N˚ 02 2021 Aphasie VOL. 50 und verwandte Gebiete ISSN 1664–8595 et domaines associés Original Forum Forum Forum Selbstorganiserte Aphasie und Sprechangst: Dépression dans E-Inclusion – Selbsthilfegruppenarbeit Ein Scoping Review zum les Aphasies Primaires Ein interdisziplinäres, bei Aphasie – ein erster Forschungsstand Progressives Schweizerisches Aphasie- Wirksamkeitsnachweis Forschungsprojekt Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 2 Depression und Aphasie Liebe Leserinnen und Leser In dieser Oktober-Ausgabe schliessen wir das Thema Aphasie und Depression ab, zunächst mit einem Originalartikel von Sabine Corsten und Norina Lauer über die Zusammenhänge zwischen Aphasie, Lebensqualität und Selbsthilfe. Weiter geht es mit Antoine Renard, der sich mit Depressionen und Aphasie bei Patientinnen und Patienten mit Schlaganfall, vor allem aber mit degenerativer Aphasie, beschäftigt. Weiter beschreiben Sophie Ni und Hilke Hansen die Sprechangst bei Aphasie. Anschliessend fokussieren Natalie Heider und Julia Büttner-Kunert auf den Einfluss von Wortfindungsstörungen neurologisch bedingter Kommunikationsstörungen auf das Gesprächsverhalten. Weiter geht es mit Evodie Schaffner zur Beurteilung der verbalen Flexionsmorphologie bei erworbenen Sprachstörungen. Den Abschluss bildet ein Artikel von Sandra Widmer-Beierlein et al., die E-Inclusion, ein interdisziplinäres Schweizer Aphasie-Forschungsprojekt, vorstellen. Wir schliessen diese Ausgabe mit zwei Buchbesprechungen, die erste von Sönke Stanschus über das Buch «Videofluoro- skopie des Schluckaktes. Ein sprachtherapeutisches Tutorial», und die zweite von Berit Kertscher über ein Buch von Barbara Lukesch «Das Aphasie-Experiment: Wer sind wir ohne Sprache?». Für unsere Ausgaben im nächsten Jahr planen wir, das Thema Interdisziplinarität und Aphasie aufzugreifen. Bitte zögern Sie nicht, mit Fragen oder Kommentaren oder wenn Sie einen Artikel beisteuern möchten auf uns zuzukom- men. Unsere Kontaktdaten finden Sie auf https://aphasie.org/fachpersonen/fachzeitschrift/. Bei dieser Gelegenheit möchten wir auch eine Veränderung im Redaktionsteam bekannt geben. Nach drei Jahren der Zusammenarbeit verlässt uns Amélie Mantelli, um sich anderen beruflichen Projekten zu widmen. Wir sind sehr froh, an ihrer Stelle Elisa Monaco in unserem Team begrüssen zu dürfen und freuen uns sehr auf die gemeinsame Arbeit. Eine kurze persönliche Beschreibung von ihr finden Sie auf der Website: https://aphasie.org/fachpersonen/ fachzeitschrift/. Wir wünschen Ihnen eine angenehme Lektüre, Ihr Redaktionsteam Petra Jaecks, Katja Hussmann, Amélie Mantelli, Elisa Monaco, Dina Ruflin Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 3 Dépression et aphasie Chères lectrices, chers lecteurs, Dans cette édition d’octobre, nous concluons le thème Aphasie et dépression, avec tout d’abord un article original de Sabine Corsten et Norina Lauer sur les liens entre aphasie, qualité de vie et autonomie. Nous poursuivrons avec Antoine Renard qui aborde la dépression et l’aphasie chez les patients présentant un AVC, mais avec une emphase particulière dans l’aphasie primaire progressive. Puis Sophie Ni et Hilke Hansen nous parlent de la peur de parler dans l’aphasie. Ensuite, Natalie Heider et Julia Büttner-Kunert abordent l’influence des troubles d’accès lexical causés par des troubles de la communication neurologique sur le comportement en conversation. Nous continuons avec Sarah Widmer- Beierlein qui présente E-Inclusion, un projet de recherche suisse interdisciplinaire sur l’aphasie. Enfin, nous terminons avec un article d’Evodie Schaffner sur l’évaluation de la morphologie flexionnelle verbale dans les troubles acquis du langage. Pour conclure ce numéro, nous vous proposons deux revues de livres, la première réalisée par Sönke Stanschus sur un ouvrage autour de la vidéofluoroscopie de l’acte de déglutition, et la deuxième de Berit Kertscher sur un livre de Barbara Lukesch intitulé «Das Aphasie-Experiment: Wer sind wir ohne Sprache?». Pour nos numéros de l’année prochaine, nous aimerions aborder le thème de l’interdisciplinarité autour de l’aphasie. Nous recherchons donc activement des auteurs qui seraient intéressés à nous soumettre un article. N’hésitez pas à nous contacter pour toute demande d’informations ou suggestion, vous trouverez nos coordonnées sur https://aphasie.org/ fr/fachpersonen/fachzeitschrift/. Nous en profitons également pour vous annoncer un nouveau changement au sein de l’équipe éditoriale. En effet, après 3 ans de collaboration, Amélie Mantelli nous quitte pour se consacrer à d’autres projets professionnels. Nous accueillons donc Elisa Monaco pour reprendre le flambeau, et nous réjouissons de cette nouvelle contribution. Vous pouvez trouver une brève description de son parcours sur notre site: https://aphasie.org/fr/fachpersonen/fachzeit- schrift/. Nous vous souhaitons une agréable lecture, Votre équipe éditoriale Petra Jaecks, Katja Hussmann, Amélie Mantelli, Elisa Monaco, Dina Ruflin Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 4 Depression and aphasia Dear readers, In this October edition, we conclude the topic of Aphasia and depression, first with an original article by Sabine Corsten and Norina Lauer on the links between aphasia, quality of life and self-help. We continue with Antoine Renard who addresses depression and aphasia in patients with stroke, but more particularly in degenerative aphasia. Then Sophie Ni and Hilke Hansen tell us about the fear of speaking in aphasia. Then, Natalie Heider and Julia Büttner-Kunert discuss the influence of lexical access disorders caused by neurologi- cal communication disorders on conversational behavior. We continue with Evodie Schaffner on the assessment of verbal inflectional morphology in acquired language disorders. Finally, we end with an article by Sandra Widmer- Beierlein et al. who present E-Inclusion, an interdisciplinary Swiss research project on aphasia. We close this issue with two book reviews, the first by Sönke Stanschus on the book «Videofluoroskopie des Schluck- aktes. Ein sprachtherapeutisches Tutorial», and the second by Berit Kertscher on a book by Barbara Lukesch «Das Aphasie-Experiment: Wer sind wir ohne Sprache?». For our issues next year, we plan to address the topic of interdisciplinarity and aphasia. Please feel free to contact us if you would like to contribute an article or if you have any comment or question. You will find our contact details on https://aphasie.org/fachpersonen/fachzeitschrift/. We also take this opportunity to announce a new change within the editorial team. After three years of collaboration, Amélie Mantelli is leaving us to dedicate herself to other professional projects. In her place, we are pleased to welcome Elisa Monaco in our team and very much look forward to working together. You can find a short personal description of her on the website: https://aphasie.org/fachpersonen/fachzeitschrift/. We wish you a pleasant reading, Your editorial team Petra Jaecks, Katja Hussmann, Amélie Mantelli, Elisa Monaco, Dina Ruflin Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 5 Inhaltsverzeichnis | Table des matières Original 6 S elbstorganiserte Selbsthilfegruppenarbeit bei Aphasie – ein erster Wirksamkeitsnachweis Corsten, Sabine; Lauer, Norina 19 E influss von Wortfindungsstörungen neurologisch bedingter Kommunikationsstörungen auf das Gesprächsverhalten Heider, Nathalie; Büttner-Kunert, Julia Forum 35 D épression dans les Aphasies Primaires Progressives Renard, Antoine 44 A phasie und Sprechangst: Ein Scoping Review zum Forschungsstand Ni, Sophie; Hansen, Hilke 61 E valuation de la morphologie flexionnelle verbale dans les troubles acquis du langage: une pièce manquante Schaffner, Evodie 68 E -Inclusion – Ein interdisziplinäres, schweizerisches Aphasie-Forschungsprojekt Widmer-Beierlein, Sandra; et al. Revues 81 Videofluoroskopie des Schluckaktes - Ein sprachtherapeutisches Tutorial Stanschus, Sönke 83 Das Aphasie-Experiment. Wer sind wir ohne Sprache? Kertscher, Berit Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 6 Original Selbstorganisierte Selbsthilfegruppenarbeit bei Aphasie – ein erster Wirksamkeitsnachweis Corsten, Sabine ¹; Lauer, Norina ², DE | Zusammenfassung Menschen mit Aphasie erleben häufig Einbussen in Lebensqualität, Identitäts- und Autonomieerleben sowie in sozialer Teilhabe. Aphasie-Selbsthilfegruppen (ASHG) können soziale Inklusion und Anpassungsprozesse sowie Sinnerleben fördern. Von Betroffenen geleitete psychosozial ausgerichtete Gruppen können in besonderer Weise Selbstwert- erleben und Partizipation sowohl der Gruppenleitungen als auch der -mitglieder fördern. Meist werden die ASHG jedoch professionell oder von Angehörigen geleitet und integrie- ren Betroffene und Angehörige. Das Ziel des Projekts shalk ist, Menschen mit Aphasie durch eine passgenaue Schulung und Begleitung mit Moderationsübungen und biogra- phischen Inhalten zu befähigen, die Leitung von ASHG zu übernehmen. Mit der Ausrich- tung auf biographische Inhalte sollen explizit die Auseinandersetzung mit der eigenen veränderten Identität und damit das Selbstwerterleben stimuliert werden. Die Mass- nahme wurde in einem Mixed-Methods-Design mit Vor- und Nachtest sowie einer Follow-up-Untersuchung nach sechs Monaten evaluiert. Erste quantitative Daten für zwei Gruppen zeigen signifikante Verbesserungen der Lebensqualität. Sowohl Schulung als auch Transfer in die ASHG können gelingen. Dabei sind ein flexibles, übungsorientier- tes Vorgehen in den Schulungen sowie eine systematische Begleitung essenziell. Ein- flussfaktoren für das Gelingen wie etwa die Gruppenzusammensetzung gilt es zu unter- suchen, um so das passende Vorgehen für individuelle Gruppen und die Anleitung in der sprachtherapeutischen Intervention bestimmen und das Selbsthilfepotential optimal ausschöpfen zu können. Schlüsselwörter: Aphasie, Lebensqualität, Selbsthilfe, biographisch-narrative Interven- tion, Peer-Support 1 Katholische Hochschule Mainz, Fachbereich Gesundheit & Pflege 2 Ostbayerische Technische Hochschule (OTH) Regensburg Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 7 Aphasia support groups – a first proof of concept EN | Abstract People with aphasia (PWA) often experience a change in identity accompanied by a decline in quality of life, social participation, and autonomy. Aphasia support groups can promote social participation and thus adaptation processes and the sense of mean- ingful life. Usually, they are led by therapists or family members and integrate PWA as well as relatives. Peer-led groups with a focus on psychosocial support can promote self-esteem and participation of group leaders and members in a special way. The goal of the shalk project is to enable PWA to run a group by themselves and thus to increase the quality of life of leaders and participants by means of a tailor-made training and support. By focusing on biographical content, we aim to explicitly stimulate the discus- sion of one’s own changed identity and thus promote self-esteem. In a mixed method design, the intervention was evaluated with pre-tests, post-tests, and a follow-up after six months. Preliminary quantitative data show significant improvements in quality of life. A flexible, practice-oriented training and support are essential. Influencing factors, such as group composition, need to be investigated in order to determine the appropriate support for each group and to be able to optimally exploit the self-help potential. Keywords: aphasia, quality of life, support group, biographical-narrative intervention, peer-support Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 8 Original | Selbstorganisierte Selbsthilfegruppenarbeit bei Aphasie – ein erster Wirksamkeitsnachweis 1.0 Einleitung Vielmehr sind Sinnerleben, das Eingebundensein in als sinnvoll empfundene Aktivitäten und soziale Partizipa- Menschen mit Aphasie empfinden häufig Einbussen in tion entscheidend für erfolgreiche Krankheitsverarbei- Lebensqualität und psychischem Wohlbefinden (Hilari tung und psychisches Wohlbefinden (Brown et al., 2012; & Northcott, 2016), einhergehend mit einem veränderten Wray & Clarke, 2017). Identitätserleben (Shadden, 2005) und psychosozialen In einer aktuellen Übersichtsarbeit zu qualitativen Stu- Veränderungen. Lebensqualität wird als multidimensio- dien, die den erfolgreichen Umgang mit Aphasie aus nales Konzept definiert, bei dem objektive Faktoren wie Sicht der Betroffenen beleuchten, erörtern Manning et Gesundheit, soziale Eingebundenheit etc. subjektiv be- al. (2019) den Zusammenhang von Teilhabe und Identi- wertet werden (Cruice, 2010). Diese subjektive Evaluation tätserleben. Sie kommen zu dem Schluss, dass soziale wird in der Zufriedenheitsforschung als subjektives Teilhabe Identitätsarbeit durch die Auseinandersetzung Wohlbefinden bezeichnet. Eine Form des Wohlbefindens mit anderen und sinnhaftes Eingebundensein stimu- ist das psychische Wohlbefinden, das ein Modell zum liert und damit die Zunahme von Selbstbewusstsein und Verständnis mentaler Gesundheit darstellt. Es umfasst Autonomieerleben unterstützt, was wiederum ein Mehr die subjektive Bewertung von Autonomie, persönlichem an Aktivität bewirkt. Selbstbild und soziales Eingebun- Wachstum, Lebenssinn und Beziehungen zu anderen so- densein befinden sich in einem ständigen Wechselspiel, wie Umweltbewältigung und Selbstakzeptanz (Ryff & wobei Identitätsbildung in sozialer Interaktion erzähl- Singer, 1998). Das Erleben der eigenen Identität ist hier basiert oder in gemeinsamer Handlung erfolgt und als Schlüsselkonzept zu sehen. Eine sinnhafte und auf gleichzeitig soziale Teilhabe befördert. Eine gelungene Kohärenz zielende Strukturierung der eigenen Lebens- Identitätsarbeit ist damit das Kernelement für Lebens- geschichte führt zu einem positiven Identitätserleben qualität und psychische Gesundheit (s. auch Shadden, und psychischer Gesundheit (Bauer et al., 2008). Gelingen- 2005). In der Aphasie-Intervention können positive Iden- de Identitätsarbeit erfolgt entsprechend der Sozial- und titätsentwicklung und dadurch auch eine verbesserte Kulturwissenschaften durch narrative Selbstthematisie- Lebensqualität einerseits durch biographisch-narratives rungen. Dafür sind narrative Kompetenzen erforderlich, Arbeiten oder andererseits durch die unmittelbare För- die es erlauben, lebensgeschichtliche Erzählungen im derung von als sinnhaft erlebter sozialer Inklusion sti- intersubjektiven Austausch zu leisten (Lucius-Hoene, muliert werden (für einen Überblick zur Einteilung von 2000). Chronische Erkrankungen wie Aphasien können Ansätzen zur Förderung von Lebensqualität s. Corsten, zu biographischen Brüchen führen, die verstärkt Identi- 2018). Während eine erzählbasierte, auf die Geschichte tätsarbeit erfordern. Jedoch schränkt die Aphasie die ge- der Teilnehmenden ausgerichtete Vorgehensweise un- lingende Identitätsarbeit ein, da das massgebliche Instru- mittelbar die Reflexion von Selbstbild und Identität fo- ment zur Auseinandersetzung, die Sprache, beeinträchtigt kussiert (Corsten et al., 2015; Shadden, 2005), stimulieren ist (Cruice et al., 2003). als sinnhaft empfundene, gemeinsame Aktivitäten indi- Konkret berichten Menschen mit Aphasie von Einsam- rekt ein positives Selbstbild (z. B. van der Gaag et al. 2005). keit und zunehmender Distanz zu anderen (Nyström, Im Folgenden wird insbesondere auf die Förderung sozi- 2006). In Verbindung mit einer veränderten sozialen Rol- aler Partizipation eingegangen. Dabei wird abschlie- le in Familie, Freundschaften und Beruf nehmen Auto- ssend die Verknüpfung mit Anteilen biographisch-nar- nomieverlust und sozialer Rückzug zu und beeinflussen rativer Arbeit erörtert. wiederum Identitätserleben und psychisches Wohlbe- finden (Le Dorze et al., 2014). Einsamkeit beeinflusst Ge- 2.0 Theoretischer Hintergrund sundheit ähnlich negativ wie Rauchen oder andere psychosozialer Gruppenarbeit Suchterkrankungen (Gerst-Emerson & Jayawardhana, 2015). Bis zu 62 % der Betroffenen leiden zwölf Monate Obschon in der Aphasietherapie und Forschung die gra- post-onset unter Depressionen, was die Prävalenz bei vierenden Folgen für Teilhabe und Lebensqualität aner- Schlaganfallüberlebenden ohne Aphasie deutlich über- kannt werden (Simmons-Mackie, 2018), finden Einsam- steigt (Hackett et al., 2005; Kauhanen et al., 2000). Apha- keit und Partizipation bislang keine ausreichende sie reduziert damit die Lebensqualität stärker als andere Berücksichtigung (Northcott et al., 2016). In einer aktuel- chronische Erkrankungen, wie z. B. Krebs oder Alzheimer len Arbeit benennen Azios et al. (2021) zwei Ansätze zur (Lam & Wodchis, 2010). Weder der Grad der sprachlichen Förderung sozialer Teilhabe: Peer-Befriending-Massnah- Einschränkungen noch das Mass an Verbesserung der men und Gruppenangebote. Peer-Befriending umfasst sprachlichen Fähigkeiten sind jedoch ein ausreichender die Förderung von Kontakten zwischen Gleichgesinnten, Prädiktor für die Lebensqualität und psychisches Wohl- die sich in ähnlicher Situation befinden. Im Bereich der befinden (Bullier et al., 2020; Franzén-Dahlin et al., 2010). Aphasie werden etwa Tutorensysteme aufgebaut, wobei Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 9 Original | Selbstorganisierte Selbsthilfegruppenarbeit bei Aphasie – ein erster Wirksamkeitsnachweis häufig Menschen, die bereits länger erkrankt sind, ande- vorzugt, in der sich alle interaktiv einbringen und Ver- re in frühen Phasen unterstützen (Hilari et al., 2021). antwortung übernehmen können (Lanyon et al., 2018). Häufiger werden Gruppenangebote zur Teilhabeförde- Erste Daten zeigen, dass der Einbezug Betroffener in die rung in der Sprachtherapie eingesetzt (Attard et al., 2015). Leitung erfolgversprechend ist. Im Projekt «connect - the Laut Rose und Attard (2015) kennzeichnet die Gruppenar- communication disability network» (jetzt Re-connect) er- beit bei Aphasie zwei Aspekte: Menschen, die die Erfah- lebten sowohl Betroffene, die die Gesprächsleitung in rung der Sprachstörung teilen, werden regelmässig von Gruppen übernahmen, als auch die Teilnehmenden ei- einer formalen Gruppenleitung zusammengebracht. Wei- nen Zuwachs an Selbstbewusstsein und sozialer Aktivi- terhin umfasst Gruppenarbeit mindestens zwei Aktivitä- tät (Pound, 2011). Rotherham et al. (2015) führten eine ten wie Konversation, Kommunikationstraining, soziale vergleichende qualitative Untersuchung zur Wirkung und/oder psychologische Unterstützung und Informatio- von ASHG unter der Leitung von Betroffenen, Angehöri- nen zu Aphasie. Selbsterleben wird in der Gruppe durch gen oder Therapeut*innen durch. Mitglieder von selbst- den interpersonellen Austausch und durch sinnhafte Ak- organisierten Gruppen empfinden demzufolge in beson- tivitäten gefördert (Attard et al., 2015). Selbsthilfeangebote derer Weise Wertschätzung und das Gefühl, Relevantes als eine Form von Gruppenangeboten sind hier beson- beizutragen. Auch Tregea und Brown (2013) identifizie- ders bedeutsam. Mit gesundheitsbezogener Selbsthilfe ren eine besonders unterstützende und verständnisvolle sollen ein gesundheitliches Problem und dessen psycho- Kommunikation sowie spezifisches Einfühlungsvermö- soziale Konsequenzen im Austausch mit anderen bewäl- gen seitens der betroffenen Leitung als spezifischen Nut- tigt werden, um Gesundheit zu erhalten oder zu fördern zen selbstorganisierter Gruppen. Die Erfahrung mit eige- (Borgetto, 2004). Die Grundidee ist, dass die Teilnehmen- nen Kommunikationsschwierigkeiten kommt hier den sich das Angebot in einer für sie stimmigen Eigenlo- offenbar zum Tragen (Simmons-Mackie & Elman 2011). gik aneignen, es individuell gestalten und so subjektiv Relevant ist dabei die adäquate Vorbereitung auf die bedeutsamen Mehrwert erzeugen (Kade et al., 2007). Gruppenmoderation und den Umgang mit kommunika- Selbstbestimmung, Authentizität, Hoffnung und Solida- tiv schwer beeinträchtigten Teilnehmenden (Lanyon et risierung sind wesentliche Parameter, um die positive al., 2018). Ungeachtet dieser Erkenntnisse werden ASHG Wirkung der Selbsthilfe zu generieren (Moeller, 1996). überwiegend von Sprachtherapeut*innen geleitet (La- Dabei sind die Kommunikation über Gefühle sowie der nyon et al., 2013). In Deutschland werden einer Stichprobe Erfahrungs- und Wissensaustausch bedeutsam, da sie zufolge weniger als die Hälfte der ASHG von Betroffenen neue Möglichkeiten im aktionalen und emotionalen organisiert (Weber, 2017). Umgang mit dem Gesundheitsproblem eröffnen (Borget- Ähnlich wie die Gruppenorganisation zielt die Gruppen- to, 2004). zusammensetzung auf eine ausbalancierte Kommunika- Übersichtsarbeiten zeigen, dass Aphasie-Gruppen, die tion der Teilnehmenden. Dabei können Menschen mit sich auf Genesungsgeschichten, funktionale Kommuni- unterschiedlichen Aphasie-Schweregraden und variie- kation oder Problemlösung konzentrieren, gesellschaft- render Erkrankungsdauer integriert werden, da Betroffe- liche Teilhabe und Sinnerleben fördern (Attard et al., ne mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Erfahrungen 2015; Lanyon et al., 2013). Autonomieerleben, Selbstak- voneinander lernen und sich unterstützen können (Sim- zeptanz und persönliches Wachstum nehmen zu. Dabei mons-Mackie & Elman, 2011). Zur Integration schwer be- werden im Austausch mit Peers Zukunftsperspektiven einträchtigter Teilnehmender schlagen Lanyon et al. entwickelt (Bright et al., 2019). Weiterhin werden das (2018) vor, alle ASHG-Teilnehmenden in der Kommunika- Vertrauen in die eigenen Kommunikationsfähigkeiten tionsunterstützung zu schulen. Für gemischte Gruppen (Penman & Pound, 2007) sowie Kommunikationskompe- bestehend aus Angehörigen und Betroffenen wird häufig tenzen gefördert (Beeson & Holland, 2007). eine Dominanz der Angehörigen im Gespräch festge- stellt, was wiederum die Partizipation der Betroffenen 3.0 Wirkfaktoren in der Selbsthilfe verringert und bis zur Auflösung der Gruppen in zwei ge- trennte Gruppen führen kann (Croteau & LeDorze, 2006; Lanyon et al. (2018) identifizieren in einer qualitativen Rose & Attard, 2015; Tregea & Brown, 2013). Eine zuneh- Studie mit 22 Betroffenen, die in Aphasie-Selbsthilfe- mende Beteiligung und Verantwortungsübernahme in gruppen (ASHG) aktiv sind bzw. waren, drei wesentliche der Gruppendiskussion durch Betroffene nach der Tren- Faktoren, die zum Gelingen einer Gruppe beitragen: Or- nung beobachten Goldfarb und Pietro (2004). Dennoch ganisation bzw. Gruppenstruktur, Gruppenzusammen- sind laut Rose und Attard (2015) nahezu 50 % der ASHG setzung und inhaltliche Ausrichtung. gemischte Gruppen. Auf organisatorischer Ebene wird eine flache Hierarchie Bei der inhaltlichen Ausrichtung stehen als sinnhaft in der Gruppe, die Gruppenleitung eingeschlossen, be- empfundene soziale Aktivitäten sowie eine authenti- Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 10 Original | Selbstorganisierte Selbsthilfegruppenarbeit bei Aphasie – ein erster Wirksamkeitsnachweis sche, strukturierte Kommunikation zu gemeinsamen Identitätsarbeit. Explorativ sollen die Umsetzbarkeit der wie auch lebensgeschichtlich relevanten Themen im Schulung sowie der Transfer des Gelernten in die Gruppe Vordergrund (Attard et al., 2018; Lanyon et al., 2018). Rein untersucht werden. Ergänzend wurde ein selbstorgani- biographische Ansätze wurden bislang vereinzelt in pro- siertes Angebot für Angehörige konzipiert (s. hierzu fessionell geleiteten Gruppen erprobt. Dabei konnte ge- Kempf et al., 2016). zeigt werden, dass Identitätsentwicklungsprozesse und der Aufbau sinnhafter Beziehungen stimuliert werden 4.0 Methode (Corsten et al., 2014; Corsten et al., 2015; Shadden & Hags- trom, 2007; Strong et al., 2018). Durch die Rekonstruktion 4.1 Studiendesign der eigenen Lebensgeschichte im interpersonellen Aus- Die Studie wurde in einem Prätest-Posttest-Kontroll- tausch werden Selbstwertgefühl und Sinnstiftung sowie gruppendesign mit Follow-up-Untersuchung nach sechs Krankheitsverarbeitung gefördert. Eigene Ressourcen Monaten durchgeführt. Nach einer dreitägigen Schu- wie erfolgreich eingesetzte Strategien in der Bewälti- lung der Betroffenen, die sich bereit erklärt hatten, eine gung von Lebenskrisen werden vergegenwärtigt und Leitungsfunktion in der ASHG zu übernehmen, wurden können wieder genutzt werden, was den Umgang mit die ASHG in einer Einführungsphase über sechs Monate biographischen Brüchen, wie einer Aphasie, erleichtert von Projektmitarbeitenden intensiv begleitet. In der fol- (Lucius-Hoene, 2008). Mit der spezifisch entwickelten, genden 6-monatigen Experimentalphase wurde die Be- strukturierten Massnahme narraktiv (Corsten et al., 2015) gleitung reduziert, um anschliessend für weitere sechs wurden signifikante und klinisch relevante Verbesse- Monate die Gruppen eigenständig fortzuführen. In jeder rungen in Lebensqualität und Depressionsgrad erzielt. Phase fanden einmal monatlich Treffen statt. Leitungen In der qualitativen Evaluation wurden Gefühle vergrös- sowie betroffene Gruppenmitglieder wurden zur Mes- serter Handlungsfähigkeit und Kontrollerlebens sowie sung des primären Outcomes zu Beginn sowie nach je- ein sich wandelndes, vermehrt ressourcenorientiertes der Studienphase mit dem Aachener Lebensqualitätsin- Krankheitskonzept identifiziert, das sich in zunehmen- ventar (ALQI, Engell et al., 2003) untersucht. Die de Aktivitäten übersetzte. Zur Anpassung an die Aphasie Kontrollgruppen wurden im gleichen Turnus 3-mal un- wurde multimodal z. B. mit Visualisierungen gearbeitet tersucht. (s. Corsten & Hardering, 2015; 2018; Schimpf & Corsten, Die Schulung für die Leitungspersonen erstreckte sich 2016). über drei Tage mit 16 Lerneinheiten à 45 Minuten. Bis zu Ziel des Projekts shalk – Selbsthilfegruppenarbeit bei Aphasie acht Personen nahmen an einer Schulung teil. Geleitet zur Steigerung der Lebensqualität und Kompetenz ist es, die wurden die Schulungen von einem interdisziplinären Lebensqualität von Menschen mit Aphasie durch die Lei- Tandem, bestehend aus einem Soziologen und einer tung einer selbstorganisierten Selbsthilfegruppe bzw. Sprachtherapeutin. Damit konnten Themen wie Biogra- durch die Teilnahme an einer selbstorganisierten Selbst- phiearbeit, federführend durch den Soziologen, und Mög- hilfegruppe zu verbessern. Betroffene sollen durch eine lichkeiten zur Unterstützung der Kommunikation von gezielt auf sie ausgerichtete Schulung dazu befähigt wer- Teilnehmenden der ASHG, verstärkt durch die Sprachthe- den, die Leitung und Moderation einer ASHG unter Inte- rapeutin, abgedeckt werden. Überdies war durch die gration biographisch-narrativer Gesprächsanteile zu sprachtherapeutische Expertise die nötige sprachliche übernehmen. Damit werden zwei wesentliche Aspekte Unterstützung während der Schulung gesichert. Abbil- zur Förderung der Lebensqualität miteinander verbun- dung 1 zeigt das Studiendesign. den: Subjektiv sinnhafte Interaktion und erzählbasierte Abbildung 1: Design shalk. Aachener Lebensqualitätsinventar (ALQI) Interventions - Einführungsphase Experimentalphase Autonome Phase gruppen (1 Treffen je Monat) (1 Treffen je Monat) (1 Treffen je Monat) 1–9 Treffen der Angehörigen Autonome Phase Kontrollgruppen Reguläre Treffen Reguläre Treffen 1–5 ≥ Zeit in Monaten ≥ 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 Testung: ALQI¹ t0 t1 t2 t3 Schulung Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 11 Original | Selbstorganisierte Selbsthilfegruppenarbeit bei Aphasie – ein erster Wirksamkeitsnachweis 4.2 Intervention Modul 1: Basiswissen Selbsthilfegruppen Ausgehend von externen Evidenzen und eigens im Sinne • Ziele von Selbsthilfe & Eigene Ressourcen partizipativer Forschung erhobenen Daten, u. a. durch in der Leitungsposition • Moderationsaufgaben eine Fokusgruppenerhebung mit Vertreter*innen der ASHG (s. auch Corsten et al., 2014), wurden die Schulung Modul 2: Moderation - Einführung für Betroffene und das Konzept für die Begleitung der • Einführung Biographiearbeit Gruppen nach der Schulung konzipiert. Schulung und • Fragetechniken & Hilfsmittel Begleitphase orientieren sich am handlungsorientierten Modul 3: Moderation - Weiterführung Ansatz nach Gudjons (2008) und der Ermöglichungsdi- • Vertiefung Fragetechniken daktik (Arnold & Gomez-Tutor, 2007) sowie an der Metho- • Umgang mit Kommunikationsbarrieren de des Cognitive Apprenticeship (Collins et al., 1989). Da- Modul 4: Gruppentreffen bei zielt das shalk-Konzept auf die Förderung von • Planung erstes Treffen, zeitliche & inhaltliche Gestaltung Eigenverantwortlichkeit, die Orientierung an den Teil- • Organisatorisches nehmenden und die praktische Erprobung des Erarbei- Tabelle 1: Module der shalk-Schulung – alle Module beinhalten praktische Übungen teten etwa in praktischen Übungseinheiten ab. Unter Berücksichtigung der individuellen Lebenserfahrung Als spezifische Anpassung an die Teilnehmenden der der Teilnehmenden mit unterschiedlichen Lernbiogra- ASHG wurde der Einsatz von Piktogrammen und Fotos phien, gemeinsamer Zielsetzungen und eines schritt- zu Bezugspersonen, Lebensphasen, wichtigen Orten und weisen Vorgehens wird den Lernanforderungen von verschiedenen Aktivitäten, von gross geschriebenen Menschen mit Aphasie Rechnung getragen (vgl. Corsten Schlüsselbegriffen und analogen Likert-Skalen zur sub- & Grewe, 2017). Zur Wissensvermittlung werden Modell- jektiven Bewertung von Gesprächsinhalten sowie Mode- Lernen, Coaching, z. B. bei Kommunikationsproblemen in rationskarten und Arbeitsblättern zur Gesprächsstimu- der Gruppe, und eine kontinuierliche Hilfenabnahme zur lation eingeübt (s. z. B. Brown & Knox, 2010; Schimpf & Förderung einer zunehmenden Selbstständigkeit einge- Corsten, 2016). Es wurde insgesamt Material zu 16 Themen setzt. erstellt. Auf methodischer wie inhaltlicher Ebene wurde in vier Die sich an die Schulung anschliessende Begleitung ging Modulen organisatorisches und fachliches Wissen zu von einer engen in eine lose Begleitung über, mit jeweils Aufbau und Leitung der ASHG vermittelt. Modul 1 zu «Ba- sechs monatlichen Treffen. Von den ersten sechs Treffen siswissen Selbsthilfegruppen» beinhaltete die Definition während der Einführungsphase wurden vier von der von Zielen für ASHG sowie das Erkennen eigener Res- Schulungsleitung besucht und in einer Art teilnehmen- sourcen, um Selbstvertrauen in die Leitungsfähigkeit zu den Beobachtung begleitet, d. h., die Schulungsleitung stärken. Die Module 2 und 3 fokussierten die «Moderati- verhielt sich passiv und unterstützte die Leitung nur auf on». Auf sozial-kommunikativer Ebene stand die Ge- Verlangen. Kritische Punkte wie der Umgang mit Stö- sprächsleitung im Mittelpunkt mit Demonstrationen rungen wurden mit Leitung und Co-Leitung nachbe- und Übungen zur Moderation. Hier waren auch Basis- sprochen. Zudem wurden die ersten sechs Treffen telefo- kenntnisse zu biographisch-narrativer Arbeit Inhalt, z. B. nisch mit den Leitungspersonen vor- und nachbereitet. zu den Zielen und Leitprinzipien. Dabei wurden auch Während der anschliessenden Experimentalphase lag Themen für die Gruppengespräche zusammengestellt, die Verantwortung bei den Leitungspersonen, nur auf wie etwa Reisen, Familie etc. (s. auch Corsten & Harde- Nachfrage sollte unterstützt werden. Teilweise waren ring, 2015; 2018). Auf emotionaler Ebene sollte durch weitere Besuche erforderlich, um die eingeführte Vorge- praktische Übungen Selbstvertrauen erzeugt werden (s. hensweise zu stabilisieren und Problemlösestrategien zu Tabelle 1). In Modul 4 zu «Gruppentreffen» wurde Wissen entwickeln, zum Beispiel im Umgang mit Kommunika- zu Organisatorischem wie Mitgliederakquise vermittelt. tionsproblemen wie ausgeprägten Einschränkungen in Zudem stand die zeitliche und inhaltliche Planung des der Wortfindung einzelner Gruppenmitglieder. Bereits ersten Treffens im Vordergrund, um den Start der Grup- die teilnehmenden Beobachtungen und auch die Nach- penarbeit zu erleichtern. Methodisch lösten sich Im- besprechungen lieferten Hinweise zur Umsetzbarkeit pulsvorträge zur Informationsvermittlung, Gruppenar- der Massnahme. Nach der Experimentalphase endete die beiten zur selbstgesteuerten Wissensaneignung und Begleitung der Gruppen. Das genaue Vorgehen bei der Rollenspiele zur Einübung und Reflexion von Verhal- Begleitung der Gruppen beschreiben Corsten et al. (2018). tensweisen ab. Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 12 Original | Selbstorganisierte Selbsthilfegruppenarbeit bei Aphasie – ein erster Wirksamkeitsnachweis 4.3 Evaluation dies sollten die Daten Aufschluss über die Umsetzbarkeit Die Messung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität der Massnahme geben. Diese ergänzenden Daten werden als primärer Outcome erfolgte zu allen Messzeitpunkten an anderer Stelle publiziert. mit dem ALQI (Engell et al., 2003). Der Test umfasst 117 Items der Dimensionen «Physisch», «Psychosozial», «Ko- 4.4 Auswertung gnition» und «Sprache». Jedes Item wird hinsichtlich Die inferenzstatistische Auswertung der ALQI-Daten seines Zutreffens (Beschwerde) dichotom und der damit (Engell et al., 2003) erfolgte mit dem Statistikprogramm einhergehenden Belastung auf einer dreistufigen Skala IBM SPSS 21.0. Nach Prüfung auf Normalverteilung mit bewertet. So wird die subjektive Bewertung abgefragter dem Kolmogorov-Smirnov-Test wurden die Veränderun- Beschwerden ermöglicht. Ein Beispielitem der Dimensi- gen in den Gesamtscores Beschwerde und Belastung so- on «Psychosozial» lautet «oft allein». Bei einer Bewertung wie in den einzelnen Dimensionen als Prä-Post-Analyse im Beschwerdenscore mit «ja» erfolgt die Abfrage, ob dies mit einem Beobachtungszeitraum von jeweils sechs Mo- «egal, schlimm oder sehr schlimm» ist (siehe Engell et naten einseitig mit dem Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Test al., 2003). Der bildunterstützte Test ist auch für Personen analysiert. Aufgrund von Mehrfachvergleichen wurden mit mittelgradiger Aphasie geeignet. Das Beschwerde- nach Bonferroni-Korrektur nur p-Werte ≤.02 als statis- und auch das Belastungsmass können jeweils für alle tisch signifikant definiert. Zur Bestimmung der klini- Items als Gesamtscore und je Dimension berechnet wer- schen Wirksamkeit wurden Effektgrössen unter Ver- den. Ein geringer Wert bedeutet eine geringe Anzahl von wendung von Cohen’s d berechnet. Beschwerden bzw. eine niedrige Belastung, was mit einer besseren Lebensqualität assoziiert ist. Der ALQI verfügt 4.5 Teilnehmende über eine hohe interne Konsistenz und eine hohe Die Teilnehmendenakquise erfolgte über ambulante lo- Split-Half-Reliabilität für den Gesamtscore (Engell et al., gopädische Praxen und Selbsthilfegruppen im Rhein- 2003). In Voruntersuchungen wurde gezeigt, dass er sen- Main-Gebiet sowie in angrenzenden Bundesländern. sitiv für Veränderungen ist (Engell et al., 2000). Alle potenziellen Gruppenleitungen wurden mit dem Die Untersuchungen wurden durch ausgebildete Sprach- Aachener Aphasie-Test (AAT, Huber et al., 1983) unter- therapeutInnen durchgeführt, die nicht in die Interven- sucht. Die sprachlichen Leistungen der Gruppenmitglie- tion eingebunden waren, um möglichen Ergebnisverzer- der wurden klinisch eingeschätzt. Alle Teilnehmenden rungen entgegenzuwirken. Da es sich beim ALQI (Engell wurden über den Ablauf der Studie informiert und un- et al., 2003) darüber hinaus um ein Selbstbewertungsins- terzeichneten eine Einverständniserklärung. Es liegt ein trument handelt, ist der Einfluss der Untersuchenden Ethikvotum der Deutschen Gesellschaft für Pflegewis- ohnehin gering. Zur Unterstützung wurde jedes Item senschaft vor (Identifikationsnummer 15-007). laut vorgelesen, und es wurde auf das zugehörige Bild ge- Für die Gruppenleitung und Co-Leitung der selbstorga- zeigt. Wir berichten hier die Ergebnisse des ALQI für nisierten Selbsthilfegruppen galten als Einschlusskrite- zwei Interventionsgruppen über die ersten drei Mess- rien das Vorliegen einer chronischen Aphasie (mind. zeitpunkte. sechs Monate nach Beginn), ein maximal mittelgradig Zu allen Messzeitpunkten wurden überdies strukturierte eingeschränktes Sprachverständnis (mind. Prozentrang Tagebücher zur Einschätzung «sozialer Beziehungen/Ak- 62 im Untertest Sprachverständnis des AAT; Huber et al. tivitäten» und dabei empfundener Emotionen eingesetzt, 1983) und eine maximal mittelgradige Einschränkung die an zwei aufeinander folgenden Tagen jeweils nach der Spontansprache (Punktwert 3 im Kommunikations- dem Untersuchungstag ausgefüllt werden sollten (Bach et verhalten im Spontansprachprofil des AAT). Aufgrund al., 2013; Leopold, 2016). Es erfolgte zudem eine Videogra- des multimodal aufbereiteten Materials für die Mass- phie des ersten, sechsten und zwölften Gruppentreffens. nahme, der Arbeit mit Co-Gruppenleitungen und Proble- Alle Gruppenmitglieder und die jeweilige Leitung wurden men bei der Rekrutierung wurden auch Personen mit mittels eines Fragebogens mit Mehrfachwahlfragen bzw. schweren Beeinträchtigungen in der Sprachproduktion Likert-Skalen befragt. Zur Follow-up-Untersuchung wur- eingeschlossen (≤ Punktwert 3 im Kommunikationsver- den halb-strukturierte Interviews mit jeweils einer Lei- halten im Spontansprachprofil des AAT). Personen, die tungsperson und zwei zufällig ausgewählten Teilnehmen- diese Kriterien nicht erfüllten, wurden von der Leitung den von zwei Gruppen durchgeführt. Mit den qualitativen ausgeschlossen. Für die Gruppenmitglieder oder deren Instrumenten sollte der Wirkmechanismus der Massnah- Angehörige wurden keine Ein- oder Ausschlusskriterien me analysiert werden, um so eine Erklärung für mögliche festgelegt, da es sich um ein natürliches Setting handeln quantitative Veränderungen sichtbar zu machen. Über- sollte, das vorhandene oder natürlich entstehende Grup- Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 13 Original | Selbstorganisierte Selbsthilfegruppenarbeit bei Aphasie – ein erster Wirksamkeitsnachweis penzusammensetzungen beibehalten oder abbilden soll- Leitungen und Gruppenmitglieder, 62 Jahre alt (SD = te. Auch Betroffene mit einem schweren Sprachproduk- 7,49). Zwölf Teilnehmende waren männlich, fünf weib- tionsdefizit können erfolgreich teilnehmen, da das lich. Bei allen lag eine chronische, im Schweregrad un- Vorgehen in Massnahme und Intervention entspre- terschiedliche Aphasie vor. Die durchschnittliche Zeit chend multimodal angepasst wurde (vgl. Davidson et al., post-onset betrug 114,37 Monate (SD = 106.82). Die Teil- 2008). Mitglieder bestehender Selbsthilfegruppen, die nehmendendaten finden sich in Tabelle 2. In einer Grup- nicht an der Studie teilnehmen wollten, wurden nicht pe fiel eines der zwölf Treffen aus. Alle Studienteilneh- getestet, konnten aber trotzdem an den Gruppentreffen menden besuchten mindestens 50 % der Treffen. teilnehmen. Es wurden neun ASHG eingeschlossen, wovon sieben zu- Demographische Daten Teilnehmende (n=17) vor von TherapeutInnen oder Angehörigen geleitet und Mittleres Alter in Jahren (SD), 62,00 (7,49), 52–76 zwei neu gegründet wurden. Insgesamt 13 Personen mit Range überwiegend leichter Aphasie willigten ein, die Leitung Männer, n (%) 12 (70,6) bzw. Co-Leitung zu übernehmen, d. h., die Gruppen wur- den anschliessend in der Regel von zwei Personen, Lei- Mittlere Zeit post-onset 114,37 (106,82), in Monaten (SD), Range 10–444 tung und Co-Leitung, organsiert und moderiert. Keine Schweregrad der sprachlichen Einschränkung 1, n (%) der Personen hatte zuvor ein Gruppenleitungstraining absolviert. Als Kontrollgruppe fungierten Mitglieder aus leicht 6 (35,3) fünf bestehenden ASHG, die nicht von Betroffenen gelei- mittelgradig 3 (17,6) tet werden. Wir berichten hier die Ergebnisse für die ers- schwer 8 (47,1) ten zwei Gruppen, wovon eine zuvor eine professionelle Tabelle 2: Demographische Daten der Teilnehmenden Leitung hatte, und eine von einem Angehörigen geleitet ¹ Klinische Einschätzung wurde. Im Durchschnitt waren die 17 Teilnehmenden, Test t0 t1 t2 t0 vs. t1 t0 vs. t2 Mittelwert Mittelwert Mittelwert p-Werte² p-Werte² (95 % CI) (95 % CI) (95 % CI) Cohen’s d Cohen’s d (Einführung) (Experimental) ALQI1 Beschwerde Gesamt (117 Items) 3,69 (1,94) 3,14 (2,26) 2,58 (1,55) ,033 ,033 ,260 ,635 ALQI Physisch 3,39 (2,62) 3,08 (2,83) 2,35 (2,34) ,179 ,182 (40 Items) ,114 ,420 ALQI Psychosozial 3,36 (1,76) 2,63 (2,41) 2,16 (1,33) ,037 ,016* (50 Items) ,334 ,773 ALQI Kognition 5,00 (2,00) 4,67 (2,34) 4,57 (1,92) ,281 ,242 (14 Items) ,151 ,220 ALQI Sprache 4,51 (2,50) 3,64 (2,67) 2,72 (2,05) ,072 ,015* (13 Items) ,336 ,786 ALQI Belastung Gesamt 2,43 (2,50) 1,95 (1,40) 1,60 (1,20) ,014* ,010* (117 Items) ,336 ,623 ALQI Phyisch 2,30 (1,97) 1,97 (2,03) 1,58 (1,94) ,141 ,005* (40 Items) ,165 ,368 ALQI Psychosozial 2,12 (1,22) 1,65 (1,33) 1,30 (1,00) ,059 ,006* (50 Items) ,368 ,738 ALQI Kognition 3,47 (1,70) 2,73 (1,48) 2,71 (1,38) ,020 ,029 (14 Items) ,465 ,493 ALQI Sprache 2,97 (2,12) 2,22 (1,75) 1,56 (1,28) ,038 ,004* (13 Items) ,387 ,812 Tabelle 3: Interventionseffekte über Einführungs- und Experimentalp hase gemessen mit dem ALQI ¹ Aachener Lebensqualitätsinventar (ALQI, Engell et al., 2003), transformierte Werte, Maximalwert 10 im Gesamtscore und in den Dimensionen ² Wilcoxon-Vorzeichen-Rangtest, zweiseitig *signifikant nach Bonferroni Adjustierung CI = confidence interval Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 14 Original | Selbstorganisierte Selbsthilfegruppenarbeit bei Aphasie – ein erster Wirksamkeitsnachweis 5.0 Ergebnisse lungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit befördert werden (Corsten et al., 2015). Dies geht auch damit einher, dass Für die Baseline konnten die Datensätze von 14 Teilneh- sich deutlichere Verbesserungen im Belastungs- als im menden, für die weiteren Messzeitpunkte die Daten von Beschwerdescore des ALQI zeigen. Der Belastungsscore 15 Teilnehmenden analysiert werden. Für zwei Teilneh- spiegelt insbesondere die subjektive Wahrnehmung wi- mende lagen unvollständige Datensätze vor. der, die auch im Selbstbild zum Ausdruck kommt. Um Für den Beschwerdescore fanden sich signifikante Ver- den Wirkmechanismus weiter bestimmen zu können, besserungen in der gesundheitsbezogenen Lebensquali- müssen jedoch die qualitativen Daten ausgewertet wer- tät gemessen mit dem ALQI (Engell et al., 2003) von der den. Baseline (t0) bis zum Ende der Experimentalphase (t2) in Die Verbesserung in der Lebensqualität begann bereits den Dimensionen Psychosozial (Wilcoxon-Vorzeichen- in der Einführungsphase und setzte sich dann fort, so Rang-Test, zweiseitig, p <.02; Cohen’s d =.773) und Spra- dass signifikante Veränderungen insbesondere von der che (p <.02; Cohen’s d =.786). Im Belastungsscore zeigte Baseline-Untersuchung bis zur Untersuchung nach der sich für den Gesamscore von der Baseline (t0) bis zum Experimentalphase festzustellen sind. Dies kann damit Ende der Einführungsphase (t1) sowie von der Baseline erklärt werden, dass sich durch Biographiearbeit ange- (t0) bis zum Ende der Experimentalphase (t2) jeweils stossene Reflexionsprozesse über einen längeren Zeit- eine signifikante Zunahme der Lebensqualität (t0 zu t1: p raum auswirken. In der narraktiv-Studie fanden sich die <.02; Cohen’s d =.336; t0 zu t2: p =.01; Cohen’s d =.623). Da- grössten Auswirkungen von der Nachuntersuchung zur rüber hinaus ergaben sich signifikante Verbesserungen Follow-up Untersuchung drei Monate später (Corsten et in den folgenden Dimensionen im Belastungsscore von al., 2015). Ein weiterer Erklärungsansatz besteht darin, der Baseline (t0) bis zum Ende der Experimentalphase dass die selbstständige Umsetzung des Konzepts in der (t2): Physisch (p <.01; Cohen’s d =.368), Psychosozial Gruppe Zeit benötigt. Es findet sich jedoch bereits initial (p <.01; Cohen’s d =.738) und Sprache (p <.01; Cohen’s ein deutlicher Effekt in der Einführungsphase, was gege- d =.812). Für den Gesamtbeschwerdescore und alle weite- benenfalls durch die Veränderung der bestehenden ren Dimensionen zeigte sich jeweils von Messzeitpunkt Gruppensituation ausgelöst wurde. Die noch auszuwer- zu Messzeitpunkt eine Abnahme der Werte, was Tenden- tenden Follow-up Daten werden weiteren Aufschluss zen zu einer Steigerung der Lebensqualität anzeigt. Diese über die Wirksamkeit der Massnahme geben. Veränderungen waren jedoch nicht signifikant. Tabelle 3 Die Leitungspersonen nahmen an der kompletten Schu- zeigt die Ergebnisse je Score und Dimension. lung teil und konnten die Übungen umsetzen. Wie die teilnehmenden Beobachtungen und Nachbesprechun- 6.0 Diskussion gen während der Begleitphase zeigten, konnten sie In- halte der Schulung in die Gruppenarbeit überführen. Die Entsprechend der Theorie konnten Leitungspersonen Anlehnung an aktivierende Lehrmethoden (Arnold & und Teilnehmende von eigenverantwortlich geführten Gomez-Tutor, 2007; Collins et al., 1989; Gudjons, 2008) so- ASHG verknüpft mit biographisch-narrativer Arbeit pro- wie an Lernprinzipien unter der Besonderheit einer fitieren. Nach einer angepassten Schulung konnten Be- Aphasie (Corsten & Grewe, 2017) erscheint demzufolge troffene die Leitung mit abnehmender Unterstützung adäquat. Schulung und Begleitphase erfordern aber me- durch Mitarbeitende des Projekts übernehmen. Es konn- thodisch wie inhaltlich grosse Flexibilität und individu- te über alle Teilnehmenden eine kontinuierliche Zunah- elle Anpassungen. Dabei war in der Schulung ein hand- me der Lebensqualität über die Einführungs- und Expe- lungsorientiertes Vorgehen mit praktischen Übungen rimentalphase, die sich über je sechs Monate erstreckten, besonders zielführend. So wurden Frageformen wie res- insbesondere im Belastungsscore des ALQI (Engell et al., sourcenorientierte Fragen unmittelbar in der Gruppe er- 2013) festgestellt werden. Dies könnte damit erklärt wer- probt. Insbesondere sollten auch Selbstwirksamkeitser- den, dass die Selbstorganisation und das ausschliessliche fahrungen ermöglicht werden, was auch für die Zusammensein mit Peers zu einem zunehmendem Auto- Begleitphase gilt. Dies geht mit der Idee einher, dass ein nomiegefühl und einem positiven Selbstbild beigetragen verändertes Selbstbild mit grösserem Vertrauen in die ei- haben, was in der Literatur als Wirkmechanismus selbst- genen Fähigkeiten als Kernelement für Verantwortungs- organisierter Partizipation beschrieben wird (Manning übernahme und zunehmende Aktivitäten zu sehen ist, et al., 2019; Rotherham et al., 2015). Hierzu könnte auch und daraus wiederum zunehmend erwächst (Bright et die biographische Ausrichtung der Gruppentreffen bei- al., 2019). Weitere Aussagen dazu versprechen die quali- getragen haben. In professionell geleiteten Gruppen zu tativen Daten des Projekts, die an anderer Stelle publi- Biographiearbeit bei Aphasie nach dem narraktiv-Ansatz ziert werden. konnte ein positives Selbstbild mit Gefühlen von Hand- Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 15 Original | Selbstorganisierte Selbsthilfegruppenarbeit bei Aphasie – ein erster Wirksamkeitsnachweis Die strukturierte Durchführung der Gruppenarbeit mit nioreneinrichtungen nutzen können und deren Einsatz biographisch-narrativen Inhalten konnten die Gruppen- auch in ASHG denkbar wäre (Corsten & Lauer, 2020). leitungen nicht konsequent umsetzen, was ggf. weitere Schliesslich ist neben der Anbahnung neuer Kontakte Verbesserungen in der Lebensqualität verhindert hat. die Förderung des vor der Aphasie bestehenden sozialen Hier erscheint eine längere Einarbeitung erforderlich, Netzwerks, was Peer-Befriending Ansätze ergänzt, ein um Frustrationen in der Moderation vorzubeugen. wichtiger Punkt zum Erhalt bzw. der Steigerung von Le- Gleichzeitig muss überlegt werden, ob gruppenspezi- bensqualität. Hierzu müssen Angehörige und FreundIn- fisch unterschiedliche Ausrichtungen angezeigt sind, bei nen entsprechend mit in die Angebote integriert werden. vielen schwer Betroffenen in der Gruppe könnte z. B. ein Eine erste strukturierte Forschungsagenda entwerfen eher handlungsorientiertes Vorgehen passend sein (Ro- Azios et al. (2021), wonach zunächst im Rahmen qualita- therham et al., 2015). tiver Forschung die Perspektive und Wünsche Betroffe- Wie bereits von Lanyon et al. (2018) festgestellt, ist die ner aber auch ihnen nahestehender Personen unter- Gruppenzusammensetzung mit besonderen Herausfor- sucht werden, um darauf aufbauend entsprechende derungen verbunden. Die Integration von Betroffenen Angebote zu entwickeln. mit schweren sprachlichen Beeinträchtigungen stellte eine besondere Herausforderung dar. Durch Hilfsmittel 7.0 Fazit wie Visualisierungen, die durch die ASHG-Leitung einge- setzt werden konnten, konnten erste Unterstützungs- Da es bisher kaum systematische Evidenz in diesem Be- möglichkeiten eingeführt werden. Jedoch ist zu überle- reich gibt, sind die vorläufigen Ergebnisse ein erster rele- gen, ob in Gruppen mit stark heterogener Besetzung ein vanter Beleg dafür, dass selbstgeleitete, strukturierte Kommunikationstraining für alle Teilnehmenden ange- ASHG gelingen und zu einer gesteigerten Lebensqualität boten wird. Weiterhin erwies sich in bereits bestehen- beitragen können. Neben einem Ausbau der Schulungs- den Gruppen die Trennung von Betroffenen und Angehö- und Begleitangebote, ggf. auch unter Berücksichtigung rigen als schwierig. Ein Angebot für Angehörige, das hier anderer Gruppenausrichtungen, gilt es, die ausstehen- ein erster Lösungsansatz sein kann (s. auch Attard et al., den Daten zur shalk-Massnahme zu analysieren und die 2018), wurde im Projekt parallel entwickelt (Kempf et al., Stabilität der Veränderungen zu evaluieren. Die qualita- 2016). tiven Daten zur Perspektive der Teilnehmenden werden Bereits der Bedarf an Unterstützung in der Begleitphase Aufschluss über den Wirkmechanismus geben. Bei nach- zeigt, dass ein permanentes Unterstützungssystem rele- gewiesener Wirksamkeit der Intervention können vant ist, auf das die ASHG-Leitungen bei Fragen zurück- SprachtherapeutInnen geschult werden, um von Betrof- greifen können (s. auch Tregea & Brown, 2013). Hier fenen geleitete ASHG zu initiieren und zu begleiten oder könnten innerhalb der Selbsthilfeverbände Supervisi- professionell geleitete Gruppen in Peer-geleitete Grup- onssysteme etabliert werden. Um erfolgreiche Strategien pen zu überführen. in der Leitung zu etablieren, könnten auch Auffri- schungs-Workshops oder der Austausch mit anderen AS- Danksagung HG-Leitungen im Weiteren angedacht werden. Hierbei könnte auch die zunehmende Digitalisierung genutzt Wir danken allen Teilnehmenden sowie den Mitarbeite- werden, um die Vernetzung zu unterstützen (s. für einen rInnen Merle Berger-Tunkel, Matthias Lutz-Kopp und Überblick zu neuen Technologien bei Aphasie: Repetto et Sabrina Ziehr sowie allen studentischen Mitarbeitenden. al., 2020; zur videobasierten Gruppenintervention Pitt et al., 2018). Auch zur Unterstützung während der Gruppen- Interessenkonflikt moderation könnten digitale Anwendungen wie Apps als eine Art Methodenkoffer mit Moderationskarten und Vi- Das Projekt shalk wurde gefördert vom Bundesministeri- sualisierungen eingesetzt werden. In einem Projekt zu um für Bildung und Forschung (BMBF, Förderkennzei- Biographiearbeit in Senioreneinrichtungen entwickeln chen 03FH007SA5/03FH007SB5. Die Autorinnen erklären, wir aktuell eine App, die ehrenamtlich Engagierte bei dass keine Interessenkonflikte bestehen. biographischen Gesprächen mit BewohnerInnen von Se- Kontakt | Sabine Corsten, Fachbereich Gesundheit und Pflege, Katholische Hochschule Mainz, Saarstr. 3, D-55122 Mainz, corsten@kh-mz.de Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 16 Original | Selbstorganisierte Selbsthilfegruppenarbeit bei Aphasie – ein erster Wirksamkeitsnachweis Literaturverzeichnis Arnold, R., & Gomez-Tutor, C. (2007). Grundlinien einer Ermöglichungsdidaktik: Bildung ermöglichen – Vielfalt gestalten. Ziel Verlag. Attard, M., Lanyon, L., Togher, L., & Rose, M. (2015). Consumer perspectives on community aphasia groups: A narrative literature review in the context of psychological well-being. 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Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 19 Original Einfluss von Wortfindungsstörungen neurologisch bedingter Kommunikationsstörungen auf das Gesprächsverhalten Heider, Nathalie ¹; Büttner-Kunert, Julia ², DE | Zusammenfassung Wortfindungsstörungen werden im Rahmen vieler neurologisch bedingter Kommuni- kationsstörungen beschrieben. In Zusammenhang mit Aphasien und Restaphasien sind sie bereits gut erforscht. Häufig werden sie aber auch bei nicht-aphasischen, kognitiven Kommunikationsstörungen als Teil des Symptomkomplexes beschrieben. Bislang wurde wenig untersucht, wie sich Wortfindungsstörungen auf (sozio-)kommu- nikative Fähigkeiten auswirken. Hierzu zählen etwa die verbale und nonverbale Inter- aktion mit einem Gesprächspartner, die Planung, korrekte Darstellung und Interpreta- tion von Gesprächsinhalten sowie die emotionale Kontrolle in der Interaktion mit dem Gesprächspartner. Zur Untersuchung des Einflusses der Wortfindungsstörungen auf das Gesprächsverhal- ten wurden in dieser Studie 10 PatientInnen in Rehabilitationseinrichtungen unter- sucht. Für eine umfangreiche Testung der Wortfindungsstörung sowie des Gesprächs- verhaltens wurden der BIWOS, der LCQ und der BeKoS durchgeführt und analysiert. Die Testergebnisse ergaben, dass sich eine Wortfindungsstörung in einem beeinträch- tigten Kommunikationsverhalten insbesondere durch floskelhafte Sprache und Schwierigkeiten bei der kohärenten Darstellung von Gesprächsbeiträgen niederschlägt. Ausserdem konnten durch kognitive Störungen entstandene Symptomkomplexe mit ähnlichem Kommunikationsverhalten zusammengefasst werden. Diese verdeutlichen die Hetero genität des Krankheitsbilds der kognitiven Kommunikationsstörungen. Hierbei zeigen sich etwa Störungen in der non- und paraverbalen Kommunikation sowie der Informationsauswahl. In Zukunft wäre eine weitere Konkretisierung der Störungsprofile an einer grösseren Stichprobe, insbesondere in Bezug auf die zugrunde liegende Erkrankung und Läsionslokalisation, von Interesse. Schlüsselwörter: Wortfindungsstörung, kognitive Kommunikationsstörung, Gesprächsverhalten, exekutive Funktionen, Kommunikationsverhalten 1 Masterstudiengang Sprachtherapie, Ludwig-Maximilians-Universität München 2 Institut für Deutsche Philologie, Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften, Ludwig-Maximilians-Universität München Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 20 Impact of word-finding disorders in neurological communication disorders on conversational behaviour EN | Abstract Word-finding disorders are common in neurological communication disorders. As they are associated with aphasia and residual aphasia, they are already well researched. However, they are also frequently described as part of the syndrome in non-aphasic, cognitive communication disorders. Little research has been done on how word-finding disorders affect (socio-)communicative skills. These include verbal and non-verbal interaction with a conversation partner, planning, phrasing, and interpreting the content of the interaction as well as emotional control in the interaction. To investigate the influence of word-finding disorders on conversational behaviour, the BIWOS, LCQ and BeKoS were administered to 10 patients in rehabilitation facilities. The results showed that word-finding disorders are reflected in an impaired communica- tion behaviour, especially in the form of cliched language and difficulties in the coher- ent phrasing of the content. In addition, patient profiles with similar communication behaviours that arise from cognitive disorders, have been summarized. They depict the heterogeneity of cognitive communication disorders. For example, disturbances in non- and paraverbal communication and information selection become apparent. In the future, a further concretisation of these profiles on a larger sample would be of interest, especially regarding the underlying disease and lesion localisation. Keywords: word-finding disorder, cognitive communication disorder, conversational behaviour, executive functions, communication behaviour Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 21 Effets des difficultés à trouver des mots causées par des troubles neurologiques de la communication sur le comportement conversationnel. FR | Résumé La difficulté à trouver des mots est fréquente dans les troubles neurologiques de la com- munication et très investiguée pour ce qui concerne les (rest-)aphasies. Cependant, elle est aussi fréquemment décrite comme un des symptômes dans les troubles cognitifs de la communication sans aphasie. Jusqu’à présent, comment la difficulté à trouver des mots affecte les capacités de communication, par exemple l’interaction (non-)verbale avec l’interlocuteur, la planification et interprétation du contenu, reste peu étudié. Afin d’analyser les effets des difficultés à trouver des mots sur le comportement conversa- tionnel, on a administré le BIWOS, LCQ et BeKoS à 10 patients dans des établissements de réhabilitation. Les résultats ont montré que la difficulté à trouver des mots se traduit par une dégrada- tion du comportement de communication, notamment sous forme de phrases creuses et formulation incohérente du contenu. En outre, les profils des patients avec un comporte- ment de communication similaire reflètent l’hétérogénéité des troubles cognitifs de la communication. Par exemple, des perturbations de la communication non- et paraverbale et de la sélection d’information deviennent apparentes. À l’avenir, il serait intéressant de préciser davantage les profils de troubles sur un échantillon plus grand, notamment en ce qui concerne la maladie sous-jacente et la localisation des lésions. Mots clés: difficulté à trouver des mots, trouble cognitif de la communication, compor- tement de communication, fonctions exécutives, comportement conversationnel Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 22 Original | Einfluss von Wortfindungsstörungen neurologisch bedingter Kommunikationsstörungen auf das Gesprächsverhalten 1.0 Theoretischer Hintergrund deutet dies, dass Paraphasien dadurch zustande kom- men, dass beim lexikalischen Zugriff auch Wörter mitak- Wortfindungsstörungen werden im Rahmen vieler neu- tiviert werden, die entweder ähnliche semantische oder rologisch bedingter Kommunikationsstörungen als phonologische Parameter aufweisen wie das Zielwort Symptom beschrieben. Sie treten insbesondere bei Apha- (Oppenheim et al., 2010). sien und Restaphasien als Kernsymptomatik auf und Wortfindungsstörungen können nicht nur in Folge von werden häufig in Kommunikationssituationen mit hö- aphasischen und restaphasischen Störungen auftreten. heren sprachlichen Anforderungen beobachtet (Jaecks, Der Abruf von Einträgen aus dem mentalen Lexikon 2014). Sie werden aber auch bei nicht-aphasischen bezie- kann auch durch kognitive Funktionen, wie etwa denen, hungsweise kognitiven Kommunikationsstörungen als die zum Spektrum der Exekutivfunktionen gehören, er- Teil des Störungskomplexes angeführt (Benassi et al., schwert sein. Hierzu zählen etwa Schwierigkeiten in der 2012). Kognitive Kommunikationsstörungen werden in Inhibition von nicht passenden lexikalischen Einträgen, diesem Beitrag verstanden als Kommunikationsstörun- die im Rahmen von Exekutivstörungen bei unterschied- gen, die nicht primär aphasisch sind. Die Symptome sind lichen neurologischen Erkrankungen auftreten können vorrangig auf Defizite in der Kognition zurückzuführen (Martin & Allan, 2008; Rosenkranz, 2020). Wortfindungs- und können unterschiedlich ausgeprägt sein. Diese kön- störungen sollten allerdings nicht als isoliertes Symp- nen auch aus gestörten Exekutivfunktionen resultieren tom behandelt werden. Für die kommunikative Partizi- und dann auch die Ebene des Kommunikationsverhal- pation der Betroffenen ist besonders interessant, ob und tens betreffen (Büttner & Glindemann, 2019; Regen- wie Wortfindungsstörungen Veränderungen der diskur- brecht & Guthke, 2017). Als zu Grunde liegende, ursächli- siven und makrostrukturellen Fähigkeiten herbeiführen. che Erkrankungen werden verschiedene neurologische Erfolgreiche Kommunikation baut auf dem Funktionie- Erkrankungen, wie Schädel-Hirn-Traumata, Schlagan- ren sprachlicher, emotionaler und kognitiver Leistungs- fälle, Demenzen oder Tumore, angeführt (Kotten, 1997). bereiche auf. Die Interaktion dieser Fähigkeiten wird in Als mögliche neuronale Läsionsorte werden Orte ausser- kognitionswissenschaftlichen Modellvorstellungen als halb der perisylvischen linkshemisphärischen Areale Grundlage für das Gelingen von Kommunikationsverläu- diskutiert, wie rechtshemisphärische (Abusamra et al., fen und für die Etablierung von Kohärenz (z. B. in Alltags- 2009) und (prä)frontale aber auch subkortikale Areale erzählungen) angesehen. Störungen des Wortabrufs kön- beider Hemisphären, sowie deren Verbindungen zum nen daher dazu führen, dass die situationsangemessene frontalen Kortex (Büttner & Glindemann 2019; Douglas, Verwendung von Wörtern auf Satz- und Diskursebene be- 2010; Frith et al., 2014; Regenbrecht & Guthke, 2017). einträchtigt ist und damit auch die Beurteilung sozio- kommunikativer Fähigkeiten negativ beeinflusst wird 1.1. Erklärungsansätze (Büttner & Glindemann, 2019; MacDonald, 2017). In psycholinguistischen Modellen, wie dem Logo- gen-Modell (DeBleser et al., 2004) und den Modellen von 1.2. Neuroanatomische Zusammenhänge Levelt (1992) und Dell et al. (1997), werden lexikalische Für eine erfolgreiche kommunikative Interaktion sind Störungen zumeist durch den gestörten Zugriff auf in- Monitoring-Prozesse wichtig, mit deren Hilfe die thema- haltstragende Wörter im mentalen Lexikon erklärt. Die- tische Progression sowie die Angemessenheit non-ver- se sind in den jeweiligen Modellen auf verschiedenen baler Signale überwacht und gegebenenfalls, etwa bei Ebenen angeordnet und interagieren auf unterschiedli- Wortwahlfehlern oder Paraphasien, korrigiert werden che Weise miteinander (Benassi et al., 2012). Da jeder Le- kann. Dies gilt insbesondere für PatientInnen mit lexi- xikoneintrag semantische, phonologische, syntaktische kalischen Störungen (Blanken, 2010). Ausserdem sind se- und morphologische Informationen enthält, können Zu- mantische Fähigkeiten relevant, darunter die semanti- griffsprobleme auf selektive Informationen zu verschie- sche Kognition, die sowohl gespeichertes Wissen über denen Symptomen führen (Benassi et al., 2012). In Folge die Eigenschaften von Wörtern beinhaltet als auch die eines nicht vollständig gelungenen Wortzugriffs kann Fähigkeit, flexibel auf diese Information zuzugreifen einerseits das Wort in Form von semantischen Parapha- und diese an den situativen Kontext anzupassen (Jeffe- sien durch weniger aussagekräftige Wörter substituiert ries, 2013; Rogers et al., 2015). Diese kognitive Kontrolle werden. Andererseits kann beim Versuch des lexikali- beim Zugriff auf semantische und lexikalische Reprä- schen Abrufs eines bestimmten Wortes der Zugriff auf sentationen übernimmt vorwiegend der linksseitige die korrekte Wortform nur teilweise gelingen, wodurch präfrontale Kortex, der bei kognitiven Kommunikations- die Wortform phonematisch entstellt wird und sich pho- störungen häufig als Hauptläsionsort genannt wird nematische Paraphasien als Symptom äussern (Blanken, (Harvey & Schnur, 2015). Für die Regulierung der Wor- 2010). Angewandt auf das Modell von Dell et al. (1997) be- tauswahl bei konkurrierenden semantisch oder phone- Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 23 Original | Einfluss von Wortfindungsstörungen neurologisch bedingter Kommunikationsstörungen auf das Gesprächsverhalten matisch ähnlichen Wörtern wird der ventrolaterale präf- Inhalte sowie paraverbalen (z. B. adäquate Prosodie und rontale sowie der anteriore cinguläre Kortex als relevant Pausen) und nonverbalen Fähigkeiten zu untersuchen, diskutiert (Piai et al., 2016). Auch für rezeptive sprachliche werden einzelne PatientInnenprofile in Form einer pro- Leistungen wird eine Beteiligung der rechten Hemisphä- spektiven, vergleichenden Fallstudie analysiert (Döring re, insbesondere des inferior frontalen Sulcus, vermutet & Bortz, 2016). Ausserdem wird ermittelt, ob sich Unter- (Gajardo-Vidal et al., 2018). Kognitive Kommunikations- schiede im Verhalten je nach betroffener Hemisphäre störungen können folglich entstehen, wenn mehrere für abzeichnen, also bei linkshemisphärischen, rechtshemi- die Kommunikation notwendige neuronale Prozesse, wie sphärischen und bilateralen Läsionen. sprachliche, kognitive und exekutive Leistungen, nicht reibungslos miteinander interagieren oder selektiv be- 1.4. Forschungsfragen einträchtigt sind. Besonders in Bezug auf die sprachliche Auf Basis der Ergebnisse des Bielefelder Wortfindungs- Klarheit und die inhaltlich-thematische Struktur im Ge- screenings (BIWOS, Benassi et al., 2012) sowie zweier Fra- spräch sind funktionierende sprachsystematische und gebögen zur Kommunikationsfähigkeit (La Trobe Com- lexikalische Fähigkeiten von zentraler Bedeutung, wel- munication Questionnaire, LCQ, deutsche Version, che bei Wortfindungsstörungen in der Regel beeinträch- Büttner-Kunert et al., 2021; Fragebogen zur Beurteilung tigt sind (Regenbrecht & Guthke, 2017). Die Beteiligung von Kommunikation und Sprache, BeKoS, von Regen- der rechten Hemisphäre an sprachlichen Prozessen wird brecht & Schmid, 2013), werden folgende Forschungsfra- ausserdem bei Thompson et al. (2016) deutlich. Bei kom- gen untersucht: Werden PatientInnen mit Wortfin- plexen semantischen Aufgaben wird bei funktionellen dungsstörungen auch bei Fragen zur Wortfindung im MRT-Untersuchungen typischerweise neben einer LCQ (Frage 7 des LCQ) als auffällig beurteilt? Wie beein- linkshemisphärischen auch eine rechtshemisphärische flusst die Wortfindungsstörung andere Bereiche der Aktivierung beobachtet (Thompson et al., 2016). Hierbei Kommunikation, beispielsweise die kohärente Darstel- wird neben der Verarbeitung von konkreten semanti- lung sprachlicher Inhalte oder die Bezugnahme auf Ge- schen Eigenschaften der Wörter die Aktivierung von sprächspartnerInnen? Durch welche linguistischen und weiten semantischen Feldern und semantisch entfernt kommunikativen Symptome zeichnen sich unterschied- relationierten Wörtern in domänenübergreifenden Are- liche PatientInnenprofile mit kommunikativen Auffäl- alen lokalisiert, insbesondere in der rechten Hemisphä- ligkeiten aus? Welche Unterschiede zeigen sich im Ver- re. Bei Schädigung der rechten Hemisphäre kann die gleich der Fälle durch assoziierte Läsionen? Schwierigkeit der übergeordneten semantischen Ein- ordnung eines Wortes unter Umständen zu Verständnis- 2.0 Methodik problemen und der fehlerhaften Verwendung von Wör- tern führen (Blake et al., 2015). Dies zeigt sich im In dieser prospektiven Kohortenstudie wurden 10 Pati- Kommunikationsverhalten entweder durch floskelhafte entInnen untersucht (Erhebungszeitpunkt: März 2019), Sprache oder unangemessenen Konkretismus. Darüber die Auffälligkeiten in der Kommunikation und Wortfin- hinaus können kontextgebundene Inhalte, bei denen in- dungsstörungen in unterschiedlich starkem Ausmass ferentielle Prozesse nötig sind, nicht adäquat interpre- zeigten. Die Studie wurde im Rahmen des Projekts PRA- tiert werden, etwa beim Verstehen nicht-wörtlicher In- KOG (Büttner-Kunert) durchgeführt, für das ein Ethikvo- halte – beispielsweise Ironie oder Witz (Blake et al., 2015). tum der DGfS (2016-13-170208) vorliegt. Darüber hinaus wurden alle PatientInnen mündlich und schriftlich über 1.3. Wortfindungsstörungen das Vorgehen und Vorhaben der Studie aufgeklärt und und Kommunikation unterzeichneten eine Einverständniserklärung. Es wur- Bislang wurde wenig untersucht, wie sich Wortfindungs- de gewährleistet, dass alle PatientInnen sich bewusst für störungen auf kommunikative Fähigkeiten, wie etwa so- die Teilnehme an der Studie entschieden. zio-kommunikative Fähigkeiten, auswirken. Mit so- Um den Einfluss von Wortfindungsstörungen auf das Ge- zio-kommunikativen Fähigkeiten sind besonders die sprächsverhalten zu untersuchen, wurden die Cut-Off- verbale und nonverbale Interaktion mit Gesprächspart- Werte des Gesamtwerts des BIWOS (Benassi et al., 2012) nerInnen, die Planung und Interpretation der Gespräch- herangezogen, um die PatientInnen je nach Vorliegen sinhalte sowie die emotionale Kontrolle im Gespräch, einer Wortfindungsstörung in Gruppen einzuteilen. Zu- gemeint (Büttner, 2014; Frattali et al., 2007; Togher et al., sätzlich wurde eine weitere Differenzierung nach se- 2014). Fehlt die emotionale Kontrolle im Gespräch, wir- mantischem und lexikalischem Störungsschwerpunkt ken PatientInnen beispielsweise egozentrisch oder dis- vorgenommen. Neben der quantitativen Auswertung tanzlos. Um den Zusammenhang von Wortfindungsstö- wurden die Ergebnisse mittels Clusterbildung, also der rungen mit der kohärenten Darstellung sprachlicher Gruppierung der Fälle mit ähnlicher Symptomatik (Wie- Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 24 Original | Einfluss von Wortfindungsstörungen neurologisch bedingter Kommunikationsstörungen auf das Gesprächsverhalten denbeck & Züll, 2010), untersucht, um die individuellen Ausserdem lässt sich der LCQ in vier Dimensionen ein- Störungsprofile der Kommunikationsstörung zu analy- teilen, die eine getrennte Einschätzung verschiedener sieren und potenzielle Wechselwirkungen sichtbar zu kommunikativer Parameter ermöglichen. Diese Dimen- machen. sionen sind Initiieren/Gesprächsfluss, Enthemmung/Impulsi- vität, kommunikatives Gelingen/Wirksamkeit sowie Partner- 2.1. Ein- und Ausschlusskriterien Innen-Sensitivität. Die PatientInnen sollten folgende Kriterien erfüllen: Es Als weiteres Verfahren zur Beurteilung der kommunika- sollten Auffälligkeiten in der Kommunikation in Form tiven und sprachlichen Fähigkeiten wurde der BeKoS von Wortfindungsstörungen in der Anamnese festge- (Beurteilung der Kommunikation und Sprache) von Regen- stellt worden sein, sei es von ärztlicher, sprachtherapeu- brecht und Schmid (2013), eine deutsche Übersetzung tischer oder neuropsychologischer Seite. Diese Wortfin- des Profile of Functional Impairment in Communication dungsstörungen sollten nach der Befundung sowohl in (PFIC) von Linscott et al. (1996) durchgeführt. Dieser Fra- der Testung als auch in der Kommunikation bestehen. gebogen wurde auf Basis eines 30-minütigen Spontange- Ausschlusskriterien waren psychiatrische Vorerkran- sprächs ausgefüllt. Er ist gut geeignet, Störungsschwer- kungen sowie das Vorliegen einer Demenz. Ausserdem punkte in der Kommunikation aufzuzeigen, da er mittels sollte zum Zeitpunkt der Testung laut BIAS A&R (Biele- Fragen auf zwölf verschiedenen Beurteilungsebenen so- felder Aphasie Screening Akut und Reha, Richter & Hiel- wohl sprachliche, paraverbale, nonverbale sowie allge- scher-Fastabend, 2018) keine schwere oder mittelgradige meine kommunikative Fähigkeiten auf einer sechs-stu- Aphasie vorliegen. Eine leichte Aphasie oder Restaphasie figen Skala (unbeeinträchtigt = Punktwert 0 bis schwer waren hingegen keine Ausschlusskriterien. beeinträchtigt = Punktwert 5) erfasst. Einen genauen Überblick über die einzelnen Beurteilungsebenen liefert 2.2. Angewandte Screening- und Testverfahren Tabelle 1 (Regenbrecht & Schmid, 2013). Die Punkteverga- 2.2.1. Diagnostik der Wortfindungsstörung be innerhalb der Beurteilungsebenen erfolgt auf Basis Zur Einschätzung der Schwere der Wortfindungsstörung der subjektiven Einschätzung des Testenden. Es werden wurde das BIWOS von Benassi et al. (2012) herangezogen. je Beurteilungsebene einzelne Symptome beschrieben, Dieses Verfahren wurde gewählt, da die Zielgruppe Pati- anhand derer der Testende beurteilt, wie stark die Stö- entInnen mit einer Wortproduktionsstörung sind, deren rung in der jeweiligen Ebene einzustufen ist (Regen- Spontansprache aber relativ intakt ist (Benassi et al., brecht & Schmid, 2013). 2012). Der Test ist aufgrund der Schwierigkeit der Testi- tems dafür geeignet, auch leichte lexikalische und resta- phasische Störungen aufzudecken. Darüber hinaus kann A. Sprachliche Merkmale der Störungsschwerpunkt in den semantischen oder for- Ebene 1 Lexikon, Syntax, Kohäsion mal-lexikalischen Leistungsbereich eingeordnet wer- B. Sprecherische Merkmale den. Die Interpretation der ermittelten Leistung der Pa- Ebene 2 Sprechmotorik und Prosodie tientInnen als Wortfindungsstörung erfolgt anhand der C. Inhalt und Kohärenz Zuordnung zu Cut-Off-Werten des BIWOS (Benassi et al., Ebene 3 Informationsauswahl 2012). Für die Normierungsstichprobe gilt ein PR < 97 als Ebene 4 Inhaltlicher Zusammenhang Cut-Off-Wert. Für Ergebnisse, die knapp über diesem Wert liegen (zwischen den kritischen Untergrenzen Ebene 5 Bezugnahmen auf die GesprächspartnerInnen UG95 und UG99), kann keine eindeutige Zuordnung zu D. Verständlichkeit «beeinträchtigt» oder «nicht-beeinträchtigt» erfolgen. In Ebene 6 Verständlichkeit und Klarheit diesen Fällen sollte tendenziell eher von Wortfindungs- E. Verstehen störungen ausgegangen werden (Benassi et al., 2012). Ebene 7 Verstehen F. Verhalten 2.2.2. Diagnostik des Gesprächsverhaltens Ebene 8 Sprachliche Angemessenheit Um die Auswirkungen der Wortfindungsstörung auf das Ebene 9 Gesprächsorganisation Gesprächsverhalten zu analysieren, wurde bei den Pati- entInnen die deutsche Version des La Trobe Communicati- Ebene 10 Soziale Konventionen on Questionnaire (LCQ) von Büttner et al. (2016) nach Ebene 11 Kommunikationsverhalten Douglas et al. (2000) als Fremdbeurteilung durch die Tes- Ebene 12 Nonverbales Verhalten tenden und die behandelnden TherapeutInnen durchge- Tabelle 1: Übersicht über die Beurteilungsebenen des BeKoS führt. Der Test wurde gewählt, da er eine hohe Testgüte (nach Regenbrecht & Schmid, 2013). und Reliabilität besitzt (Büttner & Glindemann, 2019). Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 25 Original | Einfluss von Wortfindungsstörungen neurologisch bedingter Kommunikationsstörungen auf das Gesprächsverhalten 2.3. Statistisches Vorgehen gruppe zwischen 40 und 60. Drei Patientinnen waren Die vorgestellten Testverfahren und Fragebögen unter- weiblich, sieben Patienten männlich. Die PatientInnen suchen unterschiedliche sprachliche und kommunika- hatten unterschiedliche Grunderkrankungen. Neben ei- tive Parameter der PatientInnen. Von besonderem Inter- nem Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma und einem mit esse ist in dieser Studie, ob eine im BIWOS (Benassi et al., einem Tumor, waren bei den übrigen PatientInnen vas- 2012) diagnostizierte Wortfindungsstörung sich in Fra- kuläre neurologische Erkrankungen zugrundeliegend. gen des LCQ (Büttner-Kunert et al., 2021) und BeKoS (Re- Die Läsion betraf beim Grossteil der PatientInnen die genbrecht & Schmid, 2013) ebenfalls niederschlägt – also rechte Hemisphäre (60 %), bei je 20 % der PatientInnen auch in der Kommunikation auftritt. Zu diesem Zweck war die Läsion linkshemisphärisch beziehungsweise bi- wird eine bivariate Spearman-Rho-Korrelation (Signifi- lateral. Zwei PatientInnen waren auf einer Reha-Station kanzniveau: 0,05) der betreffenden Items durchgeführt. in einer neurologischen Klinik, während die anderen Zur Testung der Forschungsfragen werden die Daten mit acht in einer poststationären Einrichtung untersucht Hilfe von Boxplots graphisch aufgearbeitet und auf wurden, die sich bereits wieder auf die Eingliederung der Grund der kleinen Stichprobe mittels parameterfreier PatientInnen in ihren Beruf konzentriert. Der Erkran- Verfahren mit dem Mann-Whitney-U Test auf ihre Signi- kungsbeginn liegt folglich bei diesen PatientInnen wei- fikanz überprüft (Lienert & Raatz, 1998). ter zurück (siehe Tabelle 2). Bei allen PatientInnen waren zudem leichte neuropsychologische Defizite diagnosti- 2.4. PatientInnendaten ziert (siehe Tabelle 2). Bei C.M. und M.H. wurde zu Er- Tabelle 2 liefert einen Überblick über die demographi- krankungsbeginn eine Aphasie diagnostiziert, welche schen Daten der PatientInnen. Sie waren im Durch- zum Testzeitpunkt nur noch als leichte beziehungsweise schnitt 52,4 Jahre alt und befanden sich in der Alters- Restaphasie bestand. Patient- Geschlecht Alter Grund- Tage seit Läsions- Neuropsychologische BIWOS BIWOS BIWOS LCQ Innen erkrankung Erkrankungs- ort Defizite gesamt lex. sem. beginn (M (PR)) (M (PR)) (M (PR)) H.V. m 46 Mediainfarkt 346 rechts Neglect; leichte 89,44 92,22 86,67 55 kognitive Störung (97) (97) (96) W.A. m 57 SAB, 538 rechts leichte Störung 75,97 71,11 80,83 52 Mediainfarkt der Konzentration; (88)* (84)* (95) kognitive Störungen C.K. w 53 SAB, Aneurysma 535 rechts Störung des 87,08 86,67 87,50 47 (Arteria frontal Gedächtnisses, (97) (97) (97) communicans der Aufmerksamkeit, anterior) der Konzentration P.S. m 53 SHT, SAB 525 rechts Störung des 72,64 61,11 84,17 50 Gedächtnisses, (88)* (76)* (96) der Aufmerksamkeit B.W. m 56 Media- und 691 rechts Neglect; Störung 88,47 87,78 89,17 46 Anteriorinfarkt der Aufmerksamkeit (97) (97) (97) C.M. m 46 Stammganglien- 359 links Neglect; Störung 51,46 38,75 64,17 54 blutung des Gedächtnisses (50)* (31)* (73)* R.S. m 47 Tumor, 723 rechts Neglect; Anosognosie; 62,50 68,33 56,67 61 Mediainfarkt Störung des (76)* (84)* (54)* Gedächtnisses, der Aufmerksamkeit; Verlangsamung A.S. w 54 Mediainfarkt, 373 links Neglect; Störung 80,83 87,50 74,17 46 ACI-Verschluss und des Kurzzeitgedächt- (96) (97) (84)* rechts nisses W.D. m 54 SAB nach 44 links Störung der 73,61 65,56 81,67 42 Aneurysma und Aufmerksamkeit, (88)* (84)* (95) (Arteria rechts der Konzentration; communicans Verlangsamung anterior) M.H. w 58 Stammganglien- 57 links Störung des 40,83 33,33 48,33 65 blutung Gedächtnisses, (27)* (21)* (38)* der Aufmerksamkeit Tabelle 2: Überblick über demographische Daten der PatientInnen (m = männlich, w = weiblich, SHT = Schädel-Hirn-Trauma, SAB = Subarachnoidal- blutung), ätiologische Daten sowie Testergebnisse (* = Wert indiziert mindestens eine leichte Wortfindungsstörung: Gesamt: PR ≤ 88; lex./sem.: PR < 90) LCQ = Deutsche Version des La Trobe Communication Questionnaire (Büttner-Kunert et al., 2021) BIWOS = Bielefelder Wortfindungsscreening (Benassi et al., 2012), M = Mittelwert, PR = Prozentrang Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 26 Original | Einfluss von Wortfindungsstörungen neurologisch bedingter Kommunikationsstörungen auf das Gesprächsverhalten 3. Ergebnisse entsprechenden Unterschied zwischen beiden Gruppen zeigt auch eine Analyse der Mittelwerte. PatientInnen Von Interesse ist zunächst, ob sich Wortfindungsstörun- mit Wortfindungsstörung hatten einen höheren Punkt- gen, die im Rahmen der Anamnese erfasst wurden, im wert im LCQ (M = 60,00) als solche ohne Wortfindungs- BIWOS (Benassi et al., 2012) nachweisen lassen. Die Aus- störung. Bei Letzteren lag der Punktwert des LCQ (M = wertung der Ergebnisse des BIWOS ergab, dass die Werte 48,29) deutlich niedriger und weist auf ein weitgehend einiger PatientInnen unterhalb des Cut-Off-Wertes (PR als unbeeinträchtigt wahrgenommenes Gesprächsver- 96) liegen. Ein Patient hatte darüber hinaus eine leichte halten hin. Als Orientierungswert für wahrgenommene Dysarthrie. Neuropsychologisch lagen bei den PatientIn- Beeinträchtigungen der sozio-kommunikativen Fähig- nen insbesondere Störungen der Exekutivfunktionen keiten gemessen mit dem LCQ können Punktwerte von vor: Dazu zählen Störungen der Aufmerksamkeit, des Ge- über 55 aus Erhebungen bei neurologisch gesunden Refe- dächtnisses, der Konzentration sowie Neglecte (Tabelle renzstichproben angenommen werden (Büttner-Kunert 2). In Tabelle 2 sind ausserdem die Testergebnisse des BI- et al., 2021; Struchen et al., 2008). WOS (Benassi et al., 2012) und des LCQ (Büttner-Kunert et Für eine detailliertere Untersuchung wurden im folgen- al., 2021) aufgeführt. den Boxplot (Abbildung 2) der Gesamtscore des BIWOS (Benassi et al., 2012) mit der spezifischen Frage nach 3.1. Quantitative Analyse Wortfindungsstörungen im Gespräch des LCQ (Frage 7) 3.1.1. Forschungsfrage 1: Wirkt sich die Wortfindungs- gegenübergestellt. Es fällt auf, dass für PatientInnen mit störung negativ auf das Gesprächsverhalten aus? einem schlechteren Ergebnis im BIWOS auch vermehrt Um die Auswirkungen der Wortfindungsstörung auf das Wortfindungsstörungen im Spontangespräch berichtet Gesprächsverhalten zu überprüfen, wurde die Stichprobe werden (hoher Punktwert im LCQ, Frage 7). Sie erzielten je nach Testergebnis im BIWOS (Benassi et al., 2012) un- einen Mittelwert von 3,0 Punkten, während PatientIn- terteilt: in eine Gruppe (n=4) mit Werten über dem Cut- nen mit unauffälligem Testergebnis im BIWOS einen Off-Wert für leichte Wortfindungsstörungen (PR 88) und Punktwert von im Mittel 1,71 erhielten. Dies bedeutet, eine mit Werten gleich bzw. unterhalb dieses Referen- dass das Auftreten von Wortfindungsstörungen im Ge- zwerts (n=6). Um einen Bezug zum Gesprächsverhalten spräch durch den Beurteiler als seltener auftretend ein- herzustellen, wurden beide Gruppen mit dem Gesamt- geschätzt wurde. Ein niedriger Wert (1 oder 2) in Frage 7 wert des LCQ (Büttner-Kunert et al., 2021) in Beziehung des LCQ bedeutet, dass nur selten bis manchmal über gesetzt. In der folgenden Abbildung (Abbildung 1) ist der Wortfindungsstörungen berichtet wird, ein Wert von 3 Zusammenhang zwischen einer im BIWOS festgestell- steht für ein häufiges Auftreten. Der Unterschied ist mit ten Wortfindungsstörung und einem hohen Wert im einem Wert von p = 0.017 signifikant. LCQ, also einem beeinträchtigten Gesprächsverhalten, sichtbar. Abbildung 2: Zusammenhang zwischen BIWOS-Testergebnis (Benassi et al., 2012) und Frage 7 des LCQ (Schwierigkeiten bei der Wort- Abbildung 1: Zusammenhang zwischen BIWOS-Testergebnis findung im Gespräch) (Büttner-Kunert et al., 2021) (Benassi et al., 2012) und Gesamtscore des LCQ (Büttner-Kunert et al., 2021) Ausserdem wurden PatientInnen mit Wortfindungsstö- rungen im BIWOS so beurteilt, dass sie im Gespräch häu- Die daraus abgeleitete Hypothese, dass sich beide Grup- figer floskelhafte Sprache und vage Wörter verwendeten pen in Bezug auf ihr, mit dem LCQ (Büttner-Kunert et al., (Frage 2 des LCQ). Dies ist in der folgenden Grafik (Abbil- 2021) quantifizierten, Gesprächsverhalten voneinander dung 3) dargestellt. PatientInnen mit Wortfindungsstö- unterscheiden, wurde mit Hilfe des Mann-Whitney-U rung erreichten einen höheren Punktwert (M = 2,33) als Tests mit einer Signifikanz von p = 0.033 bestätigt. Einen die in der Wortfindung unbeeinträchtigte PatientInnen- Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 27 Original | Einfluss von Wortfindungsstörungen neurologisch bedingter Kommunikationsstörungen auf das Gesprächsverhalten gruppe (M = 1,43). Der Unterschied zwischen den beiden Darüber hinaus wurde die Hypothese bestätigt, dass sich Gruppen ist jedoch geringer und mit einem Wert von p = eine Wortfindungsstörung in signifikantem Mass (p = 0.117 nicht signifikant. 0.017) auswirkt auf die Fähigkeit, auf Gesprächspartne- rInnen und ihre Gesprächsbeiträge Bezug zu nehmen (Bezugnahmen auf GesprächspartnerInnen: BeKoS Ebe- ne 5, Regenbrecht & Schmid, 2013). Während Patient- Innen mit einem auffälligen Testergebnis im BIWOS (Benassi et al., 2012) einen mittleren Punktwert von 2,67 erzielten und somit in diesem Bereich grössere Schwie- rigkeiten beobachtet wurden, erreichten PatientInnen ohne Wortfindungsstörungen einen Mittelwert von 0,43. Das folgende Diagramm zeigt dieses Ergebnis (Abbil- dung 5). Abbildung 3: Zusammenhang zwischen BIWOS-Testergebnis (Benassi et al., 2012) und Frage 2 des LCQ (vage Wörter und floskelhafte Sprache) (Büttner-Kunert et al., 2021) 3.1.2. Forschungsfrage 2: Beeinflusst die Wort- findungsstörung die inhaltlich kohärente D arstellung von Gesprächsinhalten und Bezugnahme auf die GesprächspartnerInnen? Die Vermutung, dass eine Wortfindungsstörung mit Schwierigkeiten in der kohärenten Darstellung von Ge- sprächsinhalten einhergeht (Inhaltlicher Zusammen- Abbildung 5: Zusammenhang zwischen BIWOS-Testergebnis hang: BeKoS Ebene 4, Regenbrecht & Schmid, 2013), wurde (Benassi et al., 2012) und Beurteilungsebene 5 des BeKoS (Bezugnahmen auf GesprächspartnerInnen) (Regenbrecht & Schmid, 2013) bestätigt. PatientInnen mit einer Wortfindungsstörung hatten signifikant (p = 0.017) höhere Werte (M = 3,00) und damit grössere funktionale Beeinträchtigungen im 3.1.3. Forschungsfrage 3: Beeinflusst die Läsions- Bereich Inhaltlicher Zusammenhang als PatientI nnen, die lokalisation die Wortfindung und das Gesprächs- im BIWOS (Benassi et al., 2012) unauffällig waren (MW = verhalten? 0,43) (Abbildung 4). Die Verteilung der Leistungen, unterteilt nach betroffe- ner Hemisphäre, zeigt, dass PatientInnen mit linkshemi- sphärischer Läsion (n=2) insbesondere im BIWOS (Benas- si et al., 2012) einen niedrigeren mittleren Prozentrang, also schwerere Wortfindungsstörungen, hatten als die anderen beiden PatientInnengruppen (rechts: n=6; bila- teral: n=2). Lediglich drei der sechs rechtshemisphärisch betroffenen PatientInnen waren im BIWOS auffällig (PR ≤ 88). Ein ähnliches Bild zeigt sich in den Testergebnis- sen des LCQ (Büttner-Kunert et al., 2021), auch wenn hier die Gruppenunterschiede nicht so deutlich sind wie in der Wortfindung. PatientInnen mit linkshemisphäri- scher Läsion hatten höhere Punktwerte und zeigten so- Abbildung 4: Zusammenhang zwischen BIWOS-Testergebnis (Benassi mit stärker wahrgenommene Defizite in der Kommuni- et al., 2012) und Beurteilungsebene 4 des BeKoS (inhaltlicher Zusammen- kation. Die Verteilung der Ergebnisse ist in den hang) (Regenbrecht & Schmid, 2013) Abbildungen 6 und 7 dargestellt. Die Diskrepanz der Tes- tergebnisse zwischen den Gruppen mit unterschiedli- cher Läsionslokalisation ist jedoch nicht signifikant. Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 28 Original | Einfluss von Wortfindungsstörungen neurologisch bedingter Kommunikationsstörungen auf das Gesprächsverhalten und 4) korrelieren signifikant (Beurteilungsebene 1: r = –.647, p =.043; Beurteilungsebene 4: r = –.783, p =.007). 3.2. Qualitative Analyse: Einteilung in PatientInnengruppen Auf Basis der Übersicht über die Testergebnisse im BI- WOS (Benassi et al., 2012) (Tabelle 2) lassen sich die Pati- entInnen anhand der Schwere der Wortfindungsstörung in drei übergeordnete PatientInnenprofile bestehend aus je drei PatientInnen einteilen, die sich auch in der Ausprägung der kognitiven Kommunikationsstörung interindividuell voneinander unterscheiden. Ein einzel- Abbildung 6: Vergleich der BIWOS-Testergebnisse (Benassi et al., 2012) nes PatientInnenprofil schliesst die qualitative Be- unterteilt nach Läsionslokalisation schreibung ab. 3.2.1. PatientInnengruppe mit Ergebnissen unter bzw. gleich PR 88 im BIWOS Für die erste PatientInnengruppe indiziert der BIWOS (Benassi et al., 2012) sowohl im Gesamtwert als auch in beiden Unterkategorien eine Wortfindungsstörung mit unterschiedlich starker Ausprägung. Die Testergebnisse des BIWOS und LCQ (Büttner-Kunert et al., 2021) indizie- ren, dass sich die Wortfindungsstörung unterschiedlich stark auf das Kommunikationsverhalten auswirkt. Bei Patient C.M. manifestieren sich die Schwierigkeiten in der Wortfindung insbesondere im lexikalischen Unter- test des BIWOS. Verglichen mit den anderen beiden Pati- Abbildung 7: Vergleich der LCQ-Testergebnisse (Büttner-Kunert et al., 2021) unterteilt nach Läsionslokalisation entInnen zeigt dieser jedoch laut LCQ die besten kom- munikativen Fähigkeiten. Die Probleme in der 3.1.4. Korrelationsanalysen Kommunikation resultieren vor allem aus Auffälligkei- Alle in dieser Studie durchgeführten Korrelationsanaly- ten in den Teilbereichen Initiieren/Gesprächsfluss sowie sen wurden mit dem gesamten Datensatz durchgeführt. kommunikatives Gelingen/Wirksamkeit des LCQ. Im Ver- Die Korrelationsanalysen zur Auswirkung der Wortfin- gleich zu Patient C.M. ist M.H. in allen Bereichen des BI- dungsstörung auf kommunikative Fähigkeiten im Ge- WOS stärker betroffen, weshalb die Wortfindungsstö- spräch zeigen, dass der Gesamtwert des BIWOS (Benassi et rung als schwerer einzustufen ist. Auch der Wert des LCQ al., 2012) signifikant korreliert mit den Fragen 2 («Benutzt ist auffällig, vor allem durch beeinträchtigte Fähigkeiten er/sie viele vage Wörter oder Floskeln anstelle des passen- in der Darstellung inhaltlich kohärenter Gesprächsbei- den Begriffs?») (r = –.789, p =.007), 7 («Hat er/sie Schwierig- träge. Der Prozentrang von R.S. im BIWOS ist höher als keiten, bestimmte Wörter zu finden?») (r = –.803, p =.005) bei C.M. und M.H. Die Wortfindungsstörung von R.S. ist und 16 («Braucht er/sie mehrere Anläufe, bevor er/sie In- folglich weniger stark ausgeprägt und zeigt sich im Ge- halte im Gespräch vermitteln kann?») (r = –.675, p =.032) gensatz zu den anderen beiden PatientInnen vor allem des LCQ (Büttner-Kunert et al., 2021). Die zwei ersten Items im semantischen Untertest. Der Wert im LCQ ist bei R.S. mit der stärksten Korrelation erfragen direkt die Wort- jedoch auffallend hoch. Dieser resultiert insbesondere findungsleistung der PatientInnen in der Kommunikati- aus Schwierigkeiten in den Bereichen Initiieren/Ge- on. Die signifikante Korrelation mit Frage 16 des LCQ, die sprächsfluss und Enthemmung/Impulsivität, welche beson- sich auf die kohärente Darstellung von Gesprächsinhal- ders para- und nonverbale Fähigkeiten in der Kommuni- ten bezieht, zeigt den Zusammenhang von Wortfin- kation abbilden. dungsstörungen und Schwierigkeiten mit der klaren in- haltlichen Darstellung von Kommunikationsbeiträgen. 3.2.2. PatientInnengruppe mit Ergebnissen Ein ähnliches Bild zeigt sich im BeKoS (Regenbrecht & über PR 88 im BIWOS Schmid, 2013): Die beiden Beurteilungsebenen, die sich Die zweite PatientInnengruppe ist gekennzeichnet mit der Wortfindung und der inhaltlich zusammenhän- durch ein eher unauffälliges Testergebnis im BIWOS. genden Darstellung von Gesprächsinhalten befassen (1 Diese drei PatientInnen liegen im BIWOS (Benassi et al., Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 29 Original | Einfluss von Wortfindungsstörungen neurologisch bedingter Kommunikationsstörungen auf das Gesprächsverhalten 2012) über Prozentrang 88. Insbesondere bei Patient H.V. nisation die kommunikativen Leistungen von P.S. und sind die Werte des LCQ (Büttner-Kunert et al., 2021) den- W.A. beeinträchtigen. Erstere äussert sich auch in einem noch erhöht. Er ist in der Kommunikation trotz intakter hohen Wert in der Frage 25 des LCQ («Verharrt er/sie im Wortfindung auffällig. Die Störungsschwerpunkte liegen Gespräch zu lange bei bestimmten Themen?»). Der enge in den Bereichen Initiieren/Gesprächsfluss sowie Enthem- Zusammenhang dieser Frage des LCQ mit der Beurtei- mung/Impulsivität. Im BeKoS (Regenbrecht & Schmid, lungsebene 3 des BeKoS wird durch eine signifikante Kor- 2013) ist besonders der Bereich Sprechmotorik und Prosodie relation dieser untermauert (r =.762, p =.010). Ausserdem beeinträchtigt, also die para- und nonverbale Ebene. Eine haben P.S. und W.A. in Frage 4 des LCQ («Wechselt er/sie besonders hohe Korrelation besteht zwischen der Beur- zu schnell zu einem anderen Gesprächsthema?») einen teilungsebene 2 (Sprechmotorik und Prosodie) und den Fra- auffallend hohen Wert. Diese Frage korreliert signifikant gen 6 («Fällt es ihm/ihr schwer, den Gesprächspartner (r = -.775, p =.008) mit der Beurteilungsebene 1 des BeKoS anzusehen?») (r =.842, p =.002) und 17 («Hat er/sie Schwie- (Regenbrecht & Schmid, 2013). Im Gegensatz dazu liegt rigkeiten, seinen/ihren Tonfall an die Gesprächsinhalte bei Patientin A.S. der Störungsschwerpunkt im semanti- anzupassen?») (r =.913, p =.000) im LCQ. Diese erfragen schen Untertest des BIWOS. Es ist auffällig, dass zwi- entscheidende Parameter der para- und nonverbalen schen dem semantischen Untertest des BIWOS und ei- Kommunikation. H.V. schneidet in diesen Fragen mit ei- nem hohen Punktwert in Frage 4 («Wechselt er/sie nem Punktwert von 4 sehr schlecht ab, was sich mit sei- schnell zu einem anderen Gesprächsthema?») des LCQ nem Störungsschwerpunkt im BeKoS deckt. Die Werte eine signifikante Korrelation besteht (r =.700, p =.024). der PatientInnen B.W. und C.K. im LCQ sind sehr niedrig. Weder im BIWOS noch im BeKoS konnten bei A.S. Sie werden somit als eher unauffällig in der Kommuni- Schwierigkeiten in der lexikalischen Wortfindung fest- kation eingestuft. B.W. hat leichte Beeinträchtigungen gestellt werden. Im BeKoS fällt A.S. insbesondere durch im Bereich Enthemmung/Impulsivität, bei C.K. liegt der Probleme in der Informationsauswahl und im non-verbalen Störungsschwerpunkt im Bereich der Partner-Sensitivi- Kommunikationsverhalten auf. Dass A.S auch im LCQ in tät. Im BeKoS (Regenbrecht & Schmid, 2013) weisen die Frage 25 einen hohen Wert erzielt, deckt sich mit der Ergebnisse von B.W. auf Schwierigkeiten im para- und oben bereits erwähnten Korrelation dieser Frage mit Be- nonverbalen Verhalten (Beurteilungsebenen zwei und urteilungsebene 3 des BeKoS (Regenbrecht & Schmid, zwölf) hin, was sich auch im hohen Punktwert in Frage 2013). Gemeinsam ist allen PatientInnen dieser Gruppe 17 im LCQ widerspiegelt. Diese Frage korreliert signifi- die Schwierigkeit im Umgang mit GesprächspartnerIn- kant mit den Beurteilungsebenen 2 (s. Korrelation oben) nen, was auch bei A.S. ein hoher Wert im LCQ im Bereich und 12 (nonverbales Verhalten) (r =.828, p =.003). Im Fall PartnerInnen-Sensitivität zeigt, sowie eine beeinträchtigte von B.W. weisen folglich die Ergebnisse beider Fragebö- Informationsauswahl. gen auf einen Störungsschwerpunkt im para- und non- verbalen Bereich hin. Im Fall von C.K. sind im BeKoS be- 3.2.4. Patientenprofil mit leichten Wortfindungs- sonders die Informationsauswahl (Ebene drei) und störungen und guten kommunikativen Leistungen Gesprächsorganisation (Ebene neun) betroffen. Die Beur- Das Störungsprofil des Patienten W.D. unterscheidet sich teilungsebene 3 des BeKoS korreliert signifikant mit Fra- insofern von den bisherigen, als dass er trotz leichter ge 25 des LCQ («Verharrt sie im Gespräch zu lange bei be- Auffälligkeiten im lexikalischen Bereich des BIWOS (Be- stimmten Themen?») (r =.762, p =.010). nassi et al., 2012) kaum Schwierigkeiten in der Kommu- nikation zeigt. Sowohl im LCQ (Büttner-Kunert et al., 3.2.3. PatientInnengruppe mit Leistungsunterschieden 2021) als auch im BeKoS (Regenbrecht & Schmid, 2013) innerhalb der Untertests des BIWOS sind nur leichte Beeinträchtigungen zu erkennen, vor- Die dritte PatientInnengruppe zeichnet sich dadurch wiegend im Bereich von Lexikon, Syntax, Kohäsion (Ebene aus, dass die Leistungen in den beiden Untertests des BI- 1) sowie Sprechmotorik und Prosodie (Ebene 2). Dies führt WOS (Benassi et al., 2012) voneinander abweichen. Im jedoch nicht zu Beeinträchtigungen in anderen für die Gesamtpunktwert liegen sie jeweils an der Grenze zu ei- Kommunikation wichtigen Teilbereichen. nem auffälligen Testergebnis. Der Störungsschwerpunkt von P.S. und W.A. liegt im lexikalischen Bereich. Die Pro- 4. Diskussion bleme auf lexikalischer Ebene spiegeln sich auch im Be- KoS (Regenbrecht & Schmid, 2013) im Bereich Lexikon, 4.1. Einfluss der Wortfindungsstörungen Syntax, Kohäsion wider. Im LCQ (Büttner-Kunert et al., auf das Kommunikationsverhalten 2021) sind beide im Bereich der PartnerInnen-Sensitivität Bei Wortfindungsstörungen in Zusammenhang mit apha- auffällig. Mit Hilfe des BeKoS wird ausserdem festgestellt, sischen und kognitiven Kommunikationsstörungen wird dass eine korrekte Informationsauswahl und Gesprächsorga- deren Einfluss auf die kommunikativen Leistungen in Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 30 Original | Einfluss von Wortfindungsstörungen neurologisch bedingter Kommunikationsstörungen auf das Gesprächsverhalten der Literatur bereits mehrfach dargestellt (vgl. Best et al., keit und des Gedächtnisses wurden als häufigste Beglei- 2016; Boyle, 2011; Blake et al., 2015). Auch die in dieser Stu- terkrankungen genannt. Fünf PatientInnen litten an die dargestellten Ergebnisse verdeutlichen den Einfluss einem Neglect. Bei B.W. wurde zusätzlich eine Anosogno- von Wortfindungsstörungen auf sozio-kommunikative sie diagnostiziert. Diese Begleiterkrankungen sind sehr Fähigkeiten. Es wurde festgestellt, dass sich eine formal häufig und prägend für das Störungsbild der kognitiven im Test erfasste Wortfindungsstörung auch im Spontan- Kommunikationsstörungen (Büttner & Glindemann, gespräch zeigen und in entsprechenden Fragebögen fest- 2019). Durch die exekutiven und kognitiven Defizite stellbar sein kann. Wortfindungsstörungen können ins- wirkten einige der PatientInnen in ihren Reaktionen besondere zu Schwierigkeiten in der zusammenhängenden und im kommunikativen Verhalten verlangsamt/ge- Darstellung von Gesprächsinhalten führen (vgl. Regen- hemmt (PatientInnen R.S. und M.H.) oder enthemmt/ brecht & Guthke, 2017). So kann es etwa zu kommunika- überschiessend (PatientInnen W.A., P.S. und A.S.). Das tiven Missverständnissen und erhöhtem Nachfragen verlangsamte Verhalten der PatientInnen R.S. und M.H. seitens der GesprächspartnerInnen kommen, weil die kann interpretiert werden als Folge beeinträchtigter Ini- Redebeiträge wenig informativ und fragmentarisch sind. tiierungsmechanismen und reduzierter Aufmerksam- Diese negative Folge von Wortfindungsstörungen auf die keitsleistungen (vgl. Purdy, 2010). Im LCQ (Büttner-Kun- Partizipation kann auch in unserer Stichprobe gezeigt ert et al., 2021) werden R.S. und M.H. insbesondere in den werden. Im LCQ (Büttner-Kunert et al., 2021) wird bei Pa- Kategorien Initiieren und Gesprächsfluss und Kommunikati- tientInnen mit Wortfindungsstörung vor allem der Be- ves Gelingen/Wirksamkeit mit hohen Punktwerten bewer- reich kommunikativen Gelingens/Wirksamkeit als beein- tet. Sie können ein Gespräch nur schwer beginnen (Frage trächtigt angeführt. Sie werden in Fragen dieser 18 des LCQ) und durch eigene Gesprächsbeiträge auf- Kategorie mit einem höheren Punktwert eingestuft, was rechterhalten. Dadurch, dass sie lange überlegen und zö- für ein grösser empfundenes Defizit in der Partizipation gern, bevor sie GesprächspartnerInnen antworten (Frage steht. Sie benötigen oft mehrere Anläufe, um ihren Ge- 5 und 10 des LCQ), wird der Gesprächsfluss erheblich ver- sprächsbeitrag kohärent und verständlich zu formulie- zögert und die Anstrengung der GesprächspartnerInnen, ren. eine flüssige Konversation zu erreichen, wird erschwert. Die Einseitigkeit der Rollenverteilung im Gespräch geht 4.2. Weitere Einflüsse auf damit einher, dass die PatientInnen selten eigene Inhal- das Kommunikationsverhalten te in das Gespräch einbringen (Frage 26 des LCQ). Dies Zusätzlich zu Wortfindungsstörungen können auch kann sowohl durch Schwierigkeiten in der Wortfindung para- und nonverbale Fähigkeiten negative Auswirkun- als auch durch Störungen der Exekutivfunktionen (z. B. gen auf die Kommunikation haben (Büttner & Glinde- Initiierungsmechanismen) bedingt sein. Durch den feh- mann, 2019). Dieser Zusammenhang bildet sich in den lenden Antrieb kommunizieren die PatientInnen wenig Resultaten des BeKoS (Regenbrecht & Schmid, 2013) (Be- paraverbal und passen ihre Prosodie nicht an die Ge- urteilungsebene 2: Sprechmotorik und Prosodie) und dem sprächsinhalte an (Frage 17 des LCQ) (vgl. Rousseaux et LCQ (Büttner-Kunert et al., 2021) ab. Dieser Bereich wird al., 2010). Darüber hinaus können Störungen der Auf- bei den Patienten H.V., B.W. und R.S. mit einem hohen merksamkeit dazu führen, dass diese PatientInnen Ge- Punktwert bewertet. Hohe Punktwerte einzelner Fragen sprächen in der Gruppe oder in lauter Umgebung schwer des LCQ konkretisieren und bestätigen die Störungs- folgen können (Frage 13 und 29 des LCQ) und sich in sol- schwerpunkte der PatientInnen im BeKoS. So hat Patient chen Situationen selten an der Konversation beteiligen. H.V. Schwierigkeiten, GesprächspartnerInnen in die Au- Die PatientInnen mit enthemmtem Gesprächsverhalten gen zu sehen (Frage 6 des LCQ) und seinen Tonfall ad- (W.A., P.S. und A.S.) haben gemeinsam, dass sie in Folge äquat an die Gesprächsinhalte anzupassen (Frage 17 des fehlender Inhibitionsmechanismen das Gespräch domi- LCQ). Bei B.W. liegt das Problem ausserdem in der Anpas- nieren und den Kommunikationspartner selten zu Wort sung des Tonfalls und des Sprechstils an die aktuelle Si- kommen lassen (vgl. Büttner & Glindemann, 2019). Dies tuation (Frage 17 und 21 des LCQ). Patient R.S. wird in al- äussert sich besonders bei W.A. durch einen hohen len erwähnten Fragen mit einer hohen Punktzahl Punktwert im LCQ (Büttner-Kunert et al., 2021) im Be- bewertet und wird somit in para- und nonverbalen kom- reich der Enthemmung und Impulsivität. Ausserdem beein- munikativen Fähigkeiten als am stärksten beeinträch- trächtigen die gestörten exekutiven Funktionen die Fä- tigt eingestuft. higkeit der PatientInnen, sich in die Perspektive des Darüber hinaus sind bei allen PatientInnen neuropsy- Gegenübers hineinzuversetzen (vgl. Stuss & Anderson, chologische Begleitdefizite diagnostiziert, die sich je 2004), wodurch das Gespräch selbstzentriert abläuft. Im nach Art und Ausprägung unterschiedlich auf das Dis- LCQ wird dies durch hohe Punktwerte im Bereich der kursverhalten auswirken. Störungen der Aufmerksam- PartnerInnen-Sensitivität sichtbar. Das enthemmte Kom- Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 31 Original | Einfluss von Wortfindungsstörungen neurologisch bedingter Kommunikationsstörungen auf das Gesprächsverhalten munikationsverhalten wirkt sich auch auf die inhaltli- Darstellung der Gesprächsinhalte, die insbesondere che Gestaltung der Gesprächsbeiträge aus. Die PatientIn- durch Wortfindungsstörungen und einem stockenden nen verharren zu lange bei bestimmten Themen (Frage Gesprächsfluss entstehen. Die linkshemisphärische Lä- 25 des LCQ) und berichten über mehr Details, als es die sion mit eher restaphasischer Symptomatik führt bei soziale Ebene der KommunikationspartnerInnen erfor- C.M. etwa dazu, dass er Schwierigkeiten hat, situations- dert. Es fällt ihnen schwer, den Überblick über die Haupt- angemessene Wörter zu finden, um den Inhalt kohärent inhalte des Gesprächs zu behalten (Frage 19 des LCQ), darzustellen. Die schwersten Beeinträchtigungen liegen wodurch ihr Gesprächsstil sehr weitschweifig wird und in den Beurteilungsebenen Inhaltlicher Zusammenhang, sie Schwierigkeiten haben, zum Punkt zu kommen. Bei Informationsauswahl, sprachliche Angemessenheit und Ge- Patientin A.S. äussert sich dies dadurch, dass sie immer sprächsorganisation. Die PatientInnen unterscheiden sich wieder über dasselbe Thema spricht (Frage 3 des LCQ). jedoch hinsichtlich der Interaktion mit Gesprächspart- Andererseits führen die Aufmerksamkeitsdefizite und nerInnen. Einerseits fällt bei C.M. positiv ins Gewicht, die allgemeine Enthemmung zu einem schnelleren dass diese auf para- und nonverbaler Ebene herausra- Wechsel zwischen Gesprächsthemen (Frage 4 des LCQ). gend gut funktioniert. Andererseits zeigen die anderen Patient P.S. gibt ausserdem oft Antworten, die nicht in beiden aufgrund kognitiver Einschränkungen oder eines Zusammenhang mit der von Kommunikationspartne- stark gehemmten, antriebslosen Gesprächsverhaltens rInnen gestellten Frage stehen (Frage 20 des LCQ). Dies grosse Probleme, in angemessener Weise auf Gesprächs- kann dadurch entstehen, dass er gedanklich bereits bei partnerInnen einzugehen. einem anderen Gesprächsthema ist und dies durch feh- In der zweiten PatientInnengruppe (PR > 88 im BIWOS lende Inhibitionsmechanismen nicht unterdrücken (Benassi et al., 2012)) entstehen die kommunikativen kann. Die Umstellfähigkeit auf das Thema der Gesprächs- Auffälligkeiten insbesondere in Folge von Störungen auf partnerInnen fällt den PatientInnen schwer. Weitere para- und nonverbaler Ebene. Alle drei PatientInnen ha- denkbare Gründe für unpassende Antworten sind Auf- ben eine rechtshemisphärische Läsion, was dazu führt, merksamkeitsdefizite oder Sprachverständnisstörungen. dass sich ihr kommunikatives Verhalten deutlich vom Besonders charakteristisch für ein enthemmtes Ge- ersten PatientInnenprofil unterscheidet. Im Fall von H.V. sprächsverhalten ist die Schwierigkeit, einen Gesprächs- sind einige Symptome auf die dysarthrische Störung und beitrag oder ein Gespräch zu beenden (Frage 30 des LCQ). die Neglectsymptomatik zurückzuführen. Er hat grosse Darüber hinaus wird die Organisation des Gesprächs da- Schwierigkeiten, Blickkontakt zu halten oder nonverbale durch erschwert, dass Turn-Taking Signale nicht ver- Turn-Taking Signale zu senden und zu interpretieren, ständlich übermittelt und gedeutet werden und so der was in der Folge ebenfalls die Gesprächsorganisation er- Sprecherwechsel erschwert wird (vgl. Frage 11 des LCQ). schwert. Bei B.W. entsteht diese Symptomatik in Folge Ein derartiges enthemmtes, selbstzentriertes Gesprächs- beeinträchtigter Exekutivfunktionen (z. B. Inhibitions- verhalten wirkt sich bezüglich produktiver und rezeptiver mechanismen, Aufmerksamkeitsfähigkeiten). Er fällt sprachlicher Leistungen auch negativ auf das kommuni- auch dadurch auf, dass er trotz unauffälliger Leistung im kative Verhalten in Gruppen aus, da Aufmerksamkeitsres- BIWOS im BeKoS (Regenbrecht & Schmid, 2013) Beein- sourcen nicht ausreichend gebündelt werden können. trächtigungen im Bereich Lexikon, Syntax, Kohäsion zeigt, also im Gespräch durch Wortfindungsstörungen und 4.3. Interpretation der PatientInnenprofile floskelhafte, inhaltsarme Sprache auffällt. Eine reduzier- Die Heterogenität der Symptome kognitiver Kommuni- te Aufmerksamkeitskapazität führt folglich im Gespräch kationsstörungen nach verschiedensten Grunderkran- dazu, dass der Patient sich nicht auf alle kommunikati- kungen ist kennzeichnend für dieses Störungsbild (Bütt- ven Prozesse konzentrieren kann. ner & Glindemann, 2019). In der Darstellung der Die ProbandInnen der dritten PatientInnengruppe (un- Ergebnisse wurde verdeutlicht, dass sich sowohl Schwie- terschiedliche Störungsschwerpunkte im BIWOS (Be- rigkeiten in der Wortfindung als auch neuropsychologi- nassi et al., 2012)) unterscheiden sich untereinander sche Störungen deutlich aber auch in verschiedener durch das Auftreten von Wortfindungsstörungen im Ge- Weise auf das Kommunikationsverhalten auswirken. Im spräch. Während W.A. und P.S. durch Wortfindungsstö- Folgenden werden nach der oben vorgenommenen Ein- rungen und floskelhafte Sprache auffallen, tritt dies bei teilung Charakteristika der jeweiligen Störungsprofile A.S. mit bilateraler Hirnläsion kaum auf. Bei ihr liegt der skizziert. Störungsschwerpunkt im BIWOS im semantischen Be- Die erste PatientInnengruppe (PR ≤ 88 im BIWOS (Be- reich. Gemeinsam ist allen PatientInnen ein enthemm- nassi et al., 2012)) ist neben der diagnostizierten Wortfin- tes Kommunikationsverhalten, welches durch kognitive dungsstörung auch im Kommunikationsverhalten auf- Defizite bedingt ist. Durch mögliche Einschränkungen fällig. Dies äussert sich durch Probleme in der stringenten in Inhibitions-, Kontroll- und Aufmerksamkeitsleistun- Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 32 Original | Einfluss von Wortfindungsstörungen neurologisch bedingter Kommunikationsstörungen auf das Gesprächsverhalten gen ist das Gesprächsverhalten sehr weitschweifig, da chologInnen diagnostiziert und als Symptom im Patient- die PatientInnen sich in irrelevanten Details verlieren. Innenprofil erfasst (siehe Tabelle 2). Aussagen über den Auf Grund fehlender Monitoring-Prozesse wiederholen Einfluss von Schweregraden oder die Interpretation von sie sich inhaltlich sehr häufig, sodass ihr Gesprächsstil Testergebnissen auf die Wortfindungsstörung oder Dia- selbstzentriert wirkt und GesprächspartnerInnen selten logfähigkeit waren nicht Ziel der Studie. Fragestellungen zu Wort kommen. Dies kommt dadurch zustande, dass zum Einfluss von Inhibitionsfähigkeiten, Aufmerksam- die PatientInnen nicht adäquat auf Turn-Taking Signale keit oder kognitiver Flexibilität können im Rahmen die- der GesprächspartnerInnen reagieren. ser explorativen Einzelfallstudie daher nicht explizit, Patient W.D. kann in keines der drei dargestellten Pati- sondern nur durch Beobachtungen beantwortet werden. entInnenprofile passend eingeordnet werden. Trotz Weitere Arbeiten sollten sich diesen relevanten Interak- leichter Wortfindungsstörungen ist er jedoch im Spon- tionen von Sprache, Kognition und Verhalten unbedingt tangespräch kaum auffällig. Dies könnte darauf hinwei- widmen. sen, dass der Patient geeignete Coping-Strategien nutzt, um ein Gespräch erfolgreich zu führen. 5. Schlussfolgerung 4.4. Rolle der Läsionslokalisation In der Studie konnte erfolgreich der Einfluss von leich- Aufgrund der ungleichen Verteilung der Läsionslokalisa- ten Wortfindungsstörungen auf das Gesprächsverhalten tion unter den ProbandInnen (siehe Tabelle 2) ist die nachgewiesen werden. Einzelne Teilbereiche der Kom- Aussagekraft der Daten bezüglich des Einflusses der Lä- munikation sind hiervon besonders betroffen, etwa die sionslokalisation kritisch zu betrachten. PatientInnen inhaltlich kohärente Darstellung von Gesprächsbeiträ- mit linkshemisphärischer Läsion zeigen schwerwiegen- gen. Ausserdem führen exekutive und kognitive Störun- dere Probleme in der Wortfindung (BIWOS, Benassi et al., gen dazu, dass das Störungsprofil der kognitiven Kom- 2012). Dies schlägt sich auch in stärker wahrgenomme- munikationsstörungen sehr heterogen ist. Sie lassen nen Defiziten in sozio-kommunikativen Fähigkeiten sich jedoch gut nach ähnlicher Symptomatik in Stö- nieder. Bei den linkshemisphärisch betroffenen Patien- rungsprofile einteilen, wie etwa Weitschweifigkeit im tInnen lag der Störungsschwerpunkt im lexikalischen Vergleich zu sehr gehemmtem Kommunikationsverhal- Bereich, während er bei PatientInnen mit rechtshemi- ten. Zur weiteren Spezifikation der verschiedenen Aus- sphärischer Schädigung eher im semantischen Bereich prägungsformen der kognitiven Kommunikationsstö- lag (vgl. Thompson et al., 2016). PatientInnen mit rechts- rung wäre eine grössere Stichprobe notwendig. hemisphärischer Schädigung sind ausserdem vermehrt im para- und nonverbalen Gesprächsverhalten auffällig. Danksagung Die Analyse des Einflusses der Läsionslokalisation war jedoch nicht zentraler Untersuchungsgegenstand dieser Wir danken besonders unseren AnsprechpartnerInnen Studie. Es bedarf hier noch weiterer Untersuchungen. in der NEUROKOM in Bad Tölz und der Schön Klinik Bad Aibling, die für die Datenerhebung ihre Räume zur Ver- 4.5. Limitationen der Studie fügung stellten und so diese Studie erst möglich gemacht Die Hauptlimitation der Studie besteht in der mit 10 Teil- haben. Herzlichen Dank an Caro Schmidt, die uns beson- nehmerInnen geringen Stichprobengrösse. Ausserdem ders bei der Erhebung der Daten in Bad Aibling grosszü- sind die Grunderkrankungen der PatientInnen hetero- gig und mit sehr grossem Engagement geholfen hat. Vie- gen, weshalb sich keine Rückschlüsse auf Störungsprofi- len Dank auch Daniel Lubecki und seinem Team aus Bad le in Folge bestimmter Grunderkrankungen ziehen las- Tölz, die uns bei der PatientInnenakquise tatkräftig un- sen. Es wird dadurch jedoch gut die Heterogenität des terstützt haben. Störungsbilds der kognitiven Kommunikationsstörun- gen abgebildet. Die Rolle von Grunderkrankungen und Interessenkonflikt Läsionslokalisation sollte in zukünftigen Studien näher untersucht werden. Zudem erfolgte eigens für die Studie Bei der Durchführung der Studie sowie der Auswertung keine standardisierte Diagnostik kognitiver Fähigkeiten. und Darstellung der Inhalte und Ergebnisse lagen bei Neuropsychologische Defizite wie Exekutivstörungen den Autorinnen keine Interessenskonflikte vor. oder Neglect wurden durch die behandelnden Neuropsy- Kontakt | Nathalie Heider, Institut für Deutsche Philologie, Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften, Ludwig-Maximilians-Universität München, Schellingstr. 3 / RG, 80799 München, Heider.Nathalie@campus.lmu.de Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 33 Original | Einfluss von Wortfindungsstörungen neurologisch bedingter Kommunikationsstörungen auf das Gesprächsverhalten Literaturverzeichnis Abusamra, V., Côté, H., Joanette, Y. & Ferreres, A. (2009). Communication Impairments in Patients with Right Hemisphere Damage. Life Span and Disability, 7(1), 67–82. 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Les personnes ayant une APP restent longtemps autonomes dans la vie quotidienne, mais elles s’isolent pro- gressivement des interactions sociales en raison de leurs difficultés langagières. Cet isolement communicationnel a des répercussions majeures sur la santé psychique des personnes avec une APP et peut les conduire à une dépression. Après avoir décrit la préva- lence de la dépression dans la population courante puis dans les affections cérébrales nous ciblerons notre propos sur sa survenue chez les personnes qui ont une APP en montrant qu’elles sont une population particulièrement à risque. Nous conclurons en montrant que si les données sont encore peu nombreuses dans le domaine, la dépression doit faire l’objet d’une évaluation et d’une prise en soin systématique, spécifique et pluri- disciplinaire dans les APP. Il est nécessaire que de futures recherches fournissent aux professionnels un cadre systématique afin d’optimiser l’accompagnement des patients et de leurs proches au quotidien. Mots clés: Aphasie Primaire Progressive, Dépression, Communication 1 Unité de recherche PsyNCog, Université de Liège, Belgique Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 36 EN | Abstract Primary Progressive Aphasia (or PPA) is a progressive and relatively isolated language impairment caused by a neurodegenerative condition. People with PPA remain inde- pendent in daily life for a long time, but they gradually isolate themselves from social interactions due to their language difficulties. This communicational isolation has major impact on the mental health of people with PPA, which can lead to depression. After having described the prevalence of depression in the current population and then in cerebral diseases, we will focus our remarks on its occurrence in people with PPA by showing that they are a population particularly at risk. We will conclude by showing that although data are still scarce in the field, depression should be the subject of systematic, specific and multidisciplinary assessment and treatment in people with PPA. Future research needs to provide professionals with a systematic framework in order to optimize the support for patients and their families on a daily basis. Keywords: Primary Progressive Aphasia, Depression, communication Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 37 Forum | Dépression dans les Aphasies Primaires Progressives 1.0 Introduction 1.3 La dépression dans la population neurologique 1.1 Qu’est-ce que la dépression? La dépression dans les populations neurologiques est Selon l’Organisation Mondiale de la Santé (OMS), «La dé- plus importante que dans la population générale, et pression constitue un trouble mental courant, caractérisé par la s’étend de 6 à 42 % (ce chiffre étant retrouvé pour la Mala- tristesse, la perte d’intérêt ou de plaisir, des sentiments de die de Parkinson) en variant considérablement selon le culpabilité ou de faible estime de soi, des troubles du sommeil ou type d’atteinte cérébrale (vasculaire, inflammatoire, tu- de l’appétit, d’une sensation de fatigue et d’un manque de moral) et les méthodes de recueil (Fond et al., 2019). concentration. Elle peut être de longue durée ou récurrente, et porte essentiellement atteinte à la capacité des personnes à 1.3.1 La dépression dans les pathologies fonctionner au travail ou à l’école, ou à gérer les situations de la neurodégénératives vie quotidienne. Dans les cas les plus graves, la dépression peut La prévalence de la dépression dans les pathologies neu- conduire au suicide. Lorsque légère, la dépression peut être trai- rodégénératives est ainsi plus importante que dans la tée sans médicaments. Cependant, lorsqu’elle est modérée ou population générale (Kuring et al., 2018). Elle diffère éga- grave, les patients peuvent avoir besoin de médicaments et d’une lement selon les étiologies (Kuring et al., 2018; Shdo et thérapie par le dialogue.» (OMS, 2021). al., 2020) qui ont des profils spécifiques (Shdo et al., 2020) Selon la définition du Manuel diagnostique et statistique et selon leur moment d’apparition, c’est-à-dire avant ou des troubles mentaux (DSM V), «Le diagnostic d’épisode dé- après le diagnostic de démence (Baquero & Martín, 2015). pressif majeur requiert 5 symptômes ou plus qui doivent être Elle serait de l’ordre de 40 % dans la Maladie d’Alzheimer, présent dans une période de 15 jours. Un de ces symptômes doit 35 % dans la Maladie de Parkinson et 30 à 45 % dans la être au moins soit une humeur dépressive, soit une anhédonie maladie de Huntington (Galts et al., 2019). Les symp- (perte d’intérêt ou du plaisir). Les symptômes secondaires tômes dépressifs et la dépression ont des répercussions peuvent être une modification du poids ou de l’appétit, des diffi- négatives sur la qualité de vie des patients et constituent cultés de sommeil (insomnies ou hypersomnies), un ralentisse- un fardeau supplémentaire pour les aidants (Baquero & ment ou une agitation psychomotrice, une fatigue ou une perte Martín, 2015). Signalons enfin que 85 % des personnes d’énergie, une diminution de concentration, un sentiment d’inu- accueillies en maison de retraite présentent une affec- tilité ou de culpabilité excessif et des idées suicidaires. Ces tion neuropsychiatrique et plus de la moitié des per- symptômes sont évalués de façon dichotomique (absent ou pré- sonnes testées présentent des éléments dépressifs (Kuh- sent)» (Tolentino & Schmidt, 2018). nel et al., 2010). La Haute Autorité de Santé (HAS) utilise le terme «d’Épi- sode Dépressif Caractérisé» (ou EDC) dont il est possible 1.3.2 La dépression dans l’accident de préciser la sévérité selon le nombre de symptômes et vasculaire cérébral leurs répercussions sur le quotidien (HAS, 2017). Elle pré- Dans les 5 années qui suivent l’accident vasculaire céré- cise que les critères de la Classification Internationale bral (AVC), 31 % des patients vont en effet présenter une des Maladies (CIM-10) et du DSM V sont ceux les plus dépression (Hackett & Pickles, 2014) et/ou d’autres symp- couramment utilisés. On distinguera ainsi l’épisode dé- tômes tels que l’anxiété pour près de 25 % (Knapp et al., pressif (et donc limité dans le temps) de la dépression (ou 2020). La dépression post-vasculaire touche autant les Épisode Dépressif Caractérisé) qui s’installe dans le hommes que les femmes (Volz et al., 2021), mais reste temps et interfère significativement avec le fonctionne- sous-diagnostiquée (Medeiros et al., 2020) alors qu’elle ment quotidien (HAS, 2017). constitue un facteur important de risque de complica- tions voire d’augmentation de la mortalité. Elle limite 1.2 La dépression dans par ailleurs l’amélioration fonctionnelle des patients. la population générale (Robinson & Jorge, 2015). La prévalence d’épisodes dépressifs majeurs peut être estimée autour de 8 à 10 % dans la population mondiale 1.3.3 La dépression dans l’aphasie vasculaire (Tolentino & Schmidt, 2018) et 6 % en Suisse selon l’Obsan Les données actuelles ont démontré qu’une perturbation (Observatoire Suisse de la santé, 2013). Elle augmente si- de la communication et du langage dans les suites d’un gnificativement avec une invalidité et varie selon les ca- AVC (aphasie vasculaire) multipliait par trois le risque de ractéristiques sociodémographiques (les femmes sont présenter une dépression dans les 18 mois qui suivent davantage touchées) particulièrement chez les sujets (De Ryck et al., 2014; Kauhanen et al., 2000) et qu’à l’instar âgés de plus de 65 ans (Fond et al., 2019). de l’anxiété, elle en aggravait la sévérité (Shehata et al., 2015) et compliquait la prise en charge (Northcott et al., 2018; Sekhon et al., 2015). Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 38 Forum | Dépression dans les Aphasies Primaires Progressives 2.0 Dépression et l’Aphasie Primaire de symptômes de dépression que les participants Progressive (APP) contrôles (respectivement 34,4 vs 1,8 %). Et le nombre de symptômes dépressifs était corrélé avec la sévérité du Parmi le spectre des affections dégénératives, l’APP est déficit au test de dénomination orale. Un autre point in- un syndrome démentiel caractérisé sur le plan clinique téressant était que les personnes avec le plus haut score par une atteinte prédominante et relativement isolée du de dépression étaient ceux qui avaient connu des épi- langage comparativement aux autres fonctions cogni- sodes dépressifs auparavant. Enfin, les symptômes d’iso- tives (Mesulam, 2013). Plusieurs variants sont retrouvés lement social et de manque d’énergie physique et mental dans la littérature selon que l’atteinte linguistique étaient les plus communs (Medina & Weintraub, 2007). concerne la sémantique (APP variant sémantique dans Une autre étude rétrospective de Gomez-Tortosa et al. lequel les personnes perdent toutes leurs connaissance (2016), comparant 41 APP variant sémantique et 39 APP sur le monde), la syntaxe (APP variant agrammatique variant non-fluent agrammatique à deux temps (évalua- dans lequel les personnes sont en difficulté pour pro- tion initiale et finale), a montré que les variants non- duire et comprendre les phrases complexes), la phonolo- fluents agrammatiques étaient davantage sujets à la dé- gie (APP variant logopénique dans lequel les personnes pression et davantage médicamentés (Gómez-Tortosa et ont un manque du mot important et font de nombreuses al., 2016). pauses) ou la phonétique (APP apraxie de la parole dans Ces études mettent en lumière deux points majeurs: les lequel les personnes ont des difficultés pour articuler). symptômes de dépression, voire la dépression, sont fré- Les personnes présentant une APP conservent globale- quents dans les APP et le sont d’autant plus que le ment une bonne autonomie au quotidien mais leurs ca- manque du mot est important, c’est pourquoi une éva- pacités linguistiques rendent difficile la participation luation systématique de la dépression est nécessaire. aux échanges conversationnels (Fried-Oken et al., 2015) en provoquant un isolement jusqu’au sein-même de la 2.1 Les personnes ayant une APP cellule familiale (Davies & Howe, 2020; Medina & Wein- sont-elles davantage à risque de traub, 2007). Chez ces personnes, la conscience des présenter une dépression? troubles est très présente et l’ensemble de ces éléments Les données de la littérature sont claires: la présence peut les conduire à la dépression (Medina & Weintraub, d’une lésion cérébrale qu’elle soit dégénérative ou vascu- 2007) voire au suicide, plus particulièrement pour le va- laire augmente la prévalence de dépression. Et la pré- riant sémantique d’APP (Hsiao et al., 2013; Sabodash et sence d’une aphasie après un AVC multiplie par trois le al., 2013). Des données suggèrent qu’au moins 40 % des risque de présenter une dépression (De Ryck et al., 2014; patients APP présentent une dépression (Ruggero et al., Galts et al., 2019; Hackett & Pickles, 2014; Kauhanen et al., 2019) tant les conséquences sur la communication, les 2000; Kuring et al., 2018; Shdo et al., 2020). Puisque l’APP réseaux sociaux et la capacité à participer à une multi- est une aphasie liée à une affection neurodégénérative, il tude d’activités quotidiennes sont manifestes (Nickels & y a fort à parier pour que ces éléments se potentialisent. Croot, 2014). Les APP seraient donc davantage à risque de présenter Bien que peu nombreux, les travaux portant sur la dé- une dépression. Cela trouve confirmation dans l’étude pression dans les APP rapportent qu’elle est l’un des très récente de Shdo et al. (2020): parmi un grand nombre symptômes neuropsychiatriques les plus fréquemment de patients souffrant de différentes affections cognitives retrouvés dans les APP (Fatemi et al., 2011; Mesulam, dégénératives, ce sont les patients avec APP (variant sé- 1982). Elle serait de l’ordre de 38 % (contre 5 % chez les mantique) qui présentent le score le plus élevé lié à l’in- contrôles) dans cette étude (Fatemi et al., 2011) et Banks quiétude quant à leur état de santé (subscore de la Géria- & Weintraub (2009) ont retrouvé que ces perturbations tric Depression Scale) (Shdo et al., 2020). étaient davantage présentes dans les 5 premières années Ce risque plus important de présenter une dépression en qui suivent le début des symptômes qu’au stade plus tar- cas d’APP pourrait procéder de différents niveaux. Sur le dif (Banks & Weintraub, 2009). Medina & Weintraub plan physiopathologique, les APP sont fréquemment (2007) ont mené une évaluation systématique de la dé- liées au processus physiopathologique rencontré dans la pression à l’aide de la Gériatric Depression Scale (Yesa- Démence Fronto-Temporale (qui a le plus haut pourcen- vage et al., 1982) auprès de 61 patients présentant une tage de prévalence de dépression) ou dans la Maladie APP sans en détailler les variants mais en sélectionnant d’Alzheimer (Kuring et al., 2018). Sur le plan psycholo- des patients avec une compréhension suffisante. Bien gique, les patients ont une bonne conscience de leurs dif- que les patients ne se déclarent pas cliniquement dépri- ficultés (Banks & Weintraub, 2009; Mesulam, 2013), més, une proportion significative des patients a obtenu conscience qui peut aggraver une mauvaise image de soi des scores évoquant une dépression. Ils ont rapporté plus qui peut être péjorée par les stéréotypes erronés liés au Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 39 Forum | Dépression dans les Aphasies Primaires Progressives vieillissement (Adam et al., 2013). En outre, les troubles pression Questionnaire ou SADQ-10 (Lincoln et al., 2000)) du langage limitent la participation aux conversations et et l’échelle de dépression dans l’aphasie vasculaire (ou induisent un isolement jusqu’au sein même de la sphère Aphasic Depression Rating scale (ADRS (Benaim et al., familiale (Medina & Weintraub, 2007). Et pour certains 2004)) sont toutefois les outils à utiliser à ce jour (van variants d’APP comme le sémantique, la perte des Dijk et al., 2016). Et bien qu’ils soient à disposition, le re- connaissances conceptuelles, dont les concepts sociaux pérage de la dépression reste encore à améliorer (Baker et (Bertoux et al., 2020), constitue indéniablement un han- al., 2021) en le systématisant, et en formant davantage les dicap pour interagir socialement et garder sa place en professionnels de santé au contact des patients (North- tant qu’être humain faisant partie d’un système familial cott et al., 2018; Sekhon et al., 2015) afin de repérer clini- ou social (Pozzebon et al., 2017). quement la dépression dès ses premiers signes. Pour les proches, les ajustements liées aux troubles du langage et à leurs conséquences sont parfois douloureux 4.0 Prise en charge de la dépression (Kaiser & Panegyres, 2016), constituant un fardeau signi- ficatif (Gentry et al., 2020; Liu et al., 2017; Nickels & Croot, Comme évoqué, la prise en charge de la dépression passe 2014; Wong et al., 2020) dont le patient prend presque par un dépistage systématique de celle-ci. Dans le cadre systématiquement la mesure (Banks & Weintraub, 2009; des maladies neurodégénératives, le traitement de pre- Douglas, 2014; Pozzebon et al., 2017). Et le type de lien mière intention de la dépression est systématiquement entre le patient et son proche-aidant est également un le traitement médicamenteux (Baquero & Martín, 2015; facteur qui peut soulager ou au contraire grever ce far- Galts et al., 2019). La prise en charge non-médicamen- deau (Braun et al., 2010). teuse est citée en tant que traitement alternatif ou com- Enfin, une partie des APP surviennent avant 65 ans plémentaire, alors que l’envisager en première ligne et de (Westbury & Bub, 1997). Les patients sont souvent jeunes concert avec la mise en lumière des origines possibles de et encore en activité, ce qui soulève d'autres probléma- la dépression serait une avancée majeure (Baquero & tiques financières et/ou professionnelles comme le deuil Martín, 2015). Il s’agirait alors de s’intéresser à la qualité d’une fin de carrière à son apogée ou d’une retraite pai- de vie et de la prendre comme critère de jugement prin- sible (Nickels & Croot, 2014). De plus, dans le cas des APP cipal de notre intervention (Ruggero et al., 2019). Ce les personnes font face à un double défi: être conscient changement fondamental de paradigme nécessitera au que l’on «perd» une partie de ses capacités à communi- préalable un définition conceptuelle et clinique plus dé- quer d’une part et d’autre part faire face à la réactivation taillée du concept de qualité de vie qui inclurait par du deuil d’une retraite sans encombre chaque fois que la exemple l’insertion sociale, la qualité et la satisfaction maladie s’aggrave (Pozzebon et al., 2017). des échanges du sujet (Ruggero et al., 2019). Le défi est alors de disposer de professionnels psychologues sensi- 3.0 Comment évaluer la dépression bilisés aux patients avec troubles du langage et à leurs dans l’aphasie? aidants afin de les accompagner plus efficacement (Nor- thcott et al., 2018; Sekhon et al., 2015). 3.1 Données littérature et Outils L’évaluation de la dépression est classiquement menée à 5.0 Dépression et APP: perspectives l’aide d’échelles validées reposant sur des auto ou hétéro- questionnaires destinées aux patients (Yesavage et al., Les données concernant la dépression dans les APP sug- 1982) et construits pour la plupart il y a plusieurs décen- gèrent que les personnes ayant une APP sont plus à nies de cela. Ces outils ne sont pas d’emblée parfaitement risque de présenter une dépression et qu’il est au- adaptés aux patients présentant des troubles du langage jourd’hui nécessaire de l’évaluer systématiquement à et notamment des troubles de la compréhension car ils l’aide d’outils bien construits sur le plan psychométrique utilisent des termes rares et abstraits (Northcott et al., et adaptés à cette population spécifique et aux enjeux 2018; Sekhon et al., 2015; Townend Ellen et al., 2007). qu’elle rencontre. La formation spécifique des profes- Néanmoins, il existe plusieurs outils qui ont été spécifi- sionnels sur ce point permettra un meilleur repérage et quement construits pour évaluer la dépression auprès de induira par conséquence un meilleur accompagnement personnes présentant une aphasie vasculaire (Laures- des patients, des proches et du système dans lequel ils Gore et al., 2017; van Dijk et al., 2017) mais aucun n’a été vivent. conçu pour la population des APP. Une analyse récente de Il est souhaitable d’ores et déjà de proposer tout d’abord ceux-ci a pointé un certain nombre de limites psycho- un accompagnement pluridisciplinaire et multimodal métriques (van Dijk et al., 2016), mais le questionnaire de (langage verbal, non verbal, images) dès l’annonce du dépression dans l’aphasie vasculaire (Stroke Aphasia De- diagnostic médical, afin de faciliter la mise en place et Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 40 Forum | Dépression dans les Aphasies Primaires Progressives l’intervention des logopédistes, psychologues et ergothé- 2020; Volkmer et al., 2019. Il s’agira donc de développer rapeutes comme acteurs incontournables et complé- l’approche par résolution de problèmes et non unique- mentaires d’une approche médicamenteuse symptoma- ment celle centrée sur les déficits (Nickels & Croot, 2014; tique ou thymique (Nickels & Croot, 2014; Rogalski & Ruggero et al., 2020). Khayum, 2018). Puisque la dépression survient dans les 5 premières an- 6.0 Conclusion nées qui suivent le diagnostic d’APP, il faudrait aussi mettre en place le plus précocement possible (de Aguiar En conclusion, les données de la littérature montrent et al., 2020) la thérapie logopédique, dont les effets posi- que la dépression survient chez au moins 40 % des pa- tifs sont maintenant très bien documentés (Henry et al., tients ayant une APP. Cette prévalence est probablement 2018; Meyer et al., 2018; Volkmer et al., 2020). Cela per- sous-estimée car l’évaluation n’est pas systématique et la mettra de rompre l’isolement communicationnel des sensibilisation des professionnels (qui sont demandeurs) patients, qui est un des facteurs de risque de la dépres- au contact des patients est encore nécessaire. Repérer les sion. Cette thérapie sera linguistique d’une part et ralen- patients ayant une dépression permettra d’optimiser la tira la dégradation du langage. D’autre part, par une ap- prise en soin par un accompagnement spécifique de la proche pragmatique et écologique permise par les dépression et par un changement de paradigme théra- systèmes de communication alternative (des carnets peutique qui prend comme but ultime la qualité de vie. Et papiers ou des applications telles que Gong® (SameSame, si ce concept reste encore à définir plus clairement, 2018), elle permettra une expression de leurs émotions et toutes les données montrent qu’une communication op- ressentis. Elle facilitera également la participation des timale au quotidien en est le meilleur gage de réussite. patients aux échanges du quotidien avec leurs proches (Fried-Oken et al., 2015; Nickels & Croot, 2014; Renard, L’auteur ne déclare aucun lien d’intérêt avec cet article. Contact | Antoine Renard, Unité de recherche PsyNCog, Université de Liège Belgique, antoine.renard.recherche@gmail.com, Bibliographie Adam, S., Joubert, S., & Missotten, P. (2013). 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Dieser Beitrag gibt eine Übersicht über Definitionen, Symptome, Erklärungsansätze sowie Diagnostik- und Therapieverfahren, die zu Sprechangst im Zusammenhang mit dem Störungsbild der Aphasie in der Literatur diskutiert werden. Im Rahmen eines Scoping Reviews wurde in den Datenbanken PubMed, Livivo, Cochrane Library, speechBITE und AshaWire von Februar bis Mai 2019 (Datum der letzten Literatursuche: 25. Mai 2019) eine systematische Recherche durchgeführt. 57 relevante Studien wurden identifiziert, ausge- wertet und narrativ zusammengefasst. In der Diagnostik dominieren aktuell kombinierte Messverfahren, die körperliche und sprachliche Symptome ermitteln. In der Therapie kommen überwiegend alternativmedizinische Verfahren zum Einsatz. Die einzigen Evidenzen, die für die logopädische Behandlung vorliegen, weisen die Wirksamkeit integrativer Verfahren bestehend aus konventioneller Sprachtherapie und Entspan- nungsverfahren nach. Insgesamt ist die Studienlage zu dem Themengebiet noch sehr lückenhaft. Besonders hoher Forschungsbedarf besteht in der Entwicklung standardi- sierter Diagnostikverfahren zur Erfassung von Sprechangst bei Menschen mit Aphasie sowie in der Untersuchung der Wirksamkeit sprachtherapeutischer Interventionen für Betroffene. Schlüsselwörter: Sprechangst, Aphasie, Diagnostik, Therapie, Scoping Review 1 RIS Swiss Section, Deutschsprachige Schule Bangkok, Thailand 2 Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Hochschule Osnabrück, Deutschland Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 45 EN | Abstract People with aphasia often experience negative feelings such as anxiety or stress due to their communicative impairments in everyday conversational situations. There is a particularly high risk for the development of anxiety disorders. This paper provides an overview of definitions, symptoms, explanatory approaches, and diagnostic and thera- peutic procedures discussed on speech anxiety in the context of aphasia in the litera- ture. As part of a scoping review, a systematic search was conducted in the PubMed, Livivo, Cochrane Library, speechBITE, and AshaWire databases from February to May 2019 (last date of search: 25th of May 2019). 57 relevant studies were identified, analyzed, and summarized narratively. Combined measurement procedures that identify physical and speech symptoms currently dominate diagnostic procedures. In therapy, alterna- tive medical procedures are predominantly used. The only evidence available for speech and language therapy shows the effectiveness of integrative methods consisting of conventional speech therapy and relaxation methods. Overall, research on the subject area is extremely limited. There is a particularly high need for research in the develop- ment of standardized diagnostic procedures for the assessment of speech anxiety in people with aphasia as well as in the examination of the effectiveness of speech and language therapy interventions. Keywords: speech anxiety, aphasia, diagnostics, therapy, scoping review Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 46 Forum | Aphasie und Sprechangst: Ein Scoping Review zum Forschungsstand 1.0 Einleitung ale Phobie bezeichnet, als distinktiver Subtyp zugeord- net. Der Subtyp wird als «performance-only subtype» be- 1.1 Sprechangst und Aphasie zeichnet und beschreibt ausschliesslich die Angst vor Menschen mit Aphasie erleben aufgrund ihrer kommu- dem Sprechen. Er wird vom generalisierten Subtyp abge- nikativen Beeinträchtigungen nicht nur Einschränkun- grenzt, der auch in sozialen Situationen auftritt, die kei- gen im Alltag, sondern sind häufig negativen Gefühlen ne verbale Kommunikation erfordern (Pollay 2012; Sko- wie Angst oder Stress ausgesetzt. Folglich besteht bei ih- cic et al., 2015). nen ein besonders hohes Risiko für die Entwicklung von Sowohl in der Literatur als auch im alltäglichen Sprach- Angststörungen (Morris et al., 2017). Eine häufig auftre- gebrauch existieren zur Beschreibung dieser spezifi- tende Angststörung ist dabei die Sprechangst (Caha- schen Angst eine Vielzahl an Begriffen. Die geläufigsten na-Amitay et al., 2011). Die Entwicklung einer solchen Bezeichnungen sind die der Sprech- oder Redeangst: Sie Angst kann weitreichende Folgen haben: So beginnen beschreiben die Angst vorm tatsächlichen oder antizi- viele Betroffene aufgrund ihrer Angst soziale Situatio- pierten Sprechen, das in der Regel vor einer Gruppe oder nen zu vermeiden, in denen verbale Kommunikation ge- einem Publikum erfolgt (Pollay, 2012). In ihren Definitio- fordert ist. Dies kann in extremen Fällen sogar bis hin nen von Sprechangst stützen sich zahlreiche AutorIn- zur sozialen Isolation führen und Betroffene in ihrer Le- nen auf die Trait-State-Anxiety-Theorie nach Spielberger bensqualität stark beeinträchtigen (Cahana-Amitay et (1966). Übertragen auf die Störung der Sprechangst be- al., 2011). Menschen mit Aphasie, die von Sprechangst be- deutet dies laut Beushausen (2009), dass diese sich aus troffen sind, befinden sich in vielen Sprechsituationen zwei verschiedenen Erscheinungsformen zusammen- in einem Zustand des Stresses, der nachweislich nicht setzt: Einerseits der habituellen Sprechangst, das heisst nur den lexikalischen Abruf von Wörtern und die allge- einer persönlichkeitsabhängigen, individuell unter- meine Sprachproduktion erschwert (Buchanan et al., schiedlichen und verschiedene Situationen überdauern- 2014), sondern auch auf neurophysiologischer Ebene zu de Eigenschaft (trait anxiety) in Form einer erhöhten Hemmungen neuronaler Lernprozesse führen kann Ängstlichkeit bezüglich des Sprechens, sowie anderer- (Hunting Pompton et al., 2018). Dadurch wird der gesam- seits der situativen Sprechangst, deren Intensität je nach te Rehabilitationsprozess möglicherweise gebremst Sprechsituation für die Betroffenen variieren kann in (Cahana-Amitay et al., 2011). Form von psychologischen und physiologischen Reakti- Trotz dieser weitreichenden Folgen einer Sprechangst onen (state anxiety). Basierend auf dieser Annahme erweist sich die Studienlage insgesamt als äusserst lü- kann das Konstrukt der Sprechangst anhand von ver- ckenhaft. Insbesondere im Bereich der Sprachtherapie schiedenen Persönlichkeits- und Situationsvariablen existieren nur wenige Studien, in denen die Effekte untersucht werden. sprachtherapeutischer Interventionen bei Personen mit Die Symptome, die im Zusammenhang mit Sprechangst Aphasie und Sprechangst untersucht werden. Ziel dieses in der Fachliteratur diskutiert werden, äussern sich typi- Scoping Reviews war es daher, eine systematische Über- scherweise auf der kognitiven, behavioralen sowie kör- sicht über die internationale Literatur zu Sprechangst perlichen bzw. physiologischen Ebene (Beushausen, und Aphasie zu geben und Forschungsbedarfe herauszu- 2004). Während für die kognitive Ebene beispielsweise stellen. Dabei standen die beiden folgenden Fragen im Befürchtungen vor negativen Bewertungen der Zuhöre- Mittelpunkt: rInnen kennzeichnend sind, beziehen sich die Sympto- 1. Welche Definitionen werden verwendet und welche me der behavioralen Ebene auf bestimmte Verhaltens- Erklärungsansätze, Konsequenzen sowie diagnosti- muster (z. B. Vermeidung von Blickkontakt, Scharren der schen und therapeutischen Ansätze werden in der Füsse), die bei vielen Betroffenen als Reaktion auf ihre deutsch- und englischsprachigen Literatur in Zusam- Angst beobachtet werden können (Pollay, 2012). Zu den menhang mit Sprechangst bei Aphasie diskutiert? Symptomen der körperlichen Ebene zählen hingegen 2. Inwiefern wird dabei der Stand der psychologischen beispielweise ein Anstieg der Herzfrequenz, Schwitzen Forschung zum Störungskomplex der Sprechangst be- oder Erröten (Kim et al., 2012). rücksichtigt? Weitere Forschungsinhalte sind zudem Copingstrategi- en, das heisst verschiedene Formen der Bewältigung, mit 1.2 Sprechangst in der Psychologie und denen Betroffene auf ihre Angst reagieren, sowie die zeit- Psychotherapie liche Aufteilung des Sprechangstgeschehens in die Anti- Nach dem amerikanischen Klassifikationssystem DSM-5 zipationsphase, die Sprechsituation selbst sowie die (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) Post-Phase (Pollay, 2012). der American Psychiatric Association (APA, 2013) wird In der psychotherapeutischen Diagnostik und Behand- die Sprechangst der sozialen Angststörung, auch als sozi- lung von Sprechangst werden die drei Reaktionsebenen, Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 47 Forum | Aphasie und Sprechangst: Ein Scoping Review zum Forschungsstand auf denen sich die Symptome manifestieren, ebenfalls breitet (Beushausen, 1996). Als Entspannungsverfahren voneinander abgegrenzt. Bei der diagnostischen Erfas- kommt häufig die Progressive Muskelentspannung nach sung von Sprechangst wird grundsätzlich zwischen uni- Jacobson (1938) zum Einsatz, bei der Betroffene lernen, und multidimensionalen Messverfahren unterschieden ihre Angst schrittweise abzubauen. (Bartholomay & Houilihan, 2012). Während unidimensi- Zudem finden in den letzten Jahren computergestützte onale Verfahren, wie z. B. die Messung der kardiovaskulä- Verfahren bzw. der Einsatz elektronischer Geräte (z. B. ren Reaktivität, ausschliesslich eine Reaktionsebene von von Virtual-Reality Brillen) Eingang in die Konfrontati- Sprechangst erfassen können, sind multidimensionale onstherapie (Kriebel, 2014): Immer häufiger wird bei- Messverfahren auf die Untersuchung aller drei Reakti- spielsweise die Virtual Reality Therapie zur Behandlung onsebenen ausgerichtet (ebd.). Hier werden vor allem von Sprechangst eingesetzt (Pull, 2012). Anstelle einer Fragebögen zur Selbstbeurteilung eingesetzt, die die Exposition mit realen Situationen werden die PatientIn- Symptome aller drei Komponenten der Sprechangst ab- nen hierbei mit Simulationen verschiedener angstauslö- decken (ebd.). Zur Erfassung der Sprechangstsymptoma- sender Situationen (z. B. das Reden vor einer Gruppe) tik in der Praxis werden diese häufig ergänzend zu klini- konfrontiert (Stupar-Rutenfrans, 2017). Diese werden ih- schen Interviews bzw. Anamnesegesprächen genutzt nen über visuelle Ausgabegeräte wie dem Head-Moun- (ebd.). ted-Display (umgangssprachlich Virtual-Reality Brille) Die Therapieverfahren zielen ebenfalls vorrangig auf die gezeigt (ebd.). Behandlung bzw. Reduzierung der Symptome ab. Den Medikamentöse Behandlungen sind in der Sprechangst- grössten Teil nehmen hierbei integrative Verfahren ein, therapie ebenfalls möglich (Beushausen, 1996). Mit dem welche verschiedene Behandlungsverfahren kombinie- Hauptziel, die körperlichen Angstsymptome der Betrof- ren, um Effekte auf allen drei Symptomebenen zu erzie- fenen zu reduzieren, werden vor allem Beta-Blocker (z. B. len (Ebrahimi et al., 2019). Es handelt sich dabei bei- Propanolol) zur Behandlung von Sprechangst eingesetzt. spielsweise um kombinierte Interventionen aus Diese finden meistens ergänzend zu verhaltensthera- Entspannungsverfahren sowie Ansätzen aus der syste- peutischen Massnahmen wie der Konfrontationsthera- matischen Desensibilisierung und der kognitiven Ver- pie (Pull, 2012) in der Psychotherapie Anwendung. Tabel- haltenstherapie (ebd.). Die systematische Desensibilisie- le 1 gibt eine Übersicht über weitere Verfahren, die in der rung, bei der Menschen mit Sprechangst gezielt mit psychotherapeutischen Behandlung von Sprechangst ihrer Angst konfrontiert werden, ist auch als alleinste- eingesetzt werden. hendes verhaltenstherapeutisches Verfahren sehr ver- Therapierichtung Art des Verfahrens Name des Verfahrens Verhaltenstherapie Konfrontationstherapie • Systematische Desensibilisierung • «Flooding & Implosion» • Visualisierungen • Rollenspiele Entspannungsverfahren • PMR (Progressive Muskelentspannung) • Autogenes Training • MBSR (Mindfulnes Based Stress Reduction) Kognitive Verhaltenstherapie und -verfahren • Rational-Emotive Therapie • Stress Inoculation Training • Gedankenstop Computergestützt/ • Virtual Reality Einsatz elektronischer Hilfsmittel • Biofeedback • Internetbasierte Selbsthilfeprogramme Skill Training Übungsprogramme für sprecherische • Rhetoriktraining Fertigkeiten/ Verhaltensfertigkeiten • Rhetoritherapy • Conversational Skills Programm Integrative Verfahren Kombination verschiedener Verfahren • Integrative Approach • Integratives Gruppen- und Einzeltraining • Integrativer Modifikationsansatz Medizin Medikamentöse Behandlung • Beta-Blocker • Neuroleptika Tabelle 1: Übersicht über Verfahren zur Behandlung von Sprechangst (eigene Darstellung basierend auf Beushausen, 2004) Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 48 Forum | Aphasie und Sprechangst: Ein Scoping Review zum Forschungsstand 2.0 Methodik bleibenden Treffer wurden anschliessend einem weiteren Ausschlussprozess unterzogen: Nach den in 2.1 Studiendesign Tabelle 2 dargestellten Ein- und Ausschlusskriterien wur- Entsprechend der Definition, die Arksey und O’Malley den die einzubeziehenden Studien ausgewählt (Abb. 1). (2005) zum Forschungsdesign eines Scoping Reviews ge- Die Ein- und Ausschlusskriterien wurden dabei bewusst ben, besteht das zentrale Ziel dieser Arbeit darin, Schlüs- offen mit dem Ziel formuliert, möglichst viele relevante selkonzepte und Evidenzen zum Themenkomplex Studien einschliessen zu können. Sprechangst und Aphasie in Form eines Überblicks abzu- Abbildung 1 gibt einen Überblick über den Auswahlpro- bilden sowie bestehende Forschungsbedarfe herauszu- zess und die Anzahl der betrachteten Studien. Von ur- stellen. Anders als in einem systematischen Review wer- sprünglich 200 identifizierten Quellen wurden durch den die Ergebnisse der Datenextraktion narrativ Sichtung der Titel und Abstracts 93 ausgeschlossen. 107 zusammengefasst. Es wird in der Regel keine Bewertung Quellen wurden in die Volltext-Sichtung aufgenommen. der Qualität der eingeschlossenen Studien vorgenom- 4 Texte wurden aus den Literaturangaben der Volltexte men. hinzugezogen. Nach Prüfung der Ein- und Ausschluss- kriterien wurden 57 Studien (s. Anhang, Tabelle 4) in das 2.2 Suchstrategie Review eingeschlossen. Die systematische Recherche erfolgte von Februar bis Bei genauer Analyse der inhaltlichen und äusseren Mai 2019 in den wissenschaftlichen Datenbanken Pub- Merkmale der Studien fällt auf, dass mit Abstand die Med, Livivo, Cochrane Library, speechBITE und AshaWi- meisten Quellen aus dem englischsprachigen Raum re. Die Suche nach Einträgen und Studien wurde dabei stammen. Die Mehrheit dieser Studien wurde ausserdem nicht auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt. Es wur- in neurologischen sowie psychotherapeutischen Fach- den sowohl die deutschen als auch die entsprechenden zeitschriften publiziert. Im Vergleich hierzu konnte nur englischen Suchbegriffe zu den Themengebieten der eine deutschsprachige Studie, ein Review (Ptok, 2007), Sprechangst und Aphasie mit Hilfe der Bool’schen Ope- das sich mit alternativmedizinischen Behandlungsver- ratoren miteinander verknüpft sowie an die jeweilige fahren im Zusammenhang mit Kommunikationsstörun- Suchmaske der Datenbank angepasst. Mithilfe der Such- gen befasst, aus einer logopädischen Fachzeitschrift her- maschine der Hochschule Osnabrück wurden darüber angezogen werden. Da bei der Suche nach Literatur vorab hinaus verschiedene Fachbücher zu den Themengebie- kein fester Zeitrahmen festgelegt wurde, weisen die Stu- ten Sprechangst und Aphasie ermittelt. Die Recherche dien insgesamt eine grosse Zeitspanne auf: So reicht die- wurde durch eine Handsuche in der Hochschulbiblio- se von vereinzelten Quellen aus den 70er Jahren und frü- thek ergänzt. her bis hin zu Studien aus den 2010ern. Studien aus dem Jahr 2019 stellen für das Review die aktuellsten Quellen 2.3 Ein- und Ausschlusskriterien dar. Mit einem Anteil von mehr als der Hälfte der Studien Als Quellen für das vorliegende Review wurden aus- (n=34) aus den Jahren 2010 bis 2019 ist vor allem in den schliesslich deutsch- und englischsprachige Studien he- letzten zehn Jahren ein wachsendes Forschungsinteres- rangezogen. In einem ersten Durchgang wurden die in se an dem Themenkomplex Sprechangst und Aphasie zu den wissenschaftlichen Datenbanken und Bibliotheken erkennen. So konnten aus den 90ern und frühen 2000ern erzielten Rechercheergebnisse anhand von Titel und Ab- nur 17 Treffer bei der Suche nach geeigneter Literatur er- stract grob auf ihre inhaltliche Relevanz für die vorlie- zielt werden. Nichtsdestotrotz ist das allgemeine For- genden Fragestellungen geprüft. Die Volltexte der ver- schungsinteresse aktuell eingeschränkt. + Einschlusskriterien – Ausschlusskriterien • Die Arbeit beschäftigt sich mit den Zusammenhängen • Die Arbeit untersucht ausschliesslich Depressionen und/ zwischen Sprechangst und Aphasie oder generalisierte Angststörungen im Zusammenhang mit Aphasie • Die Arbeit untersucht die Beziehung zwischen der sprachlichen Symptomatik einer Aphasie und dem • Die Arbeit beschäftigt sich ausschliesslich mit den psychischen Stressempfinden neuropsychologischen Begleitstörungen einer Aphasie • Die Arbeit beschäftigt sich mit den psychischen Aspekten einer Aphasie • Die Arbeit ist in deutscher oder englischer Sprache verfasst Tabelle 2: Ein- und Ausschlusskriterien (eigene Darstellung) Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 49 Forum | Aphasie und Sprechangst: Ein Scoping Review zum Forschungsstand Abbildung 1: Flowchart zum Auswahlprozess (eigene Darstellung) Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 50 Forum | Aphasie und Sprechangst: Ein Scoping Review zum Forschungsstand Während die Übersicht zu den Definitionen und Entste- tungssituationen sein, in denen ihre sprachlichen Leis- hungsansätzen zur Sprechangst bei Aphasie vorrangig tungen durch Andere eingeschätzt werden (Torres-Prioris auf theoretischen Beiträgen sowie Inhalten aus Fach- et al., 2019). Im Kontext der logopädischen Therapie oder Lehrbüchern der psychologischen und sprachthe- könnte dies beispielsweise eine Testsituation sein, die rapeutischen Fachliteratur basiert, wurden als Quellen im Rahmen einer sprachlichen Diagnostik erfolgt. Die für die Diagnostik- und Therapieverfahren vor allem sprachliche Komplexität einer Aufgabe, die Anzahl der quantitative Studien herangezogen. Es handelt sich da- ZuhörerInnen sowie die Anwesenheit bestimmter Perso- bei überwiegend um Diagnostik- oder Interventionsstu- nen wie VertreterInnen bestimmter Berufsgruppen (z. B. dien, die verschiedene Verfahren in Hinblick auf die Be- ÄrztInnen, LogopädInnen) stellen weitere situative Vari- handlung von Menschen mit Aphasie und Sprechangst ablen dar, die vor allem im Zusammenhang mit dem Stö- evaluieren bzw. auf deren Effektivität prüfen. Häufig rungsbild der Aphasie als auslösend oder verstärkend für geht es um den Versuch, gängige Verfahren (z. B. Aku- Sprechangstsymptome beschrieben werden (Sakamoto, punktur) bzw. Messinstrumente (z. B. «The Burden of 1999; Torres-Prioris, 2019). Bei der Betrachtung der inne- Stroke Scale» (BOSS, Doyle et al., 2004)) aus der Psycho- ren Stressoren, bei denen es sich um Variablen, «…die aus therapie oder Neurologie für Menschen ohne Aphasie, einer Person selbst resultieren…» (Reif et al., 2018, S. 15) auf die Behandlung von Menschen mit Aphasie zu über- handelt, liegt der Fokus hingegen auf bestimmten Per- tragen. Die Wirksamkeit logopädischer Interventionen sönlichkeitsmerkmalen und der prämorbiden Persön- (z. B. Syntaxtherapie; Murray & Ray, 2004) wird meistens lichkeit der Menschen mit Aphasie (Torres-Prioris, 2019). hingegen nur additiv untersucht. Für die Arbeit konnten Ergänzt werden die internen und externen Stressoren darüber hinaus insgesamt neun Reviews herangezogen durch aphasiespezifische Faktoren, die ebenfalls Einfluss werden. Bei einem Grossteil (z. B. Ptok, 2004; Murray & auf die Sprechangst der Betroffenen nehmen (Laures-Go- Kim, 2004) handelt es sich um narrative Reviews, die eine re & Buchanan, 2015). Hierzu zählen beispielsweise die vergleichsweise unsystematischen Übersicht über aktu- Art und Schwere der aphasischen Symptome. Diese be- elle Behandlungsverfahren bei Sprechangst und Aphasie einflussen vor allem, bei welchen sprecherischen Aufga- geben. ben Menschen mit Aphasie besonders grosse Sprech- angst empfinden (Torres-Prioris et al., 2019). So lösen 3.0 Ergebnisse Übungen zur freien Sprachproduktion beispielsweise bei PatientInnen mit einer Broca-Aphasie häufig mehr 3.1 Sprechangst und Aphasie – Angst aus als bei Betroffenen mit Wernicke-Aphasie Definition und Symptome (ebd.). Grund hierfür ist zum einen, dass die Spontanspra- Anders als in der psychologischen Fachliteratur, die che vieler Menschen mit Broca-Aphasie nicht flüssig ist Sprechangst basierend auf klassischen Angsttheorien und die freie Sprachproduktion mit besonderer Anstren- definiert (Daly et al., 2009; Erdmann & Janke, 2002; Pol- gung und Frustration verbunden ist. Dies kann ein Gefühl lay, 2012), orientieren sich zahlreiche AutorInnen bei der von Angst bei den Betroffenen auslösen (Heeschen et al., Beschreibung der Störung im Zusammenhang mit der 1988). Zum anderen spielt auch das Störungsbewusstsein Aphasie an stresstheoretischen Modellen. Insbesondere eine wichtige Rolle (Cahana-Amitay et al., 2011). Men- das transaktionale Modell von Lazarus und Folkman schen mit Aphasie, die über ein stark ausgeprägtes Stö- (1984) findet Einzug in ihre Definitionen. Diesem Ver- rungsbewusstsein verfügen, sind sich ihrer sprachlichen ständnis nach handelt es sich bei Sprechangst bei Men- Defizite bewusst und empfinden daher häufig grosse schen mit Aphasie um eine physiologische, behaviorale Angst davor, von anderen Menschen aufgrund ihrer sowie kognitiv-psychische Reaktion auf sprachlich be- sprachlichen Fehler negativ bewertet zu werden (ebd.). dingten Stress (Laures-Gore & Buchanan, 2015). Ausgelöst Auch die Erkrankungsphase kann ein aphasiespezifischer sowie beeinflusst wird diese Form der Angst dabei durch Faktor sein: Obwohl für die PatientInnen vor allem in den interne und externe Faktoren, den sogenannten inneren ersten sechs Monaten ein Risiko für die Entwicklung ei- und äusseren Stressoren (ebd.). Diese können inhaltlich ner Angststörung besteht (Schupp, 2011), merkt Shill (1979) mit den in der psychologischen Fachliteratur beschrie- in Bezug auf das Störungsbewusstsein an, dass sich dieses benen Situations- und Persönlichkeitsvariablen gleich- bei vielen Betroffenen in der akuten Phase noch nicht in- gesetzt werden: So handelt es sich bei den externen Fak- tensiv herausgebildet hat, da vorerst das einfache Bedürf- toren um situative Parameter, die nicht nur einen nis, sich verbal mitteilen zu können, im Vordergrund Auslöser für Sprechangst darstellen, sondern auch Ein- steht. Übertragen auf die Störung der Sprechangst bedeu- fluss auf die situative Sprechangst und deren Intensität tet dies möglicherweise, dass sich bestimmte Ängste wie nehmen (Laures-Gore, 2010). Äussere Stressoren für Men- die Angst vorm Sprechen erst in den späteren Phasen mit schen mit Aphasie können beispielsweise soziale Bewer- zunehmendem Störungsbewusstsein entwickeln. Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 51 Forum | Aphasie und Sprechangst: Ein Scoping Review zum Forschungsstand Den Hauptstressor stellen darüber hinaus die Aphasie Bei der Betrachtung der behavioralen Symptome ergibt bzw. die sprachlichen Defizite selbst dar: Im Gegensatz sich bei Personen mit Sprechangst und Aphasie eine zu den äusseren Stressoren, welche in der Regel nur weitere Besonderheit: Viele AutorInnen ziehen hierbei kurzzeitig auftreten, wirkt dieser Stressor dauerhaft auf auch die linguistische Ebene genauer in Betracht. die Betroffenen ein (Laures-Gore & DeFife, 2013). Vor die- Buchanan et al. (2014) stellen beispielsweise fest, dass der sem Hintergrund wurde als Bezeichnung für Sprech- Redefluss bei Sprechangst signifikant zurückgeht und angst bei Aphasie auch der Begriff der linguistischen Unflüssigkeiten z. B. in Form von Sprechpausen auf- Angst («linguistic anxiety») in der Literatur genutzt grund der Angst bei Betroffenen zunehmen. Auch der le- (Cahana-Amitay et al., 2011; Torres-Prioris et al., 2019). xikalische Wortabruf und die gesamte Sprachproduktion Dieser beschreibt die spezifische Angst vor sprachlichem bereiten Menschen mit Aphasie in angstbesetzten Situa- Versagen und bezeichnet die Sprache selbst als auslösen- tionen grössere Schwierigkeiten (ebd.). Des Weiteren den Stressor. Cahana-Amitay et al. (2011) schliessen ne- kann eine erhöhte Sprechangst bei Menschen mit Apha- ben der Angst vor der gesprochenen Sprache auch die sie zu einer Verstärkung bestimmter Symptome sowie Angst vor rezeptiven sprachlichen Leistungen mit ein. auch zu einer Auslösung bestimmter aphasischer Symp- Die kognitive, behaviorale und körperliche Ebene (Tab. 3) tome (z. B. von Logorrhö) führen (Sapir & Aronson, 1990). werden auch bei Menschen mit Aphasie und Sprech- angst als die drei kennzeichnenden Ebenen beschrieben, 3.2 Erklärungsansätze von Sprechangst auf denen sich die Symptome äussern und manifestie- bei Aphasie ren. Darüber hinaus zeigen mehrere AutorInnen (z. B. Die Studienlage zum Themenkomplex Sprechangst und Brumfitt, 2006; Cahana-Amitay et al., 2011; Hunting Aphasie zeigt zwei grundlegende Forschungsrichtungen, Pompton et al., 2018) auch die langfristigen Folgen auf die Theorien zur Entstehung von Sprechangst bei Men- psychosozialer Ebene auf, die aus dieser Störung für Per- schen mit Aphasie bereitstellen. Im Gegensatz zur psycho- sonen mit Aphasie resultieren. Viele Betroffene intera- logischen Fachliteratur, in der vor allem lerntheore- gieren aufgrund ihrer Angst weniger mit anderen oder tisch-behavioristische Erklärungsansätze zur Entstehung ziehen sich komplett von ihrer Aussenwelt zurück, was diskutiert werden, stützen sich mehrere AutorInnen letztlich zu grossen Einbussen ihrer Lebensqualität (z. B. Cahana-Amitay et al., 2011; Smith, 2017; Torres-Prio- führt (Cahana-Amitay et al., 2011). Des weiteren besteht ris et al., 2019) im Zusammenhang mit dem Störungsbild bei Personen mit Aphasie und Sprechangst ein erhöhtes der Aphasie auf neurobiologische und stresstheoretische Risiko, Depressionen zu entwickeln (Laures-Gore & De- Ansätze. Generell werden Personen mit Aphasie als be- Fife 2013; Smith, 2017). sonders vulnerabel für die Entwicklung einer Angststö- 3 Manifestationsebenen Körperliche Ebene Behaviorale Ebene Kognitive Ebene • erhöhter Puls Verhaltensmuster • Sorgen/Befürchtungen (z. B. vor negativer Bewertung) • veränderte Atmung • erhöhte Stimmlage • «core beliefs»/«specific beliefs» • elektrodermale Aktivität • Tremor/ erhöhte Muskelspannung • Anstieg des Blutdruckes • veränderter Redefluss/ Atmung • erhöhte Ausschüttung von Kortisol • Copingstrategien • Hemmung von Lernprozessen • Vermeidungsstrategien der neuronalen Netzwerke • emotionsfokussiert • kognitiv Sprache • Unflüssigkeiten • Wortabruf/Sprachproduktion erschwert • Verstärkung aphasischer Symptome • Alle 4 Modalitäten können betroffen sein Psychosoziale Folgen • Sozialer Rückzug/ Isolation • Verminderte Lebensqualität • Komorbidität mit Depressionen Tabelle 3: Die drei Manifestationsebenen von Sprechangst bei Aphasie (eigene Darstellung) Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 52 Forum | Aphasie und Sprechangst: Ein Scoping Review zum Forschungsstand rung beschrieben (Smith, 2017): Grund hierfür ist, dass 3.3 Diagnostikverfahren viele Betroffene aufgrund ihrer sprachlichen Defizite Wie in der psychologischen Forschung lässt sich auch täglich grösserem Stress ausgesetzt sind als Personen bei der diagnostischen Erfassung von Sprechangst bei nach Schlaganfall ohne Aphasie (ebd.), was in häufigen Menschen mit Aphasie eine Mehrzahl an Studien (z. B. Fällen zu einem Zustand des chronischen Stresses führt Buchanan et al., 2014; Laures-Gore et al., 2010; Torres-Pri- (ebd.). Dieser verursacht eine Überaktivität der Amygdala, oris et al., 2019) finden, in denen multidimensionale die unter anderem für die Analyse externer sowie interner Messverfahren zum Einsatz kommen. Hierbei werden Stressoren hinsichtlich ihrer emotionalen Wichtigkeit jedoch nicht nur Selbstbeurteilungsbögen eingesetzt, zuständig ist (ebd.). In einer konkreten Sprechsituation sondern es werden zur Erfassung aller drei Reaktionse- kann dies für Menschen mit Aphasie und Sprechangst be- benen verschiedene unidimensionale Messverfahren deuten, dass Stressoren wie die Befürchtung, von Ge- miteinander kombiniert. Im Fokus stehen dabei Mes- sprächspartnerInnen negativ bewertet zu werden, emo- sungen körperlicher Reaktionen wie z. B. die Messung tional als bedeutsam eingestuft werden. Dadurch erhält der Herzfrequenz oder der Cortisolmenge, einem der Stressor für die Betroffenen einen bedrohlichen Cha- Stresshormon, das von Betroffenen in Sprechsituationen rakter und kann als Folge ein Gefühl der Angst auslösen vermehrt ausgeschüttet wird (Laures-Gore et al., 2007; (ebd.). Auch bestimmten Persönlichkeitseigenschaften Sakamoto et al., 1999) sowie die Untersuchung bestimm- («traits») werden bei der Entstehung von Sprechangst ter linguistischer Parameter (z. B. allgemeine Wortproduk- eine wichtige Bedeutung zugesprochen (Torres-Prioris, tivität, Redefluss, Sprechpausen, Stimmlage) und deren Ver- 2019). So konnten manche AutorInnen (Burvill et al., änderungen im Verlauf eines Sprechangstgeschehens 1995; Torres-Prioris, 2019) bei der Untersuchung von (Buchanan et al., 2014; Heeschen et al., 1988; Laures-Gore Menschen mit Sprechangst und Aphasie einen Zusam- et al., 2010). Die Symptome der kognitiven Ebene werden menhang zwischen Charaktereigenschaften, wie bei- im Gegensatz dazu meistens ausschliesslich durch sub- spielsweise exzessivem Perfektionismus oder einer prä- jektive Skalen ermittelt. Da aktuell kein Diagnostikinst- morbiden Veranlagung für Angststörungen, und der rument existiert, das alle drei Reaktionsebenen der Entwicklung von Sprechangst feststellen. Sprechangst bei Menschen mit Aphasie abdeckt, plädie- Den neurobiologischen Aspekten können zwei Erklärungs- ren auch hier zahlreiche AutorInnen für die Entwick- ansätze gegenübergestellt werden, die auf dem transaktio- lung geeigneter Selbstbeurteilungsbögen. Selbstbeurtei- nalen Stressmodell von Lazarus und Folkman basieren lungsbögen werden auch als PROs («patient reported (Cahana-Amitay et al., 2011; Laures-Gore & Buchanan, 2015). outcome») oder als PROMs («patient related outcome Einen zentralen Part nehmen in diesen Ansätzen die pri- measures») bezeichnet (Irwin, 2012; Swinburn et al., mären und sekundären Bewertungsprozesse ein, die Perso- 2018). Häufig gestaltet sich der Einsatz solcher Bögen bei nen mit Aphasie und Sprechangst, sobald sie mit Stressoren Betroffenen mit Aphasie jedoch schwierig, da ein Ausfül- wie z.B. einer Sprechsituation konfrontiert werden, durch- len durch Betroffene meistens aufgrund sprachlicher laufen. Während Cahana-Amitay et al. (2011) in ihrem An- oder kognitiver Defizite erschwert oder nicht möglich satz davon ausgehen, dass Betroffene Sprechsituationen in ist. Zudem können die Selbstbeobachtungsfähigkeit so- ihrem primären Bewertungsprozess permanent als Bedro- wie die Selbsteinschätzung der PatientInnen aufgrund hung wahrnehmen, differenzieren Laures-Gore und begleitender kognitiver Defizite beeinträchtigt sein (Hi- Buchanan (2015) zwischen zwei Bewertungsmöglichkei- lari et al., 2010; Irwin, 2012). Ursprünglich vor allem für ten: Der Bewertung einer Sprechsituation als Bedrohung die Einschätzung der psychosozialen Folgen einer Apha- und der Bewertung der Sprechsituation als eine Herausfor- sie sowie die Beurteilung der Lebensqualität der Betrof- derung. Letzteres kann sich in der logopädischen Behand- fenen entwickelt, werden PROs/PROMs unter anderem lung positiv auf die Leistung der Betroffenen auswirken auch als ergänzende Diagnostikinstrumente für Sprech- (ebd.). Wird die Situation jedoch als Bedrohung wahrge- angst bei Aphasie eingesetzt. Die sogenannte «The Bur- nommen, so folgt der sekundäre Bewertungsprozess, in den of Stroke Scale» (Doyle et al., 2004), mit welcher die dem geprüft wird, welche Ressourcen zur Bewältigung der Situation von Betroffenen nach einem Schlaganfall so- Stressoren zur Verfügung stehen (Klauer, 2012). Häufig wei- wohl mit als auch ohne Aphasie erfasst wird, enthält sen Menschen mit Aphasie jedoch aufgrund bestimmter auch einen Abschnitt zur Kommunikation. In diesem Begleitstörungen wie kognitiver Defizite nur einen be- werden den Betroffenen drei Fragen (Abb. 2) gestellt, die grenzten Zugriff auf diese Copingressourcen (Smith, 2017; sie auf einer fünfstufigen Skala beantworten sollen. Die Tanner, 2017) auf. Die Folge ist, dass sie häufig nicht in der Fragen nehmen dabei Bezug auf die Folgen, welche die Lage sind, adäquate Copingstrategien zur Bewältigung der sprachlichen Einschränkungen für die Betroffenen ha- Stressoren einzusetzen, was letztlich zu einem Gefühl ben können und decken damit auch mögliche Konse- der Angst führt (Cahana-Amitay et al., 2011). quenzen bei Vorliegen einer Sprechangst ab. Insgesamt Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 53 Forum | Aphasie und Sprechangst: Ein Scoping Review zum Forschungsstand wird dieser Bereich jedoch nur grob erfasst und die kog- 3.4 Behandlungsverfahren nitive Manifestationsebene von Sprechangst wird nicht Nur wenige Studien befassen sich mit der Effektivität eingeschlossen. psychotherapeutischer Verfahren zur Behandlung von Menschen mit Aphasie mit Sprechangst (Cahana-Amit- ay et al., 2011). Sapir und Aronson (1990) sprechen nur Communication Distress Probes eine Empfehlung zum Einsatz verhaltenstherapeuti- Domain Mood Domain Domain scher Verfahren bei PatientInnen mit neurologischen Satisfaction Restrictions Sprach- und Sprechstörungen aus, ohne dabei konkreter How often do How much do How much do auf wissenschaftliche Belege einzugehen, die zu der difficulties difficulties difficulties communicating communicating communicating Wirksamkeit bei dieser PatientInnengruppe vorliegen. cause you to feel cause you to feel prevent you from Häufiger untersucht wird hingegen die Effektivität von anxious, unhappy dissatisfied with doing the things Verfahren der alternativen und komplementären Medi- or frustrated? yourself or your in life that are life? important to you? zin. Hierbei liegen vor allem zu dem Entspannungsver- fahren der Progressiven Muskelentspannung nach Ja- Abbildung 2: Beispiele aus der «The Burden Of Stroke Scale» (Doyle et al., 2004) cobson (1938) Studien vor, die positive Effekte auch im Zusammenhang mit dem Störungsbild der Aphasie Auch bei genauerer Betrachtung weiterer PRO-Fragebö- nachweisen können. Als wirksam erweist sich das Ent- gen wird deutlich, dass der inhaltliche Schwerpunkt auf spannungsverfahren dabei in Kombination mit anderen dem allgemeinen emotionalen Befinden der PatientIn- sprachtherapeutischen Behandlungsverfahren: So konn- nen liegt und kein Bezug auf spezifische, für die Sprech- ten Murray und Ray (2001) in ihrer Einzelfallstudie nach- angst typische, Situationen genommen wird (Eadie et al., weisen, dass sich der verbale Output ihres Patienten mit 2006; Hilari et al., 2003; Simmons-Mackie et al., 2013). Broca-Aphasie verbesserte nach einer kombinierten Be- Eine Ausnahme bildet die «Communication Confidence handlung aus einer konventionellen Sprachtherapie in Rating Scale for Aphasia» (kurz CCRSA) (Irwin, 2012), ein Form einer Syntaxstimulationstherapie sowie zwei Ent- Fragebogen, der zehn Fragen zum Selbstbewusstsein der spannungsverfahren, bestehend aus der Progressiven PatientInnen in verschiedenen kommunikativen Situa- Muskelentspannung und der «Guided Imagery», einer tionen umfasst, wobei das Selbstbewusstsein auf einer Imaginationstechnik, bei der sich der Patient, sobald er Skala von 0 bis 100 eingeschätzt wird (Babbitt et al., 2011). in einen Zustand der Entspannung gelangt ist, einen an- Eine Frage aus dem Fragebogen lautet beispielsweise, wie genehmen und sicheren Ort vorstellen soll (ebd.). sicher bzw. selbstbewusst sich Betroffene damit fühlen, Zu den alternativmedizinischen Verfahren der Aku- mit anderen Menschen zu telefonieren (ebd.). Die CCRSA punktur, des Biofeedbacks oder der Hypnose liegen eben- gibt Personen mit Aphasie und Sprechangst somit die falls Studien vor, die deren Wirksamkeit auch bei der Be- Möglichkeit, die Intensität ihrer Angst in Abhängigkeit handlung von Menschen mit Sprechangst mit Aphasie von verschiedenen Situationen und sprachlichen Leis- untersuchen (Laures & Shisler, 2004). Insgesamt weist tungen differenziert darzustellen. Die Skala kann daher die Mehrheit dieser Studien jedoch methodische Schwä- als eine geeignete Ergänzung zur Erfassung des Selbstbe- chen auf: So ist die Aussagekraft aufgrund kleiner Stich- wusstseins der PatientInnen sowie situativer Parameter, proben, fehlender Kontrollgruppen, heterogener Ergeb- die für die Entstehung der Sprechangst mitverantwort- nisse oder dem mangelnden Einsatz objektiver lich sein können, betrachtet werden. Einen Nachteil der Messverfahren insgesamt als kritisch einzustufen (Lau- CCRSA sieht Irwin (2012) jedoch in deren formaler Ge- res & Shisler, 2004; Murray & Kim, 2004). staltung: Die CCRSA enthält keine Piktogramme oder Da logopädische Einrichtungen in der Regel eine der ers- andere Formen der Visualisierung, wodurch das Ausfül- ten Anlaufstellen für Menschen mit Aphasie darstellen len vor allem schwer betroffenen Personen mit Aphasie (Beushausen, 1996), ist auch eine genauere Betrachtung Schwierigkeiten bereiten kann. Insgesamt fehlen für das der sprachtherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten Erfassen der Symptome auf kognitiver Ebene standardi- bei Betroffenen mit Sprechangst notwendig. Hierbei tun sierte Fragebögen oder Bewertungsskalen, mithilfe derer sich jedoch ebenfalls Forschungslücken auf: Northcott die subjektiven Wahrnehmungen und kognitiven Hal- et al. (2017) sprechen in ihrer Studie LogopädInnen eine tungen der PatientInnen hinsichtlich ihrer Angst vorm Schlüsselrolle in der Beratung von Menschen mit Sprechen erfasst werden können (ebd.). Auch die Sprechangst bei Aphasie zu und beschreiben die Berufs- PRO-Fragebögen können nur als eine Ergänzung der gruppe als vermittelnde Instanz zur Psychotherapie. Sprechangstdiagnostik betrachtet werden, da mit ihnen Nach ihrer Befragung praktisch tätiger LogopädInnen nur Teilaspekte der Sprechangst erfasst werden. können sie aber nur vereinzelte Beispiele nennen, in de- nen die Sprechangst unter anderem in Übungen zur Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 54 Forum | Aphasie und Sprechangst: Ein Scoping Review zum Forschungsstand Stärkung des Selbstbewusstseins, in In-Vivo-Sequenzen auf die Definition von Sprechangst bei Aphasie zurück- oder in Gesprächen über das emotionale Wohlbefinden geführt werden: Da der Fokus hierbei häufig auf der thematisiert wurde (Northcott et al., 2017). Der Fokus der Komponente der Angst liegt, könnte dies zur Folge ha- logopädischen Behandlung liegt offensichtlich auf der ben, dass die Behandlung von Sprechangst vorzugsweise Arbeit an der sprachlichen Symptomatik der Betroffe- als eine Domäne der Psychotherapie betrachtet wird und nen und die Sprechangst findet nur geringe Berücksich- sich folglich viele LogopädInnen für die Behandlung tigung. dieses Störungsbildes nicht zuständig oder nicht kompe- Vereinzelte Studien untersuchen ausserdem die Effektivi- tent fühlen. Hinzu kommen berufliche Rahmenbedin- tät gruppenbasierter Therapieformen (z.B. Partizipation gungen wie Zeitdruck im Praxisalltag, die dazu führen, in Selbsthilfegruppen, Teilnahme an verhaltenstherapeu- dass Sprechängste in sprachtherapeutischen Behand- tisch orientierten Gruppenprogrammen) oder medika- lungen häufig unentdeckt bleiben. Auch die Uneinheit- mentöser Behandlungen (z. B. durch Beta-Blocker) bei lichkeit der Bezeichnungen für Sprechangst im Kontext Sprechängstlichen mit Aphasie (Cahana-Amitay et al., der Aphasieforschung erschwert den Rechercheprozess: 2011, Tanaka et al., 2010). Während bei den gruppenbasier- Während sich in der psychologischen Sprechangstfor- ten Therapieformen Verbesserungen insbesondere auf ko- schung der Begriff der Sprechangst fest etabliert hat gnitiv-emotionaler Ebene bei den ProbandInnen festge- (Beushausen, 1996), finden sich im Zusammenhang mit stellt werden konnten, führten die medikamentösen dem Störungsbild der Aphasie zahlreiche Synonyme so- Behandlungen durch Beta-Blocker wie beispielsweise wie bedeutungsverschiedene Begrifflichkeiten. Propranolol beim Grossteil der PatientInnen hauptsäch- Obwohl das Design eines Scoping Reviews in Anbetracht lich zur Abnahme ihrer körperlichen Angstsymptome der inhaltlichen Breite und Komplexität des Themas so- (Appleton et al., 2014; Tamplin et al., 2013; Tanaka et al., wie der spärlichen Studienlage ein geeignetes Format 2010). Da es sich jedoch auch hierbei nicht um Interven- darstellt hat, um die wichtigsten Ergebnisse und Eviden- tionen handelt, die gleichwertig auf die Behandlung al- zen aus Studien unterschiedlicher Qualität zu dem The- ler drei Sprechangstebenen abzielen, sprechen die Auto- ma im Sinne eines Überblicks zusammenzutragen, sind rInnen dieser Studien lediglich eine Empfehlung zur ihm dennoch Grenzen gesetzt: Die Methode des «Map- Aufnahme dieser Interventionen als Ergänzung zur pings», die eine vergleichsweise oberflächliche und sprachtherapeutischen Behandlung aus. knappe Zusammenfassung der Rechercheergebnisse zu den einzelnen Themen beinhaltet (Levac et al., 2010), er- 4.0 Diskussion schwert eine tiefergehende Auseinandersetzung und In- terpretation von Inhalten, zu denen in der Literatur Un- Ziel des Scoping Reviews war es, den Forschungsstand einigkeit herrscht oder zu denen nur geringe Evidenzen zum Themenkomplex Sprechangst bei Aphasie zu ermit- vorliegen. Es erscheinen daher folgende, zukünftige For- teln, indem die wichtigsten Definitionen, Erklärungs- schungsschritte sinnvoll: modelle sowie diagnostische und therapeutische Ansät- • Definition und Abgrenzung der Konstrukte Angst ze dargestellt werden. und Stress im Zusammenhang mit dem Störungsbild Trotz eines insbesondere seit den letzten zehn Jahren der Aphasie bestehenden Forschungsinteresses ist die Evidenzlage • Übertragung von Erklärungsansätzen/-modellen aus im Bereich der Diagnostik und Therapie als gering zu be- der Psychologie auf das Störungsbild der Aphasie werten. Über mögliche Gründe für das Bestehen dieser • Evaluation standardisierter Diagnostikverfahren bei Forschungslücken kann derzeit nur spekuliert werden: Personen mit Aphasie und Sprechangst Einen entscheidenden Faktor stellt vermutlich der Man- • Evaluation psychotherapeutischer Verfahren bei gel an standardisierten Diagnostikverfahren zur kombi- Personen mit Aphasie und Sprechangst nierten Erfassung aller drei Reaktionsebenen von • Evaluation sprachtherapeutischer Verfahren bei Sprechangst bei Aphasie dar. Der Einsatz informeller Tes- Personen mit Aphasie und Sprechangst tungen, die in der Regel nur indirekt mit der Sprechangst Da im Gegensatz zu den eingeschränkten Rechercheer- verwandte Konstrukte wie das Empfinden von Stress gebnissen, die zur Behandlung von Sprechangst bei messen können, bringt nicht nur mangelnde Validität Menschen mit Aphasie gefunden wurden, zu anderen lo- mit sich, sondern trägt auch dazu bei, dass in Interventi- gopädischen Störungsbildern, insbesondere dem Stot- onsstudien standardisierte Messverfahren fehlen, die tern und den Dysphonien, bereits einige Studien (z. B. zur Evaluation der Wirksamkeit der Therapieansätze Iverach & Rapee, 2013; Martinez &. Cassol, 2015) vorlie- eingesetzt werden können. Das Fehlen von Studien, die gen, die die Wirksamkeit verschiedener Behandlungs- die Effektivität sprachtherapeutischer Interventionen verfahren sowohl aus der Psycho- als auch aus der genauer untersuchen, kann ausserdem möglicherweise Sprachtherapie genauer untersuchen, wäre eine Über- Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 55 Forum | Aphasie und Sprechangst: Ein Scoping Review zum Forschungsstand tragung dieser Ergebnisse auf die Sprechangstforschung lung von Sprechangst bei Menschen mit Aphasie. Darü- bei Aphasie für zukünftige Arbeiten ebenfalls erstre- ber hinaus ist eine möglichst enge Zusammenarbeit mit benswert. den Professionen der Psychologie bzw. Psychotherapie sowie eine Beratung der Betroffenen und Angehörigen 5.0 Schlussfolgerungen wünschenswert. für die logopädische Praxis Bis bessere diagnostische Methoden zur Verfügung ste- hen, erscheint es für TherapeutInnen notwendig, in der Die Möglichkeiten, diagnostisch und therapeutisch auf Behandlung stets wachsam zu sein, um körperliche, be- die Sprechängste der Personen mit Aphasie einzugehen, haviorale oder auch kognitive Symptome, die möglicher- sind aktuell für praktisch tätige LogopädInnen begrenzt: weise auf das Vorhandensein von Sprechangst hindeu- In der Diagnostik werden vor allem Methoden zur Beob- ten, frühzeitig zu erkennen, um den PatientInnen achtung auffälliger Verhaltensweisen oder Reaktionen daraufhin adäquate Hilfe anbieten zu können. der PatientInnen beim Sprechen, Befragungen zur Sprechangst in der Anamnese oder Selbstbeurteilungss- Interessenkonflikt kalen genutzt. Kombinierte Therapieverfahren aus sprachtherapeutischen Interventionen und Relaxati- Die Autorinnen geben an, dass keine Interessenskonflik- onstrainings sind die gängigsten Verfahren zur Behand- te vorliegen. Kontakt | Sophie Ni, RIS Swiss Section, Deutschsprachige Schule Bangkok, 6/1 Ramkamhaeng 184 Road, Minburi, Bangkok 10510, Thailand, ni.sophie@web.de Literaturverzeichnis American Psychiatric Association (APA) (2013). DSM-5. The Diagnostic and Statistical Manual of Mental Health Disorders. Apaservices. American Psychiatric Association. Appleton, S., Browne, A., Ciccone, N., Fong, K., Hankey, G., Lund, M., Miles, A., Wainstein, Yee, Y., & Zach, C. (2011). A multidisciplinary social communication and coping skills group intervention for adults with acquired brain injury (ABI): A pilot feasibility study in an inpatient setting. Brain Impairment, 12(3), 210–222. Arksey, H., & O’Malley, L. (2005). Scopings Studies: Towards a Methodological Framework. 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Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 57 Forum | Aphasie und Sprechangst: Ein Scoping Review zum Forschungsstand Anhang Tabelle 4: Übersicht über die 57 eingeschlossenen Quellen (alphabetisch geordnet) ÄGY = Ägypten, AUS = Australien, CA = Kanada, CH = Schweiz, D = Deutschland, ES = Spanien; GB = Grossbritannien, I = Italien, J = Japan, NL = Niederlande, RU = Rumänien, Quellenangabe Jahr Land Disziplin Studienformat Inhaltlicher Fokus Appleton, S., Browne, A., Ciccone, N., Fong, K., 2011 AUS Psychotherapie Quantitative Therapie Hankey, G., Lund, M., Miles, A., Wainstein, Yee, Y., & Logopädie Studie Zach, C. A multidisciplinary social communication and coping skills group intervention for adults with acquired brain injury (ABI): A pilot feasibility study in an inpatient setting, Brain Impairment, 12(3), 210-222. Babbitt, E.M., Heinemann, A., Semik, P., Cherney, 2011 USA Neurologie Quantitative Diagnostik L.R. 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Une atteinte de la morpholo- gie verbale entraîne d’importantes difficultés conversationnelles. Toutefois, chez des personnes présentant une aphasie ou une maladie d’Alzheimer par exemple, cette at- teinte peut se manifester différemment, affectant inégalement l’accord verbal selon la personne, le temps ou l’aspect. Malheureusement, les cliniciens sont souvent démunis pour évaluer la flexion verbale puisqu’aucun outil d’évaluation ne prend en compte les facteurs d’intérêt du marquage grammatical de la personne, du temps ou de l’aspect. Il est donc nécessaire que des outils d’évaluation incluant ces paramètres et les spécificités morphologiques de la langue évaluée soient créés pour pallier ce manque. Mots clés: morphologie flexionnelle, évaluation, verbe 1 Institut des Sciences logopédiques, Chaire de logopédie II, Faculté des Lettres et Sciences Humaines, Université de Neuchâtel Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 62 EN | Abstract In French, to inflect the verb in a sentence is mandatory. The inflection can be made in terms of agreement, tense, and aspect. As verbal inflectional morphology mediates language and conceptual domains, it is of great importance in language. It’s a part of discourse construction and can be impaired in patients with brain damage, leading to important conversational deficits. However, agreement, tense, and aspect are not equal- ly impaired in aphasia or Alzheimer’s disease for example. Unfortunately, speech and language therapists often lack assessment tools targeting verbal inflectional morphol- ogy. It is therefore essential to construct assessment tools that consider parameters influencing inflectional morphology as well as morphological specificities of the as- sessed language. Keywords: inflectional morphology, assessment, verb Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 63 Forum | Evaluation de la morphologie flexionnelle verbale dans les troubles acquis du langage: une pièce manquante 1.0 Introduction dant l’idée que la morphologie flexionnelle verbale est une pièce manquante de l’évaluation logopédique. Cet Toute prise en charge logopédique commence par une article a également comme objectif de discuter des outils évaluation du langage du patient. Selon Nickels (2008), d’évaluation francophones ciblant la morphologie cette évaluation doit être précise et explorer de manière flexionnelle verbale qui sont à disposition des cliniciens. approfondie les différents aspects langagiers. Se baser sur l’observation de symptômes tels qu’un manque du 2.0 La morphologie flexionnelle verbale: mot par exemple, ne suffit pas pour proposer une théra- élément central du discours pie efficace et adaptée aux besoins du patient. Au contraire, il est important de prendre appui sur des bases 2.1 La morphologie flexionnelle verbale théoriques solides pour formuler des hypothèses sur les comme médiateur discursif déficits sous-jacents aux manifestations langagières. Se- En français, fléchir le verbe dans une phrase est obliga- lon Nickels (2008), la formulation d’hypothèses portant toire. Une forme verbale non-fléchie ne fournit en effet sur l’atteinte de composants fonctionnels du langage, et que peu d’informations: seule l’action (lorsqu’il s’agit basée sur l’observation de symptômes mis en lien avec d’un verbe d’action) est connue. Reste alors à savoir qui la des modèles d’architecture cognitive, constitue la pierre réalise, quand elle a eu lieu et comment elle s’est dérou- angulaire de l’évaluation. Cette démarche devrait être lée. Les flexions verbales procurent justement ces infor- entreprise pour chaque domaine langagier évalué, sur- mations. tout lorsque nous disposons de tels modèles. L’accord peut se faire à plusieurs niveaux. En genre et en L’évaluation logopédique de patients cérébrolésés porte nombre, il permet de marquer la personne et de savoir qui typiquement sur plusieurs dimensions du langage telles a réalisé l’action (ex. je cours vs nous courons, la flexion que la phonétique, la phonologie, le lexique, la syntaxe verbale permet de distinguer entre la première personne voire la morphosyntaxe, la sémantique et la pragma- du singulier et du pluriel). Au niveau du temps, l’accord tique. Cela permet notamment de savoir si le patient est renseigne sur le degré d’alignement temporel entre l’évé- capable de produire correctement les sons du langage, nement et le moment d’énonciation de cet événement. d’accéder aux mots de son lexique ou encore d’agencer Celui-ci peut avoir lieu avant, simultanément ou après le ces mots correctement pour former des phrases, etc. Mais moment d’énonciation, rendant ainsi compte d’un événe- qu’en est-il de l’agencement à l’intérieur d’un mot? Si ment respectivement passé (ex. je courais), présent (ex. je l’évaluation de ces différents domaines est largement cours) ou futur (ex. je courrai) (Reichenbach, 1947; Grisot, justifiée dans tout bilan logopédique, un constat s’im- 2018). En lien avec l’aspect ², l’accord indique aussi le degré pose: la morphologie est la grande absente de l’évalua- de complétude d’une action, en spécifiant si l’action est tion langagière. terminée (aspect perfectif) ou en cours (aspect imperfec- La morphologie constitue en effet la pièce manquante de tif) (Vetters, 1996). En français, la distinction aspectuelle l’évaluation du langage de patients cérébrolésés. Pour- perfectif-imperfectif oppose typiquement le passé simple tant, c’est par l’intermédiaire de la morphologie flexion- ou le passé composé qui sont des temps perfectifs, à l’im- nelle verbale ¹ que transitent de nombreuses informa- parfait qui est un temps imperfectif. Le choix de représen- tions grammaticales, indispensables à la communication ter une situation passée comme terminée et ponctuelle verbale. L’objectif de cet article est donc de mettre en lu- (ex. il a couru) ou en cours et globale (ex. il courait) est un mière la place particulière qu’occupe la morphologie choix laissé à la subjectivité du locuteur (Milliaressi, 2010). flexionnelle verbale au sein du langage et de rendre La morphologie flexionnelle verbale marque donc les in- compte des difficultés en flexion verbale que peuvent formations grammaticales de personne, de temps et d’as- présenter certains patients, en se focalisant sur l’aspect pect (Stump, 2001). expressif de ces difficultés. En effet, si les difficultés de Bien que structurant le mot, le rôle de la morphologie flexion verbale dans les troubles acquis du langage se re- dépasse de loin cette frontière lexicale. La morphologie trouvent en expression comme en réception, les difficul- flexionnelle verbale en particulier constitue la clef de tés expressives ont été davantage abordées dans la litté- voûte de la construction du discours puisqu’elle met en rature. Le manque d’informations concernant les lien la phonologie, la syntaxe et la sémantique. Son rôle troubles réceptifs de la flexion verbale renforce cepen- étant de mettre en relation la forme d’un mot avec son 1 Pour davantage d’informations concernant la morphologie dérivationnelle et la morphologie compositionnelle en français et leurs outils d’évaluation, voir par exemple Auclair-Ouellet (2015a) et Millet et al. (2019). 2 Le terme d’aspect est utilisé dans cet article pour référer à l’aspect grammatical. Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 64 Forum | Evaluation de la morphologie flexionnelle verbale dans les troubles acquis du langage: une pièce manquante sens, elle contribue grandement à la transmission d’infor- quant eux plus coûteux puisqu’ils nécessiteraient l’inté- mations conceptuelles (de temps par exemple). Elle agit gration d’informations grammaticales et conceptuelles. donc comme un médiateur entre les domaines langagiers En effet, le marquage du temps implique de référer à des et conceptuel rendant ainsi possible la construction du entités temporelles telles que le temps de l’événement, discours et l’ancrage de celui-ci dans la temporalité. celui du moment d’énonciation de cet événement et ce, tout en traitant la relation entre ces deux éléments (Fyn- 2.2 Difficultés de flexion verbale dans le danis et al., 2012). De plus, comme le proposent Bas- cadre de troubles acquis du langage tiaanse et al. (2011) avec leur Past Discourse Linking Hy- La morphologie flexionnelle verbale étant indispensable pothesis, le degré d’alignement entre le moment à la construction du discours, un déficit touchant ce do- d’énonciation et celui de l’événement influence la pro- maine langagier peut entraîner d’importantes difficultés duction des temps. Ces moments ne sont pas alignés communicationnelles au quotidien. En effet, des difficul- pour les temps du passé ce qui les rendraient plus diffi- tés au niveau de la flexion verbale (ex. production accrue ciles à marquer en comparaison aux temps du présent (et de formes verbales fréquentes ou non fléchies comme du futur). Pour marquer l’aspect, il est nécessaire de faire l’indicatif présent ou l’infinitif) privent l’interlocuteur appel à des concepts d’habitude, de continuité ou de per- d’informations conceptuelles indispensables à la com- fectivité (Comrie, 1976; Fyndanis et al., 2012), qui sont préhension du message émis par le locuteur. D’impor- autant d’éléments conceptuels potentiellement coûteux. tantes ruptures conversationnelles peuvent alors s’en Par ailleurs, certaines études suggèrent que l’aspect se- suivre, allongeant notamment la durée des échanges. Ces rait lui-même plus difficile à marquer que le temps (Fyn- difficultés sont loin d’être anecdotiques puisque des danis et al., 2012; Fyndanis et al., 2013; Varlokosta et al., troubles au niveau de la flexion verbale se retrouvent 2006). Selon Fyndanis et al. (2012), des représentations chez de nombreux patients présentant par ailleurs des subjectives intentionnelles entrent en jeu dans le mar- profils cognitifs variés (ex. Ullman et al., 1997). quage de l’aspect, en ce sens que le locuteur choisit de se Si le marquage grammatical de la personne, du temps et représenter une action comme étant perfective ou im- de l’aspect a initialement été étudié auprès d’individus perfective. Pour marquer le temps, le locuteur se baserait présentant une aphasie non-fluente accompagnée d’un davantage sur des critères objectifs tels que localiser le agrammatisme (typiquement une aphasie de Broca; ex. temps de l’événement par rapport au moment d’énoncia- Bastiaanse, 2013; Clahsen & Ali, 2009; Faroqi-Shah & Dic- tion de celui-ci. Cela pourrait expliquer la difficulté plus key, 2009), certaines études ont montré que ces difficultés importante de certains patients à marquer l’aspect par se retrouvent aussi chez des individus présentant une rapport au temps. aphasie fluente (ex. Fyndanis, Arcara et al., 2018; Auclair- Ces dissociations de performances pour marquer l’accord Ouellet et al., 2019), ainsi que chez des patients présen- en personne, au niveau du temps ou de l’aspect sou- tant une maladie d’Alzheimer (MA) (ex. Cortese et al., lignent l’implication d’informations conceptuelles dans 2006; Walenski et al., 2009; voir Auclair-Ouellet (2015b) les processus de flexion verbale. Si l’origine des difficultés pour une revue systématique de littérature). Les troubles présentées par certains patients pour fléchir des verbes de la flexion verbale ne touchent donc pas uniquement peut se situer au niveau de l’encodage morpho-phonolo- les patients agrammatiques. Le fait que nous les retrou- gique, avec des difficultés d’affixation de la base verbale vions aussi dans d’autres profils aphasiques suggère avec l’affixe flexionnel (ex. Levelt et al., 1999; Pinker, 1998; l’existence de différentes origines fonctionnelles concer- Ullman et al., 1997), pour d’autres patients en revanche, nant ces troubles. les difficultés peuvent être de plus « haut niveau », liées à Plusieurs études indiquent ainsi que le marquage de la des difficultés à conceptualiser le temps et/ou le déroule- personne, du temps ou de l’aspect ne sont pas également ment des actions (ex. Bastiaanse et al., 2011). L’évaluation affectés. L’accord en personne serait plus facile à mar- précise des difficultés de flexion verbale est donc indis- quer par rapport au temps ou à l’aspect pour des indivi- pensable dans le cadre de troubles acquis du langage dus avec aphasie, non-fluente ou fluente (Kok et al., 2007; pour tenter de trouver l’origine de ces difficultés et pro- Nanousi et al., 2006; Varlokosta et al., 2006; Wenzlaff & poser une prise en charge adaptée aux besoins du patient. Clahsen, 2003) mais aussi pour des personnes présentant une MA (Fyndanis et al., 2013; Fyndanis, Arfani et al., 2.3 Outils d’évaluation de la morphologie 2018). L’accord en personne peut en effet être envisagé flexionnelle comme un phénomène local, relativement peu coûteux Actuellement, les outils d’évaluation ciblant spécifique- en ressources de traitement (Kok et al., 2007; Fyndanis et ment la morphologie flexionnelle verbale et surtout, pre- al., 2012), car traitant uniquement d’informations gram- nant en compte les différents paramètres pouvant in- maticales syntaxiques. Le temps et l’aspect seraient fluencer cette compétence sont rares, voire inexistants. Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 65 Forum | Evaluation de la morphologie flexionnelle verbale dans les troubles acquis du langage: une pièce manquante Au vu du peu de tests permettant d’évaluer spécifique- Un second test comprenant l’évaluation de la flexion ver- ment la morphologie flexionnelle verbale, les cliniciens bale est le Test d’Expression Morpho-syntaxique Fine se tournent souvent vers des tâches de description (T.E.M.F.; Bernaert-Paul & Simonin, 2011). Toutefois, ce- d’image (ex. The Cookie Theft Picture de l’Echelle d’éva- lui-ci est davantage centré sur la mise en évidence de luation de l’aphasie (Mazaux et Orgogozo, 1972), histoires troubles syntaxiques et propose une seule tâche de pro- en images du GREMOTs (Bézy et al., 2016) ou du protocole duction de phrases. Les verbes choisis n’ont pas été ma- Montreal-Toulouse MT86 (Nespoulous et al., 1992)) ou de nipulés ou contrôlés de manière spécifique et seuls des production spontanée. Si ce type de tâche permet de ré- verbes simples, utilisés dans la vie quotidienne, ont été colter des données importantes et nécessaires à l’évalua- retenus. Ce test ne permet donc pas d’identifier la nature tion du langage, elles ne fournissent pas d’informations sous-jacente du trouble syntaxique ou morphologique ciblées en lien avec les paramètres d’intérêt pour la qui pourrait être présent. flexion verbale. En effet, il est plus difficile d’imposer un temps ou un aspect particulier dans le cadre de ces 3.0 Conclusion tâches. A notre connaissance, deux outils francophones d’éva- La morphologie flexionnelle verbale constitue une pièce luation ciblant la morphologie flexionnelle verbale dans manquante de l’évaluation langagière dans le cadre de l’évaluation des troubles acquis du langage existent à ce troubles acquis du langage. Elle occupe toutefois une jour. Le premier est la Batterie d’Evaluation de la Produc- place centrale dans le langage puisqu’elle implique à la tion Syntaxique (BEPS; Coulombe et al., 2019) qui com- fois des processus grammaticaux et conceptuels. Ainsi, prend une tâche de flexion verbale normée et validée. une atteinte de cette compétence occasionne d’impor- Cette tâche évalue spécifiquement la flexion verbale en tants troubles communicationnels. Il est donc essentiel manipulant la régularité, le temps et la personne des pour les cliniciens de pouvoir disposer d’outils d’évalua- verbes. Toutefois, la régularité est évaluée au travers de tion construits selon un cadre théorique pertinent et verbes réguliers et de verbes sous-réguliers. Or, en fran- permettant d’évaluer les différents niveaux impliqués çais, la régularité peut être envisagée davantage comme dans la flexion verbale: non seulement le niveau de l’en- un continuum allant des verbes réguliers (verbes du pre- codage morpho-phonologique (ex. Pinker, 1998; Ullman mier groupe) au plus irréguliers (verbes du troisième et al., 1997), mais aussi les niveaux morpho-sémantique groupe). Une granularité plus fine dans ce domaine se- (ex. Faroqi-Shah et Thompson, 2004, 2007) et conceptuels rait souhaitable pour mieux rendre compte des perfor- (ex. Bastiaanse et al., 2011). La prise en compte des parti- mances en flexion verbale. De plus, l’aspect, particulière- cularités du système morphologique de la langue éva- ment difficile pour les personnes avec aphasie et les luée est également primordiale. Si, en français, la tâche patients avec MA, n’est pas évalué au travers de cette de flexion verbale de la BEPS (Coulombe et al., 2019) est tâche. Cette batterie de tests est par ailleurs construite un bon outil d’évaluation générale de ce domaine, des sur la base du modèle de production de phrases de Bock tests plus spécifiques sont désormais nécessaires pour et Levelt (1994) et non sur des modèles spécifiques traitant pouvoir distinguer les diverses origines possibles des de la flexion verbale (ex. Bastiaanse et al., 2011; Faroqi-Shah troubles de la flexion verbale. et Thompson, 2004, 2007; Pinker, 1998; Ullman et al., 1997). Contact | Evodie Schaffner, Faculté des Lettres et Sciences Humaines, Université de Neuchâtel, evodie.schaffner@unine.ch Bibliographie Auclair-Ouellet, N. (2015a). Implication de la mémoire sémantique dans les opérations de morphologie flexionnelle et dérivationnelle. Thèse de doctorat en médecine expérimentale. Université Laval, Québec. 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Dazu wurden wissenschaftliche Fragestellungen zu den drei Themengebieten «Bildart», «Sprachvarie- tät» und «neue Technologien» in zwei Hauptstudien und fünf ergänzenden Studien untersucht. In der Hauptstudie 1 wurde bei niederfrequenten Nomen und Verben in einer Benennstudie mit Menschen mit einer Aphasie und einer Kontrollgruppe getestet, ob die Bildart (Fotografie vs. Illustration) und die Sprachvarietät (Dialekt vs. Hochdeutsch) die Benennleistung beeinflussen. In der Hauptstudie 2 wurde die mündliche Benennreaktion auf Nomen aus dem AAT (Aachener Aphasie Test) von Menschen mit Aphasie auf Worte- bene gemessen, um Veränderungen beispielsweise in der Benennlatenz objektiv aufgrund akustischer Parameter messbar zu machen. Die ergänzenden Studien dienten der Über- prüfung des Materials in Bezug auf das schriftliche und mündliche «Name Agreement». Ausserdem wurden Daten zu sog. subjektiven Frequenzen erhoben, um beispielsweise logopädisches Therapie- und Diagnostikmaterial in der Schweiz besser psycholinguis- tisch kontrollieren zu können. Eine weitere Studie widmete sich der Einschätzung von Sprachkenntnissen im Dialekt und Hochdeutschen sowie dem Gebrauch der Varietäten in verschiedenen Kontexten und Modalitäten. Die Ergebnisse dieser Studien wurden in einer Prototypen-App zusammengeführt. Schlüsselwörter: Aphasie, Diglossie, Bildbenennen, Neue Technologien, App 1 Institut Spezielle Pädagogik und Psychologie, Pädagogische Hochschule, Fachhochschule Nordwestschweiz 2 Institut Visuelle Kommunikation, Hochschule für Gestaltung und Kunst, Fachhochschule Nordwestschweiz 3 Institut für Medizintechnik und Medizininformatik, Hochschule für Life Sciences, Fachhochschule Nordwestschweiz 4 Institut für Computerlinguistik, Universität Zürich Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 69 EN | Abstract «E-Inclusion» is an interdisciplinary, Swiss aphasia research project which aims to develop an app prototype. For this purpose, scientific questions on the three topics «type of image», «language variety» and «new technologies» were investigated in two main and five supplementary studies. In the main study 1, a naming study with people with aphasia and a control group investigated whether the type of picture (photograph vs. illustration) and the language variety (Swiss vs. High German) influence naming performance for low-frequency nouns and verbs. In the main study 2, the oral naming response to nouns from the AAT (Aachen Aphasia Test) of people with aphasia was measured at the word level on the basis of acoustic parameters, in order to objectively detect changes, for example in naming latency. The supplementary studies served to verify the material in relation to written and oral Name Agreement. In addition, data on subjective frequencies were collected to better psycholinguistically control material for speech and language therapy in Switzerland. Another study was devoted to the assess- ment of language skills in Swiss and High German as well as the use of the varieties in different contexts and modalities. The results of these studies were brought together in a prototype app. Keywords: Aphasia, Diglossia, Picture Naming, New Technologies, App Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 70 FR | Résumé «E-Inclusion» est un projet de recherche interdisciplinaire suisse sur l’aphasie dont l’objectif est de développer un prototype d’application. À cette fin, deux études princi- pales et cinq études complémentaires ont examiné des questions scientifiques sur les trois thèmes «type d’image», «variété de langue» et «nouvelles technologies» dans. L’étude principale 1 a investigué si le type d’image (photographie ou illustration) et la variété de langue (dialecte vs haut allemand) influencent la performance de dénomina- tion pour des noms et des verbes de basse fréquence chez des personnes aphasiques et un groupe contrôle. Dans l’étude principale 2, la réponse de dénomination orale à des noms provenant de l’AAT (Aachen Aphasia Test) de personnes aphasiques a été évaluée sur la base de paramètres acoustiques afin de mesurer objectivement les changements, par exemple dans la latence de dénomination. Les études complémentaires ont servi à vérifier l’accord écrit et oral sur le nom et à collecter les fréquences subjectives, afin de mieux contrôler sur le plan psycholinguistique le matériel logopédique en Suisse. Une autre étude a évalué les compétences linguistiques en dialecte et en haut allemand ainsi que l’utilisation de ces variétés dans différents contextes. Les résultats de ces études ont été combinés dans une application prototype. Mots-clés: Aphasie, Diglossie, Dénomination d’images, Nouvelles technologies, Application Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 71 Forum | E-Inclusion – Ein interdisziplinäres, schweizerisches Aphasie-Forschungsprojekt 1.0 Einleitung Forschungsprojekt «E-Inclusion» initiiert, welches im Rahmen der Strategischen Initiativen 2018-2020 der Innerhalb der Sprachtherapie werden digitale Medien Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) (FHNW, wie sprachtherapeutische Apps immer häufiger als eine 2018) durchgeführt wurde, sowie in Kooperation mit ei- Erweiterung der Therapiemöglichkeiten genutzt, wie ner Vielzahl logopädischer PraxispartnerInnen in der zum Beispiel zur Erhöhung der Übungsfrequenz (Bilda, ganzen Deutschschweiz. 2017; Joosten et al., 2017). Die automatisierte Spracher- Ziel der drei beteiligten Hochschulen der FHNW war es, kennung und damit die Möglichkeit eines unmittelba- einen App-Prototypen zu entwickeln. Dazu wurden die ren Feedbacks über korrektes Benennen gewinnt dabei Ergebnisse der einzelnen wissenschaftlichen Fragestel- im deutschsprachigen Raum an Bedeutung, ist aber der- lungen des Gesamtprojektes kombiniert. zeit erst vereinzelt in kommerziell erhältlichen Apps in- tegriert (z. B. bei aphavox, (TEMA AG, 2019)). Die Integra- 2.0 Allgemeine Fragestellungen tion weiterer objektiver Parameter, wie beispielsweise die Benennlatenz, scheint derzeit noch kein Gegenstand Die Prototypen-App hat zum Ziel, den Wortabruf von No- der Forschung zu sein. men und Verben sowohl im Standard- als auch im In der Schweiz ist die Bevölkerung mit und ohne Aphasie Schweizerdeutschen selbständig mit Feedbackfunktion neben der Frage von Mono- und Multilingualität auch zu trainieren und damit die Sprachtherapie individuell mit der Koexistenz von Dialekt (Schweizerdeutsch) und zu ergänzen. Dabei wird untersucht, ob Schweizerhochdeutsch ¹ sowie den damit verbundenen (1) die Sprachvarietät und die Bildart (Fotografie vs. Verwendungskontexten konfrontiert, zum Beispiel in- Illustration) einen Einfluss auf die Benennleistung formell – mündliche Kommunikation, Familiensprache haben. Weiterhin soll erfasst werden, (Schweizerdeutsch/Dialekt) – versus formell – Schul-, Ar- (2) wie mündliche Sprachproduktion auf Wortebene beits- und Schriftsprache (Hochdeutsch). Dies wird auch objektiv gemessen und erfasst sowie Feedback als Diglossie bezeichnet (Haas, 2004). Daher ist gerade in gegeben werden kann. der Schweiz mit ihrer diglossischen Bevölkerung rele- Zwei Hauptstudien, eine davon mit Personen mit Apha- vant, neben der Standardvarietät Schweizerhochdeutsch sie (PmA) sowie einer Kontrollgruppe (PoA, Personen auch Dialekt(e) in die Apps einzubinden. Das Schweizer- ohne Aphasie) und eine zweite nur mit PmA sowie fünf deutsche, ein Sammelbegriff für alle Schweizer Dialekte, ergänzende und vergleichende Studien mit PoA werden gewinnt in der logopädischen Forschung zunehmend an durchgeführt. Die beiden Hauptstudien erfolgten mit der Beachtung (Widmer Beierlein & Vorwerg, 2015, 2020). In Bewilligung der Ethikkommissionen Nordwest- und der Aphasiediagnostik und -therapie werden meist so- Zentralschweiz und Zürich. wohl Dialekt als auch Schweizerhochdeutsch verwendet, wobei es auch innerhalb der logopädischen Therapie ge- 3.0 Hauptstudie 1: Benennen von wisse Regeln zu geben scheint, wie Dialekt bzw. Hoch- Fotografien und Illustrationen auf deutsch eingesetzt werden (Widmer Beierlein & Vor- Hochdeutsch und Dialekt werg, 2017). Das dabei in der Diagnostik und Therapie genutzte Bildmaterial weist allerdings häufig Mehrdeu- Die Hauptstudie 1 dient der Beantwortung der oben auf- tigkeiten auf, indem das Bild kein eindeutiges Wort evo- geführten allgemeinen Fragestellung 1 zur Benennkor- ziert. So könnte beispielsweise «Ratte» abgebildet sein, rektheit und Benennschnelligkeit bei zwei Bildarten das Tier auf dem Bild wird aber als «Maus» erkannt und und zwei Sprachvarietäten. Bisher existieren nur wenige bezeichnet. Normalerweise sind Bilder im Kontext der Studien weltweit, die sich mit Sprachverarbeitung von Aphasie lediglich Mittel zum Zweck und nicht nach wis- Dialekt und einer Standardvarietät beschäftigen (Kirk et senschaftlichen Kriterien konzipiert (Reymond et al., al., 2018; Melinger, 2018, 2021; Vorwerg et al., 2019). Im 2019). Schweizer Kontext werden allerdings sowohl Dialekt als Aufgrund der Aktualität und Wichtigkeit dieser drei The- auch Hochdeutsch in der Therapie und Diagnostik ein- mengebiete – (1) Sprachgebrauch (2) Bildart und (3) neue gesetzt, da der Dialekt ein hohes Prestige aufweist und Technologien einschliesslich akustisch-objektiver Para- Alltagssprache ist. meter für ein Feedback – wurde das interdisziplinäre 1 Hochdeutsch wird als Standardvarietät in den drei Vollzentren (Schweiz, Österreich und Deutschland) des Deutschen gesprochen und geschrieben und wird daher auch als plurizentrisch beschrieben (Kellermeier-Rehbein, 2014). Es weist regionale Besonderheiten auf. Die drei Varianten sind daher als gleichwertig zu betrachten. Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 72 Forum | E-Inclusion – Ein interdisziplinäres, schweizerisches Aphasie-Forschungsprojekt Aktuell werden vor allem fotografische Bildstimuli in der sprechenden Dialektwörterbücher konsultiert (Neues Therapie eingesetzt, da die Zugänglichkeit (Bilder aus Baseldeutsch Wörterbuch (Gasser et al., 2010) und Basel- dem Internet) für diese Art Bilder am grössten ist. Aller- deutsch-Wörterbuch (Suter, 2006) sowie Zürichdeutsches Wör- dings ermöglichen Illustrationen das Hervorheben von terbuch (Gallmann, 2015)). relevanten Merkmalen aber auch das Auslassen von Bild- details, die für die visuelle Verarbeitung irrelevant sein Die nachfolgende Tabelle 1 zeigt beispielhaft drei Nomen und das Erkennen erschweren können. und drei Verben, die allen Kriterien entsprechen. Die Sti- Sowohl Benennkorrektheit als auch Benennlatenzen (d. h. die muli unterscheiden sich teilweise phonologisch und in Zeit vom Erscheinen des Bildes bis zum Beginn der Be- seltenen Fällen auch lexikalisch. Die ausgewählten Kog- nennreaktion) wurden erfasst (Bonin et al., 2002; Kessler naten weisen unterschiedliche phonologische Ähnlich- et al., 2002). Je schneller die Benenngeschwindigkeit keiten von identisch (siehe Beispiel «Zebra») bis relativ und je korrekter ein Wort benannt wird, desto einfacher unterschiedlich (siehe Beispiel «näie/nähen») in den bei- scheint es abrufbar zu sein. den Varietäten auf. Phonologische Unterschiede liessen sich auch zwischen Schweizerdeutsch, Schweizerhoch- 3.1 Methode deutsch und Bundesdeutschem Hochdeutsch finden. 3.1.1 Material Beim Begriff «Wecker» besteht beispielsweise von Es wurden 64 niederfrequente, morphematisch einfache, Schweizerdeutsch (CHD) zu Schweizerhochdeutsch (CH- zweisilbige, konkrete und gut abbildbare Nomen und HD) kein Unterschied, zum Bundeshochdeutschen (BD- Verben in beiden Sprachvarietäten ausgewählt. Sowohl HD) ist hingegen durchaus ein Unterschied (CHD und Wortart als auch Wortfrequenz und Wortkomplexität bzw. BD-HD sowie CH-HD und BD-HD) festzustellen. Denn -länge können einen Einfluss auf die Benennkorrektheit während im Zürichdeutschen [ˈvɛkxər] und im Basel- und/oder -geschwindigkeit haben (Barry et al., 1997; Bas- deutschen [ˈvɛɡər] gesprochen wird, wird die R-Vokali- tiaanse et al., 2016; Bates et al., 2003; Kemmerer, 2014; sierung wie im bundesdeutschen Hochdeutsch [ˈvɛkɐ] in Meyer et al., 2003; Snodgrass & Vanderwart, 1980). Um die der Schweiz im Schweizerhochdeutschen meistens nicht Wortfrequenz zu kontrollieren wurden niederfrequente realisiert. Die schweizerhochdeutsche Variante lautet schweizerhochdeutsche Wörter auf der Basis des Leipzi- demnach – allerdings je nach Herkunft (Region Zürich ger Korpus (Leipzig Corpora Collection, n.d.) eingeschlos- oder Region Basel) der Studienteilnehmenden – entwe- sen. Da die Deutschschweizer Dialekte eine sehr hohe der [ˈvɛkxər] oder [ˈvɛɡər]. Damit bleibt die Aussprache Diversität aufweisen, wurden das Zürichdeutsche (ZHD) innerhalb eines Sprechers/einer Sprecherin im jeweili- und das Baseldeutsche (BSD) als Repräsentanten ge- gen Dialekt und dem entsprechenden Schweizerhoch- wählt. Dabei wurden für die Auswahl der Wörter die ent- deutsch in diesem Fall identisch. Schweizerdeutsch: Schweizerhochdeutsch Bemerkung zum phonologischen Abstand Dialekte Zürich-/Baseldeutsch Zebra (ZHD/BSD) Zebra In beiden Sprachvarietäten identisch. [ˈt͜sebrɑ], [ˈt͜sebʀɑ] [ˈt͜seːbrɑ], [ˈt͜se:bʀɑ] Mugge (ZHD/BSD) Mücke Die Dialekte unterscheiden sich vom [ˈmu:kə] [ˈmyk(x)e̞ ²] Schweizerhochdeutschen. Bire (ZHD) bzw. Biire(BSD) Birne Die Dialekte unterscheiden sich vom [ˈbɪrə], [ˈbɪːʀə] [ˈbɪrne̞ ] Schweizerhochdeutschen. lache (ZHD/BSD) lachen In den beiden Sprachvarietäten identisch [ˈlɑxə] [ˈlɑxən] (Im Schweizerdeutschen endet der Infinitiv bei Verben immer auf/-e/). wäsche (ZHD/BSD) waschen Die Dialekte unterscheiden sich vom [ˈvæʃə] [ˈvɑʃən] Schweizerhochdeutschen. näie (ZHD) bzw. nääie (BSD) nähen Die Dialekte unterscheiden sich vom [ˈnɛiə], [ˈnæiə], [ˈnæːiə] [ˈnɛːən] Schweizerhochdeutschen. Tabelle 1: Überblick über verschiedene Beispiele der ausgewählten Wörter in den Varietäten Schweizerdeutsch mit den Dialekten Zürichdeutsch (ZHD) und Baseldeutsch (BSD) sowie Schweizerhochdeutsch. ² Die unbetonte Endsilbe auf <-e> wird auf Schweizerhochdeutsch öfters als [e̞ ] (zwischen e/ɛ/ə) gesprochen statt Schwa (Hove, 2007, p. 173). Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 73 Forum | E-Inclusion – Ein interdisziplinäres, schweizerisches Aphasie-Forschungsprojekt Neben den oben genannten Benennfaktoren wurde bei se eine Banane in violetter statt gelber Farbe dargeboten den Begriffen die Konkretheit und Darstellbarkeit berück- wird, werden sie langsamer benannt (Adlington et al., sichtigt. Neben linguistischen Faktoren wurde auch auf 2009; Mohr, 2010; Naor-Raz et al., 2003; Rossion & Pour- einen möglichst hohen Alltagsbezug der Begriffe geach- tois, 2004; Therriault et al., 2009). Auch die abgebildete tet (Palmer et al., 2017), damit die daraus erstellten Bilder Textur eines Objekts erleichtert die korrekte und schnelle zukünftig in der Therapiepraxis Anwendung finden kön- Benennung (Rossion & Pourtois, 2004). Für «E-Inclusion» nen. wurden, basierend auf diesen Erkenntnissen, die Begriffe in einem möglichst klaren Abbildungsstil hergestellt. 128 farbige Illustrationen und Farbfotografien wurden in Für die Entwicklung der Bildsprache wurde die Methode einem möglichst eindeutigen Bildstil hergestellt und «practice-led iconic research» (Renner, 2010) verwendet. ausgewählt, deren einziger Unterschied in der Bildart lag Dort werden Bildserien erstellt, bei welchen jeweils eine (Fotografie vs. Illustration, siehe Abb. 1 und 2). Für die Bildeigenschaft verändert wird, um deren Auswirkung Herstellung der Bildstimuli wurde ein für beide Bildar- auf das Bild zu prüfen (Reymond et al., 2017). Im Herstel- ten applizierbares Bildkonzept entwickelt, das die Bildei- lungsprozess wurden informell drei Menschen mit genschaften berücksichtigt, deren Einfluss auf das Be- leichter bis mittelschwerer Aphasie einmalig befragt, nennen empirisch untersucht wurde. um ein Feedback zu den Bildern zu erhalten. Die Bilder wurden zudem in einer der ergänzenden Studien «Schriftliches Name Agreement» (siehe Kapitel 5.1) vor der Datenerhebung auf «Name Agreement», «Image Agreement» und «visuelle Komplexität» getestet und nochmals angepasst. Unter «Name Agreement» wird die Anzahl äquivalenter Begriffe für ein und dasselbe Objekt oder Verb bei der schriftlichen oder mündlichen Benen- Abbildung 1: «tauchen», links Fotografie, rechts Illustration. nung zwischen verschiedenen Personen bezeichnet. Fotografie von iStock Photo (2015) 3.1.2 ProbandInnen Die Rekrutierung der Studienteilnehmenden erfolgte über zahlreiche klinisch tätige LogopädInnen, Spitäler, Rehakliniken und Praxen in der Deutschschweiz. Insge- samt 33 PmA sowie 33 nach Alter gematchte PoA nahmen teil. In der Gruppe der PmA waren 18 Männer und 15 Frauen, die zwischen 20 und 84 Jahren alt waren (M = Abbildung 2: «Kirsche», links Fotografie, rechts Illustration. 58.1, SD = 13.6). Sechs PmA wiesen eine minimale, 17 eine Fotografie von iStock Photo (2017) leichte und 10 eine mittlere Benennstörung gemäss AAT Beispielsweise wurde die Grösse beachtet, indem eine (Huber et al., 1983) auf. 25 PmA hatten einen Schlaganfall, Ratte und ein Löwe unterschiedlich gross abgebildet zwei einen Hirntumor, vier eine Blutung, eine Person ein wurden, weil es für das Erkennen relevant ist, dass die Schädelhirntrauma (SHT) und eine weitere Person einen Grössenverhältnisse von Objekten innerhalb einer Kate- Schlaganfall und ein SHT. Die PoA waren zwischen 20 und gorie (z. B. Tiere) berücksichtigt werden (Snodgrass & 81 Jahren alt (M = 58.2, SD = 14.2, davon 16 Männer und 17 Vanderwart, 1980; Zhang & Wang, 2014). Auch die Ansicht Frauen). Alle Personen mussten mindestens 18 Jahre alt auf Objekte spielt eine Rolle beim Erkennen. Werden Ob- sein, einen Schweizer Dialekt als Erstsprache sprechen, jekte so dargestellt, dass die Informationen zur Identifi- über ein ausreichendes oder korrigiertes Seh- und Hör- kation des Objekts optimal sichtbar sind (canonical vermögen verfügen, nicht farbenblind sein und keine view), ein Zebra beispielsweise von der Seite und nicht Demenz aufweisen. Die Benennstörung durfte gemäss von oben gezeigt wird, erfolgt die Benennung des Ob- AAT (Aachener Aphasie Test, Huber et al., 1983) maximal jekts am schnellsten (Palmer, 1981; Snodgrass & Vander- mittelschwer ausgeprägt sein. Nach klinischer Einschät- wart, 1980). Für Verben scheint eine Frontalansicht oder zung der behandelnden LogopädIn musste das auditive eine Rückenansicht auf Hüfthöhe zu den tiefsten Fehler- Sprachverständnis für Instruktionen in der Länge von raten beim Benennen zu führen (Krull et al., 2003). Infor- drei bis vier Sätzen und eine Aufmerksamkeitsspanne mationen über die Farbe eines Objekts sind relevant, von mindestens 45 Minuten gegeben sein sowie eine ko- wenn sie die Prototypizität des Objekts unterstreichen morbide Sprechapraxie oder Dysarthrie maximal leicht (z. B. rote Kirsche). Wenn farbprototypische Objekte in ausgeprägt sein. Der Pyramids And Palm Trees Test inkongruenten Farben präsentiert werden, beispielswei- (PPTT) (Howard & Patterson, 1992) wurde durchgeführt, Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 74 Forum | E-Inclusion – Ein interdisziplinäres, schweizerisches Aphasie-Forschungsprojekt um zu überprüfen, ob das semantische Erkennen von kann die beschriebene Hauptstudie Hinweise liefern, ob Bildern grundsätzlich möglich ist. Das Erkennen von Fotografien oder Illustrationen für PmA besser geeignet Farbe wurde über den Colouring of Pictures-Test (COPT) sind oder ob zum Beispiel bei äquivalenter Qualität kein nach De Renzi et al. (1972) geprüft. Unterschied besteht und auch ob PoA und PmA sich in Bezug auf die Bildwahrnehmung gleich verhalten. Da- 3.1.3 Datenerhebung durch kann künftig bei der Auswahl von Bildmaterial für Alle ProbandInnen wurden anhand folgender Auswahl Diagnostik und/oder Therapie auf wesentliche Kriterien der Items getestet: Jeweils 32 Nomen und Verben in foto- der Bilderkennung zurückgegriffen werden. Im Hinblick grafischer Abbildung und je 32 Nomen und Verben als auf die visuelle Verarbeitung von Bildmaterial weisen Illustrationen. Die Hälfte aller Items wurde auf Hoch- erste Ergebnisse unserer Studie darauf hin, dass mögli- deutsch, die andere Hälfte im Dialekt benannt. Jede Un- cherweise unterschiedliche Bildarten zu vergleichbaren tersuchung wurde mit zwei Untersuchungsleitenden Ergebnissen im korrekten und schnellen Benennen von durchgeführt und dauerte etwa zwei Stunden. Während Bildern führen. die eine Person jeweils nur Schweizerdeutsch sprach (nur Schweizer Dialekte – je nach individuellen Voraus- Ebenso sind auf der Basis der Ergebnisse Rückschlüsse setzungen der Untersuchenden), übernahm die zweite darüber möglich, ob es für PoA und PmA einen Unter- Person die andere Hälfte auf Hochdeutsch (Schweizer- schied macht, ob sie ein Wort in ihrem Dialekt oder auf hochdeutsch, bundesdeutsches oder österreichisches Schweizerhochdeutsch benennen und falls ja, ob Dialekt Hochdeutsch – je nach individuellen Voraussetzungen oder Hochdeutsch korrekter und/oder schneller möglich der Untersuchenden). Das Ziel war dabei, die jeweilige ist. Bisher scheint es weder in der Aphasiediagnostik Sprachvarietät bereits über die Untersuchungsperson zu noch in der -therapie einen allgemeinen Konsens darü- triggern. Für die Datenerhebung wurde eigens eine mo- ber zu geben, in welcher Varietät geübt werden soll. Die bile App für Tablets entwickelt, die auf die Anforderung vorliegenden Ergebnisse könnten erste Hinweise liefern, der Studie zugeschnitten war: Die Bilder wurden den ob die Übungsvarietät für PmA überhaupt eine Rolle Studienteilnehmenden direkt in der App präsentiert. Die spielt. Daraus können Empfehlungen für den Umgang Antworten wurden als Audio- und Videoaufnahmen di- mit den beiden Varietäten in der Sprachtherapie abgelei- rekt über das Tablet aufgenommen und verschlüsselt ge- tet werden. Die vorliegende Studie könnte ausserdem speichert. erste Hinweise auf die Vergleichbarkeit von diglossem mit bilingualem Benennen geben. 3.2 Erwartete Ergebnisse Alle Benennreaktionen wurden transkribiert und co- diert. Für die Codierung der Korrektheit wurde ein zwei- 4.0 Hauptstudie 2: Messung stufiges System verwendet: zum einen wurden soge- intraindividueller Veränderungen nannte «absolut korrekte» Reaktionen erfasst. In diesem bei PmA anhand quantitativer Fall musste der Wortlaut der Varietät und dem zuvor Parameter aus dem Sprachsignal festgelegten Zielwort exakt entsprechen, damit für die Auswertung der Fragestellung zum Vergleich von Dia- In der Hauptstudie 2 wurde die Möglichkeit untersucht, lekt und Hochdeutsch das Wortmaterial vergleichbar potentielle Veränderungen beim Benennen objektiv zu war. Zum anderen wurde im Hinblick auf die Alltagstaug- erfassen. Üblicherweise werden sprachliche Aufgaben in lichkeit der App eine Kategorie «erweitert korrekt» co- Aphasietests, welche klinische und/oder neurolinguisti- diert, in welcher u. a. auch Synonyme berücksichtigt sche Ziele verfolgen (Grohnfeldt, 2007), mit Punkten wurden. Fehler wurden in verschiedene Kategorien auf- durch die behandelnden TherapeutInnen bewertet. Ins- geteilt, z. B. in semantische und phonematische besondere bei Restaphasien können aber gängige Test- (Schuchard et al., 2017) sowie Sprachvarietätsfehler. Bei verfahren, wie zum Beispiel der AAT (Huber et al., 1983), Letzteren erfolgte die Benennung des Zielwortes in der Einschränkungen meist nicht mehr erfassen (Jaecks, nicht geforderten Varietät, also beispielsweise auf Hoch- 2014). Denkbar wäre auch eine Stagnation auf einem be- deutsch statt im Dialekt bzw. umgekehrt. stimmten Level beispielsweise beim «Benennen», so dass Die Reaktionszeiten der absolut korrekten Antworten sich die Punktwerte zwischen den Verlaufskontrollen wurden im Anschluss manuell mit Praat (Boersma & nicht mehr signifikant verbessern oder verschlechtern. Weenink, 2020) gemessen. Ergebnisse erster Berechnun- Die Hauptstudie 2 setzt daher an diesem Punkt an, um gen werden in den nächsten Monaten erwartet. Die Er- Benennleistungen von PmA über das Sprachsignal zu gebnisse der Hauptstudie 1 sind sowohl auf praktischer evaluieren, beispielsweise indem die Benennlatenz be- als auch auf theoretischer Ebene relevant. Für die Praxis stimmt wird. Denkbar wäre, dadurch zusätzliche Hin- Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 75 Forum | E-Inclusion – Ein interdisziplinäres, schweizerisches Aphasie-Forschungsprojekt weise auf bisher nicht erkennbare Verbesserungen oder 4.1.2 Datenerhebung Verschlechterungen im Rehabilitationsprozess zu erhal- Von allen 22 PmA wurden Benenndaten an zwei bis vier ten. Dazu wurden die gleichen Nomen von einer PmA Terminen mit jeweils mindestens zwei Wochen Abstand über mehrere Messzeitpunkte wiederholt benannt (Fra- erhoben. Benannt wurden jedes Mal die gleichen 20 Bilder gestellung 2). Bisher existieren in verfügbaren Apps keine (zehn einfache Nomina und zehn Nomina Komposita) aus Messinstrumente, welche phonetisch akustische Analy- dem AAT-Untertest «Benennen» (Huber et al., 1983) mit sen von Sprachaufnahmen berücksichtigen, um sie zu freundlicher Genehmigung des Hogrefe Verlags GmbH & analysieren und eine objektive, individuelle Rückmel- Co. Die 20 AAT-Bilder wurden in die schon erwähnte und dung über die Korrektheit der Leistung zu geben. Existie- selbstentwickelte App (siehe Hauptstudie 1, Kapitel 3.0) rende Algorithmen (Jansen & Watter, 2008; Roux et al., integriert. So konnten die Benennreaktionen direkt über 2017) sind aufgrund ihrer Komplexität nicht für die Inte- das Tablet gemacht werden, indem wiederum synchron gration in Apps geeignet oder nicht sehr genau. Die fol- mit der Bildanzeige eine Ton- und Videoaufzeichnung gende Studie untersucht zusätzlich zur Benennlatenz erfolgte. Die behandelnden LogopädInnen erhielten zu explorativ weitere potentielle Parameter, welche Erfolge Beginn eine Einführung in die Handhabung des Tablets oder Rückschritte indizieren könnten. Die generelle Ten- und haben danach die Messungen selbständig durchge- denz der Veränderungen bei ProbandInnen soll mit Hilfe führt. Sie konnten damit auch die Abstände zwischen einer parallel durchgeführten AAT (Huber et al., 1983) den Messzeitpunkten bestimmen. Die verschlüsselten Evaluierung erfolgen. Daten wurden im Anschluss von jemandem aus dem Studienteam persönlich abgeholt. Parallel zur Aufnahme 4.1 Methode Erwartete Ergebnisse mit dem Tablet, dokumentierten die untersuchenden Lo- 4.1.1 ProbandInnen gopädInnen ihre Einschätzung der Benennleistung an- Die Rekrutierung der Studienteilnehmenden wurde von hand der Bewertungsskala des AAT-Untertests «Benen- einem Teil der an der Hauptstudie 1 (siehe Kapitel 3.0) nen» (Huber et al., 1983) mit einem Punktwert zwischen teilnehmenden LogopädInnen, Spitälern, Rehakliniken 0 und 3 ³. und Praxen übernommen. Insgesamt wurden 22 PmA in Zur Datenauswertung werden verschiedene Zeit- und die Studie eingeschlossen. Fünf Frauen und 17 Männer Frequenzparameter aus den Audiodateien automatisch im Alter zwischen 42 und 80 (MD = 63.0, SD = 10.9) nah- mit Hilfe verschiedener Algorithmen mit MATLAB (The men teil. 20 PmA hatten einen Schlaganfall, eine einen MathWorks Inc, 2021) extrahiert. Einer dieser Parameter Hirntumor und eine weitere eine progredientes zerebra- ist die Benenngeschwindigkeit. Diese wurde zum Ver- les Hemiatrophiesyndrom unklarer Aetiologie. Die PmA gleich zusätzlich manuell bestimmt. Weiterhin werden mussten ein Mindestalter von 18 Jahren haben und Parameter wie beispielsweise die Wortdauer untersucht, Deutsch als Erstsprache sprechen. Für die Hauptstudie aber auch solche aus dem Frequenzbereich, die bei ande- zwei wurden auch PmA mit Erstsprache bundesdeut- ren Pathologien als Biomarker identifiziert werden schem Hochdeutsch zugelassen, weil jeweils nur in- konnten (Berisha et al., 2014). Die Daten werden zurzeit traindividuelle Vergleiche zwischen den Messzeitpunk- ausgewertet. ten erfolgten. Alle PmA mussten über ein ausreichendes oder ausreichend korrigiertes Seh- und Hörvermögen 4.2 Erwartete Ergebnisse verfügen und durften nach klinischer Einschätzung der Bis zu 80 verschiedene mathematische Parameter sollen behandelnden LogopädIn keine Demenz, keine schwere aus den ca. 1’200 Sprachdateien der PmA berechnet wer- Aphasie und maximal eine leichte Sprechapraxie auf- den. Aufgrund der wiederholten Sitzungen ist ein Ver- weisen. Die Rehabilitationsphase (akut, postakut, chro- gleich zwischen den unterschiedlichen Messpunkten nisch) spielte keine Rolle. Allerdings durften die Benenn- und somit ein Erkennen eventueller Veränderungen schwierigkeiten nur minimal, mild oder mittelschwer möglich. Verbesserungen werden einerseits aufgrund sein und das Auftreten von Veränderungen der Aphasie der Spontanremission in der Akutphase oder anderer- aufgrund von Therapie oder Spontanremission sollte seits basierend auf der therapeutischen Intervention er- nach Einschätzung der LogopädIn wahrscheinlich sein. wartet. Logopädische Therapie kann beispielsweise auch 3 Bei der Bewertung des Benennteils bedeutet 3 = keine Störung, 2 = semantische Ähnlichkeit mit dem Zielwort/Selbst- korrektur/Suchverhalten/Unsicherheit, 1 = geringe semantische Ähnlichkeit mit dem Zielwort, 0 = keine semantische Ähnlichkeit mit dem Zielwort/keine Reaktion/Automatismus/Perseveration (vgl. AAT, Huber et al., 1983) Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 76 Forum | E-Inclusion – Ein interdisziplinäres, schweizerisches Aphasie-Forschungsprojekt in der chronischen Phase noch zu Verbesserungen füh- 5.2 Mündliches Name Agreement in Dialekt ren (Baumgärtner, 2017; Breitenstein et al., 2017). Ver- und Schweizerhochdeutsch schlechterungen können durch ein erneutes Ereignis Mit den überarbeiteten Bildern für die Hauptstudie 1 ausgelöst werden. Der Vergleich zwischen manuell und wurde ausserdem das mündliche Name Agreement so- automatisiert gemessenen akustisch-objektiven Para- wohl für Dialekt als auch Schweizerhochdeutsch von metern soll mit den eventuell durch die LogopädInnen PoA überprüft. Die Datenerhebung erfolgte wie in Haupt- klinisch festgestellten Änderungen verglichen werden, studie 1 (siehe Kapitel 3.1.3) beschrieben mit dem einzi- um bedeutsame und sensitive Parameter zu identifizie- gen Unterschied, dass nur eine Person die Untersuchung ren. Insbesondere die Benenngeschwindigkeit wird als durchführte. Items mit einem schlechten mündlichen relevanter Parameter angesehen, aber auch andere Para- Name Agreement wurden auch für Hauptstudie 1 ausge- meter aus der Sprachanalyse könnten eventuell zusätzli- schlossen. Ausserdem bietet der Datensatz dieser ergän- che Informationen liefern (Fraser et al., 2013). zenden Studie aufgrund einer grösseren Stichprobe von Der Vergleich zwischen automatisch und manuell be- 123 PoA auch die Möglichkeit eines Vergleichs mit den in stimmter Benenngeschwindigkeit soll das Potential der der Hauptstudie 1 gestellten Fragen nach der Sprachvari- Automatisierung der Benenngeschwindigkeitsbestim- etätenwahl sowie Auskunft darüber, ob sich das Name mung als Ergänzung zu den herkömmlichen Vorgehens- Agreement im Dialekt und im Schweizerhochdeutschen weisen der Punktebewertung aufzeigen. unterscheidet. Zusätzlich soll anhand der Daten der Ein- fluss der initialen Phoneme auf die Genauigkeit der auto- 5.0 Ergänzende Studien und Daten- matischen Benenngeschwindigkeitsmessung unter- sammlung Sprachbibliothek sucht werden. Die Daten werden zurzeit ausgewertet. 5.1 Schriftliches Image und Name 5.3 Subjektive Frequenz Agreement sowie visuelle Komplexität Für die Hauptstudie 1 wurden in einer weiteren Studie Nach Abschluss der Bildherstellung wurden die 128 Il- Daten zur sog. subjektiven Frequenz von Einzelwörtern, lustrationen für die Überprüfung der drei Parameter d. h. der Häufigkeit des Gebrauchs, in einer Online-Um- «Name Agreement», «Image Agreement» und «visuelle frage erhoben. Diese steht im Zusammenhang mit der Komplexität» über eine Online-Umfrage getestet (Rey- insbesondere in psycholinguistischen Studien häufig mond et al., 2019). Es wurden alle Bilder, welche kein kla- verwendeten sog. Familiarität, also der Vertrautheit mit res schriftliches Name oder Image Agreement aufwie- einem Objekt oder einer Tätigkeit. Diese kann einen Ein- sen, aussortiert. Auch Bilder, die als sehr komplex fluss auf die Geschwindigkeit und die Korrektheit beim bewertet wurden, wurden ausgeschlossen und überar- Benennen haben (Alario & Ferrand, 1999; Snodgrass & beitet. So waren beispielsweise für das Verb «graben» grö- Vanderwart, 1980). Insgesamt haben 547 Personen ohne ssere Überarbeitungen notwendig, da es von den Studi- Aphasie an der Studie teilgenommen. Die Teilnehmen- enteilnehmenden mit «gärtnern», «pflanzen» oder «Loch den hörten 37 Nomen und Verben im Dialekt (nach Wahl schaufeln» beschrieben wurde. Eine mögliche Begrün- Basel- oder Zürichdeutsch) bzw. auf Hochdeutsch und 37 dung liegt im fehlenden Fokus auf das Loch, welches weitere in der jeweils anderen Varietät. Sie bewerteten durch das Graben entsteht. Das überarbeitete Bild (siehe die Wörter auf einer 7-Punkte-Skala (1=nie, 2=mehrmals Abb. 3) stellt durch den Fokus auf die Entstehung des pro Jahr, 3=einmal im Monat, 4=einmal in der Woche, Lochs die Aktivität «graben» ins Zentrum. Die getesteten 5=alle zwei Tage, 6=einmal am Tag, 7=mehrmals pro Tag) und überarbeiteten Bilder wurden in das finale Stimu- nach der Häufigkeit des Auftretens in ihrem Alltag. Da li-Set eingeschlossen, welches für die Hauptstudie 1 ein- im Dialekt keine einheitliche Schreibweise verfügbar ist, gesetzt wurde. haben wir auf eine schriftliche Darbietung des Stimulus verzichtet. Balota et al. (2001) konnten ausserdem nach- weisen, dass die Gesamtwahrscheinlichkeit einer Wort- frequenz über alle vier Modalitäten (lesen, schreiben, sprechen, hören) am besten über die Frequenz des Hö- rens wiedergegeben wird. Für die Studie wurden 264 hoch- und niederfrequente Nomen und Verben berück- sichtigt. Abbildung 3: «graben», links in der Version vor dem Vortest und rechts in Die Datenerhebung wurde im Februar 2021 abgeschlos- der finalen Version. sen. Die Datenauswertung ist noch nicht abgeschlossen, weshalb noch keine Ergebnisse vorliegen. Die vorliegen- den Daten sind nicht nur für das Projekt relevant, son- Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 77 Forum | E-Inclusion – Ein interdisziplinäres, schweizerisches Aphasie-Forschungsprojekt dern könnten u. a. eine wichtige Grundlage für die Ent- Sprachdaten zurückgegriffen werden. Diese vier Aspekte wicklung von sprachtherapeutischem Stimulusmaterial sollen künftig in der Prototypen-App bedienerfreundlich darstellen. vereint werden. 5.4 Sprachwahrnehmung und – gebrauch von Neben den beschriebenen praktischen Implikationen Dialekt und Hochdeutsch in der Schweiz dient «E-Inclusion» auch der Sichtbarkeit der Schweizer Der im vorhergehenden Kapitel beschriebenen On- Aphasiologie in nationalen und internationalen For- line-Umfrage wurde ein Fragebogen vorgeschaltet, in schungskreisen und stärkt über die Verbindung der be- welchem die 415 Teilnehmenden nach ihren Erst- und teiligten Disziplinen die in der Logopädie äusserst rele- Zweitsprachen befragt wurden. Ausserdem enthielt der vante Interdisziplinarität. Fragebogen ein Proficiency-Rating zur Einschätzung der Ausserdem wurde und wird E-Inclusion in die Lehre spe- Sprachkenntnisse in den angegebenen Sprachen und ziell von angehenden LogopädInnen integriert, so dass Modalitäten und Fragen zur Verwendung und Sprach- Studierende bereits während ihrer Studienzeit aktiv an wahrnehmung der beiden Varietäten. Während 254 Teil- verschiedenen im Forschungsprozess notwendigen nehmende ausschliesslich einen Schweizer Dialekt als Schritten mitarbeiten können. Nicht zuletzt entsteht Erstsprache nannten, hatten 122 neben einem Schweizer durch das Projekt auch eine Verbindung zwischen logo- Dialekt weitere Erstsprachen und 39 Teilnehmende spra- pädischen PraxispartnerInnen und Hochschule (Kunt- chen keinen Schweizer Dialekt als Erstsprache. Die Da- ner et al., 2021). Diese nachhaltigen Kontakte zu Praxis- ten werden zurzeit ausgewertet. Die Ergebnisse sollen partnerInnen der Logopädie bilden die Grundlage für das Verhältnis von Dialekt und Hochdeutsch aus der Per- weitere Forschungsprojekte und Kooperationen zwi- spektive der drei oben genannten Gruppen erfassen und schen Reha-, Akut-Kliniken und logopädischen Praxen potentielle modalitätsspezifische Unterschiede in der einerseits sowie der FHNW andererseits. Kompetenzeinschätzung aufzeigen. Link zur Projektwebsite: https://www.fhnw.ch/de/die- fhnw/strategische-entwicklungsschwerpunkte/strate- 5.5 Erstellung von Sprachbibliotheken zur gische-initiativen/e-inclusion. Implementierung der Spracherkennung Anhand der Daten des mündlichen Name Agreements 7. Danksagung (siehe Kapitel 5.2) und einer zusätzlichen, ebenfalls mit dem Tablet durchgeführten Datenerhebung wurden für Die Autorinnen und Autoren danken der FHNW für die die verwendeten Begriffe beispielhaft Hochdeutsch- und Finanzierung von «E-Inclusion», den Studienteilneh- Dialektbibliotheken z. B. für Zürich- und Baseldeutsch menden für die motivierte Teilnahme sowie den Teams, erstellt. Für die automatisierte Spracherkennung wurde Abteilungen und Fachbereichen der Logopädie der Pra- das Open Source-Toolkit Kaldi (Povey et al., 2011) verwen- xispartnerInnen für die engagierte Zusammenarbeit: det. Die in den App-Prototypen integrierten Bibliotheken REHAB Basel, Reha Rheinfelden, Bad Schinznach (Pri- sollen anschliessend mit den Daten der ProbandInnen vat-Klinik Im Park); Kantonsspitäler Aarau, Baden, Ba- aus Studie 1 evaluiert und Optimierungsmöglichkeiten selland, Graubünden und Olten (Solothurner Spitäler); identifiziert werden. Spitäler Schaffhausen und Zofingen; Universitätsspital Zürich (Klinik für Neurologie) und Universitäre Alters- 6.0 Schlussfolgerungen medizin FELIX PLATTER; Stadtspital Waid und Triemli; Logopädische Praxen Fanny Dittmann-Aubert, Isabelle E-Inclusion vereint mit dem Einsatz neuer Technologi- Facchini-Baumann, LogoTreffpunkt, mund’art, rundum en, der Erforschung von Sprachvarietäten bei PmA und therapie, Petra Dietiker und Unterstrass. PoA sowie der Bildforschung drei aktuelle Themen der Sprachtherapie in einem Projekt. So kann für künftige 8. Interessenkonflikt Projekte auf psycholinguistisch geprüftes Wortmaterial für Schweizerdeutsch und Hochdeutsch, auf forschungs- Die beschriebenen Studien im Projekt «E-Inclusion» basiert entwickeltes Bildmaterial, auf Algorithmen für wurden von der FHNW im Rahmen der Strategischen In- die akustisch-objektive Analyse von Sprachdaten und itiativen 2018 – 2020 finanziert. Die Autorinnen und Au- auf eine Sprachdatenbank für automatisierte Spracher- toren erklären, dass keine Interessenkonflikte bestehen. kennung basierend auf Hochdeutschen und Schweizer Kontakt | Sandra Widmer Beierlein, Institut Spezielle Pädagogik und Psychologie (ISP), PH FHNW, Hofackerstrasse 30, CH-4132 Muttenz, sandra.widmer@fhnw.ch Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 78 Forum | E-Inclusion – Ein interdisziplinäres, schweizerisches Aphasie-Forschungsprojekt Literaturverzeichnis Adlington, R. L., Laws, K. R., & Gale, T. M. (2009). The Hatfield Image Test (HIT): A new picture test and norms for experimental and clinical use. Journal of Clinical and Experimental Neuropsychology, 31(6), 731–753. https://doi.org/10.1080/13803390802488103 Alario, F.-X., & Ferrand, L. (1999). A set of 400 pictures standardized for French: Norms for name agreement, image agreement, familiarity, visual complexity, image variability, and age of acquisition. 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Lücking, Christiane; Wilmskötter, Janina Zur leichteren Orientierung ist das Buch in vier Themen- Verlag: Schulz-Kirchner blöcke eingeteilt, die durch unterschiedlich farblich ge- ISBN: 978-3-8248-1265-3 kennzeichnete Reiter erkennbar sind Preis: CHF 67.90 • Grundlagen Das von einer Gruppe sehr ausgewiesener sprachthera- • Vorbereitende Massnahmen peutischer Dysphagiologinnen und langjährigen Exper- • «Online»-Management tinnen veröffentlichte Tutorial «Videofluoroskopie des • «Offline»-Management Schluckaktes» ist ein Lehr- und Handbuch für Praktiker- Innen par excellence. Das Tutorial wirkt sehr prozedural, so dass es den Ein- druck macht, dem Vorgehen einer KlinikerIn entlang ei- Die eingängige Schreibweise, begleitet durch ein anspre- nes patientInnenorientierten Behandlungspfades zu fol- chendes Bouquet von Merke- und Cave-Hinweisen, Lern- gen bzw. nachvollziehen zu können, was aus der Sicht fragen, Tabellen, Illustrationen, Praxisbildern, Grafiken, des Verfassers dieser Zeilen den zentralen Wert dieses repräsentativen Berichten und VFS-Videobeispielen (auf Tutorials als Tool für die klinische Praxis ausmacht. dem im Einband mitgegebenen USB-Stick), macht das Lesen nicht nur zu einem Genuss, sondern ist ein will- Wesentliche Axiome, auf die bei einem qualitätsvollen kommenes Tool, das Trainings- und Einarbeitungspraxis VFS-Service zu achten ist, die jedoch in der klinischen im klinischen Setting für Starter wie auch erfahrene Kli- Umsetzung und bei der Implementierung häufig man- nikerInnen erleichtert. Inhalt und Aufmachung sind so gels Fach-VFS-Kenntnissen vernachlässigt werden, sind dicht aufbereitet wie ein klinisches Pocketbook für die von den Autorinnen in unmissverständliche Merksätze Kitteltasche, so dass nur das Format es dann doch zum gebracht, wo es z. B. für das wichtige technische Feature Verbleib auf dem Arbeitsfläche im Schaltraum oder dem der Bildrate auf S.21 heisst: «Unter einer VFS (…) versteht Schreibtisch der KlinikerInnen verbannen wird, jedoch man eine radiologische Darstellung mit mindestens ei- immer in Reichweite bleiben sollte. ner Puls-/Bildrate von 30 pps/fps, die zur Bestimmung der Anatomie & Physiologie des oropharyngealen Schlu- Eine Begleiterin ist das Tutorial für die angehende wie ckens dient». auch die erfahrene PraktikerIn insofern, als dass es alles umfasst, was SprachtherapeutInnen zur Durchführung Wert legen die Autorinnen auch auf die fachlich wichti- des sprachtherapeutischen Aufgabenteils wissen sollten. ge Feststellung, dass die VFS kein «Feeding Assessment» ist, und daher nicht zum Ziel hat, möglichst alltagsge- Ziel des Buches ist es nach den Autorinnen, «…die Vor- treue Ess- und Trinksituationen zu simulieren, sondern gänge des Schluckens hinsichtlich der biomechanischen es darum ginge, die Biomechanik des Schluckens zu un- Aspekte übersichtlich darzustellen und gleichzeitig die tersuchen und die zugrundliegende Pathologie zu be- VFS als bislang einziges Verfahren vorzustellen, mit dem stimmen, um daraus indizierte Therapiemethoden abzu- 1 Zentrum für Logopädie des Neurologischen Zentrum am Bezirksklinikum Mainkofen, D-Deggendorf Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 82 Rezension | Videofluoroskopie des Schluckaktes – Ein sprachtherapeutisches Tutorial leiten. Die VFS, so die Autorinnen weiter, müsse als ein Die Autorinnen leiten dies denn auch deutlich aus dem Teilaspekt im gesamten Kontinuum der PatientInnenbe- spezifischen Beitrag ab, den SprachtherapeutInnen bei handlung betrachtet werden, da sie lediglich eine Mo- der ursprünglich von Jerry Logemann entwickelten VFS mentaufnahme darstelle, so dass vor jeder VFS eine klini- liegt: sche Schluckuntersuchung durchzuführen sei. Die Autorinnen nehmen diese Hinweise so ernst, dass sie S.21: «Der sprachtherapeutische Aufgabenteil umfasst aus dem Buch nicht nur ein einfaches Videofluorosko- die korrekte Positionierung der Patientin und die Verab- pie-Fachbuch, sondern darüberhinausgehend sogar ein reichung der verschiedenen Bolusarten. Die Sprachthe- Fachbuch über die Einbettung der VFS in klinische Behand- rapeutin lenkt ihren Fokus auf die Schluckabläufe und lungsabläufe mit entsprechend zeitgemässer Aufberei- deren mögliche Manipulation, sofern dies indiziert ist.» tung und Darlegung in terminologisch präziser und ak- tuellster Fachsprache inklusive der für das Schlucken Es ist gar nicht möglich, im Rahmen dieser Besprechung relevanten Hirnnerven, Muskeln, physiologischen auf die vielen fachlichen Leckerbissen des Tutorials ein- Schluckabläufen, zum Vorgehen im Rahmen einer klini- zugehen, und so soll es hier einfach dabei bleiben, nur schen Schluckuntersuchung inklusive deren Berichter- Appetit auf diesen Leckerbissen eines fachlich hochak- stattung und bildgebungsbasierter Ableitung therapeu- tuellen, fundierten und hervorragend gelungen Werkes tischer Interventionen gemacht haben, abgerundet zu machen, dem ich ein freudiges und glücklich strah- durch ein illustriertes Beispiel eines klinischen Behand- lendes Dasein und zur Verfügung-Stehen in dunklen lungspfades auf der ausklappbaren Innen-Umschlagsei- Durchleuchtungs- und Schalträumen von solchen Ra- te des Buches. diologien wünsche, die sich einem der wichtigsten und faszinierendsten bildgebenden Verfahren in der Schluck- diagnostik widmen: der VFS. Kontakt | Sönke Stanschus, Zentrum für Logopädie des Neurologischen Zentrum am Bezirksklinikum Mainkofen, D-Deggendorf, s.stanschus@mainkofen.de Literatur Duchac, S., Hofmayer, A., Lücking, C., & Wilmskötter, J. (2020). Videofluoroskopie des Schluckaktes – Ein sprachtherapeutisches Tutorial. Schulz-Kirchner Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés N° 2/2021 ISSN 1664-8595 83 Rezension Das Aphasie-Experiment. Wer sind wir ohne Sprache? Kertscher, Berit ¹ Autorin: Lukesch, Barbara ich die Erkenntnisse der TeilnehmerInnen am Aphasie-Ex- Verlag: Appenzeller periment für realitätsnah. Sie spiegeln die Zweifel, Her- ISBN: 978-3-905724-68-4 ausforderungen und Ängste von Menschen mit Aphasie Preis: CHF 29.90 eindrücklich wider. Mit einem entscheidenden Unter- schied: das Wissen, dass sie am nächsten Tag wieder Endlich! Es ist höchste Zeit für dieses Buch. Ein Buch mit vollumfänglich an Arbeit, Sozialleben und Privatleben mehr als nur beschreibendem Inhalt, sondern mit einer teilnehmen können. Ihr sprachliches Können und ihre Einladung zum Selbstexperiment. Das Aphasie-Experiment Wortgewandtheit werden ihnen wieder sicher sein. zeichnet sich durch den bewussten Verzicht auf Sprache Es gebührt Barbara Lukesch Dank für das in Worte fas- in Form eines «Schweigetages» aus. Ein elektiver Selbst- sen dieses Experimentes und für das Finden faszinieren- versuch zum Nachempfinden, wie sich das Leben eines der TeilnehmerInnen. Alle Porträts machen Lust darauf Menschen mit Aphasie anfühlt, welche kommunikativen mehr über die TeilnehmerInnen zu erfahren; sich mit Schwierigkeiten sich ergeben und welche ungeahnten ihnen auszutauschen. Das haben die TeilnehmerInnen Herausforderungen täglich bewältigt werden müssen. mit meinen PatientInnen gemein. Auch sie waren, sind Schweizer Persönlichkeiten mit den unterschiedlichs- und bleiben Persönlichkeiten, mit denen es sich lohnt in ten Professionen und Lebensläufen nahmen an diesem Kontakt zu treten, zu kommunizieren, von ihnen zu ler- Experiment teil. Die Autorin Barbara Lukesch bündelte nen und mit ihnen zu lachen. Ich trete meinen Patien- deren Erlebnisse eindrücklich, persönlich und anschau- tInnen mit der fachinhaltlichen Überzeugung gegen- lich, und Fotograf Lukas Bidinger komplettierte das Buch über, dass ihre Aphasie zwar eine wichtige Facette ihrer mit ansprechenden Porträtfotografien. Person ist, aber sie nicht komplett definiert. Zusammen Oft wird lediglich über PatientInnengruppen geschrie- mit meinen klinischen und ambulanten FachkollegIn- ben, aber dieses Buch schafft einen vollständigen Pers- nen in Spitälern, Rehakliniken, Praxen bis hin zu Ausbil- pektivenwechsel. Jeder einzelne Erlebnisbericht beweist, dungsstätten arbeiten wir an einer individuellen und nichts zu sagen ist alles andere als nichtssagend. Das Unver- alltagsbezogenen Aphasietherapie. Unter diesem Aspekt mögen spontan reden, sprechen, witzeln, telefonieren, ist ein besonderes Highlight am Ende des Buches zu fin- plaudern, flüstern, schreien, lesen oder erzählen zu kön- den. Das Interview mit Jürg Schwyter, einem Betroffe- nen, ist eine prägende Erfahrung. Durch das Aphasie-Ex- nen, macht das Buch für mich zu einem Muss für Men- periment kann diese Art der Sprachstörung durch (Ehe) schen, die sich mit Menschen mit Aphasie befassen: z. B. PartnerIn, Freunde oder Angehörige nachempfunden Angehörige, TherapeutInnen, ÄrztInnen, Pflegende und und eine bessere Kommunikationsgrundlage gefunden Studierende der Logopädie und Linguistik. werden. Ob verbal oder nonverbal ist dabei nicht aus- schlaggebend. Das Buch vermag zu zeigen, wie aus Bedauern Erleben Als Patholinguistin und klinische Logopädin mit mehr- und aus Mitleid Verständnis werden kann. Endlich! jähriger Erfahrung mit PatientInnen mit Aphasie halte Kontakt | Berit Kertscher, Kantonsspital Winterthur, Berit.Kertscher@ksw.ch Literatur Lukesch, Barbara (2021). Das Aphasie-Experiment. Wer sind wir ohne Sprache? Appenzeller. 1 Kantonsspital Winterthur