche Spass bereitet haben. So benennt Jaron (6) das „Spielen“, Hugo (10) „das Backen, Spielespielen und viel Hinaus- gehen“ und Marco (6) „das Ninja-Kleben“. Wäre Hernan (9) die Familien- begleiterin, würde er wie folgt vorgehen: „Also, ich würde fragen: Was wollt ihr machen? Und das oder das, und wenn die Eltern es erlauben, dann würde ich es mit ihnen machen. Und wenn die Eltern es nicht erlauben, dann mache ich halt irgendetwas anderes. Aber auch so backen und hinausgehen“. Das „Hinausge- hen“ und das „Draussen-gemeinsam-etwas-Erleben“ sind Themen, die in Kin- derinterviews wiederholt angesprochen werden. Auch Luan (8) würde – wäre er der Familienbegleiter – „mit den Kindern nach draussen gehen“. Daneben würde er auch „anderen Leuten helfen und, äh, helfen der Mama und dem Papa“. SPF als methodisch angeleitete Problembearbeitung Aus neun Kinderinterviews geht hervor, dass die Fachperson die Intervention dazu nutzt, um mit den Kindern verschiedene Themen und Probleme zu bear- beiten. Methodisch angeleitet wird dieser Bearbeitungsprozess in Form von 158 Kärtchen, Punktekarten, Plänen, Arbeitsblättern u. ä. m. Inhaltlich richtet sich der Fokus häufiger auf den Umgang mit Medien bzw. den Medienkonsum der betreffenden Kinder, auf Besuchsregelungen zwischen den Sorgeberechtigten, auf Massnahmen zu Streitereien zwischen Geschwistern oder auf die Zimmer- ordnung. Diese methodisch angeleitete Form der Problembearbeitung geht nach Aussagen der Kinder mit vielen Gesprächen einher. Dies wird von den Kindern – teils altersbedingt – ambivalent eingeschätzt und bewertet. In der Tendenz zeigt sich, dass diese Arbeitsweise mit zunehmendem Alter der Kinder eher Zuspruch findet, während die jüngeren dieser emotionsarmen Interven- tionsform eher gelangweilt gegenüberstehen. SPF als Hausaufgabenhilfe Die Hausbesuche der Fachperson erleben Hugo (10), Anton (11), Simona (12) und Jerome (10) als nützliche Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Hausaufgaben. Hugo: „Sie nimmt immer Spiele mit und wir können zusammen spielen. Und sie hilft mir bei den Hausaufgaben.“ Konträr dazu äussert sich einzig Luan (8). Auf die Frage, was er weniger gerne mache mit dem Familien- begleiter, lautet die Antwort: „Lesen.“ Unsicher scheint er über den Grund für diese Aktivität: „Keine Ahnung. Dass ich besser lesen kann?“. Seine Aussage deutet darauf hin, dass Luan über das Ziel der Hausaufgabenhilfe nicht in Kenntnis gesetzt wurde.60 SPF als verbale Interaktion (Gespräche) Nur wenige Kinder bewerten die Hausbesuche der Fachperson als gleichgültig oder beschreiben sie als langweilig. Als langweilig erleben Kinder die Besuche jedoch immer dann, wenn ihrer Ansicht nach „nur“ geredet wird, wenn also SPF hauptsächlich in Form von Gesprächen durchgeführt wird. Tobias (10) erklärt diesbezüglich: „Es war halt irgendwie alles wie immer“. Es gibt für ihn nichts, dass er in Bezug auf die Hausbesuche schlecht findet, „aber mir ist es halt immer ein bisschen langweilig bei diesen Terminen“. Langweilig vor allem deshalb, weil seiner Ansicht nach zu viel geredet wird und er selbst nicht so gesprächig ist. Auch Vanessa (11) erlebt die Begleitung primär als Gespräch zwischen Fa- milienbegleiter und Familie und bewertet dies als wenig aufregend: „Er macht eigentlich nichts ausser mit uns reden.“ Das sei jedoch okay für sie: „Also, wenn 60 Aus dem Interview mit der Fachperson geht hervor, dass die Schule als Ziel formuliert hat, dass Luan bessere Deutschkenntnisse erwerben soll. Das Lesen mit der Fachperson gehört nun zum Einstieg (10–15 Minuten) der Hausbesuche und stellt nach Angaben der Fachper- son gleichzeitig eine kostbare Zeit für das Kind allein dar – ohne Anwesenheit des Bruders. 159 er kommt, dann sage ich nicht ‚ohhh‘ (nervig) oder ‚jaaa‘ (freudig). Es ist für mich okay. Also normal.“ „So normal“ erlebt auch Adrian (12) die hauptsäch- lich aus Gesprächen bestehenden Hausbesuche: „Hmm, ich bespreche eigent- lich nur und rede.“ Seine Schwester Lara (8) hingegen bezeichnet diese Gesprä- che und das damit verbundene Setting – am Tisch sitzen – als langweilig. Pas- send dazu antwortet Lara auf die Frage „stelle dir vor du wärst der Familienbe- gleiter, was würdest du sofort ändern im Rahmen der Begleitung?“ mit: „zeich- nen“. Würde Lara anstelle des Familienbegleiters ihre Familie begleiten, dann würde sie den Kindern während der Gespräche auch noch etwas zum Malen anbieten. SPF als emotionale Unterstützung Emotionale Unterstützung seitens der Fachperson wird lediglich von Simona (12) und Jerome (10) bewusst erlebt und thematisiert. Für diese beiden Kinder änderten sich deren Lebensumstände während des Begleitprozesses in bedeut- samer Weise: Simona zog auf eigenen Wunsch zu ihrer Grossmutter, Jeromes Vater zog aus der gemeinsamen Familienwohnung aus, weil sich die Eltern trennten. In dieser Zeit erlebt es Simona als Unterstützung, dass jemand für sie da war und erkannte, dass sie in dieser schwierigen Situation Hilfe brauchte. Jerome wiederum erlebt den Familienbegleiter als Person, die ihn aufheitert, wenn er traurig ist. Auf die Frage, was Jerome mit dem Familienbegleiter am liebsten macht, äussert er sich wie folgt: „Ich glaube, dass ich mit ihm reden und spielen kann“. Darüber hinaus führt er an, dass er dank des Familienbe- gleiters viel für sich habe klären können. Hausbesuche in Abwesenheit der Kinder Fünf Kinder waren während der beobachteten Hausbesuche abwesend bzw. im Kinderzimmer, also selbst nicht beteiligt. Da diese Kinder auch bei den anderen Hausbesuchen wenig bis keine Berücksichtigung fanden, fehlte ein gemeinsa- mer Referenzrahmen für die Interviews. In drei dieser Interviews dominierten zudem die anwesenden Mütter das Interview, so dass das Kind selbst wenig Auskunft geben konnte. So erklärt bspw. Frau Ronchi, die Mutter von Massimo (8): „Also die Familienbegleiterin kommt jeweils meistens, wenn er also nicht zu Hause ist“. Und auch Frau Baan, die Mutter von Huy (7), kommentiert: „Also die Kinder haben sie [die Familienbegleiterin] nur zweimal gesehen. Da- nach nicht mehr“. Massimo weiss zumindest, dass die Familienbegleiterin die Mutter besucht, wenn er in der Schule ist, was er mit Blick auf seinen Stun- denplan sowie einer Frage an seine Mutter bestätigt. Im Gegensatz dazu ist Fabio (10) nicht immer darüber informiert, wann ein Hausbesuch ansteht. Dazu sagt er: „Aber Papi warnt mich ab und zu im Voraus. Aber nicht immer.“ 160 Unternommen habe Fabio mit der Familienbegleiterin bis anhin noch nichts. Wie folgender Auszug aus dem Interview zeigt, erlebt sich Fabio nicht als Ad- ressat der Familienbegleitung, was ihm gleichgültig zu sein scheint: I: Was wird denn so gemacht, wenn [die Familienbegleiterin] hier ist? K: Dann gehe ich in mein Zimmer. I: Ah, dann gehst du ins Zimmer. K: Und spiele Lego. I: Und spielst Lego? Okay. Und weisst du also gar nicht, was dann genau gemacht wird? K: Hm. Mir ist es auch egal. (Kinderinterview 4c, Z. 160–170) Im Gegensatz zu Fabio steht Pedro (12) der Familienbegleitung nicht gleich- gültig gegenüber. Im Gegenteil. Er erlebt die Familienbegleitung in allen Punk- ten negativ und wo immer möglich, verweigert er den Kontakt zur Familien- begleiterin. Er freut sich nicht, wenn sie kommt, möchte nicht, dass sie kommt, es stört ihn alles und er ärgert sich über alles im Zusammenhang mit der Be- gleitung. Dies, obwohl er nach eigenen Angaben kaum miteinbezogen wird: „Nein, die reden einfach“, sagt Pedro, „Ich bin meistens in meinem Zimmer und warte, bis es fertig ist.“ Auf die Frage, ob er benennen könne, was für ihn an den Hausbesuchen das Allerblödeste sei, antwortet er (nahezu philoso- phisch): „Alles ist eigentlich gleich blöd. Alles ist am höchsten in Bezug auf das Blöd-Sein“. Dass er die Familienbegleiterin nicht leiden könne, läge daran, dass sie ihm so viel verbiete. Was alles verboten wird, kann oder will Pedro nicht sagen, aber als „eigentlich etwas der schlimmsten Sachen“ bezeichnet er die Tatsache, dass er seinen Vater nur noch im Rahmen einer begleiteten Besuchs- regelung sehen darf. Die Hausbesuche der SPF werden von ihm als Eingriff in sein Familienleben erlebt, was für ihn ausschliesslich Nachteile nach sich zieht. Dies könnte auch ein Grund dafür sein, dass er alle Beziehungsangebote der Familienbegleiterin konsequent abblockt und selbst Spielangebote ausschlägt: „Sie wollte mal Uno spielen, aber ich wollte nicht. […] Nicht mit ihr“. 4.7.3 Begleitgründe aus Kindersicht Eine anspruchsvolle Frage für die Kinder war die nach den Begleitgründen von SPF. Dies in verschiedener Hinsicht: zum einen, da bei einigen Kindern schwie- rige Situationen zu ihrer Lebensrealität gehör(t)en, welche die Kinder vielleicht nicht umstandslos erzählen wollten oder konnten. Altersbedingt oder im Rah- men des Interviewsettings war es ihnen nicht möglich, über diese Vorkomm- nisse zu sprechen oder sie in Verbindung zu bringen mit den Interventionen von SPF. Da viele Begleitungen ausserdem bereits über mehrere Jahre andau- 161 erten, vermochten sich einige Kindern nicht mehr zu erinnern, was der aus- schlaggebende Begleitgrund gewesen sein könnte oder aktuell ist. Zum anderen sind „diffuse“ Begleitgründe wie überforderte oder erschöpfte Eltern mit Mehrfachbelastungen für die betroffenen Kinder, die damit aufwachsen, alters- bedingt kaum adäquat einzuordnen bzw. zu verstehen, geschweige denn zu reflektieren und in Worte zu fassen. Die Datenanalyse zeigt auf, dass die meisten Kinder über den Anlass der Be- gleitung keine oder nur vage Ansichten haben. Insgesamt sieben Kinder ant- worteten auf die Frage: „Sag mal, manche Kinder wissen weshalb der/die Fami- lienbegleiter/in zu Besuch kommt, andere wissen das nicht. Wie ist das bei dir: Weisst du, weshalb Herr/Frau XY deine Familie begleitet?“, mit einem schlich- ten „Nein“ oder einer verneinenden Lautäusserung (mhmh) oder Gestik (Kopf- schütteln). Auch auf Nachfrage konnten oder wollten die Kinder keine Begleit- gründe nennen. Sechs Kinder hingegen formulieren vage Annahmen über die Begleitgründe, ohne diese genauer erläutern oder mit einem Ereignis in Verbindung bringen zu können. Als Schlagworte werden „Probleme“, „Schwierigkeiten“ und „Hel- fen“ genannt. So antwortet Jerome (10): „Ich weiss, dass wir Probleme haben. Aber ich weiss nicht, wegen welchen Problemen er kommt.“ Carlo (9) erklärt sich die Begleitung damit, dass sein Vater Hilfe braucht: „Weil er es nicht al- leine schafft“. Es sei manchmal etwas schwierig für den Vater, ohne dass Carlo genau benennen kann, worin diese Schwierigkeiten bestehen. Sein Bruder Ben (8) hingegen weiss zwar ebenfalls nicht weshalb, aber seiner Meinung nach kommt die Familienbegleiterin „um etwas zu helfen“. Und auch Luan (8) sieht die Hilfestellung als Begleitgrund ohne genauere Angaben darüber machen zu können, wobei geholfen wird. Drei Kinder benannten die Streitereien (entweder zwischen Geschwistern oder mit den Eltern) als Grund für die Hausbesuche der SPF. Lara (8) und Marco (6) nehmen an, dass ihre Familien begleitet werden, damit sie selbst weniger mit ihren Geschwistern streiten und – laut Marco – „um mit Mami und Papi zu reden“. Für Tobias (10) sind ebenfalls die Streitereien zwischen ihm und seiner Mutter Grund für die Begleitung: „Boah, wie soll ich das jetzt erklären? Dass es uns bessergeht, dass wir nicht mehr so viel Streit haben“. Drei weitere Kinder benannten Probleme im Zusammenhang mit der Tren- nung/Scheidung der Eltern sowie die Alkoholsucht eines Elternteils. So Hugo (10): „Ich glaube, dass sie unsere Familie begleitet, weil es für uns schwierig ist. […] Unser Vater ging weg. Hat uns verlassen. […]. Bei uns ist es jetzt schwierig, und dann hilft uns die Familienbegleiterin immer.“ Auch Pedro (12) erlebt die Scheidung der Eltern als Begleitgrund: „Weil meine Mutter mit meinem Vater geschieden ist. Und dann hat meine Mutter mir gesagt, dass dann meistens jemand kommt.“ Weiter begründet Pedro die Begleitung mit der Alkoholsucht seines Vaters. Und auch Simona (12) benennt die Alkoholkrankheit ihrer 162 Mutter sowie damit verbunden ein bestimmtes Ereignis als auslösenden Mo- ment für die Begleitung: „Meine Mama hat ein Alkoholproblem. Und ich war dann halt ziemlich jung. Und ich war mit ihr in den Ferien. Sie hat mir zwar versprochen, dass sie nicht trinken wird, aber sie hat es halt und das geht ja nicht, hat der Kinderschutz gesagt oder halt, ja, die Gemeinde. Und dann haben sie wahrscheinlich gesagt, dass es so ja nicht geht, und dann haben sie wahr- scheinlich die Familienbegleiterin eingestellt“. 4.7.4 Wahrgenommene Veränderungen aus Kindersicht Abschliessend wollten wir in Erfahrung bringen, ob die Kinder Veränderungen innerhalb der Familie wahrgenommen haben, die sie auf die Familienbeglei- tung zurückführen können. Acht der befragten Kinder konnten keine Verände- rungen wahrnehmen oder wussten nicht, ob sich etwas verändert hat: „Es hat sich gar nichts verändert“ oder „Ich weiss es nicht“ sind gängige Antworten der Kinder. Sieben Kinder konnten zwar Veränderungen wahrnehmen, aber nicht genau benennen, inwieweit diese auf die SPF zurückgeführt werden können. Bezüglich Veränderungen sagt Vanessa (11), dass sie besser in der Schule wurde, weil sie jetzt aufgrund ihrer attestierten Matheschwäche einen Taschen- rechner benutzen darf. Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen der Fa- milienbegleitung und der Matheschwäche kann Vanessa nicht aufklären: „Wir waren einfach hier und dann ging ich zu einer Frau, die hier hinten wohnt, also arbeitet, und dann musste ich bei ihr Sachen machen. Aber ich weiss jetzt nicht, ob [der Familienbegleiter] half oder so. Ich glaube schon, aber ich weiss nicht“.61 Klar benennen, was sich verändert, sogar verbessert hat und weshalb, kön- nen dagegen die beiden Kinder, welche die SPF als emotionale Unterstützung in einer für sie schwierigen Lebensphase erlebt haben. Für Simona (12) hat die Fachperson einerseits eine Verbesserung ihrer Wohnsituation herbeigeführt, indem sie jetzt auf ihren eigenen Wunsch hin bei ihrer Grossmutter leben kann. Andererseits sieht Simona in der Begleitung auch eine Hilfe für ihre alkohol- kranke Mutter, da diese sich dank der SPF nun helfen lasse.62 61 Aus dem Interview mit den Eltern geht hervor, dass der Familienbegleiter für Vanessa einen Termin bei der Erziehungsberatung organisierte, bei der Abklärungen im Zusam- menhang mit ihrer Dyskalkulie durchgeführt wurden. 62 „Sie [die Familienbegleiterin] hat ihr am Anfang geholfen. Und später halt auch der Dok, also der Doktor jetzt nicht selber, einfach, dass sie halt, glaub die Pille oder halt wo man ins Glas tut und wo sich dann auflösen tut hat nehmen müssen. Ich glaube schon, dass die [Familienbegleiterin] auch dafür verantwortlich ist, dass sie das genommen hat.“ (Kinder- interview 1a, Z. 550–553). 163 Ebenfalls zu Verbesserungen dank der Familienbegleitung kam es für Je- rome (10) in Bezug auf folgende Punkte: Weniger Streit und Konflikte mit Mutter und Schwester sowie eine für ihn transparenten Planung der Besuchsre- gelung mit seinem Vater. Gäbe es keine Familienbegleitung, wäre diese Rege- lung laut Jerome vielleicht nicht zustande kommen: „Aber das, zum Beispiel, wann, dass ich zum Papa gehe oder nicht, der Papa ist ja auch noch nicht so lange weg, aber wenn der Familienbegleiter jetzt nicht da gewesen wäre, könnte ich mir gut vorstellen, dass wir das, dass der Papa das gar nicht gemacht hätte.“ Woran es liegt, dass die Situation für ihn besser geworden ist, erklärt er mit folgenden Worten: „Der Familienbegleiter, weil er vielleicht so mit der Mutter und so diskutiert hat. Er hat ihnen zum Beispiel Beispiele gegeben, wie man das schön machen könnte, und das hat dann gewirkt.“ Ohne Aufforderung kommt ausserdem Tobias (10) spontan auf das Thema „Veränderung“ zu sprechen. Auf die Frage, wie er die Arbeit der SPF einschätzt, äussert sich Tobias wie folgt: „Ich finde sie macht es gut. Meine Mutter hat sich schon extrem verändert.“ Daraufhin wollte der Interviewer wissen, woran To- bias diese Veränderungen festmacht. Dazu Tobias: „Wir reden mehr. Früher redeten wir am Tisch gar nicht.“ Woran es liegt, dass es zu dieser Veränderung kam, kann sich Tobias nicht erklären: „Das weiss ich leider auch nicht. Das ist irgendwie so ein Zaubertrick“. Die wichtigste Veränderung für ihn bestehe darin, dass seine Mutter „nicht mehr so genervt“ sei. Bei sich selbst könne er keine Veränderungen feststellen, aber er sei besser geworden im Umgang mit Handy und Tablet, da diese Thematik mit der Familienbegleiterin besprochen wurde. Negativ ordnet einzig Pedro (12) die wahrgenommenen Veränderungen ein. Dies erstaunt kaum vor dem Hintergrund, dass Pedro die SPF in allen Punkten negativ einschätzt, da ihm zu viel verboten werde. Neben dem Um- stand, dass er seinen alkoholkranken Vater ausserhalb der begleiteten Besuchs- treffs nicht sehen darf, möchte sich Pedro zu weiteren Verboten nicht äussern: „ein paar andere Sachen, aber das möchte ich gerade nicht sagen“. Neben kognitiven Fähigkeiten, die es benötigt, um Zusammenhänge retro- spektiv ableiten zu können – u. a. auch deshalb, weil nicht jede (innerfamiliäre) Entwicklung zwingend ein Resultat der sozialpädagogischen Interventionen ist – stellte eine weitere Hürde bei der Beantwortung dieser Veränderungs-Frage teilweise die lange Dauer der Begleitung (über mehrere Jahre) dar. Hinzu kommt, dass sich die Kinder selbst in einem fortwährenden Entwicklungspro- zess befinden, der für sie kontinuierliche Veränderungen mit sich bringt. Oft- mals können Entwicklungsschritte leichter von aussen als aus einer Innenper- spektive wahrgenommen werden. Um es mit den Worten von Tobias (10) zu sagen: „Denn wenn ich mich verändere, dann merke ich irgendwie nichts.“ Doch er nimmt Veränderungen auf Seiten seiner Mutter wahr. Darüber hinaus waren auch jene beiden Kinder imstande Veränderungen einzuschätzen, zu 164 denen die Fachperson einen (emotionalen) Zugang gefunden hat. Und zu guter Letzt gelingt es Pedro (12), Veränderungen zu artikulieren. Interessant ist aller- dings, dass die Veränderung, die er negativ bewertet und die für ihn einen Ein- griff in sein Familienleben sowie sein Handeln und Tun darstellen, von Seiten der Fachperson wie auch der Mutter durchaus positiv eingeschätzt werden können (etwa mehr Durchsetzungskraft auf Seiten der Mutter in Kombination mit einer konsequenteren Erziehung). 4.7.5 Zusammenfassende Diskussion zur Sichtweise der Kinder auf die SPF Die Ergebnisse zeigen, dass neben dem Grad der Berücksichtigung der Kinder vor allem die Gestaltung des Settings im Rahmen der Hausbesuche einen we- sentlichen Einfluss auf ihr Erleben von SPF hat. Als ein wichtiges, von der Mehrheit der Kinder positiv erlebtes Kernelement der SPF erwies sich das Spiel (sowie die gemeinsame Freizeitgestaltung im und ausser Haus). Dem Spiel als zentrale Tätigkeitsform des kindlichen Lebens können aus der Perspektive der Kinder im Rahmen der SPF verschiedene Funktionen zugedacht werden. Diese beziehen sich auf die Akzeptanz und damit verknüpft auf den Aufbau einer Arbeitsbeziehung zwischen Kind und Fachperson. Lässt sich die Fachperson auf Spiele ein oder bietet selbst Spiele an, signali- siert sie dem Kind aktives Interesse an den kindlichen Aktivitäten. Sie nutzt damit ein Mittel, um Kinder in ihrer Lebenswelt zu erreichen. Gleichzeitig bin- det sie sich damit selbst in die grundlegende Lebens- und Lernform des Kindes mit ein, was ein gegenseitiges Kennenlernen und Ab-/Einschätzen ermöglicht sowie den Aufbau einer (Arbeits-)Beziehung zwischen Kind und Fachperson unterstützt. Das Interesse der Fachperson an den kindlichen Aktivitäten sowie ihre Teilnahme daran wird von den Kindern durchgängig positiv beschrieben und mit Freude erlebt.63 Doch nicht alle Kinder werden in das Geschehen der SPF integriert. Diesbe- züglich zeigen die Ergebnisse der Kinderinterviews, dass insgesamt fünf der befragen Kinder im Rahmen der SPF nicht adressiert oder kontinuierlich in die Hausbesuche miteinbezogen werden. Vier dieser fünf Kinder werden von der 63 Ähnliche Hinweise darauf, dass das Spiel als Türöffner für den Aufbau einer Beziehung zwischen Kind und Fachperson dient, unterstreichen die Ergebnisse aus den Elterninter- views (vgl. Kap. 4.6). Nach Ansicht der Eltern gelingt es den Fachpersonen vielfach über das Spiel und die gemeinsame Aktivität, eine Beziehung zum Kind herzustellen, es als ein Gegenüber auf Augenhöhe zu adressieren und kindgerecht miteinzubeziehen. Diesen ge- lungenen Beziehungsaufbau der Fachperson zu den Kindern beschreiben die Eltern als be- stärkend und motivierend für das Selbstwertgefühl der Kinder. 165 Anbieterorganisation A4 begleitet, die SPF vornehmlich als ein Kooperations- verhältnis zwischen Eltern und Fachperson konzipiert. Daraus konstituiert sich ein Zusammenarbeitsmuster – konstant dyadische Zusammenarbeit zwischen Eltern und Fachperson – dass es den Kindern aufgrund ihrer Abwesenheit während der Hausbesuche erschwert, ihre Sichtweise auf SPF darzulegen. Der Verzicht auf eine Zusammenarbeit mit den Kindern stellt auf der einen Seite zwar sicher, dass die Fachpersonen nicht substituierend Betreuungs- und Er- ziehungsaufgaben übernehmen, auf der anderen Seite verwehrt er ihnen jedoch auch die Möglichkeit, für die Kinder als Unterstützungsperson und alternatives Erwachsenenmodell einzutreten und sie an Prozessen der Lösungsfindung zu beteiligen. Dass Kinder in die SPF nicht immer und zu allen anstehenden Themen mit- einbezogen werden, muss nicht zwangsläufig negativ sein. Es gibt eine Reihe von eltern- und erwachsenenbezogene Konfliktthemen, bei denen es durchaus sinnvoll erscheint, wenn diese zum Schutze des Kindes in einer primär dyadi- schen Beziehung zwischen Fachperson und Eltern bearbeitet werden. Aus der Forschung ist jedoch bekannt, dass Kinder die aus partizipativen Prozessen hervorgehenden Lösungen eher mittragen als fremdbestimmte Lösungen. Aus- serdem bietet die Teilhabe an Prozessen der Lösungsfindung den Kindern Ge- legenheit, ihre Problemlösungs- und Aushandlungskompetenz einzuüben (vgl. Winkelhofer 2014, S. 58). Insofern wäre es wünschenswert, wenn Fachperson vermehrt solche Gelegenheitsstrukturen arrangierten, die den Kindern ihrem Alter entsprechend ermöglichen, aktiv an Problemlösungsprozessen mitzuwir- ken. Verschiedene Studien weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Kinder, die in den sie betreffenden Entscheidungsprozessen unberücksichtigt blieben, sich eher hilflos fühlten (vgl. Leeson 2007) oder Wut und Besorgnis verspürten (vgl. Winter 2010.) Während es Fabio (10) bspw. egal ist, dass er nicht adressiert wird und er sich deshalb zurückzieht, wenn die Familienbegleiterin kommt, zeigt sich in Pedros Handlungsstrategie der Ablehnung und Verweigerung, wie „blöd“ er die SPF und die für ihn damit einhergehenden Einschränkungen empfindet. Auch wenn die ihn einschränkenden Massnahmen sachlich begründet sind und von Seiten der Fachperson wie auch der Mutter positiv eingeschätzt werden, macht sich die Fachperson, die qua Konzept nicht mit Pedro zusammenarbeitet64, für das Kind damit schwer erreichbar. Gerade in schwierigen und konfliktbelaste- 64 Es handelt sich dabei um die Anbieterorganisation A4, die sich primär auf die Zusam- menarbeit mit Eltern konzentriert. So geht auch aus der ethnografischen Beobachtung des betreffenden Hausbesuchs hervor, dass sich Pedro gleich nach der Begrüssung der Fach- person (zu der ihn seine Mutter gegen seinen Willen veranlasst) in sein Zimmer zurück- zieht. Entsprechend werden auch die ihn betreffenden Themen allein zwischen Fachperson und Mutter verhandelt. 166 ten familiären Situationen erweisen sich separate Formen der Adressierung (Mutter und Vater werden in dieser Familie von unterschiedlichen Fachperso- nen betreut, Pedro erhält therapeutische Unterstützung) insofern problema- tisch, indem die ihn betreffenden Entscheidungen zwar mitgeteilt (und mögli- cherweise auch begründet) werden, er an ihrer Herstellung gleichwohl nicht eingebunden war. Dadurch wird seine schon von Anfang an bestehende Ableh- nung der SPF gegenüber weiter bestärkt. Auf der anderen Seite verdeutlichen die Beispiele von Simona (12), Jerome (10) und Tobias (10), dass auch Kinder die Veränderungsprozesse im Familien- system mit ihren Ansichten und Lösungsideen mitgestalten und Selbstwirk- samkeit erfahren können, wenn ihnen (wie bspw. bei Simona und Tobias) Be- teiligung an Prozessen der Lösungsfindung ermöglicht wird. Dank einer inten- siven Adressierung65 im Rahmen der SPF gelingt es diesen Kindern eher zu benennen, wo und wie ihnen die SPF in einer kritischen Lebensphase hilft/ge- holfen hat (möglicherweise sogar über die oben beschriebenen als langweilig empfundenen Gespräche). So sind es auch Tobias, Simona und Jerome, die (positive) Veränderungen im Familienleben wahrgenommen haben, welche sie den Interventionen der SPF zuschreiben. Weiter sind es auch Simona und Jerome, welche den/die Familienbegleiter/in als Personen beschreiben, die ih- nen in schwierigen Situationen (insbesondere auch auf emotionaler Ebene) unterstützend zur Seite standen. Gerade, wenn keine intakten Beziehungen mehr zwischen den Eltern beste- hen und auch in den privaten Netzwerken der Kinder wenig (oder keine) be- deutsame Erwachsene greifbar sind, kann es wichtig sein, dass Fachpersonen der SPF diese Rolle übernehmen (vgl. Wigger 2013, S. 163). Die Befunde aus dieser Studie bestätigen insofern den Forschungsstand zur Rolle der Kinder in der aufsuchenden sozialpädagogischen Familienarbeit, wonach neben kreativen und spielerischen Zugängen zu institutionellen Interventionen das Angebot emotionaler Unterstützung einen zentralen Grundbaustein für die Adressie- rung der Kinder darstellt (vgl. Gallagher et al. 2012; Bijleveld/Dedding/ Bunders-Aelen 2015; Husby/Slettebø/Juul 2018). 65 Mit Blick auf die Ergebnisse der Elterninterviews (vgl. Kap. 4.6) zeichnet sich eine aktive Auseinandersetzung mit dem Kind dadurch aus, dass Begleittermine auch exklusiv mit dem Kind, d. h. ohne Beisein seiner Eltern stattfinden. Sogenannte „Einzeltermine“ (Kin- derinterview 2b, Z. 236) im Rahmen der SPF erleben neben Tobias auch Simona und Je- rome. Die Eltern dieser drei Kinder betonen den starken Einbezug ihrer Kinder über die Inszenierung von verschiedenen Spielen, Aktivitäten und individuellen Einzeltreffen. 167 4.8 Ausgangsbedingungen, Praxis und Wirksamkeit von SPF – Eine Zwischenbilanz Das Feld potenzieller Wirkfaktoren ist in der vorliegenden Studie breit gefasst. Gemäss der im Anschluss an die Aufarbeitung des Forschungsstands entwi- ckelten Wirkheuristik (vgl. Abb. 1) zählen dazu einerseits die Konzepte und Programmatiken der ausgewählten Anbieterorganisationen, andererseits die spezifischen Problemlagen und Ressourcen der Familien, die in unterschiedli- chen Problemkonstellationen den handlungspraktischen Ausgangspunkt mar- kieren, auf den die SPF reagiert. Die Hausbesuche wiederum sind der Ort, an dem Wirksamkeit praktisch hergestellt wird. Hier treffen Angebot und Nach- frage konkret aufeinander, werden ausgehandelt und problembezogen relatio- niert. Die Wahrnehmung und das Erleben von Hausbesuchen aus Sicht der einzelnen Akteurs- oder Beteiligtengruppen zu rekonstruieren, war schliesslich Aufgabe diesbezüglicher Interviews. Angesichts der Komplexität und Fülle der zu berücksichtigenden Indikatoren wäre es unrealistisch anzunehmen, dass sich über alle Perspektiven hinweg eindeutige und/oder monokausale Ursachen/ Wirkungsbeziehungen herausfiltern liessen. Entsprechend konzentrieren sich die zusammenfassenden Überlegungen an dieser Stelle zunächst auf die Frage, welche Beziehungen sich zwischen den Ausgangsbedingungen von SPF, ihrer konkreten Praxis und dem Erleben der einzelnen Beteiligtengruppen rekon- struieren und feststellen lassen. 4.8.1 Ausgangsbedingungen von SPF Die Ausgangsbedingungen von SPF sind gemäss vorliegender Wirkheuristik mehrseitig konstituiert. Eine Ausgangsbedingung ergibt sich bspw. aus dem impliziten und expliziten Selbst- und Wirkverständnis der ausgewählten An- bieterorganisationen, das sich aus den entsprechenden Selbstbeschreibungen ableiten lässt. Auf der anderen Seite ist die Wirkung von SPF aber auch abhän- gig von den unterschiedlichen Ressourcen und Problemlagen der Familien, ihren Zugangswegen zur SPF, den Auftragszielen der zuweisenden Stellen und anderen Bedingungen, an denen sich die Leistungserbringung zwangsläufig ausrichten muss. Aufschluss über dieses Beziehungsfüge vermitteln vor allem die Falldossiers wie auch die Hinweise aus den Interviews mit Eltern und Fach- personen zu den Ausgangsbedingungen von SPF. 168 Ausgangsbedingungen aus Sicht der Anbieterorganisationen In den Konzepten und Programmatiken der Anbieterorganisationen wird zu- nächst einmal deutlich, dass diese mit dem state-of-the-art ihres Handlungsfel- des durchweg vertraut sind. Dies betrifft zum einen die Zielsetzungen ihres Leistungsangebots, das darauf ausgerichtet ist, die Familie bzw. deren Mitglie- der in ihrem Bestreben nach Autonomie und Eigenverantwortlichkeit zu unter- stützen. Dies betrifft zum anderen aber auch den Prozessbeschrieb, also das konkrete Vorgehen sowie die herangezogenen Methoden und Instrumente. Mit Ausnahme einer Anbieterorganisation, welche die Problemlagen und Zielgrup- pen qua Konzept spezifisch definiert (vorwiegend Frauen im Kontext von Sucht und/oder psychischer Erkrankung), sind für die anderen Anbieterorganisatio- nen praktisch alle für die SPF gängigen Problemfelder relevant. Obwohl der Begriff „Wirkung“ in den Konzepten der Anbieterorganisation als solcher nicht auftaucht, vermittelt das darin dokumentierte Selbstverständ- nis gleichwohl Hinweise zu deren Wirkverständnis, indem es Bezug nimmt auf die Problemlage der Familien und deren Zielsetzungen im Rahmen der SPF: Es impliziert, dass es gelingt, die familiären Belastungen soweit zu reduzieren, dass die familiären Grundfunktionen wechselseitiger Fürsorge und Unterstützung wiederhergestellt und die Beeinträchtigungen (oder Risiken) für kindgerechte Aufwachs- und Entwicklungsbedingungen abgebaut werden können. Auf die Eltern bezogen werden in den Konzepten Schlagworte wie „Aufbau einer ge- ordneten Alltagsstruktur“, „Autonomierückgewinnung“ oder „Stabilisierung/ Erweiterung der elterlichen Erziehungskompetenz“ angeführt, was sich dann auch auf die Kinder auswirken soll. Im Selbstverständnis von SPF wird eine „Wirkung“ demnach mit der Annäherung an bzw. mit der Restitution eines familiären Idealtypus gleichgesetzt, wonach die betroffenen Eltern zur eigen- ständigen und kompetenten Wahrnehmung ihrer Erziehungsaufgaben befähigt werden und sie ihren Kindern die Fürsorge und Unterstützung zukommen lassen, die für deren altersgerechte Entwicklung angemessen und notwendig ist. Mit diesen Zielvorstellungen wird ein Wirkverständnis evident, welches sich primär an der Beseitigung familiärer Belastungen und Dysfunktionen orien- tiert. Mit den entsprechenden Techniken und Instrumenten (systemische, par- tizipative, ressourcen- und lösungsorientierte Methoden der Intervention) sol- len die Familienmitglieder in ihren kognitiven, emotionalen und sozialen Fer- tigkeiten unterstützt und ihr Handlungsrepertoire entsprechend erweitert wer- den. Als wirkrelevant ist impliziert, dass die Fachpersonen über die dafür not- wendigen Qualifikationen verfügen und Probleme der Fallbearbeitung auf dem Wege von Fallkonferenzen, kollegialer Beratung sowie Super- und Intervision gelöst und beseitigt werden können. 169 Ausgangsbedingungen aus Sicht der Falldossiers Ein differenzierteres Bild über die Ausgangsbedingungen von SPF vermittelt die Analyse der Falldossiers. Dort werden vor allem die formalrechtlichen Grundlagen der Hilfegewährung sichtbar, an denen sich zeigt, dass die Etablie- rung von SPF nicht von den Eltern selbst, sondern von Seiten Dritter, insbe- sondere von Instanzen des zivilrechtlichen Kinderschutzes ausgelöst wird. Am häufigsten fungieren Beistandschaften als zuweisende Stellen, in vier Fällen hat die KESB die SPF angeordnet, und in drei weiteren Fällen wurde die SPF über indikationsberechtigte Dienste vermittelt. Demnach ist SPF zuerst und vor allem Ausdruck und Reaktion auf eine indizierte Gefährdung des Kindeswohls. Allerdings wird an dieser Ausgangslage noch nicht ersichtlich, wie die Arbeit der SPF auf eine unbestimmte Rechtsnorm (Kindeswohlgefährdung) hand- lungspraktisch reagiert. Darüber hinaus werden die Auftragsziele für die SPF häufig allgemein for- muliert und sind anhand der Aktenlage unterschiedlich gut nachvollziehbar. Ersichtlich ist aber, dass die SPF in nahezu allen Familien des Samples (14 Fälle) infolge einer defizitären Erziehungskompetenz der Eltern mit dem Ziel auf- gegleist wird, die Erziehungsfähigkeit der Eltern damit zu stärken. Unklar ist allerdings auch hier, inwieweit diese Ausgangslage mit der Selbstsicht der El- tern korrespondiert, was aus deren Sicht gleichbedeutend mit der Anerkennung elterlicher Erziehungsinkompetenz wäre (etwa im Sinne von: Ich bin nicht im- stande, mein Kind angemessen zu erziehen und zu fördern). Dieses Auftragsziel kommt in den Elterninterviews so auch nicht zur Sprache, sondern wird allen- falls als Ausdruck einer Überforderung im Zusammenhang mit dem Tragen der alleinigen Erziehungsverantwortung evident. Naheliegender ist daher die An- nahme, dass den Eltern aus externer Sicht ein erzieherisches Defizit zugedacht wird, das als Label (oder ‚Türöffner‘) zur Rechtfertigung entsprechender Inter- ventionen genutzt werden kann, jedoch nicht zwangsläufig auch mit der Selbst- sicht der Eltern übereinstimmen muss. Zwischen den Auftragszielen der zuweisenden Stellen und den Perspektiven der betroffenen Eltern ist demgemäss zu unterscheiden. Diese können, müssen aber nicht miteinander korrespondieren. In den Falldossiers reflektiert sich dieser Sachverhalt in der Differenz zwischen Problemwahrnehmung der zuwei- senden Stellen (Meldeformulare) und den Protokollen der Erstgesprächen mit den Eltern. Allerdings wird in der Zielvereinbarung nicht offensichtlich, welche Perspektive sich dabei durchgesetzt hat – die der zuweisenden Stelle, die der Fachperson, die der Eltern oder ein Kompromiss dazwischen. Damit bleibt unklar, inwieweit die Perspektiven der einzelnen Beteiligtengruppen zu Beginn einer SPF tatsächlich kongruieren. Lediglich die von den Eltern eigenständig und explizit eingebrachten Veränderungsanliegen werden in den Falldossiers personenbezogen zugerechnet und eigens vermerkt. Jene der Kinder bleiben 170 hingegen unberücksichtigt, da Kinder bei diesen Aushandlungen oftmals nicht miteinbezogen werden. Auffällig ist ausserdem, dass in den Falldossiers nicht näher auf die Problemursachen eingegangen wird. Festgestellt wird, dass ein Problem besteht, unklar hingegen bleibt in Hinweisen zu den Ausgangsbedin- gungen von SPF, warum es besteht. In den meisten Fällen wird dieser Differenz durch eigene Abklärungen mit den Eltern zu Beginn einer SPF Rechnung ge- tragen, d. h. Auftrag und Zielesetzungen demgemäss angepasst und konkreti- siert. In diesem Zusammenhang stellt sich jedoch die grundsätzliche Frage, inwiefern die Problemlagen der Familien den zuweisenden Stellen bekannt sind und wie umfassend diese vorgängig abgeklärt wurden. Ausgangsbedingungen aus Sicht von Eltern und Fachpersonen Ob und inwieweit ein Hilfeprozess vielversprechend startet, entscheidet sich oft schon in der Abklärungsphase. Anfangs sehen sich Eltern häufig mit Ängsten und Ungewissheiten konfrontiert, was die Durchführung einer SPF für sie be- deutet – handelt es sich dabei doch um einen tiefgreifenden Einschnitt in deren Privatautonomie. Die Etablierung institutioneller Aufsichts- und Kontrollfunk- tionen (KESB bzw. Beistandschaften als deren Mandatsträger) im Vorfeld von SPF macht zudem darauf aufmerksam, dass die Rück- oder Umplatzierung fremduntergebrachter Kinder (bzw. die drohende Kindswegnahme) die Ein- stellung der Eltern zur SPF wenigstens anfänglich massgeblich prägt. In eine ähnliche Richtung deuten Konflikte zwischen Eltern und Schule, die mit Ge- fährdungsmeldungen an die KESB die familienunterstützenden Aktivitäten oftmals ausgelöst haben. Aus Sicht der Eltern generieren demgegenüber vor allem Paar- und Tren- nungskonflikte den Grundstock familiärer Belastungen – oft in Verbindung mit erhärteten Kommunikationsproblemen zwischen den Partnern, Überforde- rungssituationen, Alkohol- oder psychischen Problemen u. ä. m. Dazu kommen regelmässig Probleme mit der Schule, migrationsbedingte Schwierigkeiten, fehlende soziale Netzwerke und finanzielle Mittel sowie Arbeitslosigkeit. Auch aus Sicht von Fachpersonen stehen Erziehungsdefizite weniger im Vordergrund einer SPF. Mit Blick auf die Entwicklungen der vergangenen Jahre gewinnen aus deren Sicht vor allem Merkmale wie „Sucht“, „psychische Belastungen“ sowie die Folgen von Paar- und Trennungskonflikten zunehmend an Bedeutung. Dabei spielen auch die kulturell-unterschiedlichen Werte- und Erziehungsvorstellungen von Personen mit Migrationshintergrund eine Rolle. Mit der Kumulation sehr unterschiedlicher Belastungen in den Familien neh- men zudem die Herausforderungen an die einzelne Fachperson zu. Intranspa- rente oder unzureichende Fallabklärungen im Vorfeld der Einrichtung einer SPF erzeugen darüber hinaus nicht nur Ressentiments auf Seiten der Betroffe- nen, sondern führen auch Fachpersonen in einen Rollenspagat, die zwischen 171 den Erwartungen der zuweisenden Stellen und den der betroffenen Familien einen für alle Seiten gangbaren Weg finden müssen. Diese doch sehr deutlichen Schwerpunktverlagerungen familiärer Pro- blemlagen im Unterschied zu Nennungen in den Falldossiers lassen verschie- dene Vermutungen zu. Beispielsweise ist denkbar, dass der in den Falldossiers standardmässig herangezogene Begriff einer defizitären und/oder unzureichen- den elterlichen Erziehungsverantwortung eine Annahme von Kindeswohlge- fährdung signalisiert, ohne diese explizit zu benennen. Möglicherweise dient der Begriff einer defizitären Erziehungsverantwortung aber auch als kleinster gemeinsamer Nenner für die Begründung und Rechtfertigung einer SPF, wohingegen die o. g. Problemlagen mehrheitlich aus den spezifischen Abklä- rungen zwischen Eltern und Fachperson resultieren. Überdies lassen sich diese thematischen Schwerpunktverlagerungen auch mit den intransparenten und/ oder unzureichenden Fallabklärungen in Kombination mit wenig eindeutigen und/oder unklar formulierten Auftragszielen der zuweisenden Stellen erklären. Daraus liesse sich schliessen, dass die SPF neben ihren genuinen Auftragszielen auch als verlängerter Arm von zivilrechtlichen Kindesschutzinteressen agiert. Die Mehrdeutigkeit des Handlungsauftrags (Hilfe oder Kontrolle) gegenüber einer anfänglich tendenziell zurückhaltenden oder gar misstrauischen und wider- ständigen Klientel schafft demnach tendenziell eher unvorteilhafte Ausgangs- bedingungen der Fallbearbeitung, sodass latente oder offene Zwangskontexte in funktionierende Arbeitsbeziehungen transferiert werden müssen. Vor dem Hintergrund dieser Analysen verändern sich die Wirkvorausset- zungen entsprechend. Eine Wirkung lässt sich demnach nicht mehr länger (wie noch in den Selbstbeschreibungen der Anbieterorganisationen) als blosse In- terferenz von Ursache (familiäre Belastung) und darauf bezogener Ziele (Abbau von Belastungen, Autonomiezugewinn) beschreiben. Vielmehr haben Anbie- terorganisationen und Fachpersonen auch den Regularien des zivilrechtlichen Kinderschutzes Rechnung zu tragen, was zu Beginn einer SPF die strukturell entsprechenden Ambivalenzen erzeugt und dazu führt, dass die Veränderungs- und Mitwirkungsbereitschaften der Betroffenen erst einmal erarbeitet und sichergestellt werden müssen. 4.8.2 Praxis der SPF Wie aus den voranstehenden Abschnitten hervorgeht, sind die Wirkvorausset- zungen für die handlungspraktischen Interventionen der SPF keineswegs ideal. Während im Selbstverständnis der Anbieterorganisationen in den Familien Belastungen abgebaut und mittels Ressourcenaktivierung Autonomiegewinn erzeugt werden sollen, weisen die Rahmenbedingungen indes auf bereits beste- hende, der SPF vorgängige Zwangskontexte hin, mit der Konsequenz, dass 172 latente Drohszenarien in produktive Arbeitsbeziehungen überführt und die Kontrollanliegen der zuweisenden Stellen mit den fachlichen Zielsetzungen der Anbieterorganisation in Einklang gebracht werden müssen. Hausbesuche aus Sicht der ethnografischen Beobachtung Die einmalige Beobachtung von Hausbesuchen bei den Familien des MWA- Samples lässt nur in eingeschränktem Masse analytisch valide Rückschlüsse auf die Wirksamkeit fachlicher Interventionen zu, und dies umso mehr, als jeder Hausbesuch nur eine Sequenz aus einem sehr viel breiter angelegten Kontext sozialpädagogischer Interventionen repräsentiert. Gleichwohl geben sich im vergleichenden Querschnitt aller beobachteten Hausbesuche eine Reihe von Gleichförmigkeiten und Unterschiede zu erkennen, die für die Herstellung von Wirksamkeit im Zuge der Praxis von SPF durchaus aufschlussreich sind. Ein erster Punkt betrifft die Dauer der Hausbesuche. Diese sind gemäss Konzept und Programmatiken der einzelnen Anbieterorganisationen unter- schiedlich definiert und dauern zwischen 30 Minuten und drei Stunden. Inte- ressant dabei ist, dass mit der Dauer der Hausbesuche auch ihre Inhalte variie- ren. Denn je länger ein Hausbesuch angelegt ist, umso wahrscheinlicher ist der Einbezug mehrerer Familienmitglieder im Rahmen gemeinschaftlicher Aktivi- täten. Daraus lässt sich schliessen, dass eine kurze Dauer die praktischen Akti- vitäten der SPF tendenziell auf die rein sprachliche Interaktion (Beratung) re- duziert, bei denen einzelne Familienmitglieder (meist die Fokusperson) im Mittelpunkt stehen. Eine längere Dauer ermutigt dagegen zum praktischen – und darüberhinausgehend – zum gemeinschaftlichen Tun. Der Vorteil gemein- schaftlicher Aktivitäten liegt in der Möglichkeit, dass die einzelnen Familien- mitglieder über die spielerisch-praktische Umsetzung alternativer Formen bei der Gestaltung ihres Familienalltags neue Möglichkeiten des Zusammenlebens und darüber vermittelt auch deren handlungspraktische Vorteile erfahren. Ein zweiter Punkt betrifft die unterschiedlichen Beteiligungsformen der Fa- milienmitglieder. Einige Fachpersonen arbeiten ausschliesslich mit den Eltern zusammen (konstant dyadische Zusammenarbeit); andere beziehen durchge- hend oder fakultativ die ganze Familie mit ein, richten den Fokus jedoch the- men- und situationsspezifisch auf einzelne Familienmitglieder (konstant triadi- sche Zusammenarbeit mit variierendem Fokus); wieder andere arbeiten ab- wechselnd mit der ganzen Familie (Eltern und Kind/er) und einzelnen Fami- lienmitgliedern (Eltern oder Kind/er) zusammen (alternierend dyadische und triadische Zusammenarbeit). Generell gilt, dass das dyadische Vorgehen die Veränderungsanliegen der jeweiligen Fokusperson eher punktgenau trifft (bspw. das Anliegen der Mutter, die nicht weiss, wie sie mit ihrem herausfor- dernden Kind umgehen soll), der Lerneffekt dabei möglicherweise nur einseitig ist, sofern unklar bleibt, was das Kind zu seinem (herausfordernden) Handeln 173 motiviert. Liegt demgegenüber der Fokus der Intervention auf der Triade, kön- nen alle Beteiligten vom Verhalten bzw. von den Verhaltensänderungen der je anderen lernen (bspw. der eine Elternteil sieht, was passiert, wenn der andere Elternteil anders als bisher auf das widerständige Kind reagiert).66 Aufgrund ihrer interaktiven Komplexität und Dynamik sind triadische Prozesse in ihrer Entwicklung für gewöhnlich jedoch schwerer vorhersehbar und bedürfen einer entsprechenden Planung. Ein dritter Punkt betrifft die zu bearbeitenden Themen. Mit am häufigsten zielen die Interventionen von SPF auf die Kompetenzentwicklung der Kinder, ferner auf die Organisation und Gestaltung des Familienalltags, auf erzieheri- sche Themen sowie auf Konflikte zwischen Eltern und Kind. Andere Themen wie z. B. psychische Belastungen oder Suchtprobleme der Eltern oder Paar- und Trennungskonflikte werden in den beobachteten Hausbesuchen dagegen nur vereinzelt thematisiert. Dieser Befund ist insofern bemerkenswert, als sich darin gegenüber der Anfangs- und Abklärungsphase erneut eine Schwerpunktverla- gerung manifestiert: Bearbeitet werden vorzugsweise diejenigen Themen, die auch Inhalt der Auftragsziele sind (Beseitigung erzieherischer Defizite), wäh- rend die ihnen vorausliegenden Problemursachen (Sucht/psychische Belastun- gen, Paar- und Trennungskonflikte) eher randständig Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Nach eigenen Einschätzungen stossen Fachpersonen häufiger an ihre Grenzen, wenn ursächliche Problemlagen soweit eskalieren, dass sie sich mit den Mitteln der SPF nicht mehr lösen, sondern allenfalls in ihren Konsequen- zen abmildern lassen. Dieser Befund macht darauf aufmerksam, dass sich die SPF vorwiegend auf die Folgenbearbeitung von Problemursachen konzentriert, während diese der Bearbeitung anderer Institutionen anheimgestellt werden. Dabei entsteht häufiger das Problem, dass das Wissen von Fachpersonen um parallel stattfindende Interventionen oft lückenhaft ist. Ein vierter Punkt betrifft schliesslich die Methodik sozialpädagogischer In- terventionen. Im Zuge der Themenbearbeitung liessen sich substituierende, direktive und reflexive Interventionstechniken unterscheiden. Im Rahmen von substituierenden Interventionen handelt die Fachperson stellvertretend für die betreffende Klientel. Dabei ist der Entlastungseffekt mithin am grössten, der Lerneffekt dagegen mitunter gering (z. B.: die Fachperson übernimmt die Haus- aufgabenhilfe und entbindet die Eltern von der Aneignung eigenständiger Ini- tiativen). Direktive Interventionen hingegen geben vor (oder regen an), was oder wie es gemacht werden soll, bauen also auf expertokratisches Wissen. Die betreffende Person macht es selbst und verinnerlicht möglicherweise auch die 66 Aus diesem Grund sind auch dyadisch-subsituierende Interaktionen zwischen Fachperson und Kind problematisch, bei denen es meist um die Kompetenzerweiterung der betroffe- nen Kinder geht, die Eltern jedoch davon ausgeschlossen bleiben. 174 damit einhergehenden Praxis, lernt aber nicht, Problemlösungen selbstständig zu entwickeln. Reflexive Interventionstechniken kommen hingegen gerade dem letztgenannten Defizit – und insofern dem Ideal der Hilfe zur Selbsthilfe – mit am nächsten. Dabei lernt die Person das Lernen des Lernens, wie also eigen- ständig Lösungsideen entwickelt werden können, was dann auch auf andere Handlungsfelder übertragen werden kann. Reflexive Interventionstechniken sind mitunter ressourcenintensiv, weil zu lernen, wie es gemacht wird oder gemacht werden könnte, in der Regel mehr Zeit in Anspruch nimmt (und möglicherweise auch fehleranfälliger ist) als die blosse Umsetzung einer Direk- tive. Im handlungspraktischen Vollzug der Hausbesuche spiegeln sich insofern unterschiedliche Wirkvoraussetzungen und Wirkverständnisse wider, die ei- nerseits auf die Komplexität der Fallbearbeitung, andererseits auf die dafür notwendigen Ressourcen bei ihrer methodischen Umsetzung zurückgeführt werden können. Eine kurze Interventionsdauer der Hausbesuche impliziert, dass eher dyadisch-beratenden wie auch substituierenden oder direktiven In- terventionstechniken Vorzug eingeräumt wird, während triadische und/oder lernanregende Interventionstechniken voraussetzungsvoller in der Planung und aufgrund ihrer komplexen Dynamik u. U. auch schwerer zu steuern und kon- trollieren sind. Die Herstellung von Wirksamkeit im Zuge der Hausbesuche ist insofern ein komplexes und situationsabhängiges Konglomerat professioneller Aktivitäten, das zwischen den Notwendigkeiten und Möglichkeiten der Fallbe- arbeitung changiert und auf unterschiedlichen Wegen (substituierend, direktiv, reflexiv) umgesetzt wird. Die Hausbesuche aus Sicht der Beteiligten Aus Sicht der Fachpersonen wird konstatiert, dass es in Bezug auf die Durch- führung der Hausbesuche keine typischen Verlaufsmuster gäbe, vielmehr sei jede Durchführung das Ergebnis situativer Dringlichkeiten und Opportunitäten im Rahmen der zuvor ausgehandelten Zielvereinbarung. Unabhängig davon, wie konkret das Auftragsziel der zuweisenden Stelle im Einzelnen ausformuliert ist, gäbe es in jedem Fall gleichwohl vertiefende Abklärungen und Absprachen mit den Familien. Diese Absprachen sind nicht nur Teil der Konkretisierung eines Handlungsplans, sondern auch ein wichtiges Instrument der Her- und Sicherstellung des klientelen Commitments und für den Vertrauensaufbau sowie die Beziehungsgestaltung der Hausbesuche konstitutiv. In diesem Zusammenhang sind zudem die Hinweise der Eltern zu vertrau- ensaufbauförderlichen Aktivitäten der SPF aufschlussreich. Für diese ist die Loyalität der Fachperson und ihr Engagement für die Interessen der Eltern (z. B. gegenüber Behörden oder Schule) das tragende Fundament aller weiteren Aktivitäten. In dieselbe Richtung weist der Befund, dass die flexible Erreichbar- 175 keit der Fachperson in Not- und Krisenzeiten geschätzt wird, was den Eltern Sicherheit gibt und emotionale Belastungen reduziert. Vor allem werden solche Aktivitäten gewürdigt, die Eltern als besonders nützlich erleben. Dazu zählen bspw. das Aufdecken und Sortieren von (überfordernden) Problemlagen, die gemeinsame Erarbeitung alternativer Problemlösungen, die Unterstützung bei der Bewältigung schulischer und administrativer Themen sowie der Umgang der Fachperson mit den Kindern (wenn also die Fachperson gut mit dem Kind und seinen Problemlagen umgehen kann). Diesen Aktivitäten ist gemeinsam, dass sie die Eltern bei der Bewältigung aktueller Alltagsprobleme entlasten. Hinsichtlich der formalen Gestaltung beschreiben die Eltern die Hausbesu- che folgendermassen: Zum überwiegenden bis ausschliesslichen Teil finden Hausbesuche in Form von Gesprächen am Küchen- oder Wohnzimmertisch statt (mit oder ohne Einbezug der Kinder). Dabei handelt es sich um ein klassi- sches Beratungssetting, bei dem erörtert wird, was seit dem letzten Besuch ge- schehen ist und zu welchen Themen Gesprächsbedarf besteht. Kinder hingegen, soweit sie an den Hausbesuchen beteiligt werden, erleben die Hausbesuche vorwiegend im Zusammenhang mit spielerischen Aktivitäten. In den für sie relevanten Hinsichten werden Hausbesuche zuweilen auch als personelle Un- terstützung erlebt (bspw. Hausaufgabenhilfe). Während also die Eltern in den Hausbesuchen vor allem einen praktischen oder emotionalen Nutzen erfahren (Organisation von Entlastung), steht für die Kinder das gemeinsame Spiel im Vordergrund, über das sie am leichtesten in die Aktivitäten der SPF eingebun- den werden können. 4.8.3 Wirkung aus Sicht der Beteiligten Neben der Gestaltung der Praxis war in vorliegender Untersuchung die Frage von Interesse, wie die Interventionen der SPF von den Beteiligtengruppen hin- sichtlich ihrer Wirkung(-en) eingeschätzt werden. Darauf nehmen insbeson- dere die Interviews mit den Beteiligten des MWA-Samples Bezug. Wirkung aus Sicht der Kinder: Einbezug über spielerische Aktivitäten und Adressierung Die befragten Kinder aus der Altersgruppe zwischen sechs und zwölf Jahren konnten zum überwiegenden Teil keine bedeutsamen Veränderungen in ihren Familien erkennen oder wussten nicht, wie sie die wahrgenommenen Verände- rungen auf die SPF zurückführen sollten – weniger vermutlich, weil es keine Veränderung gab, sondern weil sie nicht imstande waren, diese differenziert wahrzunehmen und zu beschreiben. Die Gründe dafür liegen u. a. in der teil- weise langen Begleitdauer von SPF über mehrere Jahre sowie im Umstand, dass 176 nicht jede (innerfamiliäre) Entwicklung zwingend ein Resultat professioneller Interventionen ist. Lediglich diejenigen Kinder, welche die SPF intensiv adres- siert (etwa in Form von Einzelbetreuung und/oder aufgrund von Unterstützung in emotional schwierigen Lebenslagen), waren der Meinung, dass die Hausbe- suche zu innerfamiliär positiven Veränderungen geführt haben könnten. Eine intensivierte Beteiligung scheint insofern die Aufmerksamkeit der Kinder ge- genüber familiären Problemlagen und diesbezüglichen Veränderungen zu sensibilisieren, während in umgekehrter Richtung Hinweise darüber bestehen, dass fehlende Beteiligungs- und Gelegenheitsstrukturen lediglich das kindliche Desinteresse fördern (oder gar deren Widerständigkeit gegenüber den Ange- boten der SPF provoziert). Neben der Unterstützung in schulischen Angele- genheiten (Lese-, Hausaufgaben und Sprechhilfen) nehmen Kinder die Hausbe- suche in erster Linie als Möglichkeit gemeinsamer spielerischer Aktivitäten wahr. Auf diese Weise erfahren sie aktives Interesse an ihrer Person, das mögli- cherweise einen Mangel an Aufmerksamkeit an anderer Stelle kompensiert, aber deshalb nicht notwendigerweise mit familiären Veränderungen in Zu- sammenhang gebracht wird. Wirkung aus Sicht der Eltern: Nützliche Unterstützung Die wesentlichen Punkte erreichter Wirkungen aus Elternsicht wurden bereits im vorherigen Abschnitt aufgeführt: Indem die Fachperson die Eltern in der Strukturierung ihrer Alltagsorganisation und bei der Bewältigung besonders herausfordernder Belastungen unterstützt und damit hilft, kritische Situationen im Umfeld der Familie zu meistern (Schule, Behörden), ist es vor allem der persönliche Nutzen in Form von Entlastung, der auf die Interventionen der SPF zugerechnet wird. „Wirkung von SPF“ aus Sicht der Eltern ist vor allem die konkrete, spürbare und alltagsbezogene Unterstützung gegenüber akuten Pro- blemlagen und Belastungen der Eltern. Wenn sich daher die familiäre und schulische Situation im Umgang mit Kindern beruhigt, wenn die Kontrolle über Alltagsroutinen besser gelingt und das Vertrauen in die eigene Selbstwirk- samkeit von Seiten der Fachpersonen unterstützt wird, dann werden aus Sicht der Eltern damit zugleich auch die Grundlagen für eine eigenständige und selbstverantwortliche Lebensführung gelegt, die sich als solche aber erst noch bewähren muss. Wirkung aus Sicht der Fachpersonen: Kooperation, Kompromiss und kalkulierte Erfolgswahrscheinlichkeit Fachpersonen der SPF erfahren die Wirksamkeit ihrer Interventionen zunächst an der grundsätzlichen Mitwirkungsbereitschaft der betroffenen Klientel. Was eigentlich eine basale Voraussetzung von Wirksamkeit ist, wird im Rahmen von 177 SPF als eigenständige Leistung – und mit einem gewissen Recht auch als Wir- kung interpretiert. Das bedeutet: Im Rahmen von SPF sind die Wirkvorausset- zungen nicht selbstverständlich gegeben, sondern werden als eigenständige Leistung fachlicher Interventionen aufgefasst. Wesentliche Wirkindikatoren sind aus Sicht der Fachpersonen, wenn es den Kindern gut oder besser geht und familieninterne Belastungen soweit abgebaut werden können, dass eine weitgehende krisen- und störungsfreie Bewältigung alltagspraktischer Handlungsroutinen gewährleistet ist. Dieses Wirkverständnis seitens der Fachpersonen ist insofern realistisch, als von der SPF keine Wunder erwartet werden, mit denen sich alle Probleme lösen und beseitigen lassen. Mit Blick auf die Kinder ist daher wesentlich, dass ungeachtet evtl. fortbestehender Problemlagen das Kindeswohl keinen weiteren Gefährdungen ausgesetzt und die schulische Situation soweit befriedet ist. Auch die psychischen Belastungen der Eltern ebenso wie bestehende Paar- und Trennungskonflikte werden im Zuge der Hausbesuche keineswegs endgültig beigelegt oder beseitigt. Jedoch müssen ihre Folgen (z. B. in Bezug auf die Kinder und/oder verlässliche Tages- strukturen) soweit kontrollierbar und vorhersehbar sein, dass es für die Kinder zu keinen weiteren Gefährdungen mehr kommt. Der Erfolg einer SPF ist aus Sicht der Fachperson demnach meist ein Kom- promiss zwischen möglichen und realen Veränderungschancen. Realistisch ist das Wirkverständnis der Fachpersonen insofern, als nach deren Einschätzun- gen sich die Wirkungen in den Familien in kleinen Schritten entfalten. Gerade in gravierenden und/oder multiplen Belastungssituationen lassen sich die ur- sächlichen Problematiken nicht umstandslos lösen (sofern sie überhaupt in ihrer fachlichen Zuständigkeit liegen). Aus Sicht der Fachpersonen ist „Wirk- samkeit von SPF“ vielmehr das Ergebnis einer kalkulierten Erfolgswahrschein- lichkeit handlungspraktischer Interventionen, die daran ausgerichtet sind, die familiäre Situation soweit zu stabilisieren, dass die Auswirkungen familiärer Belastungen eigenständig kontrolliert und aufgefangen werden können. In diesem Sinne bezeichnet ‚Wirkung von SPF‘ den Kompromiss zwischen dem Abbau festgestellter Belastungsfaktoren und der Wahrscheinlichkeit, dass es zu keinen weiteren Krisen kommt. 4.8.4 Wirkungen und Wirkvoraussetzungen von SPF: Ein Zwischenresümee Wie die Untersuchungsabschnitte der multiperspektivischen Wirkungsanalyse im Einzelnen zeigen, gestaltet sich das Wirkerleben zwischen den einzelnen Beteiligtengruppen verschieden. Aus Sicht der Kinder (sofern sie miteinbezo- gen werden und Aussagen dazu machen können) ist SPF für sie vorwiegend dann bedeutsam, wenn ihnen auf dem Wege spielerischer (Freizeit-)Aktivitäten 178 ein Zugang zu den sozialarbeiterischen Intentionen eröffnet wird, der mit rein sprachlichen Mitteln (Gespräch) anscheinend weniger gut gelingt und es ihnen gestattet, aktiv an Prozessen zu partizipieren, in denen eine individuelle kindbe- zogene Intervention stattfinden kann. Aus Sicht der Eltern hingegen wirkt SPF zuerst und vor allem entlastend. Dazu gehört u. a. auch, dass Fachpersonen während der Hausbesuche die anwesenden Kinder in ihre Aktivitäten einbin- den, dass sie Beiträge leisten, um Spannungen nach innen und aussen zu redu- zieren und die Familie dabei unterstützen, die Hindernisse eines geordneten und wenn möglich störungsfreien Zusammenlebens zu überwinden. In diesem Zusammenhang werden vor allem die unmittelbar lebensweltpraktischen Hil- fen geschätzt, die zur Bewältigung ständig wiederkehrender Herausforderungen im Familienalltag beitragen können, indem bspw. Eltern/Kind- oder Paarkon- flikte besprochen, Probleme der Alltagsstrukturierung gemeinsam geplant und Kontakte (resp. die Zusammenarbeit) mit den formellen und informellen Fa- milienumwelten (Schule, Kita, Sozialdienste, Gemeindezentren) unterstützt und gefestigt werden. Fachpersonen wiederum stehen eher verhaltene Wirkerwartungen vor Au- gen. Wegen den oft ambivalenten Ausgangsbedingungen von SPF kann die Mitwirkungsbereitschaft der Betroffenen nicht vorausgesetzt, sondern muss erst einmal hergestellt werden, was bei den meisten Familien des MWA-Sam- ples dem Anschein nach auch gelingt. Damit dies gelingt, sind aus Sicht der Fachpersonen elementare Eigenschaften der Beziehungsgestaltung vonnöten (Vertrauen, Empathie, Wertschätzung, Loyalität, Zurückhaltung wertender Urteile etc.), mit denen potenziellen Widerständen entgegengearbeitet wird. Wirkungen in den Familien zeigen sich aus Sicht der Fachpersonen zudem nicht unmittelbar und direkt, sondern als das Produkt einer Politik der kleinen Schritte im Allgemeinen erst zeitversetzt. Eine Hilfebeendigung kommt – unter sonst gleichen Voraussetzungen – dann in Betracht, wenn es den Kindern bes- sergeht (zumindest keine akute Gefährdung absehbar ist) und ihre Eltern mit den Folgen ihrer Belastungen soweit umgehen können, dass keine weitere Hilfe notwendig ist. „Wirkung“ aus Sicht der Fachpersonen ist mithin die kalkulierte Wahrscheinlichkeit autonomer Krisen- und Konfliktbewältigung nach innen und aussen. Grundlegend dafür ist nach vorliegenden Analysen ein Vorgehen der SPF, das aus vergleichsweise unbestimmten Ausgangsbedingungen, Auftragszielen und Ungewissheiten in Bezug auf die konkreten Problembelastungen der zuge- wiesenen Familien ein gerichtetes und schrittweises Verfahren entwickelt, das die spezifischen Anliegen der Eltern ermittelt und sie bei der Bewältigung ihrer alltäglichen Herausforderungen unterstützt. In diesem Zusammenhang ergeben sich mitunter weiterführende Fragen, bspw. inwieweit dieses Vorgehen auch den Anforderungen der zuweisenden Stellen genügt oder ob es mit der Organi- sation von Entlastung allein schon getan ist, damit eine Wirkung auf das Fami- 179 liensystem auch nachhaltig ist. Zu diesem Problemkonnex zählt ferner die Frage, welchen Beitrag die Aktivierung von Unterstützungsressourcen leistet, die sich jenseits der Kernfamilie auf ausserfamiliäre Netzwerkstrukturen be- zieht. 180 5 Netzwerkressourcen und -belastungen von Eltern mit SPF Die Netzwerkarbeit (bzw. Netzwetzwerkaktivierung) ist ein zentrales Hand- lungsprinzip der SPF (vgl. Metzger/Pfister 2018). Unter Netzwerkarbeit kann die bewusste, planvolle und zielgerichtete Modifizierung von Netzwerkmerk- malen wie z. B. die Strukturmerkale eines Netzwerks, die Eigenschaften von Beziehungen oder Kommunikationswege verstanden werden (vgl. Lenz 2000). In einfacheren Worten ausgedrückt bezeichnet Netzwerkarbeit das „Managen“ der Beziehungen von Klient/innen zu Dritten (vgl. Friedrich 2008, S. 31). Netz- werkorientierte Interventionsformen können gemäss Lenz (2000, S. 295 f.) grob in zwei Formen aufteilt werden. Die erste Form verfolgt das Ziel, dass sich Klient/innen den vorhandenen Ressourcen in ihrem Netzwerk bewusster wer- den und Kompetenzen sowie Strategien entwickeln, um diese bei Bedarf zu aktivieren und zu nutzen. Mit der zweiten Form der Netzwerkarbeit wird ver- sucht, die Beziehungsstrukturen der Klient/innen gezielt zu verändern. Hierzu zählen einerseits die alltäglichen, informellen sozialen Beziehungen der Klient/innen. Andererseits werden auch Beziehungen zu formellen Akteuren aufgebaut oder bearbeitet. Ein mit der Netzwerkarbeit in der SPF häufig in Verbindung gebrachtes Ziel besteht in der Aktivierung bzw. Erschliessung von sozialen Ressourcen von Familien. Ein zweites Ziel, wenn auch in der Literatur etwas weniger prominent vertreten, ist der Abbau von sozialen Belastungen, die in einem Netzwerk eingelagert sind. Sowohl soziale Ressourcen und wie auch Belastungen stellen einen wichtigen Faktor für die gelingende Bewältigung des Alltags sowie die Qualität der Erziehung dar. Vor dem Hintergrund der Relevanz und der Zielsetzungen von Netzwerk- arbeit in der SPF wird in diesem Teil der Studie die Hypothese überprüft, dass SPF einen signifikanten Einfluss auf Netzwerkressourcen und -belastungen von den beteiligten Eltern hat. Da es sich hier um eine sehr allgemeine Hypothese handelt, wird diese in zwei konkretere Unterhypothesen aufgeteilt. Es wird davon ausgegangen, dass SPF zu einer Zunahme von Netzwerkressourcen und zu einer Abnahme von Netzwerkbelastungen bei den Eltern führt. 181 Die Ausführungen zu diesem Untersuchungsschritt beginnen mit der Dar- legung der Operationalisierung von Netzwerkressourcen und -belastungen. Darüber hinaus wird beschrieben, wie die Skalen zur Messung der Netzwerk- ressourcen und -belastungen entwickelt wurden. Im daran anschliessenden Er- gebnisteil werden die Merkmale der Eltern und Fachpersonen präsentiert, wel- che an der Studie teilgenommen haben. Daran anknüpfend folgt eine Übersicht der zentralen Problemlagen der Familien sowie der Ziele und institutionellen Rahmenbedingungen der hier untersuchten SPF. Dann wird beschrieben, wie sich die Netzwerkressourcen und -belastungen der Eltern zu Beginn der SPF präsentieren. Davon ausgehend wird erörtert, wie sich die Netzwerkressourcen und -belastungen über die drei Messzeitpunkte hinweg verändern und welche Faktoren die Veränderungen beeinflussen. Zum Abschluss werden die Ergeb- nisse dieses Untersuchungsabschnittes zusammengefasst, kritisch reflektiert und der Bedarf für weiterführende Forschung zu diesem Thema formuliert. 5.1 Operationalisierung Die Entwicklung der nachfolgenden Skalen baut auf dem in Kap. 3.2.2 darge- legten Verständnis von Netzwerkressourcen und -belastungen auf. Demzufolge ist nicht nur entscheidend, über wie viel soziale Unterstützung (und welche Formen) eine Familie verfügt, sondern auch, wie viele Belastungen sie aus dem sozialen Umfeld erfährt. Auf diesem Forschungsstand aufbauend wurde zuerst nach erprobten und validierten Skalen zur Messung von sozialen Netzwerkres- sourcen und -belastungen gesucht. Im Rahmen der Recherche wurde deutlich, dass zwar viele validierte Instrumente zur Messung von sozialer Unterstützung existieren; da jedoch kein Erhebungsinstrument gefunden werden konnte, das spezifisch auf die Situation von Eltern mit SPF zugeschnitten ist und zudem Netzwerkressourcen als auch -belastungen berücksichtigt, wurde eine Skala entwickelt. Dieses Instrument sollte genügend Sensibilität aufweisen, um Ver- änderungen während des Interventionsprozesses der SPF messen zu können.67 67 Für die Faktorenanalyse wurde die Stichprobe der Netzwerkbefragung verwendet (siehe Kap. 5.2). 182 Die Skala für die Erhebung der Netzwerkressourcen umfasst die Unterstüt- zungsdimensionen emotionale und instrumentelle Unterstützung sowie Freund- schaft (siehe Tabelle 1). Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass soziale Unter- stützung einen positiven Effekt auf die Qualität der Erziehung und das Kindes- wohl hat (vgl. Armstrong/Birnie-Lefcovitch/Ungar 2005). Dabei werden insbe- sondere zwei Formen von sozialer Unterstützung hervorgehoben: die emotio- nale sowie die instrumentelle Unterstützung (vgl. Green/Furrer/McAllister 2007). Emotionale Unterstützung beinhaltet den Erhalt von Zuneigung in be- lastenden Situationen. Dies kann sich darin ausdrücken, dass eine Person in schwierigen Situationen Trost erhält, eine Person zur Seite hat oder eine Person vorhanden ist, die zuhört, wenn die betreffende Person über Gefühle sprechen möchte. Instrumentelle Unterstützung bezieht sich hingegen auf die praktische und konkrete Unterstützung im Alltag, bspw. in der Kinderbetreuung oder im Haushalt (vgl. McArthur/Winkworth 2017). Die Bedeutsamkeit von Freund- schaften im Falle von Erziehungsschwierigkeiten wird ebenfalls in verschiede- nen Studien nachgewiesen. Dabei wird insbesondere betont, dass freundschaft- liche Beziehungen eine Quelle für emotionale Unterstützung bei Erziehungs- schwierigkeiten sind (vgl. Bost et al. 2002). Wenn Freunde Kinder haben, kön- nen sie auch eine Quelle für Hilfe in erzieherischen Fragen sein (vgl. Edwards/ Gillies 2004). Vor dem Hintergrund dieser drei Dimensionen wurde eine Skala mit elf Items entwickelt, die mithilfe einer explorativen Faktorenanalyse auf die Trenn- schärfe der einzelnen Dimensionen hin überprüft wurde (siehe Tabelle 1). Das Ergebnis der Faktorenanalyse zeigt, dass alle Items dieser Skala sich den vorge- sehenen Dimensionen eindeutig, d. h. mit genügender Trennschärfe zuordnen lassen und entsprechend aussagekräftig sind.68 68 Der Tabelle 1 ist zu entnehmen, dass alle Items auf die Faktoren laden, welche dafür theore- tisch vorgesehen waren. Die Faktorladungen sind zudem immer über dem Minimalwert von 0,5. Darüber hinaus sind keine kritischen Querladungen vorhanden. Die Faktoren- analyse bestätigt somit, dass die einzelnen Faktoren genügend Trennschärfe aufweisen. Der Wert des Kaiser-Meyer-Olkin-Kriteriums (KMO) liegt bei 0,854. Werte höher als 0,8 wei- sen darauf hin, dass sich die vorliegenden Rohdaten für die Durchführung einer Faktoren- analyse sehr gut eignen. Dies wird durch den Bartlett-Test auf Sphärizität bestätigt, welcher hochsignifikant ist (vgl. Backhaus 2003). Der Eigenwert pro Faktor liegt ebenfalls über dem Minimalwert von 1,0 (vgl. Bühner 2011, S. 321). Somit erklären alle Faktoren mehr als ein einzelnes Item innerhalb des Faktors. Ein weiteres Qualitätskriterium einer Faktorenana- lyse ist die interne Konsistenz (d. h. die Reliabilität) der einzelnen Faktoren, welche die Zu- verlässigkeit einer Messung widerspiegelt (vgl. Backhaus 2003). Die Cronbach’s Alpha Werte von allen drei Faktoren liegen über der Schwelle von 0,7 und sind somit ausreichend bis sehr gut (vgl. Taber 2018). 183 Tabelle 1: Ergebnis der explorativen Faktorenanalyse für die Skala der Netzwerkressourcen (n= 101) Emotionale Instrumentelle Unterstützung Unterstützung Freundschaft Ich habe Personen, die mir zuhören, 0,867 0,178 0,208 wenn ich etwas besprechen will. Ich habe Personen, denen ich ver- trauen kann, wenn ich über meine 0,784 0,377 0,172 Gefühle sprechen möchte. Ich habe Personen, die mich aufmun- 0,846 0,243 0,331 tern, wenn es mir schlecht geht. Ich habe Personen, die mir helfen, 0,278 0,798 -0,038 wenn ich krank bin. Ich habe Personen, die mir eine 0,713 grössere Summe Geld leihen würden. 0,007 0,244 Ich habe Personen, die meine Kinder 0,242 0,760 -0,077 betreuen würden. Ich habe Personen, mit denen ich Lösungen erarbeiten kann, wenn ich 0,273 0,748 0,164 ein Problem habe. Ich habe Freunde, mit denen ich 0,829 mich entspannen kann. 0,279 0,190 Ich habe Freunde, mit denen ich 0,226 0,084 0,903 Spass haben kann. Ich habe Freunde, von denen ich eingeladen werde. 0,162 0,067 0,887 Ich finde, dass ich genügend Freunde 0,091 -0,009 0,906 habe. Eigenwert 1,036 2,334 5,037 Prozent der Varianz aller Variablen 22,334 23,302 30,782 Cronbach’s Alpha 0,893 0,774 0,927 Bemerkung: Hauptkomponentenanalyse mit Varimax-Rotation; KMO= 0,854; Bartlett-Test Chi²= 721,387, p<0,001 Die Skala für die Erhebung der Netzwerkbelastungen besteht aus den Dimen- sionen Feindseligkeit und Einsamkeit (siehe Tabelle 2). Verschiedene Meta- Analysen zeigen auf, dass sich feindseliges Verhalten zwischen Eltern negativ auf das Erziehungsverhalten auswirkt, was häufig herausforderndes Verhalten bei den betroffenen Kindern zur Folge hat wie z. B. Aggressivität (vgl. Stover et al. 2016). Dies wird mit dem sog. spillover effect begründet, wonach sich die emotionalen Belastungen der Eltern aufgrund negativer Beziehungserlebnisse nachteilig auf die Erziehung auswirken können (vgl. ebd.). Zudem deuten Stu- dienergebnisse darauf hin, dass Kinder, die häufig negative Emotionen ihrer Eltern miterleben, auch direkt davon beeinflusst werden (vgl. ebd.). Es wird im Rahmen dieser Operationalisierung davon ausgegangen, dass sich die in diesen 184 Studien festgestellten Effekte auch dann zeigen, wenn sich Personen aus dem sozialen Umfeld gegenüber den Eltern feindselig verhalten (nicht nur der an- dere Elternteil). Einsamkeit kann als ein unangenehmer Zustand beschrieben werden, der durch Diskrepanzen zwischen den gewünschten und den tatsächlich vorhande- nen sozialen Kontakten ausgelöst wird (vgl. Perlman 2004). Hier zeigt die For- schung, dass Einsamkeit einen negativen Effekt auf das allgemeine Wohlbefin- den von Personen hat. Dies kann damit erklärt werden, dass fehlende soziale Beziehungen dazu führen, dass sich Menschen nicht zugehörig fühlen (vgl. Mellor et al. 2008). In Bezug auf die Erziehung wurde nachgewiesen, dass Ein- samkeit einen negativen Effekt auf das elterliche Wohlbefinden, auf die Freude am „Eltern-sein“ und die gemeinsame Zeit mit Kindern hat (vgl. Medora/ Wilson/Larson 2001). Für die beiden Dimensionen Feindseligkeit und Einsamkeit wurden je drei Items entwickelt, welche mit einer explorativen Faktorenanalyse auf ihre Bezie- hungsstruktur hin überprüft wurden.69 Wie schon bei den Netzwerkressourcen lassen sich auch hier die einzelnen Items hinreichend trennscharf den vorgese- henen Dimensionen zuordnen (siehe Tabelle 2).70 69 Zusätzlich wurde auch noch „Ablehnung“ als Belastungsdimension mit folgenden drei Items erhoben: (1) Es gibt Personen in meinem persönlichen Umfeld, die meine Probleme nicht ernst nehmen; (2) Es gibt Personen in meinem persönlichen Umfeld, die nie Zeit für mich haben; (3) Es gibt Personen in meinem persönlichen Umfeld, die mich im Stich las- sen, wenn ich auf sie angewiesen bin. Die Analyse dieses Konstrukts hatte jedoch ergeben, dass die Items der Ablehnung zusätzlich stark auf den Faktor „Feindseligkeit“ geladen ha- ben. Da diese Querladungen den Grenzwert von 0,5 überschritten (vgl. Backhaus 2003, S. 299), wurden sie nicht weiter berücksichtigt. Da sich diese beiden Faktoren inhaltlich nicht scharf trennen liessen, wäre eine saubere Ergebnisinterpretation nicht möglich gewe- sen. 70 Wie bei den Netzwerkressourcen teilen sich die Items auch bei den Netzwerkbelastungen auf die vorgesehenen Faktoren auf. Die Faktorladungen sind ebenfalls immer über dem Minimalwert von 0,6, und es sind keine kritischen Querladungen vorhanden. Somit kann auch hier geschlussfolgert werden, dass die einzelnen Faktoren genügend Trennschärfe aufweisen. Der Eigenwert pro Faktor liegt ebenfalls über dem Minimalwert von 1,0. Analog zur Skala zu den Netzwerkressourcen liegt auch hier der Wert des Kaiser-Meyer-Olkin- Kriterium (KMO) über 0,6. Zudem ist auch der Bartlett-Test auf Sphärizität hochsignifi- kant (p<0,001). Die interne Konsistenz der beiden Faktoren ist ebenfalls ausreichend. 185 Tabelle 2: Ergebnis der explorativen Faktorenanalyse für die Skala der Netzwerkbelastungen (n= 99) Feindseligkeit Einsamkeit Es gibt Personen in meinem persönlichen Umfeld, die 0,888 0,128 sich häufig mit mir streiten. Es gibt Personen in meinem persönlichen Umfeld, die 0,896 0,231 gemein zu mir sind. Es gibt Personen in meinem persönlichen Umfeld, die 0,882 0,075 mich blossstellen, wenn ich etwas falsch mache. Ich habe niemanden, mit der/dem ich reden kann. 0,082 0,853 Ich fühle mich allein. 0,055 0,814 Ich fühle mich niemandem nahe. 0,317 0,790 Eigenwert 3,060 1,509 Prozent der Varianz aller Variablen 41,326 34,816 Cronbach’s Alpha 0,885 0,778 Bemerkung: Hauptkomponentenanalyse mit Varimax-Rotation; KMO= 0,730; Bartlett-Test Chi²= 277,905, p<0,001 5.2 Beschreibung der Stichprobe Im Zeitraum der ersten Erhebungswelle (Juni 2018 bis April 2019) haben insge- samt 103 Eltern (aus 103 verschiedenen Familien) den Fragebogen ausgefüllt. Davon sind 88,3 Prozent weiblich und 11,7 Prozent männlichen Geschlechts. Das durchschnittliche Alter der Eltern zum Zeitpunkt der ersten Befragung beträgt 37,9 Jahre (SD= 8,8).71 Der jüngste Elternteil ist 18 Jahre alt und der älteste 63 Jahre. Familiensituation Im Durchschnitt haben die Eltern 2,2 Kinder (min.= 1, max.= 6, SD= 1,03), wobei rund ein Viertel der Eltern Kinder mit mehreren Partner/innen hat. Das durchschnittliche Alter der Kinder beträgt 10,5 Jahre (SD= 5,0). Der grössere Anteil der Kinder ist männlich (61,3 %). In Bezug auf den Zivilstand der befragen Eltern zeigen die Daten folgendes Bild: Mehr als ein Drittel der Eltern (34 %) ist verheiratet, je rund ein Viertel ist geschieden (24,3 %) oder ledig (nie verheiratet, 25,2 %), 12,6 Prozent haben den Zivilstatus „getrennt“ und vier Eltern sind verwitwet (3,9 %). Unabhängig vom Zivilstand lebt etwas mehr als die Hälfte der Eltern (54,4 %) in einer Partner- 71 SD= Standardabweichung. Sie erklärt, wie weit die Werte durchschnittlich von einem Mittelwert entfernt sind. Je höher dieser Wert ist, desto mehr streuen die Werte. 186 schaft. Dementsprechend gibt es einen fast ebenso hohen Anteil an alleinste- henden Eltern. Wird der Anteil an Eltern ohne Partner/in (45,6 %) in der Stich- probe mit dem in der Bevölkerung verglichen, dann lässt sich eine deutliche Übervertretung dieser Gruppe in der Stichprobe konstatieren.72 Bei der Sorgerechtssituation zeigt sich, dass rund die Hälfte der Eltern ein gemeinsames Sorgerecht für das Kind/die Kinder hat. Etwas mehr als ein Drit- tel (36,9 %) hat das alleinige Sorgerecht. Bei den restlichen Sorgerechtssituatio- nen handelt es sich primär um Eltern mit mehreren Kindern, bei denen eine Kombination aus dem alleinigen und geteilten Sorgerecht besteht. Des Weite- ren zeigen die Daten, dass bei ungefähr einem Drittel der Eltern ohne Part- ner/in das gemeinsame Sorgerecht vorhanden ist. Dies lässt vermuten, dass einige Kinder in multilokalen Familienarrangements leben (vgl. Stutz/Bischof 2018). Gemäss Forschungsergebnissen hat bei getrenntlebenden oder geschie- denen Eltern die Form des Sorgerechts (d. h. ob gemeinsames oder alleiniges Sorgerecht) keinen entscheidenden Einfluss auf die Konflikthaftigkeit der Be- ziehung zwischen den Eltern (vgl. Zimmer 2011, S. 306). Migrationshintergrund und Wohnort Hinsichtlich des Migrationshintergrunds zeigt sich, dass fast die Hälfte der Eltern (45,6 %) nicht in der Schweiz geboren wurde. Etwas mehr als ein Drittel der Eltern (38,8 %) hat eine ausländische Staatsbürgerschaft. Diese Eltern leben im Durchschnitt seit 17,6 Jahren (SD= 10,6) in der Schweiz. Weiter zeigt sich, dass die durchschnittliche Zeit am aktuellen Wohnort 9,2 Jahre (SD= 9,19) beträgt. Knapp die Hälfte der Eltern lebt in einer Stadt (49,5 %), ungefähr ein Drittel auf dem Land (35,9 %), die restlichen Eltern in einer Agglomeration (14,6 %). Hinsichtlich der Sprachkompetenzen in Deutsch zeigt sich, dass fast ein Viertel der Eltern kaum Deutsch spricht oder nur über elementare Deutsch- kenntnisse verfügt. Jedoch hat niemand angegeben, überhaupt kein Deutsch zu sprechen. Die Forschung hat gezeigt, dass soziale Netzwerke einen grossen Stellenwert beim Migrationsprozess haben. Neben dem integrativen Charakter von sozialen Netzwerken im Einwanderungsland wird aber auch betont, dass ethnisch-homogene Netzwerke eine Abgrenzung gegenüber der breiteren Be- völkerung zur Folge haben können (vgl. Ryan 2011). 72 Gemäss des Familienberichts 2017 (2017a, S. 12) machen alleinlebende Mütter 12,1 Prozent (129’900) und alleinlebende Väter 2,3 Prozent (24’600) aller Familienhaushalte mit Kindern unter 25 Jahren aus. Die Zahlen beziehen sich auf die Jahre 2012 bis 2014. 187 Sozioökonomischer Status Um den sozioökomischen Status der Eltern einschätzen zu können, sind In- formationen zum Bildungsniveau und Einkommen relevant. Etwas mehr als ein Drittel der Eltern verfügt nur über einen obligatorischen Schulabschluss.73 Rund die Hälfte hat einen Abschluss auf Sekundarstufe II (d. h. berufliche Grundbildung, Fachmittelschule, Gymnasium) und acht Eltern haben einen tertiären Bildungsabschluss. Vier Eltern haben keinen obligatorischen Schulab- schluss. Bei der Erwerbssituation zeigt sich, dass fast die Hälfte der Eltern (49,5 %) nicht erwerbstätig ist. Auch der Anteil an Eltern, die Transferleistun- gen74 in Anspruch nehmen, ist mit 56,3 Prozent relativ hoch. Da jedoch nicht erhoben wurde, um welche Transferleistungen es sich konkret handelt, kann kein Vergleich zur Gesamtbevölkerung gezogen werden. Das monatliche Haus- haltseinkommen liegt bei 60,2 Prozent der Eltern unter 4’000 Franken. Da 72,8 Prozent der Eltern mehr als ein Kind haben, ist davon auszugehen, dass etliche Familien in dieser Stichprobe nahe oder sogar unter der Armutsgrenze leben (vgl. Bundesamt für Statistik 2016, S. 7).75 Gesundheitliche Situation Für die Erhebung der gesundheitlichen Situation der Eltern wurde eine Skala zum selbstwahrgenommenen allgemeinen Gesundheitszustand verwendet, wie sie auch in der schweizerischen Gesundheitsbefragung eingesetzt wird. Hier zeigt sich, dass nur 65 Prozent der Eltern ihren allgemeinen Gesundheitszu- stand als gut oder sehr gut einschätzen. Gemäss der Schweizerischen Gesund- 73 Das schweizerische Bildungssystem kann in drei Stufen eingeteilt werden. Die erste Stufe „Primarstufe/Sekundarstufe I“ beinhaltet die obligatorische Schulbildung inkl. Kindergar- ten. Die zweite Stufe „Sekundarstufe II“ beinhaltet die berufliche Grundbildung (z. B. Be- rufslehre) und allgemeinbildende Schulen (z. B. Gymnasiale Maturität, Fachmittelschule). Die dritte Stufe „Tertiäre Stufe“ beinhaltet die Höheren Fachschulen, Fachhochschulen, Pädagogischen Hochschulen, Universitäten und Eidgenössisch Technischen Hochschulen (vgl. Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung 2018). 74 Transferleistungen (sog. Sozialtransfers) im engeren Sinn sind in der Schweiz gemäss des Bundesamts für Statistik (2017b) Leistungen bei Arbeitslosigkeit (Taggelder der Arbeitslo- senversicherung), für Familien/Kinder (z. B. Familienzulagen, Ergänzungsleistungen für Familien), bei Krankheit und Invalidität (z. B. Krankentaggelder und Invaliditätsrenten, inkl. Ergänzungsleistungen), zur Ausbildungsförderung (Ausbildungsstipendien), zur Re- duktion der Wohnkosten (Wohnbeihilfen) oder gegen soziale Ausgrenzung (z. B. Verbilli- gung der Krankenkassenprämien, Sozialhilfe, Leistungen anderer Institutionen [Kirche, private Hilfsfonds, karitative Organisationen]). 75 Als Anhaltspunkt können die durchschnittliche Armutsgrenze und die Armutsgefähr- dungsgrenze herangezogen werden. Diese betrug im Jahr 2016 für einen Haushalt mit einem Elternteil und zwei Kindern unter 14 Jahren 3’490 bzw. 3’933 Franken und bei einem Zweielternhaushalt mit zwei Kindern unter 14 Jahren 4’031 bzw. 5’163 Franken (vgl. Bun- desamt für Statistik 2016, S. 7). 188 heitsbefragung liegt dieser Wert in der Gesamtbevölkerung um einiges höher: Rund 84 Prozent der Frauen und 86 Prozent der Männer schätzen ihren Ge- sundheitszustand als gut oder sehr gut ein (vgl. Bundesamt für Statistik 2020, S. 13). Merkmale der Fachpersonen Die 103 Familien der vorliegenden Stichprobe wurden von 64 verschiedenen Fachpersonen begleitet. Dementsprechend waren einige Fachpersonen für mehrere Familien der Stichprobe zuständig. 82,8 Prozent der Fachpersonen sind weiblich und 17,2 Prozent männlichen Geschlechts. Das durchschnittliche Alter der Fachpersonen betrug zum Zeitpunkt der Erhebung 47,8 Jahre (SD= 8,6). Die meisten Fachpersonen verfügen entweder über einen Abschluss in Sozialer Arbeit oder Sozialpädagogik auf Stufe Fachhochschule oder Höherer Fachschule. Die restlichen Fachpersonen (25 %) weisen dagegen äusserst hete- rogene Abschlüsse auf. Diese beinhalten unter anderem „Fachfrau Betreuung“ (FaBe), „Kindergartenlehrkraft“, „Kleinkindererzieher/in“, „Pflegefachfrau HF“, „Heimerzieherschule“ sowie „eidgenössisch diplomierte Sozialbegleiterin“. Drei Fachpersonen haben einen Abschluss auf universitärer Stufe in Erziehungs- wissenschaften oder Heil- und Sozialpädagogik. Neben dem Ausbildungsabschluss wurden die Fachpersonen auch gefragt, für welche spezifischen Themen sie sich qualifiziert fühlen, unabhängig davon, ob sie auch eine formale Qualifikation darin haben. Insofern müssen die Ant- worten mit einer gewissen Vorsicht interpretiert werden. Hierbei wird deutlich, dass mehr als die Hälfte der Fachpersonen sich für die Themen Sucht, Migra- tion, psychische Erkrankung, kognitive Beeinträchtigung, Kinder im Vorschul- alter, Gewalt, ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) und Kindeswohlabklärungen qualifiziert fühlen. Weniger häufig vertreten sind hin- gegen die Themen körperliche Behinderung, Trauma, Mediation und religions- spezifische Fragen. Eine vertiefte Analyse bezüglich Mehrfachnennungen hat gezeigt, dass sich die Fachpersonen durchschnittlich in 6,4 (SD= 2,5) von den insgesamt zwölf zur Auswahl gestellten Themen qualifiziert fühlen. Typische Kombinationen von Themen waren hingegen nicht zu erkennen. Im Rahmen einer offenen Frage wurden die Fachpersonen nach weiteren bzw. anderen Spezialisierungen gefragt. Hier wurden u. a. die Themen Sexualität, Kinder im Schulalter, Jugendliche oder Paarkonflikte angegeben. Keine dieser weiteren Spezialisierungen wurde jedoch mehr als viermal genannt. Das Arbeitspensum der Fachpersonen beträgt durchschnittlich 55,9 Prozent einer Vollzeitstelle. Obwohl die Stellenprozente stark streuen (SD= 17,8), wird gleichwohl deutlich, dass Teilzeitarbeit in der SPF die Regel ist. Nur zwei Fach- personen haben angegeben, dass sie ein Vollzeitpensum haben. Im Durch- schnitt weisen die Fachpersonen eine Berufserfahrung von 6,4 Jahren in der 189 SPF auf. Dabei korreliert das Alter der Fachpersonen signifikant positiv mit der Berufserfahrung in der SPF.76 Dies deutet darauf hin, dass es wenig Fachperso- nen gibt, die erst in einem höheren Alter in das Feld der SPF gewechselt haben. Auch zeigt sich, dass die Fachpersonen ihrer Organisation treu bleiben. Dies drückt sich einerseits darin aus, dass Fachpersonen durchschnittlich 5,5 Jahre in ihrer aktuellen Organisation tätig sind. Andererseits korreliert die Berufser- fahrung signifikant positiv mit der Dauer, in der eine Fachperson in der glei- chen Organisation tätig ist.77 Einen Hinweis auf die Arbeitsbelastung der Fachpersonen gibt der Wert zu der Anzahl Familien, die eine Fachperson gleichzeitig begleitet. Im Durch- schnitt sind dies genau sieben Familien. Die Anzahl der zu begleitenden Fami- lien korreliert dabei signifikant positiv mit dem Arbeitspensum.78 Aufgrund der kleinen Stichprobe können jedoch keine Vergleiche bei der Fallbelastung zwi- schen den Organisationen gemacht werden. 5.3 Problemlagen, Ziele und Interventionsmerkmale Die für die Familien zuständigen Fachpersonen wurden bei allen drei Messzeit- punkten gebeten, die hauptsächlichen Problemlagen in der Familie anzugeben. Den Fachpersonen standen acht verschiedene Problemlagen zur Auswahl, wo- bei sie maximal drei Problemlagen ankreuzen durften. Damit sollte sicherge- stellt werden, dass nur die grundlegenden Problemlagen angegeben werden. Die zur Auswahl stehenden Problemlagen wurden vom Erhebungsinstrument der Deutschen Kinder- und Jugendhilfestatistik übernommen (vgl. Fendrich/ Pothmann/Tabel 2018), wobei eine Problemlage (Unversorgtheit des jungen Menschen) weggelassen wurde, weil diese im Zusammenhang mit der SPF we- nig Sinn ergibt.79 Die am häufigsten genannte Problemlage (62,2 %) war die eingeschränkte Erziehungskompetenz der Eltern. Hiermit sind bspw. Erziehungsunsicherhei- ten oder pädagogische Überforderung gemeint. Weiter wurde in 36,7 Prozent der Familien die „unzureichende Förderung, Betreuung und/oder Versorgung des Kindes in der Familie“ als ein der SPF zugrundeliegendes Problem benannt. Ursache hierfür können bspw. soziale, gesundheitliche oder wirtschaftliche 76 Pearson-Korrelation: r= 0,495, n= 63, p= <0,01. 77 Pearson-Korrelation: r= 0,818, n= 62, p= <0,01. 78 Pearson-Korrelation: r= 0,417, n= 63, p= <0,01. 79 Die Unversorgtheit des jungen Menschen beinhaltet z. B. Ausfall der Bezugspersonen wegen Krankheit, stationärer Unterbringung, Inhaftierung, Tod oder unbegleitet einge- reiste Minderjährige. 190 Probleme sein. Mit 35,7 Prozent wurden fast gleichhäufig familiäre Konflikte wie bspw. Paarkonflikte, Sorgerechtsstreitigkeiten oder Eltern/Kind-Konflikte als ein Hauptproblem in der Familie angegeben. Etwas weniger häufig (23,5 %) wurde von den Fachpersonen angegeben, dass die Kinder aufgrund von psy- chosozialen Problemlagen der Eltern belastet sind. In diese Kategorie fallen unter anderem psychische Erkrankung, Suchtverhalten oder Behinderung eines Elternteils. Drei der zur Auswahl gestandenen Problemkategorien fokussierten auf in- dividuelle Problemlagen des Kindes bzw. der Kinder. Hier zeigt sich, dass in ungefähr einem Drittel der Familien (33,7 %) Auffälligkeiten des Kindes/der Kinder im sozialen Verhalten als zentrale Problemlage von den Fachpersonen wahrgenommen wurden. Hiermit sind unter anderem Isolation, Aggressivität oder Drogenkonsum gemeint. Gleichhäufig (33,7 %) waren schulische oder berufliche Probleme des Kindes/der Kinder ein Hauptanlass für die SPF. Ent- wicklungsauffälligkeiten bzw. seelische Probleme des Kindes/der Kinder wie z. B. Entwicklungsrückstände, Ängste oder selbstverletzendes Verhalten waren in 19,4 Prozent der Familien ein zentrales Problem. Auf die akute Gefährdung des Kindeswohls, womit bspw. Vernachlässigung, körperliche oder sexuelle Gewalt gemeint ist, wurde hingegen nur selten verwiesen (7,1 %). Dies könnte darauf hindeuten, dass bei Vorliegen dieser Problemsituation SPF zugunsten anderer Hilfeformen weniger häufig in Anspruch genommen wird. Ziele zu Beginn der SPF Neben den zugrundeliegenden Problemlagen wurden auch die Auftragsziele zu Beginn der SPF erhoben. Den Fachpersonen standen zehn sehr allgemein for- mulierte Ziele zur Auswahl, welche nachfolgend beschrieben werden. Die Fachpersonen durften so viele Ziele angeben, wie aus ihrer Sicht zutreffend waren. Das meistgenannte Ziel (88,2 %) war die Unterstützung/Förderung der Eltern bzw. eines Elternteils. Die Unterstützung und Förderung der Kinder war hingegen nur bei 40,2 Prozent der SPF ein Ziel. Neben diesen beiden auf Ein- zelpersonen fokussierenden Zielen wurden zwei familienbezogene Ziele relativ häufig genannt: Einerseits die „Stabilisierung der familiären Situation“ (49,0 %), andererseits die „Herstellung von Alltagsstruktur“ (46,1 %). Demgegenüber wurde die Vernetzung bzw. Aktivierung der Netzwerke der Familien bei eher wenigen SPF als Ziel angeführt (28,4 %), obwohl die Netzwerkarbeit in Kon- zepten der SPF einen hohen Stellenwert hat (vgl. Metzger/Pfister 2018). Das Ziel „Integration in die Gesellschaft“, welches auch als Netzwerkarbeit verstan- den werden kann, wurde mit 8,8 Prozent vergleichsweise selten genannt. Dar- aus lässt sich schliessen, dass Ziele, die den Einbezug der sozialen Umwelt der Familie erfordern, bei den Familien in dieser Stichprobe eine eher geringe Be- deutung besitzen. Ebenfalls einen geringen Stellenwert hat die Sicherstellung 191 der materiellen Versorgung für die Familie (3,8 %). Angesichts des Umstandes, dass ein beträchtlicher Teil der an der Studie beteiligten Familien nahe oder sogar unter der Armutsgrenze leben dürfte, ist davon auszugehen, dass die Sicherstellung der materiellen Versorgung der Familien anderen Stellen obliegt. Die Verhinderung einer Fremdplatzierung eines Kindes wurde nur in 5,9 Prozent der Familien als Ziel angekreuzt. Dies ist ein Hinweis darauf, dass nur wenige Familien in der Stichprobe vorhanden sind, in denen eine akute Kin- deswohlgefährdung festgestellt wurde oder die SPF als letzte Option vor einer Fremdplatzierung ausgewählt wird. Dies deckt sich mit Angaben zu den zugrundeliegenden Problemlagen, wonach lediglich in 7,1 Prozent der Familien eine akute Kindeswohlgefährdung vorliegt. Auch die Unterstützung der Familie bei der Rückplatzierung eines Kindes aus einem Heim oder einer Pflegefamilie wurde eher selten als Ziel angegeben (7,8 %). Die Fachpersonen wurden ebenfalls gefragt, ob sie die „Abklärung der Situ- ation in der Familie“ als ein Ziel zu Beginn der SPF betrachteten. In 14,7 Pro- zent der SPF wurde dies bejaht. Insofern scheint es auch SPF zu geben, wo ne- ben der Intervention zudem die Abklärung als expliziter Auftrag formuliert wird. Institutionelle Rahmenbedingungen der SPF-Interventionen Neben den Lebenskontexten der Familien und den Zielen der SPF beeinflussen auch die institutionellen Rahmenbedingungen das Handeln und die Hand- lungsmöglichkeiten der Fachpersonen. Einen ersten entscheidenden Aspekt stellt hierbei die zuweisende Stelle dar. Am häufigsten (34 %) wurden die Fami- lien von einer KESB den Anbieterorganisationen zugewiesen, gefolgt von So- zialdiensten als zweithäufigste Stelle mit 26,2 Prozent. Am dritthäufigsten (13,6 %) sind auf Kinder- und Jugendhilfe spezialisierte Dienste oder Zentren (z. B. Kinder- und Jugenddienst, Kinder- und Jugendhilfezentrum), welche Beratung, Begleitung und Unterstützung anbieten, die zuweisende Stelle. In acht Fällen (7,8 %) wurden die Familien von Beiständen/innen zugewiesen. Lediglich bei jeweils 3 Prozent wurden die Familien von der Jugendanwalt- schaft bzw. den Kinder- und Jugendpsychiatrischen Diensten zugewiesen. Bei den restlichen zuweisenden Stellen handelte es sich bspw. um die Caritas, den Schulpsychologischen Dienst, um spezialisierte Dienste (z. B. Zentrum für Ent- wicklung und Therapie, Zentrum für Frühförderung) oder um Selbstzuweisun- gen. Insgesamt handelt es sich somit bei 37 Prozent der SPF in dieser Stich- probe um behördlich oder gerichtlich angeordnete SPF.80 Die restlichen 63 Prozent können als vereinbarte SPF eingestuft werden. 80 KESB (34 %) + Jugendanwaltschaft (3 %) = 37 Prozent. 192 Zu Beginn der SPF wurden die Fachpersonen danach gefragt, an welche Personen sich die SPF hauptsächlich richtet (Mehrfachantworten waren mög- lich). Mit Abstand am häufigsten richtete sich die SPF dabei an die Mutter (91 %), an die Kinder hingegen nur bei 43,7 Prozent. Die Kindsväter wurden in rund einem Viertel der Fälle (27 %) explizit als Adressaten genannt. Weitere Adressat/innen waren fast nicht existent (vier Mal wurde der/die Lebenspart- ner/in der Kindesmutter, zwei Mal die Pflegemutter, einmal die Geschwister eines Elternteils genannt). Insofern richtet sich der Fokus bei der SPF auf Per- sonen aus der Kernfamilie, vorwiegend auf die Mütter. Die geplante Dauer einer SPF betrug durchschnittlich 7,5 Monate (SD= 3,8; min.= 2,5; max.= 24). In dieser Zeitspanne waren im Durchschnitt 39 (SD= 27,0) Familienbesuche geplant. Die Angaben zur geplanten Dauer lassen sich wahrscheinlich mit den Finanzierungsmodalitäten der SPF in der Schweiz er- klären, wonach eine Begleitung in der Regel zunächst für sechs oder zwölf Mo- nate finanziert und im Anschluss an eine Evaluation gegebenenfalls verlängert wird. Hinsichtlich der Dauer zwischen der Anmeldung für eine SPF und dem tatsächlichen Beginn dieser beträgt die durchschnittliche Wartezeit 5,2 Wochen (SD= 4,1; min.= 1; max.= 20). Bewertung der Repräsentativität der Stichprobe Um die Repräsentativität der Stichprobe einschätzen zu können, wurden die teilnehmenden Anbieterorganisationen nach Abschluss der ersten Welle gebe- ten, Informationen zu allen Familien bereitzustellen, welche im Zeitraum der ersten Erhebungswelle eine SPF begonnen, jedoch nicht an der Studie teilge- nommen haben. Dabei haben 16 von 18 Anbieterorganisationen diese Infor- mationen zur Verfügung gestellt. Erhoben wurden pro SPF die Merkmale der Eltern sowie die institutionellen Rahmenbedingungen der Intervention. Hin- sichtlich der Eltern wurden das Alter, die Nationalität, die Kinderanzahl, der Beziehungsstatus (Partnerschaft vs. alleinerziehend), das Bildungsniveau und die Erwerbssituation erfasst. Bei den institutionellen Rahmenbedingungen wurde die zuweisende Stelle erhoben. Mittels statistischen Tests wurde an- schliessend untersucht, inwiefern signifikante Unterschiede zwischen den El- tern bestehen, die an der Studie teilgenommen bzw. nicht teilgenommen haben. Der Vergleich zeigt, dass sich die Stichprobe nur beim Bildungsniveau signifi- kant von den nicht-teilnehmenden Familien unterscheidet. Die Eltern in der Stichprobe haben dabei ein leicht höheres Bildungsniveau.81 Es kann geschluss- folgert werden, dass die Stichprobe die Grundgesamtheit in den geprüften Merkmalen gut abbildet. Es gilt jedoch auch kritisch anzumerken, dass wichtige 81 Mann Whitney Test U= 6060,00 p= <0,05 r= 0,14. 193 Aspekte wie bspw. die Problemlagen der Familien aus Ressourcengründen nicht in den Vergleich miteingeflossen sind. 5.4 Netzwerkressourcen und -belastungen zu Beginn der SPF Nachfolgend wird dargestellt, wie Eltern ihre Netzwerkressourcen und -belas- tungen zu Beginn der SPF eingeschätzt haben.82 Die Mittelwerte der einzelnen Dimensionen der Netzwerkressourcen und -belastungen werden in der Abbil- dung 2 ersichtlich. Dort sind auch die Standardabweichungen der Mittelwerte in Form von vertikalen Linien eingeblendet. In der vertikalen Achse werden die Antwortmöglichkeiten der Fünfer-Skala (1= trifft überhaupt nicht zu; 5= trifft voll und ganz zu) dargestellt. Je höher der Mittelwert, desto mehr Netzwerkres- sourcen bzw. -belastungen sind vorhanden. Abbildung 2: Netzwerkressourcen und -belastungen zu Beginn der SPF (n=100–101) Ein Blick auf die drei Dimensionen der Netzwerkressourcen zeigt, dass bei der emotionalen Unterstützung der höchste Mittelwert vorliegt (MW= 4,5). Zudem ist auch die Streuung innerhalb dieser Dimension im Vergleich zu den vier anderen Dimensionen am geringsten (SD= 0,81). Dies deutet darauf hin, dass die meisten der befragten Eltern über genügend emotionale Unterstützung verfügen. Die instrumentelle Unterstützung hat dagegen den tiefsten Mittelwert (MW= 3,76) bei den Netzwerkressourcen. Nicht nur der tiefe Mittelwert, son- dern auch die relativ geringe Standardabweichung (SD= 0,97) zeigt, dass ein 82 Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass der Fragebogen bei fast allen Eltern nicht beim ersten Familienbesuch aufgefüllt werden konnte, sondern erst einige Familiensuche später. Dies wurde von den Fachpersonen damit begründet, dass zu Beginn der SPF andere Auf- gaben im Vordergrund standen. 194 vergleichsweise grosser Teil der Eltern über wenig instrumentelle Unterstüt- zung verfügt. Der Mittelwert bei den Freundschaften liegt mit 3,89 etwas über der instrumentellen Unterstützung. Zudem ist die Streuung (SD= 1,18) der Antworten in dieser Dimension grösser. Eine genauere Betrachtung der Streu- ung zeigt, dass die Werte stark linksschief (-0,98) verteilt sind. Dies bedeutet, dass ein eher kleiner Teil der Eltern mit ihren freundschaftlichen Beziehungen sehr unzufrieden ist. Ferner wird deutlich, dass freundschaftliche Beziehungen nicht gleichzusetzen sind mit emotionaler oder instrumenteller Unterstützung, sondern auch andere Funktionen erfüllen wie z. B. Freizeit miteinander ver- bringen und Spass haben. Bei den Netzwerkbelastungen wird ersichtlich, dass die Eltern stärker von Feindseligkeiten aus dem persönlichen Umfeld (MW= 2,43) als von Einsamkeit (MW= 1,89) betroffen sind. Die hohe Streuung bei der Feindseligkeit (SD= 1,26) deutet zudem darauf hin, dass ein Teil der Eltern häufig Feindseligkeiten aus dem Umfeld erlebt und dies eine chronische Belastung darzustellen scheint. Bei der Einsamkeit ist die Streuung hingegen eher gering (MW= 1,89, SD= 0,92). Die stark rechtsschiefe Verteilung (1,10) der Daten weist darauf hin, dass nur ein sehr kleiner Teil der Eltern von Einsamkeit betroffen ist. Neben den eigentlichen Werten der einzelnen Ressourcen- und Belastungs- dimensionen ist es auch wichtig zu verstehen, ob und wie sich die Dimensionen gegenseitig bedingen. In der Tabelle 3 wird ersichtlich, wie die Netzwerk- ressourcen und -belastungen korrelieren.83 84 83 Pearson-Korrelation. 84 Je höher der Wert in der Tabelle, desto stärker ist die Korrelation. Zu beachten ist ferner, dass es sich bei den Werten um ungerichtete Zusammenhänge handelt. Somit kann zwar eine Aussage gemacht werden, ob eine Beziehung zwischen zwei Variablen besteht und ob die bestehende Beziehung positiv oder negativ ist, nicht jedoch über die Wirkungsrichtung. Ein positiver Zusammenhang bedeutet: je mehr von Variable A, desto mehr von Variable B und umgekehrt (d. h. je weniger von Variable A, desto weniger von Variable B). Ein nega- tiver Zusammenhang bedeutet: je mehr von Variable A, desto weniger von Variable B und umgekehrt. Die Sternchen in der Tabelle signalisieren die signifikanten Korrelationen. Bei einem Sternchen liegt die Irrtumswahrscheinlichkeit der Korrelation bei unter fünf Pro- zent, bei zwei Sternchen bei unter ein Prozent. 195 Tabelle 3: Korrelationen der Netzwerkressourcen und -belastungen zu Beginn der SPF (n= 99–101) 1 2 3 4 5 (1) Emotionale Unterstützung 1 (2) Instrumentelle Unterstützung 0,535** 1 (3) Freundschaft 0,458** 0,231* 1 (4) Feindseligkeit -0,036 -0,046 0,068 1 (5) Einsamkeit -0,336** -0,360** -0,332** 0,337** 1 **= p<0,01, *= p<0,05 Mit Blick auf die Netzwerkressourcen zeigt sich, dass emotionale Unterstützung signifikant positiv mit instrumenteller Unterstützung wie auch Freundschaft korreliert. Auch zwischen der instrumentellen Unterstützung und Freundschaft besteht ein signifikant positiver Zusammenhang. Dieser ist jedoch im Vergleich zu den anderen beiden Netzwerkressourcen eher als moderat zu bezeichnen. Somit wird deutlich, dass alle Netzwerkressourcen positiv und signifikant mit- einander korrelieren. Die Akkumulation von Netzwerkressourcen in einer Di- mension wirkt sich entsprechend positiv auf die anderen Dimensionen aus. Es wird aber auch deutlich, dass freundschaftliche Beziehungen stärker mit emo- tionaler als mit instrumenteller Unterstützung korrelieren, was sich mit den Ergebnissen anderer Studien deckt (vgl. Edwards/Gillies 2004). Insofern erhal- ten Eltern mit zufriedenstellen freundschaftlichen Beziehungen mehr emotio- nale Unterstützung als konkrete und greifbare Hilfeleistungen im Alltag. Bei den Netzwerkbelastungen zeigt sich, dass diejenigen Eltern, die Feindse- ligkeit in ihrem Umfeld erleben, sich signifikant häufiger einsam fühlen (und umgekehrt). Weiter wird ersichtlich, dass Einsamkeit signifikant negativ mit emotionaler und instrumenteller Unterstützung sowie mit Freundschaft korre- liert. Hierbei handelt es sich jedoch um moderate Korrelationen. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass Netzwerkressourcen ein Schutz gegen Einsamkeit sind, wohingegen die Wahrnehmung von Feindseligkeit unabhängig der Res- sourcensituation auftreten kann. Zusätzlich wurde auch der Einfluss verschiedener Kontextvariablen auf die Netzwerkressourcen und -belastungen untersucht (siehe Tabelle 4).85 Die getesteten Kontextvariablen beinhalten das Alter der Eltern, die Sprachkompe- tenzen in Deutsch, den allgemeinen Gesundheitszustand, das Haushaltsein- kommen, den Bildungsabschluss, die Anzahl Geschwister der Eltern, die An- zahl Kinder und die Anzahl der Jahre am aktuellen Wohnort. 85 Da die meisten Variablen ordinal skaliert sind, wurde für alle Korrelationstest in der Ta- belle der Kendall’sche Rangkorrelationskoeffizient (Tau-b) verwendet. 196 Tabelle 4: Korrelationen zwischen Netzwerkressourcen/-belastungen und Kontext- variablen (n= 98–103) Emotionale Instrumentelle Freund- Feind- Einsam- Unterstützung Unterstützung schaft seligkeit keit Alter -0,072 -0,092 -0,073 -0,041 0,062 Sprachkompetenzen 0,016 0,088 0,048 0,071 0,039 Gesundheitszustand 0,014 0,176* 0,167* -0,041 -0,144 Haushaltseinkommen -0,051 0,130 0,131 -0,147 -0,222** Bildungsabschluss 0,037 0,152 0,072 -0,015 -0,070 Anzahl Geschwister 0,015 0,012 -0,030 0,015 -0,075 Anzahl Kinder 0,087 -0,065 -0,009 -0,151 -0,068 Jahre am Wohnort 0,056 -0,030 -0,011 -0,011 -0,109 **= p<0,01, *= p<0,05 Das Ergebnis dieser Analyse zeigt, dass nur der allgemeine Gesundheitszustand und das Haushaltseinkommen mit den Netzwerkressourcen bzw. -belastungen signifikant korrelieren. Der Gesundheitszustand korreliert positiv mit der in- strumentellen Unterstützung und mit Freundschaft. Da die Korrelation in beide Richtungen gehen kann, ist es nicht möglich, eine Aussage darüber zu treffen, ob der Gesundheitszustand die instrumentelle Unterstützung bzw. die freundschaftlichen Beziehungen beeinflusst oder umgekehrt. Es besteht jedoch eine hohe Evidenz, dass sich mangelnde soziale Unterstützung negativ auf den Gesundheitszustand der betroffenen Person auswirkt (vgl. Wang/Wu/Liu 2003). Diese beiden Korrelationen sind gleichwohl nur schwach ausgeprägt. Das Haushaltseinkommen korreliert negativ mit der Einsamkeit. Auch hier kann keine gesicherte Aussage über die Richtung des Zusammenhangs gemacht werden. Eine Studie aus den Niederlanden bestätigt jedoch, dass tiefere Haus- haltseinkommen zu mehr Einsamkeit führen (vgl. Bosma et al. 2015). Die beiden Variablen Sprachkompetenz in Deutsch und Jahre am aktuellen Wohnort dienten als Indikator für die soziale Integration. Beide Variablen ha- ben weder einen Einfluss auf die Netzwerkressourcen noch auf die Netzwerk- belastungen. Bei der Anzahl Geschwister und Anzahl Kinder der Eltern war die Hypothese, dass Geschwister sowie eigene Kinder eine potenzielle Quelle für Unterstützung sowie Belastungen sein könnten. Diese Hypothese hat sich je- doch ebenfalls nicht bestätigt. Gruppenvergleiche Die bisherigen Analysen deuten unter anderem an, dass es zwischen den Eltern in der Stichprobe bezüglich deren Netzwerkressourcen und -belastungen Un- terschiede geben muss. Um zu überprüfen, ob diese mit bestimmen Gruppen- zugehörigkeiten korrelieren, wurden Gruppenvergleiche mit dem T-Test 197 durchgeführt. Verglichen wurden Eltern mit und ohne Partner/in, arbeitslose und arbeitstätige Eltern sowie Eltern mit und ohne Transferleistungen. Die Resultate werden nachfolgend näher beschrieben. Partnerschaft Die Ergebnisse zeigen, dass die in einer Partnerschaft lebenden Eltern (n= 54) signifikant mehr emotionale86 und instrumentelle Unterstützung87 erhalten als partnerlose Eltern (n= 47). Auch hinsichtlich der Netzwerkbelastungen gibt es einen signifikanten Unterschied. Erwartungsgemäss sind Eltern in einer Part- nerschaft weniger einsam88, zumal bei 71 Prozent der in einer Partnerschaft lebenden Eltern der/die Partner/in im selben Haushalt lebt. Die in Partner- schaft lebenden Eltern wurden ferner danach gefragt, wie stark der/die Part- ner/in in die Erziehung der Kinder involviert ist.89 Hierbei hat sich gezeigt, dass die meisten Partner/innen stark involviert sind. Der Median der Dauer der Partnerschaften beträgt 7,5 Jahre. Ein genauerer Blick auf die Partner/innen zeigt zudem, dass drei Viertel erwerbstätig sind, jedoch nur 33 Prozent über einen obligatorischen Schulabschluss verfügen. Rund 30 Prozent der Part- ner/innen erhalten zudem Transferleistungen und 32 Prozent sprechen kaum Deutsch oder verfügen nur über elementare Deutschkenntnisse. Eltern ohne Partner/in befinden sich seit rund 3 Jahren (Median) in dieser partnerlosen Situation. Das Ergebnis der Analyse deutet darauf hin, dass der/die Partner/in einerseits für eine familial bedeutsame Ressource steht, sich aber oftmals selbst prekären Lebensumständen ausgesetzt sieht. Erwerbstätigkeit Beim Gruppenvergleich zwischen arbeitstätigen (n= 49) und arbeitslosen (n= 51) Eltern zeigen die Ergebnisse, dass arbeitstätige Eltern signifikant mehr in- strumentelle Unterstützung90 erhalten als arbeitslose Eltern und zufriedener mit ihren Freundschaften sind.91 Ebenfalls zeigt sich, dass sich arbeitstätige Eltern signifikant weniger einsam fühlen.92 Das Arbeitspensum beträgt bei 33 Prozent der arbeitstätigen Eltern weniger als 50 Stellenprozente, bei 39 Prozent zwi- schen 50 und 89 Stellenprozenten und 28 Prozent der Eltern arbeiten mit einem 86 Ergebnis T-Test: t(99)= -2,25, p= <0,05. 87 Ergebnis T-Test: t(99)= -2,11, p= <0,05. 88 Ergebnis T-Test: t(99)= 2,05, p= <0,05. 89 Hierfür wurde eine Sechser-Skala mit den Extremwerten „1= überhaupt nicht“ und „6= sehr stark“ verwendet. Mittelwert der Antworten: 4,9 (SD= 1,3, min.= 1, max.= 6). 90 Ergebnis T-Test: t(98)= -3,21, p= <0,01. 91 Ergebnis T-Test: t(98)= -2,42, p= <0,05. 92 Ergebnis T-Test: t(98)= 3,30, p= <0,01. 198 Pensum zwischen 90 und 100 Prozent. Nicht erwerbstätige Eltern wurden da- nach gefragt, wie lange sie schon ohne Arbeit sind. Der Median hierzu beträgt vier Jahre, wobei zwölf Eltern gar nie erwerbsstätig waren. Obwohl die For- schung zeigt, dass Erwerbstätigkeit eine Quelle für soziale Unterstützung und Belastungen gleichermassen sein kann (vgl. Adams/King/King 1996), tritt die Erwerbstätigkeit bei den befragten Eltern vorwiegend als Ressource in Erschei- nung. Transferleistungen Auch beim Vergleich von Eltern mit (n= 58) und ohne (n= 42) Transferleistun- gen geben sich signifikante Unterschiede in den Netzwerkressourcen und -belastungen zu erkennen. Die Ergebnisse des T-Tests machen deutlich, dass Eltern mit Transferleistungen signifikant weniger instrumentelle Unterstützung erhalten93 und mit ihren Freundschaften signifikant weniger zufrieden sind.94 Eltern mit Transferleistungen wurden ferner danach gefragt, wie lange sie be- reits auf diese Leistungen angewiesen sind. Der Median hierzu beträgt vier Jahre. Weitere Analysen zeigen, dass es einen signifikanten Zusammengang zwischen Arbeitslosigkeit und dem Bezug von Transferleistungen gibt.95 Dies könnte darauf hindeuten, dass es sich bei einem Grossteil der Transferleistun- gen um Arbeitslosengeld oder wirtschaftliche Sozialhilfe handelt. Weitere Gruppenvergleiche Weitere Gruppenvergleiche bezüglich des Geburtslandes der Eltern (geboren in der Schweiz/nicht in der Schweiz), der Staatsbürgerschaft (Schweiz/Nicht- Schweiz) oder des Wohnortes (Stadt/Agglomeration/Land) haben sich weder bei den Netzwerkressourcen noch den -belastungen als bedeutsam erwiesen. Ein Gruppenvergleich zwischen den Geschlechtern wurde aufgrund der kleinen Anzahl teilnehmender Väter nicht durchgeführt. Unterstützungsquellen Neben der Höhe an zur Verfügung stehender Unterstützung stellen die Quellen der Unterstützung ein wichtiges Merkmal der sozialen Netzwerke von Eltern dar. Am häufigsten wurde die eigene Familie als Unterstützungsquelle angege- ben (86,4 %). Neben der Kernfamilie sind hier auch die Eltern und Geschwister der befragten Eltern gemeint. Verwandtschaftliche Beziehungen spielen hinge- gen nur bei rund einem Drittel der Eltern eine Rolle (36,9 %). Dafür treten 93 Ergebnis T-Test: t(98)= -3,04, p= <0,01. 94 Ergebnis T-Test: t(98)= -2,15, p= <0,05. 95 Ergebnis Chi-Quadrat Test: X2 (1, N= 99)= 17,3, p < 0,01. 199 Freundschaften sowie Kolleginnen/Kollegen96 bei fast zwei Dritteln der Eltern (64,1 %) als Unterstützungsquelle in Erscheinung. Obwohl geografisch sehr nahe, erhalten nur 28,2 Prozent der Eltern regelmässig Unterstützung von ihren Nachbarn. Am seltensten wurden jedoch Arbeitskolleginnen und -kollegen als Unterstützungsquelle genannt (19,4 %). Dies hat unter anderem damit zu tun, dass rund die Hälfte der Eltern in der Stichprobe nicht erwerbstätig ist. Viele Eltern werden hingegen von Fachpersonen regelmässig unterstützt (73,8 %). Dies lässt darauf schliessen, dass die Eltern bereits zu Beginn der SPF in ein professionelles Helfersystem eingebunden waren. Es kann jedoch keine Aussage dazu gemacht werden, um welche Fachpersonen es sich genau handelt, da dies im Fragebogen nicht gesondert abgefragt wurde. Obwohl sich der Elternteil und die SPF-Fachperson noch nicht lange kennen, kann es dennoch sein, dass diese als Unterstützungsquelle bereits mitgemeint ist. Neben den Fragen rund um die Netzwerkressourcen und -belastungen wurden die Eltern zusätzlich danach gefragt, ob sie genügend Unterstützung aus ihrem privaten Umfeld und von Fachpersonen erhalten. Diese Frage wurde leicht positiver für die Unterstützung von Fachpersonen eingeschätzt als für die Unterstützung aus ihrem privaten Umfeld.97 Neben den Merkmalen des Unter- stützungsnetzwerkes spielt es auch eine Rolle, ob die potenziell zur Verfügung stehende Unterstützung im Bedarfsfall auch in Anspruch genommen wird (vgl. Featherstone/Broadhurst 2003), was nach vorliegenden Hinweisen der Fall zu sein scheint.98 5.5 Zusammenfassende Diskussion der Ausgangsbedingungen Bei der Betrachtung der Stichprobe wird deutlich, dass sich viele Eltern mit SPF in schwierigen Lebenslagen befinden. Dies betrifft insbesondere die Bereiche Bildung, Arbeit, Einkommen, Gesundheit und Sprachkompetenzen in Deutsch. Da fast die Hälfte der Eltern angegeben hat, nicht in einer Partnerschaft zu leben, ist zudem davon auszugehen, dass die Betreuung und Erziehung der Kinder allein bewerkstelligt werden muss. Die Belastungen, welche die Eltern erfahren, zeigen sich nicht zuletzt auch daran, dass 56,3 Prozent der Eltern 96 In der Schweiz wird der Begriff „Kolleg/innen“ für Personen verwendet, die einem etwas weniger nahestehen als Freunde/innen, aber näher als Bekannte. Manchmal wird der Be- griff auch als ein Synonym für Freunde/innen verwendet. 97 5er Skala, Unterstützung Fachpersonen: Mittelwert (MW)= 4,2, SD= 1,03; Unterstützung aus dem privaten Umfeld: MW= 3,9, SD= 1,06. 98 MW= 4,0, SD= 1,15. 200 Transferleistungen in Anspruch nehmen. Zudem verdeutlicht der hohe Anteil an formellen Unterstützungsquellen (73,8 %) in den Netzwerken der Eltern, dass sie auf Unterstützung von Fachpersonen angewiesen sind. Insgesamt zeigt sich also, dass Eltern mit SPF häufig von multiplen sozioökonomischen Belas- tungen betroffen sind, die meistens bereits über längere Zeit bestehen (vgl. Tausendfreund et al. 2016). Die Angaben der Fachpersonen hinsichtlich der Problemanlässe spiegeln dies indes nicht wider. Aus deren Sicht sind nur in etwas mehr als einem Drittel der Familien soziale, wirtschaftliche oder gesundheitliche Belastungen anlass- gebend für die SPF. Viel häufiger wird die eingeschränkte Erziehungskom- petenz des Elternteils/der Eltern als ein hauptsächlicher Grund benannt. Vor dem Hintergrund der teilweise prekären Lebenslagen der Familien drängt sich jedoch die Vermutung auf, dass die eingeschränkte Erziehungskompetenz zu- mindest teilweise ein Symptom der schwierigen Lebenslage ist. Typische Kom- binationen von Problemlagen konnten in den Daten nicht gefunden wurden. Dies unterstreicht, dass SPF für eine erhebliche Bandbreite an Problemkon- stellationen eingesetzt wird. Der Fokus auf die Erziehungskompetenzen der Eltern zeigt sich auch bei den Zielsetzungen und den Adressaten/innen einer SPF. In neun von zehn SPF besteht ein hauptsächliches Ziel darin, die Eltern zu unterstützen und zu för- dern. In 91,3 Prozent der Fälle richtet sich die SPF explizit an die Kindsmutter, an den Kindsvater jedoch nur bei 27,2 Prozent. Beide Elternteile werden nur in 20,4 Prozent der SPF adressiert. Hier stellt sich die Frage, warum sich die SPF vergleichsweise selten an die Kindsväter richtet. Im Gegensatz zu den Müttern wurden die Kinder nur in 43,7 Prozent der Fälle als direkte Adressatinnen an- gegeben. Dies kann insofern problematisiert werden, da der Einbezug des Kin- des in ambulanten Familieninterventionen einen bedeuteten Faktor für den Erfolg der Intervention darstellt (vgl. Sweet/Applebaum 2004). Es kann somit festgehalten werden, dass die SPF ihren Fokus auf die Arbeit mit den Eltern legt, insbesondere mit den Kindsmüttern. Die explizite Adressierung der Kin- der hingegen scheint nicht die Regel zu sein. Allerdings sind diese Angaben von den Fachpersonen zu Beginn der SPF nicht gleichzusetzen mit der tatsächlichen Beteiligung im Rahmen der anschliessenden Praxis. Die Ergebnisse zu den Netzwerkressourcen zu Beginn der SPF zeigen, dass viele Eltern über ausreichend emotionale Unterstützung verfügen. Im Umkehr- schluss kann dies bedeuten, dass emotionale Unterstützung kein ausreichender Schutz vor erzieherischen Schwierigkeiten ist, sondern hilft, mit den schwieri- gen Umständen umgehen zu können. Die Analysen zeigen, dass bei den Eltern instrumentelle Unterstützung im Durchschnitt am wenigsten gegeben ist. Ver- schiedene Studien belegen einen direkten positiven Einfluss von instrumentel- ler Unterstützung auf die Qualität der Erziehung (vgl. Gameiro et al. 2011), ins- besondere, wenn finanzielle Belastungen in der Familie bestehen (vgl. Jackson 201 et al. 2000). Letzteres deutet darauf hin, dass instrumentelle Unterstützung in Krisenzeiten einen wichtigen Puffer für Familien darstellt. In der vorliegenden Studie wurden Freundschaften mit Fokus auf Entspan- nung, Spass und Geselligkeit operationalisiert. Die Zufriedenheit der Eltern hinsichtlich dieser Qualitäten freundschaftlicher Beziehungen ist grösstenteils gegeben. Wenn Freundschaften als konkrete Unterstützungsquelle betrachtet werden, dann geben immerhin fast zwei Drittel (64,1 %) der Eltern an, dass sie von Freund/innen regelmässig Unterstützung erhalten. Obwohl relativ viele Eltern von Freund/innen unterstützt werden, sind dennoch die engeren Familienmitglieder der Eltern die wichtigste Quelle für Unterstützung. Dies könnte einerseits damit zusammenhängen, dass der Verpflichtungsgrad von Freund/innen, regelmässig Unterstützung zu leisten, geringer ist als bei den engeren Familienmitgliedern. Andererseits kann es auch sein, dass die Eltern zuerst die engeren Familienmitglieder für Unterstützung anfragen, bevor sie an ihren Freundeskreis treten. Dies wird durch die vorliegenden Daten bestätigt, da 86,4 Prozent der Eltern angegeben, dass sie von der eigenen Familie regel- mässig unterstützt werden. Bei der Analyse der Netzwerkressourcen zeigt sich zudem, dass diese teil- weise signifikant mit den Lebenslagen der Eltern zusammenhängen. Insbeson- dere partnerlose Eltern, Eltern ohne Erwerbstätigkeit und Eltern mit Transfer- leistungsbezug verfügen über signifikant weniger Netzwerkressourcen. Die Abhängigkeit der Netzwerkressourcen wie auch -belastungen von den Lebens- lagen der Eltern überrascht teilweise auch etwas. So ergeben sich bspw. keine signifikanten Zusammenhänge zwischen den Netzwerkressourcen und -belas- tungen und den Sprachkompetenzen der Eltern wie auch bezüglich der Höhe ihres Bildungsabschlusses oder der Anzahl Jahre am aktuellen Wohnort zu erkennen. Die Ergebnisse zu den Netzwerkbelastungen zeigen, dass Einsamkeit kein verbreitetes Phänomen bei den befragten Eltern ist, diese also nicht von sozialer Isolation betroffen zu sein scheinen. Die Daten zeigen zwar, dass sich partner- lose sowie arbeitslose Eltern signifikant einsamer fühlen, jedoch keineswegs in einem problematischen Ausmass. Forschungen zu alleinerziehenden Frauen haben gezeigt, dass kleinere soziale Netzwerke nicht per se negativ, sondern von alleinerziehenden Frauen mitunter auch explizit so gewollt sind (vgl. Niepel 1994). Weitere Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass die Menge an sozialen Kontakten von alleinerziehenden Müttern sich nicht nur unterschied- lich auf deren Wohlbefinden auswirkt, sondern auch auf deren Handlungsfä- higkeit (vgl. Keim 2018). Andere Studien zeichnen jedoch ein gegenteiliges Bild. Eine Studie aus Belgien bspw. kam zum Schluss, dass Eltern, die in belasteten sozioökomischen Verhältnissen leben und Familienhilfen in Anspruch neh- men, sich stark isoliert fühlen (vgl. Geens/Roets/Vandenbroeck 2019). Vor 202 diesem Hintergrund überraschen die Ergebnisse der vorliegenden Studie etwas, da auch diese Eltern nicht selten in prekären Verhältnissen leben. Eine grössere Belastung für die Eltern stellt hingegen Feindseligkeit aus dem sozialen Umfeld dar. Die Forschung zu Auswirkungen von feindseligem Ver- halten zwischen den beiden Elternteilen auf die Erziehungspraxis zeigt hierzu einen eindeutigen Zusammenhang. Ein hohes Mass an Feindseligkeit zwischen Eltern überträgt sich negativ auf die Erziehungspraxis und führt zu einer Ab- nahme von Liebe und Zuneigung dem Kind gegenüber (vgl. Stover et al. 2012). Mit den vorliegenden Daten kann zwar nicht eruiert werden, ob sich die Eltern bei der Feindseligkeit auf ihre (Ex-)Partner/innen oder auf andere Beziehungen im sozialen Umfeld beziehen, die verfügbare empirische Evidenz deutet jedoch eher auf Ersteres hin. 5.6 Netzwerkressourcen und -belastungen im Längsschnitt Die Darstellung von Veränderungen innerhalb der Netzwerkressourcen und -belastungen der Eltern erfolgt in zwei Schritten. Zuerst werden die festgestell- ten Veränderungen in den einzelnen Dimensionen der Netzwerkressourcen und -belastungen über alle drei Messzeitpunkte aufgezeigt. Anschliessend wird erörtert, welche Faktoren die Veränderungen massgeblich beeinflussen. Da nicht alle Eltern an allen drei Erhebungswellen teilgenommen haben, werden zuerst die Veränderungen in der Stichprobengrösse zwischen den Messzeit- punkten beschrieben. Zum zweiten Messzeitpunkt haben insgesamt 69 von den 103 Eltern aus der ersten Befragungswelle den Fragebogen ausgefüllt. Dies entspricht 67 Prozent der Basisstichprobe. Gründe für die Nicht-Teilnahme an der zweiten Befragung können zu drei Mustern verdichtet werden. Zehn SPF wurden zwischen den beiden ersten Messzeitpunkten regulär beendet. Elf SPF wurden abgebrochen und zwölf Eltern wollten an der zweiten Befragung nicht mehr teilnehmen, obwohl die SPF weiterlief. An der dritten Befragungswelle haben schliesslich noch 34 Eltern von der Basisstichprobe teilgenommen. 16 SPF wurden zwischen der zweiten und drit- ten Befragungswelle regulär abgeschlossen, sechs SPF wurden abgebrochen, sechs Eltern wollten nicht mehr an der Studie teilnehmen. Zudem konnte die Befragung bei acht Eltern zum dritten Messzeitpunkt aufgrund der Schutz- massnahmen, welche die Regierung anlässlich der Covid-19-Pandemie getrof- fen hatte, nicht mehr durchgeführt werden. Insgesamt beträgt die Dropout-Quote 67 Prozent, was gleichbedeutend ist mit 69 Eltern. Bei der Ergebnisinterpretation zu den Veränderungen in den 203 Netzwerkressourcen und -belastungen muss daher berücksichtigt werden, dass nur die SPF miteinbezogen werden konnten, in denen die Ziele noch nicht erreicht wurden. Bei Eltern, welche die SPF zwischen zwei Messzeitpunkten regulär abgeschlossen haben, konnte keine weitere Befragung durchgeführt werden. Insofern werden jene SPF, bei denen anzunehmen ist, dass starke (und positive) Veränderungen stattgefunden haben, nicht in der Analyse berück- sichtigt. Demzufolge ist zu erwarten, dass die Ergebnisse zu den Veränderungen innerhalb der Netzwerkressourcen und -belastungen eher konservativ ausfallen werden. Eine weitere Schwierigkeit bzgl. der Datengrundlage besteht darin, dass es sich um eine vergleichsweise kleine Stichprobe mit einer relativ hohen Drop- out-Quote zum dritten Messzeitpunkt hin handelt. Durch die kleine Stichprobe können nur einfache statistische Verfahren angewendet werden, welche den Gegenstand unter Umständen unterkomplex modellieren. Hierzu muss jedoch gesagt werden, dass eine Beobachtungszeit von einem Jahr eine Grundvoraus- setzung ist, um Wirkungen bei komplexeren und länger andauernden SPF zu untersuchen (vgl. Macsenaere/Esser 2012). 5.6.1 Merkmale und Kontexte der SPF Um die Veränderungen in den Netzwerkressourcen und -belastungen besser einordnen zu können, werden zuerst die formalen sowie handlungspraktischen Merkmale und Kontexte der SPF zwischen dem ersten und zweiten, und an- schliessend auch zwischen dem zweiten und dritten Messzeitpunkt beschrieben. Mit Merkmalen der SPF sind Informationen gemeint, welche Art und Umfang der Intervention näher beschreiben. Hierzu zählen folgende Indikatoren: An- zahl Familienbesuche zwischen den Messzeitpunkten, durchschnittliche Dauer eines Familienbesuchs, sprachliche Verständigung zwischen der Familie und der Fachperson, Einsatz von Netzwerkmethoden und -instrumenten sowie der Zielerreichungsgrad bei den Eltern. Mit den Kontexten der SPF sind hingegen die Lebenslagen der Eltern gemeint. Hierzu zählen die Problemlagen und die Inanspruchnahme weiterer Hilfen durch die Eltern. Diese Angaben sollen Hinweise darauf geben, inwiefern sich die Kontexte verändern, in denen die SPF interveniert. Erster Erhebungszeitraum: Zwischen t0 und t1 Im Forschungsdesign war ein Abstand von 180 Tagen bzw. sechs Monaten zwischen der ersten und zweiten Befragung vorgesehen. Die zweite Erhebung erfolgte im Durchschnitt 201 Tage (SD= 33,2) nach der ersten Befragung. Dies kann als ein guter Wert betrachtet werden, da die Erhebung der zweiten Welle 204 mit zahlreichen Herausforderungen verbunden war, z. B. dem Wechsel der zuständigen Fachpersonen (n= 5), mit akuten Krisen in den Familien oder Unterbrechungen in der SPF.99 Zwischen der ersten und zweiten Befragung haben pro SPF durchschnittlich 28,9 (SD= 14,4) Hausbesuche stattgefunden. Ein Hausbesuch dauerte im Durchschnitt knapp zwei Stunden (110,4 Minuten, SD= 32,0). Mit Ausnahme einer SPF fanden alle Treffen zwischen der Fachperson und der Familie haupt- sächlich bei der Familie zuhause statt.100 Gemäss den Fachpersonen gelang die sprachliche Verständigung in den SPF gut bis sehr gut. Nur bei sechs SPF wurde angegeben, dass die Verständigung nur mittelmässig (n= 5) oder schlecht (n= 1) funktionierte. Von den n= 69 SPF in der zweiten Befragungs- welle wurden n= 52 im Rahmen einer Intervision (interne Moderation) und n= 27 in einer Supervision (externe Moderation) besprochen. Diese relativ hohe Rate der Inanspruchnahme von Beratungsmöglichkeiten hat vermutlich nicht direkt etwas mit den SPF dieser Stichprobe zu tun. Es ist eher davon auszuge- hen, dass Fachpersonen der SPF einen grossen Teil ihrer Arbeit allein vollbrin- gen und der kollegiale Austausch deshalb ein notwendiger Bestandteil ihrer Aktivitäten ist. Die für die SPF zuständigen Fachpersonen wurden zum zweiten und dritten Messzeitpunkt gebeten, den Zielerreichungsgrad der Eltern anzugeben.101 In n= 31 SPF (45 %) wurde beim zweiten Messzeitpunkt angegeben, dass die Eltern ihre Ziele entsprechend der Erwartungen der Fachpersonen erreichten. Zwölf Eltern (18 %) übertrafen die Zielsetzungen etwas (n= 6) oder sehr (n= 6).102 Bei n= 25 Eltern (37 %) lag der Stand der Zielerreichung etwas (n= 20) bzw. stark (n= 5) unter den Erwartungen. Die Ergebnisse zum Zielerreichungsgrad zeigen, dass die gemachten Fortschritte der Eltern im gleichen Zeitraum gemäss den Erwartungen der Fachkräfte unterschiedlich ausfallen und diesbezügliche Vor- hersagen keineswegs einfach zu treffen sind. Im Hinblick auf die Frage nach Veränderungen in den Netzwerkressourcen und -belastungen ist die Klärung der Methoden und Instrumente der Netz- werkarbeit relevant, welche zwischen den Messzeitpunkten t0 und t1 eingesetzt wurden. In 33 von 69 SPF gaben die befragten Fachpersonen an, dass sie sich solcher Methoden und Instrumente bedienten. Die Fachpersonen konnten in 99 Diese Informationen basieren auf dem E-Mail-Verkehr und Telefonkontakt mit den Orga- nisationen. 100 Bei der einen Ausnahme fanden die Treffen in einem Restaurant oder Café statt. 101 Für die Messung des Zielerreichungsgrades wurde folgende Skala verwendet: Die Ziele sind (1) viel weniger erreicht worden als erwartet; (2) etwas weniger erreicht worden als erwar- tet; (3) wie erwartet erreicht worden; (4) etwas mehr erreicht worden als erwartet; (5) viel mehr erreicht worden als erwartet. 102 Bei einer SPF fehlte die Angabe zum Zielerreichungsgrad. 205 diesem Kontext spezifizieren, um welche Methoden und Instrumente es sich im Einzelnen handelt. Am häufigsten wurde das Genogramm genannt (n= 22), gefolgt von der Netzwerkkarte (n= 13). In einer SPF wurde ein Lebensstrahl mit den wichtigsten Menschen im Leben erstellt und in einer anderen SPF Biogra- phiearbeit mit der ganzen Familie durchgeführt. Bei den hauptsächlichen Problemlagen der Familien hat sich gezeigt, dass es zwischen den Messzeitpunkten t0 und t1 nach Angabe der Fachpersonen bei keiner der acht Problemlagen103 zu signifikanten Zu- oder Abnahmen in der Stichprobe gekommen ist.104 Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass es sich um verfestigte Problemlagen bei den Familien handelt, deren Bearbeitung mehr Zeit beansprucht oder dass andere Aufgaben in den ersten sechs Monaten vor- dringlicher waren (z. B. Aufbau einer stabilen Arbeitsbeziehung). Ein zweiter Indikator für die familiäre Situation ist die Anzahl von Hilfen, die zwischen dem ersten und zweiten Messzeitpunkt parallel zur SPF in Anspruch genom- men wurden. Von den 69 Eltern in der zweiten Erhebungswelle haben n= 53 mindestens eine weitere Hilfe in Anspruch genommen. Die meistgenannten Hilfen sind dabei die Erziehungsberatung (n= 25)105, medizinische Behandlung (n= 22), Psychotherapie (n= 20) und der schulpsychologische Dienst (n= 18). Die restlichen zur Auswahl stehenden Hilfen weisen jeweils nicht mehr als sechs Nennungen auf.106 Die rege Beanspruchung weiterer Hilfen zeigt auf, dass die Problematiken in den Familien nicht nur im sozialen Bereich liegen, son- dern dass neben der Erziehungsberatung insbesondere medizinische bzw. psy- chologische Hilfen in Anspruch genommen wurden. 103 Vgl. Kap. 5.3. Es handelt sich um folgende acht Problemlagen: (1) Eingeschränkte Erzie- hungskompetenz der Eltern; (2) unzureichende Förderung, Betreuung und/oder Versor- gung des Kindes/der Kinder in der Familie; (3) Belastungen des Kindes aufgrund von fami- liären Konflikten; (4) Belastungen des Kindes/der Kinder aufgrund von psychosozialen Problemlagen der Eltern; (5) Auffälligkeiten des Kindes/der Kinder im sozialen Verhalten; (6) schulische oder berufliche Probleme des Kindes/der Kinder; (7) Entwicklungsauffällig- keiten bzw. seelische Probleme des Kindes/der Kinder; (8) akute Gefährdung des Kindes- wohls. 104 Diese Analyse wurde mit dem McNemar-Test durchgeführt. 105 Die Erziehungsberatung in der Schweiz erbringt unter anderem folgende Leistungen: Kooperation und Netzwerkarbeit; Beratung in Erziehungsfragen, Ehe- und Paarberatung, Scheidungsberatung, Budgetberatung; Psychologische Testdiagnostik (z. B. für Kinder mit Lese- oder Rechenschwächen); Kindesschutz und Risikoeinschätzung; Unterstützung der Klient/innen im Umgang mit Institutionen (z. B. Schule). 106 Den Eltern standen folgenden weitere Auswahlmöglichkeiten zur Verfügung: Mütter- und Väterberatung, Elternbildung, Sprachkurs, Schuldenberatung, Ehe-/Paarberatung, Tren- nungs-/Scheidungsberatung, Begleitete Übergaben/Besuche, Schulsozialarbeit, Gewaltbe- ratung/-therapie, andere Unterstützungsangebote. 206 Zweiter Erhebungszeitraum: Zwischen t1 und t2 Zwischen dem zweiten und dritten Messzeitpunkt war laut dem Forschungsde- sign ebenfalls ein Abstand von sechs Monaten vorgesehen. Bei der Datenerhe- bung wurde diese Vorgabe mit 171 Tagen (SD= 40,9, n= 34) im Durchschnitt leicht unterschritten. In dieser Zeitspanne haben durchschnittlich 15,5 (SD= 7,2) Hausbesuche stattgefunden, die im Durchschnitt knapp zwei Stunden (109,5 Minuten, SD= 40,1) dauerten. Wenn nur die SPF miteinander verglichen werden, die über alle drei Messzeitpunkte in der Stichprobe vertreten sind (n= 34), dann zeigt sich, dass die Anzahl Hausbesuche (t0 – t1= 26,7; t1 – t2= 15,5) sowie ihre durchschnittliche Dauer (t0 – t1= 120,4; t1 – t2= 109,5) im Verlauf der SPF abnehmen. Bis auf eine SPF wurden wiederum alle Begleitungen im Haushalt der Eltern durchgeführt.107 Die sprachliche Verständigung zwischen der Familie und der Fachperson funktionierte in den meisten SPF gut bis sehr gut.108 Von den 34 SPF in der dritten Befragungswelle wurden etwas mehr als die Hälfte (n= 19) im Rahmen einer Intervision (interne Moderation) und sieben in einer Supervi- sion (externe Moderation) besprochen. Bei zwei Begleitungen kam es zu einem Wechsel bei der zuständigen Fachperson. In fünf Familien (14,7 %) wurden zwischen t1 und t2 Netzwerkmethoden und -instrumente eingesetzt. Dabei handelte es sich hauptsächlich um den Einsatz von Genogrammen. In einer SPF wurden die Gespräche zwischen der Fachperson und anderen formellen Ak- teur/innen im Unterstützungsnetzwerk der Familie als Netzwerkarbeit angege- ben. Bei der Betrachtung des Zielerreichungsgrads nach rund einem Jahr stellt sich heraus, dass bei zwölf von 34 Eltern die Ziele wie erwartet erreicht, bei zehn Eltern die Ziele übertroffen und bei den restlichen zwölf Eltern die Er- wartungen nicht erfüllt wurden. Bei neun SPF wurde angeben, dass die Beendi- gung in den nächsten Monaten geplant sei. Hinsichtlich der Problemlagen in den Familien wird deutlich, dass es bei keiner der acht Problemlagen zu signifikanten Zu- oder Abnahmen kam.109 Insofern zeigt sich, dass die Probleme in den Familien auch zwischen t1 und t2 nicht weniger werden und sich auch nicht verändern. Dieses Ergebnis muss jedoch vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass es sich um SPF handelt, bei denen die Ziele noch nicht erreicht wurden. Eine Analyse der regulär abge- schlossenen SPF würde mit grosser Wahrscheinlichkeit zu einem anderen Bild 107 Bei der Ausnahme handelt es sich um eine SPF, welche hauptsächlich via Telefon statt- gefunden hat. 108 MW= 4,47 (SD= 0,71). 109 Diese Analyse wurde mit dem McNemar-Test durchgeführt. 207 führen.110 Nichtsdestotrotz ist augenfällig, dass sich die Zielerreichungsgrade nicht mit den Veränderungen hinsichtlich der Problemlagen der Familien de- cken. Obwohl bei etlichen Eltern die Ziele erreicht oder übertroffen wurden, nehmen die Problemlagen in der Familie nicht ab. Dies deutet darauf hin, dass sich die Angaben zum Zielerreichungsgrad der Eltern nicht auf die langfristen Interventionsziele beziehen, sondern eher auf kleinere Etappenziele. Das gleiche Phänomen kann auch zwischen dem ersten und zweiten Messzeitpunkt festge- stellt werden. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass nicht die Auflösung der zugrundeliegenden Problemlagen das eigentliche Ziel der hier untersuchten SPF sind, sondern eher der angemessene Umgang damit. Zwischen dem zweiten und dritten Messzeitpunkt haben 26 von 34 Eltern neben SPF weitere Hilfen in Anspruch genommen. Die meistgenannten Hilfen sind die medizinische Behandlung (n= 13) und die Psychotherapie (n= 13). Darüber hinaus nahmen acht Eltern Erziehungsberatung in Anspruch. Des Weiteren wurden die Schulsozialarbeit sowie der Schulpsychologische Dienst von sechs bzw. fünf Eltern angegeben. Andere Hilfen wurden kaum in An- spruch genommen. 5.6.2 Veränderungen in den Netzwerkressourcen und -belastungen Um mögliche Veränderungen in den Netzwerkressourcen und -belastungen der Eltern während der SPF zu untersuchen, wurden Varianzanalysen mit Mess- wiederholungen durchgeführt (rmANOVA). Bei diesem Test wird geprüft, ob signifikante Unterschiede in den Mittelwerten der Netzwerkressourcen und -belastungen zwischen den drei Messzeitpunkten sowie über alle Messzeit- punkte hinweg (sog. Haupteffekte) sichtbar werden. Dabei können nur Eltern berücksichtigt werden, bei denen für alle drei Messzeitpunkte Daten vorhanden sind. Je nach Dimension der Netzwerkressourcen und -belastungen sind dies zwischen 32 und 33 Eltern. Die Veränderungen bei den Netzwerkressourcen und -belastungen sind in Abbildung 3 in Form eines Liniendiagramms abgebil- det. Pro Dimension und Messzeitpunkt sind die Mittelwerte angegeben. Die Ergebnisse der Varianzanalysen werden nachfolgend beschrieben. 110 Über die abgeschlossenen SPF liegen keine Daten vor, da diese nicht mehr befragt wurden. 208 Abbildung 3: Veränderungen in den Netzwerkressourcen und -belastungen (n= 32–33) Veränderungen in den Netzwerkressourcen Bei der Betrachtung der Veränderung im Bereich der emotionalen Unterstüt- zung wird deutlich, dass nach einem sehr geringen Anstieg zwischen t0 und t1 keine weiteren Veränderungen mehr stattfinden. Weder der Haupteffekt noch die Veränderungen zwischen den einzelnen Messzeitpunkten sind signifikant. Bei den Freundschaften zeigt sich zwischen den ersten beiden Messzeitpunkten eine geringfügige Senkung, die dann zwischen t1 und t2 leicht über das Aus- gangsniveau zu Beginn der SPF (t0) ansteigt. Analog zur emotionalen Unter- stützung sind auch hier die Veränderungen nicht signifikant. Darüber hinaus sind die Veränderungen bei der instrumentellen Unterstützung ebenfalls kaum feststellbar. Wie in der Zusammenfassung der Netzwerkressourcen und -belas- tungen zu Beginn der SPF beschrieben (siehe Kap. 5.5), gibt es starke Hinweise darauf, dass in dieser Dimension der Bedarf an einer Zunahme bei den Eltern am grössten wäre. Jedoch kommt es auch in diesem Punkt zu keinen nennens- werten Veränderungen. Veränderungen in den Netzwerkbelastungen Bei den Netzwerkbelastungen können hingegen stärkere Veränderungen festge- stellt werden. Die durch die Eltern wahrgenommene Feindseligkeit aus ihrem Umfeld sinkt zuerst leicht zwischen den ersten beiden Messzeitpunkten und anschliessend deutlich zwischen t1 und t2. Dies drückt sich in einem signifi- kanten Haupteffekt aus.111 Bei der Betrachtung der paarweisen Vergleiche zeigt sich, dass diese Veränderung erst zwischen dem zweiten und dritten Messzeit- punkt (p< 0,05) signifikant ist. 111 F(2, 64)= 3,392, p < 0,05. 209 Bei der Dimension Einsamkeit zeigt sich ein ähnlicher Verlauf. Dies bestä- tigt sich auch in einem signifikanten Haupteffekt.112 Auch hier ist nur die Veränderung zwischen dem zweiten und dritten Messzeitpunkt signifikant (p< 0,01), jedoch nicht zwischen t0 und t1. Diskussion Auf der Grundlage dieser Ergebnisse wird zunächst ersichtlich, dass bei den Netzwerkressourcen über alle drei Messzeitpunkte hinweg kaum Veränderun- gen sichtbar werden. Bei den Netzwerkbelastungen hingegen können signifi- kante Senkungen der Werte zwischen dem zweiten und dritten Messzeitpunkt festgestellt werden. Dies kann unterschiedliche Gründe haben: Die Menge an vorhandenen Ressourcen ist für die Eltern ausreichend; der Aufbau von Res- sourcen benötigt mehr Zeit; der Aufbau von sozialen Ressourcen war kein er- klärtes Ziel der SPF; der Aufbau von sozialen Ressourcen war intendiert, gelang jedoch nicht; andere Ziele waren dringlicher. Das vorliegende Ergebnis könnte auch bedeuten, dass der Abbau von Netzwerkbelastungen von grösserer Dring- lichkeit oder sogar eine Voraussetzung dafür ist, dass Netzwerkressourcen akti- viert und/oder erschlossen werden können. 5.6.3 Zufriedenheit mit sozialer Unterstützung Neben dem Grad an verfügbaren Netzwerkressourcen wurden die Eltern über alle drei Messzeitpunkte zusätzlich gefragt, ob sie aus ihrer Sicht genügend Unterstützung aus dem privaten Umfeld (d. h. informelle Unterstützung) sowie von Fachpersonen (d. h. formelle Unterstützung) erhalten. Zudem wurde erho- ben, ob Unterstützung auch in Anspruch genommen wird, wenn dies aus Sicht der Eltern notwendig erscheint. Das dritte Item sagt dementsprechend etwas über die Verhaltensänderung bei den Eltern aus. Die Abbildung 4 zeigt die Veränderungen in diesen drei Items über alle Messzeitpunkte. 112 F(1,407, 45,017)= 5,511, p < 0,05 (mit Greenhouse-Geisser Korrektur). 210 Abbildung 4: Veränderungen in der Zufriedenheit und Inanspruchnahme von Unterstützung (n= 33) Auf der linken Seite der Abbildung sind die Abstufungen der für diese Items verwendeten Skala abgebildet.113 Ein Vergleich zwischen der informellen und formellen Unterstützung zeigt, dass die Eltern über den ganzen Verlauf der SPF mit der formellen Unterstützung zufriedener sind. Hinzu kommt, dass die Zu- friedenheit mit der formellen Unterstützung zwischen dem zweiten und dritten Messzeitpunkt ansteigt. Dies zeigt sich bei der informellen Unterstützung nicht. Dieser Sachverhalt könnte darauf hindeuten, dass Eltern die für sie notwendige Unterstützung eher von Fachpersonen als aus ihrem privaten Umfeld erhalten; oder aber, dass Unterstützung von Fachpersonen kontinuierlicher zur Verfü- gung steht. Eine andere Interpretation könnte sein, dass im Rahmen der SPF die formelle Unterstützung ausgebaut wird, die informelle jedoch nicht. Einer- seits leistet die fallführende Fachperson selbst formelle Unterstützung, anderer- seits werden die Eltern mit weiteren Hilfen vernetzt. Die Aktivierung des pri- vaten Umfelds scheint hingegen nicht sonderlich stark gefördert zu werden. Bei der Inanspruchnahme von Unterstützung zeigt sich im Gegensatz zu den anderen beiden Verlaufslinien ein linearer Anstieg über die drei Messzeit- punkte. Ob die Eltern eher formelle oder informelle Unterstützung in An- spruch nehmen, kann auf der Basis der Items nicht geklärt werden. Es scheint jedoch naheliegender zu sein, dass es sich dabei primär um formelle Unterstüt- zung handelt. Einerseits leistet die Fachperson im Rahmen der SPF regelmässig Unterstützung, andererseits werden die Eltern eher mit formellen als mit in- formellen Unterstützungspersonen vernetzt. 113 Skala: (1) Trifft überhaupt nicht zu; (2) Trifft kaum zu; (3) Trifft teilweise zu; (4) Trifft überwiegend zu; (5) Trifft voll und ganz zu. Aus Gründen der Lesbarkeit wurde die Skala beim Wert von drei abgeschnitten. 211 Mittels Varianzanalysen mit Messwiederholungen (rmANOVA) wurde ge- prüft, ob die Veränderungen in den drei Items signifikant sind. Da dies jedoch nicht bestätigt wurde, müssen die Ergebnisse mit viel Vorsicht interpretiert werden. 5.6.4 Einfluss von SPF auf die Netzwerkressourcen und -belastungen Für die Analyse von Einflussfaktoren auf die Veränderungen in den Netzwerk- ressourcen und -belastungen wurden multiple lineare Regressionsanalysen durchgeführt. Als abhängige Variable wurde die Grösse der Veränderung zwi- schen dem Beginn der SPF und dem dritten Messzeitpunkt verwendet. Für die Berechnung des Grades der Veränderung wurde folgende Formel angewendet: Netzwerkressourcen bzw. -belastungen zum dritten Messzeitpunkt minus den Wert zu Beginn der SPF. Die Grösse der Veränderung kann somit positiv (Zu- nahme) oder negativ (Abnahme) sein. Auf diese Veränderung wurde der Ein- fluss von folgenden Faktoren geprüft: Die Intensität der SPF über den gesamten Messzeitraum,114 die Qualität der Arbeitsbeziehung zwischen Fachperson und Eltern und die Netzwerkressourcen bzw. -belastungen der Eltern zu Beginn der SPF (sog. baseline score). Mit dem Einbezug des baseline scores kann etwas darüber ausgesagt werden, ob und wie sich die Netzwerkressourcen und -belastungen zu Beginn der SPF auf deren Veränderung auswirken. In der Regel hat der baseline score grossen Erklärungsgehalt bzgl. der Veränderungen bei der abhängigen Variable (vgl. Dalecki/Willits 1991). Die Qualität der Arbeitsbeziehung wurde in das Modell integriert, weil sie sich in etlichen Wirkungsstudien zur Kinder- und Jugendhilfe als ein bedeu- tender Wirkfaktor herausgestellt hat (vgl. z. B. Frindt 2010; Polutta 2014). In- sofern soll geprüft werden, ob dieser Wirkfaktor auch für die Netzwerkressour- cen und -belastungen eine Erklärungskraft besitzt. Für die Erhebung der Ar- beitsbeziehung wurde eine eigens für diese Studie entwickelte Skala verwendet, welche sich stark an bestehende Skalen zur Arbeitsbeziehung anlehnt (vgl. Hor- vath 2018). Sie wurde jedoch vom Wording her explizit dem Handlungsfeld der SPF angepasst. Um den Aufwand für die Eltern bzgl. deren Studienteilnahme möglichst gering zu halten, wurde die Arbeitsbeziehung durch die Fachperso- nen eingeschätzt. Die verwendete Skala besteht aus den zwei Dimensionen „Wahrgenommene Wirksamkeit der SPF“ und „Kooperation zwischen Eltern und Fachperson“. Vor dem Hintergrund dieser beiden Dimensionen wurde 114 Für die Intensität der SPF wurde folgende Formel verwendet: Anzahl Hausbesuche multi- pliziert mit der durchschnittlichen Dauer eines Hausbesuchs. 212 eine Skala mit sechs Items115 entwickelt, die mit einer explorativen Faktoren- analyse auf ihre Beziehungsstruktur hin überprüft wurden. Wie Tabelle 5 zeigt, teilen sich alle Items auf die zwei vorgesehenen Dimensionen auf und weisen genügend Trennschärfe auf.116 Tabelle 5: Ergebnis der Faktorenanalyse der Arbeitsbeziehungsskala (n= 67) Wahrgenommene Kooperation Wirksamkeit zwischen Eltern der SPF und Fachperson Der Elternteil und ich sind beide der Meinung, dass die Familienbegleitung etwas in Bewegung 0,912 0,042 gesetzt hat. Der Elternteil ist der Ansicht, dass die 0,863 Familienbegleitung etwas bewirkt. 0,303 Der Elternteil hat eine hohe Bereitschaft, an der 0,817 0,326 Familienbegleitung mitzuwirken. Der Elternteil und ich sind offen zueinander. 0,019 0,859 Der Elternteil und ich sind uns einig, was getan 0,748 werden muss, um die Situation zu verbessern. 0,441 Der Elternteil und ich haben unterschiedliche 0,246 0,687 Ansichten darüber, was die Probleme sind.117 Eigenwert 2,499 1,970 Prozent der Varianz aller Variablen 41,653 32,842 Cronbach’s Alpha 0,873 0,727 Bemerkung: Hauptkomponentenanalyse mit Varimax-Rotation; KMO= 0,782; Bartlett-Test Chi²= 181,547, p<0,001 Die Dimension „Wahrgenommene Wirksamkeit der SPF“ bezieht sich auf die Wahrnehmung von bereits erzielten Wirkungen der SPF sowie auf die Bereit- schaft der Eltern, an der SPF mitzuwirken. Die Dimension „Kooperation zwi- 115 Für die Items zur Arbeitsbeziehungsskala wurde wiederum folgende Fünfer-Skala verwen- det: (5) Trifft voll und ganz zu; (4) Trifft überwiegend zu; (3) Trifft teilweise zu; (2) Trifft kaum zu; (1) Trifft überhaupt nicht zu. 116 Die Lösung mit zwei Faktoren erklärt 74,5 Prozent der Varianz. Die Items teilen sich auf die Faktoren auf, welche dafür theoretisch vorgesehen waren. Alle Faktorladungen liegen über dem Minimalwert von 0,5, wobei keine kritischen Querladungen vorhanden sind. Somit kann auch hier geschlussfolgert werden, dass die einzelnen Faktoren genügend Trennschärfe aufweisen. Der Eigenwert pro Faktor liegt ebenfalls über dem Minimalwert von 1,0. Der Wert des Kaiser-Meyer-Olkin-Kriterium (KMO) liegt über 0,7 und der Bart- lett-Test auf Sphärizität ist hochsignifikant (p<0,001). Die vorliegenden Rohdaten eigenen sich somit sehr gut für die Durchführung einer Faktorenanalyse. Die interne Konsistenz ist bei beiden Faktoren ausreichend. 117 Dieses Item wurde im Fragebogen negativ formuliert. Für die Faktorenanalyse wurde es umgepolt. 213 schen Eltern und Fachperson“ bildet einerseits die geteilte Problemwahrneh- mung und Zielrichtung der SPF zwischen Eltern und Fachperson ab. Anderer- seits bezieht sie sich auch auf die Offenheit zwischen Eltern und Fachperson. Da es sich bei der Arbeitsbeziehung nicht um eine statische Einschätzung han- delt, wurde die Arbeitsbeziehung sechs und zwölf Monate nach Beginn der SPF abgefragt. In die Regressionsanalyse fliesst der Durchschnitt dieser beiden Mes- sungen ein. Ergebnisse der Regressionsanalysen In der Tabelle 6 werden zunächst die Ergebnisse für die Netzwerkressourcen dargestellt. Für jede Dimension der Netzwerkressourcen (Modelle 1a, 1b und 1c) wurde eine multiple lineare Regressionsanalyse gerechnet.118 Das Gesamt- modell (Modell 1d) fasst alle drei Dimensionen der Netzwerkressourcen in einem Modell zusammen.119 118 In der ersten Spalte der Tabelle sind die drei unabhängigen Variablen des Modells abgebil- det, dann der nicht standardisierte Regressionskoeffizient (B) und der Standardfehler (S.E.). Um herauszufinden, welche Faktoren einen signifikanten Einfluss auf die abhänge Variable haben, muss die Spalte mit der Irrtumswahrscheinlichkeit (p) angeschaut werden. Ist dieser Wert 0,05 oder kleiner, ist der Einfluss signifikant. Für die Interpretation des Einflusses ei- nes einzelnen Faktors eignet sich der nicht standardisierte Regressionskoeffizient (B), da dieser mit der im Fragebogen verwendeten Skala arbeitet. Dies bedeutet, wenn der Wert des Einflussfaktors um eine Einheit erhöht wird, dann verändert sich die abhänge Variable gemäss dem nicht standardisierten Regressionskoeffizienten (B). Eine Einheit beim Ein- flussflussfaktor ist eine Stufe in der Skala, die für diesen Faktor verwendet wird. Um die Stärke des Einflusses einer Variablen mit den anderen Variablen im Modell zu vergleichen, müssen hingegen die standardisierten Regressionskoeffizienten (β) betrachtet werden. Durch die Standardisierung (Z-Transformierung) werden die Unterschiede in den Skalen der Einflussfaktoren eliminiert und somit miteinander vergleichbar gemacht. Je höher die- ser Wert bei einem Faktor ausfällt, desto stärker ist sein Einfluss auf die abhängige Variable. Die β-Werte können positiv oder negativ (-) sein. Bei einem positiven Wert handelt es sich um einen positiven Zusammenhang zwischen der abhängigen und unabhängigen Variab- len. Bei einem negativen Vorzeichen handelt es sich um einen negativen Zusammenhang. Ganz rechts in der Tabelle ist für jedes Modell der R²-Wert dargestellt. R² gibt Aufschluss darüber, wie viel Prozent der Streuung in der abhängigen Variablen mit den Einflussfakto- ren im Modell erklärt werden kann. Je höher dieser Wert ist, desto mehr Varianz wird er- klärt bzw. desto besser ist das Modell. 119 Bei einer Regressionsanalyse ist es wichtig, dass die unabhängigen Variablen nicht zu stark miteinander korrelieren (sog. Multikollinearität), da sich sonst die Effekte der einzelnen Variablen nicht mehr eindeutig isolieren lassen. Die Multikollinearität dieser unabhängigen Variablen wurde mit dem VIF-Wert (Variance Inflation Factor) geprüft. Die VIF-Werte sollten dabei nicht tiefer als 0,25 bzw. nicht höher als 5,0 sein (vgl. Urban/Mayerl 2011, S. 232). Diese Toleranzwerte wurden in den vorliegenden Analysen eingehalten. 214 Tabelle 6: Einflussfaktoren auf die Veränderungen in den Netzwerkressourcen zwi- schen t0 und t2 (n= 30) Modelle B S.E. β T p R² Modell 1a: Emotionale Unterstützung 0,392 Intensität der SPF -0,005 0,003 -0,312 -1,853 0,075 Arbeitsbeziehung 0,158 0,209 0,121 0,754 0,457 Emotionale Unterstüt- -0,524 0,141 -0,606 -3,711 0,001 zung t0 Modell 1b: Instrumentelle Unterstützung 0,339 Intensität der SPF -0,006 0,004 -0,279 -1,641 0,113 Arbeitsbeziehung 0,261 0,285 0,151 0,915 0,368 Instrumentelle Unter- -0,511 0,155 -0,542 -3,302 0,003 stützung t0 Modell 1c: Freundschaft 0,461 Intensität der SPF -0,007 0,005 -0,268 -1,568 0,129 Arbeitsbeziehung 0,096 0,305 0,048 0,316 0,754 Freundschaft t0 -0,686 0,150 -0,755 -4,561 0,000 Modell 1d: Gesamtmodell Netzwerkressourcen 0,265 Intensität der SPF -0,005 0,003 -0,293 -1,479 0,151 Arbeitsbeziehung 0,199 0,234 0,150 0,852 0,402 Netzwerkressourcen t0 -0,474 0,174 -0,521 -2,725 0,011 Einflussfaktoren auf die Veränderungen bei den Netzwerkressourcen Im ersten Modell (1a) wird der Einfluss der drei Faktoren auf die Veränderun- gen in der emotionalen Unterstützung zwischen der ersten und dritten Mes- sung analysiert. Ein Blick auf den Einfluss der Intensität der SPF auf Veränderungen bei der emotionalen Unterstützung zeigt, dass dieser fast signifikant ist (p= 0,075). Der Effekt wäre jedoch sehr klein (B= -0,005), so dass dieser wenig Relevanz hat. Interessanterweise würde es sich um einen negativen Zusammenhang handeln: Eine Erhöhung der Intensität der SPF würde somit zu einer Abnahme (wenn auch nur einer sehr kleinen) von emotionaler Unterstützung aus dem Umfeld der Eltern führen. Dies könnte bedeuten, dass die Fachpersonen mit der inten- siven Begleitung die emotionale Unterstützung aus dem persönlichen Umfeld der Eltern zeitweise ersetzen. Umgekehrt würde dies bedeuten, je weniger in- tensiv eine SPF ist, desto mehr aktivieren Eltern emotionale Unterstützung aus ihrem privaten Umfeld. Die Arbeitsbeziehung hat keinen signifikanten Einfluss auf Veränderungen in der emotionalen Unterstützung. Hiermit wird deutlich, dass sich die Qualität der dyadischen Beziehung zwischen dem Elternteil und der Fachperson nicht auf die Beziehungen des Elternteils zum sozialen Umfeld auszuwirken scheint. 215 Der dritte Einflussfaktor, also die Menge an emotionaler Unterstützung zu Beginn der SPF (p= 0,000) stellt sich hingegen als ein signifikanter (negativer) Einflussfaktor dar. Dies bedeutet, je weniger emotionale Unterstützung zu Be- ginn der SPF vorhanden ist, desto stärker nimmt diese im Verlauf der SPF zu. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der instrumentellen Unterstützung (Modell 1b) sowie der Freundschaft (Modell 1c). Je geringer die instrumentelle Unter- stützung bzw. die Zufriedenheit mit den freundschaftlichen Beziehungen zu Beginn der SPF, desto mehr verändert sich dies in eine positive Richtung beim dritten Messzeitpunkt. Die Intensität der SPF und die Qualität der Arbeitsbe- ziehung haben bei beiden Modellen keinen signifikanten Einfluss. Im Gesamtmodell (1d) bestätigen sich die Ergebnisse der Modelle (1a) bis (1c). Auch hier zeigt sich ein signifikanter Effekt der Netzwerkressourcen zu Beginn der SPF auf die Veränderung zum dritten Messzeitpunkt. Zudem spielt auch hier die Intensität der SPF sowie die Qualität der Arbeitsbeziehung keine Rolle. Dass Eltern mit wenig Netzwerkressourcen zu Beginn der SPF in allen vier Regressionsmodellen eine signifikante Zunahme zum dritten Messzeitpunkt erfahren (und umgekehrt) ist mit grosser Wahrscheinlich dem sog. regression toward the mean Effekt geschuldet (vgl. Allison 1990). Dieser Effekt beschreibt ein Phänomen bei Messwiederholungen, wonach bei einem besonders hohen oder tiefen Wert bei der ersten Messung, der Wert bei der zweiten Messung näher am Durchschnitt der Stichprobe liegt. Sichtbar wird dieser Effekt in Form einer negativen Korrelation (siehe Tabelle 6). Somit kann mit grosser Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die signifikanten Effekte des baseline scores auf die Netzwerkressourcen mit der SPF zusammenhängen. Einflussfaktoren auf die Veränderungen bei den Netzwerkbelastungen Die Regressionsmodelle zur Analyse der Einflussfaktoren auf die Veränderun- gen bei den Netzwerkbelastungen zwischen dem Beginn der SPF und dem dritten Messzeitpunkt sind gleich aufgebaut wie bei den Netzwerkressourcen. In der Tabelle 7 sind die Ergebnisse der Regressionsanalysen zu den Netzwerk- belastungen dargestellt. 216 Tabelle 7: Einflussfaktoren auf die Veränderungen in den Netzwerkbelastungen zwi- schen t0 und t2 (n= 31) Modelle B S.E. β T p R² Modell 2a: Feindseligkeit 0,540 Intensität der SPF 0,001 0,003 0,057 0,421 0,677 Arbeitsbeziehung 0,323 0,258 0,170 1,253 0,221 Feindseligkeit t0 -0,515 0,093 -0,725 -5,545 0,000 Modell 2b: Einsamkeit 0,351 Intensität der SPF 0,004 0,003 0,190 1,175 0,250 Arbeitsbeziehung 0,014 0,256 0,009 0,054 0,958 Einsamkeit t0 -0,621 0,169 -0,575 -3,680 0,001 Modell 2c: Gesamtmodell Netzwerkbelastungen 0,425 Intensität der SPF 0,003 0,003 0,139 0,919 0,366 Arbeitsbeziehung 0,164 0,217 0,115 0,756 0,456 Netzwerkbelastungen t0 -0,542 0,123 -0,645 -4,403 0,000 Mit dem ersten Modell (2a) wurde der Einfluss der drei Faktoren auf die Ver- änderungen in der Feindseligkeit aus dem Umfeld der Eltern zwischen der ersten und dritten Messung analysiert. Es kann auch hier festgestellt werden, dass die beiden Einflussfaktoren „Intensität der SPF“ und „Qualität der Ar- beitsbeziehung“ wie bei den Netzwerkressourcen keinen signifikanten Einfluss auf Veränderungen in den Netzwerkbelastungen haben. Dies gibt Raum zur Annahme, dass es andere Einflussfaktoren geben könnte, welche die Verände- rungen in den Netzwerkressourcen und -belastungen besser erklären können. Weiter zeigt sich, dass nur die Menge an Feindseligkeit zu Beginn der SPF (p= 0,000) einen signifikanten (negativen) Einflussfaktor darstellt. Je mehr Feindseligkeit Eltern zu Beginn der SPF erleben, desto stärker nimmt diese im Verlaufe der SPF ab. Es handelt sich somit um den gleichen Effekt wie bei den Netzwerkressourcen. Dieser Effekt zeigt sich auch bei der Einsamkeit (2b) und im Gesamtmodell der Netzwerkbelastungen (2c). Ergebnisse der Gruppenvergleiche Die getesteten Einflussfaktoren in den Regressionsanalysen haben insgesamt eine eher geringe Erklärungskraft bzgl. Veränderungen in den Netzwerkres- sourcen und -belastungen. Mit den folgenden Gruppenvergleichen soll nun die Annahme geprüft werden, ob Faktoren, welche direkt mit Netzwerkarbeit asso- ziiert werden, die Veränderungen in den Netzwerkressourcen und -belastungen besser erklären können. Um diese Annahmen zu überprüfen, wird mittels T- Tests geprüft, ob es Unterschiede zwischen den Eltern hinsichtlich folgender Merkmale gibt: Einsatz von Netzwerkinstrumenten im Rahmen der SPF sowie Vernetzung/Netzwerkaktivierung als ein Ziel der SPF. Analog zu den Regres- 217 sionsanalysen wurden die Veränderungen in den Netzwerkressourcen und -belastungen zwischen dem ersten und dritten Messzeitpunkt analysiert. Die Interpretation der Ergebnisse erfolgt nach den Gruppenvergleichen zu den beiden oben benannten Merkmalen. Einsatz von Netzwerkinstrumenten im Rahmen der SPF In der Tabelle 8 findet sich ein Vergleich von SPF, in denen mindestens ein Netzwerkinstrument eingesetzt wurde (n= 15) und solchen, in denen keine Netzwerkinstrumente zur Anwendung kamen (n= 17). In der Spalte MW ist der Mittelwert der Veränderung für jede Dimension der Netzwerkressourcen und -belastungen zwischen dem ersten und dritten Messzeitpunkt abgebildet. Ein positiver Mittelwert bedeutet, dass es zu einer Zunahme zwischen den beiden Messzeitpunkten gekommen ist, ein negativer Wert steht für eine Abnahme. In der Spalte Sig. kann die Signifikanz des Unterschieds zwischen den beiden Gruppen abgelesen werden. Ein Wert von 0,05 oder kleiner bedeutet, dass sich um einen statistisch signifikanten Unterschied handelt. Je weiter sich dieser Wert von 0,05 entfernt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich beim Ergebnis um einen Irrtum handelt. Tabelle 8: Einfluss von Netzwerkinstrumenten auf Netzwerkressourcen und -belastungen (n= 31–32) Netzwerk- Kein Netz- instrument(e) werk- in SPF instrument in eingesetzt SPF eingesetzt n= 15 n= 17 MW SD MW SD df T Sig. Emotionale Unterstützung 0,09 0,74 0,02 0,61 29 -0,279 0,782 Instrumentelle Unterstüt- 0,23 1,01 -0,20 0,73 29 -1,388 0,176 zung Freundschaft 0,41 1,18 -0,14 0,83 29 -1,498 0,145 Feindseligkeit -0,47 1,06 -0,29 0,89 30 0,501 0,620 Einsamkeit -0,49 0,99 -0,37 0,62 23,0 0,392 0,699 Der Tabelle 8 ist zu entnehmen, dass es bei der emotionalen Unterstützung bei beiden Gruppen zu einer Zunahme gekommen ist. Diese ist jedoch bei SPF sowohl mit (+0,09) als auch ohne Einsatz von Netzwerkinstrumenten (+0,02) sehr klein. Bei der instrumentellen Unterstützung und bei den Freundschaften wird deutlich, dass sich der Einsatz von Netzwerkinstrumenten positiv auswirkt (+0,23 resp. +0,41), während der Verzicht auf die Anwendung von Netzwerkin- strumenten zu einer Abnahme führt (-0,20 bzw. -0,14). 218 Hinsichtlich der Netzwerkbelastungen wird eine Abnahme in beiden Grup- pen ersichtlich. Diese Abnahme ist jedoch bei der Feindseligkeit wie auch bei der Einsamkeit bei SPF mit Netzwerkinstrumenten leicht grösser als bei der Gruppe ohne Netzwerkinstrumente. Bei all dem ist jedoch zu berücksichtigen, dass weder die Gruppenunterschiede bei den Netzwerkressourcen noch bei den -belastungen signifikant sind. Vernetzung/Netzwerkaktivierung als ein Ziel der SPF In der folgenden Tabelle (9) wird ein Vergleich vorgenommen zwischen SPF, für die Netzwerkaktivierung als explizites Ziel formuliert wurde, und SPF, die nicht explizit auf Netzwerkveränderungen zielen. Ob, wie und mit welchen Absichten dieses Ziel der Netzwerkveränderung konkret umgesetzt wurde, ist hingegen nicht bekannt. Tabelle 9: Einfluss von Netzwerkveränderung auf Netzwerkressourcen und -belastungen (n= 31–32) Netzwerk- Netzwerkver- veränderung änderung kein Ziel der SPF Ziel der SPF n= 9 n= 23 MW SD MW SD df T Sig. Emotionale Unterstützung 0,26 1,10 -0,03 0,38 8,8 -0,769 0,462 Instrumentelle Unterstüt- 0,17 1,16 -0,06 0,77 29 -0,629 0,534 zung Freundschaft 0,06 1,62 0,15 0,73 9,4 0,171 0,868 Feindseligkeit -0,63 1,23 -0,28 0,85 30 0,936 0,357 Einsamkeit -0,67 1,05 -0,33 0,69 10,8 0,878 0,399 Bei den SPF mit dem Ziel der Netzwerkveränderung zeigt sich eine Zunahme bei der emotionalen (+0,26) und der instrumentellen Unterstützung (+0,17). Bei der Gruppe ohne das erklärte Ziel der Netzwerkveränderung ist eine sehr kleine Abnahme bei beiden Dimensionen festzustellen. Bezüglich der Freund- schaften wird in beiden Gruppen eine minimale Zunahme ersichtlich, welche in der Gruppe ohne angestrebte Netzwerkveränderung sogar leicht grösser ist. Hinsichtlich der Netzwerkbelastungen wird wiederum deutlich, dass in bei- den Gruppen eine Abnahme festzustellen ist. Sowohl bei der Feindseligkeit (- 0,63) wie auch bei der Einsamkeit (-0,67) ist die Abnahme bei SPF mit dem Ziel der Netzwerkveränderung grösser als bei der anderen Gruppe (-0,28/-0,33). Es gilt bei der Ergebnisinterpretation wiederum zu beachten, dass keiner dieser Gruppenunterschiede statistisch signifikant ist. 219 Diskussion der Gruppenvergleiche Obwohl die Stichprobebengrösse für diese Gruppenvergleiche eigentlich zu gering ist und die Ergebnisse zudem statistisch nicht signifikant sind, sind die Ergebnisse gleichwohl aufschlussreich. Zunächst fällt auf, dass es in den Di- mensionen der Netzwerkressourcen zu gegenteiligen Entwicklungen kommt: Bei den SPF, in denen Netzwerkinstrumente zum Einsatz kommen und in de- nen explizit auf Netzwerkveränderung gezielt wird, kommt es in der Tendenz zu einem Ausbau von Netzwerkressourcen, während bei den anderen Gruppen eher ein Abbau erfolgt. Bei den Netzwerkbelastungen kann in allen Gruppen eine Reduktion festge- stellt werden. Dies deutet darauf hin, dass die Reduktion von Netzwerkbelas- tungen eine universale Wirkung der SPF ist. Diese Reduktion scheint durch den Einsatz von Netzwerkinstrumenten und durch das Festlegen von Netzwerkver- änderung als ein explizites Ziel zusätzlich verstärkt zu werden. Welchen Effekt der Einsatz von Netzwerkinstrumenten genau hat, kann jedoch an dieser Stelle ebenso wenig geklärt werden wie die Frage nach der praktischen Bedeutung, die das Ziel der Netzwerkveränderung hat. 5.7 Zusammenfassende Diskussion der SNA Die zentralen Annahmen dieses Untersuchungsabschnitts lauteten, dass die SPF einen bedeutenden Beitrag zum Aufbau von Netzwerkressourcen sowie zum Abbau von Netzwerkbelastungen leistet. Vor dem Hintergrund dieser Annahmen musste zuerst überprüft werden, ob die Bearbeitung der Netzwerk- ressourcen und -belastungen der Eltern in der vorliegenden Stichprobe über- haupt ein Ziel der SPF war, denn ohne diese Information lässt sich nicht klären, ob gemessene Veränderungen tatsächlich auch als intendierte Wirkungen auf- gefasst werden können. Zu Beginn der SPF wurde in weniger als einem Drittel der Fälle (28,4 %) angegeben, dass die Vernetzung und/oder Netzwerkaktivie- rung ein explizites Ziel der SPF ist. Die aktive und planvolle Bearbeitung der Netzwerke der Familien scheint also nicht der Regelfall bei SPF in der Deutsch- schweiz zu sein. Demzufolge dürfen die Erwartungen an die Veränderungen in den Netzwerkressourcen und -belastungen nicht allzu hoch eingeschätzt wer- den. Ein weiterer Hinweis auf intendierte Netzwerkveränderung ist der Einsatz von Netzwerkmethoden und Instrumenten in der SPF. Zwischen dem ersten und zweiten Messzeitpunkt wurden in etwas weniger als der Hälfte der SPF solche Instrumente angewendet. Dabei handelte es sich primär um Ge- nogramme und Netzwerkkarten. Inwiefern ihr Einsatz tatsächlich als ein Hin- weis auf intendierte Netzwerkveränderung aufgefasst werden kann, lässt sich 220 kaum klären. Es ist ebenfalls möglich, dass diese Instrumente zum Standardre- pertoire der Fallabklärung gehören, ohne dass daraus eine praktische Relevanz folgt. Die Betrachtung der Netzwerkressourcen und -belastungen über die drei Messzeitpunkte zeigt, dass sich weder bei der emotionalen und instrumentalen Unterstützung noch bei den freundschaftlichen Beziehungen statistisch signifi- kante Veränderungen zeigen. Auffällig ist jedoch, dass über die drei Messzeit- punkte die Inanspruchnahme von sozialer Unterstützung linear zunimmt (wenn auch nicht statistisch signifikant). Auch zeigt sich, dass die Zufriedenheit mit der Unterstützung durch Fachpersonen zunimmt, während dies hinsicht- lich der Unterstützung aus dem privaten Umfeld nicht der Fall ist. Dieser Sach- verhalt lässt den Schluss zu, dass die SPF primär einen Zugang zu formellen Unterstützungsangeboten herstellt, der dann von den Eltern im Verlauf der SPF zunehmend mehr in Anspruch genommen wird. Eine Aktivierung bzw. Er- schliessung von informellen Netzwerkressourcen konnte auf der Grundlage der vorliegenden Daten dagegen nicht beobachtet werden. Im Gegensatz zu den Netzwerkressourcen können bei den Netzwerkbelas- tungen bedeutsame Veränderungen festgestellt werden. Sowohl bei der Feind- seligkeit aus dem Umfeld der Eltern wie auch hinsichtlich deren Einsamkeit ist eine signifikante Reduktion von Belastungen zu beobachten. Dies deutet darauf hin, dass die SPF unabhängig von fallspezifischen Zielsetzungen und Problem- lagen eine entlastende Wirkung auf Eltern hat. Dieses Ergebnis könnte auch bedeuten, dass vor dem Aufbau von Netzwerkressourcen zuerst die Netzwerk- belastungen abgebaut werden müssen, weil dort der Druck grösser ist. Bei der Betrachtung der Einflussfaktoren auf die Veränderungen in den Netzwerkressourcen und -belastungen fällt auf, dass – ungeachtet der Befunde aus früheren Forschungen (vgl. Frindt 2010; Polutta 2014) – die Qualität der Arbeitsbeziehung keinen signifikanten Einfluss hat. Eine Erklärung könnte jedoch sein, dass diese dyadische Arbeitsbeziehung zwischen Fachperson und Betroffenen individuelle Veränderungen zu erklären vermag (z. B. Zugewinn an Hoffnung, erhöhte Selbstwirksamkeit, bessere Erziehungskompetenzen), sich jedoch nicht auf die sozialen Netzwerke der Eltern auswirkt. Die Ergebnisse zeigen weiter, dass auch die Intensität der SPF keinen statis- tisch signifikanten Einfluss auf die Veränderungen in den Netzwerkressourcen und -belastungen hat. Dieser Umstand ist im Gegensatz zur Arbeitsbeziehun- gen einfacher zu erklären: Wenn mit der SPF nicht darauf hingearbeitet wird, die Qualität sozialer Beziehungen zu verändern, dann sind diesbezüglich auch keine Veränderungen zu erwarten, egal wie intensiv eine SPF ist. Um Netzwerkveränderungen zu erklären, scheinen die Faktoren geeigneter zu sein, welche sich explizit auf Netzwerkarbeit beziehen. In den SPF, in denen Netzwerkinstrumente eingesetzt und Netzwerkveränderungen als explizites Ziel formuliert wurden, konnten stärkere Veränderungen (wenn auch nicht signifi- 221 kant) festgestellt werden. Mithin hat es den Anschein, dass SPF mit einer expli- ziten Netzwerkorientierung auch mehr Netzwerkveränderung erreicht als ohne entsprechende Zielsetzungen. Dieses Ergebnis deckt sich mit einer anderen Studie zur Netzwerkaktivierung der aufsuchenden Familienarbeit (vgl. Fried- rich 2008). Analog dazu kann jedoch auch in der vorliegenden Studie nicht erklärt werden, wie Netzwerkressourcen und -belastungen in der SPF gezielt beeinflusst werden können. Um zu ergründen, was in der SPF unter Netzwer- ken verstanden wird, welche Relevanz Netzwerkarbeit hat und wie Netzwerkar- beit konkret betrieben und umgesetzt wird, sind weitere Forschungen notwen- dig (vgl. Schwarzloos 2019). 222 6 Wirkungen in Spannungsfeldern der Sozialpädagogischen Familien- begleitung – Diskussion und Reflexion Untersuchungsleitend für die vorliegende Studie war die Frage nach Wirkun- gen und Wirkfaktoren der SPF auf die Familie sowie ihre Netzwerkressourcen und -belastungen. Geleitet von einer holistischen Wirkheuristik der aufsuchen- den sozialpädagogischen Familienarbeit (vgl. Kap. 3.1) verfolgte die Studie das Ziel, die Wirksamkeit von SPF aus ihrer empirischen Praxis heraus zu begreifen und mit Blick auf die Wahrnehmung der von dieser Praxis Betroffenen zu plau- sibilisieren. Die Stärke dieser Studie liegt demnach in ihren kontext- und pro- zessorientierten Analysen von wahrgenommenen Wirkungen und der damit einhergehenden fördernden und hemmenden Wirkfaktoren. Insbesondere durch die methodische Breite des gewählten Feldzugangs, mit der sowohl die Ausgangsbedingungen von SPF, ihre Praxis wie auch die bis dahin erzielten Wirkungen aus Sicht der Beteiligtengruppen (Kinder, Eltern, Fachpersonen) in den Blick zu nehmen war, sollte sichergestellt werden, dass möglichst viele Wirkfaktoren erfasst und in ihren (Wirk-)Zusammenhängen untersucht wer- den konnten. In der Rückschau könnten die festgestellten Wirkfaktoren im Hinblick auf die Kontextbedingungen der SPF und ihre Praxis kaum unterschiedlicher sein. So verfolgen alle Anbieterorganisationen des MWA-Samples konzeptionell zwar ein einheitliches Ziel – die Stabilisierung von Familien hinsichtlich der Bewältigung alltäglicher und erzieherischer Herausforderungen, um den Verbleib der Kinder in der Familie damit gewährleisten zu können –, jedoch ist ihr Vorgehen dabei keineswegs einheitlich. Auf der anderen Seite weisen die Familien mit SPF zwar vergleichbare Problemlagen auf, in ihren Ausprägungen und Konsequenzen sind sie jedoch im höchsten Masse individuell und divers, auch wenn die Indikationsbögen der zuweisenden Stellen eine gewisse Einheit- lichkeit ihrer Problemlagen suggerieren. Wie die Untersuchungen in der Zusammenschau zeigen, ist die Praxis der SPF mit strukturell wiederkehrenden Herausforderungen konfrontiert, die bearbeitet werden müssen, damit ihre Aktivitäten zielführend sind. Dazu muss sie zunächst die Handlungsaufträge der zuweisenden Stellen mit den individu- ellen Problembelastungen und Handlungsbereitschaften der Familienmitglieder so in Einklang bringen, dass die Voraussetzungen für die Herstellung einer 223 Arbeitsbeziehung gegeben sind. Die Frage, wie in die Problemlage der Familie interveniert werden soll, stellt sich für jede Fachperson entsprechend verschie- den, sofern die Probleme der einzelnen Familienmitglieder selbst unterschiedli- che Teile des Problemspektrums repräsentieren. Vor diesem Hintergrund muss die Fachperson situativ entscheiden, welche Personen sie bei welchen Gelegen- heiten wie adressiert. Von grundsätzlicher Bedeutung ist nicht zuletzt auch die Frage, welche Unterstützungsressourcen die Fachperson dabei aktiviert und inwieweit diese eher innerhalb und/oder ausserhalb des Familiensystems ver- ortet werden. Wirkungen von SPF lassen sich insofern nicht als universelle oder lineare Ursache/Wirkung-Verkettungen interpretieren. Vielmehr werden sie vor dem Hintergrund spezifischer Kontextbedingungen realisiert, die sich in Form wie- derkehrender Aporien in den Praxen der SPF manifestieren. Die nachfolgenden Abschnitte in diesem Kapitel machen es sich zur Aufgabe, auf der Grundlage der vorliegenden Befunde zentrale Spannungsfelder in der Praxis der SPF zu identifizieren und die Frage der Wirksamkeit von SPF an diese gekoppelt zu diskutieren. 6.1 Wirkungen von SPF im Spannungsfeld von Hilfe und Kontrolle Der Ausgangspunkt für die nachfolgende Ausführungen wurzelt im Befund der engen Verknüpfung zwischen SPF und zivilrechtlichem Kindesschutz. Im Spannungsfeld von Hilfe und Kontrolle sind vor allem die Kinder massgebliche Indikatoren für die Etablierung und Durchführung einer SPF. Diesbezügliche Beobachtungen von Verhaltens- oder Lernauffälligkeiten durch ausserfamiliäre Instanzen (Schule, Kita, sozialpsychiatrische oder medizinische Dienste), die auf Beeinträchtigungen oder Gefährdungen des Kindeswohls schliessen lassen, machen darauf aufmerksam, dass Familienbegleitungen vor allem zur Abwen- dung von Gefährdungen des Kindeswohls eingesetzt werden. Aus den vorlie- genden Hinweisen zu den Zugangswegen von Familien mit SPF geht hervor, dass bei der Entscheidung über den Einsatz einer Familienbegleitung bei den Familien des MWA-Samples nahezu durchgängig Instanzen des zivilrechtli- chen Kindesschutzes aktiv tätig waren (insbes. die KESB und Beistände und Beiständinnen als deren Mandatsträger, weniger hingegen Jugendanwaltschaf- ten und andere indikationsberechtigte Dienste). Im SNA-Sample waren bei 224 knapp der Hälfte aller Familien mit SPF Instanzen des zivil- und strafrechtli- chen Kindesschutzes involviert.120 Ferner unterstützt der hohe Anteil an Gefährdungsmeldungen bei den Fa- milien des MWA-Samples den Befund, dass es bei der Veranlassung einer Fa- milienbegleitung immer auch um die Kontrolle von Abweichungen gesell- schaftlicher Normalitätsvorstellungen geht. Die Hinweise auf elterliches Erzie- hungsversagen können daher auch als Rechtfertigung und Begründung für staatliche Eingriffe in die Privatautonomie der Familie aufgefasst werden. Die- ses Spannungsfeld beschränkt sich zudem nicht allein auf familienbegleitende Aktivitäten, sondern ist auch anderen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit immanent (vgl. Böhnisch/Lorch 1973, S. 23; Müller 2001; Bommes/Scherr 2012, S. 70 ff.) und spiegelt sich nicht zuletzt in den sozialpädagogischen Interventio- nen der Kinder- und Jugendhilfe wider (vgl. Urban 2003, S. 9; Wohlfahrt/ Dahme 2018). In den Handlungskontexten der SPF verlangt das Spannungsfeld von Hilfe und Kontrolle besondere Aufmerksamkeit, sofern sich Aufgabe und Zweck ihrer Interventionen direkt auf die private Lebenswelt der Familien und deren Lebensumfeld bezieht.121 Verschattung sozialer Kontrolle Im Zuständigkeitsbereich der SPF zeigt sich das Spannungsfeld von Hilfe und Kontrolle eigenartig verschattet, beginnend mit dem Befunden aus den Analy- sen der Falldossiers, wonach mit Ausnahme einer Anbieterorganisation vor- gängige Dokumente des zivilrechtlichen Kindesschutzes (Abklärungsberichte, KESB-Entscheide etc.) dort nicht abgelegt sind. Stattdessen werden die Zuwei- sungsgründe und Problembelastungen der Familien in den Meldeformularen der Anbieterorganisationen über standardisierte Kategorien erfasst. Nicht ganz unerwartet erscheinen daher auch Auftragsziele der zuweisenden Stellen eher floskelhaft und normiert (z. B.: Alltag strukturieren, Grenzen setzen, Kommu- nikation verbessern, Schulprobleme bearbeiten). Diesen wiederum stehen mehrheitlich Gefährdungsmeldungen gegenüber, über deren Inhalte das Dos- sier weitgehend Stillschweigen bewahrt. Entsprechend sehen sich die Fachper- 120 Vergleichbare Befunde reflektieren sich auch in anderen Studien. Ähnliche Zahlen ergeben sich bspw. aus der Studie von Petko (2003, S. 194), wonach bei 22 von 50 Familien ein ex- pliziter Zwangskontext vorhanden und bei weiteren acht Familien dieser Zwangskontext in den Gesprächen der SPF, wenngleich nur implizit, so doch deutlich zu spüren war. In der Studie von Richter (2013) lag in zwei von drei behandelten Fällen eine Gefährdungsmel- dung zugrunde, ebenso bei der Einzelfallanalyse von Brauchli (2020), bei der in einem von zwei Fällen eine Meldung zugrunde lag. 121 Laut Brauchli (2020, S. 250) fehlt es bis anhin an Untersuchungen, welche die SPF „in situ mit dem Fokus auf den Umgang mit dem institutionell vermittelten Misstrauen gegenüber Eltern in den Blick nehmen.“ 225 sonen zu Beginn einer Begleitung mit den für sie typischen Mehrdeutigkeiten konfrontiert: Auf der einen Seite stehen die impliziten Erwartungen und Auf- tragsziele der zuweisenden Stellen, auf der anderen Seite die unbestimmten und verhalten bis misstrauischen Einstellungen der Familien in Bezug auf die Ein- richtung einer SPF, die darin nicht unberechtigt den verlängerten Arm zivil- rechtlicher Kindesschutzmassnahmen sehen. Ungeachtet dessen macht die Dokumentenanalyse jedoch insoweit klar, dass die Anbieterorganisationen des MWA-Samples sich vorzugsweise als hel- fende Organisationen begreifen. Zuweilen werden zwar Abklärungsangebote zu Händen der KESB oder anderen Stellen offeriert, jedoch sind diese vom eigent- lichen Tagesgeschäft klar unterschieden. Es ist mithin auch kein Zufall, dass sich die Indikationsgründe für SPF mehrheitlich sozialpädagogisch relevanter Kategorien bedienen und die „eingeschränkte Erziehungskompetenz“ der El- tern als häufigster Indikationsgrund angeführt wird.122 Neben der Unverfäng- lichkeit dieses Begriffs gründet sich seine Attraktivität auf dessen institutionelle „Türöffnerfunktion“, aus der (scheinbar) plausibel hervorgeht, warum eine Begleitung angezeigt und notwendig ist. Auch wenn die befragten Eltern die Gültigkeit dieser Problemformel keineswegs teilen (zumindest finden sich dazu keine Hinweise in den Elterninterviews123), erzeugt sie zu Beginn einer SPF an- scheinend hinreichend Evidenz, um institutionelle Beweggründe für die Ein- richtung einer SPF damit zu kaschieren.124 Transformation sozialer Kontrolle in kooperative Zusammenarbeitsformen Das für die Soziale Arbeit konstitutive Spannungsfeld von Hilfe und Kontrolle erweist sich im Kontext der SPF nicht zuletzt auch deshalb bestimmend, sofern mehr als nur einmalige Interventionen für die soziale Wiederherstellung fami- lialer Normalität notwendig sind, was ohne die Mitarbeit der Betroffenen und deren Commitment weder vorstellbar noch effektiv umsetzbar wäre. Ein we- sentliches Strukturmerkmal der Praxis von SPF liegt daher in der Schaffung ge- 122 Bei den Familien des SNA-Samples werden in rund zwei Drittel (62 %) aller Familien Erzie- hungsschwierigkeiten konstatiert. Im Sample von Petko (2003, S. 93) waren es 66 Prozent gegenüber (damals) 67,9 Prozent in Deutschland nach Zahlen des statistischen Bundesam- tes für das Jahr 2002. 123 Tatsächlich stehen nach vorliegenden Hinweisen den Eltern weniger die Gefährdung des Kindes und auch nicht die eigene Erziehungskompetenz als Problemanlass vor Augen als vielmehr die Folgen von Paar- und Trennungskonflikten (bspw. Kommunikationspro- bleme zwischen den Eltern), schulische Probleme, die Rückplatzierung ihrer Kinder, Sucht und/oder psychische Belastung u. ä. m. 124 Dieser Konnex hat möglicherweise auch zur Konsequenz, dass die Kinder schon von An- fang an aus dem Blick geraten, sofern die festgestellten Defizite primär auf die Eltern zu- gerechnet werden. 226 eigneter Ausgangsbedingungen professioneller Interventionen, um den Hilfe- aspekt aus den Begrenzungen sozialer Kontrolle zu lösen.125 Inwiefern ein Hilfe- prozess vielversprechend aufgegleist wird, entscheidet sich deshalb oft schon zu Beginn der Familienbegleitung. Typischerweise sehen sich die befragten Eltern zu Beginn der Inanspruchnahme der Hilfe mit Ängsten und Befürchtungen konfrontiert, im Ungewissen darüber, welche Konsequenzen die SPF für sie konkret hat. Als Gründe dafür nennen Eltern regelmässig die Sorge um den Entzug (bzw. um die Rückgewinnung) ihrer Elternrechte126 sowie die Kontroll- funktion, die der SPF in ihrem privaten Umfeld anscheinend zugedacht wird. Entsprechend ist der Aufbau einer Vertrauensbasis eine unabdingbare Res- source für einen gelungenen Hilfeverlauf. Die Arbeitsbeziehung zwischen Fachperson und Eltern ist insofern Wirkvoraussetzung und Wirkung gleicher- massen. Nach vorliegenden Hinweisen sind sich die Fachpersonen des latenten und impliziten Zwangscharakters bei der Einrichtung einer SPF durchaus bewusst. Auf der einen Seite stehen die Erwartungen der zuweisenden Stellen nach Auf- klärung und Sicherstellung des Kindeswohls, auf der anderen die ungewisse Haltung der Eltern. Fachpersonen lösen diesen Spagat, indem sie die Auftrags- ziele der zuweisenden Stellen in mit den Betroffenen gemeinsam ausgehandelte Zielvereinbarungen überführen. Eine grundlegende Aufgabe von SPF zu Beginn ihrer Aktivitäten besteht demnach in der Aushandlung und Feststellung der für die Familien relevanten Aufgaben und Zielsetzungen, die von den Eltern als solche auch anerkannt, mitgetragen und unterstützt werden können. Aus den Beobachtungsprotokollen der Hausbesuche des MWA-Samples geht hervor, dass dieses Vorgehen insoweit erfolgreich und zielführend ist, als die dort bear- beiteten Themen einvernehmlich initiiert und bearbeitet werden konnten, ohne dass sie bei Betroffenen auf Widerstand stiessen.127 Mit Blick auf die Wirk- voraussetzungen von SPF ist insofern wesentlich, dass es Fachpersonen gelingt, 125 Im Problem der Kontingenz und Compliance sieht Hasenfeld (1992) die zentralen Heraus- forderungen von people processing organizations überhaupt, weil institutionelle und persönliche Ziele für gewöhnlich nicht von vornherein kongruieren: „Clients must be controlled so that their reactions do not neutralize the effects“ (ebd., S. 15). 126 So zeigte bereits eine frühere Bestandsaufnahme des Deutschen Jugendinstituts zur SPFH, dass bei einem Drittel der 330 betreuten Familien die SPFH optional als Alternative zur Fremdplatzierung der Kinder durchgeführt wurde (Blüml/Helming/Schattner 1994). 127 Ein vergleichbarer Befund spiegelt sich auch in den gesprächsanalytischen Auswertungen der Hausbesuche von Petko (2003, S. 202), wonach den impulsgebenden Aktivitäten der Professionellen mehrheitlich explizit oder implizit zugestimmt wird. Zusammenfassend re- sümiert der Autor in Bezug auf das Verhältnis von Hilfe und Kontrolle: „Die alltagsprakti- schen Anteile [der Hausbesuche] bieten, so scheint es, eine wesentliche Brücke, um mit den Klienten trotz des häufig sehr präsenten Kontrollaspektes ins Gespräch zu kommen“ (ebd., S. 299). 227 an den vordringlichen Problembelastungen der Eltern anzuknüpfen und ihre Interventionen so zu gestalten, dass eine spürbare Entlastung für die Eltern daraus resultiert (vgl. dazu näher die Ausführungen zum Spannungsfeld Be- fähigung und Entlastung). Zur Dynamisierung von Hilfe und sozialer Kontrolle Die Balance zwischen Kontroll- und Hilfeaufgaben verschiebt sich im Verlauf einer Durchführung von SPF dementsprechend: So verlagert sich die Problem- wahrnehmung von anfänglich festgestellten Risiken des Kindeswohls zuneh- mend auf spezifische Belastungen der Familie, wobei zivilrechtliche Kindes- schutzinteressen zwar nicht aus dem Blick geraten, jedoch vermehrt in den Hintergrund treten. In diesem Zusammenhang erfährt auch die Position der Fachperson in diesem Ensemble einen bedeutsamen Wandel, sofern die Orien- tierung an formellen Auftragszielen vermehrt in den Hintergrund tritt, wäh- rend sich die persönliche Nähe der Fachperson zur Familie (Loyalität) sowie ihr Respekt gegenüber der familialen Autonomie im selben Masse konsolidiert.128 Dies gilt teilweise auch für die betreffenden Kinder: Je mehr es gelingt, sie kon- struktiv in den Hilfeprozess zu integrieren, umso mehr wird dies von den El- tern wertgeschätzt, was im Gegenzug den Vertrauensaufbau zur Fachperson unterstützt (vgl. dazu die Ausführungen zum Spannungsfeld der Adressierung von Eltern und Kind). Der kontrollierende Einfluss institutioneller Akteure wird jedoch bei der Hilfebeendigung wiederum vermehrt virulent. Aus Sicht der Fachpersonen kommt eine Hilfebeendigung dann in Betracht, wenn es den Kindern besser geht (bzw. keine offenkundige Gefährdung fortbesteht) und die Eltern befähigt sind, die alltäglichen Anforderungen (einschliesslich ihrer fürsorgerischen Er- ziehungsaufgaben) eigenständig zu bewältigen. Diese Idealvorstellung gelin- gender Hilfeverläufe gerät mitunter dann zum Problem, wenn die Familie unter chronifizierten oder habitualisierten Belastungen leiden, die hinsichtlich ihrer Folgen zwar kompensiert, sich im Rahmen von SPF gleichwohl nicht ursächlich aufheben lassen. Aus Sicht der Fachpersonen werden die Familienbegleitungen nicht selten verfrüht eingestellt, möglicherweise auch deshalb, weil die Risiken für das Kindeswohl begrenzt und kontrollierbar erscheinen, wohingegen die Problembelastungen von Eltern weiterhin der Unterstützung bedürfen. 128 Diese Entwicklung zeigt sich wiederum sehr viel deutlicher in den Gesprächsauswertungen von Petko (2003, S. 140 ff.), wonach Fachpersonen nicht nur die Probleme der Familien eruieren und besprechen, sondern sich darüber hinaus kontinuierlich um soziale Nähe ihres jeweiligen Gegenübers bemühen, indem Teile des Gesprächs explizit und wieder- kehrend darauf abgestellt sind, Vertrauen zu etablieren, Schuld abzusprechen, potenzielle Stigmatisierungen zu entkräften u. ä. m. 228 Wirkungen von SPF entfalten sich im Spannungsfeld von Hilfe und Kon- trolle also vor allem durch einen Prozess der Transformation von ambivalenten Ausgangsbedingungen in stabile Formen der Zusammenarbeit unter Respektie- rung der Autonomie der Familie. Sofern es gelingt, SPF von einer Kindes- schutzmassnahme in ein Instrument nützlicher Hilfen für Familien mit kon- kreten Belastungen zu transformieren, ihr Vertrauen zu gewinnen und mögli- che Widerstände zu reduzieren, kann SPF an die Chancen anknüpfen, die, wie es bei Thiersch, Grunwald und Köngeter (2012, S. 178) heisst, „in den Ressour- cen des Feldes selbst angelegt sind“ – wo dann allerdings weitere Herausforde- rungen ihrer harren. 6.2 Wirkungen von SPF im Spannungsfeld der Adressierung von Eltern und Kind In Anknüpfung an den Forschungsstand zeigt ein Blick in die verschiedenen Daten der vorliegenden Studie, dass Kinder im Laufe einer SPF mitunter sehr verschiedene Rollen einnehmen. Wie erwähnt, sind sie zunächst als auslösender Faktor einer SPF von zentraler Bedeutung. Beobachtungen von Auffälligkeiten durch ausserfamiliäre Instanzen, die auf Beeinträchtigungen oder Gefährdun- gen des Kindeswohls schliessen lassen, sind typisch für die Begründung und Rechtfertigung einer SPF. Doch obwohl die SPF mit ihrem systemischen An- spruch die Familien als Ganzes erreichen möchte, machen Forschungen darauf aufmerksam, dass die Arbeit mit dem Kind zugunsten einer eltern- resp. müt- terzentrierten Arbeitsweise zurückgestellt oder sogar ganz darauf verzichtet wird (Petko 2004; Richter 2013). Die Eltern- bzw. Mütterzentrierung bezeichnet Richter (2013, S. 270) als ein wesentliches Strukturmerkmal der SPFH Praxis. Diese Fokussierung auf Mütter werden auch durch die Hinweise zu den Aus- gangsbedingungen der SPF des SNA-Samples bestätigt: In neun von zehn Fa- milien richtet sich die Begleitung explizit an die Mutter, an Kinder hingegen nur zu 43,7 Prozent. Ist die SPF also erst einmal etabliert, sind es vor allem die Mütter, die in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken. Dieses Ungleichgewicht zu Ungunsten der Kinder spiegelt sich nicht zuletzt auch in aktuellen interna- tionalen Forschungen wider (vgl. Tausendfreund 2015; Hughes-Belding et al. 2019; Visscher 2020). Trotz dieser anscheinend gängigen Praxis macht die Forschung gleichwohl auf die Relevanz der Adressierung von Kindern aufmerksam. So beleuchtet das Kapitel zum Forschungsstand (vgl. Kap. 2.4) verschiedene Studien, die zeigen, dass nachhaltige Wirkungen von Familienbegleitungen, die bis zu den Kindern hin spürbar sind, nur dann erzielt werden, wenn Fachpersonen Eltern und Kinder gleichermassen adressieren. Ferner wird deutlich, dass eine intensivierte 229 Beziehung zwischen Fachperson und Kind sich nicht nur positiv auf das Kind auswirkt, sondern auch wesentlich ist, um die Eltern/Kind-Beziehung zu stär- ken (vgl. Juul/Husby 2020, S. 12) – ein Befund, den auch die vorliegende Studie bestätigt. Einen gelingenden Beziehungsaufbau zwischen Fachperson und Kind nehmen Eltern nicht nur als bestärkend und motivierend für das kindliche Selbstwertgefühl wahr, sondern indirekt auch für ihre eigene Haltung gegen- über den Interventionen der SPF.129 Welche Wertigkeit wird Kindern in Familien mit SPF zugeschrieben? Entgegen den Forschungsbefunden zur Relevanz von Beteiligung werden Kin- der anlässlich der Hausbesuche zumeist in (separaten) Kontexten ihrer Kom- petenzförderung adressiert (Lesen, Schreiben, Sprechen), weniger hingegen als Personen, die ihrerseits emotionalen oder sozialen Belastungen ausgesetzt sind. Dem steht der Befund aus den Hinweisen zu den Familien des SNA-Samples gegenüber, der zeigt, dass Fachpersonen zu ungefähr einem Drittel die sozialen Auffälligkeiten des Kindes/der Kinder als eine zentrale Problemlage von Fami- lien mit SPF bewerten. Gleichhäufig waren schulische Probleme des Kindes/der Kinder ein Hauptanlass für die Etablierung der SPF. Entwicklungsauffälligkei- ten bzw. seelische Probleme des Kindes/der Kinder (z. B. Entwicklungsrück- stände, Ängste oder selbstverletzendes Verhalten) waren immerhin noch in fast einem Fünftel der Familien ein zentrales Problem. Treten Kinder bei Familien mit SPF in Erscheinung, kommen sie meist in- direkt als eine Art Projektionsfläche familiärer Problembelastungen in den Blick. Aus Sicht der Fachpersonen werden Kinder vor allem als Indikatoren für die Problembelastungen ihrer Eltern aufgefasst, so z. B. im Kontext von Eltern/ Kind-Konflikten, in denen sich aus professioneller Sicht eine Überforderung der elterlichen Erziehungskompetenz in Verbindung mit Trennungs- oder Paarkonflikten reflektiert. Sofern seitens der zuweisenden Stelle oder der SPF keine eigenständige, auf das Kind bezogene Abklärung erfolgt, bleiben auch deren Bedürfnisse weitgehend ungeklärt, es sei denn, sie manifestieren sich spontan in Krisen oder Belastungssituationen während der Hausbesuche. 129 Interessanterweise wird in keinem Elterninterview das Konfliktpotenzial angesprochen, das möglicherweise dadurch entsteht, als sich die familiale Autonomie mit der Etablierung al- ternativer resp. konkurrierender Erziehungs- und Beziehungsmodelle potenziell bedroht oder herausgefordert sieht (vgl. Köngeter 2013, S. 190) – was darauf hindeutet, dass Inter- ventionen in die elterliche Erziehungsverantwortung bei gleichzeitiger Respektierung der elterlichen Autonomie durchaus möglich sind. 230 Kinder als Spiegel elterlicher Erziehungskompetenz … Wie ein kurzer Rückblick auf die Beschreibung des MWA-Samples und der damit einhergehenden Auftragsziele zeigt (vgl. Kap. 4.1), zielen die Veranlas- sungen der zuweisenden Stellen (mit einer Ausnahme) primär auf Belastungs- oder Überforderungssituationen der Eltern. Darin spiegelt sich eine Vorstellung wider, wonach die Organisation von Entlastung von Eltern automatisch auf die Kinder zurückwirken soll. Auch die Problemkategorien der Meldeformulare der einzelnen Anbieterorganisationen sind vorzugsweise elternzentriert, wobei Kinder lediglich als ein Reflex elterlicher Dysfunktionen aufgefasst werden. Dies zeigt sich auch darin, dass Kinder bei Erstgesprächen meist abwesend sind. In der Regel nehmen sie nicht daran teil, und wenn ausnahmsweise doch, dann primär schweigend. Diese Zentrierung auf Eltern, die mit einer Hinwendung von Fachpersonen der SPF zu eher beraterischen Aktivitäten korrespondiert (vgl. Petko 2004, S. 288), steht im Widerspruch zu dem Befund, wonach die Aktivitäten der Fachpersonen zielführender sind, wenn sie mit allen Familien- mitgliedern gemeinsam umgesetzt werden: „that more time spent in Triadic Interactions with a focus on Child-Related Content was related to higher qua- lity for both home-visitor practices and family engagement“ (Hughes-Belding et al. 2019, S. 338). … und fachlicher Intervention Trotz der Betonung der höheren Qualität in triadischen Interaktionen soll die Bedeutung der elterlichen Erziehungsverantwortung hier nicht in Abrede ge- stellt werden. Die Eltern sind selbstredend die Hauptverantwortlichen für die Aufwachsbedingungen ihrer Kinder (z. B. im Hinblick auf deren ökonomische Lebenssituation, ihr Bildungsniveau, in Bezug auf die Stabilität der elterlichen Beziehung etc., vgl. Belsky 1984), jedoch wird die Eltern/Kind-Beziehung aus heutiger Sicht mehr als ein „bidirektionaler“, d. h. als ein dynamisch wechsel- seitiger Prozess aufgefasst (vgl. Maccoby 2007; Fend/Berger 2019, S. 152), bei dem sich beide Seiten gegenseitig beeinflussen. Um Eltern bei Erziehungsange- legenheiten zu unterstützen und zu fördern (so das Auftragsziel in 14 von 16 Familien des MWA-Samples wie auch bei den meisten Familien des SNA-Sam- ples), muss also genau hingesehen werden, wie sich Eltern und Kinder in Erzie- hungssituationen gegenseitig beeinflussen und Probleme durch Interventionen in die Eltern/Kind-Beziehung abgebaut werden können. Im Gegensatz dazu werden die bestehenden Erziehungsprobleme bei Haus- besuchen zum überwiegenden Teil einseitig adressiert, indem die Fachperson 231 primär Eltern berät, während die Sichtweise der Kinder dahinter zurücktritt.130 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, weshalb die Ziele der SPF (sofern diese Kinder und Eltern gemeinsam betreffen) nicht überall standardmässig in triadischen Beziehungen beobachtet, analysiert und umgesetzt werden. Mögli- che Antworten aus den vorliegenden Analysen sind vielfältig und hängen von mehreren Voraussetzungen ab – so bspw. von den Konzepten der jeweiligen Anbieterorganisation, den situativen Erfordernissen familiärer Konflikt- und Problembelastungen (bspw. Eltern/Kind-Konflikte), den verfügbaren Zeitres- sourcen, ferner von den methodischen Kompetenzen und Präferenzen der ein- zelnen Fachperson und nicht zuletzt von den Auftragszielen der zuweisenden Stellen, die sich zuvörderst an den Problembelastungen der Eltern orientieren, so dass Fachpersonen keinen unmittelbaren Handlungsauftrag in Bezug auf die Kinder darin erkennen. Allerdings bedeutet der Auftrag, die Erziehungskom- petenzen der Eltern zu stärken, nicht zwangsläufig auch, dass Kinder davon ausgeschlossen werden müssen. Doch scheint die Abwesenheit der Kinder bei den Abklärungen von familiären Belastungen und darauf aufbauender Zielver- einbarungen (vgl. 4.3) dazu zu führen, dass kindbezogene Interaktionen ver- mehrt aus dem Blick geraten bzw. in kindereigene Freizeit-, Therapie- oder Beratungsangebote ausgelagert werden. Mit anderen Worten: Die Einseitigkeit einer (diagnostischen) Sichtweise pflanzt sich über mehrere Phasen der SPF in dieser Einseitigkeit fort. Das Problem der Gleichzeitigkeit Aus Sicht der Fachpersonen lassen sich die Belastungen oder Unterstützungs- interessen von Kind und Eltern nicht (oder nicht effektiv) gleichzeitig themati- sieren, und schon gar nicht als durchgängiges Handlungsprinzip, da deren Bedürfnisse jenseits gemeinsamer Aktivitäten (Spiel, familiäre Freizeitaktivitä- ten) oder bei Eltern/Kind-Konflikten i. d. R. nicht kongruieren. Entweder langweilen sich Kinder bei Gesprächen oder sie werden zappelig und verlangen Aufmerksamkeit. Dies spricht nicht grundsätzlich gegen eine Adressierung der Kinder, verweist aber auf Probleme der gleichzeitigen und unspezifischen Ad- ressierung von Eltern und Kind. Vor diesem Hintergrund enthält das Problem der Gleichzeitigkeit je nach Situation und zu bearbeitenden Themen zwar einen 130 Im Rahmen der videogestützten Beratungsmethode Marte Meo (z. B. bei Familie Baan) wird die Aufmerksamkeit zwar auf die Eltern/Kind-Interaktionen gerichtet, doch im Nach- gang einzig mit den Eltern (resp. der Mutter) besprochen. Der Einbezug der Kinder in die Auswertungsgespräche würde dagegen auch den Kindern ermöglichen, einen neuen Blick auf bekannten Situationen zu erhalten und dazu ihre Sichtweise darzulegen. Darüber hin- aus könnte der dieser Methode zugrunde gelegte ressourcen- und lösungsorientiere Blick auf die Kinder und Eltern beide Parteien gleichermassen bestärken. 232 sachlich richtigen Kern. Jedoch reflektiert sich in dieser Einseitigkeit jedoch auch der Primat einer elternzentrierten Interventionslogik, der sich im Zuge professioneller Interventionen zumindest in Teilen bereits habitualisiert und verfestigt hat. … und familialer Autonomie Schliesslich sehen Fachpersonen ihre Aufgabe auch nicht darin, im Rahmen von SPF selbst erzieherisch tätig zu werden, als vielmehr Eltern dazu zu befähi- gen, ihre Elternrolle kompetent und kindgerecht auszuüben und die für das Kind notwendigen Orientierungen und Strukturen zu schaffen. Mit anderen Worten: Im Rahmen von SPF sind es vorrangig nicht die Kinder, die erzogen werden sollen, sondern die Eltern. Vor diesem Hintergrund werden Kinder im Rahmen einer elternzentrierten Interventionslogik als Beobachtungsobjekte adressiert und/oder bieten Fachpersonen eine Bühne zur Veranschaulichung von guter Erziehung (Modelllernen für die Eltern). Aus Sicht der Fachpersonen konzentriert sich ihr Wirken intermediär über die Eltern („Eltern stärken als Handlungsprinzip“, Petko 2004, S. 284), in der Annahme, dass das Verhalten der Kinder direkt vom Erziehungsverhalten der Eltern beeinflusst wird. Adressierung als Wirkung Im Hinblick auf die Wirkung von SPF im Spannungsfeld der Adressierung von Eltern und Kindern kann zusammenfassend festgestellt werden, dass die Stel- lung des Kindes in der Praxis der SPF formal nicht gesichert ist. Einerseits bele- gen Forschungsbefunde wie auch die Ergebnisse der vorliegenden Studie, dass die Teilhabe der Kinder sowie der Aufbau einer tragfähigen Arbeitsbeziehung zwischen Fachperson und Kind ein bedeutsamer Wirkfaktor ist, wenn Kinder zielführend in Problemlöseprozesse miteinbezogen und eine kindbezogene Unterstützung und Förderung stattfinden soll. Andererseits hat es aber den Anschein, dass die Bedürfnisse von Kindern gegenüber den Belastungen der Eltern zurücktreten müssen. Dass Kinder nicht immer und zu allen anstehen- den Themen in die institutionellen Aktivitäten einbezogen und/oder dabei berücksichtigt werden können, versteht sich von selbst. Soweit die Problembe- lastungen der Eltern jedoch in die Aufwachs- und Entwicklungsbedingen der Kinder hineinwirken, könnten Kinder nach vorliegenden Hinweisen weit mehr zu den sie betreffenden Angelegenheiten befragt und einbezogen werden. Ent- sprechend spiegeln sich aus Kindersicht auch kaum Effekte, die bis zu ihnen „hinunter“ gewirkt haben. Ungeachtet ihres wechselnden Einbezugs in die Praxis der SPF bleiben Kin- der als Gradmesser der elterlichen Fürsorge- und Schutzaufgaben gleichwohl wirkrelevant. Denn aus Sicht der Fachpersonen hat SPF ihre Ziele dann er- reicht, wenn es den Kindern gut (oder besser) geht und gewährleistet ist, dass 233 ihr familiäres Lebensumfeld ihnen die altersgerechten Aufwachs- und Ent- wicklungsbedingungen bietet. Dies wiederum setzt voraus, dass die Wahrneh- mung der elterlichen Erziehungsverantwortung soweit wiederhergestellt sein muss, damit für die Kinder keine weiteren Nachteile daraus resultieren. Die Auseinandersetzung mit dieser Problematik ist insofern die praktische Konse- quenz aus dem Ziel, den Verbleib des Kindes in der Familie auf Dauer sicherzu- stellen. In gewisser Weise hat das Problem der Adressierung auch in den statio- nären Hilfen zur Erziehung seine Berechtigung, wo (praktisch in spiegelver- kehrter Umkehrung) vermehrt die Zusammenarbeit mit den Eltern angemahnt wird (vgl. Deutsches Jugendinstitut 2010). Unabhängig davon, ob familiäre Probleme vor Ort oder in stationären Settings kompensiert und bearbeitet wer- den, bleibt die Eltern/Kind-Beziehung weiterhin bi-direktional wirkrelevant, solange wenigstens, wie die ambulanten und stationären Erziehungshilfen dar- auf zielen, den Kindern ein geschütztes familiäres Umfeld für ihre Entwicklung zu bieten. 6.3 Wirkungen von SPF im Spannungsfeld von familien- internen und -externen Unterstützungsressourcen Im Kontext von SPF werden Netzwerkstrukturen vor allem als Unterstützungs- ressourcen begriffen, d. h. sie sind begrifflich positiv konnotiert. So heisst es etwa im Leitbild „Sozialpädagogische Familienbegleitung SPF“: „Die Netzwerke der Familie sowie der einzelnen Familienmitglieder werden erschlossen und erweitert, um den Beziehungs- und Erfahrungsraum zu vergrössern und die Anschlussfähigkeit an die gesellschaftlichen Erwartungen zu erhöhen“ (Fach- verband SPF 2017, o. S.). Mit dieser Aussage wird postuliert, dass durch das Erschliessen eines förderlichen Netzwerkes die SPF über die Beeinflussung der innerfamilialen Prozesse hinaus die Handlungsmöglichkeiten der Familien erweitern kann. Eine ähnliche Sichtweise wird von den Anbieterorganisationen des MWA-Samples vertreten, wonach die Arbeit mit den Familien nicht nur ganzheitlich-systemisch umgesetzt werden, sondern dabei auch das familiäre Umfeld miteinschliessen soll. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen dagegen, dass die Interventionen der SPF mehrheitlich auf die Bearbeitung kernfamilialer Strukturen (d. h. Eltern und teilweise ihre Kinder) und die dar- aus hervorgehenden Belastungen zielen. Der Einbezug des privaten Umfelds der Familie (die erweiterte Familie, Freunde usw.) bzw. die Aktivierung fami- lienexterner Unterstützungsressourcen konnte dagegen selten festgestellt wer- den. Der in der vorliegenden Studie festgestellte Fokus auf die Kernfamilie deckt sich mit Studienergebnissen zu vergleichbaren Familieninterventionen (vgl. 234 Sheppard 2004; Visscher 2020). Die Fachpersonen scheinen mit dieser Vorge- hensweise die Familie tendenziell als eine isolierte Entität zu begreifen und nicht als Familie eingebettet in eine sozialökologische Umwelt. Dies hat zur Konsequenz, dass für die Bewältigung von familiären Problemen im Rahmen der SPF eher selten auf das private Umfeld der Familien zurückgegriffen wird. Dies belegen u. a. die Ergebnisse der MWA, wonach nur in zwei von 16 Fami- lien familienexterne Unterstützungsressourcen thematisiert und tatsächlich auch aktiviert wurden. Die fehlende Aufmerksamkeit für familienexterne Un- terstützungsressourcen zeigt sich jedoch auch in den Befunden der SNA, denen zufolge Netzwerkinstrumente und -methoden nur wenig zum Einsatz kommen und die Aktivierung des privaten Umfelds der Familie vergleichsweise selten als konkretes Ziel vereinbart wird. Die Relevanz von familienexternen Unterstüt- zungsressourcen ist in der Praxis der SPF somit deutlich geringer, als es die Konzepte der Anbieterorganisationen vorgeben. Der SPF scheint es mehr darum zu gehen, innerhalb der Familie neue Umgangsweisen und Strategien zu entwickeln, um das Kindeswohl sicherzustellen. Herausforderungen und Grenzen bei der Bearbeitung kernfamilialer Strukturen Der Fokus der SPF auf die Bearbeitung kernfamilialer Strukturen ist jedoch von verschiedenen Limitationen und Herausforderungen geprägt. Eine wesentliche Limitation betrifft die starke Mütterorientierung und damit einhergehend die geringe Berücksichtigung anderer Familienmitglieder in der Praxis der SPF. Einerseits haben die Analysen der MWA gezeigt, dass der Einbezug der Kinder keineswegs zum Standard der SPF gehört (vgl. Kap. 6.2). Andererseits werden weder bei Alleinerziehenden noch bei Elternpaaren die Väter gleich intensiv miteinbezogen wie die Mütter. Nach vorliegenden Zahlen aus der SNA werden Kindsväter nur in rund einem Viertel (27 %) explizit adressiert. Die Ergebnisse der MWA lassen vermuten, dass dafür das geringe Interesse der getrenntleben- den Kindsväter an der SPF massgeblich ist (siehe hierzu auch Maxwell et al. 2012). Die Orientierung an der Kernfamilie wird insofern dann zum Problem, wenn einzelne Familienmitglieder nicht mehr Teil des familiären Zusammenle- bens sind, diesbezüglich jedoch Ansprüche geltend machen – bspw. in Form von Besuchs- und Sorgerechten in Bezug auf die Kinder. Sofern die SPF vor- wiegend mit dem Elternteil arbeitet, bei dem auch das Kind/die Kinder ansässig ist/sind, hat dies zur Folge, dass im Falle getrenntlebender Eltern der andere Elternteil zu einem belastenden Einflussfaktor auf das familiäre Zusammenle- ben werden kann. Andererseits kann der nicht-begleitete Elternteil eine Ent- lastung sein, vorausgesetzt, dass hinsichtlich der Besuchs- und Sorgerechte einvernehmliche Regeln etabliert worden sind, die von den Beteiligten ein- 235 gehalten werden. Im Grundsatz machen die Ergebnisse der SNA und der MWA deutlich, dass die kernfamiliale Orientierung der SPF weniger zu einem Ausbau von Unterstützungsressourcen in der Familie führt, sondern primär dem Ab- bau von Belastungen dient. Grenzen der Aktivierung familienexterner Unterstützungsressourcen Die geringe Aktivierung von familienexternen Unterstützungsressourcen (Verwandte, Freunde usw.) lässt sich gemäss vorliegenden Hinweisen auf zwei hauptsächliche Faktoren zurückführen. Einerseits liegt in vielen Fällen kein konkreter Handlungsauftrag der zuweisenden Stelle vor. Entsprechend finden sich auch in den Zielvereinbarungen zwischen den Fachpersonen und Familien selten Hinweise zur Aktivierung von familienexternen Unterstützungsressour- cen. Dies zeigt sich u. a. in der Stichprobe der SNA, wonach nur in etwa einem Viertel der Fälle „Netzwerkaktivierung“ als Ziel gesetzt wurde. Jedoch bleibt unklar, weshalb die zuweisenden Stellen oder die Fachpersonen der SPF nur in so wenigen Fällen einen Bedarf für Netzwerkarbeit erkennen oder sich dieser verpflichtet fühlen. Andererseits zeigen die Ergebnisse aus der MWA, dass der Einbezug des privaten Umfeldes aus Sicht der Eltern eher unerwünscht ist. Der Einbezug von engeren familiären Beziehungen der Eltern (eigene Eltern, Geschwister etc.) wird häufiger deswegen nicht gewünscht, weil die Beziehungen zum näheren Umfeld der Kernfamilie vorbelastet sind. Fernerliegende Bekannt- oder Ver- wandtschaftsverhältnisse werden nach vorliegenden Hinweisen ebenfalls kaum aktiviert, weil das Eingeständnis nach Unterstützung seitens der Eltern oft schambesetzt ist. Der Einbezug von Personen ausserhalb der Familie erfolgt in der Regel nur dann, wenn die Eltern damit explizit einverstanden sind und dies wollen. Dies ist jedoch eher selten der Fall, teilweise auch, weil die Eltern davon ausgehen, dass diese die familiäre Situation gar nicht verstehen könnten (so auch Thompson 2015). Wie die Ergebnisse der SNA bestätigen, werden familienexterne Unterstüt- zungsressourcen hauptsächlich dann aktiviert, wenn seitens der zuweisenden Stelle ein konkreter Handlungsauftrag vorliegt. Andere Wirkfaktoren, wie eine gute Arbeitsbeziehung oder eine intensive SPF, haben auf den Aufbau von fa- milienexternen Unterstützungsressourcen offenbar keinen Einfluss. Wie die Befunde der SNA und MWA deutlich machen, zeigen sich Veränderungen in den externen Unterstützungsressourcen vermehrt dann, wenn die Netzwerk- veränderung ein explizites Ziel der Familienbegleitung ist. Studien zu Interven- tionen, welche die externen Unterstützungsressourcen von belasteten Familien aktiv bearbeiten (vgl. Friedrich 2008) oder gar erweitern (vgl. Müller/Fellmann 2019) zeigen auf, dass netzwerkorientierte Interventionen zu einer Zunahme von wahrgenommen Netzwerkressourcen führen und für das Kindeswohl för- 236 derlich sein können. Somit kann resümiert werden, dass SPF nicht per se fami- lienexterne Unterstützungsressourcen aktiviert, sondern primär dann, wenn Netzwerkarbeit ein explizites Auftragsziel ist. Aktivierung formeller Unterstützungsressourcen Von der Aktivierung familienexterner Unterstützungsressourcen sehr verschie- den sind die Aktivitäten in Bezug auf die formellen Unterstützungsressourcen, also im Hinblick auf die Gestaltung von Kontakten zwischen Familie und in- stitutionell organisierten Formen wohlfahrtstaatlicher Unterstützung. Die Er- schliessung formeller Unterstützungsressourcen ist im Vergleich zur Aktivie- rung familienexterner Unterstützungsressourcen eine unumgängliche Aufgabe der SPF und findet deshalb auch häufiger statt. Wie die Befunde der MWA zeigen, kommt es am häufigsten zu einer Zusammenarbeit mit der Schule, nicht zuletzt, weil dies ein explizit definiertes Auftragsziel der zuweisenden Stellen ist. Dabei fungiert die Fachperson bevorzugt vermittelnd, indem sie stellvertretend für die Perspektive der Eltern eintritt und diesen zugleich die Perspektive der Schule einsichtig macht. Ein wesentlicher Auslösefaktor für die Aktivierung/Koordinierung formel- ler Unterstützungsressourcen hat seine Wurzel in den Ausgangsbedingungen von SPF, insbes. den besonderen Belastungen von Eltern und Kindern. So müs- sen Paar- und Trennungskonflikte, psychische Erkrankungen oder Sucht (hauptsächlich oder unterstützend) von anderen Professionen bearbeitet wer- den, sofern sie die Fachpersonen der SPF überfordern oder sie dafür keinen Auftrag haben. Die Integration formeller Unterstützungsressourcen ist somit auch Ausdruck von Grenzen diffuser fachlicher Allzuständigkeit. Die Befunde der MWA machen nicht zuletzt darauf Aufmerksamen, dass die Erschliessung formeller Unterstützungsressourcen teilweise auch problem- behaftet und unkoordiniert ist. So bestehen bspw. Unklarheiten darüber, wel- che Fachpersonen mit welchen Aufträgen und Zielsetzungen jenseits der Zuständigkeit der SPF noch in die Fallbearbeitung involviert sind. Dies kann dazu führen, dass Entscheidungen an anderen Orten getroffen werden, welche jedoch die Arbeit der SPF mittelbar oder unmittelbar affizieren. Sind Fachper- sonen der SPF darüber nicht ausreichend informiert, dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass Wirkpotentiale aufgrund eines unkoordinierten Vor- gehens nicht ausgeschöpft werden können. Nichtsdestotrotz wird die Aktivierung von formellen Unterstützungsres- sourcen von vielen Eltern als entlastend erfahren, handelt es sich doch um Hil- fen, die einen konkreten Nutzen versprechen, wie bspw. die Vermittlung spe- zialisierter Fachpersonen, Kinderbetreuungsmöglichkeiten, Hausaufgabenhil- fen u. ä. m. Hierzu zeigen die Ergebnisse der SNA, dass die Zufriedenheit mit formeller Unterstützung (im Gegensatz zu den familienexternen informellen 237 Unterstützungsressourcen) im Verlauf der SPF zunimmt. Dabei scheint es naheliegend, dass der in der SNA sichtbar gewordene Bedarf an instrumenteller Unterstützung teilweise durch formelle Unterstützungsressourcen gedeckt wird. Die kernfamiliale Orientierung der SPF im Kontext von Unterstützungsressourcen Wie die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen, orientieren sich Fachperso- nen der SPF vorwiegend an den Belastungen der Kernfamilie und deren Unter- stützungsressourcen. Der Einbezug des privaten Umfelds der Familien spielt hingegen kaum eine Rolle. Dies hängt damit zusammen, dass der Einbezug des privaten Umfelds nicht angezeigt ist und von den betroffenen Eltern nur selten gewünscht ist. Aus fachlicher Sicht gibt es jedoch keine schlüssige Grundlage, weshalb die Aktivierung von familienexternen Unterstützungsressourcen nicht häufiger in der SPF zur Anwendung kommt. Angesichts der eindeutigen Ergebnisse aus dem Forschungsstand zum Ein- fluss des sozialen Umfelds auf die Qualität der Erziehung (vgl. Kap 2.5) sollte die Analyse und Aktivierung familialer Netzwerkbeziehungen vermehrt zum methodischen Standardrepertoire der SPF gehören. Jedoch scheint es an kon- kreten und verpflichtenden konzeptionellen Grundlagen und Methoden für eine systematische Netzwerkarbeit in den untersuchten Anbieterorganisationen zu fehlen. Eine systematischere Berücksichtigung der familiären Netzwerk- werkbeziehungen könnte den Fachpersonen der SPF nicht nur einen grösseren Möglichkeitsraum eröffnen, sondern auch zu ihrer methodischen Profilierung beitragen (vgl. Schwarzloos 2019). Hierzu benötigt es unter Umständen zusätz- liche Qualifikationen bei den Fachpersonen. 6.4 Wirkungen von SPF im Spannungsfeld von Befähigung und Entlastung Ausgangspunkt der nachfolgenden Überlegungen ist der Befund aus den Ana- lysen zu den Hausbesuchen des MWA-Samples, wonach die sozialpädagogi- schen Interventionen der Fachpersonen mehrheitlich substituierend und di- rektiv ausgerichtet sind, weniger dagegen aktivierend im Sinne von „Hilfe zur Selbsthilfe“. Dem steht das Leitbild der Anbieterorganisationen des MWA- Samples gegenüber, das sich ausdrücklich am Konzept der „Hilfe zur Selbst- hilfe“ orientiert. Demnach sollen im Zuge der SPF die internen und externen Unterstützungsressourcen der Familien aktiviert, Eltern mittels Empowerment oder lösungsorientierten Bewältigungsstrategien in ihren erzieherischen Kom- petenzen gestärkt und Kinder in ihrer Selbstständigkeit unterstützt und geför- 238 dert werden. Damit wiederum ist impliziert, dass die institutionelle Hilfe darauf hinwirken muss, sich selbst entbehrlich zu machen, sobald die Betroffenen wieder auf eigenen Beinen stehen und die Anforderungen an eine eigenständige Lebensführung zu bewältigen imstande sind. Das Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ reflektiert nicht nur ein Grundanliegen der SPF, sondern der Sozialen Arbeit überhaupt. Es geht um nichts Geringeres als die Wiederaneignung von Kontrolle über das eigene Leben (vgl. Helming/ Schattner/Blüml 1999, S. 184), d. h. um die Förderung und Unterstützung von individueller Selbstverantwortung und Autonomie, die zu einer eigenständigen Lebensführung notwendig sind (vgl. Dahme/Wohlfahrt 2018). Naheliegend ist es dort anzusetzen, wo die Herausforderungen der alltäglichen Lebensführung in ihrer ursächlichen Form konkret entstehen, wo sie gemacht und zu lösen versucht werden und wo Familien aufgrund unzureichender Ressourcen und Kompetenzen mitunter auch scheitern. Entsprechend beinhaltet die Unterstüt- zung und Förderung von Selbsthilfepotenzialen ein lebensweltlich- und res- sourcenorientiertes Arbeiten, das auf Befähigung und Selbstwirksamkeit der Betroffenen in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld zielt (so auch Thiersch/ Grunwald/ Köngeter 2012). Eine präzisere Vorstellung über die erforderlichen Ressourcen und Kom- petenzen vermittelt ein von Straus und Höfer (2017, S. 15 ff.) entwickeltes Mo- dell, das die zentralen Komponenten einer eigenständigen Lebensführung nä- her bezeichnet. Demnach umfasst „Handlungsbefähigung“ die Bereitschaft, eine Herausforderung als solche wahrzunehmen und sich aus verschiedenen Blickwinkeln damit zu befassen; vorausgesetzt ist ferner das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Ressourcen sowie die Erfahrung, dass auch schwierige Situationen bewältigt werden können, sofern man Teil sozial tragfähiger Netz- werke ist (ebd.). Im Begriff der „Hilfe zur Selbsthilfe“ steckt mithin mehr als nur eine leere Formel (vgl. Petko 2003, S. 34). Notwendig ist jedoch eine klare Unterschei- dung zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Auf diesem Umstand macht der zitierte Passus von Helmings kritischen Ausführungen aufmerksam (vgl. ebd., S. 34 f.): In jedem einzelnen Fall sei zu prüfen, „wo und wie weit zunächst ein- mal ‚Fremdhilfe‘ und Unterstützung und Entlastung […] notwendig ist“ und ab welchen Punkt die Fremdhilfe kontraproduktiv wird, indem „sie die Familien bevormundet und entmündigt […] so dass der/die Familienhelfer/in zur ‚Be- sorgerin‘ wird“ (Helming 2000, S. 10). Dieser Gedanke umreisst den Kern des Spannungsfeldes zwischen Befähigung und Entlastung im handlungsprakti- schen Vollzug von SPF. 239 Primat der Entlastung Obwohl Ressourcenaktivierung und/oder Handlungsbefähigung ausgewiesene Ziele der Anbieterorganisationen des MWA-Samples sind, zielt deren Praxis nach vorliegenden Hinweisen vornehmlich auf die Organisation von Entlas- tung. Wie die Aktivitäten von Fachpersonen im Zuge der Hausbesuche u. a. zeigen, werden Eltern häufiger bei der Systematisierung und Einordnung kom- plexer Problemkonstellationen durch die Fachperson unterstützt. Dabei erhal- ten sie vielfach Hinweise und Instruktionen, wie sich ihr Familienalltag effekti- ver gestalten und näher an den Bedürfnissen der Kinder ausrichten lässt. Häu- figer werden Eltern dahingehend instruiert, wie sie auf das ggfs. herausfor- dernde Verhalten ihrer Kinder einwirken können. Nicht zuletzt werden sie von den Fachpersonen bei der Bewältigung schulischer oder behördlicher Kontakte unterstützt. In diesem Zusammenhang machen die ethnografischen Beobach- tungen darauf aufmerksam, dass Fachpersonen sich mehrheitlich substituie- render, beratender und/oder direktiver Methoden bedienen, mit denen ange- zeigt wird, wie sich ein Problem lösen lässt oder Belastungen abgebaut werden können. Demnach sind die beobachten Interventionen mehrheitlich auf ent- lastende Unterstützungsangebote ausgelegt, lernanregende oder auf Selbstrefle- xion ausgerichtete Handlungsangebote dagegen eher selten. Entsprechend ge- niessen vor allem auf die Bearbeitung von akuten Störungen oder Problemlagen abzielende Interventionen Priorität, wohingegen sozialpädagogische Interven- tionen, die sich gezielt an der (eigenständigen) Erschliessung von Unterstüt- zungsressourcen orientieren, eher die Ausnahme bilden. Zur Dualität von Entlastung und Befähigung Auf lange Sicht gehen entlastende und aktivierende sozialpädagogische Inter- ventionen in gewisser Weise Hand in Hand, jedoch ist die situative Bevorzu- gung der Organisation von Entlastung die naheliegende Option. Akute Pro- blembelastungen (bspw. ein schwelender Paarkonflikt, Streit um Besuchsrege- lungen, herausfordernde Kinder, Belastungen im Umgang mit Schule oder Behörden, Überforderung bei der Alltagsstrukturierung etc.) lassen sich auch nur schlecht ignorieren oder beiseiteschieben, sondern verlangen in dem Masse Aufmerksamkeit, wie sie aufgrund ihrer Intensität oder Beständigkeit andere Handlungsoptionen im Alltag einer Familie blockieren. Aufgrund ihrer Parti- kularität und Präsenz sind akute Problembelastungen in ihren Folgen auch leicht zu lokalisieren, so dass eine fachliche Intervention gut daran anschliessen kann. Aktivierende Interventionen (bspw. im Hinblick auf elterliche Erzie- hungs-, Konfliktlösungs- oder Ressourcendefizite) zielen dagegen mehr auf die Person resp. auf deren Veränderungs- und Reflexionspotenzial. Sie müssen daher erst einmal konkretisiert und mit den akuten Problemlagen in Verbin- dung gebracht werden, damit man sie gezielt bearbeiten kann. 240 Die Organisation von Entlastung hat insofern das Potenzial, Individuen von ihren ‚Belastungen‘ zu befreien, weniger aber, sie mit neuen Anforderungen zu konfrontieren, die zur Entwicklung von Selbstwirksamkeit notwendig wären. Entsprechend wird auf Seiten der Eltern primär die Organisation von Entlas- tung als befreiend empfunden und mit Blick auf ihren alltagspraktischen Nut- zen wertgeschätzt. Dies betrifft vor allem die Entlastung im Umgang mit den Konfliktfeldern Eltern/Kind oder Eltern/Schule, ferner bei der Vermittlung alltagsnaher Unterstützungsangebote und nicht zuletzt die Offenheit und Loya- lität von Fachpersonen als direkte Ansprechpersonen gegenüber den spezifi- schen Anliegen der Eltern. Anforderungen an Ressourcenaktivierung und Handlungsbefähigung Während die Wirkung der Organisation von Entlastung unmittelbar, konkret und spezifisch wahrnehmbar ist, erfordern Interventionen, die primär auf die Stärkung eigenverantwortlicher Ressourcen und Selbstwirksamkeit zielen, typi- scherweise einen längerfristigen Zeithorizont. So lassen sich bspw. kulturelle Unterschiede in Bezug auf die Normen der Kindererziehung nicht von heute auf morgen modifizieren, ebenso wenig wie der Umgang mit Sucht, psychi- schen Belastungen oder festgefahrenen Positionen im eskalierten Partnerkon- flikt. Handlungsbefähigung und Selbstwirksamkeit sind diesbezüglich sehr viel enger mit den personalen Identitäten der Zielgruppe von SPF verknüpft und darauf bezogene Veränderungsanliegen (bspw. eine andere Perspektive einzu- nehmen oder das eigene Verhalten zu hinterfragen) entsprechend vorausset- zungsreich. Dieser Konnex spielt auch bei der Ressourcenaktivierung eine wichtige Rolle. Sofern damit mehr gemeint ist als die blosse Erschliessung ex- terner Unterstützungsressourcen (bspw. der Gang zum Gemeindezentrum, die Vermittlung eines Therapieplatzes, eines Deutschkurses oder der Hausaufga- benhilfe für das Kind), handelt es sich dabei um Prozesse der personenbezoge- nen (Wieder-)Aneignung verlorengegangener (oder niemals vorhandener) Fähigkeiten und Kompetenzen – wie bspw. bei Eltern, die in ihrer eigenen Kindheit niemals fürsorgliche und fördernde Aufwachsbedingungen erfahren haben, nunmehr aber gehalten sind, sich eben in dieser Rolle zu üben. Unbestritten ist, dass auch direktive, beratende oder auch am Modelllernen ausgerichtete Interventionen einen Beitrag zur Ressourcenaktivierung oder Handlungsbefähigung leisten, wie bspw. die Mutter aus dem MWA-Sample, die mittels Rollenspiel auf alternative Reaktionen ihrem Kind gegenüber aufmerk- sam gemacht wird. Die personenbezogene Ressourcenaktivierung in Bezug auf das Lebensumfeld der Familie setzt aber voraus, dass neben der Einsicht in die Defizite der familiären Alltagsstruktur auch eine Bereitschaft existiert, sich im Rahmen der festgestellten Problembelastungen selbst zu verorten und die eige- nen Anteile daran zu erkennen. Diese Form der Ressourcenaktivierung erfor- 241 dert im Unterschied zur Organisation von Entlastung einen erhöhten Zeithori- zont131, da nicht nur ein partikulares Sachproblem gelöst (bspw.: die Kinder schöpfen ihr Essen selbst), sondern erzieherisch grundlegende Einstellungen und Defizite der Eltern kompensiert und durch alternative Bearbeitungsformen ersetzt werden müssen. Die personenbezogene Ressourcenaktivierung greift insofern über den situativen Moment und partikularen Charakter einer singulä- ren Problemstellung weit hinaus. Sie soll die Fokusperson nicht nur in einer einmaligen oder besonderen Situation zu Problemlösungen befähigen, sondern ihr die Erfahrung vermitteln, in vergleichbaren Situationen auch zukünftig zu einer eigenständigen und kindgerechten Problemlösung imstande zu sein. Kurz: Die Ressourcenaktivierung von Familien erfordert auch von den Fach- personen erhöhte Ressourcen. Fremd- und Selbsthilfe im Kontext der Fallbearbeitung In Anlehnung an May (vgl. 1996, S. 31 ff.) unterscheiden Helming/Schattner/ Blüml (vgl. 1999, S. 299 ff.) verschiedene Kombinationen von (entlastender) Fremdhilfe und Hilfe zur Selbsthilfe im Kontext der SPFH. Abhängig davon, was Personen selbst lösen können und was sie jetzt (und möglicherweise auch zukünftig) nicht lösen können, ergeben sich verschiedene Möglichkeiten der situativen Gestaltung und Planung professioneller Interventionen. Bezüglich der Frage, wie das Verhältnis zwischen Selbst- und Fremdhilfe ausbalanciert werden soll, lautet die Antwort vereinfacht: So viel Fremdhilfe wie nötig bzw. so wenig wie möglich – je nach Grad der Belastung und Veränderungsmöglich- keiten der jeweiligen Fokusperson. In der Logik professioneller Interventionen liegt es nach vorliegenden Hin- weisen insofern nahe, in einer ersten Phase der Familienbegleitung zunächst die hauptsächlichen Belastungsfaktoren zu identifizieren, die der Normalisierung oder Beruhigung der familiären Situation abträglich sind und welche davon in Eigenregie bearbeitet werden können. Im Idealfall wird damit der Grundstock für die klientele Selbstwirksamkeitswahrnehmung gelegt, sofern Einsichten in Überforderungssituationen generiert und die Notwendigkeit entsprechender 131 Ein anschauliches Beispiel liefert der Problembereich ‚Schule‘. Es macht bspw. einen Unter- schied, ob die Fachperson anstelle der Eltern/des Elternteils mit der zuständigen Lehrper- son telefoniert, ob sie die Eltern/den Elternteil zu einem Gespräch begleitet, oder ob sie die Eltern/den Elternteil dahingehend befähigt, damit diese ihre jeweiligen Interessen gegen- über Vertreter/innen einer Institution eigenständig formulieren, verteidigen und durchset- zen können. Zwischen einer substituierenden und einer auf Ressourcenaktivierung abge- stützten Intervention liegen mit Blick auf den fachlichen Aufwand mithin Welten. In eine ähnliche Richtung argumentiert im Übrigen auch Helming (2000, S. 10), die darauf auf- merksam macht, dass es Fachpersonen der SPF möglicherweise an der Geduld (oder Zeit) mangelt, „zu warten, bis die Familie sich selbst auf den Weg gemacht hat.“ 242 Reaktionen festgestellt werden. Die gemeinsame Aushandlung darüber, welche Problemlage prioritär und wie sie im Bestfall zu bearbeiten ist, hat neben der Aussicht auf einen kurzfristig grösstmöglichen Nutzen auch das Potenzial, Eltern und Kinder soweit als möglich in das konkrete Vorgehen zu integrieren. Nicht zuletzt werden damit auch die Weichen für ein gemeinsames Vorgehen gestellt, indem die oft vagen Auftragsziele der zuweisenden Stellen in konkrete Konzepte der Bearbeitung elterlicher und kindlicher Belastungsfaktoren he- runtergebrochen werden. In einer zweiten Phase der Familienbegleitung (normalerweise die Haupt- phase) wird das methodische Vorgehen festgelegt, welche Belastungsfaktoren in welcher Form und Reihenfolge in Angriff genommen werden. In dem Masse, wie die Betroffenen in die Planung eingebunden und daran beteiligt werden, verbessern sich zunächst auch hier die Voraussetzungen von Handlungsbefähi- gung und Selbstwirksamkeit. Spätestens an dieser Stelle stellt sich jedoch auch die Frage, inwieweit die Fremdhilfe durch Anregung zur Selbsthilfe schrittweise ersetzt werden kann. Im Einzelfall mag es bspw. gerechtfertigt sein, dass die Fachperson anstelle der Eltern dem Kind eine spezifische Förderung zuteilwer- den lässt (im MWA-Sample bspw. Sprach- oder Sprechunterricht, Hausaufga- benhilfe etc.); mit Blick auf deren Handlungsbefähigung ist jedoch erheblich, ob dies hinter verschlossenen Türen geschieht oder ob Eltern bei der Planung und Durchführung aktiv beteiligt werden. In grober Vereinfachung folgt aus diesen Überlegungen ein Idealtypus der Fallbearbeitung, der zunächst entlastet und dann (zunächst schrittweise, dann primär) aktiviert und auf diese Weise Selbst- ständigkeit generiert. Abbildung 5: Entlastung mit Aktivierung Wenn hingegen der zweite Schritt (Aktivierung) ausbleibt, besteht die Gefahr, dass sich die Fokusperson an die Vorteile der Entlastung gewöhnt und sich davon abhängig macht. Abbildung 6: Entlastung ohne Aktivierung Beim ersten Typus handelt es sich demnach um einen Fall von Befähigung und Erfahrung der Selbstwirksamkeit, beim zweiten um einen Fall stabilisierter oder erlernter Abhängigkeit (vgl. Hiroto/Seligman 1975). Während Selbstständigkeit die Erfahrung von Selbstwirksamkeit voraussetzt, bezeichnet erlernte Hilflosig- keit die Erwartung eines Individuums, Situationen nicht kontrollieren oder 243 steuern zu können. Wenn daher substituierende oder direktive Methoden der Intervention das fachliche Handeln der SPF dauerhaft dominieren, dann droht die Gefahr, dass nicht Selbstständigkeit, sondern Abhängigkeit von Entlastung zum dominanten Faktor der institutionellen Beziehungsgestaltung wird. In diesem Zusammenhang lassen sowohl die Hinweise aus den Eltern- wie auch aus den Fachpersoneninterviews vermuten, dass die meisten Aktivitäten der Fachpersonen irgendwo in der Mitte beider Idealtypen angesiedelt sind: Eltern schätzen primär die Organisation von Entlastung aufgrund der emotionalen, sozialen und sachlichen Unterstützungsangebote der SPF, Fachpersonen dage- gen betonen den oft mühsamen Weg zu einer Grundabsicherung familiärer Alltagsstrukturen, bis keine weitere Gefährdung mehr für das Kindeswohl ab- sehbar ist. 6.5 Wirkvoraussetzungen der Sozialpädagogischen Familienbegleitung – Diskussion und Ausblick Wie die Diskussion von Wirkungen im Kontext von Spannungsfeldern zeigt, vollzieht sich die Wirksamkeit von SPF auf die Familie und ihre Unterstüt- zungsressourcen fragmentiert und gebrochen. Grund dafür sind verschiedene Aporien und Herausforderungen, die für den handlungspraktischen Vollzug der SPF charakteristisch zu sein scheinen. Mit Blick auf die Frage, inwieweit eine Familienbegleitung Wirkung entfaltet, ist es deshalb zweckmässig zu be- stimmten, unter welchen Voraussetzungen dies geschieht. Grundsätzlich ist intendiert, dass die SPF Familien bei der Bewältigung ihrer alltäglichen Her- ausforderungen unterstützt, bis diese imstande sind, ihre Problembelastungen eigenständig zu meistern und es den Kindern besser geht (bzw. ihnen aus der verminderten Belastung keine weitere Gefährdung mehr erwächst). Der Faktor, der die Wirksamkeit von SPF wohl am weitestgehenden unter- stützt, ist aus Sicht betroffener Eltern die Organisation von Entlastung. Entlas- tung kann für die einzelnen Familienmitglieder Verschiedenes heissen, für die Fokusperson (meist die Mutter) bedeutet es jedoch einen erfahrbaren Nutzen, der angesichts der alltäglichen familiären Problembelastungen Erleichterung bringt – sei es in Bezug auf das herausfordernde Kind, im Hinblick auf Kon- flikte mit dem Ex-Partner oder in Fragen einer effektiven Strukturierung des Familienalltags. Entsprechend hoch wird der Nützlichkeitsaspekt einer Entlas- tung seitens der Eltern wertgeschätzt. Neben der wahrgenommenen Nützlich- keit wirkt die Organisation von Entlastung positiv auf die Beziehungsgestaltung zwischen Fach- und Fokusperson, sofern die Arbeit an den familiären Pro- blembelastungen ein generalisiertes Vertrauen nicht nur in die Nützlichkeit, sondern auch in die Loyalität und Hilfsbereitschaft von Fachpersonen der SPF 244 generiert. Wie die Diskussion von Wirkungen in Spannungsfeldern der SPF jedoch zeigt, muss dieser Wirkfaktor verschiedenen Problemstellungen Rech- nung tragen, die in irgendeiner Form gelöst oder bearbeitet werden müssen. Das Problem der Aussöhnung divergierender Perspektiven Ein erster Befund aus den vorliegenden Untersuchungen verweist auf den Sachverhalt, dass die Praxis der SPF familiale Autonomie nicht nur fördert, son- dern sie auch begrenzt, sofern sie dem Kindeswohl abträglich ist. Massgeblich dafür ist, dass die Problemsichten von zuweisenden Stellen, Fachpersonen der SPF und die der betroffenen Eltern (und Kinder) nicht von Vornherein konver- gieren. In der überwiegenden Zahl aller Fälle wird eine SPF aufgrund von Hin- weisen auf Gefährdungen des Kindeswohls initiiert, weniger hingegen aufgrund eines konkreten Hilfeersuchens der betroffenen Eltern. Anders als es das Selbstbild der SPF suggeriert – hier die hilfebedürftige Familie, dort die hilfe- leistende Institution – agiert die SPF in einem Spannungsfeld divergierender Rationalitäten, in dem Schutzinteressen des zivilrechtlichen Kindesschutzes und die Autonomiebedürfnisse der betroffenen Familien nicht nur nicht kon- vergieren, sondern zuweilen in offenem Widerspruch stehen.132 Eine zentrale Wirkvoraussetzung von SPF ist demnach die Herstellung von Konvergenz von erwartbar inkongruenten Perspektiven auf die Notwendigkeit einer SPF, weil sich deren Wirksamkeit nicht entfalten kann, solange für die Beteiligten unter- schiedliche Problemsichten gelten. Viele der in der Literatur angeführten Wirkindikatoren der aufsuchenden Familienarbeit (bspw. Vertrauen, Empathie, Arbeitsbeziehung, Partizipation etc.) haben in diesem Problemkonnex ihre Wurzel. Wie die vorliegenden Un- tersuchungen jedoch zeigen, handelt es sich dabei nicht bloss um methodische Variationen einer sozialpädagogischen Intervention, sondern um die Bearbei- tung eines Strukturproblems, mit dem die Weichen von Hilfeprozessen und ihren Folgen schon frühzeitig festgelegt werden. Die Wirksamkeit von SPF hängt demzufolge wesentlich davon ab, wie es gelingt, kinderschutzrechtliche Perspektiven so in Kategorien familiärer Belastungen zu transformieren, dass sich die Betroffen darin wiedererkennen und ihre Problemrelevanz von diesen anerkannt wird. 132 Dies ist – entgegen dem Anschein (vgl. Nüsken 2016) – auch weniger ein Alleinstellungs- merkmal der SPF in der (Deutsch-)Schweiz als vielmehr eine Frage eines unvoreingenom- menen Blickwinkels auf die handlungspraktischen Vollzüge einer professionellen Praxis. Auf dieser Basis kamen bereits Helming/Blüml/Schattner (1999, S. 34) zu folgender Ein- schätzung: „ ‚Freiwilligkeit‘ im fachsprachlichen Sinne ist in der Sozialpädagogischen Fami- lienhilfe nur in seltenen Beispielen gegeben. Es ist sogar der Frage nachzugehen, ob es überhaupt so etwas wie Freiwilligkeit gibt […]“. 245 Das Problem der Stellung des Kindes Eng mit diesen Problemen verknüpft ist die formal unsichere Stellung des Kin- des in den handlungspraktischen Vollzügen der SPF. Im Widerspruch zu ihrer ursächlichen Bedeutung für die Veranlassung einer SPF sind es nicht sie, son- dern die Eltern, die regelmässig im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Dies beginnt mit der (meist floskelhaften) Begründung und Rechtfertigung einer SPF (Überforderung der Eltern) sowie den daran anschliessenden Auftragszie- len der zuweisenden Stellen (Unterstützung der Eltern bei …), pflanzt sich fort mit der Entscheidung, wen die Fachperson anlassbezogen adressiert, und endet schliesslich mit der Feststellung, dass aufgrund des Abbaus familialer Belastun- gen keine weitere Gefährdung für das Kindeswohl mehr besteht. Die Kinder selbst geraten dabei schnell aus dem Blick, sei es, weil sie nicht Teil von Abklärungen sind oder weil elterliche Problembelastungen (Sucht, Probleme mit dem/der Ex-Partner/in etc.) das Familienleben dominieren. In Übereinstimmung mit den Auftragszielen der zuweisenden Stellen werden Kinder noch am konsequentesten hinsichtlich ihrer Kompetenzentwicklung (Lesen, Schreiben, Sprechen) adressiert, während wahrgenommene emotionale und psychische Belastungen eher ausgelagert werden (Therapie) und die SPF das Wohlergehen des Kindes primär in Form von Spielen und anderen Frei- zeitaktivitäten fördert. Insgesamt hat es den Anschein, als fungierten Kinder im System institutioneller Aktivitäten lediglich als ein Seismograph der Problem- belastungen der Familie, eine mitlaufende Projektionsfläche mithin, in der sich sowohl die familialen Belastungen wie auch die familienbezogenen Verände- rungen reflektieren, wobei das Kind nicht notwendig selbst im Fokus der Auf- merksamkeit steht. Das Problem der familienexternen Unterstützungsressourcen Nach vorliegenden Hinweisen konzentriert die SPF ihre Anstrengungen primär auf den Kernbereich der Familie, zum überwiegenden Teil also auf (alleinerzie- hende) Mütter und ihre Kinder. Dies geschieht in dem Bestreben, die familiä- ren Problembelastungen dort anzugehen, wo sie aus Sicht der Fachpersonen ihren Ursprung haben, vornehmlich also im Familiensystem. Die Organisation von Entlastung ist demnach gleichbedeutend mit der Unterstützung und Kom- pensation familieninterner Spannungen und Defizite bei der Bewältigung all- täglicher Herausforderungen an das Familiensystem. Die Frage, ob und inwieweit es nützlich ist, familienexterne Unterstützungs- ressourcen mit in die Organisation von Entlastung einzubeziehen, lässt nach vorliegenden Hinweisen keine eindeutigen Antworten zu. Einerseits ist die Aktivierung familienexterner Unterstützungsressourcen selbst problembelastet, andererseits scheint die Aktivierung (und Akzeptanz) formeller Unterstüt- zungsressourcen (bspw. Paarberatung, Sucht- oder Verhaltenstherapie, Ver- 246 mittlung kindbezogener Unterstützungsangebote) ein eher gängiger und gang- barer Weg, was einerseits als Hinweis auf die multiplen Problembelastungen der Familien aufgefasst werden kann, andererseits als Hinweis auf Grenzen der Allzuständigkeit einer Familienbegleitung. Damit deutet sich an, dass die Un- terstützungsangebote der SPF primär auf die Aktivierung handlungspraktischer, im Familiensystem selbst angelegter Unterstützungsressourcen fokussieren (z. B. verbesserter Umgang mit Eltern/Kind- oder Paarkonflikten, Bewältigung der Alltagsstrukturierung, Unterstützung von Kindern in schulischen Angelegen- heiten und bei der Bewältigung ihrer Entwicklungsaufgaben), während die Unterstützungsressourcen, die mehr der Bewältigung tiefer liegender und/oder personenbezogener Belastungen dienen (Sucht, psychische Belastungen der Eltern und Kinder), mehr den spezialisierten Professionen anheimgestellt wer- den. Das Problem der Nachhaltigkeit Wenn SPF ein Mittel der Hilfe zur Selbsthilfe ist, die sich aufgrund ihrer Inter- ventionen selbst entbehrlich zu machen intendiert, stellt die Nachhaltigkeit einer Hilfe ein wesentlicher Wirkfaktor professionellen Handelns dar. Angespro- chen ist damit die Frage nach der Beschaffenheit diesbezüglicher Interventio- nen, mit denen diese Zielsetzung erreicht werden soll. Wie die Untersuchungen in diesem Zusammenhang zeigen, fokussieren die Interventionen der SPF pri- mär auf die aktuellen Problembelastungen im Kernbereich der Familie, die im Einklang mit den Auftragszielen der zuweisenden Stellen mehrheitlich auf dem Weg substituierender und/oder direktiver Interventionen aufgegriffen und bearbeitet werden. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist, in- wieweit die Organisation von Entlastung ausreicht, damit sich die SPF damit selbst überflüssig macht. Nach vorliegenden Hinweisen scheint es den Fachpersonen und ihren Auf- traggebern indes zu genügen, wenn sich die Situation innerhalb der Familie soweit beruhigt hat, dass für das Kindeswohl keine Gefährdung mehr besteht und altersgerechte Entwicklungsbedingungen für das Kind sichergestellt sind. Im Spannungsfeld von Befähigung und Entlastung erweist sich die Hilfebeendi- gung insofern oft als ein Kompromiss zwischen erreichten (gut genug) und potenziell möglichen Zielen. Die Organisation von Entlastung ist mithin ein zwar notweniger, aber kein hinreichender Schritt zur Gewährleistung familialer Selbstwirksamkeit. Die Anforderungen an eine nachhaltige Befähigung der Familie greifen folglich über die blosse Adaption von angemessenen Reaktionen (wie es ge- macht werden soll) weit hinaus. Gefordert ist vielmehr die Aneignung spezifi- scher Kompetenzen, wie bspw. Probleme erkannt, Lösungsmöglichkeiten er- mittelt und eigenständig umgesetzt werden können. Die Befähigung von Perso- 247 nen, sich selbst und anderen in schwierigen Lagen zu helfen, setzt das Lernen von Lernen voraus, um auch zukünftig selbstständig angemessene Lösungswege zu entwickeln. Im Spannungsfeld zwischen Befähigung und Entlastung wird nicht zuletzt deutlich, dass die blosse Entlastung mitunter kontraproduktive Wirkungen erzeugt, indem sie die Familien von entsprechenden Angeboten ab- hängig macht, wenn keine weiteren Schritte erfolgen. 6.6 Reflexionsangebote für eine verbesserte Wirksam- keit Sozialpädagogischer Familienbegleitung Auch wenn in dieser Studie aufgrund der Vielfalt und Heterogenität ihrer Er- gebnisse keine Aussagen über lineare Ursache/Wirkungszusammenhänge der SPF gemacht werden können, so lassen sich aus den vorliegenden Befunden doch zahlreiche Hinweise herauskristallisieren, in welchen Hinsichten die Wirksamkeit von SPF optimiert werden kann. Anerkennung sozialer Kontrolle Ein erster Punkt greift zurück auf das Spannungsverhältnis von Hilfe und Kontrolle und den daraus resultierenden Konsequenzen für die Konzeptionie- rung und Umsetzung der SPF. Dass die SPF Funktionen sozialer Kontrolle erfüllt, lässt sich aufgrund ihrer Verflechtung mit kinderschutzrechtlichen Auf- gaben kaum bestreiten. Tatsächlich ist diese Verflechtung den Fachpersonen nur allzu bewusst, sofern ihre Praxis sie kontinuierlich zu Bewertungen des Kindeswohls zwingt, sie gleichzeitig aber auch vor die Aufgabe stellt, den Eltern die Nützlichkeit ihrer Interventionen begreiflich zu machen. Obwohl Aspekte von Hilfe und Kontrolle sich typischerweise überlappen (jede organisierte Hilfe impliziert soziale Kontrolle wie auch umgekehrt jede Form sozialer Kontrolle typischerweise mit Hilfeaspekten korreliert), scheint es dennoch geboten, die Konzeption ihrer Praxis im Hinblick auf die Ausgangsbedingungen und Ziel- setzungen inhaltlich und methodisch klarer als bisher in diesem Spannungsfeld zu verorten. Anstatt bspw. soziale Kontrollaufgaben in Form vage formulierter Hilfsangebote zu verschatten, brächte mehr konzeptionelle Klarheit in diesem Spannungsfeld vermutlich mehr Klarheit für die Praxis – bspw. im Hinblick auf die Hilfebeendigung, wo kontrollierende Aufgabenziele (keine weitere Gefähr- dung des Kindeswohls) und unterstützende Aufgabenziele (Befähigung der Eltern zur Selbsthilfe) getrennt voneinander bewertet und eingeschätzt werden könnten. 248 Reflexion der unklaren Stellung des Kindes Die Stellung des Kindes im Rahmen der SPF ist nach vorliegenden Hinweisen in mehrfacher Weise ambivalent. Vor allem aber hat es den Anschein, als wür- den deren Bedürfnisse – etwa im Zuge der Auftragsklärung und Zielvereinba- rung, aber auch im weiteren Verlauf der SPF-Praxis – nur randständig erhoben und evaluiert. Im Fokus der SPF steht infolgedessen auch weniger das Kind mit seinen Bedürfnissen und Problemen. Mit Ausnahme (bildungs-)praktischer Interventionen sind es hingegen die Problembelastungen der Eltern, auf die die Fachperson sich konzentriert. Aber auch wenn man akzeptiert, dass Kinder von der Organisation von Entlastung indirekt profitieren (bspw. Abnahme von potenziell schädigenden Auswirkungen), geraten sie aufgrund dieser konzep- tionell unterstellten Hebelwirkung gleichwohl schnell aus dem Blick – so z. B. im Kontext von Eltern/Kind-Konflikten, in denen durch den Fokus auf die Eltern meist das Kind die Herausforderung generiert. Eine methodisch ange- leitete und systematisch durchgeführte Erhebung kindlicher Bedarfslagen könnte indes dazu führen, dass die Stellung des Kindes im Kontext familiärer Belastungen schon von Anfang an sehr viel genauer in den Aufmerksamkeits- fokus rückt und seine Wünsche und Bedürfnisse vermehrt Teil von gezielten Hilfestellungen würden. Davon würde nicht nur das Kind profitieren, sondern – im Sinne einer bi-direktional gelagerten „Hebelwirkung“ – indirekt auch die Eltern, sofern jede Unterstützung des Kindes nachweislich zur Entlastung der Eltern führt. Berücksichtigung sozialer Netzwerke Es ist ein überraschender Befund aus der Sozialen Netzwerkanalyse, dass viele Eltern scheinbar über hinreichend emotionale Unterstützungsressourcen und Freundschaften verfügen, was sich in den Eindrücken aus dem qualitativen Teil dieser Studie jedoch nur bedingt reflektiert. Gleichwohl wird deutlich, dass sich die SPF mit ihren Interventionen bevorzugt auf die kernfamilialen Belastungen konzentriert, wobei das nähere und weitere Umfeld der Familie weniger Auf- merksamkeit auf sich zieht. Die Gründe dafür sind zum Teil nachvollziehbar und verständlich, sofern die Beziehungen im näheren und weiteren Umfeld der Familie häufiger konflikt- und schambesetzt sind, so dass Eltern ihre Inan- spruchnahme deswegen meiden. Jedoch werden die Potenziale familienexterner Unterstützungsressourcen allem Anschein nach eher selten systematisch und gezielt eruiert. Stattdessen finden Fachpersonen in den Familien mit SPF häufi- ger institutionalisierte Formen der Unterstützung anderer Professionen vor (bzw. werden von ihr selbst beigezogen oder vermittelt), die mit ihren eigenen Interventionen jedoch kaum koordiniert und abgestimmt werden – jedenfalls nicht auf Ebene der fallführenden Fachperson. Inwieweit im Hinblick auf so- ziale Netzwerkstrukturen Wirkpotenziale unausgeschöpft bleiben, lässt sich 249 aufgrund fehlender Daten nur schwer ermitteln. Jedoch sprechen einige Hin- weise für den Befund, dass eine konzeptionell veranlasste Evaluation bestehen- der Netzwerkstrukturen soziale Belastungen aus diesen Netzwerkstrukturen verringern, was wiederum mit dem Primat der Organisation von Entlastung korrespondiert. Das unausgeschöpfte Selbsthilfepotenzial Der letzte hier zu erörternde Punkt greift zurück auf das unausgeschöpfte Selbsthilfepotenzial. Im Spannungsfeld von Befähigung und Entlastung machen die Analysen insoweit klar, dass die SPF hauptsächlich auf die Unterstützungs- ressourcen der Kernfamilie fokussiert, dabei vor allem die elterlichen Belastun- gen adressiert und mit Entlastungsangeboten darauf reagiert. Aus Sicht der Fachpersonen (und zuweisenden Stellen) hat die SPF ihre Ziele dann erreicht, wenn es gelingt, das Familiensystem soweit zu beruhigen, dass für das Kindes- wohl daraus keine unmittelbare Gefährdung mehr erwächst und es den Eltern gelingt, mit den Anforderungen an die Organisation ihres Familienalltags fertig zu werden. Inwieweit dieser Zustand von Dauer ist, lässt sich jedoch nur be- dingt erschliessen. Für die Fachpersonen der SPF stellt sich die Frage nach der Hilfebeendigung daher oftmals als ein Kompromiss aus faktisch erzielten und potenziell möglichen Wirkungen ihrer Interventionen – unter Berücksichti- gung der dafür bereitgestellten Ressourcen. Auch in diesem Zusammenhang liesse sich die Wirksamkeit von SPF mitunter steigern, wenn diesbezügliche Aktivitäten methodisch und systematisch gezielt vermehrt Ressourcen der Selbstwirksamkeit aktivierten. Zweifellos schafft die Organisation von Entlas- tung hierfür ein grundlegendes Fundament. Gleichwohl machen die vorliegen- den Befunde darauf aufmerksam, dass sich die Aktivitäten der SPF häufig darin erschöpfen und anspruchsvollere Methoden der Erschliessung personenbezo- gener Selbstwirksamkeit unausgeschöpft bleiben. 250 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis Abbildungen Abbildung 1: Wirkheuristik für die SPF (vgl. Messmer et al. 2019, S. 49) 31 Abbildung 2: Netzwerkressourcen und -belastungen zu Beginn der SPF (n=100–101) 194 Abbildung 3: Veränderungen in den Netzwerkressourcen und -belastungen (n= 32–33) 209 Abbildung 4: Veränderungen in der Zufriedenheit und Inanspruchnahme von Unterstützung (n= 33) 211 Abbildung 5: Entlastung mit Aktivierung 243 Abbildung 6: Entlastung ohne Aktivierung 243 Tabellen Tabelle 1: Ergebnis der explorativen Faktorenanalyse für die Skala der Netzwerkressourcen (n= 101) 184 Tabelle 2: Ergebnis der explorativen Faktorenanalyse für die Skala der Netzwerkbelastungen (n= 99) 186 Tabelle 3: Korrelationen der Netzwerkressourcen und -belastungen zu Beginn der SPF (n= 99–101) 196 Tabelle 4: Korrelationen zwischen Netzwerkressourcen/-belastungen und Kontextvariablen (n= 98–103) 197 Tabelle 5: Ergebnis der Faktorenanalyse der Arbeitsbeziehungsskala (n= 67) 213 Tabelle 6: Einflussfaktoren auf die Veränderungen in den Netzwerk- ressourcen zwischen t0 und t2 (n= 30) 215 Tabelle 7: Einflussfaktoren auf die Veränderungen in den Netzwerk- belastungen zwischen t0 und t2 (n= 31) 217 Tabelle 8: Einfluss von Netzwerkinstrumenten auf Netzwerkressourcen und -belastungen (n= 31–32) 218 Tabelle 9: Einfluss von Netzwerkveränderung auf Netzwerkressourcen und -belastungen (n= 31–32) 219 251 Literatur Abbott, Andrew (1988): The System of Professions. 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Aufl. 2021, 232 Seiten, broschiert ISBN: 978-3-7799-6350-9 Auch als E-BOOK erhältlich Wie beschreiben Familien, die Hilfen zur Erziehung in Anspruch nehmen, ihre eigene Lebenssituation? Wie erleben sie ihren Familienalltag? Mit welchen biographischen und familiären Aufgabenstellungen sehen sie sich konfrontiert? Die Studie gliedert sich in zwei Teile: eine Grundlagenforschung im Sinne einer Eruierung unterschiedlicher Selbstdeutungsmuster und Problemtypen sowie die Konzeption eines sozialpädagogischen Falldiagnoseverfahrens, das den Selbstdeutungen der Familienmitglieder gerecht werden will. Damit ergeben sich einerseits neue, bislang kaum beachtete Perspektiven für die theoretische Auseinandersetzung in den Erziehungshilfen, andererseits kann die entwickelte Systematik aber auch für die praktische Arbeit der mit Familien befassten MitarbeiterInnen in den Einrichtungen vor Ort fruchtbar gemacht werden. www.beltz.de Beltz Juventa ∙ Werderstraße 10 ∙ 69469 Weinheim 1 Simone Brauchli Das Wohl der Kinder und die Selbstbestimmung der Eltern Eine qualitative Untersuchung zur Sozialpädagogischen Familienbegleitung in der Schweiz 2020, 414 Seiten, broschiert ISBN: 978-3-7799-6422-3 Auch als E-BOOK erhältlich Das Kindeswohl und die Selbstbestimmung der Eltern sind in der Sozial- pädagogischen Familienbegleitung wechselseitig aufeinander bezogen. Ausgehend von autonomietheoretischen Überlegungen wird in dieser Studie anhand von zwei Familien in der Schweiz mit einem ethnographischen Zugang untersucht, wie die Selbstbestimmung der Eltern zwischen den beteiligten Akteurinnen und Akteuren verhandelt wird. Situationsbezogen und im längerfristigen Verlauf der Maßnahme wird aufgezeigt, wie die Eltern trotz der Eingriffe in ihre Privatheit die ihnen verbleibenden Möglichkeiten zur Selbstbestimmung nutzen. www.beltz.de Beltz Juventa ∙ Werderstraße 10 ∙ 69469 Weinheim 1