Mit dem Velo sicher im Zürcher Strassenverkehr unterwegs – Wie Velofahrende Gefahren frühzeitig erkennen können BACHELOR-ARBEIT 2019 Autorin Schneider, Sophie betreuende Person Ritz, Frank Prof. Dr. Praxispartner Stadt Zürich, Dienstabteilung Verkehr Brucks, Wernher Dr. phil. Abstract Bachelorarbeit | Sophie Schneider Abstract Wir alle wollen im Strassenverkehr sicher unterwegs sein – vor allem dann, wenn wir keine schützende Hülle um uns herumhaben. Das betrifft primär die Velofahrenden, wobei die Stadt Zürich im Jahr 2018 73 Velounfälle mehr als im Jahr 2017 verzeichnete - Tendenz steigend (DAV, 2019). Wie können Gefahren frühzeitig erkannt werden? Dieser Frage wird in der vorliegenden Bachelorarbeit, mit dem Fokus auf der Stadt Zürich, nachgegangen. Dabei orientiert sie sich entlang der aktuellen Forschung zur Gefahrenerkennung, Aufmerksamkeit und zum Situationsbewusstsein. Ebenfalls wird versucht, das Konstrukt der schwachen Signale, welches seinen Ursprung im organisationalen Kontext hat, auf die Thematik des Strassenverkehrs zu übertragen. Zur Zielerreichung wurde neben einer eingehenden Literaturrecherche auch die qualitative Methode der Experteninterviews eingesetzt. So war es möglich zu ermitteln, wie Gefahren frühzeitig erkannt werden können. Einerseits braucht es dazu gewisse Kenntnisse des Velofahrenden. Andererseits sind jedoch auch bestimmte Verhaltensweisen und Eigenschaften des Velofahrenden für eine frühzeitige Gefahrenerkennung fundamental. Endergebnis ist eine Zusammenstellung der Ergebnisse, welche der Dienstabteilung Verkehr Inputs für neue Präventionskampagnen liefern kann. Die vorliegende Bachelorarbeit umfasst 110'348 Zeichen. I Inhaltsverzeichnis Bachelorarbeit | Sophie Schneider Inhaltsverzeichnis Abstract ....................................................................................................................................... I Inhaltsverzeichnis ...................................................................................................................... II Abkürzungsverzeichnis ............................................................................................................ III 1. Einleitung ........................................................................................................................... 1 1.1 Zielsetzung und Fragestellung.......................................................................................... 2 1.2 Aufbau der Arbeit ............................................................................................................. 3 2. Theoretische Fundierung .................................................................................................... 5 2.1 Schwache Signale ............................................................................................................. 5 2.2 Gefahrenerkennung .......................................................................................................... 9 2.3 Wahrnehmung und Aufmerksamkeit ............................................................................. 14 2.4 Situationsbewusstsein ..................................................................................................... 17 3. Zusammenfassung & Herleitung der Fragestellung ......................................................... 21 4. Methode ............................................................................................................................ 24 4.1 Experteninterview – ein qualitatives Verfahren ............................................................. 24 4.2 Auswahl und Zugang zur Stichprobe ............................................................................. 26 4.3 Entwicklung des Leitfadens ........................................................................................... 27 4.4 Setting und Durchführung .............................................................................................. 34 4.5 Transkriptionsmethode ................................................................................................... 30 4.6 Datenaufbereitung und -auswertung .............................................................................. 31 5. Darstellung der Ergebnisse ............................................................................................... 34 5.1 Ergebnisse der Experteninterviews ................................................................................ 38 6. Diskussion der Ergebnisse ............................................................................................... 48 6.1 Diskussion der Nebenfragen .......................................................................................... 49 6.2 Beantwortung der Forschungsfrage................................................................................ 54 6.3 Kritische Reflexion der Ergebnisse ................................................................................ 55 6.4 Kritische Reflexion der Methode ................................................................................... 57 7. Fazit und weiterführende Gedanken................................................................................. 59 Literaturverzeichnis .................................................................................................................. 61 Abbildungsverzeichnis ............................................................................................................. 64 Tabellenverzeichnis .................................................................................................................. 64 Anhang ..................................................................................................................................... 65 II Abkürzungsverzeichnis Bachelorarbeit | Sophie Schneider Abkürzungsverzeichnis AOI Area of Interest CTA Critical Task Analysis CDM Critical Decision Method HP Hazard Perception SA Situational Awareness SS Schwache Signale III Einleitung Bachelorarbeit | Sophie Schneider 1. Einleitung Jeder von uns ist fast tagtäglich unterwegs, ob mit dem Auto, dem Velo, dem Zug, zu Fuss, oder mit dem Tram. Und bestimmt jeder von uns hat schon einmal eine brenzlige Situation im Strassenverkehr erlebt, ob am eigenen Leib oder als Augenzeuge. Wenn man Personen zu unserer heutigen Verkehrssituation befragen würde, wären die Begriffe Hektik, Stau, Unfälle, Platzmangel und angespannte Stimmung sicherlich nicht weit. Eine Studie des Bundesamtes für Statistik (kurz BAV) aus dem Jahre 2018 kann diese Wahrnehmungen der Bevölkerung mit Zahlen untermauern: Seit dem Jahr 2000 hat der Personenverkehr auf der Strasse und Schiene um satte 30% zugenommen, die Belastung des Schweizer Strassennetzes nimmt somit stetig zu. Ebenfalls sind von Jahr zu Jahr immer mehr Personen mit dem Velo unterwegs und legen dabei immer mehr Kilometer auf Schweizer Strassen zurück (BAV, 2019). Dies ist gemäss der Verkehrsunfallstatistik der Dienstabteilung Verkehr (kurz DAV) auch in der Stadt Zürich deutlich spür- und erkennbar. Denn im Jahr 2018 verunfallten in der Stadt Zürich 541 Velofahrende und wurden dabei teilweise schwer verletzt – so viele wie noch nie. Bis zum jetzigen Zeitpunkt konnte dieser Entwicklung nicht entgegengewirkt werden, woraufhin die Problematik einer der neuen Strategieschwerpunkte der Stadt wurde. Für die Stadt Zürich steht fest: die Unfallzahlen müssen zurückgehen (DAV, 2019). Doch warum kommt es eigentlich zu Unfällen im Strassenverkehr und wie können Menschen Gefahren erkennen? Natürlich stellt die Thematik keine Neuheit dar, ganz im Gegenteil, die Forschung dazu hat getreu Horswill und McKenna (2004) schon eine längere Geschichte hinter sich. In der Literatur finden sich aus diesem Grund diverse Annahmen und Ansätze zur Gefahrenerkennung im Strassenverkehr. Sobald eine nähere Beschäftigung mit der Thematik stattfindet, führt die Recherche schnell zu den damit in Verbindung stehenden Konstrukten 1 Einleitung Bachelorarbeit | Sophie Schneider der Aufmerksamkeit oder des Situationsbewusstseins. Die vielfältigen Zusammenhänge dieser Thematiken können die Vielschichtigkeit der vorgestellten Problematik unterstreichen, wobei die vorliegende Bachelorarbeit hier anknüpft. 1.1 Zielsetzung und Fragestellung Die Stadt Zürich ist bestrebt, immer wieder neue Ansätze und Ideen zur Unfallverminderung zu generieren, aus diesem Grund konnte die Dienstabteilung Verkehr als Praxispartner gewonnen werden. Sie ist für das gesamte Verkehrsmanagement in der Stadt Zürich verantwortlich. Dabei ist das Ziel, dass alle Verkehrsteilnehmenden «trotz ihren verschiedenartigen Ansprüchen sicher und zügig unterwegs sind. Oberstes Gebot ist dabei die Verkehrssicherheit aller» (DAV, 2016, S. 2). Vor dem Hintergrund der steigenden Unfallzahlen der Velofahrenden, wird im Rahmen dieser Bachelorarbeit untersucht, welche Gefahrenstellen und -situationen im Züricher Strassenverkehr für Velofahrende relevant sind und frühzeitig erkannt werden sollten. Dabei wird versucht, das Konstrukt der schwachen Signale auf die Thematik des Strassenverkehrs zu übertragen. Schwache Signale sind frühzeitige, vage Hinweise auf mögliche sicherheitsrelevante Ereignisse (Steinmüller, 2012). Der Begründer des Begriffs Igor Ansoff bezog die Thematik primär auf den organisationalen Bereich und seit einigen Jahren lebt die Forschung zu den schwachen Signalen wieder auf (Saul, 2006). Folglich soll untersucht werden, ob und inwiefern die schwachen Signale für Velofahrende im Strassenverkehr von Bedeutung sind. Ziel ist es, einerseits Umgebungsreize und -informationen, und andererseits relevante schwache Signale für die Gefahrenerkennung zu ermitteln. Zur Untersuchung des Forschungsgegenstandes kommen Experteninterviews mit Velopolizisten und Velopolizistinnen sowie Velokurieren und Velokurierinnen zum Einsatz. 2 Einleitung Bachelorarbeit | Sophie Schneider Aufgrund der beschriebenen Ausgangslage und Zielsetzung lautet die Forschungsfrage (Leitfrage) dieser Bachelorarbeit: «Wie ist es Velofahrenden möglich, Gefahren im Strassenverkehr frühzeitig zu erkennen?» Im Hinblick auf die Leitfrage sollen folgende Nebenfragen untersucht werden: «Welche schwachen Signale gibt es dabei?» «Welche anderen Hinweisreize sind ebenfalls von Bedeutung?» Aus den zu diesen Fragen gewonnenen Informationen wird thematisch aufgeteilt eine Zusammenstellung gemacht, welche der Dienstabteilung Verkehr als Anregung für mögliche Präventionen, wie Schulungen oder Kampagnen, dienen soll. Damit wird die Zielgruppe der vorliegenden Bachelorarbeit auf alle Personen festgelegt, welche sich mit dem Velo durch die Stadt fortbewegen. Dies soll, entsprechend des Gebots der Dienstabteilung Verkehr, zügig und vor allem sicher erfolgen. Die detaillierte Ausarbeitung von möglichen Handlungsempfehlungen oder Präventionsvorschlägen ist jedoch nicht Teil der vorliegenden Arbeit. 1.2 Aufbau der Arbeit Um die im Rahmen der vorliegenden Arbeit relevanten theoretischen Ansätze und Annahmen darzulegen, folgt im Kapitel 2 die theoretische Fundierung. Dort werden die folgenden Themen näher beleuchtet: schwache Signale, Gefahrenerkennung, Wahrnehmung und Aufmerksamkeit sowie das Situationsbewusstsein. Im Kapitel 3 folgt eine Zusammenfassung der theoretischen Überlegungen, welche dann mit der Fragestellung verknüpft werden. 3 Einleitung Bachelorarbeit | Sophie Schneider Im Kapitel 4 wird die gewählte Methode der vorliegenden Bachelorarbeit ausführlich erläutert, bevor im Kapitel 5 die gewonnenen Ergebnisse präsentiert werden. Das Kapitel 6 geht anschliessend näher auf die Ergebnisse im Zusammenhang mit den theoretischen Überlegungen ein. Ebenfalls werden die Ergebnisse sowie die Methode kritisch reflektiert. Mit dem Kapitel 7 wird die Bachelorarbeit mit einem Fazit und weiterführenden Gedanken abgeschlossen. 4 Theoretische Fundierung Bachelorarbeit | Sophie Schneider 2. Theoretische Fundierung In den Kapiteln 2.1 bis 2.4 werden Theorien und Konzepte näher erläutert, welche im Rahmen der vorliegenden Arbeit von Bedeutung sind. Diese sollen einerseits zum Verständnis der behandelten Thematik dienen und andererseits zur Unterstützung und Belegung der Interpretation der Ergebnisse. 2.1 Schwache Signale In der Literatur gibt es eine Fülle von Definitionen und Betrachtungsweisen, was schwache Signale (Kurz SS; im Englischen auch Weak Signals genannt) darstellen. Derzeit gibt es noch keine einheitliche Definition (Steinmüller, 2012). Schoemaker & Day (2009, S. 8) bringen zu den schwachen Signalen eine mögliche Definition hervor: «Seemingly random or disconnected piece of information that at first appears to be background noise but can be recognized as part of a significant pattern by viewing it through a different frame or connecting it with other pieces of information.» Gemäss Steinmüller (2012, S. 11) konnte man sich ebenfalls auf die folgenden zwei Charakteristika von schwachen Signalen einigen: 1.) «Sie sind ungewöhnliche, überraschende Informationen und passen als solche nicht in bestehende Erwartungsraster, 2.) Sie können als Vorzeichen oder Vorboten zukünftiger Veränderungen interpretiert werden.» Laut Steinmüller (2012) sind schwache Signale frühzeitig auftretende, vage Hinweise auf mögliche sicherheitsrelevante Ereignisse (wobei dies Unfälle oder Beinahe-Unfälle sein können (Ritz, 2015)), welche mit schwerwiegenden Folgen einhergehen können. Hollnagel (2004) definiert einen Unfall als ein unerwartetes, kurzzeitiges Ereignis, welches eine 5 Theoretische Fundierung Bachelorarbeit | Sophie Schneider unerwünschte Auswirkung hat. Gemäss Holopainen und Toivonen (2012) weisen schwache Signale auf sogenannte Diskontinuitäten in der Umgebung hin, wobei damit eine Unterbrechung oder Unregelmässigkeit in einem Ablauf beschrieben werden kann (Wortbedeutung.info, 2019). Es ist in diesem Stadium noch nicht möglich, eine genaue Einschätzung der Auswirkung auf die Situation vorzunehmen. Was die Wahrnehmung von schwachen Signalen ebenfalls erschwert, ist die Tatsache, dass sie neben anderen Reizen als Rauschen auftreten, wie auch Schoemaker und Day dies in ihrer Definition beschrieben haben (Saul, 2006; Steinmüller, 2012). Die Bedeutung des Rauschens im Zusammenhang mit den schwachen Signalen, wird in der Abbildung 1 deutlich. Um schwache Signale mit ihren potenziell weitreichenden Auswirkungen wahrzunehmen, braucht es laut Ansoff und Mc Donnell (1990) auf Seiten der betreffenden Person ein gutes Gespür für die aktuelle Situation und Aufgabe. Um schwache Signale zu erkennen, sprich die einzelnen Informationen zu einem grossen Ganzen zusammenzusetzen, ist Sensibilität, ein geweiteter Blick und Expertise seitens des Beobachters gefragt (Ansoff & Mc Donnell, 1990; Schoemaker & Day, 2009). Dem gegenüber bilden die starken Signale (im Englischen, Strong Signals) laut Holopainen und Toivonen (2012), sowie Saul (2006), eine Gruppe von Signalen, welche schon etabliert und sichtbar sind und dementsprechend eine Weiterentwicklung schwacher Signale darstellen. Was zuvor nicht erkannt werden konnte, wird nun klar und deutlich sichtbar. 6 Theoretische Fundierung Bachelorarbeit | Sophie Schneider Für ein besseres Verständnis, was schwache Signale sind und welche Relation sie zu einem zeitlichen Verlauf haben, kann durch die folgende Abbildung 1 dargestellt werden: Abbildung 1. Wachstum von schwachen Signalen (Steinmüller, 2012, S. 11) In der von Steinmüller (2012) vorgeschlagenen Illustration von schwachen Signalen wird ersichtlich, dass schwache Signale gemeinsam mit einer Vielzahl anderer Signale auftreten. Daraus ergibt sich das genannte Rauschen, wobei die Gefahr besteht, dass die schwachen Signale in diesem untergehen. Mit fortschreitender Zeit nimmt auch die Signalstärke zu. Das Signal ist zu einem gegebenen Zeitpunkt so stark, dass es klar ersichtlich wird und nun be- und erkannt wird. Gemäss Steinmüller (2012) wird das schwache Signal als Hinweis auf ein möglicherweise sicherheitsrelevantes Ereignis dann handlungsleitend, wenn es frühzeitig identifiziert und korrekt interpretiert wird. Begründer des Begriffs ist Igor Ansoff, wobei er die Thematik zunächst nur auf Organisationen und deren Wahrnehmung sowie Analyse von schwachen Signalen bezog. Auch die Zukunftsforschung beschäftigte sich Ende der 80er Jahre zunehmend mit der Thematik und betonte die Relevanz der Analyse von vagen und widersprüchlichen 7 Theoretische Fundierung Bachelorarbeit | Sophie Schneider Informationen (Saul, 2006). Steinmüller (2012) führt an, dass schwache Signale sich bezüglich ihres Vorkommens nicht auf einen Bereich beschränken und dazu für die unterschiedlichsten Adressaten von Bedeutung sein können. Bis anhin besteht in der Literatur kein Konsens darüber, wie man schwache Signale einheitlich definieren könnte. Diese Tatsache ist sicherlich dadurch bedingt, dass das Konstrukt der schwachen Signale laut Steinmüller (2012) in vielerlei Hinsicht als unklar angesehen wird. Beispielsweise ist der Begriff schwach eher vage, man müsste an dieser Stelle zunächst definieren, welche Signale schwach sind und diese in Relation zu den anderen Signalen setzen. Ebenfalls wird die Wahrnehmung von schwachen Signalen als ein intuitiver Prozess angesehen, man hört auf sein Bauchgefühl. Intuition und Bauchgefühl gelten als subjektive Konstrukte und können daher auch zu fehlerhaften und unklaren Deutungen führen (Steinmüller, 2012). An dieser Stelle soll auf Basis der theoretischen Vorüberlegungen nochmals kurz zusammengefasst werden, was in der vorliegenden Arbeit unter einem schwachen Signal verstanden wird: 1.) Ungewöhnliche Information aus der Umgebung 2.) Überraschende Information aus der Umgebung 3.) Erkennbarkeit des Signals ist unter Umständen niedrig 4.) Einschätzung der Bedeutung ist schwierig 5.) Gleichzeitig auftretende Signale stören bei der Erkennung 6.) Signal weist auf eine sicherheitsrelevante Veränderung hin Diese Merkmale gelten als Kriterien zur Beantwortung der Fragestellung. 8 Theoretische Fundierung Bachelorarbeit | Sophie Schneider 2.2 Gefahrenerkennung Gemäss McKenna und Crick (1997) ist eine der wichtigsten Eigenschaften, wenn es um das Verhalten im Strassenverkehr geht, die Fähigkeit Situationen und Verläufe zu antizipieren. Durch die möglichst genaue Vorhersage, was als Nächstes passieren wird und wie sich eine Situation in der Zukunft entwickelt, können Unfälle nachhaltig verhindert werden. Diese Fähigkeit Gefahrensituationen im Strassenverkehr rechtzeitig zu erkennen und zu antizipieren, wird unter dem Begriff der Gefahrenerkennung (Englisch: Hazard perception, kurz HP) zusammengefasst (McKenna & Crick, 1997). Horswill und McKenna (2004) beschreiben die Gefahrenerkennung als das Situationsbewusstsein in gefährlichen Situationen im Strassenverkehr, ebenso postulieren sie die Beziehung zwischen Gefahrenerkennung und der Verwicklung in Unfälle. Die Forschung zu dieser Thematik hat schon eine lange Geschichte hinter sich. Eine Studie aus dem Jahr 1999 konnte zeigen, dass eine geringe oder ungenügende Gefahrenerkennung im Strassenverkehr mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für tödliche Unfälle assoziiert werden kann (Horswill & McKenna, 2004; Park, Hickman, Pitoniak & Rosenthal, 2018). Dies lässt die Annahme zu, dass durch die Verbesserung der Fahrkünste und somit der Gefahrenerkennung, Unfälle reduziert werden können. Dennoch wird betont, dass die Beziehung zwischen der verbesserten Gefahrenerkennung und der Reduktion von Unfällen zwar von grossem Interesse ist, aber einen hohen Schwierigkeitsgrad in der Messbarkeit innehabe. Die statistische Signifikanz (negative Korrelation) zwischen Gefahrenerkennung und einer Verwicklung in Unfälle sei dabei zwar klein, aber dennoch existent. Die Literatur beschreibt in diesem Zusammenhang jedoch ebenfalls gegensätzliche Ergebnisse, welche eine Studie aus dem Jahr 1974 hervorbrachte. Williams und O’Neill konnten darin nicht beweisen, dass gute Fahrfähigkeiten mit einer niedrigeren Wahrscheinlichkeit für Unfälle zusammenhängen. Die vermehrte Verwicklung in Unfälle 9 Theoretische Fundierung Bachelorarbeit | Sophie Schneider muss somit nicht unbedingt mit einer schlechten Gefahrenerkennung zusammenhängen. Eine Begründung dafür könnte sein, dass Unfälle in sich nicht homogen sind, sprich, sie haben unterschiedliche, oft multiple, Ursachen. Beispielsweise liegt nicht in allen Fällen die Schuld bei der fahrenden Person. Dem gegenüber konnte die Geschwindigkeit als Prädiktor für die Verwicklung in Unfälle nachgewiesen werden. Dies legt die Vermutung nahe, dass die Verwicklung in Unfälle mehr mit dem individuellen Fahrstil zusammenhängt, als mit den tatsächlichen Fahrfähigkeiten einer Person (Horswill & McKenna, 2004; McKenna & Crick, 1997). Sömen (1993) beschreibt ebenfalls die Bedeutung der Erfahrung mit kritischen Verkehrssituationen und dem dadurch gelernten Hergang von Ereignissen. Dabei verknüpft er dies mit dem Begriff des Antizipieren von Gefahren, was Verkehrsteilnehmenden hilft, auch bei nicht eindeutigen Gefahrensignalen adäquate Strategien zur Gefahrenbewältigung hervorzubringen. Dazu empfiehlt er Trainingsprogramme, bei welchen die Teilnehmenden die Möglichkeit haben, durch die Konfrontation mit Gefahrensituationen, die nötige Erfahrung zu sammeln. Dies soll zur Bildung von mentalen Gefahrenmodellen anregen, welche bei der Antizipation von Gefahrensituationen von grundlegender Bedeutung sind (Sömen, 1993). Mental Modelle repräsentieren das Wissen einer Person über bestimmte Objekte, Sachverhalte und Zusammenhänge, welches im Langzeitgedächtnis abgespeichert ist. Auch dienen mentale Modelle zur Verhaltenssteuerung (Bach, 2000; Ritz, 2015). Gemäss Bach (2010) und Ritz (2015) sind mentale Modelle von subjektiver und individueller Natur, wobei es aus diesem Grund sein kann, dass diese auf eine Situation bezogen fehlerhaft oder auch unvollständig sein können. Als Beispiele, mit welchen Inhalten ein solches Training gefüllt werden könnte, führt Sömen (1993) die Darlegung von Sinnestäuschungen, die Fehleinschätzung von Geschwindigkeiten oder die Gefahr der Unterschätzung von Abständen 10 Theoretische Fundierung Bachelorarbeit | Sophie Schneider an. Auch sollte der Einfluss von Stress, Ermüdung und Alkohol Thema von Trainings sein (Sömen, 1993). McKenna und Crick (1997) konnten zeigen, dass es zwischen Novizen (bis zu drei Jahre Fahrerfahrung) und Experten (Beispielsweise Polizisten und Polizistinnen) einen signifikanten Unterschied in der Reaktionsgeschwindigkeit hinsichtlich möglicher Gefahren gibt. Die Experten zeigten eine höhere Reaktionsgeschwindigkeit, als Novizen. Ebenfalls konnten sie nachweisen, dass die Gefahrenerkennung vor allem bei den Novizen, durch angemessen gestaltetes Training verbessert werden kann. Eine der erfolgreichen Trainingsmethoden war beispielsweise die Videosimulation, wobei die Reaktionsgeschwindigkeit der unterschiedlichen Gruppen gemessen wurde. Doch von welchen Gefahren im Strassenverkehr sprechen wir in diesem Zusammenhang überhaupt? Park et al. (2018) beschreiben eine Gefahrensituation folgendermassen: «A driving hazard can be defined as anything (e.g., vehicle, pedestrian, object) or situation (e.g., visual obscurity, roadwaycondition) that may result in a collision, requiring anticipatory or evasive action by the driver (e.g., brake pedal covering, speed reduction, or steering)» (S. 1). Dabei konnte gezeigt werden, dass Gefahren, welche nicht direkt sichtbar sind, sprich, beispielsweise durch eine Mauer verdeckt werden, am wenigsten erkannt und erwartet werden. Auch ein stehender Bus, hinter welchem Fussgänger plötzlich über die Strassen laufen könnten, stellt ein Hinweis auf nicht direkt sichtbare Gefahren dar, welche selbst für erfahrene Verkehrsteilnehmende eine Herausforderung darstellt. Die vorliegende Arbeit wird sich hinsichtlich der Bedeutung, was eine Gefahr darstellt, an dieser Auslegung von Park et al. (2018) orientieren. Doch warum werden bestimmte Umgebungsfaktoren nicht beachtet und ungenügend Informationen zur Handlungsentscheidung gesammelt? Park et al. (2018) führen hierzu das 11 Theoretische Fundierung Bachelorarbeit | Sophie Schneider SEEV-Konzept zur Erfassung visueller Informationen an. Das SEEV-Konzept versucht aufzuzeigen, durch welche Faktoren die Wahrscheinlichkeit beeinflusst wird, dass eine Person einen interessierenden Bereich (auch Area of interest genannt, kurz AOI), beispielsweise eine potenziell gefährliche Verkehrssituation, selektiv wahrnimmt. Das genannte Konzept entstammt aus dem Englischen und trägt folgende Bedeutung inne: ▪ S=Salience (Salienz der AOI Area of Interest). ▪ E=Effort (Anstrengung um auf Informationen der AOI zuzugreifen). ▪ E=Expectancy (Erwartung, mit welcher Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit werden Informationen in einer AOI wahrgenommen). ▪ V=Value (Wert/Relevanz der Informationen von einer AOI). Es konnte gezeigt werden, dass wenn die Erwartung und die Relevanz der Informationen von einer AOI erhöht wurde, dies zu einer erhöhten Aufmerksamkeit im Hinblick auf die AOI führte (Park et al. 2018). Park et al. (2018) ordnen die Erwartung und Relevanz zu den wissensbasierten Faktoren einer Person hinzu, welche ebenfalls mit der individuellen Erfahrung und dem Situationsbewusstsein einer Person in Verbindung stehen. Nun soll im Rahmen der vorliegenden Arbeit versucht werden, den Zusammenhang zwischen der Gefahrenerkennung, einem Unfall und den schwachen Signalen bildlich darzustellen und somit die Überlegungen für die vorliegende Arbeit aufzuzeigen. Peter Ryser von Kantonspolizei Zürich (2017) erwähnt im Zusammenhang mit dem Begriff der Verkehrssicherheit die Gefahrenlehre (Abbildung 2), welche unter anderem aufzeigt, dass mögliche Gefahren schon vor dem eigentlichen Ereignis erkennbar und vermeidbar sind. Dabei steht der Mensch im Fokus, welcher bei seiner Teilnahme am Verkehr, Gefahren im Vorfeld erkennen sollte und sich daher bewusst sein muss, auf welche Umgebungsreize er seine Aufmerksamkeit richtet. Aufgrund des Bewusstseins soll es möglich sein, Gefahren 12 Theoretische Fundierung Bachelorarbeit | Sophie Schneider frühzeitig zu erkennen. Das kurze Informationsblatt der Kantonspolizei Zürich befindet sich zur Veranschaulichung im Anhang 6 dieser Arbeit. In dem Dokument der Kantonspolizei Zürich (2017) findet sich dazu folgende Abbildung: Abbildung 2. Gefahrenlehre (Quelle: Ryser, Kantonspolizei Zürich, 2017, S. 2) Schwache Signale könnten entsprechend ihrer Definition bei Beginn der Situation eingeordnet werden, an der Stelle wo die Gefahr entsteht und erste Hinweise darauf sichtbar werden (roter Kreis). Daraufhin ist die Fähigkeit der Gefahrenerkennung einer Person von Bedeutung, welche es möglich macht, eine adäquate Gegenmassnahme zu ergreifen, um die drohende Gefahr abzuwenden. Zwischen den ersten, noch nicht ganz eindeutigen Anzeichen (schwache Signale) einer Gefahrensituation und der eigentlichen Gefahr, liegt demnach eine Zeitspanne, welche es erlaubt, diese zu erkennen und darauf zu reagieren. Genau diese ersten Anzeichen und die anschliessende Zeitspanne sind in der vorliegenden Arbeit von grosser Bedeutung. 13 Theoretische Fundierung Bachelorarbeit | Sophie Schneider 2.3 Wahrnehmung und Aufmerksamkeit Gemäss Schaub (2012) bedeutet das Wort wahrnehmen, dass einer Sache Aufmerksamkeit zugewiesen wird. Die Wahrnehmung als eine physische Funktion und ein aktiver Informationsverarbeitungsprozess macht es Menschen möglich, dass sie durch ihre Sinnesorgane verschiedenste und eine Vielzahl von Informationen aufnehmen können. Dabei können diese Informationen von der Innen- oder Aussenwelt des Menschen stammen. Diese durch die Wahrnehmung gewonnenen Informationen werden für die Handlungssteuerung genutzt. Hierbei ist wichtig zu erwähnen, dass die Wahrnehmung vom menschlichen Gedächtnis, der Motivation, Erwartungen und Gefühlen beeinflusst wird (Schaub, 2012). Die menschliche Umwelt besteht aus einer ungeheuren Vielzahl von Informationen und längst nicht alle sind für die Vollbringung der aktuellen Aufgabe von Bedeutung. Somit besteht der Bedarf einer Selektion der auf den Menschen einwirkenden Reize. Doch nicht nur die fehlende Bedeutsamkeit der Reize ist Grund für die Selektion, auch die begrenzte Kapazität der menschlichen Informationsverarbeitung verlangt eine Auswahl relevanter Reize. Die Relevanz der Umgebungsreize wird unter anderem durch die individuelle Motivation und Emotionen einer Person bestimmt (Schaub, 2012). Gemäss Schaub (2012) «steuert der Prozess der Aufmerksamkeit die Ressourcen der Informationsverarbeitung auf (subjektiv) wichtige Aspekte» (S.69). Ebenfalls findet sich bei Schaub (2012) eine verständliche Definition des Konstrukts: «Aufmerksamkeit ist ein physischer Zustand gesteigerter Wachheit und Aufnahmebereitschaft, bei dem das Bewusstsein auf bestimmte Objekte, Vorgänge, Gedanken ausgerichtet ist. Die Aufmerksamkeit kann willkürlich gelenkt oder unwillkürlich (passiv) durch Reize erregt werden» (S.69). In der Literatur finden sich ebenfalls sogenannte Unterformen der Aufmerksamkeit. Dazu gehören laut Schmidt-Atzert, Büttner & Bühner (2004) die fokussierte, selektive, geteilte oder auch gerichtete Aufmerksamkeit. Da für die 14 Theoretische Fundierung Bachelorarbeit | Sophie Schneider vorliegende Arbeit nur die selektive Aufmerksamkeit von Interesse ist, werden die restlichen Unterformen nicht weiter ausgeführt. Ritz (2015) nennt als einen der wichtigsten Aspekte von Aufmerksamkeit die selektive Aufmerksamkeit. Das bedeutet, dass der Mensch seine Aufmerksamkeit immer nur auf einen bestimmten Stimulus richtet, das heisst, es werden bestimmte Informationen präferenziert und andere gleichzeitig auftretende Informationen werden unterbunden (Myers, 2014; Ritz, 2015). Diese, laut Ritz (2015, S. 96) «zielgerichtete Aufmerksamkeitsleistung» könnte bei Experten gut erkannt werden, denn ihnen ist es möglich, mit wenigen Indikatoren aus der Umgebung adäquate Handlungsentscheidungen zu treffen. Gemäss Müller, Krummenacher & Schubert, (2015) spricht man bei der selektiven Aufmerksamkeit von zwei Funktionsweisen, welche sie innehat. Zum einen ist dies die perzeptive Selektion und zum anderen die handlungssteuernde Selektion. Bei der perzeptiven Selektion geht es darum, dass durch Aufmerksamkeitsprozesse die Informationen ausgewählt werden, welche erforderlich sind, um Situationen oder auch bestimmte Sachverhalte zu verstehen. Die zweite Funktion dient hingegen der Handlungssteuerung. Dabei werden die Informationen selektioniert, welche die Basis für die Auswahl des Verhaltens bilden und somit für die Bewältigung der gegenwärtigen Aufgabe relevant sind (Müller et al., 2015). Die zielgerichtete Interaktion mit anderen Menschen und der Umwelt benötigt eine sinnvolle Selektion der Reize, sprich, sie wird durch die selektive Aufmerksamkeit erst ermöglicht (Schmidt-Atzert et al., 2004; Ritz, 2015; Müller et al., 2015). Auf die Art und Weise der Selektion und die dazu elaborierten theoretischen Ansätze wird an dieser Stelle nicht weiter eingegangen. Gemäss Müller et al. (2015) wird die fehlerfreie und möglichst schnelle Selektion der Umgebungsreize vor allem dann essentiell, wenn nur wenig Zeit ist, um Entscheidungen zu treffen. Dieser Umstand trifft beispielsweise auch auf das Lenken von Fahrzeugen zu. Schon 15 Theoretische Fundierung Bachelorarbeit | Sophie Schneider minime Störungen dieses Prozesses können gravierende Auswirkungen haben (Müller et al., 2015). Zu diesen Störungen gehören beispielsweise die Ablenkung beim Fahren durch ein Telefonat oder abschweifende Gedanken. In einer solchen Situation wird die selektive Aufmerksamkeit zwischen der Strasse und der auftretenden Störung stetig hin und her wechseln und erst bei einer schwierigen Situation wieder vollständig auf die Strasse gerichtet sein (Myers, 2014). Diese Ablenkung durch sogenanntes Multitasking konnte laut Myers (2014) mit einem bildgebenden Verfahren demonstriert werden. Dabei wurde eine im Durchschnitt um 37% geringere Gehirnaktivität in denen für das Fahren relevanten Gehirnarealen festgestellt. Doch auch die selektive Aufmerksamkeit zeigt durch die starke Fokussierung auf relevante Reize gewisse Defizite, welche jedoch auch den beeinflussenden Faktoren, wie Erwartungen und Gefühlen, geschuldet sind. Durch die selektive Aufmerksamkeit besteht die Gefahr, dass potenziell bedeutende Umgebungsreize nicht wahrgenommen werden (Ritz, 2015). Dieses Nebenprodukt der Fokussierung auf bestimmte Reize kann auch als Unaufmerksamkeitsblindheit bezeichnet werden und stellt eine Art der Limitation der Verarbeitung dar (Myers, 2014; Müller et al., 2015). Myers (2014) bezeichnet die Unaufmerksamkeitsblindheit als eine «Unfähigkeit, sichtbare Objekte zu sehen, wenn die Aufmerksamkeit woanders ist» (S. 96). Laut Müller et al. (2015) geht es hierbei auch um das unerwartete Auftauchen eines Reizes, wobei dieses Nicht-Erwarten zur schwierigeren Erkennung eines Reizes führt. Auf Basis des Wissens über die Funktionen der selektiven Aufmerksamkeit resultieren getreu Müller et al. (2015) einige Anforderungen an die Gestaltung und Präsentation von Informationen. Diese Gestaltung kann unterschiedliche Bereiche, auch Domänen genannt, betreffen. Beispielsweise gibt es im Rahmen der visuellen Domäne Überlegungen zur Gestaltung im Hinblick auf die Verwendung von Farben, Grösse, Helligkeit von Objekten oder auch Formen. Die Gestaltung von Lautstärke oder auch Töne von Signalen betreffen hingegen die auditive Domäne (Müller et al., 2015). 16 Theoretische Fundierung Bachelorarbeit | Sophie Schneider 2.4 Situationsbewusstsein Horswill und McKenna (2004) beschreiben die Gefahrenerkennung als das Situationsbewusstsein im Strassenverkehr. Situationsbewusstsein wird auf Ebene des Strassenverkehrs, demzufolge mit der Erkennung von Gefahren gleichgesetzt. Auch Schaub (2012) schreibt der Wahrnehmung, Interpretation und Prognose des Zustandes in die Zukunft, eine elementare Bedeutung für die Fahrzeugführung zu. Mit diesen Worten verweist er auf die Thematik des Situationsbewusstseins. Diese literarischen Befunde weisen auf die Wichtigkeit des Konstrukts für den Strassenverkehr hin, aus diesem Grund soll der Begriff im folgenden Abschnitt näher beleuchtet werden. Wie bei einigen Konstrukten und Begriffen findet sich auch beim Begriff des Situationsbewusstseins keine einheitliche Definition in der Literatur. Es gibt viele Versuche der Beschreibung des Konstrukts und aus diesem Grund auch eine Vielzahl Definitionen mit unterschiedlichen Perspektiven (Salmon et al., 2008). Eine mögliche Definition stammt von Dominguez (1994): «Continuous extraction of environmental information, integration of this information with previous knowledge to form a coherent mental picture, and the use of that picture in directing further perception and anticipating future events» (S. 11). Was einige der in der Literatur vorgestellten Definitionen gemeinsam haben, ist der Bezug zur Projektion des momentanen Zustands in die Zukunft, also das Antizipieren von Ereignissen. Dieser Prozess der Simulation von Situationen wird auch bei der Gefahrenerkennung als eine elementare Fähigkeit angesehen (McKenna & Crick, 1997). Ebenfalls kann man sich darauf einigen, dass sich Situationsbewusstsein auf die Kenntnis eines Individuums über die ihn aktuell umgebende Situation bezieht (Salmon et al., 2008). Diese Ansicht folgt Mica Endsley (1995, S. 34): «Situation awareness, as such, incorporates an operator’s understanding of the 17 Theoretische Fundierung Bachelorarbeit | Sophie Schneider situation as a whole, forming a basis for decision making.» Es handelt sich hierbei um ein Verhältnis zwischen dem, was eine Person objektiv wissen kann in einer bestimmten Situation und zwischen dem, was sie letztendlich von der umgebenden Situation weiss. Es geht letztendlich um eine Interaktion zwischen einer Person und ihrer Umwelt (Dekker, 2005; Schaub, 2012). Helander (2006) führt dazu ebenfalls an, dass das Situationsbewusstsein für ein gutes Funktionieren einer Person von grundlegender Bedeutung ist. In Anlehnung an Schaub (2012) verbirgt sich hinter dem Begriff des Situationsbewusstseins die enge Verbindung zwischen der Aufmerksamkeit und dem Bewusstsein einer Person. Die Bildung des Situationsbewusstseins wird laut Ritz (2015, S. 90) über drei Stufen erreicht: 1. «Die Wahrnehmung der Elemente der Umgebung, 2. das Verständnis der Bedeutung der Situation und 3. die Prognose ihres Zustandes in der Zukunft.» Gemäss Salmon et al. (2008) besteht der erste Schritt zur Bildung des Situationsbewusstseins aus der puren Wahrnehmung der umgebenden Situation mit ihren Elementen. Darauf folgen die Interpretation und das Verständnis dieser Wahrnehmung und deren Relevanz im Hinblick auf die zu erledigende Aufgabe. Zu diesem Zeitpunkt sollte eine Person über ein ganzheitliches Bild der momentanen Situation verfügen. Die höchste Stufe des Situationsbewusstseins ist mit Stufe drei erreicht, wobei es hierbei um eine Simulation in die Zukunft und Vorhersage der momentanen Situation geht. Dazu werden die Wissensinhalte von Stufe eins und zwei hinzugezogen, sowie individuelle Erfahrungen, welche als sogenannte mentale Modelle repräsentiert sind. Mentale Modelle, welche durch Erfahrung und Training gebildet werden, erleichtern das Erreichen von Situationsbewusstsein erheblich, denn sie richten die Aufmerksamkeit auf relevante Aspekte einer Situation. Aus diesem Grund stellen sie ein zentrales Element in der Ausbildung sowie auch in der Aufrechterhaltung von Situationsbewusstsein dar (Salmon et al., 2008). Neben den mentalen 18 Theoretische Fundierung Bachelorarbeit | Sophie Schneider Modellen ist die Tatsache, dass Personen einer Situation und deren Entwicklung genaustens folgen, grundlegend für die Aufrechterhaltung von Situationsbewusstsein. Am Ball bleiben und sich nicht ablenken zu lassen, könnte hierzu ein passender Vergleich sein (Stanton, Chambers & Piggott, 2001). Dennoch ist auch das Situationsbewusstsein limitiert. Dazu führt Schaub (2012) folgende Kernannahme des Modells nach Endsley an: «Situationsbewusstsein ist eine durch die Kapazität von Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis begrenzte Ressource» (S. 72). Situationsbewusstsein bildet die Basis für darauffolgende Handlungsentscheidungen. Diese Entscheidung wird anschliessend wieder mit dem momentanen Zustand der Umgebung verglichen und angepasst. Dieser Prozess der laufenden Aktualisierung wird als iterative Feedbackschlaufe bezeichnet. Dabei beeinflussen Personen- und Umweltfaktoren das Situationsbewusstsein mit seinen Entscheidungen und Handlungsausführungen, was als Bottom-up Processing bezeichnet wird. Inwiefern sich die zuvor genannten Faktoren schlussendlich auswirken, bestimmen auch die individuellen Fähigkeiten einer Person, wobei es sich um Informationsverarbeitungsprozesse, sogenanntes Top-down Processing, handelt. Zu den individuellen Faktoren gehören auch die Erwartungen und Ziele einer Person, welche einerseits von den Informationsverarbeitungsprozessen beeinflusst werden und sich andererseits auf das Situationsbewusstsein, Entscheidungen und Handlungsausführungen auswirken (Ritz, 2015; Schaub, 2012). Zur Thematik, warum Situationsbewusstsein wichtig ist und was es bewirkt, wurden in den vorangehenden Abschnitten schon einige Punkte genannt. Stanton et al. (2001) führen dazu noch an, dass ein Verlust von Situationsbewusstsein zur Folge hat, dass die betroffenen Personen eine verlangsamte Gefahrenwahrnehmung haben und ebenfalls mehr Zeit brauchen, um adäquate Handlungsentscheidungen zur Abwendung der drohenden Gefahr brauchen. Dieser Hinweis kann die Relevanz des Konzeptes, auch im Hinblick auf den Strassenverkehr, nochmals unterstreichen. 19 Theoretische Fundierung Bachelorarbeit | Sophie Schneider Im Hinblick darauf, welche Personengruppen nun über ein gutes Situationsbewusstsein verfügen könnten, findet sich bei Helander (2006) folgendes Zitat: «Some people have good situation awareness because they are experts and they have learned to master a situation» (S. 86). Dieses Zitat beruft sich auf die Annahmen, dass Experten durch ihre Erfahrung in der Regel über eine grössere Anzahl mentaler Modelle verfügen als Novizen. Und wie eingangs schon erwähnt, dienen genau diese mentalen Modelle der erleichterten Ausbildung und Aufrechterhaltung von Situationsbewusstsein (Salmon et al., 2011). Auch hier wird der Begriff des Experten nochmals aufgegriffen und aufgezeigt, welche Fähigkeiten Experten zugeschrieben werden können. Dekker (2005) führt an, dass wenn Unfälle entstehen, fehlendes Situationsbewusstsein schnell als Begründung hergezogen wird. Aber die eigentlichen Gründe dahinter, also warum in der Situation wenig, oder gar nicht auf bestimmte Sachen geachtet wurde, werden nur selten genauer betrachtet. Park et al. (2018) verweisen hinsichtlich dieser Problematik auf das SEEV-Konzept zur Erfassung visueller Informationen, welches die Eigenschaften der AOI untersucht. Dieses Konzept wurde im Kapitel 2.2 bereits vorgestellt. Generell ist noch anzuführen, dass Situationsbewusstsein als ein schwierig zu erfassendes Konstrukt angesehen wird, da es hierbei auch um unbewusste Prozesse geht, welche bei Personen nicht im klassischen Sinne abgefragt werden können (Helander, 2006). 20 Zusammenfassung & Herleitung Fragestellung Bachelorarbeit | Sophie Schneider 3. Zusammenfassung & Herleitung der Fragestellung Im nächsten Schritt wird in Verknüpfung mit den vorgestellten literarischen Befunden die in der Einleitung erwähnte Fragestellung hergeleitet. Velounfälle, auch die tödlichen, nehmen laut Zürcher Verkehrsunfallstatistik (2019) jährlich zu. Alleine im Vergleich zum Jahr 2017 konnten 73 Velounfälle mehr verzeichnet werden. Die Stadt Zürich bemüht sich aus diesem Grund, stetig neue Ansätze zur Prävention hervorzubringen, damit die Velounfälle zukünftig vermindert werden können. Dieser Fakt stellt zum einen die Motivation und zum anderen die Ausgangslage der vorliegenden Arbeit dar. In der Literatur finden sich zahlreiche Überlegungen zur Thematik der frühzeitigen Gefahrenerkennung und durch welche Faktoren diese beeinflusst wird. Ebenfalls werden in diesem Zusammenhang Konstrukte der selektiven Aufmerksamkeit und des Situationsbewusstseins genannt. Beispielswiese geht aus der Literatur hervor, dass die frühzeitige Identifikation und adäquate Interpretation der sogenannten schwachen Signale von essentieller Bedeutung sind, um mögliche gefährliche Situationen rechtzeitig zu erkennen und dementsprechend zu handeln. Problematisch ist dabei jedoch, dass eine gewisse Herausforderung in deren frühzeitigen Identifikation besteht (Steinmüller, 2012). Hinsichtlich der Gefahrenerkennung kommt gemäss McKenna & Crick (1997) der Fähigkeit der Antizipation von Situationen im Strassenverkehr eine bedeutsame Rolle zu. Des Weiteren erwiesen sich der individuelle Fahrstil und die Geschwindigkeit als Prädiktor für Verkehrsunfälle (Horswill & McKenna, 2004; McKenna & Crick, 1997). Sömen (1993) nennt hinsichtlich der verbesserten 21 Zusammenfassung & Herleitung Fragestellung Bachelorarbeit | Sophie Schneider frühzeitigen Gefahrenerkennung und der Fähigkeit der adäquaten Handlungsentscheidung mit Hilfe mentaler Modelle, die Bedeutsamkeit der Sammlung von Erfahrungen im Strassenverkehr. Park et al. (2018) greifen hingegen die Problematik von nicht direkt sichtbaren Gefahren im Strassenverkehr auf und die Schwierigkeit der Erkennung dieser. Dies führt die Literatur weiter zu Konstrukten der Wahrnehmung und Aufmerksamkeit, wobei das Beachten von Umgebungsreizen (Aufmerksamkeit) vom Gedächtnis, von Gefühlen, Erwartungen und der Motivation einer Person beeinflusst wird (Schaub, 2012). Getreu Ritz (2015) kommt der selektiven Aufmerksamkeit eine wesentliche Bedeutung zu, da es hierbei um die gezielte Sammlung von Umgebungsinformationen zur Bewältigung der aktuellen Aufgabe geht. Schon geringe Störungen dieses Prozesses, beispielsweise durch Ablenkung, können laut Müller et al. (2015) schwerwiegende Auswirkungen haben. Wenn es um Wahrnehmung und Aufmerksamkeit geht, ist die Thematik des Situationsbewusstseins nicht weit entfernt. Entsprechend der Literatur kann dem Situationsbewusstsein ein hohes Gewicht beigemessen werden, da dieses im Strassenverkehr gemäss Horswill und McKenna (2004) eine Voraussetzung für die Gefahrenerkennung darstellt. Stanton et al. (2001) führen dazu an, dass ein Verlust des Situationsbewusstseins mit einer verlangsamten Gefahrenerkennung einhergeht. Auch Salmon et al. (2008) greifen nochmals die Thematik von mentalen Modellen auf, welche bei der Ausbildung des Situationsbewusstseins helfen können. In der Literatur gehen somit viele Annahmen und Erkenntnisse hervor, wie Gefahren im Strassenverkehr erkannt werden können, welche Prozesse dabei eine Rolle spielen und welche Einflüsse ebenfalls mitwirken. Dennoch stellt sich die Frage, welche dieser Annahmen und Erkenntnisse in der Praxis relevant sind, also dann, wenn Menschen auf dem Velo sitzen und sich durch den Strassenverkehr bewegen? Oder anders formuliert: wie ist es Velofahrenden in realen Verkehrssituationen möglich, Gefahren frühzeitig zu erkennen? Welche Verhaltens- und Denkweisen braucht es, um sich mit dem Velo sicher durch den Verkehr zu bewegen? 22 Zusammenfassung & Herleitung Fragestellung Bachelorarbeit | Sophie Schneider Welche Hinweisreize, seien es schwache Signale oder andere Hinweisreize, sind letztendlich für Velofahrende relevant? Aus diesen offen gebliebenen Fragen wurde gemeinsam mit dem Praxispartner die Forschungsfrage (Leitfrage) und zwei Nebenfragen formuliert: «Wie ist es Velofahrenden möglich, Gefahren im Strassenverkehr frühzeitig zu erkennen?» «Welche schwachen Signale gibt es dabei?» «Welche anderen Hinweisreize sind ebenfalls von Bedeutung?» Diesen Fragen wird mit dem im nachfolgenden Kapitel 4 beschriebenen Untersuchungsdesign auf den Grund gegangen. 23 Methode Bachelorarbeit | Sophie Schneider 4. Methode In den Kapiteln 4.1 bis 4.6 wird aufgezeigt, mit welcher Strategie versucht wurde, die Forschungsfrage und die dazugehörigen Nebenfragen empirisch zu überprüfen. Das grundlegende Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit besteht darin, zu untersuchen, durch welche Hinweisreize es Velofahrenden in der Stadt Zürich möglich ist, Gefahren frühzeitig zu erkennen. 4.1 Experteninterview – ein qualitatives Verfahren Um Hinweisreize für Velofahrende im Züricher Strassenverkehr zu erheben, wurde ein qualitatives Forschungsverfahren gewählt. Die in dieser Arbeit formulierte Forschungsfrage und ihre Nebenfragen benötigen eine offene Herangehensweise, wobei Einschätzungen, Sichtweisen, Meinungen und Erfahrungen hinsichtlich der Thematik von Bedeutung sind. Qualitative Verfahren ermöglichen einen offenen Zugang, der Raum lässt, eigene Interpretationen und Sichtweisen seitens der untersuchten Gruppe mit einzubringen (Helfferich, 2011). Helfferich (2011) führt dazu noch an: «Eine der Annahmen qualitativer Forschung ist die, durch die Einzeläusserungen hindurch das zugrundeliegende Muster oder Konzept identifizieren zu können» (S. 22). In der qualitativen Forschung stellen Leitfaden- Interviews, neben Beobachtung und Gruppendiskussionen eine mögliche Methode dar (Flick, 2014). Leitfaden-Interviews verfolgen eine offene, aber dennoch zielgerichtete Herangehensweise, wobei zusätzliche Fragen oder Nachhaken ebenfalls dazugehören (Liebold & Trinczek, 2009). 24 Methode Bachelorarbeit | Sophie Schneider Gemäss Flick (2014), ist es mit Leitfaden-Interviews durch ihre offene Gestaltung möglich, die Sichtweisen der befragten Person besser hervorzubringen, als beispielsweise mit einem Fragebogen. Um das Ziel der vorliegenden Arbeit zu erreichen, benötigte es Personen, welche Erfahrungen mit dem Velo im Zürcher Verkehr mitbringen. Das Stichwort Erfahrung inspirierte dazu, Velokuriere und Velokurierinnen sowie Velopolizisten und Velopolizistinnen zu interviewen. Dabei wurde angenommen, dass durch die unterschiedlichen Perspektiven beider Gruppen, welche sicherlich auf den jeweilig unterschiedlichen beruflichen Hintergrund zurückzuführen sind, reichhaltige Ergebnisse gewonnen werden können. Die dazu passende Interviewform stellt das sogenannte Experteninterview dar, welches laut Flick (2014) eine spezielle Anwendungsform des Leitfaden-Interviews darstellt. Die interviewten Personen gelten in der vorliegenden Arbeit durch ihren Wissensvorsprung und Erfahrung als Experten im Gebiet des Velofahrens. Die Literatur definiert Experten wie folgt: «Als Experten könnte man diejenigen Personen bezeichnen, die im Hinblick auf einen interessierenden Sachverhalt als ‘Sachverständige’ in besonderer Weise kompetent sind» (Flick, 2014, S. 214). Basis für die Auswahl der Befragungsgruppe und Interviewform war das reichhaltige Erfahrungswissen, welches von zentralem Interesse ist. Doch der Begriff des Experten ist nicht einfach zu definieren. Wer denn nun ein Experte ist, wird in der Literatur aus unterschiedlichen Perspektiven und mit unterschiedlichen Argumenten diskutiert. Liebold und Trinczek (2009) folgen Meuser und Nagel (1997): Eine Person für ein Experteninterview sollte über Wissen verfügen, «das sie zwar nicht alleine besitzt, das aber doch nicht jedermann bzw. jederfrau in dem interessierenden Handlungsfeld zugänglich ist» (Meuser & Nagel, 1997, S. 484). Auch bei der vorliegenden Arbeit fand für die Auswahl der Stichprobe eine Orientierung an dieser Definition statt. Im Vorfeld wurde ein flexibler Leitfaden erstellt, welcher sich aus erzählungsgenerierenden Fragen zusammensetzte, die sich Schritt für Schritt an die Erfahrung 25 Methode Bachelorarbeit | Sophie Schneider und das Wissen der Experten herantasteten. Die Balance zwischen Struktur und Offenheit stellt bei den Experteninterviews jedoch auch eine Herausforderung dar, denn es muss möglich sein, dass die interviewte Person durch das offene Gespräch und trotz Leitfaden, eigene Schwerpunkte setzen kann. Dieser Leitfaden befindet sich zur Veranschaulichung im Anhang 1 dieser Arbeit. Die Entwicklung des Leitfadens wird im Kapitel 4.3 näher erläutert. 4.2 Auswahl und Zugang zur Stichprobe Im Hinblick auf die Stichprobe wurde im Kapitel 4.1 schon einiges im Zusammenhang mit der Festlegung auf Experteninterviews genannt. Für die Interviews wurden ausschliesslich Velokuriere und Velokurierinnen sowie Velopolizisten- und Velopolizistinnen interviewt. Angesichts der Interviewart war es essentiell, Personen zu gewinnen, welche Erfahrungen im Zürcher Stadtverkehr mitbringen. Aus diesem Grund war das Hauptkriterium bei der Auswahl: Erfahrung von mindestens einem Jahr im Zürcher Veloverkehr. Ebenfalls spielte auch eine ausgeglichene Anzahl an Interviewten jeder Berufsgruppe eine Rolle bei der Auswahl. Ebenfalls strebte die vorliegende Arbeit keine Verallgemeinerung an. Die Stichprobengrösse wurde einerseits durch die Anzahl freiwilliger Velopolizisten und Velopolizistinnen festgelegt, wobei die Anfrage für ein Interview in den Händen des Chefs der Bikepolice lag. Andererseits durch die Anzahl der Kontakte zu den Velokurieren und Velokurierinnen. Die vorliegende Arbeit strebte qualitativ hochwertige Ergebnisse an, welche für den Praxispartner im Hinblick auf neue Präventionskampagnen nutzbringend sein können. Vor diesem Hintergrund wurde für die Stichprobe eine Grösse von N=10 angestrebt, wobei gemäss Helfferich (2011) übliche Stichprobengrössen bei N=6 beginnen können. 26 Methode Bachelorarbeit | Sophie Schneider Die Erfahrung zeigt, dass es bei der Methodik der Interviews nicht einfach ist, Zugang zum Feld zu erhalten. Um Velopolizisten und Velopolizistinnen zu einer Teilnahme am Interview gewinnen zu können, bot der Praxispartner seine Unterstützung an. Dieser stellte den Kontakt zum Chef der Bikepolice her, welcher wie schon erwähnt, in seinem Team Freiwillige rekrutierte. Ebenfalls übergab der Praxispartner einige E-Mail-Adressen von Velokurieren und Velokurierinnen, sodass eine eigenständige Kontaktaufnahme stattfinden konnte. Insgesamt konnten für die vorliegende Arbeit neun Experten interviewt werden, wobei darunter fünf Velopolizisten und vier Velokuriere und -kurierinnen sind. 4.3 Entwicklung des Leitfadens Dies ist wohl der zentralste Schritt im Prozess, denn hier wird das eigentliche Instrument erstellt, welches für die Qualität der Ergebnisse von grundlegender Bedeutung ist (Helfferich, 2011). Bevor die Entwicklung des Leitfadens beginnen konnte, war das Kennenlernen des Forschungsfeldes von grossem Interesse. Dies geschah primär durch den Austausch mit dem Praxispartner und der Einsicht in interne Dokumente. Gemäss Liebold und Trinczek (2009) kann im Experteninterview nur so ein Dialog zwischen dem Interviewtem und dem Interviewer entstehen. Wie im Kapitel 4.1 schon erwähnt, sollte der Leitfaden flexibel gestaltet sein und der interviewten Person Raum für ihre Erzählungen geben. Im Hinblick auf die Interviewfragen wurde nach einer geeigneten Technik gesucht, welche es ermöglicht, die Wahrnehmung von möglichen Gefahren im Strassenverkehr für Velofahrende zu ergründen. Die Wahrnehmung des Menschen stellt dabei einen kognitiven Prozess dar (Schaub, 2012). In der Literatur finden sich dazu passende Interviewmethoden, welche eigens dafür entwickelt wurden, um aufzuzeigen, wie Menschen es schaffen, komplexe Aufgaben zu lösen und in schwierigen, gefährlichen Situationen innovative Lösungen zu finden (Crandall, Klein & 27 Methode Bachelorarbeit | Sophie Schneider Hoffmann, 2006). Mittels der Cognitive Task Analysis (kurz CTA), welche den Überbegriff für eine Reihe von Interview- und Beobachtungsmethoden darstellt, ist es möglich das Wissen hervorzubringen, welches Experten benötigen, um komplexe Aufgaben zu lösen. Ziel ist es, dass die dazu nötigen kognitiven Prozesse vollständig und adäquat abgebildet werden (Clark, Feldon, Van Merrienboer, Yates & Early, 2008). Die CTA kann dabei in unterschiedlichen Forschungsfeldern angewendet werden und die gewonnenen Ergebnisse werden unter anderem auch für die Entwicklung von Trainings eingesetzt (Clark et al., 2008; Crandall et al., 2006). Gemäss Crandall et al. (2006) eignet sich die Untersuchung von tatsächlichen Ereignissen besonders gut, um Wissensinhalte zu ergründen. In den Erzählungen über Ereignisse können Informationen über Hinweise und Signale, Entscheidungswege und Faustregeln der Experten hervorgebracht werden. Die Critical Decision Method (kurz CDM; Weiterentwicklung der Critical Incidents Method) ist eine retrospektive CTA- Interviewmethode, wobei Wissensinhalte und Entscheidungsprozesse hervorgebracht werden sollen. «CDM – a method for mining people’s real, lived experiences and getting inside their heads to understand incidents from their perspective» (Crandall et al., 2006, S. 72). Das CDM wird als teilstrukturiertes Interview konzipiert, das systematische Fragen zu Ereignissen beinhaltet, wobei es sich meist um kritische Ereignisse handelt, welche ausserhalb der Routine stattgefunden haben (Wong, 2004; Salmon, Stanton, Lenné, Jenkins, Rafferty & Walker, 2011). Getreu Crandall et al. (2006) ist der Grund, warum Ereignisse ausserhalb der Routine Kernthemen sind, dass solche Ereignisse länger und lebendiger in Erinnerung bleiben, da sie die volle Aufmerksamkeit und einen hohen Einsatz der Fähigkeiten des Experten erfordern. Crandall et al. (2006, S. 73) postulieren vier Phasen, die bei einem CDM-Interview durchlaufen werden: 28 Methode Bachelorarbeit | Sophie Schneider 1.) «Identifikation des Ereignisses, 2.) Aufstellung des Zeithorizontes, 3.) Vertiefung des Ereignisses, 4.) ‘Was wäre wenn’ Fragen.» In Anlehnung daran, wurde der Leitfaden in diese vier Phasen aufgeteilt. Bei der Formulierung der Fragen wurden Anregungen und Beispielfragen aus Crandall et al. (2006, S. 79/82) sowie Salmon et al. (2011, S. 18-19) hinzugezogen. Weiterführend wurde ein separater kürzerer Leitfaden entwickelt, welcher weitere Vertiefungsfragen zum Ereignis beinhaltete. Anschliessend wurde dieser Leitfaden mit Hilfe eines Pretests geprüft. Dabei ging es vor allem darum, herauszufinden, ob die Anlehnung an die CDM für den Untersuchungsgegenstand, primär für die Hervorbringung der schwachen Signale, überhaupt geeignet ist. Ebenfalls sollten die Fragen verständlich sein und der festgelegte Zeitrahmen von einer Stunde eingehalten werden. Der Pretest mit einem Velokurier verlief positiv und es wurden lediglich einige Fragen für die nachfolgenden Interviews gestrichen. Folglich konnte der Leitfaden seine Richtigkeit und Angemessenheit hinsichtlich des Untersuchungsgegenstands beweisen. Gemäss dem Wunsch der interviewten Personen, wurde der Leitfaden jeweils zwei Tage vor dem Interview per E-Mail versendet. Bei einem der Interviews ist der Fall eingetreten, dass die interviewte Person im Vorfeld des Interviews mitteilte, dass sie noch kein Ereignis miterlebt habe. Daraufhin wurde kurzerhand ein alternativer Leitfaden entwickelt, wobei hier nicht die Ergründung eines Ereignisses im Zentrum stand, sondern nur die individuelle Wahrnehmung von Gefahren für Velofahrende in der Stadt Zürich. Die für die Untersuchung verwendeten Leitfaden befinden sich im Anhang 1 und 2 dieser Arbeit und die Vertiefungsfragen im Hinblick auf Phase 3 und 4, im Anhang 3. 29 Methode Bachelorarbeit | Sophie Schneider 4.4 Setting und Durchführung Die Interviews fanden entweder in einem Sitzungszimmer in Zürich, welches durch den Praxispartner zur Verfügung gestellt wurde, auf der Polizeiwache oder am Standort der Kurierfirma statt Im Vordergrund stand dabei, dass die Interviews in einer ruhigen Umgebung durchgeführt werden konnten. Zu Beginn fand jeweils ein Gespräch von rund 15 Minuten statt, wobei die Bachelorthesis sowie die Problematik erläutert wurden. Anschliessend wurde den Interviewten eine Einverständniserklärung gegeben, welche sie aufmerksam durchlasen und unterschrieben. Diese beinhaltete zum einen allgemeine Informationen über die Arbeit, Hintergründe und Ziele, zum anderen informierte das Schreiben über Themen wie die Aufnahme des Interviews, Anonymität, Vertraulichkeit sowie über die Verarbeitung und Auswertung der Daten. 4.5 Transkriptionsmethode Um qualitative Interviews auszuwerten, sollten diese im Vorfeld verschriftlicht werden (Flick, 2014). Für die Interviews wurde eine Transkriptionsmethode definiert, welche von Mayring (2003) näher erläutert wird: «Ziel der Analyse ist es, das Material so zu reduzieren, dass die wesentlichen Inhalte erhalten bleiben, durch Abstraktion einen überschaubaren Corpus zu schaffen, der immer noch Abbild des Grundmaterials ist» (Mayring, 2003, S. 58). Dabei können folgende Charakteristika ausgemacht werden: - «Zusammenfassend, - Grammatikalisch vereinfachend, - Wiederholungen können, sofern sie keinen Mehrwert bieten, ausgelassen werden, - Textzeilen, die sich nicht auf die Forschungsfrage beziehen, werden mit Stichwort und 30 Methode Bachelorarbeit | Sophie Schneider Zeitmarkierung versehen. Dadurch kann zu einem späteren Zeitpunkt bei Bedarf darauf zurückgegriffen werden» (Mayring, 2003, S. 58). Für die Erstellung der Transkripte wurde die Software MAXQDA verwendet. 4.6 Datenaufbereitung und -auswertung Zur Auswertung der sechs transkribierten Interviews, musste in einem ersten Schritt eine Auswertungsmethode festgelegt werden. Da das vorrangige Ziel, das Verständnis, die Analyse und die Interpretation der Interviewtexte war, eignete sich das Vorgehen der qualitativen Inhaltsanalyse bestens (Kuckartz, 2016). Laut Kuckartz (2016) lebt die qualitative Inhaltsanalyse vor allem von der Strukturierung der Texte mit Hilfe von Kategorien. Da es bei der vorliegenden Auswertung weder um eine Klassifizierung des Materials (evaluative qualitative Inhaltsanalyse), noch um eine typenbildende qualitative Inhaltsanalyse geht, kommt die Auswertungsmethode der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse in Betracht. Die Erstellung des Kategoriensystems und die Auswertung der Interviews orientierten sich somit an der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse, wie sie in Kuckartz (2016) beschrieben ist. Der erste Schritt bestand in der Durcharbeit jedes Interviews mit dem Markieren relevanter Textstellen. Im zweiten Schritt konnten mit Hilfe der Literatur zur Thematik der schwachen Signale, Gefahrenerkennung und dem Situationsbewusstsein sowie aus der Forschungsfrage, drei Hauptkategorien deduktiv gebildet werden. Es wurden im Rahmen der vorliegenden Arbeit keine Subkategorien gebildet. Dieses Kategoriensystem wurde im Anschluss an einem Transkript auf seine Richtigkeit und Vollständigkeit hin überprüft. Die drei Hauptkategorien waren: 31 Methode Bachelorarbeit | Sophie Schneider I. Schwache Signale - Aussagen zu Hinweisreizen welche die Kriterien von schwachen Signalen erfüllen. - Bildung der Kategorie anhand der Forschungsfrage. II. Andere Umgebungsreize und -informationen - Aussagen zu Hinweisreizen, welche nicht den Kriterien von schwachen Signalen entsprechen, jedoch sind diese Umgebungsreize relevant, um Gefahren frühzeitig zu erkennen. - Bildung der Kategorie anhand der Forschungsfrage. III. Sicherheitsrelevante Eigenschaften und Verhaltensweisen einer Person - Aussagen, welche Eigenschaften und/oder Verhaltensweisen einer Person thematisieren, welche im Strassenverkehr zur Herstellung der eigenen Sicherheit und zur frühzeitigen Gefahrenerkennung beitragen können, oder auch unsichere Verhaltensweisen, welche problematisch für die eigene Sicherheit sein können. - Bildung der Kategorie anhand der Erkenntnisse der Literaturrecherche. Während des ersten Kodierungsversuchs an einem Interview war es oftmals schwierig, zu uneindeutig oder schlichtweg nicht möglich, Textstellen mit der Kategorie der schwachen Signale zu kodieren. Grund dafür war, dass keine der Aussagen oder Beispiele denen im Kapitel 2.1 genannten Kriterien vollends entsprochen hat. Es war mit dem gewonnenen Material nicht möglich die Thematik der schwachen Signale auf den Bereich des Strassenverkehrs zu übertragen. Aus diesem Grund musste diese Kategorie für den weiteren Verlauf der Datenaufbereitung gestrichen werden. Der nächste Schritt der Inhaltsanalyse bestand nun aus der induktiven Kategorienbildung am Material. Dabei kam die Kategorie Sonstige sicherheitsrelevante Aspekte sowie Sonstiges neu hinzu. IV. Sonstige Sicherheitsrelevante Aspekte 32 Methode Bachelorarbeit | Sophie Schneider - Aspekte, welche weder schwache Signale darstellen, noch mit den Eigenschaften oder den Verhaltensweisen einer Person zu tun haben, aber dennoch für die Sicherheit der Velofahrenden eine Bedeutung zu haben scheinen. - Betrifft beispielsweise die Städtischen Gegebenheiten von Zürich. V. Sonstiges - Kategorie, bei welcher Aussagen und/oder Aspekte kodiert werden, welche keine sicherheitsrelevanten Hinweisreize, Verhaltensweisen von Velofahrenden oder Gegebenheiten thematisieren, aber dennoch zusätzliche, relevante Informationen beinhalten. - Beinhaltet beispielsweise Ansichten oder Meinungen im Hinblick auf Präventionsvorschläge. Mit diesem ausdifferenzierten Kategoriensystem konnte nun das gesamte Material kodiert werden. Um bei der Kodierung ein standardisiertes Verständnis der Kategorien sowie die Abgrenzung zwischen den Kategorien sicherzustellen, wurden Kodier-Regeln und Ankerbeispiele für jede Kategorie tabellarisch aufgeführt. Der so entstandene Kodierleitfaden befindet sich zur Veranschaulichung im Anhang 4 dieser Arbeit. Der letzte Schritt bestand aus der Analyse des Materials. Bei der Auswertung der Interviews wurde ebenfalls die Software MAXQDA verwendet. Jedes der neun Interviews wurde, wie im obigen Abschnitt erwähnt, anhand der zuvor entwickelten Kategorien kodiert. In diesem Schritt werden die zuvor formulierten Kategorien zu den thematisch passenden Textstellen zugeordnet. Ebenfalls ist es mit MAXQDA möglich, alle Textstellen zu einem Thema gesamthaft darzustellen. Dies erleichterte es, einen ganzheitlichen Eindruck der Interviews zu erhalten. Im Anschluss daran wurden die Interviewaussagen für die Ergebnisdarstellung aufbereitet und vor dem Hintergrund der theoretischen Fundierung interpretiert. 33 Darstellung der Ergebnisse Bachelorarbeit | Sophie Schneider 5. Darstellung der Ergebnisse Im folgenden Kapitel 5.1 werden die Ergebnisse zu den Interviews vorgestellt. Anschliessend folgt im Kapitel 6.1 und 6.2 mit den gewonnenen Ergebnissen eine ausführliche Beantwortung der Nebenfragen und letztendlich der Forschungsfrage. 5.1 Ergebnisse der Experteninterviews Die Darstellung der Ergebnisse wird im Folgenden entlang der fünf Hauptkategorien erfolgen. Besonders aussagekräftige Interviewpassagen sollen ebenfalls beispielhaft aufgeführt werden. 5.1.1 Schwache Signale Wie im Kapitel 4.6 beschrieben, musste die Kategorie der schwachen Signale während des Auswertungsprozesses gestrichen werden. Es war mit dem gewonnenen Material nicht möglich, Aussagen in diese Kategorie einzuordnen, da die Voraussetzung dazu die Übereinstimmung mit den im Kapitel 2.1 definierten Kriterien ist. Natürlich gibt es im Strassenverkehr Hinweisreize, die sehr subtil sind und leicht übersehen werden können. Dennoch reichte dies nicht aus, diese in die Kategorie der schwachen Signale zuzuordnen. Erklärungsansätze über verschiedene Gründe der gescheiterten Übertragung des Konstrukts werden dann im Kapitel 6.4 diskutiert. 34 Darstellung der Ergebnisse Bachelorarbeit | Sophie Schneider 5.1.2 Andere Umgebungsreize und -informationen Im nächsten Abschnitt werden die Ergebnisse zu den Umgebungsreizen und - informationen erläutert. Dabei werden die Aspekte aufgezeigt, welche von den interviewten Velokurieren und Velokurierinnen sowie den Velopolizisten genannt wurden und für Velofahrende der Stadt Zürich von Bedeutung sind. In den Interviews wurde eine Vielzahl von Umgebungsreizen genannt, welche für Velofahrende von Bedeutung sind, da diese in gewissen Situationen auch Hinweise auf mögliche Gefahren seien. Generell wird es als wichtig erachtet, dass Velofahrende mit ihrer Aufmerksamkeit immer mehr bei den anderen Verkehrsteilnehmenden sein sollten, als bei sich selber. Denn das Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmenden biete viele relevante Informationen darüber, wie sich eine Situation entwickeln würde. Beispielsweise durch die Tatsache, wo eine Person hinschaut, ob Velofahrende zurückblicken, was ein Hinweis sein kann, dass sie abbiegen wollen, oder auch wenn eine Person zur nächstgelegenen Haltestelle rennt. «Die grösste Sicherheit ist, mehr auf andere zu achten und nicht nur auf sich selber konzentriert zu sein.» Grundsätzlich seien alle bewegten Objekte für die Wahrnehmung wesentlich. An dieser Stelle nennen die Befragten Autos, Velos, Fussgänger und auch die öffentlichen Verkehrsmittel, wie Tram oder Bus, welche im Zentrum der Aufmerksamkeit sein sollten. Dabei hätten alle Verkehrsteilnehmenden wieder ihre individuellen Hinweisreize auf mögliche Gefahren. Es gäbe in Zürich sehr viele unterschiedliche Verkehrsteilnehmende und Umgebungsreize, wodurch unwahrscheinlich viele Reize auf Velofahrende einprasseln würden, was unter Umständen auch zur Reizüberflutung führen könne. Dieser Umstand führe 35 Darstellung der Ergebnisse Bachelorarbeit | Sophie Schneider gemäss der Befragten nicht selten auch zu Unfällen, da es durch die Reizüberflutung eine Unsicherheit entstehe, worauf Velofahrende überhaupt noch achten sollen. Im Hinblick auf die Thematik der anderen Verkehrsteilnehmenden, heben die Befragten einen besonderen Umstand deutlich hervor: Fahrzeuge, welche sich atypisch verhalten. Auf solche Fahrzeuge müsse man unbedingt achten, beispielsweise wenn jemand ungewöhnlich langsam fährt, was ein Hinweis sein kann, dass er unvermittelt abbiegen könnte. Dafür steht folgendes Zitat beispielhaft: «Genau, er hat mir den Weg abgeschnitten, weil er rechts in einen Parkplatz rein wollte und ich wollte überholen, weil er wirklich sehr langsam gefahren ist. Vielleicht hätte ich dort schon merken sollen, dass er etwas machen möchte, habe ich aber nicht.» Ein weiterer und dabei ein besonders bedeutender Verkehrsteilnehmender seien die Fussgänger und Fussgängerinnen. Fussgänger und Fussgängerinnen seien für Velofahrende ein schwieriges Thema, da sich diese oftmals unberechenbar verhalten würden. Es sei keine Seltenheit, dass diese ohne Vorwarnung und ohne zu schauen auf die Strassen laufen würden, weil sie beispielsweise durch ihr Handy abgelenkt seien. Gemäss der Befragten sei es für Velofahrende essentiell, auf deren Körpersprache (Gehgeschwindigkeit, Richtung und Blicke) zu achten, um Informationen über ihr Vorhaben zu erhalten. Das folgende Zitat hebt die Bedeutung der Ablenkungsquellen für die Teilnehmenden des Strassenverkehrs hervor: «Fussgänger, welche plötzlich die Fahrbahn beschreiten, weil sie abgelenkt sind mit ihrer Krankheit Mobiltelefon, da hat es schon ganz heikle Situationen gegeben.» Doch nicht nur die Fussgänger und Fussgängerinnen, auch Autos können für Velofahrende zur Gefahr werden. Die Befragten haben im Interview zwei mögliche Situationen besonders hervorgehoben: Zum einen parkierte Autos, dabei seien 30er Zonen mögliche Brennpunkte, und zum anderen stehende Autokolonnen, welche während den täglichen Staus der Stadt Zürich immer wieder entstehen würden. Das Problem bei den Autokolonnen, wobei 36 Darstellung der Ergebnisse Bachelorarbeit | Sophie Schneider Velofahrende rechts auf dem Velostreifen vorbeifahren können, sei zufolge der Befragten, dass Velofahrende oftmals nicht damit rechnen würden, dass eines der Autos eventuell rechts abbiegen möchte. Ebenfalls würden diese, im Hinblick auf die Situation, mit einer viel zu hohen Geschwindigkeit an den Kolonnen vorbeirasen. Dieser Umstand habe schon viel zu oft zu brenzligen Situationen oder sogar zu Unfällen geführt. Ähnliche, nicht selten beobachtete und erlebte Situationen gäbe es bei parkierten Autos. Diese würden die Gefahr bergen, dass jemand plötzlich aussteigt oder das Auto unvermittelt aus der Parklücke fährt. Velofahrende, welche mit hohen Geschwindigkeiten vorbeirauschen, hätten in solchen Momenten keine Chance zum Ausweichen. Das folgende Zitat schildert das Erlebnis eines Velopolizisten: «Das war eine Autotür, welche aufging, eine von den unzähligen, wie soll ich das politisch korrekt ausdrücken, Scheisssituationen, welche man in der Stadt Zürich hat, wo Fahrradwege oder Streifen an parkierten Autos entlanggehen und als Velofahrer hast du deinen Meter, welchen sie dir zugestehen, nebendran sind die parkierten Autos und hier ist die Fahrspur. […] Die Weinbergstrasse runter, auf der rechten Seite parkierte Autos, dann kommt man recht zackig, hat seinen 40er drauf. Dann ging die Tür auf, zehn Meter vor mir, das Einzige, was da noch ging war eine Vollbremsung und über die Tür fliegen.» Solche Situationen würden entstehen, weil man als Velofahrender schlichtweg nicht sehen würde, was geschieht. Solche Sichtbehinderungen seien gemäss der Befragten enorm gefährlich. Dabei nennen sie folgende, häufige Hinweisreize auf mögliche Sichtbehinderungen: Mauern, Baustellen, Bus, Tram, Hauseingänge, Ausfahrten und Lastwagen. An solchen Stellen können Velofahrende schnell etwas übersehen, was im Umkehrschluss zu sehr gefährlichen Situationen führen könne: «Am gefährlichsten sind die Dinge, die man nicht sieht» ~ 37 Darstellung der Ergebnisse Bachelorarbeit | Sophie Schneider «Natürlich auch uneinsehbare Hindernisse, ein Lieferwagen, wo jemand hervorspringen könnte oder Häuser, welche direkt an der Fahrbahn gebaut sind, wo jemand hervorschiessen könnte.» Gleichermassen bedeutsam sei die Tatsache, dass sich die Zürcher Verkehrsführung auf Grund von Baustellen immer wieder verändere. Solche Baustellen können für Velofahrende problematisch werden, da sie oftmals unübersichtlich und eng seien. Baulöcher würden mit Metallplatten abgedeckt, welche für Velos eine viel zu hohe Kante besitzen und daher zur Sturzgefahr werden. Vor allem dann, wenn Velofahrende mit hohen Geschwindigkeiten über die Platte fahren würden. Auch seien diese bei Regen äusserst rutschig, was für Velos ebenfalls gefährlich sein kann. Damit wurde der nächste bedeutsame Umgebungsreiz genannt: Das Wetter. Laut der Befragten sei das Wetter mit seinen vielfältigen Auswirkungen, ebenfalls ein wichtiger Faktor, um Gefahren frühzeitig zu erkennen. Denn je nach Wetterlage gäbe es neue Gefahrenstellen, wie beispielsweise die Tramschienen und Markierungen (rote Velowege und Fussgängerüberwege), welche durch die Nässe sehr rutschig seien. Nicht nur Markierungen seien bei Nässe rutschig, auch Gullideckel würden derartige Gefahren bürgen. Das folgende Zitat unterstreicht die Problematik nochmals: «Ja die schön rot markierten Velowege sind auch ein Problem, wenn es nass ist, man sieht sie gut, aber wenn es nass ist, fahre ich nicht auf denen.» Doch nicht nur bei nassem und kaltem Wetter sei die Bodenbeschaffenheit ein Thema, auch wenn es trocken ist, müsse man auf Schlaglöcher, Spurrillen, Tramschienen und Unebenheiten besonders achten. Auch bei den Befragten hätten solche Strassenzustände, welche in diesem Moment nicht beachtet wurden, schon zu Unfällen geführt. Im Allgemeinen gehören jegliche Verkehrssignalisationen, wie Ampeln, Strassenschilder und Bodenmarkierungen zu den essentiellen Hinweisreizen. Gemäss der Befragten sei zu beobachten, dass eine Vielzahl der Velofahrenden über rote Ampeln fahren, Verbotsschilder 38 Darstellung der Ergebnisse Bachelorarbeit | Sophie Schneider ignorieren und Bodenmarkierungen übersehen. Dieser Umstand führe offensichtlich zu einigen Problematiken. Als Begründung für ein solches Verhalten der Velofahrenden führen die Befragten Unwissenheit über die Bedeutung der Signalisationen, fehlendes Interesse sowie fehlende Aufmerksamkeit oder Ablenkung an. Im Hinblick auf die frühzeitige Erkennung von Gefahren gehören auch die Örtlichkeit und die Tageszeit zu den relevanten Hinweisreizen aus der Umgebung. Velofahrende sollten gemäss der Befragten darauf achten, zu welcher Tageszeit sie an welchen Orten unterwegs sind. An manchen Orten würden einfach mehr Unfälle passieren, da das Verkehrsaufkommen dermassen hoch sei und mit engeren Platzverhältnissen für jeden Verkehrsteilnehmenden einhergehe. Ebenfalls gäbe es hier abermals viel mehr Umgebungsreize, auf die der Velofahrende achten müsse: «Die Verkehrsdichte ist da wichtig. Bei grösserer Dichte ist die Unfallgefahr schon erheblicher. Einerseits, hat es weniger Platz und andererseits hat es für mich und andere mehr Reize auf der Strasse, welche beobachtet werden sollen.» Ferner ist die Tageszeit ebenfalls von Bedeutung hinsichtlich der variierenden Licht- und Sichtverhältnisse. Die Dämmerung und Finsternis seien dabei am gefährlichsten, vor allem in Kombination mit schlechtem Wetter. Erschwerend komme hinzu, dass auch der Velofahrende für alle anderen Verkehrsteilnehmenden durch die sich verändernden Lichtverhältnisse zunehmend schlechter sichtbar sei. 5.1.3 Sicherheitsrelevante Eigenschaften und Verhaltensweisen einer Person Aus den Interviews konnten zahlreiche relevante Hinweisreize aus der Umgebung extrahiert werden. Die Befragten betonten an dieser Stelle immer wieder, dass es jedoch von den Verhaltensweisen und den Eigenschaften des Velofahrenden abhängen würde, dass er 39 Darstellung der Ergebnisse Bachelorarbeit | Sophie Schneider diese auch frühzeitig erkennen kann. Dabei gäbe es grundlegende Verhaltensweisen und Eigenschaften der Velofahrenden, welche eine Art Basis für die Sicherheit der Velofahrenden seien. Dazu kommen spezifische Verhaltensweisen, um Gefahren im Strassenverkehr frühzeitig erkennen zu können. Es wird im folgenden Abschnitt somit eine Unterteilung in grundlegende sicherheitsrelevante Eigenschaften und Verhaltensweisen eines Velofahrenden und in Verhaltensweisen im Hinblick auf die frühzeitige Erkennung von Gefahren vorgenommen. Grundsätzlich seien getreu der Befragten die folgenden Aspekte von grundlegender Bedeutung für die Sicherheit: ✓ Sichtbarkeit durch Licht, Kleidung und Anzeigen von Richtungsänderungen ✓ Velofahrende sollen sich generell nicht auf die anderen Verkehrsteilnehmenden verlassen wenn es um die Aufmerksamkeit geht und müssen sich bewusst sein, dass sie grundsätzlich die Schwächeren sind (im Vergleich zu Autos, ÖV und Lastwagen) ✓ Die Kommunikation mit den Verkehrsteilnehmenden sei fundamental (Augenkontakt und Handzeichen ✓ Velofahrende sollten sich und ihre Fähigkeiten nicht überschätzen ✓ Einhalten der Strassenverkehrsregeln ✓ Situatives Fahren, je nach Veränderungen in der Umgebung solle auch das eigene Verhalten angepasst werden (Bremsbereitschaft herstellen, Abstand halten & Reduktion der Geschwindigkeit) Im nachfolgenden Abschnitt sollen Verhaltensweisen erläutert werden, welche von den Befragten vor allem im Zusammenhang mit der frühzeitigen Erkennung von Gefahren genannt wurden. 40 Darstellung der Ergebnisse Bachelorarbeit | Sophie Schneider Die Befragten geben an, dass die Ablenkung im Strassenverkehr signifikant zugenommen habe. Eine beachtliche Anzahl der Velofahrenden würden Musik hören, Nachrichten schreiben oder sogar während der Fahrt telefonieren. Dies würde verhindern, dass akustische Signale aus dem Strassenverkehr wahrgenommen werden, was eine massive Einschränkung für den Velofahrenden darstellen würde. Müdigkeit, in Gedanken versunken sein, Routine und Stress gehören dabei ebenfalls zu potenziellen Ablenkungen. Vor allem in Stresssituationen würde sich der eigene Blick verengen und Velofahrende würden nicht mehr so aktiv überlegen, welche vermeintlichen Gefahren sich weiter vorne befinden könnten. Daraus würde ein Tunnelblick entstehen, welcher dazu führen könne, dass wichtige Hinweisreize auf Gefahren (Rutschige Stellen, Hindernisse) nicht wahrgenommen werden. In Stresssituationen sei zu beobachten, dass Velofahrende sich generell anders verhalten, sie würden draufgängerischer werden und tendenziell schneller fahren. Solche Beobachtungen konnte ein Teil der Befragten auch schon einmal bei sich selber machen. Routinesituationen würden hingegen die Ablenkung der Gedanken fördern, da sich die Velofahrenden gewöhnt seien, dass an bestimmten Stellen sowieso nichts passieren würde. Dabei spiele die Aufmerksamkeit eine unwahrscheinlich grosse, essentielle Rolle im Strassenverkehr und solche Ablenkungen würden es verhindern, dass Gefahren frühzeitig erkannt werden können. Folgende Zitate stehen dafür beispielhaft: «Man kann den Leuten raten, dass sie sich konzentrieren sollen und bei der Sache sind beim Velofahren.» ~ «Handy ist ein riesen Thema, dann merkt man nichts mehr, sieht nichts mehr und nimmt nichts mehr von der Umgebung wahr.» Eine weitere Problematik im Hinblick auf die frühzeitige Erkennung von Gefahren sei die Tatsache, dass Velofahrende ihre Geschwindigkeit oft nicht richtig einschätzen würden. Davon seien vor allem E-Bikes betroffen, mit welchen es möglich sei, ohne viel Anstrengung 41 Darstellung der Ergebnisse Bachelorarbeit | Sophie Schneider sehr hohe Geschwindigkeiten zu erreichen. Mit zunehmender Geschwindigkeit würde es schwieriger werden, mögliche Gefahren frühzeitig zu erkennen und die Reaktionsgeschwindigkeit auf das Ereignis würde sich dadurch verringern. Aus diesem Grund sei das Anpassen der Geschwindigkeit wesentlich. Des Weiteren nennen die Befragten die mentale Vorbereitung auf die bevorstehende Route als wichtigen Faktor. Wenn Velofahrende sich überlegen würden, welche Wege sie wählen, um ans Ziel zu gelangen, könnten sie bestimmte Örtlichkeiten von Anfang an meiden. Als Beispiel dafür wurden Baustellen, Hauptverkehrsachsen sowie bestimmte Plätze, wie der Hauptbahnhof oder der Escher-Wyss-Platz genannt. So könne man mögliche Gefahren aktiv vermeiden. Neben der Vermeidung von Gefahren, würde die mentale Vorbereitung auf die Route auch helfen, dass Velofahrende sich auf mögliche Ereignisse vorbereiten können. Die Vorbereitung würde helfen, dass wenn es zu einer brenzligen Situation komme, der Fokus nicht so schnell verloren gehe, die zuvor gemachten Gedanken schnell abgerufen werden können und daraufhin auch eine adäquate Reaktion möglich sei. Passendes Zitat dazu: «Ich weiss, dass eine Vorbereitung auf ein mögliches Ereignis schon ganz viele Probleme lösen kann.» Dieses Verhalten stehe im Zusammenhang mit der Empfehlung seitens der interviewten Personen, dass Velofahrende ein Training absolvieren sollten. Die Empfehlung wurde aufgrund der Erkenntnis gemacht, dass die Befragten durch ihre langjährige Erfahrung eine enorme Menge an Wissen zu möglichen Gefahren aufbauen konnten und wie sie sich im Gegenzug sicherer durch den Zürcher Strassenverkehr bewegen können. Durch das Training können Velofahrende in einem geschützten Rahmen Erfahrungen im Hinblick auf mögliche Gefahren und deren Erkennung sammeln. Ebenfalls würde ein Training die Möglichkeit bieten, dass Velofahrende sich nochmals mit den Signalisationen vertraut machen können. 42 Darstellung der Ergebnisse Bachelorarbeit | Sophie Schneider Folgende Zitate können dies veranschaulichen: «Ich glaube man muss die Erfahrung gemacht haben, um zu wissen ‘oh das ist gefährlich’, ich habe das Gefühl, dass kann man auf irgendwelchen Übungsplätzen simulieren, das kann Sinn machen.» ~ «Solche Sachen muss man den Leuten ins Gewissen sagen, man vergisst es einfach, vielleicht auch ich. Es ist einfach, dass man sich je nach Situation sich nicht bewusst ist. Vielleicht auch mit Bildern zeigen anhand der Stadt, wie solche Gegebenheiten aussehen, dass wenn sie später an der Stelle sind, dass sie sich wieder dran erinnern.» Als eine weitere bedeutsame Verhaltensweise, um Gefahren frühzeitig einschätzen zu können, wurde von den Befragten das vorausschauende Fahren genannt. Mit dem Antizipieren von Abläufen sowie Fahr- und Laufwegen wäre es möglich, Gefahren vorherzusehen. Dabei würde es in erster Linie darum gehen, dass man sich in die anderen Verkehrsteilnehmenden hineinversetzen würde, sprich, die Perspektive wechselt, um abzuschätzen, wie sich eine Situation entwickeln würde. Für diesen Perspektivenwechsel bräuchte es jedoch auch das Bewusstsein des Velofahrenden über seine eigene Rolle im Geschehen. Die Befragten selbst erzählten von Situationen, in denen sie ihrer Meinung nach zu wenig vorausgeschaut haben, was dann zu einem Unfall geführt habe. «Aber eben gerade das vorausschauende Fahren, dass man weiss, was die nächsten 50 bis 100 Meter passieren wird. Versucht man auch durch so peripheres Sehen seine Umgebung zu scannen, alles was einen Einfluss haben könnte oder was den Weg kreuzen könnte.» ~ «Aber generell versuche ich immer für alle zu denken, für alle vorauszudenken, denn ich kann ja nicht davon ausgehen, dass alle für mich denken und mich sehen. Und dann schaut man halt drauf, bei den Fussgängern tut man Wege antizipieren.» 5.1.4 Sonstige sicherheitsrelevante Aspekte Folgende Ergebnisse repräsentieren Aussagen der Befragten, welche weder direkt mit den Verhaltensweisen und Eigenschaften der Velofahrenden zusammenhängen, noch 43 Darstellung der Ergebnisse Bachelorarbeit | Sophie Schneider Umgebungsreize und -informationen darstellen. Dennoch dienen sie als zusätzliche, bereichernde Informationen für die bereits gewonnenen Ergebnisse. Alle nachfolgenden Aspekte spiegeln Verbesserungs- und Veränderungsvorschläge der Befragten wider, wobei sich diese auf die Stadt Zürich fokussieren. In der Stadt Zürich gäbe es gemäss der Befragten gewisse Strassen, welche nicht optimal geregelt seien. Beispielsweise würde dies die Schaffhauserstrasse Richtung Berninastrasse betreffen. Dort sei der Veloverkehr äusserst unglücklich geregelt, da Velofahrende dort zwischen zwei Autospuren eingeklemmt seien und zusätzlich auch noch ein Kreuzverkehr zwischen diesen zwei Autospuren herrschen würde. Generell müsse es für Velofahrende eine bessere Verkehrsführung geben. Dieser Aspekt sei dabei eng verknüpft mit der Tatsache, dass es eine Vielzahl von Mischzonen (Autos & Velos oder Velos & Fussgänger miteinander) in der Stadt gäbe. Diese Mischzonen seien aufgrund der fehlenden Abgrenzung zwischen den Verkehrsteilnehmenden ein grosses Problem. Die Vermischung führe aus unterschiedlichen Gründen nicht selten zu brenzligen Situationen oder sogar zu Unfällen. Eine optimale Strassenregelung wäre dann erreicht, wenn jeder Verkehrsteilnehmende seinen eigenen Sektor haben würde: «Die Mischzonen sind ganz schlimm, wo Fussgänger und Velofahrer zusammen sind.» ~ «Dass er seine eigene Fahrspur hat, welche er nicht hat, er wird einfach noch irgendwo hingeschmissen. Also integriert, wenn man es so nennen kann.» Des Weiteren seien die bestehenden Velowege nicht wirklich auf die Geschwindigkeiten ausgelegt, welche man beispielsweise mit einem E-Bike erreichen könne. Diese seien dafür einfach zu eng. Ebenfalls gäbe es Velowege, welche im Nichts enden würden, sprich nach einer Fussgängerüberquerung einfach aufhören und der Velofahrende plötzlich auf der Strasse 44 Darstellung der Ergebnisse Bachelorarbeit | Sophie Schneider lande. Solche Umstände seien äusserst gefährlich, was mit dem folgenden Zitat unterstrichen werden kann: «Es gibt diverse Beispiele wo ein Veloweg geführt wird und dann kommt eine Fussgängerquerung und dann ist er auf einmal nicht mehr da. […] deine Fahrspur wird dann einfach aufgehoben, nachher wird sie wieder vorgesetzt, dann ist man wieder geduldet, von denen gibt’s unzählige Beispiele in der Stadt Zürich.» ~ «Als Velofahrer fühlt man sich nicht integriert oder willkommen auf einer Strasse ohne Velostreifen.» Die Befragten sehen den Bedarf einer noch besseren Veloinfrastruktur in der Stadt Zürich. Nur so wäre es möglich, eine gewisse Sicherheit zu gewährleisten und noch mehr Menschen für das Velo zu begeistern. Es brauche ein Verkehrsnetz für Velofahrende, sogenannte Hauptschlagadern, welche Velofahrende auf dem kürzesten Weg von A nach B führen würden. 5.1.5 Sonstiges In Bezug auf das Forschungsinteresse und die geschilderte Ausgangslage dieser Arbeit gab es in dieser Kategorie zwei Aussagen, welche sich auf die Präventionsarbeit beziehen und daher erläutert werden. Hinsichtlich der Thematik der Präventionsarbeit äusserten die Befragten, dass es enorm wichtig sei, diese konsequent weiterzuführen. Auch wenn es schwierig sei und vor allem nicht immer mit Erfolg gekrönt. Man müsse die Leute noch stärker sensibilisieren, was potenzielle Gefahren sind. Als Beispiel dafür wurden Schockkampagnen genannt, welche den erfahrungsgemäss grössten Einfluss auf die Bevölkerung haben würden. «Also ich finde, man muss die Präventionskampagnen einfach konsequent weiterführen.» 45 Darstellung der Ergebnisse Bachelorarbeit | Sophie Schneider Zum Abschluss der Darlegung der Ergebnisse, sollen noch zwei sehr eindrückliche Aussagen aufgezeigt werden, welche aus Sicht der Befragten die Notwendigkeit unterstreichen, dass die präventive Arbeit von grundlegender Bedeutung sei und auch weiterhin gemacht werden solle. Dazu äusserte eine der interviewten Personen eine ehrliche und vielleicht auch traurige persönliche Erkenntnis: «Meine persönliche Empfindung ist, dass die allgemeine Gesellschaft weniger Rücksicht nimmt auf die Partner als früher. Man ist anonym im Rahmen von der Gesellschaft und ist egoistischer geworden […] Es hat mit dem Respekt zu tun, welcher meiner Meinung nach in der ganzen Bevölkerung zurückgegangen ist. So von wegen ‘ich kann das schon’, ‘ich gucke schon’ und ‘ich gefährde niemanden’. Aber dass sie vielleicht mit dem Verhalten jemanden anders gefährden nehmen sie nicht wahr.» Eine Tatsache, welche sich jedoch alle Verkehrsteilnehmenden immer wieder ins Gedächtnis rufen sollten ist die folgende: «Ich glaube das hat mehr mit der Einstellung zu tun, als mit dem praktischen Fahrverhalten. Also mit der Einstellung halt, ‘ich bin konzentriert aufs Velo fahren und verhalte ich mich an erster Stelle richtig und fahre rücksichtsvoll gegenüber anderen’.» 46 Darstellung der Ergebnisse Bachelorarbeit | Sophie Schneider Ergebnis der Arbeit sollte auch eine übersichtliche Zusammenstellung der Ergebnisse für den Praxispartner sein. Dazu wurde folgende Ergebnistabelle erstellt (auch im Anhang 5): Tabelle 1 Zusammenstellung aller gewonnenen Ergebnisse aus den Interviews (eigene Darstellung) 47 Diskussion der Ergebnisse Bachelorarbeit | Sophie Schneider 6. Diskussion der Ergebnisse Im nachfolgenden Kapitel werden die gewonnenen Ergebnisse der Experteninterviews vor dem Hintergrund der theoretischen Fundierung interpretiert. Von zentraler Bedeutung ist hierbei die Beantwortung der Leitfrage (Forschungsfrage) und der dazugehörigen Nebenfragen. Dazu werden im Kapitel 6.1 in einem ersten Schritt die Nebenfragen beantwortet, welche zur Beantwortung der Leitfrage im Kapitel 6.2 dienen. Im Kapitel 6.3 werden die gewonnenen Ergebnisse kritisch reflektiert und die Limitationen der vorliegenden Arbeit aufgezeigt. Im Kapitel 6.4 wird die angewendete Methode ebenfalls kritisch reflektiert, bevor die Arbeit mit einem Fazit und weiterführenden Gedanken im Kapitel 7 abgerundet wird. Die vorliegende Bachelorthesis hatte zum Ziel die Gefahrenstellen und -situationen für Velofahrende im Zürcher Strassenverkehr in Erfahrung zu bringen sowie Möglichkeiten im Hinblick auf deren frühzeitigen Erkennung aufzuzeigen. Aus den Experteninterviews konnten Informationen zu zwei unterschiedlichen Aspekten gewonnen werden. Einerseits wurde versucht, sogenannte schwache Signale als Hinweisreize im Strassenverkehr zu eruieren und andererseits sollten andere Hinweisreize auf mögliche Gefahren gesammelt werden. Wie im Kapitel 4.6 und 5.1.1 beschrieben, konnte innerhalb der untersuchten Stichprobe und mit der Verwendung von Experteninterviews das Konstrukt der schwachen Signale nicht auf die Thematik des Strassenverkehrs übertragen werden. Diese Tatsache wird im Kapitel 6.4 näher diskutiert. Ungeachtet dessen konnten zu den folgenden Aspekten Ergebnisse gewonnen werden: 48 Diskussion der Ergebnisse Bachelorarbeit | Sophie Schneider I. Relevante Gefahrenstellen und -situationen im Zürcher Strassenverkehr, welche Velofahrenden, aufgrund ihres Potenzials zu einem Unfall zu führen, bewusst sein sollten (zweite Nebenfrage). II. Verhaltensweisen und Eigenschaften eines Velofahrenden, welche helfen können, Gefahren frühzeitig zu erkennen und durch adäquate Handlungsentscheidungen Unfälle verhindern könnten. III. Weitere sicherheitsrelevante Aspekte der Stadt Zürich, welche die allgemeine Verkehrsführung, die Veloinfrastruktur und den Umgang mit fehlbaren Velofahrenden betreffen. Die Verhaltensweisen und Eigenschaften eines Velofahrenden sowie die weiteren sicherheitsrelevanten Aspekte der Stadt Zürich stellen Nebenbefunde dar, welche im Verlauf der Untersuchung und Auswertung gewonnen wurden. Diese Nebenbefunde liefern wertvolle Daten zur Beantwortung der Forschungsfrage und werden daher im Kapitel 6.1 eingehend diskutiert. 6.1 Diskussion der Nebenfragen Der erste Schritt besteht aus der Beantwortung der Nebenfragen, wobei einige der aus den Experteninterviews gewonnenen Ergebnissen mit den theoretischen Annahmen und Ansätzen verknüpft werden. Zu Beginn sollen alle Ergebnisse zu relevanten Umgebungsreizen und -informationen nochmals übersichtlich dargestellt werden. Diese dienen zur Beantwortung der zweiten Nebenfrage, welche wie folgt lautet: «Welche anderen Hinweisreize sind ebenfalls von Bedeutung?» Aus den Interviews konnten einige Hinweisreize auf mögliche Gefahren gewonnen werden. Darunter fallen beispielsweise atypische Verhaltensweisen von Verkehrsteilnehmenden, am Strassenrand parkierte Autos oder auch Objekte, welche die Sicht auf etwas verdecken. Diese 49 Diskussion der Ergebnisse Bachelorarbeit | Sophie Schneider Umgebungsreize sollten Velofahrende bei ihrer Fahrt immer im Hinterkopf behalten, da sie unter Umständen auch auf mögliche Gefahren hinweisen können. Zusammenfassen können anhand der Informationen aus den Experteninterviews, die in der Tabelle 2 aufgeführten Umgebungsreize und -informationen auf mögliche Gefahren genannt werden: Tabelle 2 Hinweisreize aus der Umgebung auf mögliche Gefahren in Zürich 1. Generell alle Strassenverkehrsteilnehmenden (Autos, Velos, Fussgänger & Fussgängerinnen, Öffentliche Verkehrsmittel (Tram, Bus)) 2. Insbesondere atypische Verhaltensweisen 3. Körpersprache der Fussgänger und Fussgängerinnen 4. Parkierte Autos 5. Autokolonnen 6. Sichtbehinderungen (Mauern, Baustellen, Öffentliche, Verkehrsmittel (Tram, Bus), Lastwagen Hauseingänge, Ausfahrten) 7. Baustellen (Deren Verkehrsführung und Beschaffenheit) 8. Wettereinflüsse 9. Allgemeine Bodenbeschaffenheit 10. Verkehrssignalisationen (Ampeln, Verkehrsschilder und Bodenmarkierungen) 11. Örtlichkeiten in Verbindung mit der Tageszeit 12. Tageszeiten allgemein (Tag, Dämmerung und Nacht) Folgende Tabelle 3 zeigt alle aus den Experteninterviews gewonnenen relevanten Verhaltensweisen und Eigenschaften von Velofahrenden auf. Grundlegende Verhaltensweisen und Eigenschaften repräsentieren Aspekte, welche in den Interviews als Basis für die Sicherheit genannt wurden, aber im eigentlichen Sinne nicht der frühzeitigen Erkennung von Gefahren dienen. 50 Diskussion der Ergebnisse Bachelorarbeit | Sophie Schneider Zur Beantwortung der Forschungsfrage stehen die spezifischen sicherheitsrelevanten Verhaltensweisen und Eigenschaften zur Gefahrenerkennung im Zentrum der Diskussion. Tabelle 3 Sicherheitsrelevante Verhaltensweisen und Eigenschaften von Velofahrenden Grundlegendes Verhalten & Eigenschaften: Spezifisch auf Gefahrenerkennung: ✓ Sichtbarkeit durch Licht, Kleidung, ✓ Ablenkung reduzieren Handzeichen ✓ Geschwindigkeit und deren ✓ Nicht auf andere Verkehrsteilnehmende Einschätzung & Anpassung verlassen ✓ Mentale Vorbereitung auf die Route ✓ Kommunikation ✓ Absolvieren eines Trainings zur ✓ Eigene Fähigkeiten nicht überschätzen Erfahrungssammlung ✓ Strassenverkehrsregeln einhalten ✓ Vorausschauendes Fahren (antizipieren ✓ Situatives Fahren (Bremsbereitschaft, von Abläufen, Fahr- und Laufwegen, Abstand und Reduktion der durch Perspektivenwechsel) Geschwindigkeit) Diese Ergebnisse zeigen, dass in dieser Untersuchung einige in der Theorie vorgestellten Annahmen und Ansätze zur frühzeitigen Erkennung von Gefahren bestätigt werden konnten. So wird beispielsweise das vorausschauende Fahren (Antizipieren von Abläufen) durch Literatur als eine fundamentale Verhaltensweise bekräftigt. McKenna und Crick (1997) führen dazu an, dass das Antizipieren von Situationen und Verläufen, wobei damit die Fähigkeit der Gefahrenerkennung gemeint ist, als eine der wichtigsten Eigenschaften im Strassenverkehr gilt. Die Befragten sprachen dem vorausschauenden Fahren eine vergleichbar grosse Bedeutung für die frühzeitige Erkennung von Gefahren zu. In den Experteninterviews wird ebenfalls die Bedeutung des Trainings für die frühzeitige Erkennung von Gefahren ersichtlich. Die Experten sind sich einig, dass es ihnen durch ihre Erfahrung möglich ist, Gefahren mit einer höheren Wahrscheinlichkeit und früher zu 51 Diskussion der Ergebnisse Bachelorarbeit | Sophie Schneider erkennen. Bei McKenna und Crick (1997) finden sich unterstützende Argumente. Sie konnten bei Experten eine höhere Reaktionsgeschwindigkeit im Hinblick auf Gefahren feststellen, sprich Experten haben eine verbesserte Gefahrenerkennung. Doch sind sie ebenfalls der Meinung, dass die Gefahrenerkennung bei Novizen durch angemessenes Training verbessert werden kann. Sömen (1993) kann die Bedeutung der Erfahrung im Hinblick auf die Gefahrenerkennung ebenfalls bestätigen. Die Erfahrung mit kritischen Verkehrssituationen würde helfen, mentale Modelle herauszubilden, welche für die Fähigkeit des Antizipierens, und somit auch für das Erkennen von Gefahrensituationen, wichtig sind. Um diese Erfahrungen zu sammeln, schlägt Sömen (1993) Trainings vor, wobei die Teilnehmenden in einem geschützten Rahmen mit unterschiedlichsten Gefahrensituationen konfrontiert werden. Ebenso hebt Salmon et al. (2008) die Bedeutung von mentalen Modellen in Bezug auf die erleichterte Bildung und Aufrechterhaltung des Situationsbewusstseins hervor. Demzufolge wird die Aufmerksamkeit durch die mentalen Modelle einer Person auf die relevanten Aspekte gerichtet. Das Situationsbewusstsein beschreibt, gemäss Horswill und Mc Kenna (2004), die Kenntnis eines Individuums über die ihn aktuell umgebende Situation und ist für die Erkennung von möglichen Gefahren im Strassenverkehr grundlegend. Daraus kann abgeleitet werden, dass durch die im Training gebildeten mentalen Modelle die Entwicklung und Aufrechterhaltung von Situationsbewusstsein ebenfalls erleichtert werden kann. Dies könnte sich auf die frühzeitige Gefahrenerkennung ebenfalls positiv auswirken. Ebenfalls könnten Trainings für Velofahrende einen positiven Einfluss auf die Wahrnehmung von einem interessierenden Bereich (AOI) haben. Das SEEV-Konzept entstand auf Grund der Frage, warum bestimmte Umgebungsfaktoren nicht beachtet werden und ungenügend Informationen zur Handlungsentscheidung gesammelt werden. Park et al. (2018) konnten zeigen, dass durch die Erhöhung der Erwartung und Relevanz von Informationen einer AOI, 52 Diskussion der Ergebnisse Bachelorarbeit | Sophie Schneider die Aufmerksamkeit auf einen interessierenden Bereich ebenfalls höher wurde. Gemäss Park et al. (2018) kann dies bei den wissensbasierten Faktoren einer Person zugeordnet werden, wobei diese in Verbindung mit der Erfahrung und dem Situationsbewusstsein einer Person stehen. Daraus kann abgeleitet werden, dass Velofahrenden durch Training vermittelt werden kann, welche Umgebungsinformationen relevant sind und welche Erwartung sie dahingehend haben sollten. Durch diese Erfahrungssammlung könnte die Aufmerksamkeit im Hinblick auf unterschiedliche interessierende Bereiche erhöht werden und somit auch die Erkennung von Gefahren verbessert werden. Dies könnte auch in Bezug auf die Problematik der nicht sichtbaren Hinweisreize (durch Sichtbehinderungen) hilfreich sein, wobei deren Erkennung getreu Park et al. (2018) auch für Experten eine grosse Herausforderung darstellt. Dies deckt sich mit den in den Interviews gewonnenen Ergebnissen. Diese Argumente können zeigen, dass ein angemessen gestaltetes Training für Velofahrende vielfältige, positive Auswirkungen haben kann, wobei dabei vor allem die Verbesserung der Gefahrenerkennung im Zentrum steht. Des Weiteren konnte in der Untersuchung die Bedeutsamkeit der (selektiven) Aufmerksamkeit hervorgehoben werden. Denn auch hier waren sich die Experten einig: Aufmerksamkeit ist von essentieller Bedeutung und für die Sicherheit im Strassenverkehr grundlegend. Diese Aussagen können durch die Literatur auf unterschiedlichen Ebenen unterstützt werden. Einerseits steht die Aufmerksamkeit laut Schaub (2012), gemeinsam mit dem Bewusstsein, in enger Verbindung mit dem Situationsbewusstsein. Oder anders formuliert: Aufmerksamkeit ist, gemeinsam mit dem Bewusstsein, Voraussetzung für adäquates Situationsbewusstsein (Schaub, 2012). Andererseits hat die Aufmerksamkeit wichtige Funktionen, wie die der adäquaten Informationsauswahl sowie der Handlungssteuerung (Müller et al., 2015). Überdies kann eine Störung der Aufmerksamkeit 53 Diskussion der Ergebnisse Bachelorarbeit | Sophie Schneider gemäss Müller et al. (2015) weitreichende, möglicherweise sicherheitsrelevante Folgen haben. Die Störung, oder besser gesagt, die Ablenkung der Aufmerksamkeit kann dabei ganz unterschiedliche Gründe haben. In der Literatur wird von Telefonaten oder abschweifenden Gedanken gesprochen (Myers, 2014). Diese Ablenkungsquellen konnten in den Interviews bestätigt werden. Dennoch fanden sich hier noch weitere: Musik, Müdigkeit, Routine und Stress. Die Befragten betonen die Wichtigkeit, dass Velofahrende aufmerksam sein müssen, damit sie sicher von A nach B kommen. Diese Ergebnisse können mit den Befunden von Myers (2014), wobei eine durch Ablenkung um 37% geringere Gehirnaktivität in denen für das Fahren relevanten Gehirnstrukturen festgestellt werden konnte, hinsichtlich ihrer Bedeutung für die frühzeitige Gefahrenerkennung, untermauert werden. Nicht zuletzt kann auch die Bedeutung der Einschätzung und Anpassung der Geschwindigkeit im Hinblick auf die Gefahrenerkennung durch literarische Befunde bekräftigt werden. Horswill und McKenna (2004) führen dazu an, dass die Geschwindigkeit als Prädiktor für die Verwicklung in Unfälle nachgewiesen werden konnte. Mit steigender Geschwindigkeit scheint also auch die Unfallgefahr anzusteigen. Gemäss der Befragten liegt dies an der erhöhten Schwierigkeit, bei hohen Geschwindigkeiten Gefahren frühzeitig zu erkennen. 6.2 Beantwortung der Forschungsfrage Nun werden die einzelnen Ergebnisse der Nebenfragen aus dem Kapitel 6.1 zusammengeführt, damit die übergeordnete Forschungsfrage beantwortet werden kann. «Wie ist es Velofahrenden möglich, Gefahren im Strassenverkehr frühzeitig zu erkennen?» 54 Diskussion der Ergebnisse Bachelorarbeit | Sophie Schneider Die Forschungsfrage kann somit anhand von zwei unterschiedlichen Dimensionen beantwortet werden. Um Gefahren frühzeitig zu erkennen, müssen Velofahrende einerseits Kenntnisse über Hinweisreize im Hinblick auf mögliche Gefahren verfügen. Andererseits erfordert die frühzeitige Erkennung von Gefahren bestimmte Verhaltensweisen und Eigenschaften eines Velofahrenden. Das Wissen allein genügt also nicht für eine frühzeitige Erkennung von Gefahren. Dabei kann zwischen grundlegenden sicherheitsrelevanten Verhaltensweisen und Eigenschaften sowie spezifischen Verhaltensweisen und Eigenschaften zur besseren Gefahrenerkennung unterschieden werden. Die beiden Dimensionen zur Beantwortung der Forschungsfrage werden in Abbildung 3 verdeutlicht: Abbildung 3. Dimensionen der Gefahrenerkennung (eigene Darstellung) 6.3 Kritische Reflexion der Ergebnisse Die vorliegende Arbeit konnte eine Vielzahl von Ergebnissen hinsichtlich der frühzeitigen Erkennung von Gefahren im Zürcher Strassenverkehr gewinnen. Die zu Beginn formulierte übergeordnete Forschungsfrage konnte umfassend beantwortet werden. Dennoch gelten für die Ergebnisse gewisse Einschränkungen, insbesondere vor dem Hintergrund der daraus ableitbaren Handlungsempfehlungen. Beispielswiese werden die Konstrukte der Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und des Situationsbewusstseins von verschiedenen Faktoren 55 Diskussion der Ergebnisse Bachelorarbeit | Sophie Schneider beeinflusst. Die Wahrnehmung und Aufmerksamkeit steht beispielsweise unter dem Einfluss vom menschlichen Gedächtnis, der Motivation, den Erwartungen und Gefühlen einer Person. Dies bedeutet, dass Menschen immer nur das wahrnehmen, was für sie subjektiv relevant erscheint (Schaub, 2012). Die lässt die Annahme zu, dass ein Training der Aufmerksamkeit von Velofahrenden, auf Grund der beeinflussenden Faktoren und der Subjektivität, nicht den erwarteten Erfolg haben könnte. Ebenfalls muss bedacht werden, dass die selektive Aufmerksamkeit einige Defizite aufweist. Ritz (2015) erläutert die Gefahr, dass durch den starken Fokus auf ausgewählte Umgebungsreize die Möglichkeit besteht, dass andere potenziell wichtige Umgebungsreize, nicht wahrgenommen werden. In Bezug auf das Situationsbewusstsein dürfen die beeinflussenden Aufgaben- und Umweltfaktoren sowie die Limitationen durch die Aufmerksamkeit und das Arbeitsgedächtnis nicht ausser Acht gelassen werden. Hinzu kommt der Einfluss von den individuellen Fähigkeiten, den Erwartungen und Zielen einer Person, welche wiederum von den Informationsverarbeitungsprozessen beeinflusst werden (Schaub, 2012; Ritz, 2015). Helander (2006) betrachtet das Situationsbewusstsein generell als ein schwierig zu erfassendes Konstrukt. Er begründet dies vor allem mit den unbewussten Prozessen des Situationsbewusstseins. Dennoch kann dahingehend ebenfalls vermutet werden, dass dies auch der geschilderten Komplexität durch die mannigfaltigen Einflüsse auf das Situationsbewusstsein geschuldet ist. Auf der anderen Seite ist auch zu bedenken, dass mentale Modelle aufgrund ihrer subjektiven Natur fehlerhaft und unvollständig sein können. Das bedeutet, dass auch wenn ein mentales 56 Diskussion der Ergebnisse Bachelorarbeit | Sophie Schneider Modell zu einer Gefahrensituation besteht, dies nicht automatisch auch zu einer richtigen Handlungsentscheidung führt (Bach, 2000; Ritz, 2015). Auch im Hinblick auf die Gefahrenerkennung wurde in der Literatur ersichtlich, dass es schwierig sei, den Zusammenhang zwischen verbesserter Gefahrenerkennung und einer damit einhergehenden Reduktion von Unfällen festzustellen. Ergebnisse aus anderen Studien weisen nur eine kleine statistische Signifikanz auf. Die wird primär mit der Heterogenität von Unfallursachen begründet (Horswill & McKenna, 2004). Diese Einschränkung gilt auch für die Ergebnisse dieser Arbeit. Es soll dahingehend nicht behauptet werden, dass wen Velofahrende ihre Gefahrenerkennung verbessern, sie auch automatisch in weniger Unfälle verwickelt sein werden. Die Ergebnisse der Experteninterviews konnten zwar durch die in der Literatur angeführten Annahmen bekräftigt werden, dennoch müssen die beeinflussenden Faktoren vor allem bei der zukünftigen Gestaltung von praktischen Handlungsempfehlungen beachtet werden. 6.4 Kritische Reflexion der Methode Auf Grund der Tatsache, dass die Forschungsfrage umfassend beantwortet werden konnte, kann die gewählte Methode als adäquat betrachtet werden. Dies steht jedoch im Kontrast zu der gescheiterten Übertragung des Konstrukts der schwachen Signale auf die Thematik des Strassenverkehrs. In den Interviews fanden sich bei der Auswertung keine Aussagen, welche mit allen Kriterien übereinstimmten. Grund dafür könnten unter anderem die Interviewfragen sein. Es ist möglich, dass diese, trotz enormen Rechercheaufwand im Hinblick auf die Thematik und Methode, im Nachhinein nicht geeignet waren, um schwache Signale mit den damit verbundenen kognitiven Prozessen hervorzubringen. 57 Diskussion der Ergebnisse Bachelorarbeit | Sophie Schneider Ein weiterer kritischer Punkt ist, dass nicht alle interviewten Personen von kritischen Ereignissen berichten konnten. Aus diesem Grund musste ein alternativer Leitfaden entwickelt werden. Dieser war in Bezug auf die Gefahrenerkennung zwar geeignet, jedoch kam die Critical Decision Method somit nicht bei allen Interviews vollständig zur Anwendung. Eine weitere Erklärung kann die in der Literatur erläuterte Kritik am Konstrukt der schwachen Signale sein. Steinmüller (2012) kritisiert dabei in erster Linie den Begriff schwach, wobei dieser zunächst einmal definiert werden müsste. Die Schwierigkeit der Unterscheidung, zwischen einem schwachen Reiz (Weak Signal) und einem starken Reiz (Strong Signal) sowie der Anwendung der festgelegten Kriterien, zeigte sich auch in der vorliegenden Arbeit. Die theoretischen Ansätze zur Gefahrenerkennung waren im Hinblick auf den Forschungsgegenstand völlig ausreichend, was die nochmalige Unterteilung der Hinweisreize in schwache Signale und andere Hinweisreize überflüssig macht. Doch auch wenn die Übertragung des Konstrukts nicht gelungen ist, kann die in der Literatur angebrachte Kritik am Begriff mit den vorliegenden Ergebnissen bekräftigt werden. Die Entscheidung, dass das Konstrukt der schwachen Signale auf Grund schwammiger und unvollständiger Ergebnisse nicht mit in die Auswertung mit einfliessen sollte, kann aus dieser Perspektive auch als Stärke dieser Bachelorarbeit angesehen werden. Nicht zuletzt kann auch am Arbeitsprozess Kritik geübt werden. Obwohl die Bachelorarbeit schon früh startete, kam es wegen Schwierigkeiten bei der Vereinbarung von Interviewterminen zu Verzögerungen. Es wurde für diesen Teilschritt nicht genügend Zeit eingeplant, was alle darauffolgenden Arbeitsschritte ebenfalls verzögerte. Die eingerechneten Zeitpuffer vor der Abgabe gingen daraufhin verloren. 58 Fazit & weiterführende Gedanken Bachelorarbeit | Sophie Schneider 7. Fazit und weiterführende Gedanken Ziel der vorliegenden Bachelorarbeit war die empirische Ermittlung, wie Velofahrende Gefahren im Strassenverkehr frühzeitig erkennen können. Dabei kam die qualitative Methode der Experteninterviews zur Anwendung. Wobei die darin enthaltenen Fragen in Anlehnung an die Critical Decision Method von Crandall et al. (2006) formuliert wurden. Um sich mit dem Velo sicher im Zürcher Strassenverkehr fortzubewegen, braucht es einerseits Kenntnisse über mögliche Gefahren und andererseits auch Verhaltensweisen und Eigenschaften des Velofahrers und der Velofahrerin. Die Kombination beider Dimensionen ist für eine frühzeitige Erkennung von Gefahren eminent. Damit konnte die Forschungsfrage, wenn auch mit Einschränkungen, umfassend beantwortet werden. Die Praxisnähe war während der Erarbeitung der Ergebnisse stets gegeben und trug massgeblich zum Erfolg der Bachelorarbeit bei. Abschliessend lässt sich somit sagen, dass die vorliegende Bachelorarbeit als gelungen betrachtet wird. Welche Frage jedoch offen bleibt ist die der schwachen Signale und deren Existenz und Bedeutung für die Velofahrenden. Es kann an dieser Stelle nicht abschliessend gesagt werden, dass eine Übertragung des Konstrukts auf den Strassenverkehr ausgeschlossen ist. Dahingehend wäre eine weitere, eingehende Untersuchung mit einer optimierten Methode denkbar. Bei der Entwicklung dieser müsste jedoch noch intensiver und von Beginn an auf die geeignete Operationalisierung der schwachen Signale geachtet werden. Mit den Ergebnissen der Arbeit lassen sich nun Vorschläge ausarbeiten, wie und mit welchem Inhalt zukünftige Präventionskampagnen und -ansätze gestaltet werden könnten. Dies könnte ebenfalls Thema einer Weiterführung dieser Arbeit sein. In der aufgearbeiteten Literatur fanden sich dahingehend ebenfalls Anregungen, welche Anforderungen an die Gestaltung und Präsentation von Informationen gestellt werden. Gemeinsam mit den zusätzlichen Ergebnissen zu den Optimierungsvorschlägen für die Stadt Zürich, gehen aus der Arbeit 59 Fazit & weiterführende Gedanken Bachelorarbeit | Sophie Schneider einige praktische Implikationen hervor. Zukünftig könnte sich die Veloinfrastruktur stark entwickeln und für Velofahrende noch attraktiver und natürlich sicherer werden. Am Ende bleibt die Hoffnung, dass durch die vielfältigen Anstrengungen der Stadt Zürich die Velounfälle wieder zurückgehen. An dieser Stelle möchte ich mich für die Unterstützung und das Engagement bei allen Beteiligten herzlich bedanken. Dies betrifft natürlich die Velokuriere, Velokurierinnen und die Velopolizisten, welche sich allesamt viel Zeit genommen haben, um mit mir in einem gemeinsamen Interview den Problematiken des Zürcher Strassenverkehrs auf den Grund zu gehen. Insbesondere möchte ich mich auch herzlich bei Herrn Wernher Brucks und Herrn Frank Ritz bedanken, beide haben mich während der ganzen Phase der Bachelorarbeit begleitet und unterstützt und haben damit einen wesentlichen Beitrag zum Erfolg meiner Bachelorthesis geleistet. Vielen herzlichen Dank. 60 Literaturverzeichnis Bachelorarbeit | Sophie Schneider Literaturverzeichnis Ansoff, H. I. & McDonnell E. J. (1990). Implanting Strategic Management. Englewood Cliffs: Prentice International. Bach, N. (2000). Mentale Modelle als Basis von Implementierungsstratgeien – Konzepte für ein erfolgreiches Change Management. Wiesbaden: Springer Verlag. BAV (Bundesamt für Statistik). (2019). Mobilität und Verkehr – Statistischer Bericht 2018. Verfügbar unter: https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/mobilitaet- verkehr.assetdetail.1130-1800.html Clark, R. E., Feldon, D. F., Van Merrienboer J. J. G., Yates, K. & Early, S. (2008). Cognitive Task Analysis. In Spector, J. M., Merrill, M. D., van Merriënboer, J. J. G. & Driscoll, M. P. (Hrsg.) Handbook of research on educational communications and technology (3. Aufl.) (S. 578-591). Mahwah, NJ: Lawrence Erlbaum Associates. Crandall, B., Klein, G. & Hoffmann, R. R. (2006). Working Minds – A Practitioner’s Guide to Cognitive Task Analysis. Cambridge, Massachusetts: A Bardford Book. DAV (Dienstabteilung Verkehr). (2016). Im Dienste aller – Verkehrsmanagement für Zürich. 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Dimensionen der Gefahrenerkennung ................................................................ 56 Tabellenverzeichnis Tabelle 1 Zusammenstellung aller gewonnenen Ergebnisse aus den Interviews ..................... 47 Tabelle 2 Hinweisreise aus der Umgebung auf mögliche Gefahren in Zürich ........................ 50 Tabelle 3 Sicherheitsrelevante Verhaltensweisen und Eigenschaften von Velofahrenden ...... 55 64 Anhang Bachelorarbeit | Sophie Schneider Anhang Anhang 1: Leitfaden Experteninterview 1 ............................................................................... 66 Anhang 2: Leitfaden Experteninterview 2 ............................................................................... 69 Anhang 3: Vertiefungsfragen Interview ................................................................................... 70 Anhang 4: Kodierleitfaden Experteninterview ........................................................................ 71 Anhang 5: Ergebnistabelle zusammengefasst für den Praxispartner ....................................... 73 Anhang 6: Dokument der Kantonspolizei Zürich zur Gefahrenlehre ...................................... 74 65 Anhang Bachelorarbeit | Sophie Schneider Anhang 1: Leitfaden Experteninterview 1 Datum Interview:……………………….. Name interviewte Person:……………………………. Einleitung Experteninterview Ich studiere seit fast vier Jahren angewandte Psychologie an der Fachhochschule Nordwestschweiz und führe im Rahmen meiner Bachelorthesis Experteninterviews zum Thema Gefahrenerkennung im Züricher Veloverkehr durch. Es geht dabei um Ihre Wahrnehmung von Gefahren, Ihre Fähigkeit solche rechtzeitig zu erkennen und Ihr Können solche Gefahren abzuwenden. Ich möchte in der nächsten Stunde Situationen ergründen, welche für Sie in Ihrem Beruf gefährlich waren und wie Sie mit diesen umgegangen sind. Ich möchte mehr über die Art der Gefahren wissen, wo tauchten sie auf? Wann haben Sie eine Unregelmässigkeit das erste Mal wahrgenommen, also welche Hinweise gab es dahingehend? Es geht nicht darum irgendwelche Fehler Ihrerseits aufzudecken, sondern rein um das Ausfindigmachen von Gefahren im Strassenverkehr für Velofahrende. Ziel soll eine Zusammenstellung aller möglicher Gefahren sein, welche dann Präventionszwecken der Stadt Zürich dienen könnte. Dafür benötige ich jedoch Ihre Erfahrung und Ihr Wissen als jemand der tagtäglich auf den Züricher Strassen unterwegs ist, also als Experte der Thematik! Das heutige Interview wird maximal eine Stunde dauern. Dabei werde ich das Gesagte mit einem Aufnahmegerät aufzeichnen. Nun würde ich Sie bitten, das folgende Dokument aufmerksam durchzulesen und bei Einverständnis zu unterschreiben. Damit bezeugen Sie, dass Sie über den Inhalt des Interviews sowie über die Verwendung der Daten informiert wurden und sich damit einverstanden erklären. Wenn nach dem Interview Fragen auftauchen sollten, dürfen Sie mich gerne telefonisch oder per E-Mail kontaktieren. Gerne gebe ich Ihnen nochmals meine Kontaktdaten: Sophie.schneider@students.fhnw.ch 66 Anhang Bachelorarbeit | Sophie Schneider Einstiegsfragen 1. Wenn Sie in Zürich auf dem Velo unterwegs sind, welche Umgebungsreize sind für Sie dabei von Bedeutung? Alternativ: -Was nehmen Sie dabei in ihrer Umgebung alles war? -Stellen Sie sich vor, dass Sie jetzt gerade mit dem Velo unterwegs wären, auf welche Umgebungsfaktoren achten Sie dabei besonders? INTERVIEWFRAGEN a. Ereignisidentifikation (angelehnt an Working Minds S.270) ✓ Ereignis ausfindig machen ✓ Eine Übersicht über die Geschehnisse erlangen ✓ Interviewte Person muss Entscheidungsträger gewesen sein + muss das Ereignis geeignet sein hinsichtlich der Forschungsfrage Einleitung: Da es in dem heutigen Interview um Ihre Gefahrenerkennung geht, möchte ich gleich damit einsteigen, mich würde interessieren… 1. Wenn Sie auf ihre Laufbahn als Velokurier/bei der Bike-Police zurückblicken, welche gefährlichen Situationen oder Unfälle bleiben Ihnen in Erinnerung? *das können Unfälle oder auch Beinah-unfälle sein *welche Ereignisse sind Ihnen besonders lebendig in Erinnerung geblieben? b. Konstruktion eines Ablaufes mit Präzisierungen zum Ereignis ✓ Ereignis nochmals abfragen mit allen möglichen Details ✓ Konstruktion eines Ablaufes ✓ Entscheidungsknoten erörtern ✓ Klärende Fragen stellen Einleitung: Im nächsten Schritt möchte ich Sie bitten, Ereignis … (oder Interviewte Person entscheidet) auszuwählen. Es geht nun darum zu erfahren, was genau passiert ist und was dabei in Ihnen vorgegangen ist. 2. Nun möchte ich das von Ihnen geschilderte Ereignis … etwas genauer betrachten, ich würde Sie bitten, mir das Ereignis von Beginn an zu erläutern. *dabei dürfen Sie gerne ihre Wahrnehmung, Ihre Gedanken und Entscheidungen mit einbeziehen. c. Vertiefung des Ereignisses (teils angelehnt an Working Minds, S.270; Salmon) ✓ Ereignis ganzheitlich verstehen, bei Unklarheiten Fragen stellen und auf Klärung bestehen ✓ Zeithorizont benutzen 3. Was haben Sie in diesem Moment in Ihrer Umgebung wahrgenommen? 4. Wann haben Sie den Hinweisreiz/Veränderung/Unregelmässigkeit das erste Mal wahrgenommen? 67 Anhang Bachelorarbeit | Sophie Schneider 5. Wie wichtig haben Sie diese Information zunächst eingestuft? 6. Hatten die Hinweisreize einen Zusammenhang mit anderen Informationen aus der Umgebung? 7. Wann haben Sie gewusst, dass diese Hinweisreize ein Anzeichen für eine gefährliche Situation sein könnten? Wann der Hinweisreiz eine Bedeutung hat? 8. Wie haben Sie gewusst, dass die Situation gefährlich werden kann? 9. Welche Informationen haben Sie genutzt, um diese Entscheidung zu treffen? Auf welche Informationen aus der Umwelt haben Sie sich in diesem Moment konzentriert? 10. Haben Sie gewisse Informationen in diesem Moment vernachlässigt? 11. Haben Sie sich die Situation und Ihre Handlung bildlich vorgestellt? 12. Haben Sie den Verlauf der Handlung durchdacht/in die Zukunft gedacht/bildlich vorgestellt? 13. Entsprach der Handlungsverlauf Ihren Vorstellungen? 14. Haben Sie an mögliche Konsequenzen ihrer Handlung gedacht? Welche gingen Ihnen dabei durch den Kopf? 15. Welches Wissen war für Sie in dieser Situation von Bedeutung? 16. Welche Fähigkeiten ihrerseits waren in dieser Situation von Bedeutung? d. Abschluss (teils angelehnt an Working Minds) ✓ Handlungsalternativen, Verbesserungen der Handlung/Reaktion erfragen ✓ Handlungsänderungen nach dem Ereignis Einleitung: Als Abschluss des Interviews möchte ich nun noch abschliessende Fragen zum Ereignis stellen… 17. Gab es noch andere Handlungsalternativen? 18. Wenn Sie zurückblicken, was hätten Sie anders/besser machen können [damit es nicht zu einem Unfall gekommen wäre?] 19. [Haben Sie bestimmte Verhaltensweisen verändert/angepasst nach diesem Ereignis?] 20. Gibt es etwas, was Sie anderen Velofahrenden auf den Weg mitgeben wollen, damit auch diese sich sicher durch den Strassenverkehr bewegen können? 68 Anhang Bachelorarbeit | Sophie Schneider Anhang 2: Leitfaden Experteninterview 2 Alternativer Leitfaden – April 2019 1. Wenn Sie in Zürich auf dem Velo unterwegs sind, welche Umgebungsreize sind für Sie dabei von Bedeutung? Alternativ: -Was nehmen Sie dabei in ihrer Umgebung alles war? -Stellen Sie sich vor, dass Sie jetzt gerade mit dem Velo unterwegs wären, auf welche Umgebungsfaktoren achten Sie dabei besonders? Einleitung: Da es in dem heutigen Interview um Ihre Gefahrenerkennung geht, möchte ich gleich damit einsteigen, mich würde interessieren… 2. Wenn Sie auf ihre Laufbahn als Velokurier/bei der Bike-Police zurückblicken, welche gefährlichen Situationen oder Unfälle bleiben Ihnen in Erinnerung? *das können Unfälle oder auch Beinah-unfälle sein *welche Ereignisse sind Ihnen besonders lebendig in Erinnerung geblieben? 3. Was war Ihrer Meinung nach, die Ursache für dieses Ereignis? 4. Wie ist es Velofahrenden möglich, Gefahren im Strassenverkehr frühzeitig zu erkennen? Welche Aspekte sind besonders wichtig? >Antizipieren? >Aufmerksamkeit? >Gezielte Abläufe in der Wahrnehmung? >Gezielte Kontrolle per Blick von bestimmten Reizen? >Welche Umgebungsfaktoren sind wichtig? 5. Welches sind ihrer Meinung nach, die grössten Problematiken für Velofahrende im Züricher Strassenverkehr? >Umgebungsfaktoren und Hinweisreize? 6. Wie können Unfälle nachhaltig verhindert werden? >Umgebungsfaktoren und Hinweisreize? 7. Welche Aspekte im Strassenverkehr werden ihrer Meinung nach oft vernachlässigt? >Warum werden sie vernachlässigt? >Wie könnte das verbessert werden? 8. Wie relevant ist vorausschauendes Fahren im Veloverkehr? Antizipieren? 9. Welches Wissen kann von Bedeutung sein? 10. Welche Fähigkeiten können von Bedeutung sein? 11. Gibt es etwas, was Sie anderen Velofahrenden auf den Weg mitgeben wollen, damit auch diese sich sicher durch den Strassenverkehr bewegen können? 69 Anhang Bachelorarbeit | Sophie Schneider Anhang 3: Vertiefungsfragen Experteninterview CDM – Deepening questions Hinweise: 1. Was haben Sie gesehen, gehört oder wahrgenommen? 2. Wann haben sie die Informationen als erstes wahrgenommen? Wann haben sie diese Unregelmässigkeit das erste Mal wahrgenommen? 3. Wie wichtig haben sie die Hinweise eingestuft? 4. Waren die Hinweise schwierig zu erkennen? 5. Hatten die Hinweise einen Zusammenhang für sie mit anderen Geschehnissen um sie herum? Informationen: 1. Welche Informationen haben sie genutzt, um diese Entscheidung zu treffen? 2. Woher haben sie diese Informationen genommen? Analogien: 1. Wurden Sie an eine frühere Situation erinnert? Prozess: 1. War das eine Situation, für welche Sie trainiert wurden, welche sie geübt haben? Ziele und Prioritäten: 1. Was waren spezifische Ziele und Prioritäten zu diesem Zeitpunkt? 2. Was war zu diesem Zeitpunkt am Wichtigsten? Optionen: 1. Gab es noch andere Handlungsalternativen in der Situation? 2. Warum haben sie sich für diese Handlung entschieden? 3. Gab es eine Regel, dass sie diese Handlung verfolgt haben? Erfahrung: 1. Gab es ein Training oder eine Übung, welche für diese Situation von Vorteil war? Mentale Modelle: 1. Haben sie an mögliche Konsequenzen ihrer Handlung gedacht? 2. Haben sie für die Situation eine Art Bild im Kopf gehabt? 3. Haben sie sich die Situation in ihrem Verlauf vorgestellt? Entscheidungsprozess: 1. Warum wussten sie, dass es die richtige Entscheidung war? CDM- Wenn-dann Fragen 1. Welches Training hätte Ihnen bei der Situation noch geholfen oder wäre von Vorteil gewesen? 2. Welches Wissen, Informationen hätten noch geholfen? 70 Anhang Bachelorarbeit | Sophie Schneider Anhang 4: Kodierleitfaden Experteninterviews 71 Anhang Bachelorarbeit | Sophie Schneider 72 Anhang Bachelorarbeit | Sophie Schneider Anhang 5: Ergebnistabelle zusammengefasst für den Praxispartner 73