1 Sieben neue Kantaten von Alessandro Stradella Johannes Menke Vortrag auf dem 14. Jahreskongress der Gesellschaft für Musiktheorie, am 18. Oktober 2014 I. Die italienische Musikwissenschaftlerin Giulia Giovani hat in einem Aufsatz aus dem letzten Jahr1 über ihre Entdeckung von sieben Kantaten Alessandro Stradellas berichtet, die vorher vollkommen unbekannt oder nicht eindeutig Stradella zuzuordnen waren. Es gab anlässlich dieser Entdeckung inzwischen je eine Tagung in Basel sowie in Venedig. Die Stücke wurden aufgeführt und eine Edition bei Bärenreiter wird von Giulia Giovani vorbereitet. Doch warum berichte ich auf einem Musiktheoriekongress darüber? "Das Andere kennen – das Andere wahrnehmen", so lautet das Motto dieser Sektion. Was aber, so möchte ich fragen, ist das Eigene, was ist das Andere? Diese Frage lässt sich wohl gar nicht so leicht oder eindeutig beantworten. Nicht nur das Neue oder das Exotische treten uns als das Andere entgegen, auch die oftmals unbekannten Zeugnisse der eigenen Geschichte. Es war und ist das Credo der historischen Aufführungspraxis, auch die alte Musik als eine "andere" Musik zu betrachten, die es zu entdecken und zu erforschen gilt. Der Musiktheorie mag das Andere in vielerlei Gestalt entgegentreten. Unter anderem in Gestalt von fremdem Repertoire. Immer, so scheint mir, steht Musiktheorie in der Spannung zwischen theoretischer Systematik und musikalischem Repertoire. Idealtypisch könnte man drei Ansätze unterscheiden, die diese Spannung auf unterschiedliche Weise bewältigen. Ich orientiere mich bei der Wahl meiner Begrifflichkeit am Philosophen Markus Gabriel, der in seinen Schriften einen Neuen Realismus in der Philosophie postuliert. Gabriel unterscheidet erkenntnistheoretisch zwischen Metaphysik, Konstruktivismus und Neuem Realismus: "Die Metaphysiker behaupten, es gebe eine allumfassende Regel und die mutigeren unter ihnen behaupten auch, sie endlich gefunden zu haben. […] Der Konstruktivismus hingegen behauptet, dass wir die Regel nicht erkennen können. […] Der Neue Realismus versucht dagegen konsequent und ernsthaft die Frage zu beantworten, ob es eine solche Regel überhaupt geben könnte. Die Beantwortung dieser Frage ist dabei selbst nicht nur eine weitere Konstruktion. Stattdessen beansprucht sie […]festzustellen, was der Fall ist."2 Ein Vergleich mit der Musiktheorie liegt nahe: Die Metaphysiker suchen nach einem allein selig machendem System, die Konstruktivisten relativieren alle Systeme und propagieren Multiperspektivität. Eine realistische Musiktheorie hätte von der der Faktizität auszugehen, also davon, dass immer unkonstruierte Tatsachen im Spiel sind, sie hätte das vorurteilsfrei untersuchen, was es gibt3. Dieser Ansatz geböte, die Vielfalt des Repertoires ernst zu nehmen und die eigene Systematik auf ihre Faktizität hin zu hinterfragen. In unserem Fall tritt uns die Faktizität in Form der neu entdeckten Kantaten entgegen. In ihrem Aufsatz Un manoscritto sconosciuto di cantate e arie di Alessandro Stradella, erschienen in den Studi musicali aus dem Jahr 2013 hat Giulia Giovani über ihre Entdeckung berichtet. Sie hat die sieben neuen Kantaten in einem Manuskript aus dem Besitz von Gian Franceso Malipiero gefunden, in dem sich 21 Kantaten von Stradella befinden. Der Verfasser ist ein unbekannter Kopist, die Zuschreibung zu Stradella eindeutig. Offensichtlich hatte niemand zuvor dieses Manuskript genauer studiert, denn unter den 21 Kantaten befinden sich sieben, die bislang nicht im Werkkatalog Stradellas aufgeführt sind. Wie fast alle anderen Stücke des Manuskripts ist die Besetzung eine Sopranstimme und Basso Continuo. 1 Giulia Giovani, Un manoscritto sconosciuto di cantate e arie di Alessandro Stradella conservato a Venezia,in: Studi Musicali, Nr. 2, Rom 2013, S. 283-323. 2 Markus Gabriel, Warum es die Welt nicht gibt, Berlin 2013, S. 21. 3 Vgl. Gabriel S. 169. 2 1. cc. 2r-7r Cantata Sotto l’ombra d’un aureo diadema, S,bc 2. cc. 21v-26v Cantata La prudenza è vanità, S,bc 3. cc. 34r-38r Cantata Su quel candido foglio, S,bc 4. cc. 49v-52r Cantata Come in Ciel dell’aureo crine, S,bc 5. cc. 52v-54r Cantata Afligetemi pur, memorie amare, S,bc 6. cc. 54v-57r Cantata Bella rosa nel cui stelo, S,bc 7. cc. 77r-82r Cantata Vanne foglio amoroso, S,bc Direkte Kongruenzen finden sich nicht. Eine Kongruenz ohne Autorenangabe hat die Kantate Come in Ciel dell’aureo crine, eine Variante befindet sich in einem a-Modus statt einem e-Modus befindet sich in der British Library (GB-Lbl - London - British Library Add.24311(5)). Von der Kantate Su quel candido foglio gibt es eine Variante im Fitzwilliam Museum Cambridge (Mu.Ms.131, cc. 162r-175v) und der Titel der Kantate Bella rosa nel cui stelo wird in anderen Quellen erwähnt. II. Der 1639 bei Viterbo geborene Stradella hat seine ersten Jahrzehnte in Rom verbracht und war einer der führenden Komponisten der Ewigen Stadt. Er floh im Januar 1677 wegen einer Heiratsvermittlung-Affäre nach Venedig, wo einer seiner Mäzene, Polo Michiel, ansässig war. 1677 verließ er mit seiner Verlobten Agnese Van Uffele, die zuvor die Geliebte des Auftraggebers Alvise Contarini gewesen war, Venedig und ging nach Turin. Grund war vermutlich auch die Affäre um eine Schülerin, Catarina Saminiati. 1682 wurde Stradella aus nach wie vor ungeklärten Gründen in Genua ermordet. Vermutlich gibt es drei Kantaten-Sammlungen für Michiel, eine darunter ist das Manuskript aus der Fondazione Cini. Stradella hat ca. 180 Kantaten verfasst, darunter 130, also mehr als ein Drittel, für Solostimme und Basso continuo. Kantaten wurden im 17. Jahrhundert für adelige Auftraggeber komponiert und gehörten zu deren Privatbesitz, weshalb sie meist nicht gedruckt wurden bzw. werden durften. Die weltliche Kantate ist eine ganz zentrale Gattung der italienischen Barockmusik.4 Im deutschsprachigen Raum findet sie bis heute leider kaum Beachtung. Dies hat verschiedene Gründe: Die Überlieferung ist oftmals kompliziert, Kantaten sind eng bezogen auf die italienische Lyrik, außerdem ist ein Großteil von ihnen "nur" zweistimmig notiert, weshalb man den Kantaten nicht viel kompositorische Durchdringung zutraut. Im Sinne einer eingangs skizzierten realistischen Musiktheorie fordern genau diese Punkte aber erst recht zu einer Auseinandersetzung heraus: nicht gedruckte Kantaten sind zwar keine "Opus- Musik", sehr wohl aber repräsentativ für ihre Zeit, die Sprachbarriere lässt sich überwinden und schließlich ist gerade die zweistimmige Faktur mit sparsamen Bezifferungen ein Paradebeispiel angewandten Kontrapunktes. Bekannte Traktate des 17. Jahrhunderts operieren größtenteils mit zweistimmigen Beispielen, man denke nur an Giovanni Maria Bononcini, Angelo Berardi oder Domenico Scorpione. Auch die didaktische Tradition der Solfeggi ist in diesem Kontext zu sehen. Fragen der Continuo-Praxis und der mehrstimmigen Ausarbeitung sind von großem musiktheoretischem Interesse und gleichzeitig ein Fall für "angewandte" Musiktheorie. Was ist für das 18. Jahrhundert eine Kantate? Johann Gottfried Walther gibt in seinem Lexikon von 1732 eine so treffliche Definition, dass sie kaum eines Kommentars bedarf:5 "Cantata, pl. Cantate, [ital.] Caantate, pl. Cantates [gall.] ist eigentlich ein langes Music=Stück, dessen Text Italiänisch, und aus Arien mit untermischten Recitativ; die Composition aber aus 4 Generell zur italienischen Kantate: Michael Talbot (Hg.), Aspects oft the Secular Cantata in Late Baroque Italy, Farnham 2009. 5 Johann Gottfried Walther, Musicalisches Lexicon, Leipzig 1732, S. 134. 3 verschiedenen Tact=Arten, und gemeiniglich à Voce sola nebst einem Continuo bestehet öfters aber auch mit zwey und mehrern Instrumenten versehen ist. Vor weniger Zeit haben auch die Franzosen in ihrer Sprache Cantates zu setzen angefangen, und die Teutschen thun dergleichen." Dass die italienische Kantate auch ins Französische und Deutsche transformiert wird, ist ein gerade hier in der Schweiz erfreulicher Umstand und ein schönes Beispiel für die Überwindung von Sprachgrenzen durch die Musik! Im Folgenden kann ich in der gebotenen Kürze nur einige Appetithappen servieren, in der Hoffnung, Ihr Interesse für eine musiktheoretische Auseinandersetzung mit diesem Repertoire zu wecken. III. Ich möchte beginnen mit der Kantate Come in ciel. Der Text von Franceso Baldovini behandelt den Wetterumschwung eines friedlichen und sonnigen Tages in ein Gewitter als Metapher für die Instabilität des Schicksals. Er wurde auch von dem neapolitanischen Komponisten Antonio Solino vertont. Ich möchte nicht einen Groß- gegen einen Kleinmeister ausspielen, sondern den Vergleich nur dazu nutzen, einige allgemeine Spezifika von Stradellas Stil aufzuzeigen. Synopse der formalen Gestaltung der Kantaten Come in Ciel (Text: Francesco Baldovini) Nach: http://www.cantataitaliana.it, Giacomo Sanches und Giulia Giovani. Antonio Solino: 1.1: (Aria, re minore, c; S,bc) Come in Ciel dell'Aureo Crine 2.1: Recit.vo (Recitativo, re minore, c; S,bc) Ovunque il guardo io giro 3.1: Arietta (Arietta, si bem. maggiore, 3/2;c; S,bc) Sol placido fiato 4.1: (Recitativo, fa maggiore, c; S,bc) Ma qual mentre vagheggio 5.1: (Aria, re minore, 3/4; S,bc) Già di Noto i crudi sibili 6.1: (Recitativo-arioso, fa maggiore, c; S,bc) Dove oh Dio spariro Alessandro Stradella: 1.1: (Aria, mi minore, c; S,bc) Come in ciel dell'aureo crine 2.1: (Recitativo, c; S,bc) Ovunque il guardo io giro 3.1: (Aria, mi minore, 3/4; S,bc) Sol placido fiato 4.1: (Recitativo, c; S,bc) E porge all’altrui ciglio aria sì pura 4.2: (Arioso, la minore, 3/2) Di costante seren speme sicura 4.3: (Recitativo, c) Ma qual mentre vagheggio 5.1: Presto (Aria, sol maggiore, c; S,bc) Già di Noto i crudi sibili 6.1: (Recitativo, c; S,bc) E dove, oh Dio, spariro 6.2: (Arioso, mi minore, 3/2; S,bc) Cangia in pena ogni gioia un sol momento Eine Synopse der formalen Einteilung zeigt zwei interessante Unterschiede: Stradella splittet den langen Mittelteil Sol placido fiato, der bei Solino eine "Arietta" ist, wie Giacomo Sanches analysiert, in drei Teile auf, um sowohl die Änderung der Metrik als auch der Semantik musikalisch nachzuzeichnen. Auch am Schluss bekommt der letzte Vers, der die Botschaft der Kantate als Sentenz zusammenfasst, bei Stradella ein eigenes Arioso, ich werde später darauf zurückkommen. In Basel entzündete sich eine leidenschaftliche Diskussion darüber, ob und inwiefern es Mischformen gibt. Rene Jacobs brachte den Begriff der "Mezzaria" ins Spiel, andere bevorzugten das "Arioso", wieder andere wollten keine Mischformen gelten lassen. Vielleicht besteht der 4 formale Clou Stradellas gerade darin, Versen das Gewicht einer Aria zu geben, die dafür eigentlich gar nicht vorgesehen sind. Der Text der ersten Aria lautet: Come in ciel dell'aureo crine spiega il sol tranquilli i rai qual dall'indiche marine più bel dì nacque già mai Wie im Himmel mit goldnem Haar Breitet die Sonne ihre friedlichen Strahlen aus Von jenen indischen Gestaden her Ersteht der Tag schöner wie nie. Antonio Solino vertont diesen Text in einem 4/4-Takt in d. Die Stimme ist reich an Melismen, der Komponist malt damit die Pracht der schönen Sonnenstrahlen aus. Bsp.: Antonio Solino, Come in ciel Zur Bezeichnung der Kadenzen benutze ich das nüchterne System von Lorenzo Penna:6 Erster Typ Quintfall im Bass, zweiter Typ Quartfall, dritter Typ Sekundabstieg, vierter Typ Sekundaufstieg. Die Typologie ist hierarchisch zu verstehen, Typus hat die stärkste, Typus vier die schwächste interpunktische Wirkung. Es finden sich in anderen Traktaten des 17. Jahrhunderts (etwa bei Georg Muffat oder Guillaume-Gabriel Nivers) ganz ähnliche Typologien. Ein entscheidender Unterschied zum dur-moll-tonalen Kadenzdenken des 18. Jahrhunderts besteht darin, dass diese Kadenzen sich nicht durch ihre Beziehung auf eine Stufenfolge, sondern ausschließlich durch ihre bassfundierte Klangfortschreitung konstituieren. Weils sie eine dur- moll-tonale Stufenzuordnung implizieren, sind Begriffe wie Ganz- oder Halbschluss für die Musik des 17. Jahrhunderts eigentlich ungeeignet. 6 Lorenzo Penna, Li primi albori musicali, Bologna 1684, S. 141. 5 Bsp.: Lorenzo Pennas Kadenztypologie Interessant ist die Zäsur mit dem Kadenztyp zwei auf "sol" mitten in der Zeile, sowie die melancholische Einfärbung am Ende, die Zweifel an der Stabilität des Zustandes aufkommen lässt. Stradellas Vertonung weist einen ganz anderen melodischen Duktus auf und ist länger, weil er die Zeilen drei und vier wiederholt. Bsp.: Alessandro Stradella, Come in ciel Besonders faszinierend ist der Anfang von Stradellas Kantate. Die Singstimme scheint zwei Einsätze in tonaler Beantwortung darzustellen, ebenso der Bass. Man könnte fast meinen, hinter dem zweistimmigen Notat verberge sich ein virtueller vierstimmiger Satz, den ich hier rekonstruiert habe. 6 Bsp.: Implizite Vierstimmigkeit am Anfang von Stradellas Come in ciel Stradellas zweistimmiger Kontrapunkt ist nicht nur reich an motivischen Bezügen, sondern auch durchzogen von einem stetigen, aber nie eintönigem Bewegungsfluss. Technisch gesehen wird dies oftmals bewerkstelligt, indem ein Satzmodell "gekrümmt" wird. Die letzte Phrase der Eingangsarie startet mit einem Quintfall mit Terz-Oktav-Wechseln in den Außenstimmen. Dieses Modell würde, konsequent fortgeführt, in einen Kadenztyp eins münden (a). Durch die chromatische Verkrümmung des Basses im zweiten Takt aber verbiegt sich das ganze Modell und schließt mit einem Kadenztyp drei in phrygischer Form – eine ähnliche melancholische Wendung also wie bei Solino. Bsp.: Sequenz-Schema (a) und Stradellas Komposition (b) am Schluss des Anfangsteils von Come il ciel Ich möchte noch kurz auf den Schluss der Kantate Come in ciel zu sprechen kommen. Im Text heißt es: 7 Quindi impara oh mio core A non sperar già mai stabil contento: Cangia in pena ogni gioia un sol momento. Also lernt, ach mein Herz Niemals auf feste Zufriedenheit zu hoffen: In einem einzigen Augenblick schlägt jede Freude in Leid um. Solinos Vertonung ist von berückender Intensität. Bsp.: Antonio Solino, Schlussteil von Come il ciel Solino verwendet zweimal eine Kadenzwendung, wo sich der dominantische Quartvorhalt nach oben löst. Dies ist ein Topos im 17. Jahrhundert, Monteverdi schließt sein berühmtes Combattimento mit dieser Wendung, Christoph Bernhard bezeichnet solche Resolutionen als "Mora". Bei Stradella besteht die Schlussarie nur aus dem sentenzhaften letzten Vers und steht im Dreiertakt. 8 Bsp.: Alessandro Stradella, Schlussteil von Come il ciel, Anfang Der Transitus irregularis mit der Wechselnote in der Unterstimme ist zwar ein Standard auch des 16. Jahrhunderts, in dieser Arie wird er besonderes akzentuiert. Besonders beeindruckend ist die mit Suspiratio-Figuren durchsetzte letzte Linie. Bsp.: Alessandro Stradella, Schlussteil von Come il ciel, Ende IV. Stradellas Umgang mit Topoi lässt sich auch am Anfang der Kantate Afligetemi studieren. Stradella greift hier auf melodische Wendungen zurück, die sein älterer römischer Kollege Giacomo Carissimi etabliert hat. Der Text lautet: Affligetemi pur, memorie amare Ihr plagt mich, bittere Erinnerungen Bsp.: Alessandro Stradella, Affligetemi 9 Bsp.: Giacomo Carissimi, Jephte, Schlussarie der Filia Ich möchte Ihnen abschließend zwei Stellen aus der Kantate Sotto l'ombra vorführen. Im Rezitativ Invan chiede trübt Stradella den Kontrapunkt durch vermehrte Vorzeichen immer mehr ein, vor allem im nach des führenden Quintfall, der das Melisma auf "ciel" unterlegt. Eine Rückung von f- Moll nach fis-Moll auf die Worte "in cosi dura sorte" schockiert vermutlich heute ebenso wie damals. Allerdings kommen in avancierten Werken des 17. Jahrhunderts solche chromatische Rückungen immer wieder vor; in Giovanni Valentinis Anima Christi für zwei Tenöre, Bass und Basso continuo z.B. findet sich auf die Worte "absconde me" ebenfalls eine Rückung von einem F-Dur- zu einem fis-Moll-Akkord. Der Text lautet: Invan chiede la mente al Ciel soccorso. In così dura sorte Vergeblich fragt der Verstand den Himmel um Hilfe. In diesem harten Schicksal Bsp.: Alessandro Stradella, Sotto l'ombra, chromatische Eintrübungen und Rückung Wie in Come in ciel gestaltet Stradella auch hier den letzten Vers der Kantate als eigenes Arioso. Es handelt sich um ein Paradebeispiel für Stradella hochexpressiven und gleichzeitig motivisch verdichteten Kontrapunkt. Der Text lautet: La vigilia del cor sposa col sonno. Die Wache des Herzens ist die Braut des Schlafes. 10 Bsp.: Alessandro Stradella, Sotto l'ombra, Schlussteil. Das am Anfang im Bass vorgestellte Hauptmotiv mit seinem charakteristischen Saltus duriusculus ist omnipräsent, tritt aber in immer anderen Kombinationen auf und wird von einer neapolitanischen Sopranklausel in der Singstimme kontrapunktiert. Diese steigt, sich chromatisch windend aber der Mitte der zweiten Zeile in einer so berührenden wie ausladenden Geste ab. Dieses Arioso ist ein Paradebeispiel für Stradellas hochexpressiven, rhetorisch aufgeladenen Kontrapunkt. Allein schon für diese Passage hat sich Giulia Giovanis Entdeckung gelohnt. Johannes Menke, geb. 1972 in Nürnberg, ist Professor für Historische Satzlehre an der Schola Cantorum Basiliensis in Basel. Studium von Schulmusik, Oboe, Musiktheorie, Komposition und Germanistik in Freiburg im Breisgau, 2004 Promotion (Dr. phil.) an der TU Berlin. Lehrte 1999-2009 Musiktheorie und Gehörbildung an der Musikhochschule Freiburg. 2008-2012 Präsident der Gesellschaft für Musiktheorie (GMTH). Seit 2006 Herausgeber der Buchreihe sinefonia (Wolke Verlag), seit 2013 Redakteur der Zeitschrift Musik & Ästhetik. Zahlreiche Publikationen im Bereich der Musiktheorie, zuletzt: Kontrapunkt I: Die Musik der Renaissance (Laaber 2015).