!______________________________________________________________!! Titel: Der barocke 'Lituus' und seine Verwendung in Johann Sebastian Bachs Motette 'O Jesu Christ, mein's Lebens Licht' (BWV 118). Quellenkundliche und instrumententechnische Bemerkungen zu einem Forschungsprojekt der Schola Cantorum Basiliensis. Autoren: Anselm Hartinger, Kathrin Menzel Publikationsdatum: 2009 Zeitschrift: Glareana Band: 58 Ausgabe: 1 Seiten: 33-44 Verlag: GEFAM - Gesellschaft der Freunde alter Musikinstrumente ISSN: 1660-2730 URL: www.gefam.ch Stichworte: Lituus, Johann Sebastian Bach, J.S. Bach, historische Aufführungspraxis, HIP, Rekonstruktion, Kantate 33 Der barocke ,,Lituus" und seine Verwendung in Johann Sebastian Bachs Motette ,,0 Jesu Christ, mein's Lebens Licht" (BWV 118) Quellenkundliche und instrumententechnische Bemerkungen zu einem Forschungsprojekt der Schola Cantorum Basiliensis von Anselm Hartinger und Kathrin Menzel, Basel Zur Neukonstruktion des barocken ,,Lituus" in den Jahren 2008/09 In einem 11 Bach-Forum" der Schola Cantorum Basiliensis wurde am 12. Janu- ar 2009 erstmals eine neue Besetzungsvariante für die beiden hochliegenden und als 11 Litui" bezeichneten Bläserpartien in Johann Sebastian Bachs Choral- motette 11 0 Jesu Christ, meins Lebens Licht" (BWV 118) vorgestellt. Dabei er- klangen zwei eigens zu diesem Anlaß vom Instrumentenbauer Matthias Wetter (Ossingen) verfertigte Instrumente, die von dem Naturtrompeter Mi- chael Diprose und dem Spezialisten für Alphörner und verwandte Instru- mente, Balthasar Streiff, gespielt und den bisher üblichen Realisierungen der Partien auf Naturhorn, Zink und Naturtrompete gegenübergestellt wurden. Diese experimentelle Aufführung sowie zwei darauf aufbauende Projektvor- stellungen auf Symposien in Rotterdam und Edinburgh haben ein erhebli- ches und in diesem Maß unerwartetes Medienecho ausgelöst. Die folgende knappe Zusammenfassung soll der Klarstellung der Hintergründe dienen und zugleich den vorläufigen Charakter der bisher publik gewordenen Ergebnisse des Projektes betonen.  Glareana 01/2009; 58:33-44 34 Abb. 1: Balthasar Streiff (vorne) und Michael Diprose mit den neu gebauten Litui Johann Seb astian Bachs Motette ,,0 Jesu Christ, mein's Lebens Licht" (BWV 118) Bachs Komposition ist in zwei autographen Partiturfassungen überliefert, die sich in ihrer Besetzung deutlich voneinander unterscheiden. Das Manuskript der ersten Komposition verlangt vier Singstimmen (SATB), drei Posaunen, Zink und 11 due Litui". Es ist anhand seiner zahlreichen Korrekturen und der teilweise recht flüchtigen Notation als Kompositionsautograph zu werten und vom Papierbefund her auf 1736/37 zu datieren1, wobei die Besetzung eine Aufführung im Freien (Trauerprozession, Grablegung?) nahelegt. In einer späteren überarbeiteten Abschrift des Werkes ersetzte Bach die Po- saunen und den Zink durch Streicher und eine als Continuo" bezeichnete, unbezifferte Generalbassstimme.2 Zusätzlich räumte er die Möglichkeit ein, se piace" drei Oboen und ein Fagott (wahrscheinlich zur Verstärkung der Singstimmen) hinzuzufügen. Ausdrücklich behielt er jedoch die obligaten Partien Lituo 1" und Lituo 2" bei. Diese Fassung stammt vom Quellenbe- 1 Die Angaben zur Datierung beziehen sich auf: NBA III/1, Kritischer Bericht (K. Ameln, 1967), S. 195f. Vgl. dazu auch: Bach-Compendium. Analytisch-bibliographisches Repertoirum der Werke Johann Sebastian Bach von Hans-Joachim Schulze und Christoph Wolff, B 23a und b (Vokalwerke, Bd. III, S. 902). 2 Die tiefstliegende dritte Posaunenstimme der Fassung 1 von 1736/37 enthält nur sehr wenige Generalbaß- ziffern, die angesichts des Charakters der Handschrift als Kompositionsautograph wohl eher als Ge- dankenstützen bei der musikalischen Konzeption denn als Ausführungsvorschrift anzusehen sind. Glareana 01/2009; 58:33-44 35 fund her definitiv aus den 1740er Jahren und höchstwahrscheinlich aus dem Zeitraum 1746/47.3 Die beiden Partiturautographen befinden sich heute in Privatsammlungen in den USA und der Schweiz. Originales Stimmenmateri- al ist zu beiden Fassungen nicht erhalten, ein Umstand, der bei der Diskussi- on möglicher Entstehungsanlässe und Aufführungsumstände zu berück- sichtigen ist.4 Die Komposition wirft bereits hinsichtlich ihrer gattungsmäßigen Zuord- nung Probleme auf. Im Kern ein figurierter Choralsatz mit Sopran-Cantus firmus und imitierenden Unterstimmen, wurde sie dank ihrer Einkleidung mit obligaten Instrumentalstimmen in der alten Bach-Ausgabe (BG) und im darauf fußenden Bach-Werke-Verzeichnis unter den Kantaten eingereiht, was eine Interpretation des Satzes als Torso einer mehrteiligen Kirchen- komposition zuließ. Doch legt bereits Bachs eigenhändiger Titel Motetto"11 eine Beziehung zu Bachs Motettenkorpus nahe.5 Und auch von der Text- grundlage (Chorallied von Martin Behm, 1608) her handelt es sich wie bei den meisten übrigen Motetten Bachs auch hier höchstwahrscheinlich um eine Trauermusik. Bisher konnte allerdings trotz aufwendiger Nachforschungen zu Begräbnissen Leipziger Amts- und Privatpersonen in den 1730er und 1740er Jahren (u.a. Schulze 1993, Geck 1975) kein entsprechender Komposi- tionsanlaß sicher nachgewiesen werden. Arnold Scherings bekannter, aber unbelegter These, die Motette sei zur Aufbahrung des Leipziger Stadtkom- mandanten Graf Joachim Friedrich von Flemming am 19. Oktober 1740 in der Leipziger Paulinerkirche entstanden,6 widerspricht der Datierungsbefund der Autographen. Die Möglichkeit der Komposition zumindest der ersten Fassung im Auftrag eines auswärtigen Bestellers, der dann auch über spezi- 3 Im Unterschied zur ersten Fassung, deren Besetzung nur aus dem Titel hervorgeht, hat Bach in dieser zweiten Niederschrift zusätzlich auch die einzelnen Notenzeilen mit Instrumentenangaben versehen. 4 Das Fehlen jedweden originalen Auffführungsmaterials könnte zwar Überlieferungsproblemen ge- schuldet sein, widerspricht jedoch nicht gerade der Annahme einer auswärtigen Bestellung, in deren Folge die Stimmen ohne weiteres hätten versandt werden können. Die Provenienz beider Partiturautographen über en Leipziger Verlag Breitkopf in den 1760er Jahren sagt über den Verbleib möglicher Stimmen nichts aus. Vgl. dazu die Nachweise in Anm. 1. 5 Insofern ist - trotz oder gerade wegen der nicht ganz einheitlichen Verwendung des Begriffes 11Motette" im 18. Jahrhundert - Klaus Hofmanns Entscheidung, BWV 118 aus seiner Darstellung des Bachsehen Mo- tettenschaffens auszuschließen, nicht recht nachvollziehbar. Vgl. dazu : Klaus Hofmann, Johann Sebastian Bach. Die Motetten, Kassel - Basel u.a. 22006, S. 12-15. In neueren Auflagen des Bach-Werke-Verzeichnisses wird die Komposition zwar noch unter der Nummer 118 erwähnt, im Detail jedoch im Anschluß an die Motettengruppe BWV 225-230 nachgewiesen (Nr. 231) . 6 Vgl. dazu: Arnold Schering, Johann Sebastian Bach und das Musikleben Leipzigs im 18. Jahrhundert (Mu- sikgeschichte Leipzigs, III), Leipzig 1941, S. 121f. Scherings Bemerkung von der 11 höchst eigentümliche(n), lugubre(n) Besetzung von 2 Zinken, 1 Cornetto und 3 Posaunen" ist allerdings unter instrumentenkundli- chen Gesichtspunkten selbst höchst eigentümlich und eher geeignet, weitere Verwirrung zu stiften. Sche- ring führt überdies - ebenfalls ohne Angabe von Nachweisen - die Existenz der umgearbeiteten II. Fassung auf einen späteren Gedächtnisgottesdienst für Flemming zurück. Glareana 01/2009; 58:33-44 36 fische Instrumenten- und Besetzungstraditionen verfügt haben könnte, läßt sich daher keineswegs ausschließen.7 Bei einer solchen Annahme würde allerdings die Beibehaltung der Besetzungsvorschrift ,,Litui" in der etwa ein Jahrzehnt später anzusetzenden Zweitfassung und damit der ausdrückliche Verzicht auf die in einem solchen Fall zu erwartende Anverwandlung an Bachs Leipziger Gewohnheiten überraschen, zumal sie mit dem Ersatz der Posaunen und des Zinken durch Streicher und Oboen ansonsten durchaus realisiert wurde. Da wohl kaum von einem zweifachen Schreibfehler des Komponisten selbst auszugehen ist, muß der von Bach ausdrücklich bestätig- te Begriff ,,Lituus" ernster genommen werden, als es in der bisherigen Litera- tur zu BWV 118 meist geschehen ist. Daß es sich dabei - wie in der Nachfolge der äußerst knappen Bemerkungen von Curt Sachs meist stillschweigend angenommen - um ein bloßes Synonym für ,,Hörner" (in hoch B) handelt, wäre zunächst einmal zu beweisen. Begriff und Verwendung des ,,Lituus" im Barock Um sich der möglichen Verwendung der Bezeichnung ,,Lituus" durch einen Musiker des Barock anzunähern, ist es unerläßlich, sich mit der Herkunft und dem inngehalt des Begriffes zu beschäftigen. Der als Militärinstrument bzw. priesterliches Attribut bis auf die Römerzeit zurückgehende Terminus ,,Lituus" wird in Nachschlagewerken des 17. und 18. Jahrhunderts allerdings nicht eindeutig definiert. Neben seiner historischen ,,heraldischen" Bedeu- tung8 wird er häufig mit Instrumenten wie Krummhorn, Schalmei, Jagdhorn, Waldhorn, Zink und Trompete gleichgesetzt.9 Dies korrespondiert mit etli- chen Kompositionen des 17. und 18. Jahrhunderts vor allem süddeutscher und böhmischer Provenienz, die einen oder mehrere ,,Litui" verlangen. In einigen Musikdrucken der Zeit - besonders v_on Valentin Rathgeber - wurden die auf dem Titelblatt bzw. vom Partiturdruck geforderten ,,Litui" in den Stimmen als ,,Corno", ,,Tromba", ,,Cornetto" oder gar ,,Clarinetto" aufgelöst. Angesichts des Fehlens der Stimmen ist nicht festzustellen, ob es sich bei Bach ähnlich verhalten haben könnte. Dagegen spricht allerdings, daß sich Bachs Besetzungsangaben im Allgemeinen durch große Präzision auszeich- nen und es sich im Fall von BWV 118 nicht um einen frei auf dem Markt 7 Hier wäre dann gegebenenfalls auch über den geographischen Rahmen des historischen Mitteldeutsch- lands als des vorrangigen Wirkungsraumes Bachs hinauszudenken. 8 Vgl. hierzu den Begriff ,,Lituo degli Antichi" in: Filippo Bonanni, Gabinetto Armonico, Rom 1723. 9 Die jeweiligen für die Bachzeit relevanten Einzelbelege aus u.a. Kircher/Hirsch 1662, Schacht 1687, Vogt 1719, Walther 1732, Kürzinger 1763 finden sich bei Sehlader 2007, S. 33. Glarea a 01/2009; 58:33-44 37 zirkulierenden Druck handelte. überdies räumte Bach - gerade im Vergleich mit verbreiteten Gewohnheiten der Zeit - den Interpreten wenig Spielraum für eigene Besetzungs- und Ausführungsvarianten ein; entsprechende Änderungen behielt er sich in seiner Verantwortung als Aufführungsleiter in der Regel vielmehr selbst vor. Auch vor diesem Hintergrund ist es deshalb von Bedeutung, dass er in beiden autographen Fassungen die sonst von ihm nicht verwendete Bezeichnung ,, Litui" vorschreibt. Der benutzte Tonvorrat zeigt, dass die Partien zweifellos für ein Blasinstrument geschrieben wurden, das eine Naturtonskala verwendet. Bisherige Erfahrungen mit der Ausfüh- rung durch hohe B-Hörner oder Trompeten, wie sie in Editionen des Werkes regelmäßig vorgeschlagen wird, erwiesen sich stets als unbefriedigend. Leider läßt sich aber weder die Existenz eines eigenen Instrumententyps mit dem Namen ,,Lituus" noch die Verwendung des Begriffs als bloßes Synonym für gebräuchliche Blasinstrumente aus den zeitgenössischen Quellen eindeu- tig belegen. Hinsichtlich der Motette BWV 118 ist die Diskussion über die Identität der ,,Litui" und die angemessene Besetzung der beiden Stimmen daher festgefahren.10 Wie ungewöhnlich ein solcher Besetzungsvorschlag auch ausgemachten Bachkennern bereits im 19. Jahrhundert erschienen sein muss, wird durch die konfuse Neubezeichnung der Instrumente in einer Ab- schrift Fr:ani. Hausers aus dem Jahre 1833 unfreiwillig klargestellt. Hauser versieht dort den Titel des Werkes mit dem bezeichnenden Zusatz ,,due Litui (=liuti:)" - also Lauten statt Litui -, wobei aus dem Kontext ersichtlich wird, dass er damit nur einen vermeintlich bereits von Bach selbst begangenen Schreibfehler zu korrigieren glaubte.11 Eine Aufführung mit zwei obligaten Lauten wäre im 19. Jahrhundert allerdings ebenfalls kaum realisierbar gewesen, wie generell die ungelösten Besetzungsprobleme sowie die unklare gattungsmäßige Zuordnung und Zweckbestimmung des Werkes bis in die Gegenwart hinein seiner breiteren Rezeption eher abträglich waren.12 10 Vgl. u.a. Curt Sachs, Real-Lexikon der Musikinstrumente, Berlin 1913, S. 244a; Sachs 1921; NBA III / 1, Kri- tischer Bericht (K. Ameln, 1967), S. 196; Prinz 2005, S. 155. 11 Es handelt sich um die Handschrift D B, Mus. ms. Bach P 1037. Vgl. dazu auch: NBA III / 1, Kritischer Be- richt (K. Ameln 1967), S. 188f. Denkbar ist, daß Hauser durch die ihm bekannte ,,Trauerode" BWV 198 - die zwei originale Lautenpartien besitzt - zu seinem Analogieschluß bezüglich der ebenfalls zu Trauer- zwecken komponierten Motette BWV 118 verleitet und damit in seiner korrigierenden Lesart bestätigt wurde. In sein unveröffentlichtes Verzeichnis der Bach-Komposition trug Hauser die originale Instru- mentenbezeichnung dann jedoch wieder korrekt ein. Vgl. dazu: Yoshitake Kobayashi, Franz Hauser und seine Bach-Handschriftensammlung, Phil. Diss Göttingen 1973, S. 307. 12 Eine detaillierte analytische Auseinandersetzung mit der Komposition hat Friedhelm Krummacher 1978 vorgelegt. Vgl. dazu: Ders., Bachs Vokalmusik als Problem der Analyse, in: Bachforschung und Bachinter- pretation heute. Wissenschaftler und Praktiker im Dialog (Bachfest-Symposium Marburg 1978, hrsg. von Reinhold Brinkmann), Kassel, Basel et.al. 1981, S. 97-126 (v.a. S. 113-120). Glareana 01/2009; 58:33-44 38 zur neuen Hypothese eines ,,Lituus"-Instruments nach Vorbildern aus der traditionellen Musik Um der Lösung des Problems näher zu kommen, bedurfte es daher neuer Überlegungen von instrumentenkundlicher Seite. Ausgehend von einer Anregung Patryk Frankowskis (Muzeum Instrument6w Muzycznych, Poz- n n) konzentrierte sich die Suche auf einen Typus langer gerader Hörner aus Holz (sog. trombita"), die noch heute in mehreren Ländern Ostmitteleuro-/1 pas für Begräbnismusiken verwendet werden. Balthasar Streiff, der seine rei- chen Erfahrungen mit Instrumenten des Alphorn-Typus einbringen konnte, und Michael Diprose, Spezialist für barockes Trompetenspiel, führten auf- wendige Recherchen in verschiedenen europäischen Instrumenten-Samm- lungen durch und konnten vergleichbare Hirteninstrumente und Spieltraditionen u.a. für Teile Süddeutschlands (11fränkisches Langhorn"), für Skandinavien und die Schweiz nachweisen. 13 Gebräuchliche Begriffe für diese Holzinstrumente sind u.a. piffel", /1 tuba pastoralis" und "lituus alpi-/1 nus" .14 Das im Zuge dieser Nachforschungen gesichtete ikonographische Ma- terial gab wertvolle Hinweise auf die jüngst realisierte Neukonstruktion des Lituus". Für eine Verbindung Bachs zu derartigen Instrumenten gibt es bis jetzt allerdings keine Nachweise. Ihre Verwendung in der Kunstmusik ist je- doch für das spätere 18. Jahrhundert etwa in Werken von Leopold Mozart und Franz Xaver Schnizers belegt. 11 Bau eines Prototyps mit akustischen Berechnungen Um einen Prototyp bauen zu können, war eine Querschnittzeichnung der In- nenbohrung des Instrumentes nötig. Die Annäherung an das neue Instru- ment erfolgte zunächst experimentell, indem man die enge Bohrung einer Barocktrompete und die Weite eines geraden Büchls vereinte.15 Die ge- onnenen Werte ergaben als gezeichneten Querschnitt eine plausible mittel- grosse Innenbohrung. Der Wunsch nach einer berechneten Überprüfung des akustischen Ergebnisses zum Zweck einer optimalen klanglichen Lösung führte zum Kontakt mit der Forschungsgruppe des Musical Acoustics Labo- 13 Vgl. dazu auch Schüssele 2000. 14 Siehe Brigitte Bachmann-Geiser, Das Alphorn, Bern u.a. 1999, S. 187. 15 Verwendet wurden hierfür ein gestreckter Büchl auf h von Emmenegger 1998/ 99 und eine Kopie nach Trompeten von Michael Nagel, Nürnberg 1657 (Kunsthistorisches Museum Wien) und Nürnberg 1654 (Kalmar Läns Museum). Ein Dank für diesen Hinweis geht an Markus Raquet/ Bamberg. Glareana 01/2009; 58:33-44 39 ratory um Prof. Murray Campell an der School of Physics and Astronomy der Universität von Edinburgh. Die in Basel entworfene Bohrung des neuen hölzernen Lituus bot den Akustikern in Edinburgh eine willkommene Gelegenheit für den Einsatz einer neuen Software, die zur Optimierung moderner Blechblasinstrumente entwickelt wurde.16 Besonders Adam Apostoli und Shona Logie beschäftig- ten sich im Rahmen ihrer Forschungen mit der Optimierung der expe- rimentell realisierten Bohrung des Lituus. Sie erstellten Bohrungsgraphen und berechneten deren klangliche Qualität. Die Ergebnisse waren verblüffend, weil die Berechnungen ergaben, dass nur kleine Korrekturen der experimentell erstellten Innenbohrung nötig waren, um eine für Klang und Spielbarkeit der neuen Instrumente optimale Lösung zu erhalten. Im Bereich des 4. und 6. Naturtons zeigte die expe- rimentell erstellte Bohrung besondere Schwächen. Die optimierte Fassung gleicht diese aus und ermöglicht so intoniertes Spielen dieser Töne. Abb. 2: Graph der Bohrung experimentell ©Adam Apostolie und Shona Logie 2009, Univ. of Edinburgh 16 Weitergeforscht wird hier basierend auf Vorarbeiten des ,,Instituts für Wiener Klangstil" an der Universi- tät für Musik und darstellende Künste, Wien. Die Software der University of Edinburgh wurde von Alistair Braden entwickelt. Glareana 01/2009; 58:33-44 ---------------- 40 i i / I i j ./ i Abb. 3: Graph der optimierten Bohrung ©Adam Apostolie und Shona Logie 2009, Univ. of Edinburgh Der spezialisierte Schweizer Alphornbauer Matthias Wetter (Ossingen) verwirklichte diesen Entwurf und stellte zwei Instrumente für die Schola Cantorum Basiliensis her, die zu Beginn des Jahres 2009 vorlagen. Gegenwärtiger Stand des Projektes und Ausblick auf weitere Forschungen Die Basler Veranstaltung vom 12. Januar 2009 ermöglichte zunächst nur einen ersten Klangeindruck der gerade fertiggestellten Instrumente. Eindeu- tig zeigte sich dabei jedoch zumindest ihre grundsätzliche Eignung für die hochliegenden Obligatpartien in Bachs Motette BWV 118. Die beiden Instru- mente bewiesen vor allem ihre Mischfähigkeit mit den übrigen Blasinstru- menten der ersten Fassung Bachs. Gleichzeitig wurde deutlich, dass sie über ein ganz eigenes Timbre verfügen, das sie klanglich unverwechselbar macht. Besonders beim Einsatz unter freiem Himmel konnten sie ihre spezifischen klanglichen Qualitäten entfalten. Mittlerweile wurden bei weiteren Aufführungen und im kontinuierlichen Prozess des Einspielens verschiedene Verbesserungen im Detail vorgenom- men. Dazu gehört vor allem die Verfeinerung der Mundstücke, für die von der Werkstatt Rainer Egger (Basel) nun genau abgestimmte Modelle herge- Glareana 01/2009; 58:33-44 41 stellt wurden. Insgesamt wird es in der weiteren Arbeit des Projektes darum gehen, die bisher notwendigerweise parallel verlaufenden einzelnen For- schungsstränge nach Möglichkeit miteinander zu verbinden. So gilt es, die bisher vor allem von einem hypothetischen und großenteils errechneten"11 klanglichen Idealprofil ausgehende Bauweise der Instrumente noch präziser auf ikonographische Befunde der Zeit zurückzuführen und generell sämtli- che Überlegungen zur Entstehungsgeschichte des Stücks und zur Überliefe- rung seiner Quellen mit dem weiteren Konstruktionsvorgang in Beziehung zu setzen. Abb. 4: Verbindung zweier Teilstücke des Lituus Abb. 5: Schallstück des Lituus Glareana 01/2009; 58:33-44 42 Abb. 6: Mundstück des Lituus Offen bleibt etwa noch immer die äußere Gestalt der bisherigen Langin- strumente·: Denkbar ist zum Beispiel auch eine gewundene Form, die dem traditionellen Büchl des Alpenraums ähnelt. Abb. 7: Balthasar Streiff mit traditionellem gewundenen Büchel Glareana 01/2009; 58:33-44 43 Gegenwärtig wird eine neue Tonaufnahme beider Versionen der Motette BWV 118 unter Verwendung der nun besser erprobten ,,Litui" vorbereitet. Gleichzeitig gehen die Forschungen zum Kompositionsanlass und damit zum authentischen aufführungspraktischen Umfeld der Motette sowie zur ikonographischen Absicherung der Prototypen weiter. Eine kritische Neu- ausgabe beider Fassungen der Motette BWV 118 unter Einarbeitung der neu- en Erkenntnisse ist in Vorbereitung. Technische Daten der Instrumente Erbaut 2009 von Matthias Wetter (Ossingen, CH) • Gesamtlänge: 256,4 cm, drei Teilstücke • Gewicht: ca. 705 gr. • Bohrungsdurchmesser am Mundstück: 10 mm • Bohrungsdurchmesser am Ende des zweiten Teilstücks: 24 mm • Durchmesser Schallstück: 115 mm • Rohre aus Nadelholz, zusammengesetzt aus zwei Schalen, pro- filierte ,,Zwingen" aus Buchsbaum • Mundstück: Kesseltyp (Kunststoff), für die Instrumente entwickelt _von der Werkstatt Rainer Egger (Basel/Münchenstein) Sämtliche Fotos des Artikels:© 2009 Susanna Drescher Weiterführende Angaben Schola Cantorum Basiliensis: http://www.scb- basel.ch/index/114219 M sical Acoustics Laboratory der Universität von Edinburgh: Glareana 01/2009; 58:33-44 44 Literatur (Auswahl, chronologisch): Sachs, Curt: Die Litui in Bachs Motette 0 Jesu Christ", in: Bach-Jahrbuch 18 (1921), S. 96f. Johann Sebastian Bach, Neue Ausgabe sämtlicher Werke (NBA), III/1, Kritischer Bericht (Konrad Ameln 1967). Geck, Martin: Zur Datierung, Verwendung und Aufführungspraxis von Bachs Motetten, in: Bach-Studien 5 (hrsg. v. R. Eller und H.-J. Schulze), Leipzig 1975, S. 63-71. MacCracken, Thomas G.: Die Verwendung der Blechblasinstrumente bei J. S. Bach unter besonderer Berücksichtigung der Tromba da tirarsi, in: Bach- Jahrbuch 70 (1984), S. 59-84 (v.a. S. 77f.). Smithers, Don L.: Gottfried Reiches Ansehen und sein Einfluß auf die Musik Johann Sebastian Bachs, in Bach-Jahrbuch 73 (1987), S. 113-150 (v.a. S. 147). Schulze, Hans-Joachim: 0 Jesu Christ, meins Lebens Licht": On the Trans- mission of a Bach Source and the Riddle of its Origin, in: P. Brainard und R. Robinson (Hg.), in: A Bachtribute. Essays in Honor ofWilliam H. Scheide, Kasseond Chapel Hill 1993, S. 209-220. Schüssele, Franz: Alphorn und Hirtenhorn in Europa. Hölzerne Hörner von der Schweiz bis nach Schweden von Russland bis Rumänien in Geschichte und Ge- genwart, Friesenheim 2000. Prinz, Ulrich: Johann Sebastian Bachs Instrumentarium. Originalquellen Beset- zung Verwendung, Kassel/ Basel 2005. Sehlader, Ernst: Der Lituus. Ein Spurensuche in historischen Quellen, in: Concerto 09/ 2007, S. 33-38. A. G. Apostoli, S. M. Logie, A. Myers, J. A. Kemp, J. P. Chick, and A. C. P. Braden: Reconstructing the Lituus: A Reassessment of Impedance, Har- monicity, and Playability, in: Proceedings of the NAG-DAGA International Conference on Acoustics, Rotterdam, The Netherlands (2009). A. C. P. Braden, M. J. Newton, and D. M. Campbell: Trombone bore opti- mization based on input impedance targets, in: Journal of the Acoustical Society of America, Vol. 125(4), pp. 2404-2412, (2009). Glareana 01/2009; 58:33-44