Monique Meier, Claudia Wulff, Kathrin Ziepprecht (Hrsg.) Vielfältige Wege biologiedidaktischer Forschung Vom Lernort Natur über Naturwissenschaftliche Erkenntnisgewinnung zur Lehrerprofessionalisierung Festschrift für Prof. Dr. Jürgen Mayer Monique Meier, Claudia Wulff , Kathrin Ziepprecht (Hrsg.) Vielfältige Wege biologiedidaktischer Forschung Vom Lernort Natur über Naturwissenschaft liche Erkenntnisgewinnung zur Lehrerprofessionalisierung Festschrift für Prof. Dr. Jürgen Mayer Waxmann 2021 Münster · New York Bibliografi sche Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufb ar. Print-ISBN 978-3-8309-4118-7 E-Book-ISBN 978-3-8309-9118-2 (Open Access) doi: https://doi.org/10.31244/9783830991182 © Waxmann Verlag GmbH, 2021 Steinfurter Str. 555, 48159 Münster www.waxmann.com info@waxmann.com Umschlaggestaltung: Daniel Maaß, Kassel; Anne Breitenbach, Münster Grafi ken/Abbildungen: Daniel Maaß, Kassel Satz: Roger Stoddart, Münster Dieses Werk ist unter der Lizenz CC BY-NC-SA 4.0 veröffentlicht: Namensnennung – Nicht-kommerziell – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International (CC BY-NC-SA 4.0) Inhalt Zur Konzeption des Buches – ein Vorwort der Herausgeberinnen ...........................9 Kerstin Kremer Biographisches und Biologiedidaktisches – Prof. Dr. Jürgen Mayer zur Verabschiedung in den Ruhestand ........................................................................11 Philipp Schmiemann & Marcus Hammann Von der Erkenntnis zum Gewinn ................................................................................15 Von der Umweltbildung zur Bildung für nachhaltige Entwicklung Armin Lude Naturerfahrungen und der Einsatz von Medien zur Naturerkundung ...................21 Dittmar Graf & Gundula Zubke „Natur erleben ist wertvoller als jedes Buch“ – zur Bedeutsamkeit von Biodiversität in der biologischen Bildung ...................................................................33 Claudia Wulff & Rita Wodzinski Bildung für nachhaltige Entwicklung lehren und lernen – Schritte auf dem Weg zu einer Transformation der Lehramtsausbildung ...........................43 Sandra Sprenger Von der Erkenntnisgewinnung zur Bildung für nachhaltige Entwicklung – eine fächerverbindende Perspektive zweier fachdidaktischer Konzepte ............................................................................................55 Kompetenzmessung und -förderung im Kontext von Scientifi c Literacy Vanessa Fischer, Mariella Rothe, Elke Sumfl eth, Maik Walpuski & Nicole Wellnitz Zur Konstruktion fächerübergreifend vergleichbarer Kompetenz-Testaufgaben ....................................................................65 Christiane Specht Von Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern im Bereich Erkenntnisgewinnung zur Lehrkräft ebildung in Niedersachsen: ein persönlicher Perspektivwechsel .............................................................................77 6 Inhalt Julia Arnold Wissenschaft liches Denken – die Rolle von prozeduralem Wissen und Methodenwissen beim Forschenden Lernen ......................................................87 Monique Meier & Marit Kastaun Lernunterstützungen als Werkzeug individualisierter Förderung im naturwissenschaft lichen Erkenntnisprozess ...............................................................95 (Kognitions-)Psychologische Forschungsperspektiven in der fachdidaktischen Forschung Kerstin Kremer & Detlef Urhahne Wissenschaft sverständnis – Zugänge zur Epistemologie aus naturwissenschaft sdidaktischer und pädagogisch-psychologischer Perspektive ................................................................................................................... 119 Kathrin Ziepprecht, Finja Grospietsch & Julia Schwanewedel Metakognition im Kompetenzbereich Kommunikation – eine empirische Studie zu Lernstrategien von Schülerinnen und Schülern beim Lesen biologischer Sachtexte ........................................................... 125 Irina Streich & Anne Cohonner „Wünschenswerte Erschwernisse“ im Kontext des Forschenden Lernens – Sind langfristige Lernerfolge beim Forschenden Lernen ein Ergebnis des Generierungs- oder Testeff ekts? ......................................................................... 143 Lars Meyer-Odewald, Daniel Horn, Monique Meier, Rita Wodzinski & Kathrin Ziepprecht Kontrastieren und Vergleichen als Lehr-Lernmethode zur Förderung der Diagnosekompetenz in der Lehramtsausbildung ............................................. 155 Professionalisierung angehender Lehrkräft e – hochschuldidaktische Lehrkonzepte und curriculare Vernetzung Gabi Dübbelde & Claudia v. Aufschnaiter Lehramtsstudierende diagnostizieren fachmethodisches Arbeiten von Schülerinnen und Schülern – ein Verbundprojekt ......................................... 179 Hagen Kunz & Julia Wolowski Wissenschaft liches Denken und Arbeiten im kompetenzorientierten Biologieunterricht – Aufb au von fachmethodischem Wissen in der Qualifi zierung angehender Lehrkräft e ..................................................................... 189 Inhalt 7 Kathrin Ziepprecht & Monique Meier Umsetzung und Weiterentwicklung von Modellen zur curricularen Vernetzung in hochschuldidaktischen Lernumgebungen in PRONET und PRONET2 ....................................................... 203 Katharina Gimbel, Finja Grospietsch & Kathrin Ziepprecht Aspekte professioneller Handlungskompetenz fach- und inhaltsspezifi sch ausdiff erenzieren und theoriebasiert fördern ............................ 219 Martina Sutter, Sandra Textor & Stefan Weber Erfolgreiche Kooperation der 1. und 2. Phase der Lehrerbildung am Beispiel der Ausbildung von Biologielehrkräft en an der Universität Kassel ............................................................................................ 237 Gedanken zur Zukunft der Biologiedidaktik Ute Harms Bedeutung und Aufgaben einer universitären Didaktik der Biologie – Wo stehen wir und wo soll es hingehen? .................................................................. 247 Autorinnen und Autoren ............................................................................................ 259 Zur Konzeption des Buches – ein Vorwort der Herausgeberinnen Als einer der renommiertesten Vertreter der Biologiedidaktik ging Jürgen Mayer im Herbst 2020 in den Ruhestand. Didaktische Wissenschaft en sind Brückendisziplinen, die vor dem Hintergrund des jeweiligen Fachs und mit Hilfe pädagogischer und psychologischer Methoden arbeiten. Sie haben ihre Wurzeln sowohl im naturwissenschaft lichen als auch im geisteswissenschaft - lichen Denken und generieren daraus ihre Ergebnisse für die Lehr-Lernfor- schung. Jürgen Mayer kannte beide Seiten: Er studierte Biologie, Chemie, Philosophie und Pädagogik und hat neben dem Lehramtsstudium auch das Diplom in Biologie abgelegt. Seine Forschungsschwerpunkte decken ein brei- tes Spektrum ab: Neben der naturwissenschaft lichen Erkenntnisgewinnung und der Professionalisierung von Lehrkräft en umfassen sie auch Umweltbil- dung, Bildung für Nachhaltige Entwicklung, neurobiologische Lerntheorien sowie Bioethik. Mit dieser fachlichen Vielfalt hat Jürgen Mayer für viele Men- schen, seine Kolleginnen und Kollegen1, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so- wie Studentinnen und Studenten, Wege in der Biologiedidaktik bereitet. Da- bei hat er in seiner kollegialen, kooperativen und immer verständnisvollen Art Menschen begleitet, geführt und unterstützt. Viele seiner Doktorandinnen und Doktoranden sowie Postdoktorandinnen und Postdoktoranden bekleiden in- zwischen Professuren in Deutschland und im europäischen Ausland. Mit dieser Festschrift möchten wir den wissenschaft lichen Werdegang von Jürgen Mayer in der Biologiedidaktik skizzieren und würdigen. Im Buch kom- men jene Menschen zu Wort, die durch die Zusammenarbeit mit ihm als For- schungskolleginnen und -kollegen oder aufgrund seiner Betreuung der eige- nen Qualifi kationsarbeit in ihrem biologiedidaktischen Forschungsbestreben beeinfl usst wurden. In 17 Beiträgen werden die wesentlichen Forschungsgebie- te von Jürgen Mayer und ihre Weiterentwicklung beschrieben und empirisch untermauert. Insofern bietet dieses Buch auch einen Überblick über wichtige biologiedidaktische Arbeitsgebiete, Fragen und Diskussionen und ist – neben seinem Festschrift charakter – auch ein fachdidaktisches Kompendium. Ge- 1 In den Beiträgen dieses Herausgeberwerkes werden Personenbezeichnungen immer mit beiden Geschlechtern angegeben, wie z. B. Schülerinnen und Schüler. Bei kom- plexeren Begriff en wie z. B. Lehrerbildung und Lehrerprofessionswissen haben wir uns als Herausgeberinnen für die bisher gängige männliche Form entschieden. Die Autorinnen und Autoren in den einzelnen Beiträgen konnten diesbezüglich jedoch nach eigenem Ermessen handeln und die präferierte Schreibweise wählen. Die end- gültige Verantwortung für die entsprechenden sprachlichen Formulierungen liegt in diesem Sinne bei den Autorinnen und Autoren [die Herausgeberinnen]. 10 Vorwort rahmt wird der inhaltliche Hauptteil durch eine persönliche Würdigung einer langjährigen Mitarbeiterin von Jürgen Mayer, Kerstin Kremer, die gemeinsam mit den Herausgeberinnen die Idee zu diesem Buch entwickelte. Daran an- schließend folgt eine „biographische Erkenntnisgewinnungsreise“ durch die Tätigkeit von Jürgen Mayer, beschrieben von Philipp Schmiemann und Mar- cus Hammann als Vertreter des Vorstandes der Fachsektion Didaktik der Bio- logie, in der Jürgen Mayer viele Jahre Mitglied und Teil des Vorstands war. Den Abschluss dieses Kompendiums bildet ein visionärer Blick von Ute Harms zur Stellung der Biologiedidaktik im Heute und Morgen. Wir danken allen, die an diesem Buch mitgearbeitet haben, den Fachkollegin- nen und Fachkollegen, die neben ihrem vollen Terminkalender Zeit gefunden haben, ihre Forschungsprojekte fundiert und verständlich darzustellen, Heike Klippert und Christin Hunold für das Korrigieren und Formatieren sowie Da- niel Maaß für das Design des Covers und die Erstellung der Grafi ken. Unser ganz besonderer Dank gilt natürlich Jürgen Mayer, der für uns in der gemein- samen Zeit an der Universität Kassel ein verständnisvoller Kollege, ein inspi- rierender Gesprächspartner und ein loyaler Arbeitsgruppenleiter war – und über die fachliche Zusammenarbeit hinaus ein wunderbarer Mensch! Monique Meier Claudia Wulff Kathrin Ziepprecht Kerstin Kremer Biographisches und Biologiedidaktisches – Prof. Dr. Jürgen Mayer zur Verabschiedung in den Ruhestand Als Prof. Dr. Jürgen Mayer im Jahre 2009 einen Ruf auf eine Professur für Di- daktik der Biologie der Universität Kassel annahm, schloss sich für ihn ein Le- benskreis. In Kassel, wo im Weltkulturerbe Bergpark der Herkules hoch über der Stadt thront, ist Jürgen Mayer aufgewachsen und zur Schule gegangen. Und hier begann mit dem Referendariat am Gymnasium auch seine berufl iche Tätigkeit, nachdem er zuvor ein Diplom- und Lehramtsstudium für Biologie und Chemie an der Universität Göttingen erfolgreich absolviert hatte. Begeis- tert für die wissenschaft liche Perspektive auf den Biologieunterricht entschied sich Jürgen Mayer nach dem Kasseler Referendariat nicht für den vorgezeich- neten Weg in den Beruf einer Lehrkraft . Vielmehr nahm er ein Stipendium des Stift erverbandes für die Deutsche Wissenschaft für eine Promotion am Leib- niz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaft en (IPN) an der Univer- sität Kiel an. Im Jahr 1992 wurde Jürgen Mayer als erster Doktorand des Ab- teilungsdirektors Prof. Dr. Horst Bayrhuber mit einer Dissertation zum Th ema „Formenvielfalt im Biologieunterricht – Ein Vorschlag zur Neubewertung der Formenkunde“ zum Dr. rer. nat. an der Universität zu Kiel promoviert. Inhaltlich gesehen stand die Dissertationsschrift von Jürgen Mayer aus dem Jahr 1992 im Zeichen der Curriculumforschung. Darin widmete er sich der Frage, auf welche Weise das Phänomen der biologischen Vielfalt im Unterricht besser vermittelt werden kann. Als methodischen Ansatz wählte er das Ver- fahren einer Delphi-Studie, bei der Expertinnen und Experten über mehrere Runden zu einem Th ema befragt werden. Fünf zentrale Aspekte konnte Jür- gen Mayer für die Behandlung von Formenvielfalt im Biologieunterricht ablei- ten: Ökologie und Umweltschutz, allgemeinbiologisch-physiologische Lebens- erscheinungen, Vielfalt von Organismen und Systematisierung, Freizeit und Naturerleben sowie Nutzen und Schaden für den Menschen. Von seiner Dok- torarbeit ging ein breiter biologiedidaktischer Diskurs zur Vermittlung von Formenvielfalt im Biologieunterricht aus. Anstelle der traditionellen Schwer- punktsetzung auf Morphologie und Systematik trat nun im Biologieunterricht eine Betrachtung der biologischen Vielfalt, die ökologische, allgemeinbiologi- sche, emotional-ästhetische und wirtschaft liche Zugänge zu integrieren suchte. Im Jahr 1995 lud Jürgen Mayer zu einem Symposium am IPN ein, um mit Ex- pertinnen und Experten aus dem deutschsprachigen Raum in einen Austausch 12 Kerstin Kremer zu Fragen dieses Spannungsfeldes zu kommen. Daraus entstanden Leitlinien für die Curriculumentwicklung mit Schwerpunktsetzungen im Naturschutz, im Verhältnis zum allgemeinbiologischen Curriculum, im Weltverständnis und zur weiteren Forschung. Mit seinen frühen Arbeiten agierte Jürgen Mayer ganz am Puls der Zeit und war ihr sogar ein Stück weit voraus. Interdisziplinäre Positionsbestim- mungen zu den Konzepten der Biodiversität und Nachhaltigkeit, wie die Agen- da 21 der Konferenz der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro 1992 und die Verankerung einer Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) beim Weltgip- fel in Johannisburg 2002, sind parallel als globale Wegmarken zu nennen. Mit dem IPN sollte Jürgen Mayer noch viele Jahre in Verbindung bleiben: nach der Promotion bis 1999 als wissenschaft licher Mitarbeiter und stellvertreten- der Abteilungsdirektor und zwischen 2005 und 2015 als Mitglied des wissen- schaft lichen Beirats des Instituts der Leibniz-Gemeinschaft . Anfang der 1990er Jahre brachte Jürgen Mayer die für die Fachdidakti- ken so prägende Wende zu empirisch forschenden Disziplinen voran. In der von Horst Bayrhuber geschaff enen und bundesweit ausgerichteten Arbeits- gemeinschaft Didaktik der Naturwissenschaft en (ADINA) arbeitete Jürgen M ayer mit am Ziel einer Stärkung der empirischen Forschung. Dazu wurden Projekte mit einem interdisziplinären Ansatz zwischen Fachdidaktik und em- pirischer Lehr-/Lernforschung zur Antragsreife getrieben. Jürgen Mayer war auch in dieser Funktion äußerst erfolgreich und warb eines der ersten fachdi- daktischen DFG-Projekte ein. Unlängst gab er diese reichhaltigen Erfahrun- gen im Rahmen der Nachwuchsakademie der Fachsektion Didaktik der Biolo- gie (FDdB) weiter, um Post-Docs bei der Entwicklung von Erstanträgen an die DFG zu unterstützen. Im Jahr 1999 folgte Jürgen Mayer dem Ruf auf eine Professur für Biologie- didaktik an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Hier prägte er als Direktor des Instituts für Biologiedidaktik sowie langjähriger Direktor des Zentrums für Lehrerbildung (ZfL) die Qualitätsentwicklung in der Lehrerbildung. Auch als Mitglied im Senat der Universität Gießen und Dekan der Fakultät für „Biolo- gie, Chemie und Geowissenschaft en“ war Jürgen Mayer langjährig gestaltend und hochschulpolitisch aktiv. Ausgehend von dem PISA-Schock 2001 und der ausgerufenen Bildungskatastrophe arbeitete er mit an der Entwicklung und Implementation kompetenzorientierter nationaler Bildungsstandards zur Be- hebung der Defi zite. Prof. Dr. Jürgen Mayer scheute sich nie davor, Verantwortung zu überneh- men und Entwicklungen konsequent voranzutreiben. Ausgeprägte analytische Fähigkeiten gepaart mit dem Talent zur Vermittlung zwischen verschiedenen Gruppen und Interessen zeichnen ihn aus. Diese ließ er auch in die fachdidak- tische Leitung und Beratung eines nationalen Standardsettings für die regel- Biographisches und Biologiedidaktisches 13 mäßige Bildungsberichterstattung in Deutschland einfl ießen. Unter der Feder- führung des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), das von der Kultusministerkonferenz 2004 gegründete An-Institut der Humboldt- Universität zu Berlin, verantwortete Jürgen Mayer zentrale Aufgaben des na- tionalen Bildungsmonitorings. In jüngerer Zeit wurden die gewinnbringenden Kooperationen mit dem IQB in Hinblick auf die Entwicklung von Bildungs- standards für die Allgemeine Hochschulreife in den Fächern Biologie, Chemie und Physik fortgeführt. Seine vielfältigen Leistungen zur Förderung eines zeit- gemäßen kompetenzorientierten Biologieunterrichts wurden 2014 im Rahmen des MNU-Bundeskongresses an der Universität Kassel mit dem Eduard-Stras- burger-Preis für herausragende fachdidaktische Arbeit mit positivem Wirken in die Schulbiologie gewürdigt. In der Laudatio heißt es folgerichtig: „Im Zuge der Kompetenzorientierung war er es, der die naturwissenschaft liche Erkennt- nisgewinnung detailliert Schritt für Schritt analysierte und in unterrichtlich um- setzbare Kompetenzen festgeschrieben hat. Aufgrund dieser fundierten Kenntnis gilt er seitdem als der Experte im Bereich Erkenntnisgewinnung in allen bundes- weiten Vergleichstests. Dabei legte er besonderen Wert auf das Experimentieren. Nicht zuletzt war und ist ihm die Lehrerbildung ein besonderes Anliegen, wozu er selbst in einer Vielzahl von hervorragenden Vorträgen, Workshops etc. beige- tragen hat. Der MNU war und ist er immer ein kompetenter Berater. Herr Prof. Dr. Jürgen Mayer hat sich im besonderen Maße um die Entwicklung des Biologie- unterrichts verdient gemacht!“ Seit 2009 war Jürgen Mayer Professor an der Universität Kassel und wirk- te dort bis zu seinem offi ziellen Eintritt in den Ruhestand im Jahr 2020. Zu- sammen mit seiner Arbeitsgruppe hat er eine beeindruckende Breite und qualitative Wertigkeit von Arbeiten zur Lehrerprofessionalisierung, fachdidak- tischen Forschung und Entwicklung geschaff en. Dies zeigt sich nicht zuletzt in der starken Prägung des Kasseler Hochschulprojekts „Professionalisierung durch Vernetzung“ (PRONET) innerhalb der von Bund und Ländern initiier- ten „Qualitätsoff ensive Lehrerbildung“ durch die Kasseler Didaktik der Biolo- gie. Der vorliegende Band gibt detailreich Einblick in sein Schaff en. Prof. Dr. Jürgen Mayer steht mit seinem Lebenswerk und als Persönlichkeit in der Fachdidaktik Biologie beispielhaft für die erfolgreiche Entwicklung einer akademischen Disziplin. Durch Personen wie ihn sind deren vielfältige Poten- tiale, sich positiv vernetzend in das Portfolio einer Universität einzubringen, erst sichtbar geworden. Sein langjähriges Wirken und seine vielfältigen Erfah- rungen sind und waren für die Profi lierung und Weiterentwicklung der Didak- tik der Biologie als eigenständige Fachrichtung stets ein großer Gewinn. In der Community sehr geschätzt, wurde Jürgen Mayer nicht ohne Grund mehrmals in den Vorstand der Fachsektion Didaktik der Biologie (FDdB) im Verband Biologie, Biowissenschaft en und Biomedizin (VBIO) in Deutschland gewählt. 14 Kerstin Kremer Jürgen Mayer ist über viele Jahre hinweg für seine Doktorandinnen und Doktoranden, Postdoktorandinnen und Postdoktoranden, Mitarbeitenden, Kolleginnen und Kollegen durch die Strukturiertheit und Klarheit seiner Ar- gumentation und Gedanken ein geschätzter Ratgeber und wertvoller Kritiker. Seine Schülerinnen und Schüler, die heute nationale und internationale Profes- suren besetzen, auf Leitungspositionen der Biologie- und Naturwissenschaft s- didaktik arbeiten oder in Schule und Bildungsadministration verantwortlich tätig sind, denken sehr gerne und mit Dank an die bereichernde und prägende Zeit in der „AG Mayer“ zurück. Prof. Dr. Jürgen Mayer ist in seiner Bedeutung für die Didaktik der Biologie in Deutschland – wie die Statue des Herkules im Kasseler Bergpark – ein Markenzeichen seiner Stadt. Philipp Schmiemann & Marcus Hammann Von der Erkenntnis zum Gewinn Viele Forschende und Lehrende in der Biologiedidaktik denken bei den wis- senschaft lichen Arbeiten von Jürgen Mayer vermutlich zunächst an seine theo- retischen und empirischen Beiträge zur naturwissenschaft lichen Erkenntnisge- winnung. Mit diesem langjährigen Arbeitsschwerpunkt hat Jürgen Mayer nicht nur die Biologie, sondern auch die Naturwissenschaft sdidaktik wesentlich mit- geprägt und zum wissenschaft lichen Erkenntnisgewinn beigetragen. Die na- turwissenschaft liche Erkenntnisgewinnung ist dabei Untersuchungsmethode und Untersuchungsgegenstand zugleich und soll hier daher als Metapher die- nen, einen näheren Blick auf die Arbeiten von Jürgen Mayer zu werfen. Am Anfang des hypothetisch-deduktiven Erkenntnisweges steht zunächst ein Phänomen – oder ein Problem, was aber im Fall von Jürgen Mayer keines- wegs zutrifft . Also beschränken wir uns hier auf das Phänomen des renom- mierten und erfahrenen Wissenschaft lers und Hochschullehrers. Dieses kom- plexe Phänomen wirft – folgt man dem Prozess der naturwissenschaft lichen Erkenntnisgewinnung – die eine oder andere Frage auf. Eine naheliegende Frage könnte sein, wie es überhaupt dazu gekommen ist, dass Jürgen Mayer zu dem erfolgreichen Wissenschaft ler wurde, der er heute ist. Dieser Frage wird bereits im Gesamtdiskurs dieses Buches nachgegangen und braucht daher hier nicht weiter beantwortet zu werden. An dieser Stelle soll die Frage viel- mehr lauten: Wodurch zeichnet sich dieser renommierte und erfahrene Wis- senschaft ler und Hochschullehrer eigentlich aus? Hierzu läßt sich, wenn auch nicht auf Basis eines theoretischen Modells, so doch zumindest auf Grund- lage einschlägiger Literatur, wie Berufungsordnungen und Evaluationskrite- rien, eine mehrteilige Hypothese formulieren: Eine wissenschaft lich und in der Hochschullehre tätige Person (a) schreibt Publikationen, die auch gelesen und zitiert werden, (b) arbeitet mit anderen zusammen, (c) fördert den wissen- schaft lichen Nachwuchs, (d) ist in der akademischen Lehre tätig und (e) enga- giert sich für die Scientifi c Community. Diese Hypothesen gilt es nun zu überprüfen, indem sie in einem Untersu- chungsdesign operationalisiert werden. An dieser Stelle scheint sich insbeson- dere die Erkenntnismethode des Beobachtens anzubieten. Betrachten wir also zunächst gemäß Hypothese (a) im Rahmen einer Dokumentenanalyse die Pu- blikationen von Jürgen Mayer. Diese erstrecken sich über verschiedene Berei- che der Biologiedidaktik, von den Naturerfahrungen und der Umweltbildung über die naturwissenschaft liche Erkenntnisgewinnung bis zur Professionalisie- rung von Lehrpersonen und zum Bildungsmonitoring. Und sie werden breit 16 Philipp Schmiemann & Marcus Hammann rezipiert. So seien hier exemplarisch die theoretischen Konzeptionen und em- pirischen Untersuchungen zur Erkenntnisgewinnung genannt. Diese haben so- wohl in der Biologiedidaktik als auch in den Naturwissenschaft en allgemein wichtige Beiträge zum wissenschaft lichen Diskurs und zur Weiterentwicklung der Konstrukte geleistet. Darüber hinaus haben sie über die Evaluation der Bil- dungsstandards, Biologie im Kontext und vielfältige unterrichtspraktische Bei- träge Eingang in die Schulpraxis gefunden. Bei der Betrachtung der Publika- tionen (Prüfung von Hypothese (a)) fällt auf, dass sie ein breites Spektrum an methodischen Herangehensweisen dokumentieren. Diese reichen von syste- matischen Befragungen nach der Delphi-Methode bis zu Modellprüfungen von Kompetenzstrukturen mit Werkzeugen der Item-Response-Th eory. Unabhängig von den eingesetzten Methoden fallen in den Publikationen insbesondere zwei Charakteristika auf: Sie sind stark theoriegeleitet und – im wahrsten Sinne des Wortes – durchdacht. Die theoretische Fundierung bezieht dabei nicht nur na- turwissenschaft sdidaktische und biologiebezogene Konzepte mit ein, sondern ebenso (kognitions-)psychologische, philosophische und pädagogische. In- soweit kann man hier wohl von einem breiten und systematisch geordneten theoretischen Fundament sprechen. Auch die Zusammenarbeit mit anderen (Überprüfung von Hypothese (b)) lässt sich in unserem Untersuchungsfall durch eine Dokumentenanalyse und auch durch die Befragung von betroff enen Personen nachweisen. So fi nden sich Belege für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit beispielsweise ebenfalls im Kontext der Evaluation der Bildungsstandards und auch bezüglich der wis- senschaft lich fundierten Weiterentwicklung der Lehrpersonenausbildung im Rahmen der Qualitätsoff ensive Lehrerbildung. Die befragten Personen berich- ten darüber hinaus von der vertrauensvollen Atmosphäre und der hoch dif- ferenzierten Perspektive, mit der Jürgen Mayer Fragestellungen und Diskus- sionen gewissermaßen „wie auf einer Landkarte“ im Forschungsfeld einordnet und verschiedene Standpunkte abwägt. Für die Überprüfung der dritten Hypothese (c) bezüglich der Förde- rung des wissenschaft lichen Nachwuchses könnten die betreuten Promotio- nen messtechnisch operationalisiert und entsprechend quantifi ziert werden. An dieser Stelle soll aber ein Beleg herangezogen werden, der über die eige- ne Arbeitsgruppe hinausgeht, nämlich die FDdB-IPN-Nachwuchsakademie, in der Nachwuchswissenschaft lerinnen und -wissenschaft ler aus der Biologiedi- daktik bei ihrem ersten DFG-Projektantrag unterstützt werden. Hier hat Jür- gen Mayer sich in der Leitung und als Mentor engagiert. Und auch hier fi nden sich bei den Beteiligten erneut Belege für seine durchdachte und diff erenzier- te Perspektive, die es auch Novizen leicht macht, einen Überblick zu gewinnen und kritisch zu refl ektieren, denn er „nimmt einen [dabei] mit“. Von der Erkenntnis zum Gewinn 17 Schließlich bleibt noch die vorletzte Hypothese (d) nach der akademischen Lehre zu prüfen. Die Tätigkeit in der akademischen Lehre lässt sich leicht an- hand von offi ziellen Dokumenten wie Vorlesungsverzeichnissen verschiedener Hochschulstandorte dokumentieren. Darüber hinaus liegen auch glaubwürdige Augenzeugenberichte vor, die nicht nur die reine Lehrtätigkeit bestätigen, son- dern auch das hohe Engagement, die Innovation und die Zugewandtheit den Studierenden gegenüber. Auch in den letzten Jahren seiner Tätigkeit ist ihm die Qualität der Lehre und die solide und diff erenzierte Bildung zukünft iger Lehrpersonen ein wichtiges Anliegen. Zur Prüfung der letzten Hypothese (e) zum Engagement für die Scienti- fi c Community liegt uns ebenfalls glaubwürdige (und mehrfache) Evidenz in Form des Dankes des ehemaligen und derzeitigen Vorsitzenden der Fachsek- tion Didaktik der Biologie (FDdB) vor. Denn Jürgen Mayer und seine Arbeits- gruppe organisierten 2009 die FDdB-Frühjahrsschule und richteten 2013 in Kassel die 19. Internationale Tagung der Fachsektion Didaktik der Biologie mit dem Titel „Th eorie, Empirie & Praxis“ aus. Darüber hinaus engagierte sich Jür- gen Mayer langjährig im Vorstand der FDdB. So bereicherte er die Weiterent- wicklung der FDdB als wissenschaft liche Fachgesellschaft durch Beiträge, Rat- schläge und sein Engagement. Auf die Datengewinnung folgt regelmäßig deren Analyse und Interpreta- tion unter Rückbindung zu den Hypothesen. Ebendiese lassen sich in unse- rem Fall anhand verschiedener Indikatoren bestätigen. Mit Bezug auf die Forschungsfrage lässt sich also festhalten, dass sich dieser renommierte und erfahrene Wissenschaft ler und Hochschullehrer nicht nur durch seine rege Lehr-, Publikations- und Forschungstätigkeit in verschiedenen Verbünden aus- zeichnet und für den akademischen Nachwuchs einsetzt. Er wird darüber hi- naus insbesondere für seine theoretisch fundierten, durchdachten und diff e- renzierten Einschätzungen auch zu komplexen Th emen respektiert. Und dies geschieht, so die derzeitige Befundlage, in einer wertschätzenden und vertrau- ensvollen Weise. Die Bestätigung aller fünf Hypothesen – sofern wissenschaft stheoretisch überhaupt abschließend möglich – mag auch daran liegen, dass die Autoren dieser Einleitung sehr wahrscheinlich hier selbst dem häufi g anzutreff enden Confi rmation Bias unterworfen sind, zumindest bei Hypothese (e). Auch wird den meisten Lesenden sicherlich bereits aufgefallen sein, dass die hier vorge- nommene Untersuchung in ihrer strikt wissenschaft lichen Aussagekraft unter anderem aufgrund des Einzelfalls, der begrenzten Datengrundlage und der subjektiven Auswahl der Belege doch wohl eher eingeschränkt sein könnte. In- soweit möchten wir unsere Ausführungen vielmehr als Würdigung und gro- ßen Dank an einen sehr geschätzten, integren Kollegen verstanden wissen, die wir hier metaphorisch in das scheinbare Gewand einer wissenschaft lichen 18 Philipp Schmiemann & Marcus Hammann Untersuchung gekleidet haben. Denn am Ende steht unsere unzweifelhaft e – und vermutlich ziemlich unwissenschaft liche – Erkenntnis, dass Jürgen Mayer ein großer Gewinn ist – nicht nur für die Naturwissenschaft sdidaktik, sondern gerade auch für die Menschen, die mit ihm arbeiten und von ihm lernen. Von der Umweltbildung zur Bildung für nachhaltige Entwicklung Armin Lude Naturerfahrungen und der Einsatz von Medien zur Naturerkundung Jürgen Mayer habe ich am IPN (Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissen- schaft en und Mathematik) in Kiel kennengelernt. Dort hatte ich meine erste Arbeits- stelle gefunden und war in einem EU-Projekt zum Einsatz von Satellitenbildern im Biologieunterricht tätig. Jürgen Mayer war mir auf der Suche nach einem Promo- tionsthema behilfl ich. Als Biologe mit Hauptfach Naturschutz faszinierte mich be- sonders seine Delphi-Studie zur Formenkenntnis. Hierin war ein Ansatz zur Sys- tematisierung von Naturerfahrungen beschrieben. Jürgen Mayers Vorschlag der erkundenden Naturerfahrung beispielsweise zielt auf Arten- und Formenkenntnis. Artenkenntnis ist in der heutigen Diskussion um den Verlust und Schutz biologi- scher Vielfalt DAS Th ema – vgl. planetarische Grenzen von Rockström et al. (2009) und Vereinbarungen zum Schutz der Biologischen Vielfalt (www.cbd.int). Mit seiner Systematisierung legte Jürgen Mayer die Grundlage für eine Vielfalt von Forschungs- arbeiten zu Naturerfahrungen. Sein Ansatz wurde in einer Promotion im Rahmen eines DFG-Projektes von Susanne Bögeholz systematisch untersucht (Bögeholz, 1999). Darauf aufb auend entwickelte ich ein Konzept für eine eigene Studie, in der ein Be- zug zu Einstellungen zum Naturschutz geschaff en wurde (Lude, 2001). Jürgen Mayer unterstützte mich bei dem Entscheidungs- und Entwicklungsprozess. Hierfür auch an dieser Stelle besten Dank! 1 Einleitung Homo sapiens hat – aus evolutionärer Perspektive betrachtet – die längste Zeit seiner Existenz in der Natur verbracht. Landschaft en waren für das Überleben wichtig – sie stillten grundlegende Bedürfnisse des Menschen nach Wasser, Nahrung, Schutz, aber auch Bedürfnisse auf kognitiver Ebene wie Verstehen, Neugier und Entdecken. Als Erbe einer stammesgeschichtlich gewachsenen Bevorzugung des Lebensraums Savanne früher Hominiden werden kulturun- abhängig Savannen als ideale Landschaft en bevorzugt (Orians, 1980; Apple- ton, 1975). Nach der Biophilia-Hypothese ist eine Zuwendung gegenüber Ele- menten der belebten Natur angeboren (Wilson, 1984, 1993). Weitere Th eorien aus der Stress-Erholung unterstreichen die heutige Bedeutung von Natur, wie die SRT – Stress Recovery Th eory (Ulrich, 1983; Ulrich et al., 1991) und die ART – Attention Restoration Th eory (Kaplan & Kaplan, 1989; Kaplan, 1995). Natur eignet sich besonders für die Erholung von mentaler Ermüdung durch willkürliche Aufmerksamkeit, weil sie aus sich heraus eine mühelose (eff ort- 22 Armin Lude less) Aufmerksamkeit erregt. Die Erfahrungen in und mit der Natur sind oft Selbsterfahrungen, da Naturphänomene Anlässe sind, sich auf sich selbst zu beziehen. Der Mensch ist als animal symbolicum (Cassirer, 1969) auf der Su- che nach symbolischen Weltzugängen, die es ihm ermöglichen, sein Leben als sinnvoll zu interpretieren (Gebhard, 2005). Natur und Landschaft sind ein Symbolisierungsanlass und ein Vorrat von Metaphern. Auf diese Weise kom- men innere und äußere Natur sowie innere und äußere Landschaft en zusam- men (Gebhard, 2016). Der Mensch ist beides, Naturwesen sowie Kultur- und Geisteswesen. Na- turferne Großstädte bewirken ein Leben ohne Naturkontakte. Gerade bei der jüngeren Generation zeichnen sich eine Entfernung und Entfremdung von der Natur ab (u. a. Brämer, Koll & Schild, 2016). Die Kindheit ist zunehmend „ver- häuslicht“ und der Radius, in dem sich Kinder um ihr Zuhause frei bewegen (dürfen), nimmt ab. Primäre Naturerlebnisse sind für Kinder und Jugendliche jedoch wichtig, nicht nur weil der Aufenthalt in der Natur eine biologiedidak- tisch bedeutsame, originale Begegnung mit Arten und Lebensräumen ermög- licht, sondern auch aufgrund positiver Eff ekte auf die physische, soziale und mentale Entwicklung (zusammenfassend Gebhard, 2013; Raith & Lude, 2014; Renz-Polster & Hüther, 2016; Lude, 2017a). Um bei Kindern und Jugendlichen diesbezüglich anzusetzen, erscheint die Schule als ein passender Ort, da hier prinzipiell alle erreicht werden können. Es stellt sich u. a. die Frage, ob Schu- le dies leisten kann und welche Ansätze geeignet sind. Nachfolgend werden daher Studien vorgestellt, mit denen die Naturerfahrungen der Jugendlichen untersucht wurden. Dabei werden zuerst die verschiedenen Zugänge defi niert und unterschieden. Empirische Untersuchungen zeigen, wie groß der Anteil an Naturerfahrungen in der Schule ist. Im letzten Kapitel wird geschildert, wie neue Medien genutzt werden können, um Naturerfahrungen zu ermöglichen. 2 Naturerfahrungen 2.1 Was sind Naturerfahrungen? Bei der Defi nition von Naturerfahrung spielt das Verständnis des Naturbegriff s eine bedeutsame Rolle. Natur stammt von lat. natura, was „das Geborene, Ge- wordene“ bedeutet. Es kann somit als etwas verstanden werden, das selbststän- dig entsteht und existiert. Aufgrund der schweren Greifb arkeit des Begriff es nähern sich ihm viele Autorinnen und Autoren durch eine Abgrenzung zu an- deren Begriffl ichkeiten. Beispielweise stellt Böhme (1992) Gegensatzpaare auf, wie Natur und Technik, ursprünglich und zivilisiert, außen und innen. Insge- Naturerfahrungen und der Einsatz von Medien zur Naturerkundung 23 samt laufen diese Ansätze auf eine Gegenüberstellung von Kultur (sowie dem Menschen) und Natur hinaus. Der Mensch ist aber ebenfalls Teil der Natur – und die Naturerfahrung kann für die Wahrnehmung dieser Zusammengehö- rigkeit bedeutsam sein. Mayer und Bayrhuber (1994, S. 4) und Bögeholz (1999, S. 21) nähern sich dem Begriff Naturerfahrung über Handlungen und defi nie- ren ihn als einen „spezifi schen Auseinandersetzungsprozess des Menschen mit seiner belebten Umwelt“. Kennzeichen sind „unmittelbare, multisensorische, aff ektive und vorwissenschaft liche Lernerfahrungen“ (ebd.). Nach Münkemül- ler und Homburg (2005, S. 52) ist Naturerfahrung ein „Verhalten, das in einer direkten und für den Akteur wahrnehmbaren Beziehung zur natürlichen Um- welt steht (z. B. über Sinneserfahrungen)“. John Dewey (1916) bringt noch eine weitere Qualität hinzu: Erst ein Erlebnis, das zum Gegenstand von Refl exion gemacht wurde, wird zu einer wirklichen, die Person berührenden Erfahrung. Combe und Gebhard (2012) bauen mit ihrem Ansatz des Erfahrungslernens auf diesem Gedanken auf. Der Begriff Naturerfahrung (wie die Begriff e Naturkontakte, Naturbe- gegnung und Naturerleben) werden von verschiedenen Autorinnen und Au- toren unterschiedlich streng defi niert. Oft wird dabei gar nicht diff erenziert und die Naturerfahrung als eine Art Klammer um die anderen Begriff e aufge- fasst. Denn ein Versuch, diese Begriff e in Test-Items für quantitative Forschun- gen mit Fragebögen getrennt zu fassen (zu operationalisieren) und empirisch zu prüfen, erscheint nahezu unmöglich (Können beispielsweise Sonnenunter- gänge ‚nur‘ betrachtet werden, ohne dass die Person teilnimmt und Erfahrun- gen macht?). Dennoch gibt es Autoren wie Raith (2017), die streng zwischen Naturkontakten und Naturerfahrungen unterscheiden und für Forschungen die Methode der Beobachtung bzw. des Interviews nutzen. Schülerinnen und Schüler, die sich in naturnahen Bereichen auf Schulhöfen aufh alten und mit Naturgegenständen interagieren, haben nur Naturkontakte. Erst Interviews konnten zeigen, dass ihre Aufenthalte mit etwas Neuem verbunden waren (Irritationen), sie emotional berührten und zu Refl exionen und Versprachli- chungen führten (vgl. Phasen des Erfahrungslernens nach Combe & Gebhard, 2012). 2.2 Wie häufi g sind Naturerfahrungen? Die verschiedenen Arten der Naturerfahrungen wurden in Anlehnung an Bögeholz (1999), Bögeholz und Mayer (1998), Mayer und Bögeholz (1997), Mayer (1994, 1996) und Mayer und Horn (1993) als Dimensionen bezeich- net. Diese Autorinnen und Autoren beschreiben fünf Dimensionen, die sie als 24 Armin Lude biologiedidaktisch relevant ansehen. Durch weitere sieben Dimensionen las- sen sich die Naturerfahrungen auch außerhalb von schulischen Kontexten be- schreiben (Lude, 2001, 2005, 2006). Die Dimensionen der Naturerfahrungen sind: Erfahrung der Schönheit der Natur (ästhetische Erfahrungen), Natur nutzen (instrumentelle ~), Pfl egen einer besonderen Beziehung zu einem Tier (soziale ~), Natur erforschen (erkundende ~), Schützen von Arten und Bioto- pen (naturschutzbezogene ~), Erholung in der Natur (erholungsbezogene ~), indirekte Naturwahrnehmung mit Medien wie Naturfi lme (mediale ~), Erwerb oder Verzehr von umweltbewusst produzierter Nahrung (ernährungsbezoge- ne ~), Herausforderungen an die eigene Geschicklichkeit in der Natur (aben- teuerliche ~), draußen die Nacht erleben (nachtbezogene ~), Meditieren und Kräft e der Natur in sich aufnehmen (spirituelle ~), Zerstören oder Quälen von Leben (destruktive ~). Abbildung 1: Häufi gkeiten von Naturerfahrungen Jugendlicher (mit Mittelwerten über mehrere Studien; nach Lude, 2017b). Jede der Naturerfahrungsdimensionen wurde durch drei Items erfasst. Die Häufi gkeit der Naturerfahrungen ist in den verschiedenen Dimensionen unterschiedlich (Lude, 2001, 2005; Abb. 1). Am häufi gsten sind Naturerfah- rungen mit Haustieren (soziale Naturerfahrungen). Am unteren Ende der Häufi gkeitsskala liegen destruktive Naturerfahrungen (Lebendiges zerstören, quälen etc.) sowie spirituelle (Kräft e der Natur in sich aufnehmen) und na- turschutzbezogene Naturerfahrungen (Tiere und Pfl anzen schützen). Bemer- Naturerfahrungen und der Einsatz von Medien zur Naturerkundung 25 kenswert ist, dass auch bei häufi g gemachten Naturerfahrungen dennoch ein Wunsch nach mehr davon geäußert wurde. Werden die Werte gegeneinander aufgetragen, so zeigt sich, dass es für Naturerfahrungen keine Sättigung zu ge- ben scheint (Lude, 2001). Regressionsanalysen zeigten, dass bei (fast) allen Di- mensionen am bedeutendsten ist, ob die Naturerfahrung privat gemacht wur- de. Andere Variablen hatten deutlich schwächere Einfl üsse. Lediglich bei der ästhetischen Naturerfahrung hat die Variable „Privat“ den gleichen (schwa- chen) Einfl uss wie das Geschlecht. Sowohl mit zunehmendem Alter als auch Größe der Wohnorte verringerte sich die Häufi gkeit der Naturerfahrungen (Lude, 2006). 2.3 Wo werden Naturerfahrungen gemacht? Wie oben dargestellt, werden die meisten Naturerfahrungen außerhalb der Schule gemacht. Naturnah gestaltete Schulhöfe bieten jedoch eine zusätzliche Möglichkeit, in der Schule Natur erfahrbar zu machen (neben einer explizit pädagogischen Vermittlung innerhalb des Biologieunterrichts). Hierzu gibt es bisher nur wenige Untersuchungen. Andreas Raith (2017) hat dazu mit meh- reren Personen Beobachtungen der Schülerinnen und Schüler vorgenommen. Auf naturnahen Schulhöfen, auf denen sich alle Altersstufen von Klasse 1 bis 10 gemischt aufh alten, sind es die jüngeren Kinder, die die Grünbereiche be- setzen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Erst- oder Zweitklässler in einem Naturbereich aufh ält, ist 9-mal größer, als das bei Neunt- und Zehntklässlern der Fall ist. Noch größer ist der Unterschied, wenn es darum geht, direkt mit einem Naturobjekt umzugehen. Dann ist die Wahrscheinlichkeit bei einem Erst- oder Zweitklässler sogar 44-mal höher. Grundschulkinder haben also deutlich mehr Naturkontakte auf solchen Schulhöfen als Schülerinnen und Schüler aus der Sekundarstufe. Die jüngeren Kinder nutzen die Naturberei- che, um sich dort zu bewegen und um mit Freunden zu spielen. Entsprechend werden sie von Naturbereichen angezogen, die ihnen genau dies ermöglichen. Durch Interviews wurde deutlich, dass die Schülerinnen und Schüler ebenfalls Erfahrungen im eingangs defi nierten Sinn von Dewey (1916) machen: Es wur- de Neues entdeckt, sie waren emotional eingebunden und refl ektierten die Er- fahrungen (vgl. Combe & Gebhard, 2012). Selbst die beim Spielen gemachten Naturerfahrungen wurden bewusst wahrgenommen. Vor allem an Grundschulen sind grüne Schulhöfe damit sehr gut geeignet, informell Naturerfahrungen zu schaff en, die keinerlei weiterer pädagogischer Maßnahmen bedürfen. 26 Armin Lude 2.4 Gestaltung von Naturerfahrungen durch Geogames Naturerfahrung und Spielen mit modernen Medien scheinen Gegensätze zu sein. Es ist eine Herausforderung, hier mit pädagogisch motivierten Ansät- zen Naturerfahrung zu gestalten. Dafür bieten sich insbesondere Geogames an. Dies sind ortsbezogene digitale Spiele, bei denen die Bewegung im Raum ein Teil des Spiels ist (Ahlqvist & Schlieder, 2018; Schlieder, 2014). Mit mo- bilen Endgeräten wie Smartphones oder Tablets navigieren die Spielerinnen und Spieler zu bestimmten Orten. An diesen sind Informationen und Aufga- ben bereitgestellt, die beim Erreichen des Ortes auf dem Display erscheinen. Damit verbinden Geogames forschendes Lernen, Bewegung und Spielen. Die Ziele bei der Gestaltung und Nutzung von Geogames variieren wie das Kon- zept selbst. Sie bieten eine Bandbreite von reiner Unterhaltung in Freizeitakti- vitäten bis hin zu elaborierten Lernumgebungen zu unterschiedlichen Th emen. Außerdem lassen sich exkursionsdidaktische Grundmuster übertragen und über kognitivistische bis hin zu konstruktivistischen Orientierungen unter- schiedliche Grade an Selbstbestimmung erzeugen (vgl. Hiller, Lude & Schu- ler, 2019). Der Einsatz von mobilen Endgeräten ist kein Selbstzweck, obwohl For- schungen darauf hinweisen, dass der bloße Einsatz von elektronischen End- geräten – mehr als klassische Vermittlungsmethoden – das Interesse der Ler- nenden und ihre Motivation, sich mit Bildungsinhalten auseinanderzusetzen, steigert (u. a. Crawford, Holder & O’Connor, 2017; Ruchter, Klar & Geiger, 2010; Michel et al., 2013; Lai et al., 2007). Für Bildungskontexte sollte der Ge- räteeinsatz refl ektiert werden und begründet stattfi nden. Hierfür eignen sich Didaktische Drehbücher (vgl. Lude et al., 2013; www.qualimobil.de; Hil- ler, Lude & Schuler, 2019) und das SAMR-Modell (Puentedura, 2006; Wilke, 2016), die die Rolle der Medien im Lernprozess kennzeichnen. SAMR steht für Substitution/Ersetzung (z. B. ein ursprünglich gedruckt vorgelegter Aufga- bentext kann stattdessen digital gelesen werden), Augmentation/Erweiterung (Aufgabentext kann bspw. zusätzlich angehört werden), Modifi cation/Ände- rung (z. B. Bereitstellen von Filmen, Animationen) und die Redefi nition/Neu- belegung (z. B. Schaff en von neuen Lernmöglichkeiten, die nur digital möglich sind, wie Simulationen). Im Modell werden somit in vier Stufen analoge Me- dien mit digitalen verglichen. Die unterste Stufe ist ein einfacher Ersatz ohne jeglichen Mehrwert, die oberste hingegen ist gekennzeichnet durch neuarti- ge Aufgaben, die ohne die Geräte nicht möglich sind. Beispiele von Anwen- dungen für mobile Endgeräte, die in der obersten Stufe des Modells gestaltet worden sind, sind eine Erkundung und Bewirtschaft ung einer Streuobstwiese, in die eine Simulation integriert ist (vgl. Schaal, 2017; Schaal, Schaal & Lude, Naturerfahrungen und der Einsatz von Medien zur Naturerkundung 27 2018; Lude, 2019) oder Erkundungsgänge im Freiland mit weiterführenden In- formationen durch augmented reality (vgl. Kamarainen et al., 2018). Daher ist eine Forschung mit einer Kontrollgruppe, die inhaltsgleich agiert, per se nicht möglich (da ja originär digitale Möglichkeiten eingesetzt werden). Hier dienen Design-based-Research-Ansätze (DBRC, 2003) als Entwicklungs- und For- schungsrahmen. Sonja Schaal hat ein Geogame mit einer Simulation zum Streuobstan- bau untersucht (Schaal, 2017; Schaal et al., 2018; Schaal, Schaal & Lude, 2015, 2018; Lude et al., 2020). Mit einer Rahmengeschichte werden die Spielerin- nen und Spieler aufgefordert, einer Spielfi gur zu helfen, eine Streuobstwiese zu bewirtschaft en. Mit dem Smartphone navigieren die Spielenden selbststän- dig zu bestimmten Orten, an denen sie mit dem Gerät Aufgaben ‚auff angen‘. Alle Aufgaben sind ortsbezogen – d. h., sie beziehen sich auf die Besonderhei- ten des Ortes und können nur dort gelöst werden (z. B. Pfl anzabstände zwi- schen Obstbäumen ermitteln). Nach jeder Aufgabe wird der Zugriff auf eine Simulation ermöglicht, in der Pfl anzabstand und Obstsorte verändert werden können. Beides hat Auswirkungen auf den monetären Ertrag aber auch auf die biologische Vielfalt. Spielziel ist, am Ende beides zu maximieren. Die Evalua- tion ergab, dass der Wechsel von Smartphone und Naturerforschung als sehr positiv wahrgenommen wurde. Durch das Spiel konnte Wissen über die biolo- gische Vielfalt erworben und die Verbundenheit mit der Natur gesteigert wer- den. Der Zuwachs des Wissens war dabei unabhängig von der empfundenen Spielfreude. Diese hatte jedoch einen Einfl uss auf die Steigerung der Naturver- bundenheit. Naturverbundenheit ist wiederum eng verbunden mit der Absicht der Spielerinnen und Spieler, sich für den Schutz der biologischen Vielfalt ein- zusetzen. Neben dem Bildungswert des Spielens von Geogames rückt das Lernen bei der Gestaltung von ortsbezogenen Spielen immer mehr in den Fokus der For- schung. Dies ermöglicht eine höhere Einbeziehung und Autonomie der Be- teiligten (vgl. Schaal & Lude, 2015). Vor einigen Jahren waren für die Ent- wicklung von ortsbezogenen Spielen in der Natur noch mehr Techniker als Spielende unterwegs. Vor wenigen Jahren musste ein mobiles Informations- und Bildungssystem noch eigens programmiert und dadurch teuer bezahlt werden. Heute ermöglichen Autorenwerkzeuge, wie zum Beispiel Action- bound, auch für Schülerinnen und Schüler eine leichte Konzeption eigener Rallyes (Beispiele siehe Hiller, Lude & Schuler, 2019; Schuler, Hiller & Lude, 2019; Lude, 2018; Lude, Hiller & Schuler, 2020). 28 Armin Lude 3 Ausblick Naturerfahrungen sind also vielfältig. Studien zeigten auch ihre vielfälti- ge Bedeutung, die sie für die mentale, soziale und physische Entwicklung ha- ben (zusammenfassend: Gebhard, 2013; Raith & Lude, 2014; Lude, 2017a). In Japan wurde die Gesundheitswirkung von Natur schon früh erkannt und seit den 1980er Jahren explizit zur Genesung genutzt. Dieser als Waldthera- pie oder Waldbaden (japan. shinrin yoku) bezeichnete Ansatz verbreitet sich zunehmend bei uns (vgl. Bücher sowie kommerzielle Angebote unter die- sem Titel – mit ganz unterschiedlichem wissenschaft lichem Anspruch). For- schungen gibt es v.a. von der Arbeitsgruppe um Qing Li an der Nippon Medi- cal School in Tokio; in den letzten Jahren aber ebenfalls aus den USA, Korea, England, Skandinavien und Australien (Schuh & Immich, 2019). Diskutiert werden primär wirkende Eff ekte auf die Gesundheit. Eingeatmete sekundäre Pfl anzenstoff e (Phytonzide) steigern die Aktivität der Killerzellen, die wiede- rum Stresshormone reduzieren. Hinzu kommen sekundär wirkende Eff ekte für die Gesundheitswirkung wie die geringere Lärmbelastung, schadstoff arme und kühlere, feuchtere Luft im Wald. Die Studien haben unterschiedliche wissen- schaft liche Qualität – aufgrund des Forschungsaufwandes wurden sie oft nur mit kleinen Fallzahlen oder ohne Kontrollgruppe durchgeführt (Schuh & Im- mich, 2019). Eine Herausforderung für die Biologiedidaktik ist es, sich hier einzubrin- gen. Aktivitäten zum Naturerleben, wie beispielsweise die Aktivität Meet a Tree (dt. Baum fühlen/Baumfreund) von Joseph Cornell (2006), werden schon lange in der Umweltbildung praktiziert. Bäume umarmen und Beziehungen schaff en scheint auch in shinrin yoku ‚entdeckt‘ worden zu sein. Diese aufk om- mende Welle könnte genutzt und dabei der reiche Erfahrungsschatz der Um- weltbildung eingebracht werden. Der Strömung eines Wiederentdeckens des ‚Draußenseins‘ tritt eine immer perfektere technische Darstellung virtueller Realitäten entgegen. Studien konnten zeigen, dass virtuelle Natur (und selbst Fototapeten von Landschaft en) eine (gewisse) Wirkung auf uns haben – nicht nur die direkte Erfahrung von Natur (u. a. Kweon et al., 2008; Valtchanov et al., 2010). Natur und Kultur lassen sich nicht nur – wie eingangs skizziert – als Gegensätze darstellen. Sie können ebenso als Kontinuum, als common worlds, aufgefasst werden (z. B. Taylor, 2013). Hiermit lässt sich argumentieren, dass es Übergänge geben darf, wie pädagogische Zugänge, bei denen beispielswei- se Naturmaterialien in einen Raum geholt werden und drinnen damit gebastelt wird. Ebenso können Smartphones und Tablets genutzt werden, um Natur zu erkunden und zu entdecken. Eine Herausforderung ist es, die aktuellen Strö- mungen zu nutzen und die eigenen Erfahrungen und Methoden der Biodidak- tik in den Unterricht einzubringen. Naturerfahrungen und der Einsatz von Medien zur Naturerkundung 29 Literatur Ahlqvist, O. & Schlieder, C. (2018). Introducing geogames and geoplay: characte- rizing an emerging research fi eld. In O. Ahlqvist & C. Schlieder (Hrsg.), Geo- games and Geoplay (S. 1–18). Cham: Springer. Appleton, J. (1975). Th e experience of landscape. New York: J. Wiley & Sons. Bögeholz, S. (1999). Qualitäten primärer Naturerfahrung und ihr Zusammenhang mit Umweltwissen und Umwelthandeln. Opladen: Leske + Budrich. Bögeholz, S. & Mayer, J. (1998). 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Dittmar Graf & Gundula Zubke „Natur erleben ist wertvoller als jedes Buch“1 – zur Bedeutsamkeit von Biodiversität in der biologischen Bildung Ich habe mit Jürgen Mayer etwa 2 Jahre zusammenarbeiten dürfen, von seiner Be- rufung an die Justus-Liebig-Universität Gießen 1999 bis zu meinem Weggang an die Universität Dortmund 2001. Jürgen hat sich immer durch seine besondere Fähigkeit zur tiefgründigen und systematischen Analyse biologiedidaktischer Problemstellun- gen ausgezeichnet. Ich habe dieses Durchdringen sehr genossen und viel davon profi - tiert (Dittmar Graf). Zur Zeit von Jürgen Mayers Professur am Institut für Biologiedidaktik der JLU war ich seine wissenschaft liche Mitarbeiterin. Er betreute meine Doktorarbeit zum Th e- ma „Lebensstile und Umwelthandeln bei Jugendlichen“ und gab mir in dieser Zeit viele wichtige Impulse für meine berufl iche Tätigkeit in der Biologiedidaktik (Gun- dula Zubke). 1 Gefährdung der Biodiversität – ein Th ema auch für den Biologieunterricht Soweit man heute weiß, gab es im Verlauf der Erdgeschichte fünf globale Ka- tastrophen, die zu einem Massenaussterben von Organismen geführt haben. Alle diese Ereignisse hatten ihre Ursachen in extraterrestrischen (Einschläge von Asteroiden) und/oder geologischen (Vulkanausbrüche, Erdbeben) Phäno- menen. Das aktuelle – sechste – Massensterben dagegen wird durch das Agie- ren einer einzigen Tierart verursacht: Homo sapiens. Es ist das erste Mal in der gesamten Erdgeschichte, dass eine Spezies versucht, sich den gesamten Plane- ten untertan zu machen und zum eigenen Vorteil zu nutzen (Abb. 1). Das hat gravierende Konsequenzen: Die Aussterberate ist aktuell gegenüber der Zeit vor dem Auft reten des Menschen um den Faktor 1.000 erhöht, ein weiterer deutlicher Anstieg wird befürchtet und ist wahrscheinlich (Vos, Joppa, Gittle- man, Stephens & Pimm, 2015, Diaz et al., 2019). Schon für das Aussterben der eiszeitlichen Megafauna (Mammut, Wollnas- horn, Mastodon) vor etwa 12.000 Jahren wird der Mensch zumindest mitver- antwortlich gemacht. Schätzungen besagen, dass damals vielleicht 1–10 Mil- 1 Mayer, 2002, S. 15 34 Dittmar Graf & Gundula Zubke lionen Menschen die gesamte Erde bevölkerten (United States Census Bureau, 2018). Seitdem hat die Zahl der Individuen dramatisch zugenommen und wächst noch immer exorbitant. Für das Jahr 2024 wird erwartet, dass die Zahl der Menschen die 8-Milliarden-Marke überschreiten wird. 1974, als viele Le- serinnen und Leser dieses Beitrags schon geboren waren, lebten noch weniger als 4 Milliarden Menschen auf der Erde. Eine solche Massenvermehrung eines Großtieres, die zudem noch mit drastischen Umgestaltungen der Erdoberfl ä- che2 verbunden ist, bleibt natürlich nicht ohne Folgen für die Biosphäre und die anderen Organismenarten. Nach Schätzungen hat sich die Gesamtbiomasse der Pfl anzen durch das Handeln des Menschen halbiert (Erb et al., 2017). Die Gesamtbiomasse der Menschen ist mittlerweile fast zehn mal so hoch wie die sämtlicher wildlebenden Säugetiere. Gegenüber der Zeit vor der Dominanz des Menschen ist die Biomasse der wildlebenden Säugetiere um fünf Sechstel zu- rückgegangen. Vom Menschen gezüchtetes und gehaltenes Vieh hingegen wiegt in seiner Gesamtheit noch einmal fast doppelt so viel wie sämtliche Menschen (Bar-On et al., 2018). Aktuell sind mehr als 20 % der Säugetierarten bedroht. Seit dem Jahr 1500 sind bereits 2 % ausgestorben. Für die anderen Organismen- gruppen sieht es zum Teil noch weit schlimmer aus. Besonders einschneidend hat sich in den letzten Jahren die Situation der Korallen verschlechtert (Diaz et al., 2019). Das sind dramatische Zahlen, die verdeutlichen, wie stark der Mensch die globalen Ökosysteme bis heute verändert und geschädigt hat. Gleichzeitig nimmt die Naturferne der Menschen zu und damit sinkt – so steht zu befürchten – die Bereitschaft , sich für Naturbelange und Erhalt der Biodiversität einzusetzen (Abschnitt 2). Für den amerikanischen Bundesstaat Maine wurde errechnet, dass die Entfernung eines beliebigen Punktes auf einer Landkarte zum nächsten Wald zwischen 1992 und 2001 um 14 % zugenom- men hat (Yang & Mountrakis, 2017). Gleichzeitig leben immer größere Teile der Bevölkerung naturfern in urbanen Umwelten. Schätzungen zufolge werden weltweit Mitte des 21. Jahrhunderts zwei Drittel aller Menschen Städte be- wohnen (Schilthuizen, 2018). Jugendliche im Alter zwischen 12 und 17 Jahren nutzen mittlerweile täglich im Schnitt 166 Minuten soziale Medien (F ORSA, 2017) – selbstverständlich auch auf Kosten von Freilandaktivitäten. All diesem gilt es im Biologieunterricht Rechnung zu tragen, damit Schü- lerinnen und Schüler bzgl. des aktuellen Verlusts an Biodiversität und mögli- cher Gegenmaßnahmen sensibilisiert werden und dies deutlich eindringlicher, als es in den letzten Jahren geschehen ist. Leider ist es so, dass das Th emenfeld „Biodiversität und ihre Gefährdung“ durch Webfehler in den Bildungsstan- dards Biologie aus dem Fokus der Lehrplanentwicklung geraten ist (Graf, Wie- 2 In Deutschland waren 2016 fast 14 % der Gesamtfl äche für Siedlungs- und Ver- kehrszwecke umgestaltet (Statistisches Bundesamt, 2019). „Natur erleben ist wertvoller als jedes Buch“ 35 Abbildung 1: Comicartige Zusammenfassung der globalen Probleme, die der Mensch zu verantworten hat (eigene Darstellung vom/von Autor/in) der, Ziemek & Zubke, 2017; Abschnitt 3). Allerdings gibt es durchaus vielver- sprechende Ansätze, dieses Th ema für den Biologieunterricht aufzubereiten. So hat z. B. Jürgen Mayer bereits in den 1990er Jahren interessante und wohl- durchdachte Unterrichtsvorschläge gemacht, die heute noch Aktualität besit- zen (Abschnitt 4). 2 Biodiversität im Alltag der Lernenden – ein Th ema auch für den Biologieunterricht Biodiversität als Terminus kommt bis heute in der Alltagssprache kaum vor. So ist es nicht verwunderlich, dass Kinder und Jugendliche „Biodiversität“ in ihrer Vieldimensionalität nicht kennen, sondern mehrheitlich mit Artenviel- falt gleichsetzen (Menzel, 2007). Der Verlust von Biodiversität wird von den Lernenden zudem nicht so deutlich wahrgenommen wie andere Umweltver- änderungen. Daher ist es den Lernenden nur eingeschränkt möglich, sich der immensen Bedeutung von Biodiversität bewusst zu werden und hieraus ab- zuleiten, wie wichtig es ist, Biodiversität global und umfassend zu schützen. Eine weitere Voraussetzung für den erfolgreichen Schutz der Biodiversität ist der Besitz einer grundlegenden Arten- bzw. Formenkenntnis. Nur wenn der Rückgang von Arten und Lebensräumen bemerkt wird, wird das zunächst abs- trakte Konstrukt „Biodiversität“ auch im eigenen Umfeld nachvollziehbar. Ak- tuelle Untersuchungen belegen jedoch, dass Schülerinnen und Schüler über keine ausreichenden Formenkenntnisse verfügen (Gerl, Almer, Zahner & Neu- 36 Dittmar Graf & Gundula Zubke haus, 2018). Im Vergleich mit früheren Untersuchungen (Sanders & Zubke, 2009) zeigt sich eine Stabilisierung auf niedrigem Niveau: von den einheimi- schen Vogelarten, die per Bild gezeigt wurden, konnten weniger als die Hälf- te korrekt (zumindest auf Gattungsniveau) bestimmt werden. Ein interessan- tes Resultat solcher Studien ist, dass die Bekanntheit der Arten nicht mit ihrer Häufi gkeit korreliert (am häufi gsten wurden Amsel und Rotkehlchen korrekt benannt), so dass die Vermutung naheliegt, dass die Lernenden ihre Kenntnis- se nicht aus eigenen Beobachtungen im Freiland beziehen, sondern in erster Linie aus den Medien. Welchen Beitrag rein medienvermittelte Erfahrungen dazu leisten können, Motivation zum Schutz von Arten zu entwickeln, ist bis- lang nicht hinreichend geklärt. Die korrekte Einschätzung der Artenvielfalt gelang bei unterschiedlich ar- tenreichen Wiesenstreifen vor allem denjenigen, die über gute Pfl anzenkennt- nisse verfügten. Unabhängig von der Artenkenntnis, dem Alter und dem Geschlecht wurden jene Wiesenstreifen von zufällig vorbeikommenden Spa- ziergängern umso positiver bewertet, je höher ihre Artenvielfalt war (Junge, 2004). Eine hohe Wertschätzung pfl anzlicher Artenvielfalt lässt sich jedoch vermutlich nicht auf alle Spezies übertragen und dürft e z. B. in Bezug auf das Insektensterben (Sánchez-Bayoa & Wyckhuys, 2019) in der Bevölkerung – zu- mindest bei mangelnder Aufk lärung zur vielfältigen Bedeutung von Insekten – durchaus geteilt sein. Auch hieraus ergeben sich für den Biologieunterricht wichtige Anknüpfungspunkte dafür, ökologische Zusammenhänge und deren Auswirkungen auf den Menschen nachvollziehbar zu machen und anhand hei- mischer Kontexte zu vermitteln. 3 Begründungen für die Vermittlung des Biodiversitätskonzepts im Biologieunterricht Aus unserer Sicht ist der Th emenkomplex „Biodiversität“ in den schulischen Bildungsgängen nicht hinreichend verankert (z. B. Graf et al., 2017). Eine Sich- tung von 165 Lehrplänen der Fächer Biologie und Philosophie ergab, dass „Biodiversität“ lediglich in 15 Fällen erwähnt wurde, „Erhaltung der Biodiver- sität“ sogar nur ein einziges Mal (Böritz, 2018). Dies lässt nicht erwarten, dass schulische Bildungsprozesse entscheidend zum Schutz der Biodiversität bei- tragen werden. Dabei lassen sich Begründungen für eine verstärkte schulische Auseinandersetzung mit der Th ematik leicht fi nden bzw. drängen sich auf: 1. Ethische Begründungen: Es ist ein Gebot der Gerechtigkeit, biologische Vielfalt zu schützen. Egal ob man anthropozentrisch (Generationenge- rechtigkeit: auch unsere nachfolgenden Generationen müssen die Natur so „Natur erleben ist wertvoller als jedes Buch“ 37 nutzen können wie wir) oder physiozentrisch (Eigenrecht der Natur) ar- gumentiert, ist das Resultat immer, dass Natur und Biodiversität zu schüt- zen sind (Krebs, 1997). Schülerinnen und Schüler als zukünft ige Entschei- dungsträger sollten sich deswegen ausführlich mit Fragen des Schutzes der Biodiversität auseinandersetzen. 2. Biologische Vielfalt ist für den Menschen von Wert: Jürgen Mayer (1996) hat die Dimensionen der Wertschätzung biologischer Vielfalt systemati- siert und hat fünf Kategorien gebildet, die sämtlich zur Begründung der Behandlung im Biologieunterricht herangezogen werden können: Ökono- mie, Ökologie, Wissenschaft , Ästhetik, Rekreation. 3. Politische Vorgaben: Gemäß Art. 13a der Biodiversitätskonvention (Uni- ted Nations, 1992), die 1992 auf dem Umweltgipfel in Rio de Janeiro ver- abschiedet wurde, soll der Einbeziehung des Th emas „Biodiversität“ in Bil- dungsprogramme als Voraussetzung für ihren Schutz eine zentrale Rolle zukommen. 4. Sachlogik: Wenn man die implizit hinter den Bildungsstandards stehen- den Grundüberlegungen zu Ende denkt, kann man – wie wir – zu der Auf- fassung gelangen, dass „Biodiversität“ der Status eines Basiskonzepts zu- kommt (Argumentationsgang bei Graf et al., 2017). Auf der Grundlage der Basiskonzepte sollen Lernende bekanntlich Inhalte systematisieren und da- mit ein grundlegendes, vernetztes Wissen erwerben. Unseres Erachtens er- gibt sich nur bei Einbeziehung von „Biodiversität“ ein schlüssiges Kon- strukt, das die gesamte Biologie sinnvoll repräsentiert (Abb.  2). Dar aus ergibt sich die deutliche Aufwertung des Th emas im Biologieunterricht. Zur Konkretisierung dieses Ansatzes existiert auch ein Vorschlag zu Stan- dards, die im Basiskonzept „Biodiversität“ erreicht werden sollten (Graf et al., 2017). Die Einbeziehung des vierten Basiskonzepts „Biodiversität“ in die Bildungs- standards schließt direkt an einen Argumentationsgang Jürgen Mayers an, der bereits Anfang der 90er Jahre in einer Delphi-Studie feststellte, dass „die Ver- mittlung von Formenkenntnis als themenübergreifende Aufgabe des Biologie- unterrichts angesehen werden [muss]“ (Mayer, 1992, S.  237). Ein Basiskon- zept „Biodiversität“ würde dieser Forderung gerecht werden und könnte eine wichtige Voraussetzung zum Schutz von Biodiversität sein. Mayer leitet als Ziel von „biodiversity education“ hinsichtlich des Erhalts von Vielfalt ab, „Kinder und Jugendliche zu befähigen und zu motivieren, ihre Verantwortung im Be- reich individuellen und gesellschaft lichen Umwelthandelns ... wahrzunehmen“ ( Mayer, 1996, S. 31). Um es deutlich zum Ausdruck zu bringen: Ohne entspre- chende curriculare Verankerung wird dieses Ziel illusorisch bleiben. 38 Dittmar Graf & Gundula Zubke Abbildung 2: Basiskonzepte als vierdimensionales Koordinatensystem (mit „Entwicklung“ als Zeitdimension und den senkrecht zueinander stehenden „Raum“-Achsen „System“, „Struktur und Funktion“ und „Biodiversität“), die einem zukünft igen Biologieunterricht zugrunde liegen sollten (Graf et al., 2017, S. 12) 4 Wie kann „Biodiversität“ im Biologieunterricht vermittelt werden? Eine umfassende Vorstellung vom Biodiversitätskonzept im Unterricht zu ver- mitteln, ist eine große Herausforderung. Lässt sich die Ebene der Artenviel- falt und ihre Bedeutung vergleichsweise einfach thematisieren, wird es bei der Lebensraumvielfalt und insbesondere der genetischen Vielfalt deutlich an- spruchsvoller, Biologieunterricht kompetenzorientiert zu gestalten. Neben der fachlichen spielt bei der Auswahl von Th emen und Methoden die ethi- sche Komplexität des Th emas „Biodiversität“ eine entscheidende Rolle. Aus den Ergebnissen der bisherigen empirischen Studien zum Th ema „Biodiversi- tät“ (s. o.) kann eine Reihe von Empfehlungen für schulische und außerschuli- sche Bildungsprozesse abgeleitet werden: 1. Die Förderung von Formenkenntnis ist besonders erfolgreich, wenn Orga- nismen direkt in der Natur beobachtet und bestimmt werden (u. a. Gerl et al., 2018). Neben den etablierten analogen Bestimmungshilfen bieten sich aktuell hierfür diverse Apps an: für Pfl anzen z. B. Flora Incognita, für be- stimmte Organismengruppen ID-Logics (Muscheln und Schnecken, Früh- blüher, Hummeln) oder Eikes Baumschule bzw. Bestimmungshilfen auf KI- Basis, wie Google Lens, Plantnet, Naturblick oder Plant-Snap. Interessant ist auch die Möglichkeit, den Routen von Tierindividuen mit der App Animal- Tracker zu folgen. 2. Der Erwerb von Formenkenntnis sollte mit dem Erwerb wissenschaft sme- thodischer Kenntnisse (Erfassungsmethoden, Monitoring etc.) kombiniert werden. Citizen-Science-Projekte, wie z. B. die „Stunde der Gartenvögel“, „Natur erleben ist wertvoller als jedes Buch“ 39 bieten Lernenden Gelegenheit, einen Beitrag zur Erfassung der (lokalen) Biodiversität zu leisten. Leider sind derartige Projekte gelegentlich kurzle- big, wie z. B. Evolution Megalab zur Vielfalt von Schnirkelschnecken. 3. Um die Gefährdung von Biodiversität nachvollziehen zu können, muss auch die zeitliche Dimension der Entwicklung von Biodiversität und der Einfl uss des Menschen auf diese thematisiert werden, z. B. das „Gummibär- chen-Modell“ zur Veranschaulichung ökologischer Indices und von Ent- wicklungen von Lebensgemeinschaft en (Schulz & Sachs, 2011). 4. Die Ebene der genetischen Vielfalt lässt sich am Th ema „Agro-Biodiversi- tät“ bearbeiten (z. B. BMU, 2017). Die Gefährdung bzw. das Verschwinden zahlreicher Nutzpfl anzensorten und Nutztierrassen zeigt in Verbindung mit dem Klimawandel sehr anschaulich die Problematik eines abnehmen- den Genpools. Gerade hierin liegt ein großes Potential für Verbindungen zu anderen biologischen Th emen (wie z. B. Evolution). 5. Schulgartenprojekte bieten sich an, wenn Lernende Biodiversität auch sinn- lich erfahren sollen (z. B. bei Bohnen- oder Tomatensorten). Darüber hi- naus kann Schulgartenarbeit einen Beitrag zur Wertschätzung von Bio- diversität leisten (Murr & Retzlaff -Fürst, 2015) und zur nachhaltigen Nutzung von Biodiversität anregen (Sommer & Mayer, 2001). In letzter Konsequenz zielen Bildungsprozesse zur „Biodiversität“ darauf ab, Lernende auf der Grundlage fachlicher Kompetenzen zum sachgerechten Han- deln für den Erhalt der Biodiversität zu motivieren und zu befähigen. Daher enden wir mit einem Zitat von Jürgen Mayer von 2002, das in Bezug auf die biologische Bildung nichts an Aktualität verloren hat: „Nur wenn Erfahrungen vermittelt werden, die über die pädagogische Situ- ation hinaus Bedeutung haben, können diese dauerhaft im Alltagsleben wir- ken.“ (Mayer, 2002, S. 15). Literatur Bar-On, Y.M., Phillips, R. & Milo, R. (2018). Th e biomass distribution on Earth. – PNAS, 115(25), 6506–6511. https://doi.org/10.1073/pnas.1711842115. BMU (Hrsg.) (2017). Äpfel und ihre Sortenvielfalt. Abgerufen am 28.05.2019 von: http://www.umwelt-im-unterricht.de/unterrichtsvorschlaege/aepfel-und-ihre- sortenvielfalt/ Böritz, C. (2018). Quantität und Qualität von Unterrichtsmaterialien zum Th ema Erhaltung der Biodiversität. In BfN (Hrsg.), Treff punkt Biologische Vielfalt XVI (S. 96–99). 40 Dittmar Graf & Gundula Zubke Diaz, S., Settele, J., Brondízio, E., Ngo, H., Guèze, M., Agard, J., Arneth, A., Bal- vanera, P., Brauman, K., Butchart, S., Chan, K., Garibaldi, L., Ichii, K., Liu, J., Subrmanian, S., Midgley, G., Miloslavich, P., Molnár, Z., Obura, D., Pfaff , A., Polasky, S., Purvis, A., Razzaque, J., Reyers, B., Chowdhury, R., Shin, Y., Vis- seren-Hamakers, I., Wilis, K. & Zayas, C. (2019). Summary for policymakers of the global assessment report on biodiversity and ecosystem services of the In- tergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services. Advance Unedited Version. Erb, K.-H., Kastner, T., Plutzar, C., Bais, A.L.S., Carvalhais, N., Fetzel T., Gingrich, T., Haberl, H., Lauk, C., Niedertscheider, M., Pongratz, J., Th urner, M. & Luys- saert, S. (2017). Unexpectedly large impact of forest management and grazing on global vegetation biomass. 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PLoS ONE, 12(2): e0171383. https://doi.org/10.1371/ journal.pone.0171383 Claudia Wulff & Rita Wodzinski Bildung für nachhaltige Entwicklung lehren und lernen – Schritte auf dem Weg zu einer Transformation der Lehramtsausbildung Noch bevor auf der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwick- lung in Rio de Janeiro 1992 die Grundlage für das Konzept der Bildung für nachhal- tige Entwicklung (BNE) gelegt wurde, stellte Jürgen Mayer im Vorwort zur Veröff ent- lichung seiner Dissertation die Frage: „Welche formenkundlichen Inhalte sind für den Einzelnen und die Gesellschaft heute und in naher Zukunft sinnvoll und pädagogisch wünschenswert?“. Er markierte damit innerhalb seines damaligen fachdidaktischen Schwerpunkts bereits die großen Th emen der BNE, nämlich Globalität und Intergene- rationalität. Dieser Weitblick ist kennzeichnend für Jürgen Mayer und ist auch Basis für unsere Zusammenarbeit an den fachübergreifenden BNE-Projekten der Univer- sität Kassel. Sein unermüdlicher Einsatz für eine Lehrer*innenbildung, die moder- nen Ansprüchen genügt, seine Off enheit zur fachübergreifenden Zusammenarbeit so- wie seine stets freundliche und unterstützende Kollegialität haben sein Wirken an der Universität Kassel und weit darüber hinaus in hohem Maße geprägt. 1 Das Weltaktionsprogramm: BNE vom Projekt in die Struktur bringen Das Th ema Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) gewann durch die gleichlautende UN-Dekade von 2005 bis 2014 erkennbar an Bedeutung, nicht nur in Schulen, sondern auch in der Lehrer*innenbildung. Das sich anschlie- ßende UNESCO-Weltaktionsprogramm Bildung für nachhaltige Entwicklung (WAP) sollte die Impulse der Dekade in den Jahren 2015–2019 weiterführen. Während sich die UN-Dekade zum Ziel gesetzt hatte, eine Stärkung verschie- dener Angebote zur BNE in allen Bildungsbereichen zu erreichen, strebte das Weltaktionsprogramm an, „langfristig eine systemische Veränderung des Bil- dungssystems zu bewirken und Bildung für nachhaltige Entwicklung vom Pro- jekt in die Struktur zu bringen“ (www.bne-portal.de, Zugriff am 26.02.2020). Bezogen auf die Lehramtsausbildung wird im Weltaktionsprogramm u. a. fol- gendes Ziel genannt: 44 Claudia Wulff & Rita Wodzinski „Ganzheitliche Transformation von Lern- und Lehrumgebungen: Die Nachhaltig- keitsprinzipien von BNE sollen in sämtlichen Bildungs- und Ausbildungskontex- ten verankert werden“ (www.bne-portal.de, Zugriff am 26.02.2020, Hervorhebung durch die Autorinnen). Dieses Ziel ist auch im Jahr 2020 nicht erreicht. Auf allen Ebenen der Bil- dungslandschaft wurden Rahmenprogramme, Curricula, Veranstaltungsfor- mate und Materialien zu BNE entwickelt und implementiert. Eine systemati- sche Veränderung und eine alle Ebenen durchziehende Integration von BNE in die Lehrer*innenbildung, insbesondere auch im Sinne der Schaff ung fächer- übergreifender Strukturen, sind aber an den meisten Universitäten nur ansatz- weise vorhanden (Rieckmann & Holz, 2017). Es bleibt zu hoff en, dass die ge- sellschaft lichen Impulse, die seit 2019 von der Fridays-for-Future-Bewegung ausgehen, auch der Transformation der Lehramtsausbildung im Sinne des Weltaktionsprogramms BNE eine neue Dringlichkeit geben. Allerdings dürfen die damit verbundenen Herausforderungen nicht unterschätzt werden. Auch wenn das Konzept der Nachhaltigkeit selbst leicht zu fassen ist, gilt dies für die Bildung für nachhaltige Entwicklung nicht. BNE als Leitbild für Unterricht erfordert aufgrund der hohen Komplexität und der Interdiszipli- narität der Th emen eine veränderte Lehrer*innenbildung. Neben einer hohen Fach- und Refl exionskompetenz ist auch die Ausbildung personaler und so- zialer Kompetenzen von Bedeutung. Aspekte der Wertebildung spielen für die eigene Kompetenzentwicklung, aber auch die der Schülerinnen und Schüler eine deutlich größere Rolle als bisher üblich. In einer Delphistudie untersuch- ten Hellberg-Rode und Schrüfer (2016), welches Professionswissen und welche Kompetenzen Lehrkräft e benötigen, um BNE umzusetzen. Als wichtigste unter den personalen und sozialen Kompetenzen für das BNE-Lehren und Lernen wurde von über 60 % der Befragten die Fähigkeit zu Empathie und zum Pers- pektivwechsel genannt. Im Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globa- le Entwicklung wird Perspektivwechsel und Empathie als Kernkompetenz im Bereich Bewerten beschrieben: „Schülerinnen und Schüler können sich eigene und fremde Wertorientierungen in ihrer Bedeutung für die Lebensgestaltung bewusst machen, würdigen und refl ektieren“ (KMK, BMZ & Engagement Glo- bal, 2016, S. 95). Die Fähigkeit zum Perspektivwechsel einzuüben ist also ein wichtiges Ziel der BNE-bezogenen Lehrer*innenbildung. An der Universität Kassel hat sich bereits vor einigen Jahren eine Arbeits- gruppe unter dem Dach des Zentrums für Lehrer*innenbildung zusammen- gefunden, die sich zum Ziel gesetzt hat, das Th ema BNE stärker strukturell in der Lehramtsausbildung zu verankern (Christoforatou, 2016). Seit 2019 ist das Vorhaben in das Projekt PRONET² integriert, das im Rahmen der Quali- tätsoff ensive Lehrerbildung an der Universität Kassel durchgeführt wird. Ziel Bildung für nachhaltige Entwicklung lehren und lernen 45 des Teilprojekts „Strukturelle und inhaltliche Implementierung von Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) und Internationalisierung in die Lehrerbil- dung“ ist einerseits die Entwicklung innovativer Lehrveranstaltungen zu BNE/ globalem Lernen und die Schaff ung eines kohärenten fächerübergreifenden Lehrangebots und andererseits die strukturelle Verankerung des Th emas BNE über ein Studienprofi l, das mit dem Schwerpunkt Internationalisierung die Lü- cke zwischen einer vernetzten globalisierten Welt und der bisher stark auf na- tionale Bedingungen ausgerichteten Lehramtsausbildung schließt. Im Folgenden sollen auf Basis der im bisherigen Prozess gesammelten Er- fahrungen die spezifi schen Schwierigkeiten der Integration des Th emas BNE in die Lehrer*innenbildung diskutiert werden. Dabei soll deutlich werden, dass dieser Prozess nicht abgeschlossen ist, sondern auch weiterhin auf einen kon- struktiv-kritischen Diskurs angewiesen ist. 2 Interdisziplinär und handlungsorientiert studieren: die Zertifi katsstudiengänge in Hildesheim und Koblenz In den letzten Jahren wurden an einigen Universitäten Studiengänge und Querschnittsstudienprofi le eingerichtet, die eine intensive Auseinandersetzung mit dem Th ema BNE ermöglichen. Allen Studiengängen ist gemeinsam, dass sie fachübergreifend und handlungs- oder projektorientiert angelegt sind. Da- rüber hinaus unterscheiden sich die Strukturen in Bezug auf Off enheit hin- sichtlich der Teilnehmenden und der Veranstaltungsangebote sowie hinsicht- lich der Vernetzung mit außeruniversitären Partnern. Beispielhaft werden im Folgenden die Programme der Universität Hildesheim und Koblenz-Landau vorgestellt. Die fachbereichsübergreifende Initiative „Nachhaltigkeit und Bildung“ der Universität Hildesheim wurde 2012 gegründet. An der Initiative beteiligt sind verschiedene Fachrichtungen (Biologie, Chemie, Geografi e, Grundschul- didaktik, Sachunterricht, Englisch, Betriebswirtschaft , Wirtschaft sinformatik) aus allen Lehramtsstudiengängen. Das studienbegleitende Zertifi katsstudium im Umfang von 18 Leistungspunkten startete kurz darauf im Wintersemester 2013/14. In vier Modulen werden spezifi sch ausgewiesene Veranstaltungen be- sucht, die sich zum Teil mit dem Regelstudium überschneiden können, sowie ein dreiwöchiges Projekt geplant und durchgeführt. Im Rahmen des Studiums wird zusätzlich eine schrift liche Hausarbeit angefertigt. Während des Studiums stehen von den Studierenden selbst gewählte Dozentinnen und Dozenten als Mentorinnen und Mentoren beratend zur Verfügung. Das Studium schließt mit einem Zertifi kat ab (Stift ung Universität Hildesheim, 2020). 46 Claudia Wulff & Rita Wodzinski An der Universität Koblenz-Landau am Standort Landau wurde zum Win- tersemester 2016/17 das Zertifi kat Bildung – Transformation – Nachhaltig- keit (BTN) eingeführt. Es richtet sich an Lehramtsstudierende aller Fächer und Schulformen. Es wird getragen von einer Arbeitsgruppe, die an die Ab- teilung Chemiedidaktik angebunden ist. Das Zertifi kat umfasst vier Semina- re und zwei ganztägige Einzelveranstaltungen, die in zwei Semestern parallel zum Regelstudium besucht werden können. Das Konzept ist geschlossener als in anderen vergleichbaren Projekten. Die Veranstaltungen sind (außer einer öff entlichen Ringvorlesung) spezifi sch für die teilnehmenden Studierenden entwickelt. Neben den fachübergreifenden Inhalten der drei Grundlagenver- anstaltungen wird großer Wert auf die Vernetzung mit schulischen und außer- schulischen Akteuren und Partnern und eine hohe Gestaltungsfreiheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Sinne eines partizipatorischen Ansat- zes gelegt. Inklusion wird als wichtiges Th ema von Anfang an einbezogen. Ein Ziel ist es, „dass sich die Absolventinnen und Absolventen des Zertifi kats ihrer Verantwortung und Rolle in Bezug auf die notwendige Transformation hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft bewusst werden“ (Risch, Blöcher, Holfelder, Schehl & Weinberger, 2017, S. 12). 3 Auf dem Weg zum Studienprofi l InterESD der Universität Kassel – Herausforderungen einer fachübergreifenden Konzeption An der Universität Kassel bildete sich 2013 anlässlich einer Exkursion zur Ver- leihung des Right Livelihood Awards in Stockholm eine interdisziplinär besetz- te Arbeitsgruppe des Zentrums für Lehrer*innenbildung (ZLB), die sich zum Ziel setzte, das Th ema BNE im Lehramtsstudium in Kassel zu verankern und dies zusätzlich als Chance zur Internationalisierung der Lehramtsausbildung zu nutzen (Wodzinski, Wulff , Ziepprecht, Christoforatou & Kohlmann, 2020). Durch eine individuelle und das Studium vertiefende Schwerpunktsetzung auf Basis eigener Fragen will das Studienprofi l auch ein Gegenentwurf zu einem oft von den Studierenden beklagten „Bulimie-Lernen“ sein. Nach längeren konzeptionellen Diskussionen wurde schließlich im Wintersemester 2018/19 das Studienprofi l InterESD (Internationalization and Education for Sustainable Development) eingeführt. Kerngedanke des Studienprofi ls ist es, Lehramtsstudierenden aller Fächer die Möglichkeit zu bieten, das Th ema BNE im Rahmen ihres regulären Stu- diums gezielt zu vertiefen und über Praktika und Studienaufenthalte im In- und Ausland Erfahrungen mit dem Th ema BNE und dessen Umsetzung in Bildung für nachhaltige Entwicklung lehren und lernen 47 Schule und Unterricht zu sammeln. Dabei werden sie durch Mentorinnen und Mentoren beraten und begleitet. Das Studienprofi l umfasst insgesamt drei Mo- dule, in denen zusammen mindestens zehn Leistungspunkte erbracht werden. Diese können – ähnlich wie im Hildesheimer Konzept – überwiegend in Ver- anstaltungen erworben werden, die die Studierenden in ihrem regulären Stu- dium absolvieren. So kann z. B. ein Auslandspraktikum mit Schwerpunkt BNE als Schulpraktikum anerkannt werden. Die off ene Struktur ermöglicht es Stu- dierenden, das Studienprofi l ohne einen zu großen Zusatzaufwand zu absol- vieren. Gleichzeitig wird auf diese Weise über die Teilnehmenden des Studien- profi ls das Th ema BNE in die Breite der Studierendenschaft getragen. Diese Off enheit ist aber auch ein Nachteil, da die Teilnehmenden des Studienprofi ls sich weniger als gemeinsame Lerngruppe verstehen und damit auch der regel- mäßige Austausch fehlt. 3.1 Umgang mit unterschiedlichen Fachkulturen Die Konzeption und Implementierung des Studienprofi ls war ein sehr langer Prozess, der neben wertvollen inhaltlichen Diskussionen auch mit mühsamen Klärungen und konzeptioneller Abstimmung verknüpft war. Häufi g wurden unterschiedliche Perspektiven auf das Vorhaben deutlich, die zum Teil durch die jeweiligen Fachkulturen der Akteurinnen und Akteure geprägt waren, so dass ein ‚Übersetzungsprozess‘ nötig war, der sich im Sinne einer kohärenten Lehrer*innenbildung zwar als sehr fruchtbar, aber auch als sehr zeitaufwändig erwies. Die Diskussionen berührten neben dem Verständnis von BNE oft auch grundsätzliche Unterschiede der fachbezogenen Studienstrukturen: Während die naturwissenschaft lichen Fächer eine relativ festgelegte Studienordnung mit wenig Freiheit für die Implementierung neuer Veranstaltungen besitzen, sind die Gestaltungsspielräume in den geistes- und bildungswissenschaft lichen Stu- diengängen deutlich größer. Um diesem Umstand gerecht zu werden, können Studierende sich Lehrveranstaltungen im Studienprofi l auch anteilig anrech- nen lassen, wenn sie z. B. in einem naturwissenschaft lichen Seminar ein Re- feratsthema mit besonderem Fokus auf BNE bearbeiten. Die Einführung des Studienprofi ls führte aber auch zur Konzeption neuer, fachübergreifender Ver- anstaltungen (s. u.), die das Studienangebot für alle Studierenden erweitern und den Blick über das eigene Fach hinaus ermöglichen. 48 Claudia Wulff & Rita Wodzinski 3.2 Internationalisierung und BNE Mit dem Studienprofi l sollten von Beginn an zwei Zielrichtungen verfolgt wer- den: die Implementierung von BNE und die Internationalisierung der Leh- rer*innenbildung. Allen Akteurinnen und Akteuren war der Zusammenhang dieser beiden Th emen bewusst, aber bei der Konkretisierung des Studienpro- fi ls stellten sich die Fragen schärfer: Sind Auslandserfahrungen für den so zen- tralen (s. o.) angestrebten Perspektivwechsel wirklich obligatorisch? Sollte den Studierenden ein Auslandsaufenthalt nahegelegt werden, auch wenn dabei die CO2-Belastung des Klimas durch Flüge in Kauf genommen wird? Ein Perspektivwechsel erfordert Identifi kation und eigene Betroff enheit. Dies ist gerade in Bezug auf die globalen Realitäten, die oft sehr weit von der eigenen Lebenswirklichkeit entfernt sind, eine schwierige Aufgabe. Ist es unbe- dingt notwendig, einen direkten persönlichen Kontakt zu Menschen anderer Länder herzustellen? Eine mögliche Antwort auf diese Frage gibt eine Inter- view-Studie von Asbrand und Martens (2013), die verschiedene Gruppen von Jugendlichen in der Oberstufe befragten, die unterschiedliche Erfahrungen im Globalen Lernen hatten. Es stellte sich heraus, dass nicht diejenigen, die im Rahmen einer Schulpartnerschaft eine gewisse Zeit in Familien in Westafri- ka verbracht hatten, die größten Fähigkeiten zur Perspektivübernahme hatten, sondern die Mitglieder einer Gruppe von Schülerinnen und Schülern, die im Rahmen einer Schülerfi rma einen Weltladen betrieben und in diesem Zusam- menhang entwicklungspolitische Arbeit leisteten. Sie konnten sich durch ihre intensive Beschäft igung mit sozialen, politischen und kulturellen Kontexten anderer Jugendlicher mit diesen identifi zieren. Die AG entschied sich letztlich für einen Kompromiss: Auslandserfahrun- gen werden unter den Teilnehmenden des Studienprofi ls explizit beworben, aber den Studierenden wird nahegelegt, den Auslandsaufenthalt so zu gestal- ten, dass ihre Erfahrungen möglichst vielfältig nutzbar gemacht werden kön- nen. Eine Verpfl ichtung für eine Auslandsreise besteht nicht. Alternativ kön- nen z. B. auch praktische Erfahrungen mit NGOs oder anderen Institutionen und Gruppierungen gesammelt werden, die einen Perspektivwechsel mit Blick auf andere Lebensbedingungen in der Welt ermöglichen. Bildung für nachhaltige Entwicklung lehren und lernen 49 3.3 Wertebildung und Objektivität Einen weiteren zentralen Diskussionspunkt bei der Konzeption des Studien- profi ls stellte das Dilemma zwischen einer wertebezogenen BNE („Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“) und dem wissenschaft lichen Anspruch der Universität an Objektivität dar. Nimmt man die SDGs als Grundlage für eine Bildung für nachhaltige Entwicklung, tritt dies besonders zu Tage. In der poli- tischen Bildung wird diese Kontroverse zum Indoktrinationsverbot und zum Beutelsbacher Konsens seit längerem intensiv geführt (Wehling, 1977; Salo- mon, 2016). Während sich in der politischen Bildung Lehrerinnen und Lehrer „begründet politisch für demokratische Werte positionieren“ sollten (Emde, 2017, S. 248), stehen in der naturwissenschaft lichen Bildung die objektive Be- schreibung und Benennung von Prozessen im Vordergrund. Selbst im Kom- petenzbereich Bewertung der naturwissenschaft lichen Fächer geht es in erster Linie um die Frage, wie man ein Werturteil begründet fällen kann, aber nicht welches Werturteil Lehrerinnen und Lehrer und Schülerinnen und Schüler fäl- len sollten. BNE dagegen orientiert sich an klaren Werten und fordert ein En- gagement für ein Handeln in der Welt, das mit den Zielen nachhaltiger Ent- wicklung vereinbar ist. Dass Lehrkräft e selbst an diesem Anspruch gemessen werden, stellt eine weitere Herausforderung dar. Das Studienprofi l soll Mög- lichkeiten bieten, ein Bewusstsein für dieses Dilemma zu schaff en. Dozieren- de wie Lehrkräft e sollen ihre eigenen Positionen und ihre eigenen Dilemma- ta nicht verbergen. „Geboten ist vielmehr, die eigene politische Position für die Schülerinnen und Schüler transparent off enzulegen und sie in allen Lehr- und Lernsituationen mitzudenken“ (Emde, 2017, S. 248). 4 Neue Veranstaltungsformate für die Bildung für nachhaltige Entwicklung Lange vor dem Start des Studienprofi ls wurden bereits in der Didaktik der politischen Bildung und der Biologie Veranstaltungen angeboten, in denen Studierende das Th ema BNE in Verbindung mit besonderen Methoden wie z. B. Stadtrundgängen und Exkursionen zu außerschulischen Lernorten be- arbeiten (Bade, 2017; Lochner & Hethke, 2017; Wulff , Lorenzana & Meier, 2015). Die Konzeption des Studienprofi ls führte zur Weiterentwicklung dieser Ansätze und zu neuen Veranstaltungsformaten. 50 Claudia Wulff & Rita Wodzinski 4.1 Verstärkung der Interdisziplinarität der Vorlesung BNE Im Rahmen des bildungswissenschaft lichen Kernstudiums wird seit vielen Jah- ren eine Vorlesung „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ angeboten, die von der Didaktik der politischen Bildung verantwortet wird. Sie wurde im Laufe der Zeit ergänzt durch weitere Fachperspektiven. Z.T. wurden Stipendiatinnen und Stipendiaten des Right Livelihood Awards als Gastreferentinnen und Gast- referenten eingeladen. Seit drei Jahren enthält die Vorlesung einen Th emen- block zum Th ema Klimawandel und Biodiversität, der die naturwissenschaft - liche Sicht auf das Th ema BNE akzentuiert. Dieser Teil wird im Teamteaching fachübergreifend von der Physik- und Biologiedidaktik umgesetzt. 4.2 BNE in Schulpraktika Seit 2016 wird das Th ema BNE verstärkt auch in den Schulpraktika verankert. Dazu wurde ein Projekt initiiert, das Studierenden anhand des Th emas BNE eine „verdichtete Praxiserfahrung in der Schule ermöglichen“ soll (Kohlmann & Overwien, 2017, S. 27). Im Rahmen eines Seminars in Zusammenarbeit mit dem außerschulischen Lernort Tropengewächshaus in Witzenhausen werden Studierende zunächst mit den Grundlagen der nachhaltigen Entwicklung ver- traut gemacht, um dann Unterrichtsentwürfe zu entwickeln, die sie im Rah- men ihrer Schulpraktischen Studien umsetzen. Ursprünglich entwickelt für Studierende der politischen Bildung, hat sich das Konzept inzwischen erwei- tert und bezieht Lehramtsstudierende der Biologie und Physik mit ein. Mit Hilfe von Kleingruppen aus verschiedenen Fachgebieten lernen die Studieren- den fachübergreifend zu arbeiten und die Perspektiven verschiedener Fachge- biete in einem Unterrichtsentwurf zu integrieren. 4.3 BNE vernetzt zwischen Biologie und Physik In der Entwicklung befi ndet sich zusätzlich ein fachübergreifendes BNE-Semi- nar in Kooperation der Physik- und Biologiedidaktik, das seinen Fokus insbe- sondere auf die Retinität, also die Vernetzung der Bereiche Umwelt, Wirtschaft und Soziales, und das systemische Denken als zentrale Herausforderungen im BNE-Lehren und Lernen (vgl. Fanta, Bräutigam, Greiff & Rieß, 2017) auf al- len Ebenen der Unterrichtsplanung legt. Hier soll sowohl innerfachlich, fach- didaktisch und methodisch Vernetzung als Grundprinzip der Nachhaltigkeit eingeübt als auch, im Austausch mit Vertreter*innen einer anderen Fachper- Bildung für nachhaltige Entwicklung lehren und lernen 51 spektive, die jeweils eigenen und anderen Denkmodelle erkannt und hierbei ein Perspektivwechsel vollzogen werden. Das Seminar startet in den ersten Sit- zungen innerhalb der jeweiligen Fachdidaktik und wird dann nach dem ersten Drittel des Semesters zusammengeführt mit dem Ziel, dass sich Kleingruppen aus Physik- und Biologiestudierenden bilden, die gemeinsam einen Unter- richtsentwurf bzw. ein Unterrichtsprojekt erstellen und ggf. auch mit Schüle- rinnen und Schülern durchführen. Es hat sich gezeigt, dass Studierende ein ex- plizit fachverbindendes und fachübergreifendes Vorgehen als Gewinn erleben, dass diese Art der Kooperation jedoch auch eingeübt werden muss. 5 Schluss Alle diese fachübergreifend vernetzten Veranstaltungsformate wurden von der interdisziplinären Arbeit im Studienprofi l angeregt und sind Teil des Angebots für die Studierenden von InterESD. Abschließend lässt sich zusammenfassen: Der Weg, den wir an der Universität Kassel bei der Entwicklung des Studien- profi ls gegangen sind und, mit der Vision des Weltaktionsprogramms im Blick, weiter gehen, erfordert auch von den Mitgliedern der Arbeitsgruppe, die das Studienprofi l entwickelt haben und begleiten, genau die Kompetenzen, die wir im Rahmen des BNE-Lehrens und Lernens fördern wollen – interdisziplinäre Off enheit, Perspektivübernahme von Standpunkten aus anderen Fachgebieten und systemisches Denken. Die Geduld und Mühe hat sich gelohnt und lohnt sich weiter! Anmerkung Das diesem Artikel zugrundeliegende Vorhaben wurde im Rahmen der ge- meinsamen „Qualitätsoff ensive Lehrerbildung“ von Bund und Ländern mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter den Förder- kennzeichen 01JA1505 und 01JA1805 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröff entlichung liegt bei den Autorinnen. Literatur Asbrand, B. & Martens, M. (2013). Qualitative Kompetenzforschung im Lernbe- reich Globale Entwicklung: Das Beispiel Perspektivenübernahme. In B. Over- wien & H. Rode (Hrsg.), Bildung für Nachhaltige Entwicklung. Lebenslanges Lernen, Kompetenz und gesellschaft liche Teilhabe (S.  47–67). Schrift enreihe Ökologie und Erziehungswissenschaft der Kommission Bildung für nachhaltige Entwicklung der DGfE. Toronto: Barbara Budrich. 52 Claudia Wulff & Rita Wodzinski Bade, G. (2017). Mit konsumkritischen Stadtrundgängen die Welt verändern? Di- daktische Überlegungen für Globales Lernen in der Innenstadt am Beispiel des konsumkritischen Stadtrundganges in Kassel. In O. Emde, U. Jakubczyk, B. Kappes & B. Overwien (Hrsg.), Mit Bildung die Welt verändern? Globales Ler- nen für eine nachhaltige Entwicklung (S. 291–294). Schrift enreihe Ökologie und Erziehungswissenschaft der Kommission Bildung für nachhaltige Entwicklung der DGfE. Toronto: Barbara Budrich. Christoforatou, E. (Hrsg.) (2016). Education in a Globalized World. Teaching Right Livelihood. Immenhausen: Prolog. Deutsche UNESCO-Kommission & Bundesministerium für Bildung und Forschung (2020). UNESCO Weltaktionsprogramm: Bildung für nachhaltige Entwicklung. Abgerufen am 26.03.2020 von: https://www.bne-portal.de/de/weltaktionspro gramm-international-1730.html. Emde, O. (2017). Stadtrundgänge zwischen Politischer Bildung und politischer Ak- tion. In O. Emde, U. Jakubczyk, B. Kappes & B. Overwien (Hrsg.), Mit Bildung die Welt verändern? Globales Lernen für eine nachhaltige Entwicklung (S. 243– 264). Schrift enreihe Ökologie und Erziehungswissenschaft der Kommission Bildung für nachhaltige Entwicklung der DGfE. Toronto: Barbara Budrich. Fanta, D., Bräutigam, J., Greiff , S. & Rieß, W. (2017). Entwicklung und Validierung eines Messinstrumentes zur Erfassung von systemischem Denken bei Lehr- amtsstudierenden in ökologischen Kontexten. ZfDN, 23, 241–259. https://doi. org/10.1007/s40573-017-0067-2. Hellberg-Rode, G. & Schrüfer, G. (2016). Welche spezifi schen professionellen Hand lungskompetenzen benötigen Lehrkräft e für die Umsetzung von Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE)? Biologie Lehren und Lernen – Zeitschrift für Didaktik der Biologie, 1–29. https://doi.org/10.4119/zdb-1633. KMK, BMZ & Engagement Global (Hrsg.) (2016). Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung (2. Aufl age). Bonn: Cornelsen. Kohlmann, E.-M. & Overwien, B. (2017). 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Konzept und Praxis des Zertifi kats „Bildung – Transformation – Nachhaltigkeit (BTN)“. BNE in der Lehrerbildung. Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik, 40(3), 11–17. Bildung für nachhaltige Entwicklung lehren und lernen 53 Salomon, D. (2016). Konsens und Dissens. Von Beutelsbach nach Heppenheim? In: Widmaier, B. & Zorn, P. (Hrsg.), Brauchen wir den Beutelsbacher Konsens noch? Eine Debatte der politischen Bildung (S. 285–293). Bonn: bpb. Stift ung Universität Hildesheim (2020). Das Zertifi kat. Abgerufen am 26.03.2020 von: www.uni-hildesheim.de/fb 4/institute/biologie/abteilung-chemie/studium- lehre/zertifi kat-nachhaltigkeit-und-entwicklung/ Wehling, H.-G. (1977). Konsens à la Beutelsbach? Nachlese zu einem Expertenge- spräch. In: S. Schiele & H. Schneider (Hrsg.), Das Konsensproblem in der po- litischen Bildung. Anmerkungen und Argumente (S. 173–184). Stuttgart: Ernst Klett. Wodzinski, R., Wulff , C., Ziepprecht, K., Christoforatou, E. & Kohlmann, E. (2020). Das interdisziplinäre Studienprofi l InterESD mit Fokus auf BNE. In S. Habig (Hrsg.), Naturwissenschaft liche Kompetenzen in der Gesellschaft von morgen (S. 254–257). GDCP Tagungsband 2019. Wulff , C., Lorenzana, E. & Meier, M. (2015). Forschen im Freiland. Lehr-/Lernpro- jekte der Experimentier-Werkstatt Biologie FLOX der Universität Kassel. In D. Karpa, G. Lübbecke & B. Adam (Hrsg.), Außerschulische Lernorte. Th eorie, Praxis und Erforschung außerschulischer Lerngelegenheiten (S.  60–69). Th eorie und Praxis der Schulpädagogik Bd. 31. Immenhausen: Prolog Verlag. Sandra Sprenger Von der Erkenntnisgewinnung zur Bildung für nachhaltige Entwicklung – eine fächerverbindende Perspektive zweier fachdidaktischer Konzepte Eine akademische Karriere ist wie eine spannende und manchmal sehr anstrengen- de Reise. Die Tätigkeit als studentische Hilfskraft am Institut für Biologiedidaktik und dem damit verbundenen Einblick in Forschungsprojekte führten mich zu mei- nem großen Interesse an fachdidaktischen Fragestellungen. Nach dem Referendariat ging die Reise in Ihre Arbeitsgruppe, um Forschendes Lernen und Experimentieren in der Fachdidaktik zu beforschen. Inhaltlich war dieser Weg geprägt durch Diskussio- nen im Bereich Erkenntnisgewinnung, Experimentieren und dem Forschenden Ler- nen, aber auch von vielen Veranstaltungen innerhalb der Arbeitsgruppe, die ich als sehr bereichernd erlebt habe. Dazu zählten die Forschungs-AG oder die Konferenzen, die gemeinsam besucht wurden. Um an schwierigen Stellen immer wieder den richti- gen Weg zu fi nden, ist häufi g Hilfe und Orientierung vor allem von Seiten des Dok- torvaters notwendig. Dafür möchte ich Ihnen an dieser Stelle ganz herzlich danken. Die Zeit bei Ihnen und in der Arbeitsgruppe ist für mich sehr prägend gewesen. Es ist eine Zeit, an die ich häufi g und sehr gerne zurückdenke. 1 Erkenntnisgewinnung – eine Perspektive der Fächer Biologie und Geographie Im folgenden Beitrag wird, ausgehend von der Erkenntnisgewinnung, eine in- terdisziplinäre Perspektive auf eine Bildung für nachhaltige Entwicklung ein- genommen, deren Ausgestaltung wiederum von Konzepten und Kompetenzen der Erkenntnisgewinnung geprägt sein kann. Dies erfolgt exemplarisch an- hand der beiden Fächer Biologie und Geographie. Die Leitgedanken der Er- kenntnisgewinnung fl ießen dabei in die Ausgestaltung einer Bildung für nach- haltige Entwicklung ein. Beide Konzepte sind integraler Bestandteil der Fächer Biologie und Geographie und verbinden diese – sowohl im Unterricht als auch in der fachdidaktischen Forschung. Da die Kompetenzen der Erkenntnisge- winnung die Grundlage für die Ausgestaltung von Bildungsprozessen im Be- reich Nachhaltiger Entwicklung darstellen können, kann die Arbeit von Jürgen Mayer an dieser Schnittstelle als äußerst bedeutsames Fundament angesehen werden. Im Fach Geographie existieren als bundesweit einheitliche Standards die von der Deutschen Gesellschaft für Geographie herausgegebenen „Bildungs- standards im Fach Geographie für den Mittleren Schulabschluss“ (DGfG, 56 Sandra Sprenger 2014). In diesen sind die Kompetenzbereiche Fachwissen, Räumliche Orien- tierung, Erkenntnisgewinnung/Methoden, Kommunikation, Beurteilung/Be- wertung und Handlung ausgewiesen (Abb.  1). Von der Struktur der Kompe- tenzbereiche her ähneln sie den Bildungsstandards im Fach Biologie für den Mittleren Schulabschluss (Kultusministerkonferenz, 2005), in denen die vier Kompetenzbereiche Fachwissen, Erkenntnisgewinnung, Kommunikation und Bewertung ausgewiesen sind (Kultusministerkonferenz, 2005). Im Kompetenz- bereich Erkenntnisgewinnung in der Geographie (DGfG, 2014) ist der Weg der Erkenntnisgewinnung – ebenso wie in der Biologie – ein wesentliches Ele- ment. Abbildung 1: Gegenüberstellung der Bildungsstandards Biologie und Geographie (eigene Darstellung auf Basis von DGfG, 2014; Kultusministerkonferenz, 2005) Auf Basis dieser Standards entwickelten sich viele konzeptionelle und empiri- sche Ansätze. Für die fachdidaktische Forschung in der Biologiedidaktik hat Mayer (2007) für den Kompetenzbereich Erkenntnisgewinnung ein Rahmen- modell mit drei Dimensionen entwickelt: Praktische Arbeitstechniken (practi- cal work), wissenschaft liche Erkenntnismethoden (scientifi c inquiry) sowie die Charakteristika der Naturwissenschaft en (nature of science). Im Bereich der Biologie sind in allen drei Dimensionen Forschungsarbeiten entstanden, wobei das Experimentieren als zentrale naturwissenschaft liche Untersuchungsmetho- Von der Erkenntnisgewinnung zur Bildung für nachhaltige Entwicklung 57 de einen großen Stellenwert hat (Kremer, Möller, Arnold & Mayer, 2019). Auf der Grundlage dieses Strukturmodells sind insbesondere in der Arbeitsgrup- pe von Jürgen Mayer zahlreiche Forschungsarbeiten entstanden (u. a. Grube, 2010; Hof, 2011; Kremer, Specht, Urhahne & Mayer, 2014). Bisher vorliegende Studien beschäft igen sich vor allem mit der Analyse von Lernschwierigkeiten, zur Wirksamkeit, zum Öff nungsgrad, zur Lernunterstützung oder zum Ver- gleich von papierbasierten und realen Experimenten. Eine übersichtliche Dar- stellung fi ndet sich bei Kremer et al. (2019). In der Fachdidaktik Geographie sind ebenso Arbeiten zum Experimen- tieren entstanden. Es ist allerdings kein eigenes Rahmenmodell entwickelt worden. Sehr häufi g wird daher sowohl im Bereich der Forschung als auch bei konzeptionellen Arbeiten wie Unterrichtsentwürfen auf das Strukturmo- dell von Mayer (2007) zurückgegriff en. Insofern sind die Impulse von Jürgen Mayer nicht nur auf die eigene Fachdisziplin beschränkt, sondern strahlen auf weitere aus, wie in diesem Fall die Geographiedidaktik. In der Folge haben sich in der Geographiedidaktik zahlreiche Arbeiten auf konzeptioneller Ebene auf dieses Modell bezogen (z. B. Benninghaus & Sprenger, 2017; Peter & Hof, 2011, 2012, 2014; Sprenger & Mönter, 2015). Auch fachübergreifende Ansätze greifen diese Grundgedanken auf, wie beispielsweise eine Unterrichtskonzep- tion zwischen Physik und Geographie am Beispiel von Modellexperimenten zu Wirbelstürmen (Ruess, Sprenger & Neumann, 2015). Die bestehende Forschung der Geographiedidaktik im Bereich der wissen- schaft lichen Erkenntnismethoden konzentriert sich vorwiegend auf das Expe- rimentieren (u. a. Otto, Mönter, Hof & Wirth, 2010; Peter & Hof, 2014), nimmt aber auch das Wissenschaft sverständnis (z. B. Schauss & Sprenger, 2019) in den Blick. 2 Die Brücke zwischen Erkenntnisgewinnung und Bildung für nachhaltige Entwicklung Angesichts der globalen Herausforderungen wie Klimawandel, Biodiversität, Infektionskrankheiten oder Energiegewinnung steht auch der (Fach-)Unter- richt vor neuen Herausforderungen (Fensham, 2012). Hier gilt es, passende Lehr-Lernangebote zu entwickeln, um diese Herausforderungen im Unterricht aufzugreifen und Schülerinnen und Schüler in die Lage zu versetzen, am ge- sellschaft lichen Diskurs zu partizipieren (Kremer & Sprenger, 2018). Dies ist verbunden mit einer Abkehr von traditionellen Unterrichtsmethoden hin zu Formaten, die die komplexen Herausforderungen aufgreifen, wobei ein Ele- ment die Verknüpfung von naturwissenschaft lichem und gesellschaft swissen- 58 Sandra Sprenger schaft lichem Denken darstellt (Fensham, 2012; Kremer & Sprenger, 2018). Eine Möglichkeit, diese Verknüpfung umzusetzen, ist die Zusammenführung der Erkenntnisgewinnung mit einer Bildung für Nachhaltige Entwicklung. Hier bilden die Elemente des Forschenden Lernens bzw. der Teilkompeten- zen des Experimentierens die naturwissenschaft liche Basis für die Ausgestal- tung von Lernangeboten im Bereich einer Bildung für Nachhaltige Entwick- lung und für die Gestaltung von Arbeitsmaterialen. Dies kann am Beispiel eines Modellexperiments verdeutlicht werden, bei dem die Schülerinnen und Schüler den Wirkungsgrad der Sonneneinstrahlung in Abhängigkeit von Ein- strahlungswinkel, Bewölkungsgraden und Temperatur untersuchen (Sprenger & Mönter, 2015). Dieses Experiment steht im Kontext der globalen Heraus- forderung der Energiegewinnung, wie sie im SDG 7 „Bezahlbare und saube- re Energie“ in den Sustainable Development Goals (United Nations, 2018) for- muliert wird. Auf der Bildungsebene werden für jedes SDG Lernziele, Th emen und Lernansätze formuliert. Für das SDG 7 werden als Th emen u. a. verschie- dene Energiearten, insbesondere erneuerbare Energien wie Sonne und Wind beschrieben (UNESCO, 2017). Explizit wird in diesem Kontext als Lernan- satz bzw. Methode das Experimentieren genannt. So kann für ein Modellex- periment zur Leistung eines Windrades (Benninghaus & Sprenger, 2017) die Erkenntnisgewinnung die Grundlage bilden. Neben dem Experimentieren stellt ein weiterer Teil der Erkenntnisgewinnung, das Wissenschaft sverständ- nis, eine ideale Verbindung zur Bildung für Nachhaltige Entwicklung dar. Die angesprochenen globalen Herausforderungen sind in hohem Maße von Kom- plexität und Unsicherheit geprägt (Fensham, 2012). Gleichzeitig ist nicht al- les unsicher. Einige Bereiche können durch bereits vorhandenes Wissen sehr gut modelliert und vorausgesagt werden (Kremer & Sprenger, 2018). Hier stellt sich eine Herausforderung für den Unterricht, der diese Komplexitäten und damit verbundenen Spannungsfelder in transparenter Weise aufgreifen und abbilden muss. Dabei bilden das Wissenschaft sverständnis und verwandte Konzepte eine wichtige Grundlage. Als ein Beispiel kann hier ein Schulprojekt im Kontext Klimawandel genannt werden, das die Schülerinnen und Schüler in wissenschaft liches Arbeiten und insbesondere in die Methoden der Klima- forschung einführt (Schauss & Sprenger, 2019). Ein anderes Beispiel ist die In- tegration eines Klimamodells in den Unterricht. Das Monash Simple Climate Model (MSCM), ein Klimamodell, welches ursprünglich aus der Klimafor- schung kommt, bietet Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, ein besseres Verständnis der wissenschaft lichen Grundlagen des Klimas und der Klimamo- dellierung zu erzielen (Sprenger et al., 2020). Von der Erkenntnisgewinnung zur Bildung für nachhaltige Entwicklung 59 3 Perspektiven für die zukünft ige Forschung und Unterrichtspraxis Vor dem Hintergrund der globalen Herausforderungen (Biodiversität, Klima- wandel), die nicht an einer Fachgrenze halt machen, scheint es angemessen, den Fachunterricht, ähnlich wie es bereits vorgeschlagen wird (Fensham, 2012; Kremer & Sprenger, 2018), in Zukunft noch stärker an diese Herausforderun- gen anzupassen. Dies kann durch eine stärkere Vernetzung der Inhalte der Fä- cher und eine Öff nung über die Fächergrenzen hinaus oder durch eine stär- kere Verzahnung von natur- und gesellschaft lichen Aspekten erzielt werden. Das soll nicht heißen, dass die Fächer in den Hintergrund treten, sondern viel- mehr, dass das Einzelfach seine Auswahl entsprechend der Kompetenzen einer nachhaltiger Entwicklung ausrichtet (Kremer & Sprenger, 2018). Aufgrund der Komplexität der globalen Herausforderungen ist es zudem erforderlich, aktu- elle Hintergründe aus der fachwissenschaft lichen Forschung verschiedener Fä- cher in den Unterricht einzubeziehen und das Wissenschaft sverständnis als Teil der Erkenntnisgewinnung zu fördern. Für die zukünft ige Forschung und Unterrichtspraxis ergeben sich ergän- zende Perspektiven aus den Fächern Biologie und Geographie. Aufgrund der inhaltlichen Nähe der beiden Fächer bieten sich für die Zukunft intensivierte Kooperationen an, um vertiefende und übergreifende Fragestellungen zu be- arbeiten. Diese inhaltliche Nähe bezieht sich insbesondere auch auf fachdidak- tische Th emen und Konzepte. Für beide Fächer ergibt sich daraus ein wech- selseitiger Blick im Hinblick auf neue Forschungsfelder, die bisher noch nicht oder nur in Ansätzen bearbeitet wurden. Literatur Benninghaus, J.C. & Sprenger, S. (2017). Modellexperiment zur Leistung eines Windrades. In L. Mönter, K.-H. Otto & C. Peter (Hrsg.), Diercke Experimentel- les Arbeiten – Beobachten, Untersuchen, Experimentieren (S.  194–199). Braun- schweig: Westermann. DGfG (2014). Bildungsstandards im Fach Geographie für den Mittleren Schulab- schluss – mit Aufgabenbeispielen. Bonn: Deutsche Gesellschaft für Geographie. Fensham, P.J. (2012). Preparing Citizens for a Complex World: Th e Grand Chal- lenge of Teaching Socio-Scientifi c Issues in Science Education. In A. Zeyer & R. Kyburz-Graber (Hrsg.), Science| Environment| Health Towards a renewed pedagogy for science education (S. 7–29). Berlin: Springer. Grube, C. (2010). Kompetenzen naturwissenschaft licher Erkenntnisgewinnung. Un- tersuchung der Struktur und Entwicklung des wissenschaft lichen Denkens bei 60 Sandra Sprenger Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe 1. Abgerufen am 19.02.2021 von: https://kobra.uni-kassel.de/handle/123456789/2011041537247 Hof, S. (2011). 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Wir danken Jürgen Mayer für jahrelange freundschaft liche Kooperation in verschie- denen Zusammenhängen. 1 Einleitung In dem von der DFG geförderten Projekt IMBliCK (Einfl uss von Interesse und Motivation in den Fächern Biologie und Chemie auf Leistungsunterschie- de in Kompetenztests) wurde der Einfl uss aff ektiver Faktoren, wie Interessant- heit der Aufgaben und motivationale Anregung, auf die Bearbeitung von Leis- tungstestaufgaben in den Fächern Biologie und Chemie untersucht. Dazu war es notwendig, vergleichbare Testinstrumente zu entwickeln, die zum einen die Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern in beiden Fächern messbar ma- chen und zum anderen vergleichbare Anforderungen aufweisen, um den Ein- fl uss der aff ektiven Faktoren systematisch untersuchen zu können. Die beson- dere Herausforderung lag darin, Kompetenztestaufgaben zu entwickeln, die hinsichtlich ihrer Schwierigkeit über die Fächer Biologie und Chemie ver- gleichbar sind. Ziel war es daher, zunächst konkrete Kriterien zu entwickeln, die bei der Erstellung der Testaufgaben beachtet werden sollten. Bereits be- kannt war, dass der Kontext einen bedeutsamen Einfl uss auf die Interessantheit von Aufgaben hat. Zudem zeigte sich bisher, dass die Komplexität einer Auf- gabe und der zu erbringende kognitive Prozess einen Einfl uss auf die Aufga- benschwierigkeit haben. Unter Berücksichtigung dieser drei Parameter wurden in diesem Projekt kontextorientierte Kompetenztestaufgaben mit vergleichba- ren Merkmalsausprägungen entwickelt. Im Fokus dieses Beitrags steht die Ver- gleichbarkeit der entwickelten Testaufgaben. 1 geb. Mariella Roesler 66 Vanessa Fischer, Mariella Rothe, Elke Sumfl eth, Maik Walpuski & Nicole Wellnitz 2 Ablaufplan zur Testkonstruktion Terzer, Hartig und Upmeier zu Belzen (2013, S. 53) schlagen auf Basis der Li- teraturlage einen siebenschrittigen Ablaufplan für die Konstruktion von Kom- petenztests vor: „(1) Formulierung der theoretischen Fundierung, (2) Test- konzeption, (3) Systematisierung der Itemkonstruktion, (4) Entwicklung einer Konstruktionsanleitung, (5) Itementwicklung, (6) Itemerprobung und -selek- tion und (7) Festlegung des Erhebungsdesigns“. Diese Schritte sollten nachei- nander durchlaufen werden, wobei einzelne Schritte ggf. auch wiederholt wer- den können. Basis für die Konstruktion eines Tests ist die Defi nition des Untersu- chungsgegenstands (Wilson, 2005), also die Formulierung der theoretischen Fundierung. So sind bei Kompetenzmessungen z. B. Ausführungen zum ver- wendeten Kompetenzbegriff unumgänglich. Hinzu kommen ggf. weitere zu berücksichtigende Aspekte, die entweder mit demselben Testinstrument oder mit weiteren Instrumenten erhoben werden. Die spezifi sche Konkretisierung der Ausführungen führt zu defi nierten Operationalisierungen bzw. Kompe- tenzmodellen als Grundlagen für die Entwicklung der Testitems. Der Schritt der Testkonzeption basiert auf der Festlegung des Untersuchungsziels (Jon- kisz, Moosbrugger & Brandt, 2012; Neuhaus & Braun, 2007), z. B. der Über- prüfung eines Kompetenzmodells und der Auswahl der Messmethode(n) unter Berücksichtigung institutioneller und anderer Rahmenbedingungen. Im Rah- men der Systematisierung der Itemkonstruktion wird in einem ersten Schritt mit Hilfe eines Manuals zur Itementwicklung sichergestellt, dass die Opera- tionalisierung der Kompetenzen oder Kompetenzausprägungen eindeutig und nachvollziehbar ist (Köller, 2008). Dies kann auf Basis von Indikatoren gesche- hen, die über ein Expertenrating abgesichert werden können (Hartig & Jude, 2007; Rost, 2004). Diese Entscheidungen werden in Konstruktionsanleitun- gen festgehalten, damit Aufgaben z. B. auch von verschiedenen Personen ent- wickelt werden können (Hartig & Jude, 2007; Wilson, 2005). In diesen An- leitungen werden auch die Struktur der Aufgaben sowie allgemeine Angaben zum Aufgabenstamm, zur Aufgabenstellung und zu den Antwortmöglichkei- ten festgehalten. Zum einen muss die formale Gestaltung der Items, wie das Antwortformat (Jonkisz et al., 2012), die Textlänge und die Art der Abbildun- gen (Jonkisz et al., 2012; Rost, 2004) defi niert werden. Zum anderen spielen inhaltliche Merkmale wie der angestrebte (Bybee, 2002; Walpuski & Ropohl, 2014) in Abhängigkeit von der Zielgruppe und mit Blick auf die notwendige Wissensbasis (Prenzel, Häußler, Rost & Senkbeil, 2002) bzw. curriculare Pas- sung und den inhaltlichen Geltungsbereich eine wichtige Rolle. Dabei ist auch die Auswahl der Kontexte (Neuhaus & Braun, 2007; Hammann, 2006) zu be- Zur Konstruktion fächerübergreifend vergleichbarer Kompetenz-Testaufgaben 67 rücksichtigen. Basierend auf der Konstruktionsanleitung erfolgt die Itement- wicklung. Idealerweise werden auf Basis curricularer Anforderungen und be- kannter Schülervorstellungen bzw. Verständnisprobleme zunächst off ene Items entwickelt und diese dann anhand der Schülerantworten in Multiple-Choice- Aufgaben überführt ( Wilson, 2005), um plausible Distraktoren zu erhalten. Dabei sind ähnliche Formulierungen aller Antwortalternativen essentiell, um Anhaltspunkte für die richtige Antwortalternative zu vermeiden. Unterschied- liche Testheft e sind leichter zusammenzustellen, wenn logische Abhängigkei- ten zwischen Items vermieden werden (Haladyna, 1999). Außerdem müssen die Aufgabentexte sprachlich einfach gestaltet sein (Jonkisz et al., 2012; Lienert & Raatz, 1998), um den Einfl uss der Sprachkompetenz auf das Testergebnis gering zu halten. Die Anwendung der Methode des lauten Denkens oder der Kommentierung der Aufgaben bei der Bearbeitung durch die Zielgruppe kann zusätzlich zur Validitätsprüfung herangezogen werden. Für die Pilotierung der Items sollten grundsätzlich mehr Items konstruiert werden als später benötigt werden, um unbefriedigende Items streichen zu können. Neben der Testart ist eine ausreichende Itemzahl zur Abdeckung der interessierenden Aspekte wich- tig, damit eine Schätzung der statistischen Parameter mit hinreichender Relia- bilität möglich ist. 3 Instrumentenentwicklung Für das im Projekt IMBliCK herangezogene Kompetenzkonstrukt bilden die Fächer Biologie und Chemie die inhaltliche Domäne. Die in den Bildungs- standards für diese beiden Fächer festgelegten Kompetenzbereiche (Fachwis- sen, Erkenntnisgewinnung, Kommunikation und Bewertung) und die dort formulierten Kompetenzen orientieren sich an der kognitiven Facette der Weinert’schen Kompetenzdefi nition (Weinert, 2001). In Anbetracht der Fra- gestellung des Projekts IMBliCK zum Einfl uss aff ektiver Faktoren auf die Be- arbeitung von Aufgaben in den Fächern Biologie und Chemie wurden zwei Kompetenzbereiche ausgewählt, die sich in ihrer Interessantheit möglichst stark voneinander unterscheiden. Nach Holstermann und Bögeholz (2007) sind dies Aufgaben in den Kompetenzbereichen Bewertung und Fachwissen, wobei jene zur Bewertung ein höheres Interesse erzeugen als solche zum Fach- wissen. Eine tiefergehende Betrachtung der beiden Kompetenzbereiche zeigt eine Vielzahl an Gemeinsamkeiten zwischen den Bezugsdisziplinen (Tab.  1), sodass eine vergleichbare Konstruktion von Testaufgaben möglich ist. 68 Vanessa Fischer, Mariella Rothe, Elke Sumfl eth, Maik Walpuski & Nicole Wellnitz Tabelle 1: Kompetenzbereiche der Fächer Biologie (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, 2005a, S. 7) und Chemie (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, 2005b, S. 7) Kompetenzbereiche Fächer Fachwissen Bewertung Biologie Lebewesen, biologische Phänomene, Biologische Sachverhalte in verschie- Begriff e, Prinzipien, Fakten kennen denen Kontexten erkennen und be- und den Basiskonzepten zuordnen werten Chemie Chemische Phänomene, Begriff e, Chemische Sachverhalte in verschiede- Gesetzmäßigkeiten kennen und nen Kontexten erkennen und bewerten Basiskonzepten zuordnen Der Kompetenzbereich Fachwissen umfasst das Kennen von Phänomenen und Begriff en sowie Prinzipien bzw. Gesetzmäßigkeiten aus den entsprechenden Bezugsdisziplinen. Kauertz, Fischer, Mayer, Sumfl eth und Walpuski (2010) zei- gen, dass Th eorien aus den entsprechenden Bezugsdisziplinen zur Lösung von naturwissenschaft lichen Problemen eingesetzt werden und zudem relevante Prinzipien, Modelle und Konzepte dazu angewendet werden. Der Kompetenz- bereich Bewertung beinhaltet das Einbinden von fachlichen Informationen in einen Entscheidungsprozess sowie die Refl exion solcher Entscheidungsprozes- se (Hostenbach et al., 2011; Kauertz et al., 2010). Die zu Beginn des Projekts erstellte Aufgabenkonstruktionsanleitung er- möglichte eine systematische Konstruktion von Items in beiden Fächern zu beiden Kompetenzbereichen. Zur Operationalisierung der zu überprü- fenden Kompetenzen wurde ein bestehendes Kompetenzmodell verwen- det ( ESNaS-Modell: Walpuski et al., 2010), um hinsichtlich ihrer erwarteten Schwierigkeit vergleichbare Items für die Fächer zu entwickeln. Dazu wurden zunächst Aufgabenmerkmale defi niert, die die Schwierigkeit beeinfl ussen. Bis- herige Befunde zeigen, dass die Komplexität einer Aufgabe und der zu erbrin- gende kognitive Prozess, das Aufgabenformat (Walpuski & Ropohl, 2014) so- wie ggf. vorhandene Abbildungen (Hartmann, 2013) einen Einfl uss auf die Aufgabenschwierigkeit haben. Diese Merkmale einer Aufgabe wurden in dem Projekt über beide Fächer und beide Kompetenzbereiche konstant gehalten. Zudem wurden vier Kontexte (Gesundheit, Umwelt, Technik, Natürliche Res- sourcen) gewählt, um eine möglichst hohe Varianz in der Interessantheit und motivationalen Anregung in den Aufgaben zu erhalten. Dies bedeutet, dass die Aufgaben in beiden Fächern zu beiden Kompetenzbereichen parallel entwi- ckelt wurden, um so möglichst vergleichbare Testinstrumente zu erhalten. So wurden zu jedem Kontext 32 Items pro Fach entwickelt, die sich zu gleichen Teilen auf beide Kompetenzbereiche verteilen. Insgesamt wurden demnach Zur Konstruktion fächerübergreifend vergleichbarer Kompetenz-Testaufgaben 69 256 Items konstruiert. Die Items wurden alle für eine mittlere Komplexitäts- stufe (ein Zusammenhang) erstellt. Um die Varianz in der Aufgabenschwierig- keit zu erhöhen, wurden die kognitiven Prozesse in den Items variiert (selegie- ren, organisieren, integrieren). Da die Durchführung der Testungen in zwei benachbarten Bundesländern (Hessen, NRW) stattfand, konnten die länder- spezifi schen Kernlehrpläne bzw. Kerncurricula nicht als Grundlage für die in- haltliche Ausgestaltung der Items dienen. Es wurden daher die Bildungsstan- dards hinzugezogen, die länderübergreifend gültig sind. Da die Messung der Kompetenzen durch einen Paper-Pencil-Test erfolgte, wurden die Items im Multiple-Choice Single-Select und im off enen Format zu gleichen Anteilen für beide Fächer und Kompetenzbereiche entwickelt. Somit sollte durch das Ant- wortformat zusätzliche Varianz in den Aufgabenschwierigkeiten erzeugt wer- den. Abbildungen wurden nur eingesetzt, wenn sie funktional und von da- her bedeutsam für die Beantwortung der Fragestellung waren. Die Qualität der Items wurde hinsichtlich ihrer Einstufung in das ESNaS-Modell und ihrer fachlichen Richtigkeit durch mehrere Korrekturschleifen innerhalb des Pro- jekts und in Kooperation mit weiteren Fachdidaktikern sichergestellt. Die entwickelten Items zu beiden Fächern und Kompetenzbereichen wur- den auf Grundlage der Kontextzugehörigkeit zu Aufgaben geclustert (insge- samt 8 Aufgaben pro Fach und Kompetenzbereich). Jede Aufgabe besteht aus vier Items, die einem Fach, einem Kompetenzbereich und einem Kontext zu- geordnet werden können. Nach der Bearbeitung der Aufgaben machten die Schülerinnen und Schüler Angaben zur Interessantheit (Haugwitz, 2009) und zur motivationalen Anregung (Boekaerts, 2002; Sundre, 2007) der Aufgaben, sodass die Einfl üsse dieser aff ektiven Faktoren auf die Aufgabenschwierigkeit analysiert werden konnten. 4 Untersuchungsfragen und Hypothesen Ziel der Arbeitsschritte im Projekt IMBliCK war es, Kompetenztestaufgaben in den Fächern Biologie und Chemie zu entwickeln, die hinsichtlich ihrer erwar- teten Aufgabenschwierigkeiten vergleichbar sind, um so systematisch den Ein- fl uss aff ektiver Faktoren bei der Bearbeitung von Kompetenztestaufgaben zu untersuchen. Dabei war es wichtig, Items zu entwickeln, die hinsichtlich spe- zifi scher Aufgabenmerkmale vergleichbar sind, jedoch die Besonderheiten der entsprechenden Fachdisziplin nicht außer Acht lassen. So ist es in dem Projekt IMBliCK eine besondere Herausforderung gewesen, die spezifi schen Merkma- le der einzelnen Fachdisziplinen zu konkretisieren sowie Aufgabenmerkma- le für die Konstruktion zu defi nieren, die eine vergleichbare Konstruktion er- 70 Vanessa Fischer, Mariella Rothe, Elke Sumfl eth, Maik Walpuski & Nicole Wellnitz möglichten. Zur Überprüfung der Testqualität war folgende Forschungsfrage handlungsleitend: Lassen sich die neu entwickelten Testinstrumente hinsichtlich der Fachzugehö- rigkeit und des Kompetenzbereichs empirisch trennen? Erwartbar waren vier verschiedene Modelle, die durch die folgenden Hypothe- sen beschrieben werden: 1. Eindimensionales Modell: Die Items zu den Kompetenzbereichen Fachwis- sen und Bewertung für die Fächer Biologie und Chemie sind einer gemein- samen Skala zuzuordnen. Aufgrund gemeinsamer theoretischer Annahmen können die Items nicht als trennbare Skalen abgebildet werden. 2. Zweidimensionales Modell I: Die Items zu den Fächern Biologie und Che- mie bilden zwei trennbare Skalen. Trotz gemeinsamer theoretischer An- nahmen können diese beiden Konstrukte empirisch voneinander getrennt erfasst werden. 3. Zweidimensionales Modell II: Die Items zu den Kompetenzbereichen Fach- wissen und Bewertung bilden zwei trennbare Skalen. Trotz gemeinsamer theoretischer Annahmen können diese beiden Skalen empirisch voneinan- der getrennt erfasst werden. 4. Vierdimensionales Modell: Die Items zu den Fächern Biologie und Chemie und den jeweiligen Kompetenzbereichen Fachwissen und Bewertung bil- den vier trennbare Skalen, die trotz gemeinsamer theoretischer Annahmen empirisch voneinander getrennt erfasst werden können. Um Unterschiede hinsichtlich des Fachs und des Kompetenzbereichs sinnvoll untersuchen zu können, sollte der Test nach Möglichkeit alle vier Dimensio- nen getrennt abbilden können (Hypothese 4). 5 Qualität der Testinstrumente Für die Analyse der Qualität des entwickelten Testinstruments wurden Rasch- Analysen mit ConQuest® (Wu, Adams, Wilson & Haldane, 2007) durchge- führt. Dazu wurden zunächst die Items getrennt nach Fächern und Kompe- tenzbereichen hinsichtlich ihrer Qualität überprüft . Im Anschluss wurden alle Items mit guter Modellpassung (0.8 < MNSQ < 1.25) in die weiteren Analysen mit einbezogen. Im nächsten Schritt wurden ein eindimensionales Modell, zwei zweidimen- sionale Modelle und ein vierdimensionales Modell berechnet, um die Hypo- thesen zu überprüfen. Dabei wurden die Werte der berechneten Modell- Zur Konstruktion fächerübergreifend vergleichbarer Kompetenz-Testaufgaben 71 parameter (Deviance) miteinander verglichen und hinsichtlich statistischer Signifi kanz geprüft . Dabei zeigte sich, dass das vierdimensionale Modell am besten zu den Daten passt (ΔDeviance p < .001), sodass davon auszugehen ist, dass es sich bei den Skalen Fachwissen Biologie, Bewertungskompetenz Bio- logie, Fachwissen Chemie und Bewertungskompetenz Chemie um vier empi- risch trennbare Konstrukte handelt, die getrennt voneinander erfasst werden können. So zeigte sich, dass es trotz der vergleichbaren Konstruktion der Items zwischen den Fächern und Kompetenzbereichen neben den kognitiven Merk- malen, die die Schwierigkeit der Items beeinfl ussen, weitere Merkmale zu ge- ben scheint, die dafür sorgen, dass es messbare Unterschiede in den Aufgaben zwischen den Fächern und Kompetenzbereichen gibt. Somit konnten im An- schluss Analysen für die einzelnen Skalen getrennt voneinander vorgenommen werden. In einem nächsten Schritt wurden die latenten Korrelationen unter- sucht, um die Stärke des Zusammenhangs zwischen den einzelnen Skalen zu prüfen (Tab. 2). Tabelle 2: Latente Korrelationen der Itemschwierigkeiten zwischen den Fächern Biologie und Chemie und den Kompetenzbereichen Fachwissen und Bewertung Biologie Bewertung Chemie Fachwissen Chemie Bewertung Biologie Fachwissen .79 .85 .72 Biologie Bewertung .72 .84 Chemie Fachwissen .64 Die latente Korrelation zwischen den Fächern, unabhängig vom Kompetenz- bereich, liegt in einem hohen Bereich (r =  .91), ähnlich wie bei Rost, Walter, Carstensen, Senkbeil und Prenzel (2004) berichtet wird. Bei genauerer Be- trachtung der latenten Korrelationen zwischen den Fächern, abhängig vom Kompetenzbereich, zeigt sich, dass die Korrelationen insgesamt in einem mitt- leren bis hohen Bereich liegen. Dies ist ein Hinweis darauf, dass es sich bei den Skalen um verwandte Konstrukte handelt. Die höchsten Korrelationen be- stehen innerhalb desselben Kompetenzbereichs zwischen den Aufgaben aus beiden Fächern. Dieses Ergebnis weist daraufh in, dass die gewählten Aufga- ben bereichsspezifi sche Kompetenzen messen. Auch kann man feststellen, dass die latenten Korrelationen innerhalb der Fächer bedeutsam sind. Während im Fach Biologie die Korrelationen mit .79 in einem hohen Bereich liegen, bewe- gen sie sich im Fach Chemie mit  .72 in einem mittleren Bereich. Dies zeigt, dass bei der Konstruktion der Testinstrumente vergleichbare Aufgaben zwi- schen den Fächern entwickelt wurden und ist ein Beleg für die konvergente Validität der entwickelten Testinstrumente. 72 Vanessa Fischer, Mariella Rothe, Elke Sumfl eth, Maik Walpuski & Nicole Wellnitz In einem nächsten Schritt wurden die Aufgaben hinsichtlich ihrer Schwie- rigkeiten zwischen den Fächern und Kompetenzbereichen verglichen. Dabei zeigte sich, dass sich die Aufgabenschwierigkeiten zwischen den Fächern, un- abhängig vom Kompetenzbereich, nicht signifi kant voneinander unterscheiden (t(51.648) = -1.84, p = .072, d = 0.48). Dagegen unterscheiden sich die Aufga- benschwierigkeiten zwischen den Kompetenzbereichen, unabhängig vom Fach, signifi kant mit einem großen Eff ekt (t(62) = -5,.46, p < .001, d = 1.36). Aufga- ben aus dem Kompetenzbereich Fachwissen sind signifi kant schwerer als Auf- gaben aus dem Kompetenzbereich Bewertung. Dieser Unterschied ist auf die Aufgaben im Fach Chemie zurückzuführen, wohingegen sich die Aufgaben im Fach Biologie nicht signifi kant zwischen den Kompetenzbereichen unterschei- den (t(30) = 1.73, p = .095, d = 0.61). Trotz der Kontrolle bekannter schwierig- keitsbestimmender Aufgabenmerkmale sind Aufgaben zum Kompetenzbereich Bewertung im Fach Chemie im Vergleich signifi kant leichter (t(30)  =  -6.97, p < .001, d = 2.47). Dies deutet darauf hin, dass es neben den bereits bekann- ten schwierigkeitserzeugenden Merkmalen weitere Merkmale gibt, die für die Schwierigkeit einer Aufgabe von Bedeutung sind. Zudem ist die Dimensions- analyse ein weiteres Indiz dafür, dass es Faktoren gibt, die die systematisch pa- rallel entwickelten Aufgaben unterscheidbar zu machen scheinen. 6 Zusammenfassung Die Analyse der neu entwickelten Testinstrumente zeigt, dass es sich um vier empirisch trennbare Skalen handelt, die getrennt voneinander betrachtet wer- den können. Trotzdem zeigen sich zwischen den Skalen hohe Korrelationen, die unter anderem auf die systematische Konstruktion schwierigkeitsbestim- mender Aufgabenmerkmale zurückzuführen sind. Die Vergleiche der Aufga- benschwierigkeiten zeigen zudem, dass es im Fach Chemie Unterschiede in den Aufgabenschwierigkeiten zwischen den Kompetenzbereichen gibt, trotz der Kontrolle schwierigkeitsbestimmender Merkmale. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass neben den bekannten schwierigkeitsbe- stimmenden kognitiven Aufgabenmerkmalen andere Faktoren einen Einfl uss auf die Aufgabenschwierigkeit haben. Dies können inhaltliche Unterschie- de oder aff ektive Faktoren sein, die für die unterschiedlichen Skalen verant- wortlich sind. Diese Unterschiede in den Skalen werden zudem deutlich, wenn man die Aufgabenschwierigkeiten betrachtet. Dabei fällt auf, dass Aufgaben zum Kompetenzbereich Bewertung im Fach Chemie leichter zu lösen sind als Aufgaben zum gleichen Kompetenzbereich im Fach Biologie und auch im Ver- gleich zu Aufgaben zum Kompetenzbereich Fachwissen in beiden Fächern. Zur Konstruktion fächerübergreifend vergleichbarer Kompetenz-Testaufgaben 73 Dies lässt sich nicht auf Aufgabenmerkmale zurückführen, die in bisherigen Studien als schwierigkeitsbestimmend erkannt wurden, sondern vermutlich auf motivationale Faktoren. Anmerkung Das diesem Artikel zugrundeliegende Vorhaben wurde von der DFG im Rah- men einer Sachbeihilfe gefördert (MA 1792/6–1, SU 187/12–1 WA 2829/5–1). Literatur Boekaerts, M. (2002). 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Camberwell: Australian Council for Educational Research. Christiane Specht1 Von Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern im Bereich Erkenntnisgewinnung zur Lehrkräft ebildung in Niedersachsen: ein persönlicher Perspektivwechsel Die Laufb ahn von Jürgen Mayer ist geprägt von der Vielseitigkeit seiner Forschungs- interessen und -schwerpunkte. So hat er beispielsweise in früheren Jahren über For- menkunde und auf dem Gebiet der Umweltbildung geforscht. Später wurden die Naturwissenschaft liche Erkenntnisgewinnung und die Lehrkräft ebildung zu einem Kern seiner Arbeit. Seine Forschung ist charakterisiert durch den Brückenschlag zu anderen Disziplinen, Interdisziplinarität ist dabei stets wichtiger Bestandteil seines Wirkens. Ich möchte Jürgen Mayer an dieser Stelle dafür danken, dass er mir die Möglichkeit gab, an einem Teilbereich seiner Forschung im Bereich der Erkenntnis- gewinnung mitzuwirken. Prägend für meine Zeit in seiner Arbeitsgruppe war die fa- cettenreiche Arbeit in einem Forschungsgebiet am Puls der Zeit. Nicht weniger ist mir allerdings auch seine Fähigkeit in Erinnerung geblieben, ein positives und wertschät- zendes Arbeitsklima zu schaff en. 1 Vorbemerkungen Den nachfolgenden Ausführungen sei vorangestellt, dass dieser Beitrag kein klassischer Forschungsbeitrag ist. Dies liegt daran, dass ich anders als viele an- dere Autorinnen und Autoren dieses Bandes heute außerhalb der Forschung tätig bin – im organisatorischen Bereich im Kontext der Sicherung und Wei- terentwicklung der Qualität universitärer Lehrkräft ebildung. Dieser autobio- graphische Hintergrund prägt die Ausgestaltung dieses Artikels. Der Beitrag soll keine Brücke zwischen vergangenen und aktuellen biologiedidaktischen Forschungsfragen schlagen. Vielmehr werden hier ganz unterschiedliche Arbeitsbereiche im Kontext von Schule und Bildung thematisiert. Im ersten Teil des Beitrags wird zunächst auf die Entstehungszeit der Bildungsstandards und ein kompetenzorientiertes Projekt, das BMBF-Projekt Biologie im Kontext (bik) eingegangen sowie ein Forschungsprojekt im Bereich der wissenschaft s- methodischen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern im Fach Biologie vorgestellt (Kapitel 2–3). Damit soll der Beitrag einen kleinen Ausschnitt aus dem Arbeitsbereich von Jürgen Mayer illustrieren, der die im Folgenden vor- gestellte Forschungsarbeit betreute und im Projekt bik in leitender Funktion für den Bereich der Erkenntnisgewinnung tätig war. Es wird damit gleichzeitig 1 geb. Christiane Grube 78 Christiane Specht auch Rückschau gehalten auf eine Zeit, in der durch die Entwicklung und Ver- öff entlichung der Bildungsstandards die Kompetenzforschung im Bereich der Biologiedidaktik grundlegende Impulse erhielt. Im zweiten Teil (Kapitel 4) verschiebt sich der Fokus von den Lernenden hin zu den (zukünft igen) Lehrkräft en. Dies wird jedoch nicht auf der Ebene der Lehrerinnen- und Lehrerbildungsforschung vollzogen. Es wird vielmehr mittels der Vorstellung des Niedersächsischen Verbundes zur Lehrerbildung ein Blick auf ein standort- und institutionsübergreifendes Gremium zur Sicherung und Weiterentwicklung der universitären Lehrkräft ebildung geworfen. Mittels einiger ausgewählter Beispiele der Arbeit dieses Verbundes soll damit ein klei- ner Teilbereich aktueller Herausforderungen der Lehrkräft ebildung akzentuiert werden. 2 Das Projekt Biologie im Kontext und die nationalen Bildungsstandards im Fach Biologie Das Projekt bik widmete sich thematisch neben der Kontextorientierung vor allem auch den damals erst kürzlich verabschiedeten Bildungsstandards für das Fach Biologie (KMK, 2005). Die Entwicklung der Bildungsstandards – letztlich angestoßen durch die Tatsache, dass die Leistungen deutscher Schü- lerinnen und Schüler im Rahmen großer internationaler Schulleistungsstudien deutlich hinter den Erwartungen zurückblieben – hatte mit ihrer Orientierung an Kompetenzen einen Paradigmenwechsel im deutschen Bildungssystem zur Folge. Im Rahmen von bik arbeiteten Lehrkräft e und universitäre Fachdidakti- ken gemeinsam an der Entwicklung kompetenzorientierter Unterrichtskon- zepte für das Fach Biologie. Jürgen Mayer verantwortete hier an seinem In- stitut in Gießen den Bereich der Erkenntnisgewinnung, die – international schon länger im Rahmen entsprechender Standards berücksichtigt (z. B. NRC, 1996) – nun im Zuge der Veröff entlichung der Bildungsstandards einen gro- ßen Bedeutungszuwachs erhielt. Lehrkräft e aus Hessen und Bayern arbeite- ten unter Leitung des bik-Teams der Universität Gießen in zwei Schulsets an der Entwicklung von Unterrichtsbausteinen, deren Ziel es war, Schülerinnen und Schüler in der Aneignung wissenschaft smethodischer Kompetenzen zu unterstützen (Beispiele: LI Hamburg, 2010). Neben der unterrichtsorientier- ten Arbeit im Rahmen der Schulsets führten die an bik beteiligten Universitä- ten wissenschaft liche Begleitforschungen durch. Ein zentraler Aspekt war hier die Modellierung und empirische Fundierung von Kompetenzen, die in den Standards für das Fach Biologie als bedeutsam ausgewiesen worden waren. Die Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern 79 Entwicklung der Standards war in erster Linie unter Bezug auf Unterrichtser- fahrungen und punktuellen Untersuchungen erfolgt, da zu diesem Zeitpunkt noch keine umfassenden Forschungen zum Kompetenzstand von Schülerin- nen und Schülern vorlagen (Helmke & Hosenfeld, 2004). Nun sollte die For- schung im Rahmen von bik (genauso wie viele andere damalige Forschungs- arbeiten der verschiedenen Fachdidaktiken) dazu beitragen, diese Lücke zu schließen. 3 Modellierung von Kompetenzen naturwissenschaft licher Erkenntnisgewinnung Zum damaligen Zeitpunkt waren verschiedene Ansätze zur Modellierung wis- senschaft smethodischer Kompetenzen in der Diskussion. Grundlage der hier vorgestellten Forschungsarbeit war das Modell wissenschaft lichen Denkens von Jürgen Mayer, in dem diese Kompetenzen als Problemlöseprozess be- schrieben werden (Mayer, 2007). Das Modell fußt auf der Th eorie kognitiven Problemlösens nach Newell und Simon (1972) und ihrer Anwendung auf den naturwissenschaft lichen Erkenntnisprozess (Klahr, 2000). Es leitet aus dem Problemlöseparadigma vier Prozessvariablen wissenschaft lichen Denkens ab und akzentuiert den Einfl uss von kognitiven Variablen sowie von Konzept- und Methodenwissen. Ein Schwerpunkt war die Frage, ob sich die postulierten Teilkompetenzen des wissenschaft lichen Erkenntnisprozesses (Fragestellung formulieren, Hypothesen generieren, Planung einer Untersuchung und Deutung der Ergebnisse) am Beispiel des Experimentierens im Biologieunterricht in ein entsprechendes Messinstrument überführen und empirisch diff erenzieren las- sen. Basis der Untersuchung war die Entwicklung eines schrift lichen Leis- tungstests, der im off enen Antwortformat für die Jahrgangsstufen 5 bis 10 kon- zipiert wurde. Die erhobenen Daten wurden unter Zuhilfenahme klassischer und probabilistischer Testtheorie im Querschnitt (N = 1553) und Längsschnitt (N = 1129) untersucht (Details zur Methodik: Grube, 2010). Im Rahmen eines Modellvergleichs wurde geprüft , ob sich die untersuchten wissenschaft smetho- dischen Kompetenzen empirisch besser durch das postulierte vierdimensiona- le Modell mit den genannten Teilkompetenzen oder durch ein eindimensio- nales Modell beschreiben ließen. Die entsprechenden Analysen ergaben, dass das vierdimensionale Partial-Credit-Modell eine signifi kant bessere Passung auf die Daten aufwies als das eindimensionale Modell (Grube, 2010). Eben- so zeigten in SPSS nachgeschaltete Korrelationsanalysen, dass die postulierten Teilkompetenzen weitgehend im schwachen bis mittleren Bereich korrelier- ten (Grube, Hartmann & Mayer, 2008). Empirisch ließen sich die untersuchten 80 Christiane Specht wissenschaft smethodischen Kompetenzen also in vier voneinander abgrenzba- re Teilkompetenzen diff erenzieren, die durch bedeutsame Anteile dimensions- spezifi scher Anforderungen charakterisiert waren. Querschnittlich untersucht waren Leistungsunterschiede zwischen den Teilkompetenzen nachweisbar (Mayer, Grube & Möller, 2009) – den Schülerinnen und Schülern fi elen man- che Elemente des wissenschaft smethodischen Prozesses also leichter als ande- re (s. auch Abb. 1). Abbildung 1: Leistungsvergleich der Teilkompetenzen (querschnittlich untersucht; N = 1553; verändert nach Grube, 2010) Für einen Teil der Stichprobe (N = 1129) wurde die Leistungsentwicklung im Längsschnitt über ein Schuljahr betrachtet. Hier konnten Leistungsanstiege der wissenschaft smethodischen Kompetenzen nachgewiesen werden: Die gemes- senen Fähigkeiten stiegen mit der Zeit der Beschulung an (Grube & Mayer, 2010). Das entwickelte Instrument war also sensitiv genug, um auch Leistungs- zuwächse über ein Schuljahr im Bereich wissenschaft smethodischer Kompe- tenzen zu erfassen. Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern 81 4 Der Niedersächsische Verbund zur Lehrerbildung Die vorangegangenen Ausführungen illustrieren einen kleinen, auf die Kom- petenzen von Schülerinnen und Schülern bezogenen Ausschnitt aus dem wis- senschaft lichen Wirkungsfeld von Jürgen Mayer im Bereich der Erkenntnis- gewinnung. Um – einleitend für das folgende Kapitel – einen zeitlichen und inhaltlichen Sprung zu machen: Im Kasseler Projekt PRONET im Rahmen der Qualitätsoff ensive Lehrerbildung leitete Jürgen Mayer viele Jahre später das Handlungsfeld III, das sich der phasenübergreifenden Verschränkung fachli- cher, fachdidaktischer und bildungswissenschaft licher Wissens- und Kompe- tenzbereiche der universitären Ausbildung von Lehrkräft en widmete. Diese Forschung wird u. a. im Beitrag von Gimbel, Grospietsch und Ziepprecht die- ses Bandes thematisiert werden. In dem hier vorliegenden Beitrag soll über Aspekte der Qualitätssicherung und -weiterentwicklung der Lehrkräft ebildung aus standort- und institutionsübergreifender Sicht berichtet werden. Das Lehramtsstudium ist von vielfältigen Anforderungen geprägt. Die Uni- versitäten müssen den Studierenden eine breitgefächerte Ausbildung mit fach- wissenschaft lichen, fachdidaktischen und bildungswissenschaft lichen Kom- ponenten bereitstellen – und dies mittlerweile unter möglichst frühzeitiger Einbindung praktischer Erfahrungen an Schulen, während gleichzeitig wis- senschaft liche Methoden aller drei Felder praktiziert werden sollen. Darüber hi naus bewegt sich die universitäre Lehrkräft ebildung zudem stets im Kon- fl iktfeld zwischen der Freiheit der Hochschullehre und der Einhaltung be- rufsrechtlicher Vorgaben, die sich für die zukünft igen Lehrkräft e ergeben. Für die Koordination dieser komplexen Anforderungen an die lehramtsbezoge- nen Studiengänge haben die meisten lehrerinnen- und lehrerbildenden Hoch- schulen Zentren für Lehrerinnen- und Lehrerbildung oder Schools of Educa- tion eingerichtet, die als fachbereichsübergreifende Querschnittseinrichtung der Universität die Aufgabe haben, die verschiedenen Bereiche der Lehrkräft e- bildung zu vernetzen, zu koordinieren und zu steuern. In Niedersachsen steht der universitären Lehrkräft ebildung jenseits die- ser hochschulspezifi schen Querschnittseinrichtungen ein Forum zur Verfü- gung, in dem sich die lehrerbildenden Hochschulen untereinander und ge- meinsam mit dem Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK) und dem Kultusministerium (MK) über wichtige Fragen der Lehrkräft ebildung austau- schen: der Niedersächsische Verbund zur Lehrerbildung (nachfolgend Verbund genannt). Es handelt sich um ein deutschlandweit in seiner Form einzigarti- ges Gremium, dessen Entstehung und Arbeitsweise im Folgenden kurz darge- stellt werden soll. 82 Christiane Specht 4.1 Qualitätssicherung in der Lehrkräft ebildung durch ein landesweites Gremium: der Niedersächsische Verbund zur Lehrerbildung Der Verbund entstand in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends, als die Hochschulen im Bereich der Lehramtsausbildung deutschlandweit im Rahmen der Bologna-Reform mit der Umstellung vom Staatsexamen auf das zweiglied- rige Bachelor- und Mastersystem einen großen Kraft akt zu bewältigen hatten. In regelmäßigen Zusammenkünft en tauschten sich hier Vertreterinnen und Vertreter der niedersächsischen lehrkräft ebildenden Hochschulen, des Minis- teriums für Wissenschaft und Kultur sowie des Kultusministeriums aus, um gemeinsam Lösungsstrategien für die neuen Herausforderungen der Umstel- lung auf das Bachelor- und Mastersystem zu entwickeln. Die Zusammenkunft im informellen Netzwerk half bei der Umsetzung der anstehenden Reform- prozesse – nicht zuletzt deshalb, weil Probleme rasch identifi ziert, direkt und auf kurzem Wege kommuniziert und so leichter gelöst werden konnten. Der Erfolg der gemeinsamen Arbeit ließ die Akteure beschließen, das informelle Forum fortzuführen und auf andere Th emen der Lehrkräft ebildung auszuwei- ten. Aus standortübergreifender Perspektive arbeitet man deshalb bis heute an der Abfassung gemeinsamer Entwicklungsziele, der Abstimmung verschiede- ner Maßnahmen und an Empfehlungen und Eckpunktepapieren für die Lehr- kräft ebildung. Die Verbundarbeit wird durch eine Geschäft sstelle unterstützt. Außerdem bearbeiten zeitlich befristete Arbeitsgruppen jeweils dezentral aktu- elle Th emen und bereiten sie für die Diskussion im Verbund vor. Die gemein- same Arbeit ist geprägt von gegenseitigem Lernen, dem Austausch von Best- Practice-Beispielen und einer off enen Diskussion. 4.2 Aktuelle Th emen der Verbundarbeit: ein Auszug Die vielfältigen Herausforderungen, mit denen sich die Lehrkräft ebildung kon- frontiert sieht, spiegeln aktuelle politische und gesellschaft liche Fragen wider. In unserer zunehmend von Vielfalt geprägten Gesellschaft sind beispielswei- se Th emen wie Heterogenität, Deutsch als Zweitsprache und interkulturelle Kompetenzen schon seit Längerem ein wichtiger Bestandteil der universitären Lehrkräft ebildung. Rückenwind erhielten diese Th emen sicherlich auch durch die europäischen Migrationsherausforderungen im Jahr 2015. Der Verbund ini tiierte und unterstützte hier beispielsweise die Gründung von Sprachlern- projekten in Niedersachsen, in denen Lehramtsstudierende für den Sprach- unterricht für Gefl üchtete qualifi ziert wurden. Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern 83 Vor dem Hintergrund der Folgen der Corona-Pandemie ist ein anderes Querschnittsthema – die Digitalisierung in der Lehrkräft ebildung – noch stär- ker als bisher in den Fokus der öff entlichen Wahrnehmung gelangt. In Be- wegung ist das Th ema hier bereits seit Längerem: So hat die KMK in ihrem Strategiepapier Bildung in der digitalen Welt beschrieben, über welche Kom- petenzen Lehrkräft e in diesem Bereich verfügen sollten, um Schülerinnen und Schüler adäquat auf eine zunehmend digitalisierte Welt vorbereiten zu können (KMK, 2016). Kompetenzen im Bereich Digitalisierung werden aktuell auch in vielen Projekten der zusätzlichen Förderrunde der Qualitätsoff ensive Lehrerbil- dung in den Blick genommen. Im Verbund wurde Ende 2018 zum Th ema Di- gitalisierung das MWK-geförderte Entwicklungsprojekt Basiskompetenzen Digi- talisierung für alle niedersächsischen Lehramtsstudiengänge ins Leben gerufen. In Zusammenarbeit mit Vertreterinnen und Vertretern der Fachcommuni- ties aus den Bereichen Informatik, Medienpädagogik und Medienwissenschaft werden hier Basiskompetenzen im Bereich Digitalisierung für die Lehrkräf- tebildung identifi ziert und beispielhaft darauf ausgerichtete Seminarkonzepte entwickelt. Teil dieses Prozesses ist dabei auch die Frage, über welche Kom- petenzen im Bereich Digitalisierung tatsächlich alle Lehrkräft e verfügen soll- ten und welche Kompetenzen eher in den Bereich möglicher Spezialisierungen zu verlagern sind. In Abstimmung mit allen niedersächsischen lehrerbildenden Hochschulen sollen Wege ermittelt werden, mittels derer diese Kompetenzen niedersachsenweit Eingang in die Lehramtsausbildung fi nden können. Heterogenität und Digitalisierung sind nur zwei von vielen Beispie- len dafür, dass Lehrkräft e im Zuge von teils immer rasanteren gesellschaft li- chen Veränderungsprozessen mit immer mehr und zunehmend vielschichti- gen Querschnittsthemen konfrontiert sind. Diese müssen sie so antizipieren, durchdringen und schließlich für ihren Unterricht aufb ereiten, dass Schüle- rinnen und Schüler ausreichend darauf vorbereitet werden, unsere komple- xer werdende Gesellschaft mitgestalten zu können. In der Verbund-AG Cur- riculumentwicklung wurde darüber beraten, wie die eingeforderte Vermittlung dieser immer zahlreicher werdender (Basis-)Kompetenzen für Lehrkräft e wis- senschaft lich fundiert Eingang in die hochschulischen Curricula fi nden kann – ohne die Studiengänge mit zusätzlichen (Pfl icht-)Veranstaltungen zu über- lasten. Die Verbund-AG suchte hier den bundesweiten wissenschaft lichen Aus- tausch: Im Herbst 2019 veranstaltete der Verbund gemeinsam mit der Hoch- schulrektorenkonferenz an der Universität Osnabrück eine Tagung mit dem Titel Lehrer*innen als Alleskönner – Querschnittsthemen zwischen Profes- sionsanspruch und De-Professionalisierung. Hier wurden verschiedene Ansät- ze zur Integration der Querschnittsthemen in die Curricula diskutiert (z. B. eine Kombination von integrativen und additiven Komponenten, fächerüber- 84 Christiane Specht greifende Strukturen oder – eher für den Bereich der Spezialisierung in Frage kommende – Zertifi katsprogramme). Die Ergebnisse der AG-Arbeit und des wissenschaft lichen Austausches wurden gesichert und für die Diskussion im Verbund aufb ereitet. Der Verbund entwickelt regelmäßig auch Eckpunktepapiere und Empfeh- lungen zu verschiedenen Th emen, die der inhaltlichen Orientierung an den unterschiedlichen niedersächsischen Hochschulstandorten dienen sollen. So wurden beispielsweise für das Th ema Internationalisierung in der Lehrkräft e- bildung Empfehlungen erarbeitet, die dazu beitragen sollen, dass Studierende ohne Studienverlängerung Teile des Lehramtsstudiums im Ausland absolvieren und so Lernerfahrungen in internationalen Kontexten erwerben können. Der Verbund entwickelt auch konkrete Orientierungshilfen für verschiedene Th e- men. Die AG Umfragen und Erhebungen beispielsweise erarbeitete eine Hand- reichung und Formularvorlagen, die Studierende und Forschende bei der er- lass- und gesetzeskonformen Umsetzung von Umfragen und Erhebungen an Schulen unterstützen sollen. Die Corona-Pandemie stellt auch die Lehrkräft ebildung vor besondere He- rausforderungen. Der Verbund hat deshalb Task Forces eingerichtet, die sich mit verschiedenen Problemen für die universitäre Lehrkräft ebildung im Zuge der Pandemie auseinandersetzen. Hier geht es beispielsweise in der Task Force Going Abroad um die Frage, wie mit dem Umstand umgegangen werden soll, dass die für viele Lehramtsstudierende verpfl ichtenden studienrelevanten Aus- landspraktika in vielen Fällen derzeit nicht angetreten werden können. In der Task Force Praktikum wurden und werden Wege abgestimmt, wie Lehramts- studierende Schulpraktika und studentische empirische Forschungsarbeiten trotz der Pandemie durchführen können – und in welchem Umfang und wie ggf. notwendige Ersatzleistungen greifen können. Vor dem Hintergrund die- ser und anderer Corona-bedingten Herausforderungen sind auf allen Ebenen zügige und dabei immer auch fl exible Lösungen notwendig, die über das vie- lerorts zitierte „Fahren auf Sicht“ hinausgehen. Den niedersächsischen leh- rerbildenden Hochschulen im Verbund kommt hier zugute, dass der univer- sitätsübergreifende Austausch, das Profi tieren von Erfahrungswerten anderer Hochschulen und das konstruktive Aufgreifen von Best-Practice-Beispielen in enger Abstimmung mit den für die Lehrkräft ebildung zuständigen Landesmi- nisterien bereits seit Langem etabliert sind und auf diese Strukturen nun in dieser besonderen Situation zurückgegriff en werden kann. Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern 85 5 Persönliches Resümee In diesem Beitrag wurden ganz unterschiedliche Th emen im Kontext schuli- scher Bildung angerissen, ohne sie an dieser Stelle vertiefen zu können. Sie alle bewegen sich in einem Feld, das interdisziplinäres Arbeiten sowie Kennt- nisse in unterschiedlichen Bereichen und Handlungsfeldern erfordert. An die- ser Stelle möchte ich noch einmal auf die persönlichen Worte vom Anfang des Beitrags zurückkommen: In der Arbeitsgruppe von Jürgen Mayer hatte ich Ge- legenheit zur Mitarbeit in Projekten zu sehr aktuellen Fragen der empirischen Bildungsforschung, die geknüpft waren an Kooperationen mit vielen verschie- denen Partnern aus anderen Hochschulen, bildungspolitischen Institutionen und aus der Schule. So hat diese Zeit eine wertvolle Grundlage geschaff en für meinen weiteren berufl ichen Werdegang und meine heutige Tätigkeit im Be- reich der universitären Lehrkräft ebildung. Die Arbeit an der Schnittstelle zwi- schen verschiedenen Disziplinen und Institutionen mit ihren jeweils spezifi - schen Rahmenbedingungen, Blickwinkeln und Handlungsmöglichkeiten bot damals den Rahmen meiner Arbeit bei Jürgen Mayer und bietet heute im Ver- bund einige Herausforderungen. Bei gegenseitigem Verständnis für die ver- schiedenen Anforderungen und Logiken der Institutionen kann diese Arbeit aber für alle Beteiligten auch sehr bereichernd sein und dazu beitragen, eine qualitätsvolle Bildung zu sichern und weiterzuentwickeln. Literatur Grube, C. (2010). Kompetenzen naturwissenschaft licher Erkenntnisgewinnung. Un- tersuchung der Struktur und Entwicklung des wissenschaft lichen Denkens bei Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe 1. Abgerufen am 30.05.2019 von: https://kobra.uni-kassel.de/handle/123456789/2011041537247 Grube, C., Hartmann, S. & Mayer, J. (2008). Kompetenzstrukturmodell zum wis- senschaft lichen Denken. In M. Prenzel, B. Drechsel, B. Brouër, T. Ehmke, J. Möller & M. Senkbeil (Hrsg.), 71. Tagung der Arbeitsgruppe für Empirische Pädagogische Forschung (AEPF). Kompetenz (S. 89). Kiel: IPN. Grube, C. & Mayer, J. (2010). Wissenschaft smethodische Kompetenzen in der Se- kundarstufe I: Eine Untersuchung zur Entwicklung des wissenschaft lichen Denkens. In U. Harms & I. Mackensen-Friedrichs (Hrsg.), Lehr-Lernforschung in der Biologiedidaktik, Heterogenität erfassen – individuell fördern im Biolo- gieunterricht (4. Band) (S. 155–168). Innsbruck: Studienverlag. Helmke, A. & Hosenfeld, I. (2004). Vergleichsarbeiten, Standards, Kompetenzstu- fen: Begriffl iche Klärung und Perspektiven. In M. Wosnitza, A. Frey & R. S. Jä- ger (Hrsg.), Lernprozess, Lernumgebung und Lerndiagnostik: Wissenschaft liche 86 Christiane Specht Beiträge zum Lernen im 21. Jahrhundert (S. 56–75). Landau: Verlag Empirische Pädagogik. Klahr, D. (2000). Exploring Science: Th e cognition and development of discovery pro- cesses. Cambridge: MIT press. KMK – Kultusministerkonferenz (Hrsg.) (2016). Strategie der Kultusministerkonfe- renz. Bildung in der digitalen Welt. 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Mayer, J., Grube, C. & Möller, A. (2009). Kompetenzmodell naturwissenschaft licher Erkenntnisgewinnung. In U. Harms & A. Sandmann (Hrsg.), Lehr- und Lern- forschung in der Biologiedidaktik (3. Band) (S.  63–79). Innsbruck: Studienver- lag. Newell, A. & Simon, H.A. (1972). Human problem solving. Englewood Cliff s, NJ: Prentice-Hall. NRC – National Research Council (1996). National Science Education Standards. Washington DC: National Academy Press. Julia Arnold Wissenschaft liches Denken – die Rolle von prozeduralem Wissen und Methodenwissen beim Forschenden Lernen Eine besondere Fähigkeit von Jürgen Mayer ist es, das große Ganze zu sehen und Konzepte gewinnbringend zusammenzuführen. Mit seinem Strukturmodell zum Wis- senschaft lichen Denken verknüpft Jürgen Mayer bspw. die Problemlöseforschung so- wie entwicklungs- und kognitionspsychologische Ansätze mit Konzepten aus der Fachdidaktik. Er hebt die Rolle des Methodenwissens hervor: Es sind mehr als nur Fachwissen, manuelle Fertigkeiten und allgemeine kognitive Fähigkeiten zum wissen- schaft lichen Arbeiten notwendig und in der Schule zu fördern. Mit diesen Ansätzen hat er einen fruchtbaren Boden für Forschung und Entwicklung im Bereich Forschen- des Lernen und nicht zuletzt für meine wissenschaft liche Laufb ahn bereitet. Dafür und für seine Unterstützung möchte ich ihm von Herzen danken. 1 Wissensgesellschaft & Kompetenzorientierung Im Zusammenhang mit postindustriellen Gesellschaft en wird häufi g von „Wis- sensgesellschaft en“ gesprochen (Höhne, 2009). Wissensgesellschaft en sind cha- rakterisiert „von einem exponentiellen Wachstum des Wissens […], im Zugriff auf Wissen […] sowie in der Verteilung von Wissen“ (Reinmann-Rothmeier & Mandl, o. J., o. S.). Das Leben in einer Wissensgesellschaft sowie die entspre- chenden Arbeitsmärkte verlangen daher große Flexibilität von den Individuen (Maag Merki, 2009). Um dieser Flexibilitätsforderung gerecht zu werden und weil eine Bildung, die sich an einem fi xen Wissenskanon ausrichtet, bei solch raschen Veränderungen nicht adäquat auf das Leben und den Arbeitsmarkt vorbereitet, muss das Wissen als alleinige Bildungsgrundlage hinterfragt wer- den (Höhne, 2009). Dies ist in der Kompetenzorientierung verschiedener Bil- dungssysteme, wie bspw. Deutschland und der Schweiz, umgesetzt: Es stehen nicht mehr spezifi sche Wissensinhalte, die es inputgesteuert zu vermitteln gilt, als Lehrziele im Vordergrund. Stattdessen sollen Lernende Kompetenzen er- werben, um sich in der Gesellschaft fl exibel und im Sinne lebenslangen Ler- nens behaupten zu können (Klieme, 2004). Der Begriff der Kompetenz wird dabei jedoch nicht einheitlich defi niert (Weinert, 2001a). Eine basale Defi nition umschreibt Kompetenz als Fähigkeit, etwas Bestimmtes zu tun (Maag Merki, 2009). Damit wird der Handlungsbe- zug von Kompetenzen deutlich. Dem Linguisten Chomsky zufolge (1969) sind 88 Julia Arnold Kompetenzen die Grundlage für Performanz und stellen somit „notwendi- ge, aber nicht hinreichende Voraussetzungen für erfolgreiches Handeln dar“ (Maag Merki, 2009, S.  494). Dies wird auch an der vielzitierten Kompetenz- defi nition von Weinert (2001b) deutlich, die bspw. auch motivationale Fakto- ren einschließt. Jedoch äußern sich Kompetenzen nur in ihren Produkten, also in Handlungen, was sie somit (empirisch) nicht von diesen trennbar macht (Klieme et al., 2003). Dieser Anwendungsbezug impliziert situationsspezifi - sches Wissen als Grundlage. Somit ist es schwierig, die Rolle des Wissens für spezifi sche Kompetenzen zu beschreiben und zu untersuchen. In diesem Bei- trag wird ausgehend vom Strukturmodell zum Wissenschaft lichen Denken von Jürgen Mayer (2007) behandelt, welche Rolle das Wissen für den Erwerb von Kompetenzen naturwissenschaft licher Erkenntnisgewinnung im Rahmen des Forschenden Lernens spielen kann. Die Arbeiten von Jürgen Mayer zum Kom- petenzbereich der Erkenntnisgewinnung bilden den Ausgangspunkt der im Folgenden dargestellten Überlegungen und Studien. 2 Kompetenzen naturwissenschaft licher Erkenntnisgewinnung Kompetenzen naturwissenschaft licher Erkenntnisgewinnung sind integra- ler Bestandteil der naturwissenschaft lichen Grundbildung (scientifi c litera- cy) und damit ein international anerkanntes Ziel der Schulbildung (Bybee, 2006). Jürgen Mayer (2007) beschreibt die Kompetenzen naturwissenschaft li- cher Erkenntnisgewinnung in Form des Wissenschaft lichen Denkens als relativ komplexen, kognitiven und wissensbasierten Problemlöseprozess, der Natur- phänomene zum Inhalt hat und bei dem spezifi sche Prozeduren zur Anwen- dung kommen. In seinem Modell beschreibt er vier Problemlöseprozeduren (Fragestellungen entwickeln, Hypothesen aufstellen, Untersuchungen planen und Ergebnisse auswerten) und berücksichtigt darüber hinaus verschiedene Wissensdimensionen: Seinem Modell zufolge wird die Fähigkeit, naturwissen- schaft liche Probleme erfolgreich zu lösen, neben kognitiven Fähigkeiten durch deklaratives und prozedurales Wissen beeinfl usst, wobei das deklarative Wis- sen Fachwissen über den spezifi schen Problembereich und Methodenwissen beinhaltet. Wissenschaft liches Denken 89 3 Forschendes Lernen und Unterstützungsbedarfe In unterschiedlichen Studien konnte gezeigt werden, dass die Schülerfähigkei- ten im Bereich des Wissenschaft lichen Denkens hinter den erwarteten Leis- tungen zurückbleiben (z. B. Hammann, Hoi Phan, Ehmer & Grimm, 2008; Hofstein, Navon, Kipnis & Mamlok-Naaman, 2005; Kuhn & Dean, 2005). Zur entsprechenden Förderung des Wissenschaft lichen Denkens wird die Metho- de des Forschenden Lernens empfohlen, bei der die Lernenden selbstständig Hypothesen generieren, Untersuchungen planen, durchführen und auswerten (Mayer & Ziemek, 2006). Die Lernförderlichkeit dieser Methode für das Wis- senschaft liche Denken konnte bereits gezeigt werden (Furtak, Seidel, Iverson & Briggs, 2009; Hof, 2011). Allerdings ist die Studienlage uneindeutig (Hat- tie, 2009), was nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, dass die Eff ektivität des Forschenden Lernens u. a. vom Grad der Off enheit abhängt. Es wird argumen- tiert, dass die Off enheit, vor allem bei schwachen Lernenden, zu hoher kogni- tiver Belastung führt, und daher nicht eff ektiv sein kann (Kirschner, Sweller & Clark, 2006). Andererseits kann die direkte Instruktion die komplexe Na- tur der Naturwissenschaft en nicht authentisch abbilden (Chinn & Malhotra, 2002) und ist nicht konsistent mit konstruktivistischen Sichtweisen von Ler- nen (Hmelo-Silver, Duncan & Chinn, 2007). Daraus wird ersichtlich, dass die Unterstützung der Lehrperson beim Forschenden Lernen ein zentraler Faktor ist. Der Ansatz des angeleiteten Forschenden Lernens (Guided inquiry; Furtak, 2006) scheint hier eine Lösung darzustellen, denn er kombiniert die Essenz des off enen Forschenden Lernens mit instruktionaler Unterstützung. Durch die zeitweise Unterstützung oder Anleitung wird der Grad der Off enheit re- duziert. Allerdings stellt es eine große Herausforderung für Lehrpersonen dar, situational darüber zu entscheiden, wann welche Unterstützungen notwen- dig sind und wie trotzdem der forschende Charakter aufrechterhalten werden kann (Crawford, 2000). Daher ist es sinnvoll, zumindest teilweise standardi- sierte Lernunterstützungen für das Forschende Lernen zu entwickeln und für die Förderung bereitzustellen. Bisher fehlen jedoch Studien, die untersuchen, wie das Forschende Lernen für den Erwerb Wissenschaft lichen Denkens lern- wirksam begleitet werden kann. Um spezifi schen Unterstützungsbedarf beim Forschenden Lernen und Ansatzpunkte für eine Förderung zu identifi zieren, wurden zwei qualitative Videostudien durchgeführt (Arnold, Kremer & Mayer, 2014; Völzke, Arnold & Kremer, 2013). Es konnte festgestellt werden, dass die Lernenden beim Experi- mentieren häufi g Probleme in der konkreten Umsetzung (bspw. bei der Festle- gung von Messzeiten) haben, also nicht wissen, wie vorzugehen ist, und bspw. von Hilfestellungen auf prozeduraler Ebene profi tieren könnten. Weiterhin 90 Julia Arnold konnte gezeigt werden, dass sich Lernende beim Experimentieren häufi g nicht im Klaren darüber sind, warum sie beim Experimentieren manche Dinge tun. 4 Prozedurales und deklaratives Wissen Zwar ist die Unterscheidung zwischen deklarativem und prozeduralem Wis- sen in der Praxis nicht ohne Weiteres trennscharf möglich (Rittle-Johnson & Schneider, 2015), jedoch ist die Modellierung in distinkten Kategorien sinn- voll, um entsprechende Fördermaßnahmen entwickeln und untersuchen zu können. Im Folgenden werden sie daher für das Wissenschaft liche Denken dif- ferenziert beschrieben. Das prozedurale Wissen beschreibt das Wissen darüber, welche Teilproze- duren existieren und wie diese anzuwenden sind. Es handelt sich also um das Wissen, wie die einzelnen Schritte des Problemlöseprozesses auf das jeweilige Problem anzuwenden sind. Jürgen Mayer (2007) identifi ziert vier Teilprozedu- ren des Wissenschaft lichen Denkens, die mit den Teilprozessen des Problem- lösens parallelisiert werden können. Daraus resultieren die vier Teilkompe- tenzen Wissenschaft lichen Denkens zum Generieren von Fragestellungen und Hypothesen, dem Planen von Untersuchungen und der Deutung von Ergeb- nissen. Dieses vierdimensionale Modell konnte bereits empirisch bestätigt wer- den (Mayer et al., 2008; Mayer & Wellnitz, 2014) und wurde später innerhalb der Arbeitsgruppe noch erweitert (Meier, 2016). Jede dieser vier Prozeduren beinhaltet wieder Aspekte, die jeweils zu berücksichtigen sind (Arnold, B oone, Kremer & Mayer, 2018). Weiterhin unterscheidet Jürgen Mayer auf deklarativer Ebene zwischen Fachwissen und Methodenwissen (2007). Das Fachwissen umfasst das fach- lich-inhaltliche Wissen über die jeweiligen (biologischen) Phänomene, die den Kontext der Untersuchung bilden. Dies beinhaltet das Wissen über bzw. Ver- ständnis für Fakten, Konzepte, Gesetze und Th eorien, die für die Lösung des Problems notwendig sind. Das Fachwissen ist jedoch nicht nur Einfl ussfaktor beim Forschenden Lernen, sondern kann auch selbst Lernziel sein. Da in die- sem Beitrag jedoch auf den Erwerb von Wissenschaft lichem Denken Bezug genommen wird, steht auf deklarativer Ebene das Methodenwissen im Vor- dergrund. Es umfasst das Wissen über bzw. Verständnis für naturwissenschaft - liche Methoden, deren Grenzen und Möglichkeiten. Es ist das „Wissen hinter dem Tun“ (Roberts, 2001), wobei das Tun sich konkret auf die Teilkompeten- zen und Kompetenzaspekte Wissenschaft lichen Denkens bezieht. Das Metho- denwissen hat spezifi sche Konzepte über Inhalt, Zweck und Funktion einzelner Aspekte wissenschaft lichen Arbeitens zum Inhalt und kann auch als „Wissen, Wissenschaft liches Denken 91 warum“ bezeichnet werden. Hierbei kann die Antwort auf das „Warum“ im- mer auf die Gütekriterien wissenschaft lichen Arbeitens zurückgeführt werden (Glaesser, Gott, Roberts & Cooper, 2009). 5 Helfen Hilfen – oder: Hilft Wissen beim Kompetenzerwerb? Um herauszufi nden, welche Rolle die beiden Wissensarten für den Erwerb Wissenschaft lichen Denkens spielen, wurden entsprechend dem Unterstüt- zungsbedarf zwei Unterstützungsformate entwickelt: (1) Gestuft e Lernhilfen zur Unterstützung des prozeduralen Wissens (Arnold & Kremer, 2012, 2013; Bruckermann, Arnold, Kremer & Schlüter, 2017) und (2) Diskursiv-refl exive Szenarien (Concept Cartoons) zur Unterstützung des Methodenwissens (Ar- nold, Kremer & Mayer, 2017). In einer quasi-experimentellen Studie wurden die beiden Unterstützungsformate zur Förderung des prozeduralen Wissens und des Methodenwissens beim Forschenden Lernen untersucht und es konn- te gezeigt werden, dass sich beide Formate eignen, die Kompetenzentwicklung zu fördern (Arnold, 2015; Arnold et al., 2017). Dadurch konnte auch gezeigt werden, dass sowohl dem prozeduralen Wissen als auch dem Methodenwis- sen eine wichtige Rolle beim Erwerb Wissenschaft lichen Denkens zukommt. Somit kann bestätigt werden, dass diese Wissensarten eine Grundlage der Kompetenz des Wissenschaft lichen Denkens bilden. Diese Erkenntnisse stüt- zen das theoretische Modell von Jürgen Mayer (2007). Jedoch – und hier kann der Titel eines Artikels von Aleven und Kollegen (2016) zitiert werden: „Help Helps, But Only So Much“ – Wissen alleine genügt nicht. Darauf verweist auch die Kompetenzdefi nition von Weinert (2001b), in der unter anderem die Moti- vation als Bestandteil von Kompetenz angeführt wird. So hat sich bspw. in der oben genannten Studie gezeigt, dass die Hilfen überhaupt nur unzureichend genutzt werden. Welche Rolle motivationale Faktoren wie z. B. Interesse, das Fähigkeitsselbstkonzept oder Zielorientierungen für die Hilfen-Nutzung und somit den Kompetenzerwerb spielen, ist Gegenstand aktueller Forschung (Lü- scher & Arnold, 2020). Literatur Aleven, V., Roll, I., McLaren, B. & Koedinger, K. (2016). Help Helps, But Only So Much: Research on Help Seeking with Intelligent Tutoring Systems. Interna- tional Journal of Artifi cial Intelligence in Education, 26(1), 205–223. https://doi. org/10.1007/s40593-015-0089-1 92 Julia Arnold Arnold, J. (2015). Die Wirksamkeit von Lernunterstü tzungen beim Forschenden Ler- nen: Eine Interventio nsstudie zur Förderung des Wissenschaft lichen Denkens in der gymnasialen Oberstufe. Berlin: Logos. Arnold, J. & Kremer, K. (2012). Lipase in Milchprodukten – Schüler erforschen die Temperaturabhängigkeit von Enzymen. 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Monique Meier & Marit Kastaun1 Lernunterstützungen als Werkzeug individualisierter Förderung im naturwissenschaft lichen Erkenntnisprozess „Wenn Sie sich vorstellen können, eine Promotion in diesem Bereich anzulegen, dann haben Sie die Stelle und können morgen loslegen.“ Worte aus meinem (Monique Meier) Vorstellungsgespräch Ende 2008 an der Universität Gießen mit Jürgen Mayer, das beiderseitig eigentlich keine Vorstellungsfunktion mehr hatte, sondern den Ein- stieg in eine sehr viele Jahre andauernde Zusammenarbeit symbolisierte. Bereits nach den ersten Telefonaten mit Jürgen Mayer zu dieser Promotionsstelle und im Nach- klang des Gesprächs auf der Zugfahrt in die damalige Heimat war ich mir sicher, in der Arbeitsgruppe von Jürgen Mayer ein fruchtbares, off enes, wertschätzendes Arbeitsumfeld mit zentraler inhaltlicher Ausrichtung zu fi nden und angehen zu dür- fen. Diese Entscheidung stellt sich für mich rückblickend nach mehr als 10 Jahren intensiver Gespräche, Diskussionen und Zusammenwirkens im Bereich der natur- wissenschaft lichen Erkenntnisgewinnung als eine der prägendsten, wertvollsten und weitreichendsten in meiner persönlichen Entwicklung und vor allem in meinem be- rufl ichen Dasein dar. Mein Dank an Jürgen Mayer, mich auch in schwierigen, emo- tionalen Situationen in der Promotion unterstützt, nach dem Referendariat wie- der ‚eingefangen‘, familiäre Entscheidungen berufl ich mitgetragen sowie den Raum zur freien, eigenen (Forschungs-)Entfaltung gegeben zu haben, einhergehend mit der Betreuung von Promovierenden, wie Marit Kastaun, lässt sich nicht gebührend in Worte fassen und mündet daher in der Verwirklichung dieser Festschrift . Den vie- len Menschen, die Jürgen Mayer in seinem fachdidaktischen Wirken vorangebracht, begleitet und unterstützt hat, die Möglichkeit zu bieten, ihre Sichtweise auf diese he- rausragende Forscherpersönlichkeit in diesem Band darzulegen, soll meinen ganz persönlichen Dank an Jürgen Mayer widerspiegeln. 1 Naturwissenschaft liche Erkenntnisgewinnung – Beschreiben, Messen und Fördern Das 21. Jahrhundert startete mit einem Aufruhr in der Bildungslandschaft : Der PISA-Schock hat für Entsetzen gesorgt, gleichzeitig aber auch bereits an- gelaufene Bildungsreformen forciert und Veränderungen auf politischer und schulischer Ebene vorangetrieben. Die durch PISA 2000 off engelegten Defi zi- te in der Schulbildung und dem Leistungsstand der Schülerinnen und Schüler im internationalen Vergleich standen einer konträren Erwartungshaltung an das nationale Leistungsprofi l gegenüber und wurden in der Folge im bildungs- 1 geb. Marit Hoch 96 Monique Meier & Marit Kastaun politischen Kontext als problematisch eingestuft . Zusammen mit dem bereits 1997 formulierten Konstanzer Beschluss der Kultusministerkonferenz zur „Durchführung regelmäßiger länderübergreifender Vergleichsuntersuchun- gen zum Lern- und Leistungsstand von Schülerinnen und Schülern“ (KMK, 1997, S. 1) waren die Bedingungen für ein Impact dieses internationalen Ran- kings im deutschen Bildungsbereich geschaff en (Martens & Niemann, 2013). Die Einführung bundesweit geltender Bildungsstandards zum Zweck der Qua- litätssicherung folgte nahezu unmittelbar (ab 2003) sowie ein daran angebun- denes Bildungsmonitoring zu deren Überprüfung (KMK, 2005). Auch wenn schon vorher aus dem Biologieunterricht nicht wegzudenken, liegt in diesen politischen Entscheidungen und Strukturen die Geburtsstunde der naturwis- senschaft lichen Erkenntnisgewinnung mit hoher Bedeutungskraft für die Aus- bildung einer naturwissenschaft lichen Grundbildung (scientifi c literacy, Bau- mert et al., 1999) in Schule. Als einer von vier Kompetenzbereichen wird ihr ein besonderes Interesse sowohl in der Bildungs- und Unterrichtsforschung in Schule und Hochschule als auch in der Unterrichtsentwicklung beigemessen, was sich bereits wenige Jahre nach der Einführung in einer Vielzahl von Pu- blikationen zu konzeptionellen Ansätzen und (ersten) empirischen Erkennt- nissen niederschlägt (Rieß & Robin, 2012). Das zum aktuellen Zeitpunkt in vielen Wissensfacetten vorherrschende klare Bild zu dem, was naturwissen- schaft liche Erkenntnisgewinnung bedeutet, was sie beinhaltet, was sie fordert und was es zu fördern gilt, lässt sich in drei wesentliche Stränge einteilen – Be- schreiben, Messen, Fördern von naturwissenschaft licher Erkenntnisgewinnung (scientifi c inquiry) – und ist auf die Aktivitäten vieler Forscherinnen und For- scher (einschließlich Jürgen Mayer und seiner Arbeitsgruppe), Praktikerinnen und Praktiker u. a. in den vergangenen Jahren zurückzuführen. Der Kompetenzmessung liegt eine Kompetenzbeschreibung zugrunde, ebenso wie der Kompetenzförderung wiederum die (empirisch) beschriebenen Erkenntnisse zu den jeweiligen Kompetenzen und deren Operationalisierung zur Messung und Diagnostik zugrunde liegen. Folglich sind die skizzierten Stränge nicht trennscharf zu betrachten, aber mit Blick auf die hier geleisteten Forschungsarbeiten wurden punktuelle Wissens- und Fähigkeitsbereiche auf- gedeckt und damit Teile zum Gesamtkonstrukt von scientifi c inquiry beigetra- gen. Qualitativ wurde beispielsweise das Augenmerk auf die gegenstandsbezo- gene Beschreibung von Schülerfähigkeiten beim realen Experimentieren sowie den hierbei auft retenden Hürden bei den Lernenden gelegt (u. a. Meier, 2016; Baur, 2018). In einem größeren Umfang wurden, ebenfalls qualitativ über die Analyse von Schülerantworten zu off enen Aufgaben, Schülerfehler beim Ex- perimentieren beschrieben sowie in der quantitativen Auswertung der Ant- worten Kompetenzdefi zite aufgedeckt (u. a. Grube, 2011; Hamannn, Hoi Phan, Ehmer & Grimm, 2008). Damit einhergehend fanden umfangreiche Kompe- Lernunterstützungen als Werkzeug individualisierter Förderung 97 tenzmodellierungen und deren empirische Prüfung statt, die in etablierten normativen und deskriptiven (Kompetenz-/Wissens-)Strukturmodellen, wie z. B. dem Strukturmodell zum Wissenschaft lichen Denken (Mayer, 2007) und dem ESNaS-Kompetenzmodell zur naturwissenschaft lichen Erkenntnisgewin- nung (u. a. Wellnitz et al., 2012; s. auch Fischer et al. in diesem Band) münde- ten. Die umfangreichen Erkenntnisse über das, was Schülerinnen und Schüler in der Ausprägung der Kompetenzen zur naturwissenschaft lichen Erkenntnis- gewinnung können sollten und welche Defi zite hier vorliegen, eröff nete wiede- rum ein weites Feld der Förderung jener Kompetenzen über methodisch an- gepasste Lernwege/-konzepte, wie dem Forschenden Lernen (u. a. Mayer & Ziemek, 2006) und der Entwicklung von Lernunterstützungen. 2 Lernunterstützungen im Prozess naturwissenschaft licher Erkenntnisgewinnung Zur Minimierung und Überwindung der fachlichen und fachmethodischen Hürden, auf die Schülerinnen und Schüler im Prozess der naturwissenschaft - lichen Erkenntnisgewinnung, wie z. B. beim Experimentieren, stoßen, rücken verschiedene Formen von Lernunterstützungen in den Blickpunkt des Interes- ses von Forschung und Unterricht (s. auch Arnold in diesem Band). Dem Ein- satz von Lernunterstützungen in forschend angelegten Unterrichtsszenarien liegt ein konstruktivistisches Bestreben zugrunde, in dem Lernende selbstre- guliert und möglichst selbstständig Entscheidungen zum Vorgehen beim Ex- perimentieren treff en, diese umsetzen und refl ektieren. Direkte Instruktionen in angeleiteten Experimentierprozessen widersprechen diesem Anspruch des Konstruktivismus (Hmelo-Silver, Duncan & Chinn, 2007) und würden dem in off enen bzw. geöff neten Experimentalsettings zumeist verorteten Lehr-Lern- konzept zum Forschenden Lernen zumindest in Teilen seinen wissenschaft s- nahen, authentischen (Lern-)Charakter nehmen (Chinn & Malhotra, 2002). Über den Grad der Öff nung in den Prozessphasen beim Experimentieren (z. B. Frage/Hypothese  =  Lehrkraft , Planung =  Lernende, Mayer & Ziemek, 2006) kann der Einsatzspielraum von Lernunterstützungen skizziert werden. Im Pro- zess der naturwissenschaft lichen Erkenntnisgewinnung können sie an unter- schiedlichen Stellen im zeitlichen Prozessverlauf vom Lernenden genutzt wer- den, d. h. sowohl phasenbezogen als auch in unterschiedlicher Ausprägung innerhalb einer Prozessphase, die ebenso in einem unterschiedlichen Grad an Öff nung an die Lernenden herangetragen werden können. In der Planungs- phase beispielsweise können die Lernenden nach einer vorgegebenen Anlei- tung arbeiten, eine Anleitung aus verschiedenen Möglichkeiten auswählen so- 98 Monique Meier & Marit Kastaun wie selbst ein Vorgehen mit oder ohne Hilfen planen (Baur, Hummel, Emden & Schröter, 2020). Mit Blick auf den Zeitpunkt einer gegebenen Lernunter- stützung handelt es sich bei dennoch zumeist vorliegender Phasenspezifi tät der eingesetzten Lernunterstützungen um instruktionale, kognitive Hilfen mit strukturierender, einschränkender oder übergreifender Funktion im Lernpro- zess bzw. inquiry process (de Jong, 2006). Die hierbei ‚just-in-time‘ gegebenen Informationen/Hilfen zeigen sich eff ektiver als dem Lernprozess vorangestellte Hilfen, wie z. B. in Form von Trainings (Hulshof & de Jong, 2006; Th illmann, Kün sting, Wirth & Leutner, 2009). Neben dem Zeitpunkt einer möglichen Lernunterstützung im Erkennt- nisprozess unterscheiden sich diese im Format (z. B. prompts: Lai & Calan- dra, 2010; Davis, 2010; Bruckermann, Aschermann, Bresges & Schlüter, 2017; work ed samples: Kaiser, Mayer & Malai, 2018; gestuft e Lernhilfen: Arnold, Kre- mer & Mayer, 2016; Generieren und Testen: Kaiser & Mayer, 2019; Erichsen & Mayer, 2015; Feedback: Shute, 2008; Hess, Werker & Lipowsky, 2018) und einer formatspezifi schen Darstellung (z. B. Repräsentationsformat/-kombina- tionen: Kastaun & Meier, 2018; Kastaun & Meier, 2021) sowie der Interak- tion mit dem Lernenden und der Anpassungsfähigkeit an die Lernenden und ihre Handlungen. Bezogen auf letzteres Merkmal bzw. als Unterscheidungs- kriterium können übergreifend fast alle Formate an Lernunterstützungen als scaff olds zusammengefasst werden, die sich je nach ihrem Grad an Adaptivität als hard oder soft scaff old deklarieren lassen. Scaff olds sind gerüstartige Lern- unterstützungen, welche an die Lernvoraussetzungen angepasst und mit fort- schreitender Entwicklung der Fähigkeiten der Lernenden ausgeschlichen, d. h., schrittweise immer weiter im Lernprozess reduziert und schließlich ganz ein- gestellt werden (Wu & Pedersen, 2011). Sie sind abzugrenzen von reinen sup- ports, wie Werkzeuge und Funktionen, die es ebenso zur Bearbeitung einer Aufgabe braucht, die jedoch fortwährend da sind und von allen Lernenden gleichermaßen genutzt werden (müssen) (Fretz et al., 2002). Im Gegensatz zu hard scaff olds, die vor dem Lernprozess aufb ereitet werden, statisch sind und typische Schülerfehler im Lern-/Arbeitsprozess adressieren, handelt es sich bei soft scaff olds um dynamische, situationsspezifi sche Hilfen, die zumeist von den Lehrenden in der direkten Situation individuell an die Lernenden gegeben werden (Brush & Saye, 2002). Sowohl in der Art der Darstellung des Inhaltes als auch in der Einbindung in den Lernprozess von hard und soft scaff olds las- sen sich unterschiedliche Individualisierungsansätze beschreiben, die im Fol- genden anhand von zwei Praxisbeispielen skizziert werden. Lernunterstützungen als Werkzeug individualisierter Förderung 99 2.1 Praxisbeispiel: individualisierte Förderung mittels unterschiedlicher Repräsentationen in Form von Lern- unterstützungen beim Experimentieren (hard scaff olds) Lernende individualisiert in ihrem Lernprozess zu unterstützen unterliegt ent- weder der Annahme genereller, vorliegender Schwierigkeiten (hard scaff olds) oder dem pädagogischen Konzept zur gezielten Diagnose des Vorwissens bzw. des aktuellen Wissensstandes (hard/soft scaff olds) durch die Lehrkraft , mit Blick auf die Ausgestaltung individualisierter Lernprozesse. Individualisie- rung und eine mögliche Adaption zielt dabei meist auf ein bestimmtes Ler- nermerkmal, wie dem (Vor-)Wissen, den Kompetenzausprägungen, den Präfe- renzen oder Einstellungen, ab (u. a. Hänze, Schmidt-Weigand & Stäudel, 2010; Arnold et al., 2016). Zudem kann sich aus einem möglichen Einfl uss auf die aktive Lernzeit durch u. a. unterschiedlich ausgeprägte Repräsentationspräfe- renzen oder den kognitiven Stil in der Verarbeitung von Informationen durch die Lernenden ebenfalls ein Individualisierungsansatz in der Gestaltung von Instruktionsmaterialien zum Lernen ergeben (Koć‐Januchta, Höffl er, Eck- hardt & Leutner, 2019; Blajenkova & Kozhevnikov, 2009). Die lernerspezifi - sche Repräsentationspräferenz (Mayer & Massa, 2003) bezieht sich dabei auf die Art und Weise, wie Lernende externe Informationen, wie bspw. in Form von Lernunterstützungen, präsentiert bekommen, wohingegen der kognitive Stil (Figl & Recker, 2016; Blajenkova & Kozhevnikov, 2009; Mayer & Massa, 2003) die Präferenzen der internen Informationsverarbeitung beschreibt. Über die Annahmen der Cognitive Th eory of Mulitmedia Learning (CTML) nach Mayer (2014), dass je nach Codierungsart visuelle sowie auditive Informatio- nen vom sensorischen Gedächtnis und Arbeitsgedächtnis über zwei Kanäle getrennt voneinander verarbeitet und miteinander in Beziehung gestellt wer- den, können unterschiedliche kognitive Stilrichtungen defi niert werden, die mit den Repräsentationsformen, der Informationsverarbeitung und der Aus- prägung weiterer Lernermerkmale in Zusammenhang stehen (Höffl er, 2010; Blajenkova & Kozhevnikov, 2009). Grundsätzlich werden zwei unterschiedli- che, kognitive Stilrichtungen beschrieben – die Verbalisierer und die Visua- lisierer. Lernende mit einer hohen verbalen Ausprägung des kognitiven Ver- arbeitungskanals bevorzugen vor allem textliche Repräsentation en und werden daher als Verbalisierer bezeichnet, wohingegen visuell Lernende (Visualisierer) vorrangig bildliche Repräsentationen zur Informationserschließung nutzen (Koć-Januchta, Höffl er, Th oma, Prechtl & Leutner 2017; Blajenkova & Kozhev- nikov, 2009). Darüber hinaus können die Visualisierer in räumliche und bildli- che Typen diff erenziert werden, da ein Zusammenhang zwischen der Ausprä- gung des räumlichen Vorstellungsvermögens und der visuellen Verarbeitung 100 Monique Meier & Marit Kastaun besteht (Blajenkova & Kozhevnikov, 2009). Bildliche Visualisierer, die meist ein geringes räumliches Vorstellungsvermögen aufweisen, präferieren eher far- bige, illus trierte Repräsentationen, wohingegen räumliche Visualisierer mit einem hohen, räumlichen Vorstellungsvermögen vorrangig schematische, abs- trakte Visualisierungen zur Informationsverarbeitung nutzen (Höffl er, 2010). Ein Individualisierungsansatz kann eine Beachtung dieser kognitiven Stilrich- tungen – räumliche und bildliche Visualisierer sowie Verbalisierer im Lern- prozess – geben, da sie einhergehend mit der Repräsentationspräferenz auf die Darstellungsweise und Verarbeitung von Repräsentationen abzielen. Die Dif- ferenzierung erfolgt daher nicht über die Komplexität des Fachinhaltes und das präsentierte Wissen, sondern über die unterschiedliche Darstellungsweise, Aufb ereitung und mögliche Kombinationen aus unterschiedlichen Repräsenta- tionen (z. B. Bild + Text, Bild + Audio). Eine Möglichkeit, diesen Individuali- sierungsansatz zu verfolgen, wird im Folgenden exemplarisch über die Gestal- tung, Konstruktion und den Einsatz von unterschiedlichen Repräsentationen in Form von Lernunterstützungen zum Experimentieren aufgezeigt. Konstruktion multimedialer Lernunterstützungen zum Experimentieren Grundlegend werden bei der Erstellung von Lernmaterialien, wie auch Lern- unterstützungen, Entscheidungen bezogen auf das umzusetzende Format, zur Integration in den Lernprozess sowie zur Gestaltung im Zusammenspiel mit dem inhaltlichen Niveau und der Darstellungsweise getroff en, um einen posi- tiven Lerneff ekt zu erzielen (Mayer & Moreno, 2003; Schnotz & Rasch, 2005). Bei den im Folgenden skizzierten Konstruktionsprozess zu Lernunterstützun- gen zum Experimentieren wird eine Individualisierung vorrangig über die re- präsentationsspezifi sche Gestaltung angestrebt, wobei vor allem die Darstel- lungsweise der inhaltlichen Ausrichtung in den Lernunterstützungen von großer Bedeutung ist. Im Zusammenspiel zwischen empirisch geprüft en, ler- nerspezifi schen Schwierigkeiten beim Experimentieren (u. a. Baur, 2018; Meier, 2016) mit unterschiedlichen Formaten von scaff olds und deren Vor- und Nach- teilen (u. a. Puntambekar & Hubscher, 2005; Schmidt-Weigand, Franke-Braun & Hänze, 2008; Sweller, 2005) erfolgt in der hier zugrundeliegenden Studie eine Festlegung zur Konstruktion von hard scaff olds (prompts) zu generalisier- ten, fachmethodischen Inhalten beim Experimentieren. Deren Aufb ereitung und Gestaltung wird über unterschiedliche Repräsentationen realisiert, die die Lernenden zu Beginn der naturwissenschaft lichen Erkenntnisprozessphasen der Fragestellung, Planung und Fehleranalyse in der Funktion von Lernunter- stützungen digital zur Verfügung gestellt bekommen (eine ausführliche Be- schreibung des Studiendesigns kann Kastaun & Meier, 2018 entnommen wer- den). Lernunterstützungen als Werkzeug individualisierter Förderung 101 Auf Basis kognitionspsychologischer Prinzipien, abgeleitet aus der CTML (Mayer, 2014) sowie der Cognitive Load Th eory (CLT: Sweller, 2005), wur- den vier unterschiedliche Lernunterstützungen jeweils zum fachmethodischen Wissen der Fragestellung, Planung und Fehleranalyse entwickelt. Da das Mul- timedia Prinzip (Mayer, 2001), wenn auch nur vage, eine Erhöhung der Lern- leistung bei der Kombination von mindestens zwei Repräsentationen zu einem Sachverhalt beschreibt (u. a. Butcher, 2006; Schmidt-Weigand & Scheiter, 2011), wurde bei der Gestaltung der hard scaff olds beachtet, dass jede Lern- unterstützung aus je zwei unterschiedlichen Repräsentationsarten aufgebaut ist. Mit Blick auf die kognitiven Stile und damit einhergehenden, hypothe- tisch angenommen Repräsentationspräferenzen wurden vier unterschiedliche Repräsentationskombinationen festgelegt – die statische Bild-Text-Kombina- tion (Verbalisierer); die statische Bild-Audio-Kombination (Visualisierer); die dynamische Bild-Text-Kombination (=  Animation; Verbalisierer) und die dy- namische Bild-Audio-Kombination (=  Video; Visualisierer) (Abb.  1), welche inhaltlich je Erkenntnisprozessphase kohärent sind, aber sich in der Kombi- nation der Repräsentationen unterscheiden. Basierend auf dem Kohärenz- prinzip (CTML: Mayer & Jackson, 2005; Florax & Plötzner, 2010), das besagt, dass Lernmaterialien nur themenrelevante Informationen repräsentieren sol- len, um kognitive Belastungen zu minimieren und ein tieferes Verständnis auf Seiten der Lernenden anzuregen, wurden auf inhaltlicher und gestalterischer Ebene unterschiedliche Entscheidungen in der Konstruktion getroff en. In der Aufarbeitung des relevanten Inhalts wurden die zentralen fachmethodischen Merkmale des Experimentierens in den Phasen der Fragestellung, Planung und Fehleranalyse fokussiert. In der Fragestellung wurden vor allem die Eigen- schaft en sowie die Formulierungsweise einer wissenschaft lichen Fragestellung inhaltlich festgelegt (Wellnitz & Mayer, 2013; Chinn & Malhotra, 2002). Die Variablenoperationalisierung, einhergehend mit der Defi nition der abhängi- gen und unabhängigen Variablen, der Identifi zierung von Stör- und Kontroll- variablen sowie die Erstellung eines Messkonzeptes stellen dagegen die zentra- len Inhalte der Planungsphase dar (Mayer & Ziemek, 2006; Wellnitz & Mayer, 2013). In der Phase der Fehleranalyse wird vor allem der Rückbezug und die Refl exion der Messdaten zur aufgestellten Hypothese verbunden mit der Iden- tifi zierung unterschiedlicher Fehlerarten verdeutlicht (Wellnitz & Mayer, 2013; Mayer & Ziemek, 2006). Auf gestalterischer Ebene wurde eine sehr abstrak- te und inhaltlich losgelöste Darstellungsweise angestrebt, sodass die Übertra- gung der fachmethodischen Inhalte auf unterschiedliche fachbezogene Aus- richtungen eines Experimentes möglich ist. Um einerseits dennoch einen persönlichen Bezug zum Lernenden herzustellen und andererseits einen Wie- dererkennungseff ekt zwischen den phasenbezogenen Lernunterstützungen zu 102 Monique Meier & Marit Kastaun Abbildung 1: Lernunterstützungen in den unterschiedlichen Repräsentationskombinationen zur Prozessphase der Fragestellung: dynamische Bild-Audio-Kombination (Video), statische Bild-Text-Kombination und dynamische Bild-Text- Kombination (Animation). Die statische Bild-Audio-Kombination besteht aus dem Vollbild aus der Bild-Text-Kombination und dem Sprechtext des Videos. generieren, wurde ein Protagonist in Form eines geschlechtsneutralen Kopfes stringent durch alle Lernunterstützungen genutzt (Abb. 1). Dies geschah auch mit dem Ziel, die kognitiven Belastungen im Verlauf des Erkenntnisprozesses sukzessiv durch eine Gewöhnung an die abstrakte, aber dennoch realitätsannä- hernde Darstellung zu minimieren. Im Sinne des Redundanzprinzips (CTML: Mayer & Moreno, 2003), des Prinzips der zeitlichen und räumlichen Konti- guität (CTML: Mayer, 2005a; Mayer & Moreno, 2003) sowie der Minimierung des Split-Attention-Eff ekts (Sweller, van Merriënboer & Paas, 1998; Sweller & Chandler, 1994) wurden die unterschiedlichen Einzelrepräsentationen und de- ren Informationen entweder in einen direkten Bezug zueinander synchroni- siert (bspw. Bild-Text-Kombination) und/oder besonders bei den dynamischen Repräsentation (bspw. Animation) auch in ihrer zeitlichen Abfolge aufb auend und nicht gleichzeitig dargeboten. Im Gegensatz zur Bild-Text-Kombination wurde bei den anderen drei Repräsentationskombinationen darauf geachtet, dass den Lernenden die präsentierten Informationen segmentiert und gestaf- felt dargestellt werden. Zudem wurde hier die Möglichkeit geboten, über Start und Stopp der Wiedergabe sowie dem Vor- und Zurückspulen eine Anpassung an die individuelle Verarbeitungsgeschwindigkeit vorzunehmen (Segmen- tierungsprinzip: Mayer, 2005b). Beim Video und der Bild-Text-Kombination wurde bei der Aufnahme des Sprechertextes das Stimmprinzip/Personalisie- rungsprinzip (Mayer, 2005c) angewendet, welches besagt, dass die menschliche Stimme im Gegensatz zu einer computerbasierten die Informationsverarbei- Lernunterstützungen als Werkzeug individualisierter Förderung 103 tung optimiert und ein Gefühl zur sozialen Interaktion mit der digitalgestütz- ten Lernumgebung fördert. Zur Pilotierung wurden die Lernunterstützungen vor dem Praxisein- satz bei Schülerinnen und Schülern der 9. und 11. Jahrgangsstufe (Kastaun & Meier, 2019) von Biologie-Lehrkräft en (N = 5, ♀ = 60 %) und Biologie-Lehr- amtsstudierenden (N  =  75, ♀  =  71 %, MFachsemester =  1,77) genutzt und bewer- tet. Während die Lehrkräft e die unterschiedlichen Lernunterstützungen zu den einzelnen Phasen kriteriengestützt über Leitfragen zur Verständlichkeit, Ver- gleichbarkeit und zum inhaltlichen Niveau analysieren sollten, durchliefen die Biologie-Lehramtsstudierenden ebenfalls den naturwissenschaft lichen, ex- perimentellen Erkenntnisweg zu einem ausgewählten Experiment unter Nut- zung der unterschiedlichen Lernunterstützungen. Die angehenden Lehrkräft e konnten eine der vier angebotenen Lernunterstützungen zu Beginn der ein- zelnen Phasen der Fragestellung, Planung und Fehleranalyse frei und eigen- ständig auswählen. Nach der Nutzung ihrer ausgewählten Lernunterstützung wurden sie angehalten, ihre individuelle Auswahl zu begründen und die Eff ek- tivität der Unterstützungsmaßnahme zu bewerten. In der prozentualen Verteilung zeigt sich, dass alle vier Lernunterstüt- zungen von den Studierenden unterschiedlich genutzt wurden (Abb.  2). Am meisten wurde im Durchschnitt die statische Bild-Text-Kombination (Frage- stellung: 43 %; Planung: 38 %, Fehleranalyse: 45 %) gefolgt vom Video (Fra- gestellung: 29 %; Planung: 31 %, Fehleranalyse: 32 %) gewählt. Die Animation (Fragestellung: 9 %; Planung: 17 %, Fehleranalyse: 13 %) und die statische Bild- Audio-Kombination (Fragestellung: 19 %; Planung: 14 %, Fehleranalyse: 10 %) wurden dagegen am wenigsten genutzt. Nach der individuellen Auswahl und Nutzung wurden die Studierenden aufgefordert, eine Einschätzung zu den Lernunterstützungen zu geben. Auf die Frage, ob ihnen die Lernunterstützung hilfreich erschien, wurde ein durchweg positiver Eindruck über alle Phasen und alle Repräsentationskombinationen hinweg festgestellt. Einige Studierende betonten die „gute, erneute Zusammen- fassung“ (Student, 1. Fachsemester, Bild-Text) sowie die inhaltliche Ausge- staltung: „Nach der Lernunterstützung wusste ich, worauf ich mich fokussie- ren soll“ (Studentin, 3. Fachsemester, Video) oder „Die Lernunterstützung war hilfreich, weil sehr gut und verständlich die Th ematik vorgestellt wurde“ (Stu- dent, 1. Fachsemester, Bild-Audio). Andere verwiesen auf die inhaltliche Dich- te der Lernunterstützungen, meldeten aber dennoch eine gelungene Umset- zung zurück: „Obwohl viel Inhalt vermittelt wurde, war es dennoch eine gute Vorstellung durch Text verbunden mit dem Video“ (Studentin, 1. Fachsemes- ter, Animation), „Trotz der Fülle an Infos – die wichtigsten Fakten wurden gut dargestellt“ (Student, 3. Fachsemester, Animation). Zur Gestaltung der Lern- 104 Monique Meier & Marit Kastaun Abbildung 2: Prozentuale Auswahl und Nutzung der Lernunterstützungen von angehenden Biologie-Lehramtsstudierenden (N = 75) im naturwissenschaft lichen Erkenntnisprozess. unterstützungen gaben die Studierenden ein positives Feedback in Bezug auf die Kombination von zwei Repräsentationen ab: „Mir gefällt die Kombina- tion aus Bild und Text, weil das Bild dem Text unterstützend zur Seite steht“ (Student, 1. Fachsemester, Bild-Text), „Die Kombination aus animierten Bil- dern und Text empfand ich als sinnvoll“ (Studentin, 1. Fachsemester, Anima- tion) oder „Ich fi nde das Video am ehesten verständlich, da sowohl das Video als auch der Sprecher gleichzeitig ablaufen“ (Student, 3. Fachsemester, Video). Obwohl die visuellen Darstellungen abstrakt, aber dennoch realitätsnah kon- struiert wurden, betonten die Studierenden mehrfach die Anschaulichkeit der Lernunterstützungen in Bezug auf die Bilder/Animationen als auch den ge- sprochenen Text: „Es wurde alles anschaulich erläutert“ (Student, 3. Fachse- mester, Video) „Die Darstellungsweise half mir, das Gesagte zu verstehen“ (Studentin, 3. Fachsemester, Bild-Audio) oder „gute Veranschaulichung“ (Stu- dent, 1. Fachsemester, Animation). Ein ähnliches Bild zeigten die Rückmeldungen der Biologie-Lehrkräft e. Be- sonders bei den auditiven Repräsentationskombinationen wurde die bildli- che Darstellungsweise positiv bewertet: „Die Darstellungsweise gefällt mir, da sie übersichtlich ist und dennoch ansprechend für Jugendliche“ (Lehrerin für Gymnasium, Video). In Bezug auf die Verständlichkeit unterschieden sich die Rückmeldungen der Lehrkräft e. Obwohl die Texte in allen Lernunterstützun- gen identisch konstruiert sind, meldeten einige Lehrerinnen und Lehrer zu- Lernunterstützungen als Werkzeug individualisierter Förderung 105 rück, dass „die Texte für die Haupt- und Realschule zu anspruchsvoll und zu umfangreich sind“ (Lehrer der Haupt- und Realschule, statisches Bild-Text). Dagegen wurde bei der dynamischen Bild-Text-Kombination (Animation) die Segmentierung der einzelnen Textpassagen als positiv bewertet: „die Sätze sind kurz, die Bilder (Animation) verständlich und das Tempo der Einblendungen von Infos genau richtig“ (Lehrerin der Haupt- und Realschule, dynamisches Bild-Text). Im skizzierten Vorhaben wird deutlich, dass die Erstellung von Lernma- terialien, wie hier in Form von Lernunterstützungen, einem theoriegestützten Konstruktionsprozess unterliegen, in dem unterschiedliche Entscheidungen in Bezug auf das Ziel, die Lerngruppe und die Gestaltung getroff en werden müs- sen (u. a. Schnotz & Rasch, 2005). Es wird sich zukünft ig zeigen, ob über die Varianz unterschiedlicher Repräsentationskombinationen Schülerinnen und Schüler in ihrem Lernprozess individuell unterstützt werden können und, da- mit verbunden, der kognitive Stil eine weitere Facette der Individualisierung darstellt. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Lernenden die Lernunterstützungen unterschiedlich nutzen und auch ihre Auswahl gezielt und begründet vorneh- men. Innerhalb dieser Begründungsmuster lassen sich bereits erste Hinweise auf die Ausprägung einer individuellen, schülerspezifi schen Repräsentations- präferenz sowie eines kognitiven Stils ableiten (Kastaun & Meier, 2019). Ob unterschiedliche Repräsentationskombinationen in Form von hard scaff olds zur fachmethodischen Ausgestaltung des Experimentierens, integriert im na- turwissenschaft lichen Erkenntnisprozess, eine weitere Möglichkeit der Indivi- dualisierung und der gezielten Unterstützung darstellen, muss zukünft ig empi- risch untersucht werden. 2.2 Praxisbeispiel: individualisierte Förderung mittels Feedback- Karten in der Planungsphase zum Experimentieren (hard & soft scaff olds) Bei mehr als 20 Schülerinnen und Schülern in einer Klasse sind fünf bis sechs Kleingruppen, die kooperativ ein vorgegebenes Phänomen strukturiert über den naturwissenschaft lichen Erkenntnisprozess mit einem Experiment selbst- ständig prüfen sollen, keine Seltenheit und führt gleichzeitig zu einem gro- ßen Betreuungsaufwand auf Seiten der Lehrkraft . Selbst jeder Kleingruppe eine auf ihren Arbeits- und Wissensstand gezielte Unterstützung (soft scaff ol- ding) zu geben, erscheint in der Praxis nahezu unmöglich. In der Kombination mit hard scaff olds, die an generellen Schwierigkeiten der Lernenden ansetzen, kann soft scaff olding jedoch auch in sehr betreuungsintensiven Lernarrange- 106 Monique Meier & Marit Kastaun ments möglich werden. In der Kombination dieser Unterstützungsstrategien können, vor der eigentlichen Unterstützung, hard scaff olds der Lehrkraft Raum zum Beobachten der Lernenden und zum Nachdenken über die beobachte- ten Schülerhandlungen und -reaktionen verschaff en (Saye & Brush, 2002). Eine Reduktion des Handlungsdrucks, auf die Diagnose zu einer Schülerant- wort/-handlung/-reaktion unmittelbar reagieren zu müssen, kann nun wiede- rum mehr Individualisierung in der Lehrerreaktion ermöglichen. Die Kompetenzausprägungen zum Wissenschaft lichen Denken sind bei den Lernenden divergent ausgeprägt (u. a. Grube, 2011; Schiepe-Tiska, Rönne- beck & Neumann, 2019). Stellt sich für den Einen die Identifi kation des Ein- fl ussfaktors (unabhängige Variable) bei der Planung zu einem Experiment als schwierig dar, ist es für Andere das Erkennen und Miteinbeziehen von Stör- faktoren oder auch beides. Obwohl bei Schülerinnen und Schülern der Mittel- stufe generell höhere Kompetenzniveaus seltener vorliegen und erreicht wer- den, kann auch das Leistungsbild auf den unteren Stufen heterogen in einer Klasse ausgeprägt sein. Wie nun mit dieser Heterogenität in off enen, selbstre- gulierten Experimentaleinheiten umgehen? Im Folgenden wird exemplarisch ein Unterstützungsensemble für Kleingruppen aus hard scaff olds zur Unter- stützung des (individualisierten/adaptierten) soft scaff olding der Lehrkraft skiz- ziert (Phase 1 bis 3). Eingebettet in die Planungsphase eines Experimentiermo- duls der Experimentier-Werkstatt Biologie (FLOX, Meier & Wulff , 2013) zur Prüfung der „Lichtreaktion von Wasserfl öhen“ entwickelten die Schülerklein- gruppen gestuft einen Plan zu ihrem Experiment und wurden dabei mittels Feedback-Karten, verteilt von der Lehrkraft , zum tieferen Nachdenken über ihr geplantes Vorgehen angeregt. Phase 1 – Erste Planungsskizze und Feedback-Karte 1 Die Lernenden planen zu einer ausgewählten Hypothese (z. B. „Wasserfl öhe schwimmen weg vom Licht, weil es schädlich für sie ist.“) mit Blick auf die vor- gegebenen Materialien ein Experiment. Sie halten ihren ersten Plan in einer beschrift eten Zeichnung im Protokollbogen fest. Die Lehrkraft beobachtet die Gruppen und kann erste Schwierigkeiten in den Planungen aufnehmen. Mit der Planungsskizze stellen die Lernenden der Lehrkraft ihr Vorgehen in einem kurzen Gruppengespräch vor. Die Lehrkraft entscheidet bzw. diagnostiziert et- waige Probleme oder Fehler in der Planung und verteilt eine der zur Verfü- gung stehenden Feedback-Karten entsprechend dem Planungsstand der Grup- pe. Lernunterstützungen als Werkzeug individualisierter Förderung 107 Phase 2 – Planungsskizze erweitern und Feedback-Karte 2 Die Lernenden überarbeiten auf Basis des Feedback-Prompts, der metho- dischen Informationen und des Lösungsbeispiels auf der Feedback-Karte (Tab. 1) ihren Plan und ergänzen weitere Aspekte in ihrer Skizze. Es folgt eine zweite Gesprächsrunde mit der Lehrkraft , in der die Schülerinnen und Schü- ler nur die Ergänzungen kurz erläutern. Um den Plan weiter methodisch aus- zuschärfen und zum tiefergehenden Nachdenken anzuregen, gibt die Lehrkraft noch eine zweite Feedback-Karte (je nach Planungsstand) in die Gruppe. Phase 3 – Planung verschrift lichen und präsentieren Die Lernenden überarbeiten bzw. ergänzen ein weiteres Mal ihren Plan und halten den geplanten Ablauf zur Durchführung des Experimentes stichpunkt- artig fest. Im weiteren Verlauf wird der Plan von den Schülerinnen und Schü- lern über ein Plakat oder in einem Stop Motion Clip visualisiert (Meier, 2019) und mit dieser Visualisierungsform im Plenum vorgestellt und diskutiert. Das Feedback von Lehrpersonen innerhalb einer Lehrer-Schüler-Interaktion stellt sich als ein zentrales und lernwirksames Merkmal von Unterricht dar (Lotz & Lipowsky, 2015; Hattie & Timperley, 2007), wobei hier weniger die Motivation zum Lernen, sondern kognitive und motorische Fähigkeiten be- einfl usst werden (Wisniewski, Zierer & Hattie, 2020). Die Wirkung von Feed- back wird von der eingesetzten Form, wie einfache (Richtig/Falsch) Antwort oder elaborierte Formen (Narciss, 2006), eine personale oder lernprozessbezo- gene Form (Hattie & Timperley, 2007), von der Darbietung (z. B. computerba- siert und/oder lehrergesteuert) und von lernerbezogenen Merkmalen, wie der Wahrnehmung des Feedbacks (u. a. Butler & Winne, 1995) und dem Vorwis- sen (u. a. Narciss, 2006), beeinfl usst. In Folge dessen stellt sich die empirische Befundlage zum Teil divergent, komplex und nicht eindeutig dar (Wisniewski, Zierer & Hattie, 2020). Dem elaborierten und informierenden Feedback, das sich u. a. auf die zu bewältigenden Aufgaben, den Weg des Lernens oder der Fähigkeit zur Selbstregulation beziehen kann (Hattie & Timperley, 2007), wird allgemeinhin jedoch eine größere Wirkkraft zugesprochen als dem rein korri- gierenden Feedback (ohne formative Funktion zur Lernverbesserung, Shute, 2008). Die in dem hier vorgestellten Praxisbeispiel eingesetzten Feedback-Kar- ten tragen eben diesen informativen Charakter, indem sie gezielt und direkt auf ausgewählte fachmethodische Merkmale in der Planung eines Experiments eingehen und einen Lösungsansatz als unterstützendes Element mitliefern (Tab.  1). Die Lehrkraft übernimmt die Passung zwischen der über das Feed- back gegebenen Information zu der vorangegangenen Leistung der Lernenden in der Planung. Je nachdem, welches fachmethodische Merkmal in der Schü- 108 Monique Meier & Marit Kastaun lerplanung fehlt oder falsch ausgearbeitet wurde, kommt eine der vier Feed- back-Karten zum Einsatz (Tab. 1). Tabelle 1: Inhaltliche Ausgestaltung der Feedback-Karten (in Prioritäten-Reihenfolge) Nr. Merkmal zur Feedback-Prompt Information LösungsbeispielPlanung Ihr wisst, was in In einem oder in Beispielsweise könnte eurem Experiment unterschiedlichen die Intensität des Einfl ussgröße das Versuchstier Versuchen sollte die Lichtes verändert 1 (UV) defi nie- beeinfl usst. Überlegt Stärke oder die Größe werden. ren/variieren noch, wie ihr diese des Einfl ussfaktors Beeinfl ussung durch- verändert werden. führen wollt! Ihr habt schon In einem Messkonzept Beispielsweise könn- Unter- bestimmt, was ihr muss defi niert werden, te die Anzahl der suchungs- untersuchen wollt, was im Experiment Wasserfl öhe in einem 2 größe (AV) doch was wollt ihr mit welchen Hilfs- bestimmten Bereich defi nieren wie messen? mitteln gemessen der Schachtel nach werden kann. einer festgelegten Zeit gezählt werden. In eurem geplanten Um aussagekräft ige Beispielsweise Experiment habt ihr Ergebnisse zu erhalten, die Anzahl der Messwieder- schon festgelegt, was ist es notwendig, dass Wasserfl öhe 3 Mal 3 holung/ ihr messen/beobach- mehrere Messungen nach einer festgeleg-Messreihe ten wollt. Überlegt mit einer festgelegten, ten Zeit zu bestim- anlegen noch, wie oft ihr gleichen, zeitlichen men, wäre möglich. messen wollt! Dauer durchgeführt werden. In eurem geplanten Um gezielt den Zuviel Experiment habt ihr Einfl uss eines Faktors Wasserbewegungen noch nicht an mög- zu überprüfen, müssen könnten z. B. störend 4 Störfaktoren liche Störfaktoren möglichst alle anderen wirken.identifi zieren gedacht! Einfl üsse bzw. alle Störfaktoren beseitigt oder gleich gehalten werden. Im praktischen Einsatz dieser Feedback-Karten bei N = 135 Lernenden der 6. Jahrgangsstufe (♀ = 41 %) wurde deren adaptiver Charakter, der bereits in der Verbindung von Lernerverhalten und Lehrerreaktion dem Feedback konzep- tionell zugrunde liegt, auch über das heterogene Einsatzbild der Karten deut- lich. Eingesetzt in sechs Klassen und insgesamt 43 Kleingruppen mit über- wiegend drei bis vier Lernenden (3er-Gruppe  =  67 %) kamen die Karten zur Variablendefi nierung/-variation und -operationalisierung mehrheitlich, jedoch Lernunterstützungen als Werkzeug individualisierter Förderung 109 zu unterschiedlichen Zeitpunkten, zum Einsatz. Während etwa die Hälft e der Kleingruppen in ihrer ersten Planungsskizze eine Variation der unabhängigen Variable (UV = Licht) bereits defi niert hatten und anknüpfend daran die Kar- te  (2) zur Operationalisierung der abhängigen Variable bekamen (AV  =  Re- aktion der Wasserfl öhe), brauchten noch ein Drittel der Gruppen die Karte zur UV-Variation (1). Erst nach der Überarbeitung und Erweiterung des Plans (auf Basis der ersten Feedback-Karte) konnte mehrheitlich auch die Karte zur Anlage eines Messkonzeptes (3) (= 58 % der Kleingruppen) im zweiten Feed- back ausgegeben werden. Ein informierendes Feedback zur Analyse möglicher Störfaktoren  (4) ging in der zweiten Feedbackrunde nur an 11 % der Klein- gruppen. Die Schülerinnen und Schüler sind als Gruppe entsprechend ihrem Leistungsstand zur Planung eines Experiments unterschiedlich gestartet und unterschiedlich weit gekommen, haben aber in dem gesetzten methodischen Rahmen über die Feedback-Karten ähnliche Lernprozesse beschritten. Dem hier skizzierten Vorhaben und Vorgehen zur Unterstützung des Ler- nens im naturwissenschaft lichen Erkenntnisprozess liegen feedbackgesteuerte Maßnahmen zugrunde, die eine adaptive Lernprozesssteuerung einer einzel- nen Lerngruppe mit einem gemeinsamen Lernziel der gesamten Lerngrup- pe beinhalten (Vasilyeva, Puuronen, Pechenizkiy & Räsänen, 2007). Im Ver- gleich dazu erscheint individuell-adaptives Feedback mit hoher Dynamik im Abgleich von Lernerstand/-wissen und gegebenen Feedback über die Lehrkraft aufgrund des hohen Betreuungsaufwandes zwischen Lernenden und Lehrkraft im realen Unterrichtssetting nicht umsetzbar. Digitalen Systemen kommt zu diesem Zweck bereits seit einigen Jahren eine besondere Bedeutung zu. Sie ge- ben der Forschung zu scaff olding eine prägende Ausrichtung zur Anlage und Untersuchung digitalgestützten Feedbacks „to support science inquiry“ (u. a. Quintana et al., 2004) 3 Ausblick Zur Minimierung auft retender Hürden im naturwissenschaft lichen Erkennt- nisprozess können unterschiedliche Formate an Lernunterstützungen nach- weislich einen positiven Eff ekt erzielen. Ob prompts, worked examples, ge- stuft e Lernhilfen oder Feedback – die Möglichkeiten der gestalterischen und medialen/methodischen Ausgestaltung von Unterstützungsformaten sowie de- ren Einsatzzeitpunkt im forschenden Lernprozess sind sehr vielfältig. Beson- ders der fortschreitende digitale Wandel mit Einzug in den Unterricht und die (Weiter-)Entwicklung digitaler Tools eröff nen nunmehr eine Erweiterung der didaktischen Möglichkeiten, heterogene Lernwege im naturwissenschaft lichen 110 Monique Meier & Marit Kastaun Erkenntnisprozess gezielt zu fördern und unterschiedliche Zugänge und An- sätze der Individualisierung zu verfolgen. Mit Einbezug adaptiver Feedbackstrukturen mittels digitaler Systeme in di- gital-gestützte Lernumgebungen rückt auch die Rolle der Lehrkraft neu in das Blickfeld von Unterricht und Forschung. Zentral und noch weitgehend unge- klärt ist die Frage, wie sich didaktisches Handeln im didaktischen Dreieck zwi- schen Lehrkraft , Lernenden und Lerngegenstand unter Einsatz adaptiver und damit meist stark individualisierter Lernsysteme eff ektiv beschreiben und an- legen lässt. Empirische Studien, die die Zusammenwirkung von digital-umge- setzten scaff olds mit lehrerbasiertem scaff olding untersuchen (u. a. Wu & Pe- dersen, 2011), sind aktuell noch unterrepräsentiert. Zeigen Befunde hier eine Legitimation auf beiden Seiten, da Lehrende in der Beziehung zu ihren Ler- nenden womöglich immer anders reagieren als ein digitales System, dann soll- te sich dies auch in der Entwicklung von digitalen Lernsystemen und deren Einsatz zur Individualisierung im Unterricht wiederspiegeln (Lehtinen & Vii- ri, 2017). Gleichermaßen muss auch in der Lehramtsausbildung das didakti- sche Handeln in der Verbindung mit adaptiven (Feedback-)Lernsystemen, so- wohl integriert in den naturwissenschaft lichen Erkenntnisprozess (Kastaun, Meier, Hundeshagen & Lange, 2020) als auch allgemein auf selbstreguliertes Lernen und der Anwendung von Lernstrategien, einen festen Platz einneh- men. In welchen Dimensionen des Grades der Digitalisierung Unterricht an- gelegt wird und/oder im Unterricht gearbeitet wird, ob KI-Technologien das Lehren und Lernen zukünft ig noch maßgeblich verändern werden (Tulodzie- cki, 2020) und Individualisierung damit ein ‚digitales‘ Gesicht bekommt, wird sich erst noch zeigen müssen und aus den Zielperspektiven von Unterricht zu diskutieren sein. Anmerkung Die diesem Beitrag zugrundeliegenden Vorhaben wurden von der Deutschen Telekom Stift ung im Rahmen des Programms Fellowship Fachdidaktik MINT gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröff entlichung liegt bei den Autorinnen. Literatur Arnold, J., Kremer, K. & Mayer, J. (2016). Scaff olding beim Forschenden Ler- nen: Eine empirische Untersuchung zur Wirkung von Lernunterstützun- gen. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaft en, 23, 21–37. https://doi. org/10.1007/s40573-016-0053-0 Lernunterstützungen als Werkzeug individualisierter Förderung 111 Baumert, K., Klieme, E., Neubrand, M., Prenzel, M., Schiefele, U., Schneider, W., Tillmann, K.-J. & Weiß, M. (1999). Internationales und nationales Rahmenkon- zept für die Erfassung von naturwissenschaft licher Grundbildung in PISA. Abge- rufen am 10.10.2020 von: https://pure.mpg.de/rest/items/item_2620022/compo nent/fi le_3222266/content Baur, A. (2018). Fehler, Fehlkonzepte und spezifi sche Vorgehensweisen von Schü- lerinnen und Schülern beim Experimentieren: Ergebnisse einer videogestütz- ten Beobachtung. 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Für die Erforschung dieses an der Schnittstelle von Naturwissenschaft sdidaktik, Psycho- logie und Wissenschaft stheorie angesiedelten Bereichs wählte Jürgen Mayer, bei dem Interdisziplinarität in der Arbeitsgruppe allzeit großgeschrieben wurde, geeignete Pro- tagonisten aus. Die dabei ins Leben gerufene Kooperation von Naturwissenschaft s- didaktik und Pädagogischer Psychologie hat unseren wissenschaft lichen Werdegang entscheidend mitgeprägt. Dafür möchten wir Jürgen Mayer an dieser Stelle unseren tiefen Dank aussprechen. 1 Epistemische Überzeugungen als Voraussetzung und Ziel naturwissenschaft licher Bildung Epistemische Überzeugungen sind subjektive Th eorien, die Lernende über das Wesen von Wissen und den Wissenserwerb haben (Perry, 1968). Diese Vor- stellungen beziehen sich zum Beispiel darauf, wie Wissen aufgebaut und struk- turiert ist, wie es gerechtfertigt wird und welche Tragweite ihm in der Anwen- dung zukommt. In der psychologischen Forschung wird das Konstrukt seit Langem intensiv beforscht. Das liegt zum einen an einer nachgewiesenen ho- hen Bedeutsamkeit für kognitive und aff ektive Lernprozesse. Zum anderen nehmen aber auch Lehrkräft e maßgeblich Einfl uss auf die Entwicklung epis- temischer Kognitionen (Hofer, 2001; Muis, Bendixen & Haerle, 2006; Schom- mer, 1990). Dabei ist weitgehend akzeptiert, dass die Entwicklung epistemi- scher Überzeugungen einen gestuft en Verlauf annimmt (s. a. Bromme, 2005; Neumann & Kremer, 2013), in dem Lernende Wissen zunächst als richtig oder falsch klassifi zieren. Nach einer Phase des Relativismus positioniert sich das Individuum schließlich innerhalb der wahrgenommenen Wissensbestände (Hofer & Pintrich, 1997). Hofer und Pintrich (1997) verweisen in einem Über- sichtsartikel auf einen vierdimensionalen Ansatz als Bezugsrahmen zur Erfor- schung epistemischer Überzeugungen (z. B. Bromme, 2005; Buehl & Alexan- der, 2005; Conley, Pintrich, Vekiri & Harrison, 2004). Sie unterscheiden darin 120 Kerstin Kremer & Detlef Urhahne zwischen Ansichten ü ber Nature of knowledge und Nature of knowing (Hofer & Pintrich, 1997). Die Dimension Nature of knowledge besteht aus dem Faktor Certainty of knowledge (Sicherheit), der sich auf die wahrgenommene Vorläu- fi gkeit von Wissensaussagen bezieht, und aus dem Faktor Simplicity of know- ledge (Komplexität), der die wahrgenommene Einfachheit vs. Komplexität von Wissenskonzepten thematisiert. Die Dimension Nature of knowing beinhal- tet einerseits den Faktor Source of knowledge (Quelle), zu dem die Perspektive auf Wissen als ein von außen herangetragenes vs. selbstkonstruiertes Gebilde zählt, und andererseits den Faktor Justifi cation for knowing (Rechtfertigung), der Einstellungen zum Umgang mit Behauptungen von Lehrkräft en und Ex- perten bzw. mit empirischen Evidenzen umfasst (vgl. Neumann & Kremer, 2013; Kremer & Kapitza, 2020). 2 Kontextualisierung epistemischer Lernprozesse In einer umfangreichen Überblicksarbeit haben sich Muis et al. (2006) der be- stehenden, teilweise kontroversen Literatur über die Entwicklung epistemi- scher Überzeugungen durch fachbezogene Lerngelegenheiten angenommen. Diese können sowohl sozio-kulturell als auch akademisch und instruktional kontextualisiert sein. Muis und Kollegen führen dazu ein integratives, theo- retisches Modell an (Th eory of Integrated Domains in Epistemology, TIDE), welches das komplexe Wechselspiel der Repräsentation von epistemischen Überzeugungen über Kontexte und Domänen hinweg symbolisiert und als Grundlage für die weitere Erforschung des Kontextbezugs epistemischer Über- zeugungen dienen kann (Abb. 1). Das Modell beschreibt die epistemische Entwicklung eines Individuums als einen nicht zwangsläufi g kontinuierlichen Prozess, in dem auch sprung- haft e und rückläufi ge Entwicklungen möglich sind. Die Erfahrungen und das Durchlaufen von Lerngelegenheiten vollziehen sich in drei unterschiedlichen, interaktiven Kontexten: Innerhalb der soziokulturellen Rahmenbedingungen fi ndet die akademische Formung des Individuums in Hinblick auf die Aus- einandersetzung mit Wissensaussagen statt. Während der Schulzeit und im Studium setzen sich Lernende mit akademisch geprägten Disziplinen und de- ren charakteristischen Arten des Wissenserwerbs auseinander. Innerhalb die- ses akademischen Kontextes kommen Lernende mit weiteren domänenspezifi - schen Wissenskontexten über Instruktion in Kontakt. Diese Lerngelegenheiten stehen zunächst unabhängig voneinander und können dadurch auch zu wider- sprüchlich geprägten Erfahrungen beitragen, bevor sie schließlich miteinander verschmelzen oder durch bereits bestehende Überzeugungen überformt wer- den (Kremer & Kapitza, 2020; Muis et al., 2006). Wissenschaft sverständnis 121 Abbildung 1: Rahmenmodell zur Th eory of Integrated Domains in Epistemology, TIDE (Abbildung verändert nach Muis et al., 2006; Quelle: Kremer & Kapitza, 2020) 3 Perspektiven Als im Jahr 2004 zum ersten Mal nationale Bildungsstandards für den mittle- ren Bildungsabschluss erlassen wurden (KMK, 2005), stellten sich die natur- wissenschaft lichen Fachdidaktiken verstärkt der Herausforderung, Kompe- tenzmodelle und Bedingungsfaktoren für die prozessbezogenen Kompetenzen zu erarbeiten. Von der ersten Stunde an lag der Forschungsschwerpunkt in der damaligen Gießener Arbeitsgruppe von Jürgen Mayer auf dem Bereich der Er- kenntnisgewinnung. Die Metaebene mit Angaben zu den Charakteristika der naturwissenschaft lichen Erkenntnisgewinnung (international Nature of Science als wichtiger Bestandteil einer Scientifi c Literacy) war in den deutschen Bil- dungsstandards noch nicht in dem Maße abgebildet, wie es in internationa- len Curricula und Bildungsvorgaben schon in langer Tradition der Fall war. Auf der Basis von Zusammenhängen der Teilkompetenzen des Modells zum wissenschaft lichen Denken wurde die Bedeutung von epistemischem Ver- ständnis für die Kompetenzentwicklung auch im deutschen Kontext ersicht- lich (Kremer, Specht, Urhahne & Mayer, 2014). Für die Didaktik der Biologie war Jürgen Mayer als geistiger Pionier dabei, diese Komponente von naturwis- senschaft licher Bildung als einen Aspekt des Kompetenzbereichs Erkenntnis- gewinnung zu etablieren und in Forschung und Praxis zu positionieren (Hee- r ing & Kremer, 2018; Kremer et al., 2012; Mayer, 2007; Neumann & Kremer, 122 Kerstin Kremer & Detlef Urhahne 2013). Durch die Kooperation mit der pädagogischen Psychologie wurden Bei- träge zur Messinstrumentenentwicklung (Kampa, Neumann, Heitmann & Kre- mer, 2016; Kremer, Urhahne & Mayer, 2009; Urhahne, Kremer & Mayer, 2008) und zu Grundfragen der Domänen- und Kontextspezifi tät epistemischer Über- zeugungen geleistet (Urhahne, Kremer & Mayer, 2011), die aktuell in Studien im Schülerlabor und in Instruktionsstudien genutzt und weiterentwickelt wer- den (Kremer & Kapitza, 2020). Literatur Bromme, R. (2005). Th inking and knowing about knowledge: A plea for and criti- cal remarks on psychological research programs on epistemological beliefs. In M. Hoff mann, J. Lenhard & F. Seeger (Hrsg.), Activity and sign: Grounding mathe matics education (S. 191–201). New York: Springer. Buehl, M.M. & Alexander, P.A. (2005). Motivation and performance diff erences in students’ domain-specifi c epistemological belief profi les. 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Welches Verstä ndnis haben Jugend- liche von der Natur der Naturwissenschaft en? Entwicklung und erste Schritte zur Validierung eines Fragebogens. Unterrichtswissenschaft , 36, 72–94. Urhahne, D., Kremer, K. & Mayer, J. (2011). Conceptions of the nature of science – Are they general or context-specifi c? International Journal of Science and Math- ematics Education, 9(3), 707–730. https://doi.org/10.1007/s10763-010-9233-4 Kathrin Ziepprecht, Finja Grospietsch & Julia Schwanewedel Metakognition im Kompetenzbereich Kommunikation – eine empirische Studie zu Lernstrategien von Schülerinnen und Schülern beim Lesen biologischer Sachtexte Von den Bildungsstandards zum Lernbegriff : Das Projekt Evaluation der Standards in den Naturwissenschaft en für die Sekundarstufe I (ESNaS) war für Jürgen Mayer von großer Bedeutung und prägte die Arbeit der gesamten Didaktik der Biologie an der Universität Kassel. Den Kompetenzbereich Kommunikation bearbeitete Julia Schwanewedel als Post-Doc mit Kathrin Ziepprecht als Doktorandin. Aus der Pro- jektarbeit entwickelte sich schnell eine wissenschaft liche Herzensangelegenheit. Sie hat unsere Laufb ahnen geprägt und begleitet uns bis heute. Jürgen Mayer hatte die Idee, Metakognition (Lernstrategien) und Kommunikation gemeinsam zu denken. Aus die- ser Idee entstand das Dissertationsprojekt von Kathrin Ziepprecht, in dem sie den Einsatz von Lernstrategien beim Lesen und Verstehen von Texten aber auch von an- deren Repräsentationen untersucht hat. Die umfangreichen Daten aus diesem Pro- jekt wurden von Julia Schwanewedel nach ihrem Wechsel auf eine Juniorprofessur ans IPN nach Kiel – im Übrigen eine alte Wirkungsstätte von Jürgen Mayer – zur Untersuchung neuer spannender Fragestellungen genutzt. Als studentische Hilfskraft bei Julia Schwanewedel am IPN hat Finja Grospietsch ESNaS-Daten gegenkodiert und diese später im Rahmen einer wissenschaft lichen Hausarbeit ausgewertet. Weil sie hierbei Freude an der wissenschaft lichen Arbeit in der Biologiedidaktik entwickelt hat, führte sie ihr späterer Weg selbst nach Kassel – zu Jürgen Mayer. Hier knüpft e sie in ihrem Dissertationsprojekt zum Th ema Gehirn und Lernen aus einer anderen Blickrichtung an den Bereich der Metakognition und der Lernstrategien an. Damit schließt sich der Kreis: Wir drei danken Jürgen Mayer, dass er uns durch seine Be- geisterung und sein wissenschaft liches Gespür mitgenommen und zu eigenen wissen- schaft lichen Wegen ermutigt hat. 1 Repräsentationen, der Kompetenzbereich Kommunikation und die Bedeutung von Metakognition Biologische Inhalte werden durch unterschiedliche Repräsentationen, bei- spielsweise durch Sachtexte, Zeichnungen, Diagramme und Tabellen, dar- gestellt und vermittelt. Dies gilt gleichermaßen für die wissenschaft liche Community und ihre Kommunikation im Rahmen von Publikationen und Präsentationen, für die mediale Darstellung der für die Allgemeinheit aufb e- reiteten Ergebnisse biologischer Untersuchungen sowie für den Biologieunter- 126 Kathrin Ziepprecht, Finja Grospietsch & Julia Schwanewedel richt. Obwohl Bilder im Fach Biologie im Vergleich zu anderen Fächern eine große Rolle spielen, sind Texte nach wie vor die meist genutzten Repräsenta- tionen im Unterricht (Rosebrock & Nix, 2010). Biologische Sachtexte sind da- durch gekennzeichnet, dass sie in der Regel einen hohen Anteil an Fachbegrif- fen enthalten, die oft aus dem Lateinischen oder Griechischen stammen und nicht einfach übersetzt werden können (Cromley, Snyder-Hogan & Luciw-Du- bas, 2010). Darüber hinaus werden in biologischen Sachtexten häufi g kausale und sequentielle Textschemata genutzt. Das bedeutet, dass Argumentationsket- ten verwendet und logisch aufeinander bezogene Abschnitte aneinandergereiht werden (Cromley, Snyder-Hogan & Luciw-Dubas, 2010). Das Rezipieren bio- logischer Sachtexte erfordert das Herstellen zahlreicher Zusammenhänge zwi- schen den Textsegmenten unter Nutzung von Vorwissen, das gegebenenfalls erst unmittelbar vorher durch den Text erworben wurde (Cromley, Snyder- Hogan & Luciw-Dubas, 2010). In Hinblick auf eine spätere Teilhabe an Diskursen über gesellschaft lich relevante biologische Th emen, die durch Repräsentationen wissenschaft lich und gesellschaft lich kommuniziert werden, ist es von zentraler Bedeutung, dass Schülerinnen und Schüler lernen, sich Informationen aus Repräsentatio- nen, wie biologischen Sachtexten, selbstständig zu erschließen. Dies kann als Teil einer fachspezifi schen Kommunikationskompetenz verstanden werden, die wiederum Teil einer naturwissenschaft lichen Grundbildung ist (vgl. u. a. Gräber, Nentwig, Koballa & Evans, 2002; Norris & Phillips, 2003). Entspre- chend ist in Deutschland der Kompetenzbereich Kommunikation in den Bil- dungsstandards für das Fach Biologie in der Sekundarstufe I verankert (KMK, 2005) und wird innerhalb der fachdidaktischen Lehr-Lernforschung erforscht (vgl. u. a. Beck & Nerdel, 2016; v. Kotzebue, Gerstl & Nerdel, 2015; Lachmay- er, Nerdel & Prechtl, 2007; Nitz, Nerdel & Prechtl, 2012; Scherb & Nitz, 2020; Ziepprecht, 2016, Ziepprecht et al., 2017). In Bezug auf Kommunikations- prozesse und ihre Erfassung können produktive und rezeptive Kompeten- zen unterschieden werden. In biologiedidaktischen Forschungsarbeiten wer- den entweder beide Seiten des Kommunikationsprozesses oder aber einer der Schwerpunkte untersucht (vgl. u. a. Lachmayer et al., 2007, Nitz et al., 2012; Ziepprecht, 2016). Ziepprecht et al. (2017) beschreiben vor dem Hintergrund, dass sich die Rolle sowie die Arten von Repräsentationen in den drei naturwis- senschaft lichen Fächern Biologie, Chemie und Physik sehr ähnlich sind, ein übergreifendes Kompetenzmodell für Kommunikation. In diesem Zusammen- hang diff erenzieren sie das Informationen erschließen und das Informationen weitergeben als zwei zentrale Teilkompetenzen. In einer Studie zu rezeptiven Kommunikationskompetenzen und Strategien von Schülerinnen und Schülern konnte empirisch gezeigt werden, dass es sich beim Erschließen von Informa- tionen aus Texten und Bildern sowie Bild-Text-Kombinationen um zwei unter- Metakognition im Kompetenzbereich Kommunikation 127 scheidbare Kompetenzen handelt (Ziepprecht, 2016). Der Fähigkeit, Informa- tionen aus biologischen Sachtexten erschließen zu können, kommt vor allem deshalb eine so hohe Bedeutung zu, da naturwissenschaft liches Lernen u. a. davon abhängt, ob Schülerinnen und Schüler in der Lage sind, auf der Basis einer Texterschließung eigene, fachlich angemessene Vorstellungen über den Textgegenstand aufzubauen. Ergebnisse empirischer Studien deuten darauf hin, dass metakognitive Fähigkeiten, d. h. die Kontrolle, Steuerung und Regu- lation der eigenen kognitiven Aktivitäten (Brown, 1984; Flavell, 1979; Kuhn & Dean, 2004) einen Einfl uss auf die Kompetenzen im Bereich Informationen er- schließen haben. Beim Erschließen von Informationen aus biologischen Sach- texten sind Lernstrategien erforderlich, die allgemein als mehr oder weniger komplexe, bewusst, aber auch unbewusst eingesetzte Vorgehensweisen (Ver- haltensweisen und Kognitionen) beim Wissenserwerb defi niert werden. Diese Vorgehensweisen können aufgaben- und situationsangemessen – also fl exibel – je nach Lernziel (Intention) eingesetzt werden (Hohm, 2012; Taconis, Fergu- son-Hessler & Broekkamp, 2001). Um die Lernstrategien einer Untersuchung zugänglich zu machen, müssen diese kategorisiert und beschrieben werden. Diesbezüglich existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Klassifi kationssysteme, bei denen es sich ohne Ausnahme nicht um erschöpfende Taxonomien handelt und innerhalb derer die Strategien in Teilen Überlappungsbereiche aufwei- sen (Christmann & Groeben, 1999). In der Literatur besteht eine grundsätz- liche Einigkeit in Bezug auf die Unterteilung in kognitive und metakognitive Strategien. Die weiteren Ausführungen der im vorliegenden Artikel beschrie- benen Unterkategorien lehnen sich im Wesentlichen an die Taxonomie von Weinstein und Mayer (1986), die Weiterentwicklungen von Pintrich, Marx und Boyle (1993) und die Konkretisierung in einer Klassifi kation der Lern- strategien von Christmann und Groeben (1999) an, die zu den kognitionspsy- chologischen Ansätzen zählen. Demnach unterstützen Lernstrategien die in- tern ablaufenden kognitiven Prozesse der Informationsverarbeitung. Weitere Arbeiten, die ebenfalls auf die Taxonomie von Weinstein und Mayer (1986) zurückgehen und diese aufgreifen, weiterentwickeln und teilweise abweichen- de Begriff e nutzen (vgl. u. a. Baumert, 1993; Lewalter, 1997; Kaiser & Kaiser, 1999; Mandl & Friedrich, 2006), werden an dieser Stelle nicht erläutert. Eine grundsätzlich andere Art der Kategorisierung wird in Approaches-to-Learn ing- Ansätzen vorgenommen, die Lernstrategien auf Basis von beobachteten Lern- prozessen beschreiben und in erster Linie entsprechend dem Vorgehen der Lernenden und den angestrebten Lernergebnissen nach der Verarbeitungstiefe unterscheiden (vgl. u. a. Marton & Säljö, 1984). 128 Kathrin Ziepprecht, Finja Grospietsch & Julia Schwanewedel 2 Lernstrategien für das Erschließen von Informationen Nach Wild (2000) können Lernstrategien in kognitive und metakognitive Stra- tegien sowie Strategien des Ressourcenmanagements diff erenziert werden. Ko- gnitive Lernstrategien dienen dazu, eine konkrete kognitive Anforderung zu bewältigen (Flavell, 1984). Somit handelt es sich um Aktivitäten der unmit- telbaren Informationsverarbeitung. Kognitive Lernstrategien können in Wie- derholungs-, Organisations- und Elaborationsstrategien unterschieden werden (Marton & Säljö, 1984). Wiederholungsstrategien dienen der Selektion, Wieder- holung und Einspeicherung von Informationen – z. B. durch selektives, orien- tierendes oder wiederholtes Lesen eines biologischen Sachtextes oder das Aus- wendiglernen seiner zentralen Informationen (Weinstein & Mayer, 1986). Mit Hilfe von Organisationsstrategien können relevante Informationen aus- gewählt und gegliedert werden, wodurch das zu erwerbende Wissen struktu- riert und in eine leichter zu verarbeitende Form transferiert wird (Weinstein & Mayer, 1986). Hierzu zählen Lernaktivitäten, wie zum Beispiel das Wichtigs- te zu unterstreichen, den Text in Abschnitte zu gliedern, Stichpunkte zu no- tieren oder das grafi sche Veranschaulichen der Inhalte. Elaborationsstrategien dienen wiederum der Verknüpfung von neuen Informationen mit dem Vor- wissen und somit der Integration neuer Informationen in die bestehende Wis- sensstruktur (Weinstein & Mayer, 1986). Dies kann erfolgen, indem Informa- tionen in eigenen Worten erklärt, Hypothesen gebildet oder eigene Beispiele gefunden werden. Metakognitive Lernstrategien steuern den Einsatz der kognitiven Strate- gien und kontrollieren so die Qualität und den Fortschritt des Lernprozes- ses (Flavell, 1984). Nach Brown (1978) lassen sich metakognitive Strategien in Planungs-, Überwachungs- und Regulationsstrategien unterteilen. Planungs- strategien dienen der Vorbereitung des Lernprozesses. Damit verbundene Lernaktivitäten sind z. B. die Leseplanung oder die Aktivierung von Vorwis- sen. Mit Hilfe von Überwachungsstrategien wird das eigene Verstehen über- prüft (Pintrich et al., 1993). Hierfür kann beispielsweise über das Gelesene ge- sprochen oder eine Frage zum Text beantwortet werden. Regulationsstrategien wiederum dienen der Veränderung der eigenen Aktivitäten bei Verständnis- schwierigkeiten. Zugehörige Lernaktivitäten umfassen z. B. das Nachschlagen von Fremdwörtern bzw. Fachbegriff en, das Einholen weiterer Informationen oder das Nachfragen. Strategien des Ressourcenmanagements werden auch als Stützstrategien be- zeichnet und haben das Ziel, „günstige Rahmenbedingungen für das Lernen herzustellen und aufrechtzuerhalten“ (Bannert, 2007, S. 22). Die Strategien be- ziehen sich sowohl auf das Management externer (z. B. Lernort, Lerngruppe, Metakognition im Kompetenzbereich Kommunikation 129 Ausstattung) als auch interner Ressourcen (z. B. Konzentration, Aufmerksam- keit, Motivation, Zeitplanung, Anstrengungsbereitschaft und Emotionskon- trolle). Beispielstrategien sind die lernförderliche Gestaltung des Arbeitsplat- zes, das gezielte Aufrechterhalten von Konzentration oder das aufmerksame Lesen eines Sachtextes. Kognitive, metakognitive und ressourcenbezogene Lern- strategien, über die Lernende verfügen, bilden den individuellen „mentalen Werkzeugkasten“ (Rosebrock & Nix, 2010, S. 60), aus dem sich eine Person fl e- xibel, d. h. je nach Lernsituation, bedienen kann. Studien von Bannert (2005) sowie Marton und Säljö (1984) zeigen, dass positive Zusammenhänge zwischen dem Erschließen von Informationen aus Texten und der Verwendung von Lernstrategien bestehen. Für das Informa- tionen erschließen aus biologischen Sachtexten konnte Ziepprecht (2016) zei- gen, dass Lernende, die angaben, Strategien wie Wiederholendes Lesen oder Betrachten der Repräsentationen zu nutzen und ihr Vorgehen zu planen, zu re- gulieren und zu überwachen, in einem entsprechenden Kompetenztest besser abschnitten als solche, die angaben, dies nicht zu tun. Bei der Untersuchung des Strategieeinsatzes wird vor allem auf Bild-Text-Kombinationen (Lewalter, 1997, 2003; Bannert, 2005) fokussiert und z. B. herausgestellt, dass Studierende am häufi gsten Wiederholungsstrategien und metakognitive Strategien, deut- lich seltener jedoch Elaborationsstrategien anwenden (Lewalter, 1997, 2003). Eine Studie von Baumert (1993) zeigt, dass die Nutzung von Elaborations-, Transformations-, Planungs-, Überwachungs- und Regulationsstrategien (in der Untersuchung zum Faktor Tiefenstrategien zusammengefasst) bei Schülerin- nen und Schülern im Vergleich zu Wiederholungsstrategien (bilden den Fak- tor Oberfl ächenstrategien) niedriger ausgeprägt ist als bei Studierenden. Somit ist von einer Ausdiff erenzierung des Strategierepertoires mit zunehmendem Alter bzw. mit der Lernerfahrung auszugehen. Für biologische Sachtexte ist bislang ungeklärt, wie sich das Lernstrategierepertoire von Schülerinnen und Schülern bei der Bearbeitung derartiger Repräsentationen gestaltet. Die empi- rische Untersuchung dieses Desiderats stellt eine Voraussetzung dafür dar, dass Lehrende passgenaue und fachspezifi sche Förderansätze bereitstellen können, um Lernende in die Lage zu versetzen, biologische Sachtexte systematisch zu bearbeiten und zu verstehen. Der vorliegende Artikel nimmt die Lernstrate- gien beim Erschließen von Informationen aus biologischen Sachtexten in den Blick. Es werden Ergebnisse dazu präsentiert, welche Strategien Schülerinnen und Schüler der neunten und zehnten Jahrgangsstufe einsetzen und wie sie ihr Vorgehen regulieren. 130 Kathrin Ziepprecht, Finja Grospietsch & Julia Schwanewedel 3 Lernstrategien von Schülerinnen und Schülern beim Erschließen von Informationen aus biologischen Sachtexten Nach Rosebrock und Nix (2010) gehört die Mehrzahl der Texte, die in der Schule gelesen und verstanden werden müssen, zu den Sachtexten. In Biologie sind dies – von der Primar- bis in die Oberstufe hinein – mehrheitlich Lehr- texte (vgl. Rosebrock & Nix, 2010), deren zentrale Funktion die Wissensver- mittlung ist. Lernstrategien, die für das Lesen dieser Texte erforderlich sind, sind mentale Arbeitsformen, die Schülerinnen und Schüler in der spezifi schen Lesesituation (Leseoperation) weiterhelfen, um ihr Leseziel (Leseintention) zu erreichen (Gierlich, 2005; Grzesik, 1990; Rosebrock & Nix, 2010). Eine Klas- sifi kation solcher Lernstrategien bieten u. a. Christmann und Groeben (1999). Im vorliegenden Beitrag soll auf Basis dieser Klassifi kation (Abschnitt 3.2) das Lernstrategierepertoire von Schülerinnen und Schülern untersucht werden, wobei folgenden Fragestellungen nachgegangen wird: F1: Welche Lernstrategien setzen Schülerinnen und Schüler beim Er- schließen von Informationen aus biologischen Sachtexten ein? F2: Welche Lernstrategien setzen Schülerinnen und Schüler ein, wenn sie einen biologischen Sachtext nicht sofort verstehen? 3.1 Methodik Die im Folgenden dargelegte Studie wurde fl ankierend zum Dissertationspro- jekt von Ziepprecht (2016) durchgeführt, um die Lernstrategien von Schülerin- nen und Schülern im Zusammenhang mit biologischen Sachtexten genauer zu erforschen. Die Stichprobe (N = 111) umfasste Schülerinnen und Schüler aus den neunten und zehnten Jahrgangsstufen, die zu 80.2 % Realschulen und zu 19.8 % Gymnasien besuchten. 56 % der Probandinnen und Probanden waren weiblich. Ihr Alter lag zwischen 14 und 18 Jahren (M = 15.8 Jahre, SD = 0.7). Im Rahmen einer querschnittlichen Erhebung wurden die Schülerinnen und Schüler mittels eines off enen Strategiefragebogens dazu aufgefordert, zu beschreiben, wie sie vorgehen, wenn sie einen Text im Biologieunterricht ver- stehen wollen (Arbeitsauft rag  1), was sie tun, wenn sie einen solchen Text nicht sofort verstehen (Arbeitsauft rag  2), und wie sie eine Mitschülerin oder einen Mitschüler bei Verständnisschwierigkeiten anleiten würden (Arbeits- auft rag 3). Für den vorliegenden Beitrag wurden die ersten beiden Arbeits- auft räge ausgewertet. Der Fragebogen war in eine umfassendere Testbatterie im Paper-Pencil-Format, bestehend aus einem Kompetenztest zum Informa- Metakognition im Kompetenzbereich Kommunikation 131 tionen erschließen aus biologischen Sachtexten, Bildern und Bild-Text-Kombi- nationen, einem C-Test zur Erfassung der allgemeinen Sprachkompetenz und einem Fragebogen zu Hintergrundmerkmalen (vgl. Ziepprecht, 2016), inte- griert, wodurch die Testzeit insgesamt 45 Minuten betrug. Die Anonymität so- wie die Einhaltung ethischer Standards waren gewährleistet. Die qualitative Auswertung erfolgte mittels einer inhaltlich strukturie- renden qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) und wurde mit der Soft ware MAXQDA durchgeführt. Zu beiden Forschungsfragen wurden die off enen Antworten der Schülerinnen und Schüler mittels eines deduktiv ge- bildeten Kategoriensystems ausgewertet, das auf Basis der Lernstrategie-Klas- sifi kation von Christmann und Groeben (1999) entwickelt wurde. In Bezug auf Forschungsfrage  1 wurde das Datenmaterial zu Arbeitsauft rag  1 kodiert, in Bezug auf Forschungsfrage 2 das Datenmaterial zu Arbeitsauft rag  2. Ziel war es, Lernstrategien für das Erschließen biologischer Sachtexte zu identifi - zieren, über Kategorien zu konzeptualisieren und das Strategiewissen bzw. den Strategieeinsatz der Schülerinnen und Schüler in Bezug auf biologische Sach- texte detailliert zu beschreiben. Formale Hauptkategorien bildeten kognitive und metakognitive Lernstrategien, die sich gemäß den Ausführungen in Ab- schnitt 2 in Wiederholungs-, Organisations- und Elaborationsstrategien bzw. Planungs-, Überwachungs- und Regulationsstrategien unterteilen lassen, so- wie Strategien des Ressourcenmanagements. Inhaltliche Unterkategorien bilde- ten 65 Lernstrategien von Christmann und Groeben (1999), die diesen Haupt- kategorien zugeordnet wurden. Christmann und Groeben (1999) unterteilen die kognitiven Strategien ihres Strategiekatalogs in Wiederholungs-, Organisa- tions- und Elaborationsstrategien, was von den Autorinnen dieser Studie bei- behalten wird. Metakognitive Strategien werden, entgegen Christmann und Groeben (1999), weiter in Planungs-, Überwachungs- und Regulationsstrategien unterteilt, um ein diff erenzierteres Bild der Strategien der Lernenden zu erhal- ten. Die formale Hauptkategorie Strategien des Ressourcenmanagements wird von den Autorinnen neu eingeführt, da Christmanns und Groebens Katego- rie Motivational-emotionale Strategien nicht trennscharf erscheint. Einige Lern- strategien von Christmann und Groeben (1999) wurden von den Autorinnen gemäß der Defi nitionen der formalen Hauptkategorien verschoben. Da Christ- mann und Groeben (1999) ihre Klassifi kation nicht als vollständig ansehen, wurde das Kategoriensystem in Fällen, in denen die Schülerinnen und Schü- ler über die Kategorisierung hinausgehende Lernstrategien nannten, induktiv erweitert. Gebildet wurden so die Unterkategorien Sich Wichtiges merken, Sich den Text vorlesen lassen, Informationen ordnen, Dem Gedankengang des Autors folgen, Nachfragen, Unverständliches kennzeichnen, Unverständliches aus dem Text erschließen, Fremdwörter rausschreiben, Zusätzliche Informationen einho- 132 Kathrin Ziepprecht, Finja Grospietsch & Julia Schwanewedel len, Sorgfältig lesen, In Ruhe lesen, Emotionen kontrollieren und Aufmerksam lesen (in Tabelle 1 grau markiert). Das vollständige Kategoriensystem umfasst 78 Unterkategorien und wird in Tabelle 1 dargestellt. Eine umfassende Darstel- lung des Kategoriensystems mit genauen Kategoriedefi nitionen und Ankerbei- spielen können bei den Autorinnen angefragt werden. Zur Qualitätssicherung der Analyse wurde von 30 % des Datenmaterials eine Gegenkodierung vorge- nommen. Die Übereinstimmung zwischen zwei unabhängigen Kodierern lag bei κ =  .96 und kann nach Landis und Koch (1977) als nahezu perfekt inter- pretiert werden. 3.2 Ergebnisse In Bezug auf Forschungsfrage 1 konnten mittels des deduktiv-induktiv gebilde- ten Kategoriensystems 222 Lernstrategien kodiert werden. Diese verteilen sich zu 31 % auf Wiederholungsstrategien, zu 27 % auf Organisationsstrategien und zu 1 % auf Elaborationsstrategien (kognitive Lernstrategien). 5 % umfassen Pla- nungs-, 1 % Überwachungs- und 22 % Regulationsstrategien (metakognitive Stra- tegien). Um Strategien des Ressourcenmanagements handelt es sich bei 13 % der Kodierungen. Am häufi gsten konnte im Datenmaterial zu Arbeitsauft rag 1 die kognitive Wiederholungsstrategie Wiederholt Lesen kodiert werden (z. B. „Ich lese mir den Text mehrmals durch.“ P43, Z. 154; Nennung von 43 Schülerinnen und Schülern). Am zweit- und dritthäufi gsten fi nden sich in den Äußerungen der Schülerinnen und Schüler die kognitiven Organisationsstrategien Wichtiges unterstreichen und Stichpunkte notieren (z. B. „Ich unterstreiche wichtige Dinge im Text.“ P17, Z.  61; „Bei wichtigen Texten schreibe ich mir Stichpunkte auf.“ P61, Z.  220; Nennung von 28 bzw. 19 Schülerinnen und Schülern). Die res- sourcenbezogene Lernstrategie Sorgfältig lesen konnte ähnlich häufi g kodiert werden (z. B. „Ich lese es sehr sorgfältig durch.“; Nennung von 18 Schülerinnen und Schülern). Mehr als zehnmal wurden die metakognitiven Regulationsstra- tegien Fremdwörter klären und Nachfragen kodiert (z. B. „Wörter, die ich nicht verstehe, schlage ich in einem Wörterbuch nach.“ P1, Z.  2; „ [G] egebenenfalls frage ich beim Lehrer nach.“ P10, Z.  32; Nennung von 13 bzw. 12 Schülerin- nen und Schülern). Die Wiederholungsstrategien Selektiv lesen (z. B. „Ich lese den Text erstmal grob.“ P94, Z.  435) und Orientierend lesen (z. B. „Ich über- fl iege den Text.“ P111, Z.  411), die Organisationsstrategie Schlüsselwörter fi n- den und markieren (z. B. „Während ich den Text lese, markiere ich mir wichti- ge Wörter.“ P77, Z. 283) sowie die metakognitiven Strategien Das Lesen planen (z. B. „Ich schaue mir erst die Aufgabe an und lese dann den Text, um zu wis- sen, auf was ich achten muss.“ P108, Z. 400), Unverständliches erschließen (z. B. Metakognition im Kompetenzbereich Kommunikation 133 „[W]as ich nicht verstehe, versuche ich mir zu erschließen.“ P21, Z. 76) und Un- verständliches kennzeichnen (z. B. „Unterstreiche Wörter, die ich nicht kenne.“ P97, Z. 353) konnten je bei 7–11 Schülerinnen und Schülern kodiert werden. Alle übrigen Lernstrategien wurden in Bezug auf Arbeitsauft rag  1 nur ver- einzelt (1- bis 5-mal) oder nicht genannt (Tab. 1). 25 % der Schülerinnen und Schüler beziehen bereits in ihrer Antwort zu Arbeitsauft rag 1 die Möglichkeit mit ein, dass sie beim Lesen etwas nicht verstehen und weitere Lernstrategien heranziehen müssen. Bei 16 dieser 28 Schülerinnen und Schüler beziehen sich diese Äußerungen auf mehr als unbekannte Wörter (z. B. „Wenn ich ein Wort oder einen Satzzusammenhang nicht verstehe, versuche ich, mir selbst zu hel- fen und logische Schlussfolgerungen zu ziehen.“ P67, Z. 243). 39 % bzw. 2 % der Schülerinnen und Schüler geben als Antwort zu Arbeitsauft rag  1 Lesen oder Verstehen an, wobei es sich gemäß der angewendeten Kodierregeln nicht um Lernstrategien handelt. 10 % der Schülerinnen und Schüler nennen vor dem Hintergrund dieses Auswertungsverfahrens keine Lernstrategie (z. B. „Ich lese den Text?!? Blöde Frage!!!“ P100, Z. 369). Eine Schülerin bzw. ein Schüler gibt keine Antwort auf die Frage. 19 % der Schülerinnen und Schüler geben eine Lernstrategie, 41 % zwei, 20 % drei, 8 % vier und 2 % fünf Lernstrategien an (z. B. „Wichtigste Stellen unterstreichen. Schlüsselwörter merken. Versuchen, langsam zu lesen.“ P36, Z.  131; „Ich lese den Text erst gründlich. Meist auch mehrmals. Nicht zu verstehende Wörter schlage ich nach, suche im Internet oder frage andere Personen.“ P7, Z. 24). Hinsichtlich Forschungsfrage 2 konnten mittels des deduktiv-induktiv ge- bildeten Kategoriensystems 190 Lernstrategien kodiert werden. Die Lernstrate- gien, die Schülerinnen und Schüler für Situationen angeben, in denen sie einen Text im Biologieunterricht nicht verstehen, verteilen sich zu 42 % auf Wieder- holungsstrategien, zu 6 % auf Organisationsstrategien und zu 2 % auf Elabora- tionsstrategien (kognitive Lernstrategien). 2 % umfassen Überwachungs- und 44 % Regulationsstrategien (metakognitive Strategien). Metakognitive Planungs- strategien werden nicht genannt. Um Strategien des Ressourcenmanagements handelt es sich bei 4 % der Kodierungen. Am häufi gsten konnte auch im Datenmaterial zu Arbeitsauft rag 2 die kognitive Wiederholungsstrategie Wie- derholt Lesen kodiert werden (z. B. „Lese ich ihn nochmal: wenn ich es dann immer noch nicht verstanden habe, nochmal und nochmal.“ P26, Z.  95; Nen- nung von 78 Schülerinnen und Schülern). Am zweit- und dritthäufi gsten fi n- den sich in den Äußerungen der Schülerinnen und Schüler die metakognitiven Regulationsstrategien Nachfragen und Fremdwörter klären (Nennung von 50 bzw. 17 Schülerinnen und Schülern). In 46 % der Fälle geben die Schülerinnen und Schüler explizit an, dass sie bei ihrer Lehrkraft nachfragen würden (z. B. „Wenn ich den Text dann immer noch nicht verstanden habe, frage ich einen 134 Kathrin Ziepprecht, Finja Grospietsch & Julia Schwanewedel Tabelle 1: Deduktiv-induktiv gebildetes Kategoriensystem zu Lernstrategien beim Erschließen von Informationen aus biologischen Sachtexten sowie absolute Häufi gkeiten zur Anzahl der Schülerinnen und Schüler, die diese Lernstrategien a) beim Lesen und b) beim Nicht-Verstehen nutzen. Lernstrategiekategorie a) b) Kognitive Lernstrategien Wiederholungsstrategien Wiederholt lesen 43 76 Selektiv lesen 10 2 Orientierend lesen 9 1 Sich Wichtiges merken (induktiv) 3 - Den Inhalt wiedergeben 1 1 Sich den Text vorlesen lassen (induktiv) 1 - Das Gelesene wiederholen 1 - Textpassagen abschreiben 1 - Nicht genannt: Den Text vortragen, Textstellen aufsagen Organisationsstrategien Wichtiges unterstreichen 28 4 Stichpunkte notieren 19 4 Schlüsselwörter fi nden und markieren 7 1 Textabschnitte zusammenfassen 3 2 Den Text in Abschnitte gliedern 2 1 Randbemerkungen einfügen 1 - Informationen ordnen (induktiv) 1 - Nicht genannt: Information graphisch veranschaulichen, Cluster bilden, Textverknüpfungen markieren, Bedeutungsnetze erstellen, Überschrift en formulieren, Ein Précis erstellen, Unwichtiges streichen, Relevante Abschnitte unterstreichen, Vorstrukturierungen schreiben, Randbemerkungen notieren Elaborationsstrategien Text mit dem Vorwissen vergleichen 1 1 Bildlich vorstellen 1 1 Den Text in eigenen Worten umschreiben 1 - Beispiele fi nden - 1 Hypothesen bilden - 1 Nicht genannt: Analogien bilden, Fragen an den Text stellen, Zur Überschrift antizipieren, Paraphrasieren, Schlussfolgerungen ziehen, Zusammenhänge herstellen, Gegenargumente fi n- den, Metaphern umschreiben, Das Gelesene beurteilen, Inkonsistenzen im Text entdecken Metakognition im Kompetenzbereich Kommunikation 135 Metakognitive Lernstrategien Planungsstrategien Das Lesen planen 10 - Das Vorwissen aktivieren 1 - Nicht genannt: Strategien auswählen, Den Beitrag des Textes zum Th ema klären, Ein Ziel setzen, Leseerwartungen formulieren Überwachungsstrategien Zum Text gestellte Fragen beantworten 1 - Das Verstehen überprüfen 1 - Im Anschluss über das Gelesene reden - 3 Dem Gedankengang des Autors folgen (induktiv) - 1 Nicht genannt: Textschwierigkeiten erkennen, Aufgabenschwierigkeit erkennen, Das Behalten überprüfen, Im Text vor- und rückwärts springen, Ein gesetztes Ziel überprüfen, Behaltenes nach dem Lesen aufschreiben, Leseergebnisse für den Eigen-/Fremdbedarf fi xieren, Anschlusstest ver- fassen, Das Textthema benennen Regulationsstrategien Fremdwörter klären 13 17 Nachfragen (induktiv) 12 50 Unverständliches erschließen (induktiv) 11 5 Unverständliches kennzeichnen (induktiv) 7 3 Fremdwörter rausschreiben (induktiv) 3 3 Zusätzliche Informationen einholen (induktiv) 2 5 Nicht genannt: Aufgabenschwierigkeit beheben, Widersprüchliche Textstellen diskutieren, Fachwörter analysieren Lernstrategien für das Management interner Ressourcen Sorgfältig lesen (induktiv) 21 4 In Ruhe lesen (induktiv) 4 2 Emotionen kontrollieren (induktiv) 2 - Aufmerksam lesen (induktiv) 1 - Konzentration aufrecht erhalten - 1 Nicht genannt: Sich motivieren, Angst bewältigen, Positiv und konstruktiv denken Lernstrategien für das Management externer Ressourcen Nicht genannt 136 Kathrin Ziepprecht, Finja Grospietsch & Julia Schwanewedel Lehrer.“ P2, Z.  7; „[Die] Lehrer fragen (dazu sind sie da).“ P109, Z.  405). In 5 % der Fälle würden sie andere Mitschülerinnen und Mitschüler fragen (z. B. „[Ich] frage meinen Sitznachbarn.“ P83, Z.  304; „[Ich] frage dann gegebenen- falls Mitschüler, die es erklären können.“ P98, Z. 358). Alle übrigen Lernstrate- gien werden vereinzelt (1- bis 5-mal) oder nicht genannt (Tab. 1). Zu Arbeits- auft rag 2 geben nur 2 % der Schülerinnen und Schüler Lesen oder Verstehen als Antwort an. 4.5 % der Schülerinnen und Schüler äußern keine Lernstrategie. Drei Schülerinnen und Schüler antworten nicht auf die Frage, zwei weitere ge- ben an, dass sie das Informationen erschließen bei Nicht-Verstehen abbrechen („[Dann h]öre ich auf zu lesen und warte auf die Lösung.“ P96, Z.  350). 39 % der Schülerinnen und Schüler geben eine und 39 % geben zwei Lernstrategie/n an. 13 % der Schülerinnen und Schüler nennen drei und 3 % der Schülerinnen und Schüler vier Lernstrategien. 57 % der Schülerinnen und Schüler geben zu Arbeitsauft rag 2 dieselben Lernstrategien wie zu Arbeitsauft rag 1 an. In eini- gen Fällen spezifi zieren die Schülerinnen und Schüler ihre Lernstrategien (z. B. „Ich stelle Fragen.“ vs. „Ich stelle meinem Lehrer die Fragen.“ P57, Z. 208). 43 % der Schülerinnen und Schüler nennen bei Arbeitsauft rag  2 neue Lernstrate- gien. In 62 % bzw. 17 % der Fälle handelt es sich dabei um die Lernstrategien Nachfragen und Fremdwörter klären. Nur in 20 % der Fälle wird eine der bei Nicht-Verstehen vereinzelt genannten Lernstrategien genannt. Wie in Tabelle  1 zu sehen, konnten 41 der 78 deduktiv-induktiv gebilde- ten Unterkategorien und damit die Hälft e der von Christmann und Groeben (1999) beschriebenen Lernstrategien nicht kodiert werden. Sie verteilen sich auf alle formalen Hauptkategorien. 3.3 Diskussion (F1) Neben von einzelnen Schülerinnen und Schülern genannten kognitiven Lernstrategien lässt sich ein Strategierepertoire der Probandinnen und Pro- banden beschreiben, welches im Wesentlichen die Werkzeuge Wiederholt le- sen, Orientierend lesen und Selektiv lesen in der Kategorie Wiederholungsstra- tegien sowie Wichtiges unterstreichen, Stichpunkte notieren, und Schlüsselwörter fi nden und markieren bei den Organisationsstrategien umfasst. Elaborations- strategien werden nur selten genannt. Es kann angenommen werden, dass die nicht genannten Strategien den Schülerinnen und Schülern entweder nicht be- kannt sind oder dass diese nicht ausreichend gefestigt sind, um routiniert an- gewendet bzw. benannt zu werden. In diesem Zusammenhang wird im Weite- ren aber auch das Fragebogenformat kritisch diskutiert. Die Ergebnisse decken sich mit entsprechenden Studien, nach denen gerade Schülerinnen und Schü- Metakognition im Kompetenzbereich Kommunikation 137 ler der Mittelstufe noch vielfach auf Wiederholungsstrategien zurückgreifen und Elaborationsstrategien nur selten nutzen (Lewalter, 1997, 2003; Bannert, 2005; Baumert, 1993). Verschiedene Autorinnen und Autoren (u. a. Rosebrock & Nix, 2010) gehen jedoch davon aus, dass gerade diese kognitiven Strategien benötigt werden, um bewusst über die unmittelbare Textebene hinauszugehen und zu einem tiefgründigen Textverständnis zu gelangen. In Bezug auf die metakognitiven Strategien werden neben der Planungsstra- tegie Das Lesen planen die Regulationsstrategien Fremdwörter klären, Nachfra- gen, Unverständliches kennzeichnen und Sich Unbekanntes aus dem Text erklä- ren benannt. Bei einer näheren Betrachtung der angegebenen metakognitiven Strategien lässt sich feststellen, dass die Schülerinnen und Schüler stark am Verständnis unbekannter Aspekte orientiert sind und versuchen, unbekannte Fachbegriff e und unverständliche Details zu klären oder diese markieren. Dies kann im Sinne von Hohm (2012) als Hinweis darauf gewertet werden, dass Lernende ohne diff erenziertes metakognitives Wissen und die damit verbun- denen Strategien das Lesen eher als Decodieren von Sprache denn als Kon- struktion von Sinn begreifen und nicht bemerken, wenn sie einen Text nicht verstehen und somit Schwierigkeiten bei der Texterschließung haben. Unbe- kannte Wörter nachzuschlagen und zu klären wird auch von Rosebrock und Nix (2010) als nicht besonders hilfreich erachtet, da bei dieser Vorgehenswei- se die Gefahr besteht, dass die Orientierung vom Textverstehen hin zum Wort- verstehen verschoben wird. Auff ällig ist zudem, dass zahlreiche Schülerinnen und Schüler beim Erschließen von Informationen aus biologischen Sachtexten Strategien für das Management interner Ressourcen einsetzen. Diese beziehen sich allerdings fast immer auf das Lesen. Nur in einem Fall wird eine wirkliche Lernstrategie durch den Ressourceneinsatz verstärkt („Informationen genauer herausschreiben“ P95, Z. 346). (F2) In Bezug auf ein Szenario, bei dem die Lernenden Schwierigkeiten beim Verständnis eines Textes haben, dominieren Angaben zu den Strategien Wiederholt lesen und Nachfragen. Das Nachfragen wird von Rosebrock und Nix (2010) jedoch als wenig hilfreiche Strategie angesehen. Sie gehen davon aus, dass Erklärungen der Lehrkraft oder von anderen Personen allein oft nicht weiterhelfen. In etwas mehr als der Hälft e der Fälle wird die gleiche Strategie erneut eingesetzt. Dementsprechend lässt sich schlussfolgern, dass die Schü- lerinnen und Schüler Verständnisschwierigkeiten eher hilfl os – im Sinne von strategielos – gegenüberstehen. Die Befunde zu F2 untermauern das Ergeb- nis bei F1, dass die Lernenden über ein eher eingeschränktes Strategiereper- toire verfügen und im Fall von Verständnisproblemen keine weiteren Werk- zeuge aus ihrem mentalen Werkzeugkoff er ziehen können. 138 Kathrin Ziepprecht, Finja Grospietsch & Julia Schwanewedel In Hinblick auf die Ergebnisse sind einige Limitationen der Studie zu dis- kutieren. Zunächst ist anzumerken, dass in der wissenschaft lichen Literatur eine Vielzahl von unterschiedlichen Kategorisierungsansätzen für Lernstrate- gien existiert und dass die Kategorien keineswegs immer trennscharf sind (z. B. Ressourcen/metakognitive Planung) (Christmann & Groeben, 1999). Vor die- sem Hintergrund kommt den Kodieranweisungen und der -übereinstimmung in der vorliegenden Untersuchung eine besonders hohe Bedeutung zu. An die- ser Stelle gilt es zudem zu refl ektieren, dass es sich bei den Strategienennun- gen um den Schülerinnen und Schülern bewusste Strategien handelt. Es kann daher sein, dass sich diese Einschätzung von ihrem tatsächlichen Strategiege- brauch unterscheidet, da bestimmte Strategien unbewusst angewendet werden. Da davon ausgegangen wurde, dass sich nicht alle Lernenden etwas unter dem Begriff Strategie vorstellen können, wurden sie gebeten, möglichst genau zu beschreiben, wie sie vorgehen, wenn sie einen biologischen Sachtext verstehen wollen. Dies kann ebenfalls dazu geführt haben, dass die Probandinnen und Probanden nicht an die tatsächlich von ihnen in einer solchen Situation einge- setzten Strategien gedacht und stattdessen vielfach das Lesen genannt haben. Um noch ausführlichere Informationen über die Strategien der Schülerinnen und Schüler zu gewinnen, sollte die vorliegende Studie durch weitere qualita- tive Untersuchungen beispielsweise mit Stimulated Recall Interviews nach dem tatsächlichen Lesen eines biologischen Sachtexts ergänzt werden. Die Daten dieser Erhebung zeigen dennoch eindrücklich auf, dass die untersuchten Probandinnen und Probanden insgesamt mit einem eher einge- schränkten Strategierepertoire an biologische Sachtexte herangehen und auf Schwierigkeiten oft mals nicht adäquat reagieren können. Dies wird auch durch die Analyse der Besonderheiten in den Angaben der Schülerinnen und Schüler deutlich, nämlich dadurch, dass 60 % von ihnen bei der Beantwortung der ers- ten Frage keine, eine oder maximal zwei Lesestrategien nennen. Zudem wird das Lesen vielfach benannt. Dieses stellt jedoch im eigentlichen Sinne keine Strategie im Sinne der Defi nitionen von Hohm (2012) bzw. Taconis, Fergu- son-Hessler und Broekkamp (2001) dar. Vor dem Hintergrund, dass der Le- seprozess laut Hohm (2012, S. 103) „dann am eff ektivsten verläuft , wenn [...] unterschiedliche Strategien miteinander kombiniert“ eingesetzt werden, ist das Strategierepertoire der Probandinnen und Probanden als ausbaufähig anzuse- hen. Betrachtet man Art, Umfang und auch Komplexität biologischer Sachtex- te im Biologieunterricht, so nimmt diese über die Schuljahre kontinuierlich zu. In der Oberstufe steht dann entsprechend auch das wissenschaft spropädeu- tische Arbeiten und eine vertieft e biologische Bildung, die für Studium und Berufsausbildung mit Biologiebezug grundlegend ist, im Vordergrund (KMK, 2004). Ein wenig ausdiff erenziertes Strategiewissen kann zu Texterschließungs- Metakognition im Kompetenzbereich Kommunikation 139 schwierigkeiten führen, da die komplexer werdenden Fachtexte einen diff e- renzierten Strategiegebrauch erfordern. Dementsprechend sollten die Schü- lerinnen und Schüler bereits in der Mittelstufe darin unterstützt werden, ein ausdiff erenziertes und für biologische Sachtexte geeignetes Strategierepertoire aufzubauen. Hierfür bedarf es spezifi scher, auf den Biologieunterricht zuge- schnittener Unterrichtsmaterialien, die bisher jedoch nur vereinzelt vorliegen (u. a. Ziepprecht, Grospietsch & Wulff , 2018). Literatur Bannert, M. (2005). Explorationsstudie zum spontanen metakognitiven Strate- gie-Einsatz in hypermedialen Lernumgebungen. In C. Artelt & B. Moschner (Hrsg.), Lernstrategien und Metakognition: Implikationen für Forschung und Praxis (S. 129–153). Münster: Waxmann. Bannert, M. (2007).  Metakognition beim Lernen mit Hypermedien. Münster: Wax- mann. Baumert, J. (1993). Lernstrategien, motivationale Orientierung und Selbstwirksam- keitsüberzeugungen im Kontext schulischen Lernens. Unterrichtswissenschaft , 21(4), 327–354.  Beck, C. & Nerdel, C. (2016). Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. 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Modellierung na- turwissenschaft licher Kommunikationskompetenz – ein fächerübergreifendes Modell zur Evaluation der Bildungsstandards. Zeitschrift für Didaktik der Na- turwissenschaft en, 23(1), 113–125. https://doi.org/10.1007/s40573-017-0061-8 Irina Streich1 & Anne Cohonner2 „Wünschenswerte Erschwernisse“ im Kontext des Forschenden Lernens – Sind langfristige Lernerfolge beim Forschenden Lernen ein Ergebnis des Generierungs- oder Testeff ekts? Im Rahmen der Exzellenz-Initiative des Landes Hessen (LOEWE) wurde 2015 an der Universität Kassel der Forschungsschwerpunkt „Wünschenswerte Erschwernisse beim Lernen: Kognitive Mechanismen, Entwicklungsvoraussetzungen und eff ektive Umsetzung im Unterricht“ ins Leben gerufen, an dem Jürgen Mayer aus der Fachdi- daktik Biologie und andere Forschende aus den Fachgebieten der Psychologie, Erzie- hungswissenschaft sowie der Fachdidaktik Mathematik beteiligt waren. Gegenstand des Schwerpunkts war die wissenschaft liche Untersuchung von didaktischen Maßnah- men, die Lernprozesse subjektiv erschweren, zugleich aber das längerfristige Behal- ten und den Transfer von Wissen fördern. Die Arbeiten aus der Fachdidaktik Bio- logie unter Jürgen Mayers Leitung widmeten sich der Verknüpfung von wichtigen Erkenntnissen aus der fachdidaktischen Forschung zum Forschenden Lernen mit ko- gnitionspsychologischer Forschung zum Generierungseff ekt (Irina Streich) und Testef- fekt (Anne Cohonner). Jürgen Mayer legte großen Wert darauf, dass beide Projekte, sowohl inhaltlich als auch methodisch, von der Zusammenarbeit verschiedener Fach- gebiete aus diesem besonderen interdisziplinären Projekt profi tierten. In der Projekt- arbeit stand Jürgen Mayer Anne Cohonner und Irina Streich, aber auch allen ande- ren Kolleginnen und Kollegen, stets mit seiner fachlichen Expertise sowie mit seiner konstruktiven Kritik zur Seite. Zahlreiche gewinnbringende Gespräche, unzählige wertvolle Ideen und ein unbezahlbarer Erfahrungsschatz und Weitblick zeichneten die Arbeit mit Jürgen Mayer aus. 1 Wünschenswerte Erschwernisse Seit den Ergebnissen der internationalen Vergleichsstudien von PISA und TIMSS, die gezeigt haben, dass neu erworbene Wissensinhalte weder langfris- tig gespeichert noch fl exibel auf neue Problemstellungen angewandt werden können, ist die Ausbildung von langfristigem und fl exiblem Fach- und insbe- sondere Methodenwissen zu einem wichtigen Bildungsziel naturwissenschaft - lichen Unterrichts erklärt worden. Einen besonders vielversprechenden Ansatz zur Steigerung von fl exiblem und nachhaltigem Lernen bietet Robert Bjorks Konzept der Wünschenswerten Erschwernisse (Bjork, 1994). Das Konzept be- 1 geb. Irina Kaiser 2 geb. Anne Erichsen 144 Irina Streich & Anne Cohonner ruht auf der Annahme, dass der Einsatz didaktischer Maßnahmen, die den Lernerfolg kurzfristig erschweren, das Behalten und den Transfer der gelernten Inhalte jedoch langfristig fördern kann. Vier dieser besonderen Lernstrategien sind empirisch besonders gut belegt: 1) Generierungseff ekt, 2) Testeff ekt, 3) Ver- teiltes Lernen, 4) Verschachteltes Lernen. Alle vier Lernstrategien steigern die langfristige Behaltensleistung und die Flexibilität erworbener Wissensinhalte, indem sie den Lernprozess absichtlich erschweren, wodurch die kognitive Ak- tivierung der Lernenden zunehmend erhöht wird. Dies ermöglicht eine tiefe- re Verarbeitung und stärkere Vernetzung der Lerninhalte mit dem Vorwissen der Lernenden. Ein grundsätzliches Ziel kognitionspsychologischer Forschung ist die Im- plementierung eff ektiver Lernstrategien in den Kontext von Schule, nachdem diese ausgiebig unter Laborbedingungen erforscht wurden. Bisherige Untersu- chungen zu den Wünschenswerten Erschwernissen beschränken sich allerdings überwiegend auf wenig komplexe Lerninhalte in streng kontrollierten Labor- bedingungen. Was bislang nur unzureichend geklärt wurde, ist, unter welchen Voraussetzungen Wünschenswerte Erschwernisse zur Entwicklung eff ektiverer Lernmethoden im Kontext von Schule führen können. Nur wenige Studien (bspw. Projekt IDDEAS, Richland, Linn & Bjork, 2007) untersuchten den Ein- satz der Lernstrategien in authentischen Lernsettings, wie dem naturwissen- schaft lichen Unterricht. Daher wurde 2015 im Rahmen der Exzellenz-Initiative des Landes Hessen (LOEWE) der Forschungsschwerpunkt „Wünschenswerte Erschwernisse beim Lernen: Kognitive Mechanismen, Entwicklungsvoraussetzun- gen und eff ektive Umsetzung im Unterricht“ an der Universität Kassel ins Leben gerufen, an dem, neben den Fachgebieten der Psychologie und der Erziehungs- wissenschaft en, auch die Fachdidaktiken Mathematik und Biologie beteiligt waren. Jürgen Mayer übernahm die Leitung des Teilprojekts 6, das sich der Untersuchung des Generierungseff ekts im Rahmen des fachspezifi schen Unter- richtsmodells des Forschenden Lernens (Inquiry-based learning) anhand lehr- planbezogener Inhalte im Biologieunterricht widmete. Da das aktive Generie- ren eine wichtige Komponente des Forschenden Lernens darstellt, galt es den Einfl uss dieses Faktors auf die kurzfristige sowie langfristige Behaltensleistung zu untersuchen und das mögliche Potential dieses Enkodierungsformats beim Erwerb von Fach- und Methodenwissen (deklarativer und prozeduraler Wis- sensinhalte) zu erforschen. Weiterhin betreute Jürgen Mayer ein Projekt, das sich mit dem Nutzen des Testeff ekts im Kontext des Forschenden Lernens be- schäft igte. Aufgrund der konzeptionellen Nähe zum Forschungsschwerpunkt wurde das vorliegende Projekt kooptiert. Gerade die Untersuchung von Maß- nahmen der Konsolidierung wird bislang kaum innerhalb des Ansatzes des Forschenden Lernens berücksichtigt, wodurch eine Fokussierung auf diesen Schwerpunkt notwendig erschien. Die Lernumgebungen beider Projekte waren „Wünschenswerte Erschwernisse“ im Kontext des Forschenden Lernens 145 nach dem Modell des naturwissenschaft lich-forschenden Lernens konzipiert (inkl. praktischer Experimente) und inhaltlich im Th emengebiet der „Ökolo- gie“ (Angepasstheit an den Lebensraum) angesiedelt. Das Instruktionsmodell des Forschenden Lernens zielt auf die Vermittlung naturwissenschaft licher Er- kenntnisgewinnung im naturwissenschaft lichen Unterricht (Abd-El-Khalick et al., 2004). Der Prozess der Erkenntnisgewinnung wird dabei analog zum na- turwissenschaft lichen Erkenntnisprozess gestaltet. In diesem Prozess fi ndet so- wohl die Vermittlung von Fachkonzepten als auch domänenspezifi scher Pro- zeduren statt (Klahr & Dunbar, 1988; Klahr, 2000; Mayer, 2007). Der parallele Erwerb von Fach- und Methodenwissen wird dadurch ermöglicht, dass sich der Lernprozess an den Prozeduren des naturwissenschaft lichen Erkenntnis- prozesses orientiert (Mayer, 2007). 1.1 Generierungseff ekt Der Generierungseff ekt beschreibt ein Phänomen, bei dem Informationen, die eigenständig zur Lösung eines Problems hervorgebracht werden, besser behal- ten und erinnert werden können als passiv enkodierte Informationen (Slame- cka & Graf, 1978). Er ist ein umfassend empirisch belegter Befund (Bertsch, Pesta, Wiscott & McDaniel, 2007; deWinstanley, 1995; Karpicke & Zaromb, 2010; McDaniel, Waddill & Einstein, 1988), der allerdings in der Mehrzahl der Fälle für wenig komplexe, inkohärente Lerninhalte in streng kontrollierten Laborbedingungen nachgewiesen werden konnte. In einem typischen Lern- setting gilt es, isolierte Fakten, wie Wörter, Wort- oder Satzfragmente, unter Anwendung einer vorgegebenen Regel (z. B. Bildung von Synonymen, Antony- men, Reimen) oder auf dargebotene Wortfragmente oder Hinweisreize inner- halb der Experimentalbedingung, zu generieren, während die Kontrollgruppe die entsprechenden Wörter oder Sätze lediglich liest, d. h., passiv rezipiert. In einem nachgeschalteten Leistungstest, der sowohl direkt im Anschluss an die Lerneinheit und/oder nach Ablauf mehrerer Stunden oder Tage erfolgen kann, werden die Abrufraten beider Bedingungen miteinander verglichen (Foos, Mora & Tkacz, 1994). Lernende der Experimentalbedingung können in der Mehrzahl der Studien weitaus mehr Wörter erinnern als Probanden der Kon- trollgruppe. In einer Metaanalyse mit 86 Studien konnte eine Gesamteff ekt- stärke von d = 0.40 nachgewiesen werden (Bertsch et al., 2007). Elf verschie- dene Moderatoren konnten identifi ziert werden, die den Generierungseff ekt beeinfl ussen; u. a. stellte sich heraus, dass ein höheres Alter, das Generieren von Zahlen (und damit prozeduralem Wissen), Berechnungen und Satzver- vollständigungen, ein hoher Schwierigkeitsgrad, Gedächtnistests mit Abrufh il- 146 Irina Streich & Anne Cohonner fen und ein Retentionsintervall von mehr als einem Tag das Ausmaß des Ef- fekts steigern können. Unter welchen Voraussetzungen der Generierungseff ekt in einer authentischen Lernumgebung wie dem Forschenden Lernen mit cur- ricular validen Inhalten auft ritt und welches Potential das Enkodierungsformat für nachhaltiges Lernen birgt, sollte im Rahmen des Teilprojekts 6 von LOE- WE untersucht werden. 1.2 Testeff ekt Der Testeff ekt beschreibt das Phänomen, dass Lerninhalte besser behalten wer- den, wenn diese aktiv durch die Bearbeitung von Testaufgaben reproduziert werden statt diese repetitiv (z. B. durch Lesen) zu wiederholen (Roediger & Butler, 2011). Innerhalb der Kognitionspsychologie stellt der Testeff ekt einen der am besten belegten lehr- und lernrelevanten Eff ekte dar (Roediger & Kar- picke, 2006). Allerdings beziehen sich die nachgewiesenen Befunde auf wenig komplexe sowie inkohärente Lerninhalte, die in streng kontrollierten Lernset- tings unter Laborbedingung eingeübt werden (Roediger & Karpicke, 2006). In den Studien wurden nach einer initialen Lernphase die Inhalte entweder durch die Bearbeitung von Testaufgaben (Experimentalbedingung) oder durch das erneute Rezipieren (Kontrollbedingung) konsolidiert. Nach einem entspre- chenden Retentionsintervall konnte die Experimentalbedingung weitaus mehr Informationen abrufen als die Kontrollbedingung. In mehreren Metaanalysen konnten für den Testeff ekt mittlere Eff ektstärken von d  =  0.54 nachgewiesen werden (Bangert-Drowns, Kulik, Kulik & Morgan, 1991; Rowland, 2014). Der positive Eff ekt bei der Testbearbeitung wird durch den hohen Gedächtnisauf- wand sowie durch tiefere Verarbeitungsprozesse erklärt (Karpicke, Lehmann & Aue, 2014). Als Prädiktoren für den Nutzen von Testaufgaben zur langfris- tigen Konsolidierung konnten die mentale Anstrengung sowie die Richtigkeit der erinnerten Wissensbestände identifi ziert werden (Pyc & Rawson, 2009). So konstatiert die Metaanalyse von Rowland eine Steigerung der Eff ektgröße von d = 0.73 beim Einsatz von Feedback. Weiterhin stellen die Art des Feedbacks, das Aufgabenformat des Tests (free vs. cued recall) sowie das Retentionsinter- vall Größen dar, die den Eff ekt beeinfl ussen können. Bislang umstritten ist, in- wieweit sich der Lernzuwachs gleichermaßen für das Behalten von Fakten so- wie für höhere kognitive Anforderungen in authentischen Lernsettings zeigt (Carpenter, Pashler & Vul, 2006; Roelle & Berthold, 2017). An dieser Stelle knüpft das vorliegende Projekt an, indem es untersucht, unter welchen Voraus- setzungen sich der Testeff ekt in authentischen Lernsettings mit curricular vali- den Lerninhalten nachweisen lässt. „Wünschenswerte Erschwernisse“ im Kontext des Forschenden Lernens 147 2 Generieren und Testen im Kontext des Forschenden Lernens Generieren Das aktive Generieren von Wissen stellt eine von vielen kennzeichnenden Komponenten des Forschenden Lernens dar (u. a. Problemorientierung, Hand- lungsorientierung, Kollaboration, hypothetisch-deduktives Vorgehen). Befür- worter des Forschenden Lernens gehen davon aus, dass Wissen besser verin- nerlicht werden kann, wenn es aktiv vom Lernenden erzeugt wird (Mayer & Ziemek, 2006). Doch obwohl Metaanalysen eine überdurchschnittliche Lern- eff ektivität des Forschenden Lernens bestätigen, wurde der Fokus bisheriger Untersuchungen nicht auf den Einfl uss aktiven Generierens gelegt. Die mög- liche Wirkung dieser entscheidenden Komponente auf die langfristige Behal- tensleistung und den Transfer machte eine Erweiterung bisheriger Forschungs- befunde erforderlich. Im Gegensatz zu Untersuchungen in gut kontrollierten Laborbedingungen mit wenig komplexen Lerngegenständen, sind Schülerinnen und Schüler beim Forschenden Lernen häufi g vor das Problem gestellt, Wissensinhalte und fach- liche Zusammenhänge in manchen Fällen nicht korrekt oder erst gar nicht ge- nerieren zu können. Dies resultiert aus mangelndem Vorwissen oder fehlender freier Lernkapazität, die aus einer relativ komplexen Lernumgebung hervor- geht. Erst wenn Lernende zentrale Fachinhalte in den Blick nehmen können und diese korrekt generieren, kann sich das Enkodierungsformat als nachhal- tig erweisen (Foos et al., 1994; Richland, Bjork, Finley & Linn, 2005). Um dem Problem der Fehleranfälligkeit entgegenzuwirken, empfi ehlt es sich, auf eine lehrerzentrierte Steuerung des Generierungsprozesses zurückzugreifen, die ein gelenktes Generieren komplexerer Lerninhalte beim Forschenden Lernen er- laubt (Hmelo-Silver, Duncan & Chinn, 2007). Zu diesen Steuerungsformaten gehören u. a. gestuft e Lernhilfen (Arnold, Kremer & Mayer, 2014), Feedback (Lazonder & Harmsen, 2016) oder Lösungsbeispiele (worked examples, Kant, Scheiter & Oschatz, 2017). Eine besondere Stellung nimmt das Feedback beim Generieren von Wis- sensinhalten im Unterricht ein. Denn genauso wie korrekt generierte Inhal- te können auch falsch generierte Informationen nachhaltig im Langzeitge- dächtnis gespeichert werden. Um dem entgegenzuwirken, kann ein Feedback im Anschluss an den Generierungsprozess gegeben werden. Das Generie- ren von Fehlern hat dadurch keine nachhaltigen Konsequenzen für die Lern- und Gedächtnisleistung der Lernenden (Metcalfe & Kornell, 2007). Auch die Nutzung von Lösungsbeispielen kann den Prozess des Generierens erleich- tern. Der sogenannte worked-example eff ect konnte in zahlreichen Studien mit überwiegend mathematischen Lerninhalten belegt werden (bspw. Atkin- 148 Irina Streich & Anne Cohonner son, Derry, Renkl & Wortham, 2000; Renkl, 1997; Sweller, Ayres & Kalyuga, 2011). Welchen Nutzen Lösungsbeispiele im naturwissenschaft lichen Unter- richt im Kontext des Forschenden Lernens fi nden, konnte jedoch nur in we- nigen Untersuchungen ermittelt werden, die sich zudem nur auf virtuelle Ver- suchsdurchführungen beschränken (Kant et al., 2017). Das Teilprojekt 6 der Forschungsschwerpunkts Wünschenswerte Erschwernisse beim Lernen widmete sich daher neben der Erforschung nachhaltiger Lerneff ekte durch aktives Ge- nerieren beim Forschenden Lernen auch der Analyse wichtiger Moderatoren nachhaltiger Behaltensleistungen, wie dem Feedback, Lösungsbeispielen, spe- zifi scher Lernermerkmale (u. a. Vorwissen, kognitive Fähigkeiten. Kognitions- bedürfnis) und dem Generierungserfolg der Schülerinnen und Schüler. Testen Kognitionspsychologische Forschungsansätze betonen allerdings auch, dass das angestrebte Ziel einer langfristigen Verfügbarkeit von Wissensinhalten nur erreicht werden kann, wenn neben der Konstruktion von Wissensinhal- ten ebenfalls die Konsolidierung durch geeignete Instruktionsmaßnahmen im Lernprozess berücksichtigt wird (Bjork, 1994). Steuerungsmöglichkeiten wie u. a. gestuft e Lernhilfen (Arnold et al., 2014), Feedback (Lazonder & Harm- sen, 2016) oder Lösungsbeispiele (worked examples, Kant et al., 2017) stellen Maßnahmen dar, die sich lediglich auf die Erleichterung des Enkodierpro- zesses beziehen. Maßnahmen, die auch die Konsolidierung von Lerninhalten berücksichtigen, wurden im Ansatz des Forschenden Lernens bislang nicht untersucht. Weiterhin konnten Studien nachweisen, dass fachwissenschaft liche Lerninhalte oft mals unzureichend erworben werden und hinter den Lernef- fekten für fachmethodische Fähigkeiten zurückbleiben (Hof, 2011; Dochy, Ser- gers, van den Bossche & Gijbels, 2003). Dies macht eine Fokussierung auf die Konsolidierung von fachwissenschaft lichen Inhalten erforderlich, um der ja- nusköpfi gen Ausrichtung des Forschenden Lernens gerecht zu werden. Mit diesem Schwerpunkt beschäft igt sich das vom Forschungsschwerpunkt Wün- schenswerte Erschwernisse beim Lernen kooptierte Teilprojekt. Zentral sollten neben der Analyse langfristiger Lerneff ekte ebenfalls zentrale Moderatoren, die den Eff ekt positiv beeinfl ussen, identifi ziert werden. Dabei werden bei der Integration die gedächtniswirksamen Regeln von Frey, Frey-Eiling und Lan- dolt-Marazzi (1989) berücksichtigt. Demnach wird die Übungsphase mit dem Lernprozess kombiniert (geringer zeitlicher Abstand zwischen Enkodierung und Konsolidierung), die Inhalte aktiv reproduziert (Test vs. Lesen) sowie die Antworten kontrolliert und verstärkt (Feedback). „Wünschenswerte Erschwernisse“ im Kontext des Forschenden Lernens 149 3 Wichtige Erkenntnisse zum Generieren und Testen naturwissenschaft licher Inhalte beim Forschenden Lernen Letztendlich zeigen die Studien3 des Teilprojekts 6, dass das Enkodierungsfor- mat des Generierens nur in einem begrenzten Ausmaß und unter gewissen Voraussetzungen auch in einer authentischen Lernumgebung wie dem Unter- richtsmodell des Forschenden Lernens eine Wünschenswerte Erschwernis dar- stellt und zur Steigerung eines nachhaltigen Lernerfolgs beitragen kann: Ledig- lich für den Erwerb von Methodenwissen (Variablen-Kontroll-Strategie) zeigte sich in den durchgeführten Untersuchungen ein Generierungseff ekt. Wie be- reits vorangegangene Studien erkennen ließen, scheint auch hier das dekla- rative und prozedurale Gedächtnis unterschiedlich stark vom Generierungs- prozess zu profi tieren (Bertsch et al., 2007). Ferner erwies sich Feedback als notwendige Voraussetzung für die Lerneff ektivität dieses Enkodierungsfor- mats hinsichtlich beider Wissensdomänen. Denn die intrinsische sowie extrin- sische kognitive Belastung der Schülerinnen und Schüler ließ sich durch den Einsatz von Feedback signifi kant reduzieren, wodurch höhere kurz- und lang- fristige Lerneff ekte erzielt werden konnten. Darüber hinaus konnte Feedback den Generierungserfolg steigern, was dazu führte, dass neue Inhalte korrekt in das vorhandene Wissenskonstrukt der Lernenden integriert werden konn- ten. Doch erst wenn mindestens 50 % der Inhalte korrekt generiert wurden, war ein langfristiger Vorteil dieses Enkodierungsformats beim Erwerb der Va- riablen-Kontroll-Strategie im Kontext des Forschenden Lernens erkennbar (Kaiser, Mayer & Malai, 2018). Der Generierungserfolg entscheidet letztend- lich darüber, ob generiertes methodisches Wissen tatsächlich langfristig bes- ser abgerufen werden kann als bloß gelesene (identische) Informationen. Nicht zuletzt ist die Nutzung eines Lösungsbeispiels zu Beginn der Lerneinheit äu- ßerst lernförderlich, wenn es gilt, die Variablen-Kontroll-Strategie eigenstän- dig auf ein neues Experiment anzuwenden. Wenn auch kurzfristig gesehen nicht profi tabel, erhöht ein Lösungsbeispiel, das die Wissensbasis vermittelt, auf der neue Inhalte und Zusammenhänge generiert werden, die lernbezoge- ne kognitive Bereitschaft der Lernenden, wodurch langfristig eine höhere Be- haltens- und Transferleistung erzielt werden können (Kaiser & Mayer, 2019). Der grundlegende Befund, dass die Integration von Übungsformaten sich positiv auf die langfristige Behaltensleistung in einer authentischen Lernumge- bung mit validen curricularen Inhalten auswirkt, kann ebenfalls für den Test- eff ekt konstatiert werden. Allerdings lassen sich die klaren Befunde aus den 3 Details zur Methodik können den folgenden Quellen entnommen werden: Cohonner & Mayer (2018a), Kaiser & Mayer (2019) und Kaiser, Mayer & Malai (2018). 150 Irina Streich & Anne Cohonner hoch kontrollierten Laborexperimenten nur unter Einschränkungen auf die pädagogische Praxis übertragen: So kann zwischen unterschiedlichen Kon- solidierungsformaten im Kontext des Forschenden Lernens kein signifi kanter Unterschied festgehalten werden (Cohonner & Mayer, 2018a). Erst bei höhe- ren Retentionsintervallen sowie bei der Diff erenzierung nach Wissensdimen- sionen kann der Nutzen des Testeff ekts nachgewiesen werden (Cohonner & Mayer, 2018b). Damit stehen die Ergebnisse im Einklang mit den Befunden, die eine Überlegenheit mit zunehmendem Retentionsintervall nachweisen (Rowland, 2014). Gleichsam, wie bei der Studie zum Generieren, scheint Feedback neben der kognitiven Belastung eine entscheidende Komponente zu sein, die den Test- eff ekt moderiert. In Übereinstimmung mit der Cognitive Load Th eory (Swel- ler, van Merrienboer & Paas, 1998) wirkt sich die empfundene Schwierigkeit des Übungsmaterials negativ auf die Lernleistung aus. Das gewählte Aufgaben- format stellt ggf. eine extrinsische Belastung dar, aus der kein Lerneff ekt resul- tiert, da ein korrekter Abruf nicht mehr stattfi nden kann (Cohonner & Mayer, 2018b). Dementsprechend scheint Feedback eine entscheidende Komponente zu sein, ohne die die Lerneff ektivität deutlich geringer ausfallen würde (Roedi- ger & Butler, 2011). 4 Ausblick und Einfl uss auf weitere Forschung Zukünft ige Forschung sollte sich Faktoren widmen, die den Generierungser- folg beim Forschenden Lernen maximieren. Zwei regulierende Faktoren, die den Lernerfolg erhöhen und die kognitive Belastung gleichzeitig senken, soll- ten dabei eingehender beleuchtet werden: 1. die Vermittlung einer ausreichenden Wissensbasis (z. B. worked examples) vor der forschenden Lerneinheit sowie 2. die Nutzung ausreichender Unterstützungsmaßnahmen (z. B. scaff olding) während des Forschenden Lernens. Des Weiteren sollten Maßnahmen erforscht werden, die die Konsolidierung deklarativer Inhalte beim Forschenden Lernen langfristig steigern. Die Einbin- dung des Konzepts der Wünschenswerten Erschwernisse in der biologiedidak- tischen Forschung wird aktuell in weiteren durch Jürgen Mayer (mit-)betreu- ten Projekten fortgeführt, die sich (u. a.) der Lernstrategie des Verschachtelten Lernens widmen: Professioneller Konzeptwechsel zum Th ema Nachhaltiges Lernen in der Lehrerbildung (ProKo, P42 in PRONET2) und Life-Science-La- bore – Vernetztes Lehren und Lernen in der Biologie (P30 in PRONET2) so- „Wünschenswerte Erschwernisse“ im Kontext des Forschenden Lernens 151 wie Kontrastieren und Vergleichen von Schülerfehlern beim Experimentieren (KonVEx) (s. dazu auch Beiträge in diesem Band). Literatur Abd-El-Khalick, F., BouJaoude, S., Duschl, R., Lederman, N.G., Mamlok-Naaman, R., Hofstein, A., …., Tuan, H. l. (2004). Inquiry in Science Education: Interna- tional Perspectives. Science Education, 88(3), 397–419. https://doi.org/10.1002/ sce.10118 Arnold, J., Kremer, K. & Mayer, J. (2014). Understanding Students’ Experiments – What kind of support do they need in inquiry tasks? International Journal of Science Education, 36, 2719–2749. https://doi.org/10.1080/09500693.2014.9302 09 Atkinson, R.K., Derry, S.J., Renkl, A. & Wortham, D. (2000). Learning from Examples: Instructional Principles from the Worked Examples Research. Review of Educational Research, 70(2), 181–214. https://doi.org/10.3102/ 00346543070002181 Bangert-Drowns, R.L., Kulik, C.-L.C., Kulik, J.A. & Morgan, M. (1991). Th e Instruc- tional Eff ect of Feedback in Test-Like Events. Review of Educational Research, 61(2), 213–238. https://doi.org/10.3102/00346543061002213 Bertsch, S., Pesta, B.J., Wiscott, R. & McDaniel, M.A. (2007). Th e generation ef- fect. A meta-analytic review. Memory & Cognition, 35, 201–210. https://doi. org/10.3758/BF03193441 Bjork, R.A. (1994). Memory and metamemory considerations in the training of hu- man beings. In J. Metcalfe & A.P. 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Richland, L.E., Linn, M.C. & Bjork, R.A. (2007). Cognition and instruction: Bridg- ing laboratory and classroom settings. In F. Durso, R. Nickerson, S. Dumais, S. Lewandowsky & T. Perfect (Hrsg.), Handbook of applied cognition (2nd ed., S. 555–583). West Sussex: John Wiley & Sons Ltd. Roediger, H.L. & Butler, A.C. (2011). Th e critical role of retrieval practice in long-term retention. Trends in Cognitive Science, 15(1), 20–27. https://doi. org/10.1016/j.tics.2010.09.003 Roediger, H.L. & Karpicke, J.D. (2006). Th e power of testing memory: Basic re- search and implications for educational practice. Perspectives on Psychological Science, 1(3), 181–210. https://doi.org/10.1111/j.1745-6916.2006.00012.x Roelle, J. & Berthold, K. (2017). Eff ects of incorporating retrieval into learning tasks: Th e complexity of the tasks matters. Learning and Instruction, 49, 142– 156. https://doi.org/10.1016/j.learninstruc.2017.01.008 Rowland, C.A. (2014). 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Educational Psychology Review, 10, 251–296. https:// doi.org/10.1023/A:1022193728205 Lars Meyer-Odewald, Daniel Horn, Monique Meier, Rita Wodzinski & Kathrin Ziepprecht Kontrastieren und Vergleichen als Lehr-Lernmethode zur Förderung der Diagnosekompetenz in der Lehramtsausbildung Der vorliegende Beitrag liefert einen Überblick über zwei der letzten Teilprojekte im Kontext der Lehrer*innen-Professionalisierung, an deren Einwerbung und Betreuung Jürgen Mayer beteiligt war. Mit großem Engagement und kompetenter Unterstützung hat er die Entstehung und Entwicklung der Projekte vorangetrieben und ihnen einen Feinschliff gegeben. Mit off enem Ohr stand er jederzeit für Fragen zur Verfügung und war gerne bereit, seine Erfahrungen zu teilen. Seine stets konstruktiven Anmerkun- gen und innovativen Ideen waren dabei eine große Hilfe. Durch seine freundliche und wertschätzende Art hat er zudem eine angenehme und produktive Arbeitsatmosphä- re für alle Mitarbeitenden geschaff en. Wir sind für die gemeinsame Zeit außerordent- lich dankbar. Im Beitrag werden zwei hochschuldidaktische Lehrvorhaben vorgestellt, die in das übergreifende Projekt „KoVeLa – Kontrastieren und Vergleichen im Lehr- amtsstudium“ an der Universität Kassel eingebunden sind. Beiden Teilprojek- ten ist gemeinsam, dass sie sich der Lehr-Lernmethode des Kontrastierens und Vergleichens bedienen, um die Diagnosekompetenz bei (angehenden) Lehr- kräft en im Bereich der naturwissenschaft lichen Erkenntnisgewinnung zu för- dern. Im Teilprojekt „KonVEx – Kontrastieren und Vergleichen von Schüler- fehlern beim Experimentieren“ steht der Vergleich von Schülerprotokollen in der Ausbildung von Studierenden im Studiengang Sachunterricht für das Lehramt an Grundschulen im Mittelpunkt. Die Zielgruppe des zweiten Teil- projektes „Förderung von Diagnosekompetenz mittels Kontrastierens und Ver- gleichens von Videovignetten zum Experimentieren“ sind Studierende des Lehramtes an Haupt- und Realschulen sowie des Gymnasiums für das Unter- richtsfach Biologie. In diesem Teilprojekt steht das Medium Video als Objekt des Kontrastierens und Vergleichens im Fokus. 156 Lars Meyer-Odewald et al. 1 Kontrastieren und Vergleichen als Lehr-Lernmethode – Formen und empirische Befunde „Die sind wie Feuer und Wasser“ und „Das ist so, als würdest du Äpfel und Bir- nen vergleichen“ sind allgemein gängige Redewendungen, die Kontraste und Vergleiche einschließen. Das zweitgenannte Beispiel wird im allgemeinen Sprachgebrauch verwendet, um die ‚Unvergleichbarkeit‘ zweier Sachverhalte, Personen oder Begebenheiten hervorzuheben. Nimmt man die Phrase wört- lich, so lassen sich Äpfel und Birnen aber sehr wohl vergleichen. Auch wenn sie sich in mehreren Eigenschaft en wie Form oder Geschmack unterscheiden, können bei genauer Betrachtung auch Gemeinsamkeiten identifi ziert werden, wie die charakteristischen Kennzeichen, die ihre gemeinsame Zuordnung zu den Kernobstfrüchten begründen. Die Lehr-Lernmethode des Kontrastierens und Vergleichens nutzt eben diese Identifi kation von Gemeinsamkeiten und Unterschieden mehrerer – gegebenenfalls auch schwer vergleichbarer – Objek- te, um Lernprozesse anzuregen. Das Erkennen von Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen zwei Beispielen ist ein elementarer Bestandteil des menschlichen Lernens und hilft , vorhandenes Wissen mit neuem Wissen in Verbindung zu bringen (Gentner, Loewenstein & Th ompson, 2003; Leuchter, Saalbach & Hardy, 2011). Das Kontrastieren beschäft igt sich mit der Identifi kation von Unterschieden zwi- schen zwei Objekten, während das Vergleichen die Suche nach Gemeinsam- keiten zwischen diesen beschreibt (Marzano, Pickering & Pollock, 2001). In diesem Zusammenhang wird der Terminus Objekt als Begriff für verschiede- ne Sachverhalte verwendet, die miteinander verglichen werden können, z. B. Abbildungen, Schülerprotokolle, Videovignetten, aber auch Konzepte und Lö- sungswege. Damit ein Vergleich möglich ist, müssen genügend Ähnlichkeiten zwischen den zu vergleichenden Objekten vorliegen. Diese werden durch die Konstanthaltung von Eigenschaft en des Objektes geschaff en, auf die sich bei Anwendung der Methode nicht konzentriert werden soll (irrelevante Eigen- schaft en). Erst durch diese Gegebenheit können Unterschiede hervortreten und relevante Eigenschaft en fokussiert werden (Gentner & Markman, 1994; Kurtz & Gentner, 2013). Dabei können die gemeinsamen Merkmale der Ob- jekte oberfl ächlich oder auf die Tiefenstruktur bezogen sein (Gentner, 1983). Die Umsetzung des Kontrastierens und Vergleichens kann in der Praxis und der Forschung unterschiedlich ausfallen. Exemplarisch werden drei For- men nach Rittle-Johnson und Star (2011) vorgestellt, die für den Beitrag essen- tiell sind (für weitere Informationen s. Originalartikel von Rittle-Johnson und Star (2011) oder Horn und Meier (2020a) mit Praxisbeispielen für den Biolo- gieunterricht). Kontrastieren und Vergleichen 157 (I) Der Vergleich eines korrekten Objekts mit einem, das fehlerhaft e Ele- mente enthält, entspricht dem so genannten Incorrect Method Comparison (Rittle-Johnson & Star, 2011). Auch der Fall eines gänzlich fehlenden Elements beim Vergleichsobjekt kann dieser Form des Kontrastierens und Vergleichens zugeordnet werden (Beesley & Apthorp, 2010; Lipowsky et al., 2019). Beim Incorrect Method Comparison liegt der Fokus auf dem Herausarbeiten von Unterschieden zwischen den Beispielen. Dabei können auch fachlich adäqua- te Vorstellungen und Fehlvorstellungen gegenübergestellt werden (Rittle-John- son & Star, 2011). (II) Beim Correct Method Comparison werden zwei richtige Objekte, z. B. Lösungsstrategien, gegenübergestellt, wodurch die Flexibilität der Wissensan- wendung erhöht werden kann (u. a. Rittle-Johnson, Star & Durkin, 2009). Da- rüber hinaus kann durch die Suche nach Gemeinsamkeiten ein allgemeines Schema für die Lösung eines Problems entwickelt werden (Reed & Bolstad, 1991). Die Auseinandersetzung mit Beispielaufgaben oder korrekten Lösungs- wegen spielt ebenfalls in der Forschung zu Worked Examples eine Rolle (Ward & Sweller, 1990). (III) Beim Concept Comparison werden verschiedene Objekte gegenüberge- stellt, die sich derselben begriffl ichen Kategorie zuordnen lassen (Rittle-John- son & Star, 2011). Auf diese Weise können die besonderen Merkmale deutlich herausgestellt werden, durch die jene Kategorie gekennzeichnet ist. 1.1 Empirische Befunde zum Kontrastieren und Vergleichen Mehrere Metaanalysen (u. a. Beesley & Apthorp, 2010; Marzano, Pickering & Pollock, 2001) haben die Wirksamkeit des Kontrastierens und Vergleichens untersucht und kamen zu dem Ergebnis, dass die gleichzeitige, vergleichende Auseinandersetzung mit zwei Objekten lernwirksamer ist als die sequentielle Bearbeitung von Einzelfällen, was eher dem traditionellen Bild von Unterricht entspricht. So konnte beispielsweise die Metaanalyse von Alfi eri, Nokes- Malach und Schunn (2013) durch die Auswertung von 57 Einzelexperimen- ten aus mehr als 30 Studien eine mittlere Eff ektstärke von d = .50 für das Kon- trastieren und Vergleichen nachweisen. Im Bereich der Einzelstudien konnten Jee et al. (2013) zeigen, dass z. B. beim Erlernen des Konzeptes einer geologi- schen Verwerfung ein größerer Lernerfolg zu verzeichnen ist, wenn eine Ab- bildung einer Landschaft mit Verwerfung zusammen mit der Abbildung einer Landschaft ohne Verwerfung präsentiert wird. Als weiteres Ergebnis der Studie wurde herausgestellt, dass bei Novizinnen und Novizen im Umgang mit der Methode des Kontrastierens und Vergleichens eingangs mit ähnlichen Bildpaa- 158 Lars Meyer-Odewald et al. ren begonnen werden sollte, die noch wenige Unterschiede enthalten. Dadurch wird die Aufmerksamkeit der Betrachterinnen und Betrachter auf die relevan- ten bzw. gewünschten Eigenschaft en gerichtet. Die Studie von Jee et al. (2013) fußt auf den kognitionspsychologischen Grundlagen, die erstmals u. a. von den Arbeitsgruppen um Gentner und Schwartz publiziert wurden. Eine An- wendung dieser Grundlagen auf einen konkreten fachlichen Kontext erfolgte durch die Arbeit von Rittle-Johnson et al. (2007, 2009) im Bereich der Mathe- matik. Seitdem wird das Kontrastieren und Vergleichen in immer mehr Do- mänen auf seine Eff ektivität hin überprüft (u. a. Graulich & Schween, 2018; Hirstein, Denn, Jurkowski & Lipowsky, 2017). 1.2 Kontrastieren und Vergleichen als Lehr-Lernmethode in der Hochschullehre – Status quo & Potenziale Zum aktuellen Zeitpunkt liegen nur wenige Studien vor, die den Einsatz der Lehr-Lernmethode in der universitären Ausbildung als solche erforscht ha- ben (u. a. Gentner et al., 2003; Schwartz & Bransford, 1998). Vielmehr wur- den Studierende als Probandinnen und Probanden für Studien außerhalb von Lehrveranstaltungen ausgewählt, wobei die inhaltlichen Schwerpunkte nicht zwangsläufi g mit dem Studienfach der Teilnehmenden übereinstimmten (Geo- logie – Psychologie, Jee et al., 2013; Anatomie – Psychologie, Kurtz & Gent- ner, 2013). Im Kontext der Professionalisierung von (angehenden) Lehrkräft en können aktuell zwei Studien identifi ziert werden. Diese konnten zeigen, dass sich die Suche nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden in zwei Videos posi- tiv auf den Erwerb von konzeptionellem Wissen zu pädagogischen Th emen auswirkt (Nagarajan & Hmelo-Silver, 2006) und dass sie die Beurteilungsfähig- keit anhand von kooperativen Lernsettings, im Vergleich zu einer wiederho- lenden Betrachtung eines einzelnen Videos, fördert (Hirstein et al., 2017). Die Studie von Hirstein et al. (2017) liefert erste Indizien, dass sich durch Anwen- dung der Methode die diagnostischen Fähigkeiten von (angehenden) Lehrkräf- ten fördern lassen. Ein Grund dafür könnte sein, dass beim Kontrastieren und Vergleichen zwei Objekte unmittelbar miteinander verglichen werden, wäh- rend bei nur einem betrachteten Objekt eigene Praxiserfahrung der Lehramts- studierenden vorhanden sein müsste, um damit einen Vergleich anstellen zu können. Jedoch sind die genannten Studien in den Erziehungswissenschaft en angesiedelt und es bleibt die Frage off en, ob mithilfe des Kontrastierens und Vergleichens auch die Diagnosekompetenz von (angehenden) Lehrkräft en in Bezug auf fachdidaktische Th emen, wie z. B. die Experimentierkompetenz von Schülerinnen und Schülern, gefördert werden kann. Kontrastieren und Vergleichen 159 2 Fachbezogene Diagnosekompetenz zur Analyse und Beurteilung von Experimentierprozessen Die diagnostischen Fähigkeiten von Lehrpersonen haben nachweislich einen entscheidenden Einfl uss auf die Leistungen der Lernenden und sind für die Gestaltung eines adressatenorientierten Unterrichts bedeutsam (Brunner, An- ders, Hachfeld & Kraus, 2011; Praetorius, Lipowsky & Karst, 2012). In An- lehnung an das Modell von Baumert und Kunter (2006) zum Professions- wissen einer Lehrkraft setzt sich die fachbezogene Diagnosekompetenz aus verschiedenen Facetten des pädagogisch-psychologischen und des fachdidak- tischen Wissens zusammen (Brunner et al., 2011). Zum pädagogisch-psycho- logischen Wissen wird u. a. die Facette der Leistungsbeurteilung gezählt, die sich nicht nur auf die Überprüfung der Unterrichtsziele, sondern auch auf die Erfassung des Vorwissens der Lernenden bezieht. Zudem ist sie zur Erteilung eines konstruktiven Feedbacks an die Schülerinnen und Schüler von Bedeu- tung, wobei dies wiederum mit einer Ermittlung der Stärken und Schwächen der Lernenden im Vorfeld einhergeht (Schrader, 2013). Das fachdidaktische Wissen beinhaltet ferner u. a. die Kenntnis über mögliche Schwierigkeiten bei den Schülerinnen und Schülern, die in bestimmten Unterrichtszusammenhän- gen auft reten, und das Wissen darüber, wie diese durch angemessene Aufga- benstellungen bei den Lernenden diagnostiziert werden können (Brunner et al., 2011). Damit eine solche Diagnose gelingen kann, müssen die Lehrkräft e zudem über das nötige fachliche Wissen zu dem zu diagnostizierenden Gegen- stand verfügen (Beretz, Lengnink & Aufschnaiter, 2017). Ein Gebiet, auf dem ausgeprägte Schwierigkeiten bei Lernenden aller Schulstufen konstatiert werden können, ist das der naturwissenschaft lichen Er- kenntnisgewinnung und dort insbesondere das Experimentieren (u. a. Valani- des, Papageorgiou & Angeli, 2014; Hamman, Th i, Ehmer & Bayrhuber, 2006). Da das Wissen und die Kompetenzen im Bereich der Erkenntnisgewinnung als wichtige Elemente einer naturwissenschaft lichen Grundbildung angesehen werden (Bybee 1997, 2002; Shamos, 2002; Mayer, 2007), steht u. a. die Kom- petenzförderung in diesem Bereich im Zentrum der Bemühungen von natur- wissenschaft lichem Unterricht. Im Rahmenmodell der naturwissenschaft lichen Erkenntnisgewinnung nach Mayer (2007) werden drei zentrale Dimensionen unterschieden: das Wissenschaft sverständnis, das wissenschaft liche Denken und die manuellen Fertigkeiten. Alle Dimensionen kommen beim Experimen- tieren zum Tragen. Folglich bedeuten Experimente für viele Schülerinnen und Schüler eine hohe Anforderung auf verschiedenen Ebenen (Akerson, 2008), die sich als erkennbare Probleme beim Durchlaufen des naturwissenschaft li- chen Erkenntniswegs zeigen. Derartige Schwierigkeiten werden seit Jahrzehn- 160 Lars Meyer-Odewald et al. ten intensiv beforscht (u. a. Grube, 2010) und lassen sich in allen Phasen des Experimentierens wiederfi nden (u. a. Jong & van Joolingen, 1998; Hammann et al., 2006). In folgender tabellarischer Übersicht sollen einige aus der Litera- tur bekannte Schülerschwierigkeiten beim Experimentieren exemplarisch he- rausgestellt werden. Tabelle 1: Zusammenstellung bekannter (exemplarischer) Schülerschwierigkeiten beim Experimentieren, sortiert nach Problembereichen Problembereich Schülerschwierigkeit (ausgewählte) weiterführende Literatur Formulierung unspezifi scher Fragestellung oder schwer quantifi zierbarer Grube, 2010 Forschungsfragen Hofstein et al., 2005 Verzicht auf die Aufstellung von Meier, 2016 Hypothesen Millar & Lubben, 1996 Ausschließlich Aufstellung von Hypothesen Hypothesen, die plausibel erschei- Klahr, Fay & Dunbar, 1993 nen Verzicht auf Alternativhypothesen Meier, 2016 Klahr, Fay & Dunbar, 1993 Fehlerhaft e Identifi kation der ab- hängigen und der unabhängigen Kuhn & Brannock, 1977 Variablen Mayer, Keiner & Ziemek, 2003 Verzicht auf einen Kontrollansatz Chen & Klahr, 1999 Umgang mit Hammann et al., 2006 Variablen Verzicht auf Messwiederholungen Meier, 2016 Lubben & Millar, 1996 Gleichzeitige Variation mehrerer Hammann et al., 2006 Variablen Chen & Klahr, 1999 Kuhn & Dean, 2005 Unlogische Schlussfolgerungen trotz eines korrekt durchgeführten Hammann et al., 2006 Experiments Stärkere Gewichtung von Daten, die Slowiaczek et al., 1992, Meier, Datenauf- die Hypothese bestätigen 2016 bereitung und Wellnitz & Mayer, 2013 -inter pretation Ignorieren unerwarteter Daten Schauble, Klopfer & Raghavan, 1991 Chinn & Brewer, 1993 Interpretation unerwarteter Daten Ludwig & Priemer, 2012 als Fehler in der Durchführung Wahser & Sumfl eth, 2008 Kontrastieren und Vergleichen 161 Um mit den genannten Schwierigkeiten angemessen umgehen zu können, ist ein zielgerichteter und kompetenzorientierter Experimentalunterricht durch die Lehrkräft e zu gestalten (Baur, 2018). Die beobachteten spezifi schen Vor- gehensweisen und Problempunkte der Lernenden eignen sich dabei besonders gut, um die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler zu diagnostizieren (Baur, 2015, 2018). Um Schülerschwierigkeiten beim Experimentieren sicher erkennen, korrigieren und nutzen zu können, müssen die Lehrenden jedoch auch selbst über ein ausgeprägtes Wissen und Kompetenzen im Bereich natur- wissenschaft licher Erkenntnisgewinnung verfügen. Diese Kompetenzen gilt es im Rahmen der Lehrkräft eausbildung zu erwerben (KMK, 2008). 3 Zielsetzung Obgleich Hochschulabsolventinnen und -absolventen der naturwissenschaft li- chen Unterrichtsfächer nach ihrem Studium über das dargestellte Wissen und Können zur (fachbezogenen) Diagnosekompetenz verfügen sollten (KMK, 2008), sieht die Realität anders aus. Studierende des Sekundarstufenlehramts geben am Ende ihres Studiums in einer Selbsteinschätzung an, dass ihre dia- gnostischen Fähigkeiten im Verlauf des Studiums nicht ausreichend gefördert wurden (Dübbelde, 2013). Zudem fühlen sie sich nicht in der Lage, die er- brachten Leistungen der Lernenden in ausreichendem Maße zu beurteilen. Diese Selbsteinschätzung der Studierenden wird von Fachseminarleiterinnen und Fachseminarleitern zu Beginn des Vorbereitungsdienstes bestätigt (Hil- fert-Rüppell, Eghtessad, Looß & Höner, 2012; Hilfert-Rüppell & Looß, 2015). Für die Grundschule liegen im deutschen Bildungskontext noch keinerlei For- schungsbefunde hinsichtlich der diagnostischen Kompetenz von Lehrkräft en im Bereich naturwissenschaft licher Erkenntnisgewinnung vor. Internationale Studien lassen jedoch auch hier ausgeprägte Defi zite vermuten (u. a. Ding, Wei & Liu, 2016; Nichols, Burgh & Kennedy, 2017). Auf der Basis dieser Erkennt- nisse erscheint es sinnvoll, die Möglichkeiten auszuloten, die genannten Kom- petenzen angehender Lehrkräft e während ihrer Hochschulausbildung gezielt zu fördern. Das Kontrastieren und Vergleichen erscheint dazu aufgrund seiner mehrfach bestätigten Wirksamkeit als vielversprechende Lern-Lehrmethode, um die Diagnosekompetenz von Studierenden weiterzuentwickeln. Lipowsky et al. (2019) stellen in diesem Zusammenhang heraus, dass die Methode trotz ihres unverkennbaren Potentials bisher im Rahmen der Lehrerbildung wenig Beachtung gefunden hat. Der vorliegende Beitrag beschreibt die konzeptionelle Ausgestaltung zweier hochschuldidaktischer Lernumgebungen, die das Kontrastieren und Verglei- 162 Lars Meyer-Odewald et al. chen als Mittel zur Förderung der Diagnosekompetenz in den Fokus rücken. Schwerpunktmäßig sollen dazu im weiteren Verlauf eine mögliche Organisa- tionsstruktur und der sinnvolle Materialeinsatz in der Lehre betrachtet wer- den, um eine bestmögliche Einbindung der Methode zu erreichen. Als denk- bare Objekte des Kontrastierens und Vergleichens werden durch Lipowsky et al. (2019) beispielsweise Unterrichtssituationen oder Schülerlösungen vorge- schlagen. Für die vorliegenden KoVeLa-Teilprojekte wurden konkret Schü- lerprotokolle für die Grundschule sowie Videovignetten aus dem Bereich der Sekundarstufe ausgewählt, um diese als Basis für die Lernumgebungen zu nut- zen. 4 Lernen mit Kontrasten in hochschuldidaktischen Lernumgebungen 4.1 Konzeption einer Lernumgebung mit Einbindung des Kontrastierens und Vergleichens von Schülerprotokollen Um die angehenden Lehrkräft e bei der Anbahnung einer korrekten Vorstel- lung vom naturwissenschaft lichen Erkenntnisweg zu unterstützen, soll ihnen im Rahmen der Lernumgebung eine strukturierte und gezielte Auseinander- setzung mit den bekannten Schülerschwierigkeiten beim Experimentieren er- möglicht werden. Die Umsetzung erfolgt mithilfe von Versuchsprotokollen als Materialgrundlage. Derartige Protokolle besitzen sowohl in der Schule als auch in der Forschung eine herausragende Bedeutung, da sie zu einem durch- geführten Experiment die einzelnen Schritte des Erkenntniswegs in detaillier- ter, aber dennoch übersichtlicher Form wiedergeben und die Dokumentation erhobener Daten ermöglichen. Brüning (1990) klassifi ziert das Versuchsproto- koll daher als eine Mischform aus Verlaufs- und Ereignisprotokoll und Krämer (2011, S. 23) hebt es als „ein typisches Element des wissenschaft lichen Arbei- tens“ hervor. Als Basis für das Kontrastieren und Vergleichen von Schülerfehlern schei- nen Versuchsprotokolle hervorragend geeignet, da sie durch ihre Struktur die einzelnen Schritte des Erkenntniswegs übersichtlich abbilden und durch ihre klare und grundlegend immer gleiche Untergliederung die bei Vergleichsob- jekten benötigte Ähnlichkeit (Gentner & Markman, 1994) mitbringen. Zu- gleich besitzen Versuchsprotokolle jedoch durch die enthaltenen Text- und ggf. Bildelemente auch zahlreiche Variationsmöglichkeiten, um unterschiedliche Formen des Kontrastierens und Vergleichens entsprechend der Diff erenzie- rung nach Rittle-Johnson und Star (2011) zu initiieren. So können gleicherma- Kontrastieren und Vergleichen 163 ßen Protokolle gegenübergestellt werden, die deutlich sichtbare Gemeinsam- keiten und wenig auff ällige Unterschiede besitzen, wie auch solche, bei denen kaum Parallelen erkennbar sind, wodurch die Kontraste stark hervortreten. Folglich kann beispielsweise, parallel zur Studie von Jee et al. (2013), ein nicht korrektes Protokoll mit einer richtigen Version (einer Musterlösung) vergli- chen werden, was einem Incorrect Method Comparison entspräche. Auch die Gegenüberstellung zweier korrekter oder fehlerbehaft eter Protokolle mit ähn- licher Struktur erscheint möglich, um die charakteristischen Merkmale der be- schriebenen Vorgehensweisen zu verdeutlichen. Hierbei würde es sich somit um eine Form des Concept Comparison handeln. Für Lehramtsstudierende stellen die Protokolle ein authentisches Arbeits- material dar, das ihnen auch im Unterricht in der Primarstufe regelmäßig be- gegnen dürft e. So hebt das hessische Kultusministerium (2011) in seinem Leit- faden zum Kerncurriculum des Sachunterrichts hervor, dass der Einsatz von Forscher- und Protokollbögen das gezielte Beobachten und Dokumentieren von Versuchsergebnissen unterstützen kann. Des Weiteren wird ihre Bedeu- tung als Strukturierungshilfe beim naturwissenschaft lichen Arbeiten heraus- gestellt. Gestaltung von Schülerprotokollen in der Primarstufe Natürlich ist das Experimentieren im Sachunterricht der Primarstufe hin- sichtlich der Komplexität und Abfolge der Schritte des Erkenntniswegs nicht mit der weiterführenden Schule vergleichbar. In erster Linie werden übliche Grundschulmaterialien eingesetzt und der Forschungsprozess der Kinder wird der klassischen Defi nition eines wissenschaft lichen Experiments nicht immer gerecht (Möller, Hardy, Jonen, Kleickmann & Blumberg, 2006; Wodzinski, 2009). Oft mals steht nicht die Überprüfung einer selbst formulierten Hypothe- se im Mittelpunkt, sondern die Lerneraktivität ist stärker durch die Lehrkraft oder Anleitungen gelenkt, sodass Hartinger (2003) für diese Fälle die alter- native Bezeichnung „Versuch“ anstatt des Experiments vorschlägt. Nichtsdes- totrotz konnten Studien belegen, dass auch Grundschulkinder bereits in der Lage sind, in den Naturwissenschaft en ein anspruchsvolles Verständnis weit über das Faktenwissen hinaus zu entwickeln (u. a. Köster, 2003; Möller et al., 2006). Die Kompetenzen müssen jedoch über den gesamten Zeitraum der Schullaufb ahn langsam und kontinuierlich angebahnt werden. Folglich sind die von Grundschülerinnen und Grundschülern verfassten Protokolle meist noch kurz, oberfl ächlich und nicht immer nachvollziehbar formuliert und da- durch gegebenenfalls schlecht vergleichbar. Es ist somit fraglich, ob derartige Originalprotokolle inhaltlich und gestalterisch geeignet sind, um sie im Rah- men der Professionalisierung von (angehenden) Lehrkräft en einzusetzen, oder 164 Lars Meyer-Odewald et al. sich bevorzugt an sprachlich anspruchsvolleren Vorlagen bedient werden soll- te. Letztere könnten möglicherweise den Nachteil haben, weniger Authentizität zu besitzen, da ihr Ursprung off ensichtlich nicht die Grundschule ist. Hinsichtlich der grundsätzlichen Strukturierung existieren zwischen fort- geschrittenen Versuchsprotokollen und denen der Primarstufe keine wesentli- chen Unterschiede. So halten Nawrath, Maiseyenka und Schecker (2011) fest, dass ein jedes Versuchsprotokoll eine Fragestellung, Materialienaufl istung, Durchführung, Beobachtung sowie Auswertung umfasst. Eine nahezu paralle- le Struktur wird auch für die Grundschule vorgeschlagen, wenn auch mit ver- einfachten Bezeichnungen der Gliederungsschritte (Ministerium für Bildung Rheinland-Pfalz, 2018, S. 66). Für den Einsatz in der Lernumgebung wird daher eine kombinierte Form des Versuchsprotokolls mit eben dieser Strukturierung präferiert, das einer- seits typische Experimente aus dem naturwissenschaft lichen Sachunterricht zum Th ema hat, andererseits jedoch eine sprachlich anspruchsvollere Ausge- staltung besitzt als von Kindern der Grundschule erwartet werden kann. Dazu kann auf Protokolle zurückgegriff en werden, die zwar die exakte Vorgehens- weise der Schülerinnen und Schüler beschreiben, jedoch aus Sicht der unter- richtenden Lehrkraft im Sinne eines Unterrichtsprotokolls verfasst wurden. Diese Vorgehensweise erscheint angemessen, da Lehrkräft e auch im Unter- richt Schülerschwierigkeiten meist nicht auf der Basis von Versuchsprotokol- len, sondern als Beobachter während des eigentlichen Experimentierprozesses diagnostizieren. Ein aus Sicht der Lehrkraft formuliertes Protokoll bietet somit die Möglichkeit, anhand typischer Grundschul-Experimente klar abgegrenz- te Fehler nachzuvollziehen, die auch im Unterrichtsalltag beobachtbar wären. Beschreibung der Lernumgebung Als grundsätzliche Herangehensweise kann zusammengefasst werden, dass die auszubildenden Lehrkräft e mit Kombinationen verschiedener Schülerproto- kolle konfrontiert werden, die sich hinsichtlich ihrer inhaltlichen Ausrichtung und der enthaltenen Schülerfehler unterscheiden. Der Einsatz der Protokolle erfolgt in verschiedenen Praxiskursen aus dem Grundschulbereich, die sowohl biologische als auch physikalische Fachinhalte thematisieren. Der Schwer- punkt dieser Veranstaltungen liegt seit jeher auf der Einbindung des Experi- mentierens in den naturwissenschaft lichen Sachunterricht, sodass Versuchs- protokolle als Lehrmaterial sehr gut in das bestehende Konzept eingebunden werden können. Die angehenden Lehrkräft e erhalten in den Kursen zu Semes- terbeginn eine Einführung zu Schülerfehlern beim naturwissenschaft lichen Er- kenntnisweg, um eine fachliche Grundlage für die Weiterarbeit zu schaff en. Die Bearbeitung der Protokolle bildet nachfolgend den Übungsteil, um sich Kontrastieren und Vergleichen 165 vertieft mit den erlernten Inhalten auseinanderzusetzen. Die Studierenden werden in diesem Zusammenhang aufgefordert, eine Korrektur vorzunehmen und dabei Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Protokollen he- rauszuarbeiten. Dabei wird darauf geachtet, dass das gezielte Gegenüberstellen der Protokolle als zentrales Element des Arbeitsauft rags aus der Aufgabenstel- lung deutlich wird. Zudem wird den Teilnehmenden ergänzend eine Aufl is- tung möglicher Vergleichskriterien bereitgestellt, um die Tiefe der Auseinan- dersetzung mit den Protokollen zu verbessern. Um eine korrekte Umsetzung des Arbeitsauft rags zu erreichen, verfügt das Protokollmaterial überdies über eine klare Kennzeichnung und weist einen ähnlichen inhaltlichen sowie strukturellen Aufb au auf, der die Gegenüberstel- lung erleichtert. Durch die Ausgabe von jeweils nur einem Protokollpaar pro Durchgang soll eine Fokussierung auf die zentralen Elemente ohne Ablenkung durch weiteres Material ermöglicht werden. Zudem bedürfen die Protokolle einer klaren und detaillierten Formulierung der Abläufe, um diese gut nach- vollziehen und demzufolge vergleichen zu können. Durch den hier gewählten Einsatz der Lehr-Lernmethode soll den Studie- renden zu einem diff erenzierteren Verständnis von möglichen Fehlern beim Experimentierprozess verholfen werden. Die Identifi kation der enthaltenen Fehler beim experimentellen Vorgehen soll sie zudem neben der Verbesserung ihrer Diagnosekompetenz zu einer gedanklichen Auseinandersetzung animie- ren, wie mit derartigen Schülerschwierigkeiten in der Praxis umgegangen wer- den kann. Eine Th ematisierung dieser Problematik erfolgt im weiteren Verlauf der Lehrveranstaltung. 4.2 Konzeption einer Lernumgebung mit Einbindung kontrastierender Videovignetten Eine weitere Möglichkeit, die Diagnosekompetenz von (angehenden) Lehr- kräft e zu fördern, ist der Einsatz von Videovignetten. Santagata und Guarino (2011) konnten in ihrer Studie zeigen, dass durch den Einsatz von Videovig- netten die Wahrnehmungsfähigkeiten von relevanten Situationen, die inhaltli- che Beschreibung der gezeigten Szenen und wiederum deren Beurteilung bei angehenden Lehrkräft en verbessert werden können. Weshalb das Medium Vi- deo dies bewirken kann, ergibt sich aus seinen Eigenschaft en. Zum einen kann ein Video mehrmals angeschaut werden (Spiro, Collins & Ramch, 2007), wo- durch die Betrachterinnen und Betrachter nicht gezwungen sind, aus der Situ- ation heraus auf das gesehene Ereignis reagieren zu müssen (Blomberg, Renkl, 166 Lars Meyer-Odewald et al. Sherin, Broko & Seidel, 2013). Sie haben Zeit, die Situation zu analysieren und sich eine adäquate Reaktion zu überlegen (Sherin, 2004). Sie erhalten dadurch ein Übungsfeld, in dem sie die Gelegenheit haben, erste Erfahrung zu sam- meln, auf die sie im späteren Berufsleben zurückgreifen können (Aufschnaiter, Selter & Michaelis, 2017). Zum anderen werden meist nur Ausschnitte einer Unterrichtsstunde gezeigt, wodurch ein Video komplexitätsreduzierend auf die Betrachterinnen und Betrachter wirkt. Zudem wirkt ein Video, auch wenn es sich nur um eine kurze Sequenz handelt, authentischer als vergleichsweise die Darbietung einer entsprechenden Unterrichtssituation als Text oder Cartoon (Dannemann et al., 2018). Gestaltungsmerkmale von kontrastierenden Videovignetten Im Vergleich zu anderen Vignettenformaten ist das Medium Video als Ob- jekt des Kontrastierens und Vergleichens noch wenig beforscht (Hirstein et al., 2017; Nagarajan & Hmelo-Silver, 2006). Deshalb orientiert sich die Konstruk- tion der Videos in der im Folgenden beschriebenen Lernumgebung an den all- gemeinen Gestaltungsmerkmalen für Materialien zum Kontrastieren und Ver- gleichen. Für die Identifi kation von Gemeinsamkeiten müssen die relevanten Merkmale zwischen den Videos konstant gehalten und die irrelevanten Fak- toren können variiert werden (Guo, Pang, Yang & Ding, 2012). Wie viele der irrelevanten Faktoren tatsächlich variiert werden können und sollten, richtet sich nach den Erfahrungen mit der Lehr-Lernmethode (Gentner & Markman, 1994; Jee et al., 2013). Im Umkehrschluss müssen für die Suche nach Unter- schieden die relevanten Faktoren, die wahrgenommen werden sollen, variiert werden. Demzufolge fi ndet hier keine Variation der irrelevanten Faktoren statt. Aufb auend auf den bisherigen Ergebnissen wird der inhaltliche Fokus der kontrastierenden Videovignetten auf die Schülerhürden in der Planungspha- se in ergebnisoff enen biologischen Experimenten gelegt. Dabei wird das Ziel verfolgt, die diagnostischen Fähigkeiten von angehenden Biologielehrkräf- ten in Bezug auf das fachmethodische Wissen und Können von Schülerinnen und Schülern indirekt über die Analyse der Videos zu fördern (Horn & Mei- er, 2019, 2020b). Der Gegenstand des Kontrastierens und Vergleichens in den Videos sind die Interaktionen zwischen den Betreuerinnen und Betreuern mit den Schülerinnen und Schülern einer Kleingruppe, die in der Experimentier- Werkstatt Biologie FLOX (Forschendes Lernen durch off enes Experimentieren) (Meier & Wulff , 2013), einem Lehr-Lern-Labor der Universität Kassel, ein Ex- periment absolvieren. In der Experimentier-Werkstatt erhalten Lernende der Mittel- und Oberstufe im Klassenverband die Gelegenheit, eigenständig und kreativ an ihren eignen Ideen zu einem vorgegebenen Phänomen zu forschen und dabei ihre experimentellen Kompetenzen zu erweitern. Zur Unterstützung Kontrastieren und Vergleichen 167 der Lernenden bei der Umsetzung ihres Vorhabens stehen ihnen die FLOX- Betreuerinnen und -Betreuer zur Seite. Ihre Aufgabe ist es, die Lernenden so zu beraten, dass das angedachte Experiment den fachmethodischen Qualitäts- kriterien eines Experimentes entspricht, z. B. die richtige Anwendung der Va- riablenkontrollstrategie bei der Planung eines Experiments. Die Gespräche mit den Schülerinnen und Schülern in der Gruppe können sich in der fachmetho- dischen Vorgehensweise und in der Qualität unterscheiden, wie z. B. hinsicht- lich der Verwendung von Fragen oder Impulsen. Diese Unterschiede werden für den benötigten Kontrast in den Videos genutzt (Horn & Meier, einge- reicht). Hierbei wird darauf geachtet, dass der Kontrast zwischen den Videos stark ist, da deutliche Unterschiede die Beurteilungsfähigkeit der Betrachterin- nen und Betrachter verbessern (Hirstein et al., 2017). Unabhängig davon, ob die Studierenden die Gemeinsamkeiten oder die Unterschiede zwischen den Videos identifi zieren sollen, müssen genügend Ähnlichkeiten zwischen diesen vorliegen (Gentner, 1983, 2010), damit Ver- gleichsprozesse ablaufen können. Zur Schaff ung der Ähnlichkeiten beziehen sich die drei konstruierten Videovignetten auf das FLOX-Modul „Sinne der Ostafrikanischen Riesenschnecke“ und auf die Planungsphase im naturwis- senschaft lichen Erkenntnisweg, wodurch die Aufmerksamkeit des Betrach- ters auf die Gesprächsführung der Betreuerinnen und Betreuer gelenkt werden soll (Kurtz & Gentner, 2013). Ebenso zu diesem Zweck werden solche Videos gegenübergestellt, in denen dieselbe Betreuungsperson in unterschiedlicher Weise mit den Schülerinnen und Schülern in der Gesprächsführung agiert. Je nach Kombination der drei Videos entspricht das Vorgehen beim Kontrastie- ren und Vergleichen entweder dem Incorrect Method Comparison oder dem Correct Method Comparison. Beschreibung der Lernumgebung Eingebettet werden die zu kontrastierenden Videovignetten in das Seminar „Erkenntnismethoden und Arbeitstechniken im Biologieunterricht“, welches ein Teil der biologiedidaktischen Fachausbildung an der Universität Kassel ist. Es ist eine Pfl ichtveranstaltung für die Studierenden der Lehramtsstudiengänge Biologie an Haupt- und Realschulen und Gymnasien. Nach einer theoretischen Einführung in den Kompetenzbereich Erkenntnisgewinnung schließt sich die Auseinandersetzung mit den Erkenntnismethoden der Biologie und insbeson- dere dem Experiment an (Wellnitz & Mayer, 2013). Nachdem die Studieren- den selbst ein Experiment durchgeführten haben, werden daran die Qualitäts- merkmale des Experiments besprochen und auf die typischen Schülerhürden beim Experimentieren eingegangen. Hieran schließt sich der Einsatz der Vi- deovignetten nach der Lehr-Lernmethode des Kontrastierens und Vergleichens 168 Lars Meyer-Odewald et al. an. In diesem Fall werden die Videovignetten als Gegenstand des Lernens ein- gesetzt und nicht als Testinstrument, wie es häufi g der Fall ist (Aufschnaiter, Selter & Michaelis, 2017). Die Auseinandersetzung mit den Videos wird durch einen Arbeitsauft rag angeleitet.1 Für die Bearbeitung der Videos werden sie nebeneinander präsen- tiert und können beliebig häufi g angeschaut werden. Während des Betrachtens der Videos sollen die Studierenden die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Videos herausarbeiten. Dabei sollen besonders die Gesprächsfüh- rungen der Betreuerinnen und Betreuer und/oder die fachmethodische Quali- tät in der Betreuung in den Videos analysiert werden. Anhand der Unterschie- de sollen sie beurteilen, welche Vorgehensweise sich mehr an den individuellen Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler orientiert, sie aber nicht in ihrer Eigenständigkeit und Kreativität einschränkt. Im umgekehrten Fall sollen die Studierenden mithilfe der Gemeinsamkeiten darlegen, warum die gesehene Vorgehensweise geeignet ist, die Lernenden in ihrem Experimentierprozess zu unterstützen. Nach Abschluss der Aufgabenbearbeitung fi ndet eine gemeinsame Refl exion statt, in der die neu gewonnenen Erkenntnisse besprochen werden. 5 Ausblick Begleitend zur Einbindung der beschriebenen Lernumgebungen in die ge- nannten Lehrveranstaltungen sind Erhebungen vorgesehen, die eine Aussage über die Wirksamkeit der Lehr-Lernmethode hinsichtlich der diagnostischen Kompetenz der Studierenden zulassen. Überdies ist die Untersuchung eines möglichen Zusammenhangs des Lernerfolgs mit ausgewählten Personenva- riablen der angehenden Lehrkräft e angedacht. Erste konzeptionelle Planungs- und Pilotierungsschritte haben bereits stattgefunden. Ergänzend zu den darge- stellten Teilprojekten aus dem Bereich der Biologie wird das Kontrastieren und Vergleichen zudem im Rahmen des übergeordneten KoVeLa-Projekts aus er- ziehungswissenschaft licher und mathematikdidaktischer Sicht untersucht (u. a. Nemeth, Werker, Arend & Lipowsky, 2021). Im Anschluss an die Untersuchungen können nachfolgende Semester für die Optimierung der Lernumgebungen und Konzeption weiterer Lehrveran- staltungen genutzt werden. So könnten beispielsweise bisher nicht berücksich- tigte Varianten des Kontrastierens und Vergleichens nach Rittle-Johnson und Star (2011) ins Zentrum weiterer Forschungsprojekte rücken und hinsichtlich ihrer Eff ektivität überprüft werden. Als Ziel dieses Vorgehens soll die ständi- 1 Zur Konzeption der Diagnose-Übungseinheit mit Videovignetten siehe Horn und Meier (2021). Kontrastieren und Vergleichen 169 ge Verbesserung der universitären Lehrveranstaltungen zugunsten einer best- möglichen, praxisnahen und authentischen Kompetenzförderung von Lehr- amtsstudierenden im Mittelpunkt stehen. Anmerkung Die diesem Beitrag zugrundeliegenden Vorhaben wurden im Rahmen des Pro- jekts „Kontrastieren und Vergleichen in der Lehramtsausbildung“ (KoVeLa) in der „Programmlinie Zukunft “ der Universität Kassel (Projekt 1) sowie der gemeinsamen „Qualitätsoff ensive Lehrerbildung“ von Bund und Ländern mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem För- derkennzeichen 01JA1505 gefördert (Projekt 2). Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröff entlichung liegt bei den Autorinnen und Autoren. Literatur Akerson, V.L. (2008). How d o I do this? Skills students need for inquiry. In E. Abrams, P.C. Silva & S.A. 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Professionalisierung angehender Lehrkräft e – hochschuldidaktische Lehrkonzepte und curriculare Vernetzung Gabi Dübbelde & Claudia v. Aufschnaiter Lehramtsstudierende diagnostizieren fachmethodisches Arbeiten von Schülerinnen und Schülern – ein Verbundprojekt Es begann 2007 – Cl audia v. Aufschnaiter war gerade wenige Monate in Gießen – mit einem Anruf aus Bremen: „Claudia, das BMBF hat ein Programm zur Empiri- schen Bildungsforschung mit dem Schwerpunkt Hochschulforschung als Beitrag zur Professionalisierung der Hochschullehre ausgeschrieben. Da müsstest du eigentlich was machen.“ Dieser Anruf hat ein Verbundprojekt zu ‚Professionsorientierte Leh- rerbildung – Horizontale und vertikale Vernetzung fachdidaktischer, pädagogisch- psychologischer und schulpraktischer Ausbildungsanteile zum Aufb au diagnostischer Kompetenzen‘ initiiert (Laufzeit 2008–2012, Förderkennziff er 01PH08007), das unse- re weiteren wissenschaft lichen Biographien maßgeblich geprägt hat. Wir haben Jür- gen Mayer in der Zusammenarbeit als einen Wissenschaft ler erlebt, der sich sehr wertschätzend und konstruktiv mit unterschiedlichen Perspektiven auseinandersetzt und darin – ganz im S inne der von ihm vorgeschlagenen Konstrukte – den Charakter fachdidaktischer Forschung explizit zum Gegenstand der Betrachtungen macht. Wir haben deshalb nicht nur in den Diskussionen, sondern auch durch seine Art der Dis- kussionsführung viel dazugelernt. Vielen Dank! 1 Erkenntnisgewinnung als schulisches Lernziel und als Anlass für Diagnostik Die Kenntnis und das Anwenden fachmethodischer Arbeitsweisen, z. B. bei der Planung und Auswertung einer naturwissenschaft lichen Untersuchung, sind zentrale Bildungsziele von naturwissenschaft lichem Unterricht (KMK, 2005a, 2005b, 2005c). Insbesondere das Experimentieren erfüllt vor diesem Hintergrund eine doppelte Funktion: Es ist einerseits eine Unterrichtsmethode, andererseits sind für das (nicht angeleitete) Experimentieren Kompetenzen er- forderlich, die auch – aber nicht nur – durch das Experimentieren als Methode aufgebaut werden können (vgl. Lind, Kroß & Mayer, 1998; Vorholzer & v. Auf- schnaiter, 2019). Entsprechende Kompetenzen werden im deutschen Sprach- raum dem Kompetenzbereich Erkenntnisgewinnung in den KMK Bildungs- standards (2005a–c) zugeordnet. Naturwissenschaft liche Erkenntnisgewinnung kann nach Mayer (2007) als ein komplexer Problemlöseprozess verstanden werden, den Mayer (S. 181) als „wissenschaft liches Denken“ beschreibt und der aus mehreren aufeinanderfol- genden Schritten besteht (vgl. auch Wellnitz & Mayer, 2013): 180 Gabi Dübbelde & Claudia v. Aufschnaiter (a) die Entwicklung einer geeigneten Fragestellung, (b) das Aufstellen einer geeigneten Hypothese, (c) das Planen einer passenden Untersuchung und (d) die Auswertung von Daten. Mayer (2007, S. 178) geht dabei davon aus, dass neben Kompetenzen des wis- senschaft lichen Denkens als weitere Kompetenzkonstrukte ein angemessenes Wissenschaft sverständnis und spezifi sche manuelle Fertigkeiten (z. B. zum Mi- kroskopieren) dem Kompetenzbereich der Erkenntnisgewinnung zuzuordnen sind. Aufgrund seiner Doppelfunktion als Unterrichtsmethode und als Kontext, in dem entsprechend vorhandene und möglicherweise noch fehlende Kompe- tenzen ‚sichtbar‘ werden, eignet sich das Experimentieren in besonderer Wei- se, um diagnostische Fähigkeiten von (angehenden) Lehrkräft en auszubilden (s. dazu auch ein weiteres Lehrvorhaben von Meyer-Odewald et al. in die- sem Band). Gleichzeitig können (angehende) Lehrkräft e in der Auseinander- setzung mit Experimentierprozessen von Schülerinnen und Schülern befähigt werden, das Experimentieren nicht nur zum Aufb au fachinhaltlicher, sondern auch zum Aufb au fachmethodischer Kompetenzen gezielt einzusetzen. Diese Schnittstelle zwischen Diagnostik und dem Experimentieren wurde im Rah- men eines vom BMBF geförderten Verbundprojektes1 zur Vernetzung fachdi- daktischer, pädagogisch-psychologischer und schulpraktischer Ausbildungs- anteile bearbeitet (Förderkennziff er 01PH08007). Wir haben dabei nicht nur Erkenntnisse über die diagnostische Kompetenz von Studierenden gewonnen, sondern gleichermaßen selbst aus unseren diagnostischen Prozessen Hinweise auf eine (bessere) Förderung unserer Studierenden abgeleitet. 2 Diagnostik und Förderung von Kompetenzen der Erkenntnisgewinnung Das Erfassen von (unterschiedlichen) Lernvoraussetzungen, Lernleistungen und Lernprozessen sowie von Prozessen der motivational-emotionalen Be- teiligung von Schülerinnen und Schülern stellt eine wichtige Handlungsrou- tine im Alltag von Lehrkräft en dar. Von daher wird diagnostische Kompetenz als ein wesentliches Element der Professionalität von Lehrkräft en angesehen (u. a. Artelt & Gräsel, 2009; Jäger, 2009; Brunner, Anders, Hachfeld & Krauss, 1 Prof. Dr. Claudia v. Aufschnaiter (Projektleitung), Prof. Dr. Marco Ennemoser, Prof. Dr. Jürgen Mayer, Prof. Dr. Joachim Stiensmeier-Pelster, Prof. Dr. Rudolf Sträßer so- wie die Projektmitarbeiterinnen Janine Cappell, Gabi Dübbelde und Anett Wolgast. Lehramtsstudierende diagnostizieren fachmethodisches Arbeiten 181 2011) und in Kompetenzbeschreibungen für die erste und zweite Ausbil- dungsphase explizit aufgeführt, wie z. B. in den „Standards zur Lehrerbildung“ (KMK, 2004) und den „Ländergemeinsamen inhaltlichen Anforderungen für die Fachwissenschaft en und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung“ (KMK, 2008|2019). Die inzwischen relativ große Bandbreite an Projekten zur Diag- nostik, die sich zumindest in Ansätzen auch in internationalen Forschungs- arbeiten unter den Schlagwörtern formative assessment und noticing fi nden lassen, bringt die He rausforderung einer präzisen begriffl ichen Fassung von ‚Diagnostik‘ und ‚diagnostischer Kompetenz‘ mit sich, die aber gleichzeitig an- schlussfähig an unterschiedliche Perspektiven auf Diagnostik ist. Im Rahmen des Projektes wurden deshalb vier Diagnosearten herauspräpariert (vgl. u. a. in v. Aufschnaiter et al., 2015): Statusdiagnostik, Prozessdiagnostik, Veränderungs- diagnostik und Verlaufsdiagnostik. Allen Diagnosearten liegt zugrunde, dass sie auf Schülermerkmale und deren Veränderung bzw. Entwicklung gerichtet sind (diese Merkmale zum Gegenstand haben2), um zu Förderaussagen zu gelangen (das Ziel einer Diagnostik). Damit lässt sich Diagnostik von einer Leistungs- messung insofern abgrenzen, als dass letztere typischerweise ‚nur‘ der Kompe- tenzfeststellung dient, aber nicht den Anspruch erhebt, Förderaussagen ablei- ten zu können oder zu wollen (vgl. v. Aufschnaiter, Th eyßen & Krabbe, 2020). Statusdiagnostik richtet sich auf die Erfassung von Merkmalsausprägungen, die zum Messzeitpunkt vorliegen, z. B. eine spezifi sche Kompetenz bzw. Lern- voraussetzung. Für die Statusdiagnostik werden Produkte der Lernenden he- rangezogen (z. B. Schülerlösungen zu schrift lich gestellten Aufgaben oder ver- bale Antworten auf eine Frage). Statusdiagnostik kann vergleichsweise zügig und für eine relativ große Zahl an Lernenden erfolgen, wenn die Aufgaben zur Erhebung geschickt konstruiert werden. Gleichzeitig bildet Statusdiagnos- tik den Lösungsprozess nicht mit ab, der insbesondere bei fachmethodischen Kompetenzen aber sehr aufschlussreich sein kann, z. B. ob eine bestimmte Überlegung in einen Experimentierprozess leitet oder aber erst für die Lernen- den auff ällig wird, wenn etwas nicht funktioniert. Prozessdiagnostik richtet sich ebenfalls auf zu einem Zeitpunkt vorliegen- de Merkmalsausprägungen, löst diese aber diff erenzierter auf, da nicht nur das Ergebnis der Bearbeitung von Aufgaben, sondern auch die Bearbeitungspro- zesse selbst herangezogen werden. Hier kann sich z. B. zeigen, ob die Lösung eher zufällig oder eher systematisch generiert wurde, wie lange der Prozess dauert und ob ggf. trotz falscher Lösung richtige Überlegungen handlungs- leitend waren. Förderansätze werden dann unterschiedlich ausfallen, je nach- dem, ob sich bereits im Lösungsprozess Ansätze des Verstehens zeigen oder 2 Das schließt auch ein, dass die Anforderungen, die Aufgaben an Lernende stellen, Bestandteil von Diagnostik sein können (vgl. z. B. McElvany et al., 2009). 182 Gabi Dübbelde & Claudia v. Aufschnaiter Lernende möglicherweise noch sehr weit weg von einem fachlich angemesse- nen Verständnis sind. In beiden Fällen könnte in einer Statusdiagnostik nur die fehlerhaft e Lösung deutlich werden, also kein förderrelevanter Unterschied erkennbar sein. Veränderungs- und Verlaufsdiagnostik sind auf Lernen gerichtet. In der Veränderungsdiagnostik werden zwei Status- und/oder Prozessdiagnosen zu verschiedenen Zeitpunkten verglichen. In der Literatur wird dieser Vergleich manchmal als Prozessdiagnostik bezeichnet (z. B. Schrader, 2011, S.  684), was aber irreführend ist, weil üblicherweise weder der Lösungsprozess noch der Prozess, der die Veränderung hervorgerufen hat, in den Blick genommen wird. Verlaufsdiagnostik hat den Lernprozess zum Gegenstand, in dem durch die Aneinanderreihung von Status- und Prozessdiagnosen zu gleichen Merk- malsausprägungen erfasst wird, wie sich diese in der Auseinandersetzung mit Lerngegenständen entwickeln. Im Unterrichtsgeschehen werden vor allem Sta- tus- und Prozessdiagnostik das Handlungsfeld einer Lehrkraft ausmachen, und darin vor allem fachinhaltliche und fachmethodische, kognitive Kompeten- zen von Lernenden. Fachdidaktische Th eorie und Empirie kann für diese diag- nostischen Prozesse sowohl eine Orientierung liefern, worauf geachtet werden kann (z. B. wie Schülerinnen und Schüler Experimente planen und ob sie da- bei eine Verbindung zu zuvor entwickelten Fragen herstellen), als auch Niveau- beschreibungen anbieten (v. Aufschnaiter, Th eyßen & Krabbe, 2020; Alonzo & v. Aufschnaiter, 2018). Niveaubeschreibungen unterstützen Lehrkräft e, nicht nur dichotom zwischen ‚richtig‘ und ‚falsch‘ zu unterscheiden, sondern dif- ferenziert die vorliegenden Kompetenzen einzuschätzen und Aussagen über nächste Lernschritte abzuleiten. Vor dem Hintergrund der begriffl ichen Fassung von ‚Diagnostik‘ kann auch eine diff erenzierte Perspektive auf ‚diagnostische Kompetenz‘ eingenom- men werden (vgl. Aufl istung von Kompetenzen in v. Aufschnaiter et al., 2015). Sie umfasst nicht nur die Fähigkeit, Diagnosearten zu unterscheiden und ziel- führend auszuwählen, sondern auch die Fähigkeit, so zu diagnostizieren, dass sich sinnvoll Förderaussagen ableiten lassen. Dazu gehört auch, dass Lehrkräf- te sowohl über Kenntnisse über Diagnostik und zugehörige fachdidaktische Th eorie und Empirie (z. B. zu Schülervorstellungen) verfügen, als auch den zu diagnostizierenden Gegenstand selbst fachlich angemessen beherrschen, um z. B. Schülerfehler erkennen zu können. Lehramtsstudierende diagnostizieren fachmethodisches Arbeiten 183 3 Diagnostische Kompetenz von Lehramtsstudierenden im Bereich der naturwissenschaft lichen Erkenntnisgewinnung Trotz der unbestritten hohen Relevanz von diagnostischer Kompetenz für die professionelle Kompetenz von Lehrkräft en und ihrer großen Bedeutung im Schulalltag haben sich lange Zeit nur wenige empirische Studien explizit die- sem Th ema gewidmet (van Buer & Zlatkin-Troitschanskaia, 2009). Insbeson- dere gab es nur wenig Projekte, die sich auf die Diagnostik fachmethodischer Kompetenzen und Lernprozesse bezogen haben, sicher auch, weil die Relevanz dieser Lernprozesse erst mit Einführung der KMK Bildungsstandards (2005a– c) besonders deutlich wurde. Ein Teilprojekt des Forschungsverbundes unter- suchte deshalb die diagnostische Kompetenz von Biologie-Lehramtsstudierenden im Bereich der Erkenntnisgewinnung (Dübbelde, 2013). Im Fokus der Unter- suchungen stand insbesondere die Fähigkeit von angehenden Lehrkräft en, dia- gnostizieren zu können, inwieweit Schülerinnen und Schüler einen Erkennt- nisprozess gezielt, folgerichtig und qualitativ angemessen durchlaufen (bzw. wo sich Schwierigkeiten zeigen). 3.1 Daten und methodisches Vorgehen Im Teilprojekt wurden zwei Kohorten von Studierenden untersucht (N = 110 bzw. N  =  155), die mehrheitlich entweder das gymnasiale Lehramt oder das Lehramt für Haupt- und Realschule gewählt hatten. Zu Beginn des Studiums wurden vor allem das fachmethodische Wissen (wissenschaft liches Denken, s. o.) der Studierenden und ihr Wissenschaft sverständnis erfasst. Die diesen Er- hebungen zugrunde liegende Annahme bestand darin, dass beide Wissens- bereiche zentrale Voraussetzungen (Bedingungsfaktoren) von diagnostischer Kompetenz im Bereich Erkenntnisgewinnung darstellen (vgl. Mayer, 2007). Im weiteren Verlauf des Studiums wurde insbesondere die Kompetenz zur Status- diagnostik der Studierenden erhoben. Hierfür wurde ein Testinstrument ent- wickelt, mit welchem die Fähigkeit der Studierenden erfasst werden konnte, Schülerantworten vor dem Hintergrund von Niveaubeschreibungen im Bereich des Wissenschaft lichen Denkens (unterschieden in die vier Prozessschritte (a)–(d), s. o.) korrekt zu beurteilen (Niveaubeschreibungen basieren auf u. a. Grube, 2010; Grube & Mayer, 2010; Mayer, Grube & Möller, 2008). Eher gegen Ende des Studiums wurde auch die Kompetenz zur Prozessdiag- nostik im Bereich der naturwissenschaft lichen Erkenntnisgewinnung erhoben. Die diagnostische Tätigkeit der Studierenden bezog sich hier auf das Beurtei- len eines im Video gezeigten Schülerexperimentierprozesses zweier Lernender. 184 Gabi Dübbelde & Claudia v. Aufschnaiter Die Studierenden sollten die korrekte Abfolge der Schritte des Erkenntniswe- ges und deren Qualität diagnostizieren. Zusätzlich bestand die diagnostische Aufgabe darin, die im Experimentierprozess entstandenen, schrift lich vorlie- genden Schülerergebnisse zu beurteilen (Statusdiagnostik). Mit Hilfe dieses ‚kombinierten‘ Zugangs sollten neben Befunden zur Ausprägung der Kompe- tenz zur Prozess- und Statusdiagnostik auch Hinweise gewonnen werden, in- wiefern Studierende intraindividuelle Unterschiede in der Kompetenz aufwei- sen. Für die eingesetzten Instrumente zur Erfassung der diagnostischen Kom- petenz (Status- und Prozessdiagnostik) wurden die Antworten der Studieren- den über die Vergabe von Punkten für eine statistische Auswertung (Rasch- analyse) vorbereitet. Die Ergebnisse dieser Analysen wurden zudem mit den Ergebnissen aus den Wissenstests (ebenfalls per Rasch ausgewertet) in Bezie- hung gesetzt (vgl. ausführlich in Dübbelde, 2013). 3.2 Zentrale Ergebnisse Statusdiagnostik. Als ein zentrales Ergebnis zeigt sich, dass die Studierenden das Kompetenzniveau von Schülerinnen und Schülern umso schlechter be- urteilen können, je höher das Niveau war. Dieser Befund zeigt sich nicht nur insgesamt für das wissenschaft liche Denken, sondern auch innerhalb jeder der vier Teilschritte (Frage, Hypothese, Planung, Auswertung). Ein weiterer Be- fund ist, dass die diagnostische Kompetenz der Lehramtsstudierenden für die verschiedenen Schritte des Erkenntnisprozesses unterschiedlich hoch ausge- prägt ist. Die Beurteilung von Schülerlösungen zum Teilschritt ‚Auswertung‘ gelingt den Studierenden deutlich besser als für den Teilschritt ‚Planen‘. Die- ser Befund deckt sich mit den Ergebnissen einer Studie, bei der es um das Lö- sen der Aufgaben durch die Schülerinnen und Schüler geht (vgl. Mayer, Grube & Möller, 2008). Hier deutet sich an, dass die mit dem Teilschritt ‚Auswertung‘ verbundenen Anforderungen Schülerinnen und Schülern – und damit evtl. auch Studierenden – am ehesten vertraut sind und deshalb u. U. von den Stu- dierenden auch am besten beurteilt werden können. Umgekehrt könnten Pro- bleme bei der Diagnostik auch darauf zurückzuführen sein, dass das Planen einer Untersuchung im Unterricht und auch im Studium selten explizit Gegen- stand ist und deshalb auch nicht hinreichend beherrscht wird. Prozessdiagnostik. Die Studierenden zeigen besonders dort Schwierigkeiten beim Beurteilen von Schülerkompetenzen, wo es um den Umgang der Schü- lerinnen und Schüler mit den Variablen geht. So können die Studierenden oft nicht richtig diagnostizieren, ob die Schülerinnen und Schüler die zu messen- Lehramtsstudierende diagnostizieren fachmethodisches Arbeiten 185 de und die zu variierende Variable bei der Versuchsplanung korrekt berück- sichtigt und bei der Durchführung des Experimentes korrekt gehandhabt ha- ben. Ebenfalls gelingt es den Studierenden oft mals nicht, richtig zu beurteilen, ob es sich bei den von den Lernenden dokumentierten Beobachtungen und Messungen um qualitative oder quantitative Angaben handelt. Beides – der Schülerumgang mit den Variablen und das Erkennen, ob bei dem von den Schülerinnen und Schülern geplanten und durchgeführten Experiment quali- tative oder quantitative Daten erhoben wurden – stellen wesentliche Diagno- sekriterien für das Beurteilen der Schülerkompetenzen im Bereich Erkenntnis- gewinnung dar. Status- und Prozessdiagnostik in der Zusammenschau. Es zeigt sich relativ deutlich, dass den Studierenden eher die Statusdiagnostik als die Prozessdia- gnostik gelingt. Dieser Befund passt zu der theoretischen Modellierung von Prozessdiagnostik, die zwar Kompetenz diff erenzierter aufschlüsseln kann, gleichzeitig aber auch komplexere Daten zugrunde legt, die wiederum zu einer Überforderung führen können. Es gelingt Studierenden dann möglicherweise nicht mehr oder nur schlechter, relevante diagnostische Informationen in der Datenlage zu identifi zieren. Der interindividuelle Vergleich bildet ferner eine große Streuung ab, was im Einklang mit den Forschungsergebnissen anderer Studien steht (Hoge & Coladarci, 1989; Hosenfeld, Helmke & Schrader, 2002). Zusammenhang mit Personenmerkmalen. Das fachmethodische Vorwissen der Studierenden zeigt erwartungskonform einen geringen, aber hoch signifi - kanten Zusammenhang sowohl mit den status- als auch mit den prozessdiag- nostischen Kompetenzen der Studierenden. Ein schwächer ausgeprägter, aber signifi kanter Zusammenhang fi ndet sich zudem zwischen dem Wissenschaft s- verständnis und der statusdiagnostischen Kompetenz. Literatur Alonzo, A.C. & Aufschnaiter, C.v. (2018). Moving beyond misconceptions: Learn- ing progressions as a lens for seeing progress in student thinking. Th e Physics Teacher, 56, 470–473. https://doi. org/10.1119/1.5055332 Artelt, C. & Gräsel, C. (2009). Diagnostische Kompetenz von Lehrkräft en. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 23(3–4), 157–160. https://doi.org/10.1024/1010- 0652.23.34.157 Aufschnaiter, C. v., Cappell, J., Dübbelde, G., Ennemoser, M., Mayer, J., Stiensmei- er-Pelster, J., Sträßer, R. & Wolgast, A. (2015). Diagnostische Kompetenz: Th eo- retische Überlegungen zu einem zentralen Konstrukt der Lehrerbildung. Zeit- schrift für Pädagogik, 61(5), 738–757. 186 Gabi Dübbelde & Claudia v. Aufschnaiter Aufschnaiter, C. v., Th eyßen, H. & Krabbe, H. (2020). Diagnostik und Leistungs- beurteilung im Physikunterricht. In E. Kircher, R. Girwidz & H.E. Fischer (Hrsg.), Physikdidaktik | Grundlagen (S. 529–571). Berlin: Sprin ger. Brunner, M., Anders, Y., Hachfeld, A. & Krauss, S. (2011). Diagnostische Fä- higkeiten von Mathematiklehrkräft en. In M. Kunter, J. Baumert, W. Blum, U. Klusmann, S. Krauss & M. Neubrand (Hrsg.), Professionelle Kompetenz von Lehrkräft en – Ergebnisse des Forschungsprogramms COACTIV (S.  215–234). Münster: Waxmann. Dübbelde, G. (2013). Diagnostische Kompetenzen angehender Biologie-Lehrkräft e im Bereich der naturwissenschaft lichen Erkenntnisgewinnung. Dissertation: Univer- sität Kassel. Abgerufen am 27.05.2019 von: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de :hebis:34-2013122044701 Grube, C. (2010). Untersuchung der Struktur und Entwicklung des wissenschaft lichen Denkens bei Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I. Dissertation: Uni- versität Kassel. Abgerufen am 27.05.2019 von: https://kobra.bibliothek.uni-kas sel.de/bitstream/urn:nbn:de:hebis:34-2011041537247/3/DissertationChristiane Grube.pdf Grube, C. & Mayer, J. (2010). Wissenschaft smethodische Kompetenzen in der Se- kundarstufe I: Eine Untersuchung zur Entwicklung des wissenschaft lichen Denkens. In U. Harms & I. Mackensen-Friedrichs (Hrsg.), Lehr- und Lernfor- schung in der Biologiedidaktik. Band 4. Tagungsband der Internationalen Tagung der Fachsektion Didaktik der Biologie im VBIO, Kiel 2009 (S.  155–168). Inns- bruck: Studienverlag. Hoge, R.D. & Coladarci, T. (1989). Teacher-based judgments of academic achieve- ment: A review of literature. Review of Educational Research, 59, 297–313. https://doi.org/10.3102/00346543059003297 Hosenfeld, I., Helmke, A. & Schrader, F.-W. (2002). Diagnostische Kompetenz: Un- terrichts- und lernrelevante Schülermerkmale und deren Einschätzung durch Lehrkräft e in der Unterrichtsstudie SALVE. In M. Prenzel & J.E. Doll (Hrsg.), Bildungsqualität von Schule: Schulische und außerschulische Bedingungen ma- thematischer, naturwissenschaft licher und überfachlicher Kompetenzen (Vol. 45, S. 65–82). Weinheim: Beltz. Jäger, R.S. (2009). Diagnostische Kompetenz und Urteilsbildung als Element von Lehrprofessionalität. In O. Zlatkin-Troitschanskaia, K. Beck, D. Sembill, R. Nik- kolaus & R. Mulder (Hrsg.), Lehrprofessionalität – Bedingungen, Genese, Wir- kungen und ihre Messung (S. 105–116). Weinheim und Basel: Beltz. KMK. (2004). Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaft en. Abgerufen am 27.05.2019 von: www.kmk.org/fi leadmin/veroeff entlichungen_beschluesse/ 2004/2004_12_16-Standards-Lehrerbildung.pdf KMK. (2005a). Bildungsstandards im Fach Biologie für den mittleren Bildungsab- schluss. München, Neuwied: Luchterhand. KMK. (2005b). Bildungsstandards im Fach Chemie für den mittleren Bildungsab- schluss. München, Neuwied: Luchterhand. KMK. ( 2005c). Bildungsstandards im Fach Physik für den Mittleren Schulabschluss. München, Neuwied: Luchterhand. Lehramtsstudierende diagnostizieren fachmethodisches Arbeiten 187 KMK. (20 08|2019). Ländergemeinsame inhaltliche Anforderungen für die Fachwis- senschaft en und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung. Abgerufen am 27.05.2019 von: www.kmk.org/fi leadmin/veroeff entlichungen_beschluesse/2008/2008_10_ 16-Fachprofi le-Lehrerbildung.pdf Lind, G., Kroß, A. & Mayer, J. (1998). BLK-Programmförderung „Steigerung der Effi zienz des mathematisch-naturwissenschaft lichen Unterrichts“ – Erläute- rungen zu Modul 2. Naturwissenschaft liche Arbeitsweisen im Unterricht. In- stitut für die Pädagogik der Naturwissenschaft en an der Universität Kiel (IPN). Abgerufen am 27.05.2019 von: http://www.sinus-transfer.de/module/ modul_2naturwissen_schaft liches_arbeiten.html Mayer, J. (200 7). Erkenntnisgewinnung als wissenschaft liches Problemlösen. In D. Krüger & H. 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Diagnostische Lehrerexpertise und adaptive Steuerung unterrichtlicher Entwicklungsangebote. In J. van Buer & C. Wagner (Hrsg.), Qualität von Schule. Ein kritisches Handbuch (S.  381– 400). Frankfurt am Main: Peter Lang. Vorholzer, A. & Aufschnaiter, C. v. (2019). Guidance in inquiry-based instruction – an attempt to disentangle a manifold construct. International Journal of Science Education, 1–16. https://doi.org/10.1080/09500693.2019.1616124 Wellnitz, N. & Mayer, J. (2013). Erkenntnismethoden in der Biologie – Entwicklung und Evaluation eines Kompetenzmodells. Zeitschrift für Didaktik der Naturwis- senschaft en, 19, 335–345. Hagen Kunz & Julia Wolowski Wissenschaft liches Denken und Arbeiten im kompetenzorientierten Biologieunterricht – Aufb au von fachmethodischem Wissen in der Qualifi zierung angehender Lehrkräft e Die enge Verzahnung einer an den aktuellen Erfordernissen und Herausforderun- gen des Unterrichtsfachs Biologie orientierten Forschung mit den daraus erwach- senden Anforderungen an die Qualifi zierung von Lehrenden im Studium, dem Vor- bereitungsdienst und in der Fort- und Weiterbildung war strukturbildend in der langjährigen Zusammenarbeit mit Jürgen Mayer. Hier bildete von Anbeginn das na- turwissenschaft liche Denken und Arbeiten und der Einsatz von digitalen Medien einen Schwerpunkt, zunächst in den Lehrveranstaltungen zur Unterrichtsentwicklung und bei der Betreuung von Praxisphasen als Lehrbeauft ragter an der Justus-Liebig- Universität Gießen. Die eng von Herrn Prof. Dr. Mayer angelegte Verknüpfung von Forschungsfragen zur Kompetenzentwicklung von Lehrenden mit Projekten zur Qua- litätsentwicklung im Studium und in der Weiterbildung hat mir in dieser Zeit inte- ressante Einblicke in Forschung und Lehre eröff net. Mit der fachdidaktischen Begleit- forschung im Kooperationsprojekt KUMNat (2008–2011) wurde die Grundlage für mein Dissertationsvorhaben zur Entwicklung des Professionswissens von Lehrkräft en gelegt, das an der Universität Kassel 2012 abgeschlossen werden konnte. Der off ene und konstruktive Diskurs zu fachdidaktischen Implikationen der Kompetenzorientie- rung in Lehre und Forschung, insbesondere zur Entwicklung des Professionswissens von Lehrkräft en, ist seither prägend für einen anregenden und von mir geschätzten Austausch mit Jürgen Mayer. 1 Th eoretischer Rahmen und Stand der Forschung 1.1 Kompetenzorientierung im Fach Biologie Ein Vergleich der Reformen schulischer wie auch universitärer Bildungspläne, ausgehend von TIMSS (Trends in International Mathematics and Science Study) und PISA (Programme for International Student Assessment) (u. a. OECD, 2007; OECD, 2014; Reiss, Weis, Klieme & Köller, 2018; Stanat et al., 2002), zeigt, dass in allen Initiativen Anstrengungen unternommen worden sind, neben den verbindlichen Fachinhalten die Vermittlung erkenntnistheoretischer, me- thodischer, sozialer und personaler Kompetenzen systematisch zu stärken. Mit der Einführung von Bildungsstandards (KMK, 2005a, 2005b, 2005c) und korrespondierenden Standards für die Lehrerbildung (KMK, 2004) wer- 190 Hagen Kunz & Julia Wolowski den national einheitlich Kenntnisse und Fertigkeiten durch Kompetenzen be- schrieben, die auf eine hohe Qualität des Lehrens und Lernens in der Quali- fi zierung im Unterricht wie auch in der Ausbildung von Lehrkräft en angelegt sind. Innerhalb der Bildungsstandards Naturwissenschaft en stehen neben dem Fachwissen (Fachinhalte und Konzepte), der Kommunikation und dem Bewer- ten besonders der Kompetenzbereich Erkenntnisgewinnung (fachmethodische Kenntnisse und Fertigkeiten) im Mittelpunkt des fachdidaktischen und schul- praktischen Interesses (Mayer, 2004, 2007). 1.2 Fachmethodisches Wissen als Facette des Professionswissens von Lehrkräft en Die in den Standards der Kompetenzbereiche beschriebenen Kenntnisse und Fertigkeiten stellen neue Anforderungen an Lehr- und Lernsituationen im Fach Biologie. Damit einher geht die Notwendigkeit einer systematischen Unterstützung der Lehrerprofessionalität (u. a. Baumert & Kunter, 2006; Blö- meke, Kaiser & Lehmann 2008; Bromme, 1997; Cochran-Smith & Fries, 2005; Lipowsky, 2006; Oser, 1997a, 1997b; Reiss, Weis, Klieme & Köller, 2018; Shul- man & Shirin, 2004; Shulman, 1986) mit dem Ziel, die Lehrenden bei der Ent- wicklung geeigneter kompetenzorientierter Lehr- und Lernarrangements zu unterstützen. Sowohl in der nationalen wie auch internationalen fachdidak- tischen Forschung werden die Wissensbereiche Fachwissen, fachdidaktisches Wissen und pädagogisches Wissen als Bereiche professionellen Wissens von Lehrkräft en beschrieben (Abell, 2007; Aufschnaiter & Hofmann 2014; Jüttner, Spangler & Neuhaus, 2009; Shulman & Shirin, 2004; Shulmann, 1986), die im deutschsprachigen Raum um die Bereiche Organisations- und Beratungswis- sen ergänzt werden (Arnold, 2007; Bromme, 2008). Im Bereich des Fachwissens umfasst das Professionswissen von Lehrkräf- ten neben den fachwissenschaft lichen Kenntnissen auch das fachmethodische Wissen (Abell, 2007; KMK, 2019a; Kunz, 2012; Wolowski & Kunz, 2018). In den naturwissenschaft lichen Fächern beschreiben die Kompetenzkonstruk- te (manuelle Fertigkeiten, wissenschaft liches Denken und Wissenschaft sver- ständnis) und Standards der Erkenntnisgewinnung zentrale Kompetenzen fachmethodischen Wissens (Mayer, 2007). Die Untersuchungsmethoden stel- len in den naturwissenschaft lichen Fächern ein wesentliches Element natur- wissenschaft lichen Arbeitens dar, die den Prozess wissenschaft licher Unter- suchungen in seinen Phasen charakterisieren (Wellnitz & Mayer, 2012). Die Standards der Erkenntnisgewinnung diff erenzieren den Prozess einer Unter- suchung im naturwissenschaft lichen Erkenntnisprozess in den folgenden Teil- kompetenzen aus: (1) naturwissenschaft liche Fragen formulieren, (2) Hypo- Wissenschaft liches Denken und Arbeiten 191 thesen generieren, (3) Untersuchungen planen und (4) Daten analysieren und Schlussfolgerungen ziehen (Mayer, 2013). Lehrende sollen nicht nur ein ver- netztes und umfassendes Wissen über die Inhalte ihres Faches besitzen (KMK, 2019a, 2019b; Shulman, 1986), sondern auch den spezifi schen Anforderungen ihres Faches in Form von wissenschaft lichen Denk- und Arbeitsprozessen ge- recht werden (Arnold, Kremer & Mayer, 2014; Dübbelde, 2013; Möller, Grube & Mayer, 2007; Kunz, 2012). Mit den Standards für die Lehrerbildung wurde ein konkreter Rahmen zur Sicherung der Qualität in der Professionalisierung von Lehrkräft en beschrie- ben, der ein auf die Bildungsstandards in den Fächern abgestimmtes Anfor- derungsprofi l beschreibt. Die Kenntnisse und Fertigkeiten von Lehrkräft en in den Wissensbereichen Fachwissen und fachdidaktisches Wissen stehen neben dem pädagogischen Wissen in unmittelbarer Beziehung zu der Entwicklung der Lernenden und beeinfl ussen somit den Erwerb von Kenntnissen und Fer- tigkeiten im naturwissenschaft lichen Unterricht (Arnold, 2007; Baumert et al., 2004; KMK, 2004, 2019b; Kunz, 2012). Kernaufgabe von Lehrkräft en ist es, standardorientierten naturwissenschaft lichen Unterricht zu erteilen, indem sie Lernprozesse systematisch planen und beim Lernen und Arbeiten lernpro- zessbegleitend agieren (KMK, 2019a). Das Professionswissen, die Qualifi ka- tion und auch die Persönlichkeit der Lehrperson stehen dabei in unmittelba- rem Zusammenhang mit der Qualität von Unterricht, dem Lernfortschritt und der Persönlichkeitsentwicklung der Lernenden (Baumert & Kunter, 2006; Har- len, 1997; Helmke, 2012; Oevermann, 1996; Wenner, 1995; Wimmer, 1996). 1.3 Stand der Forschung Im fachdidaktischen Diskurs beschreibt die Ausdiff erenzierung professioneller Wissensdomänen zum allgemeinen und fachbezogenen pädagogischen Wis- sen und Können die Notwendigkeit einer fundierten Beschreibung der auf das Unterrichten bezogenen professionellen Kenntnisse und Fertigkeiten von Lehrkräft en (Großschedl, Harms, Kleickmann & Glowinski, 2015; Hartmann et al., 2015; KMK, 2019b). Besondere Herausforderungen stellt das Erfassen von Wissen und Können der Lehrkräft e dar, wie es bei der Planung, Durch- führung und Auswertung fachbezogenen Unterrichts eingesetzt wird (Brom- me, 1997). Auch hier liegen empirische Erkenntnisse zur Entwicklung und dem Stand professionellen Wissens von Lehrkräft en in den Bundesländern nur begrenzt vor (Baumert & Kunter, 2006; Blömeke, 2003; Kunz, 2012). Auf Seiten der Lernenden zeigen sich in den Naturwissenschaft en Schwä- chen im naturwissenschaft lichen Denken und Argumentieren; auch eine An- 192 Hagen Kunz & Julia Wolowski wendungsorientierung fachwissenschaft licher Kenntnisse kommt im Allgemei- nen zu kurz (Baumert et al., 2004; Mayer, 2004). Wie die Befunde der PISA Studie 2018 zeigen, werden die Kenntnisse und Fertigkeiten, die einer natur- wissenschaft lichen Grundbildung zugerechnet werden, in den nicht gymnasia- len Bildungsgängen weitgehend bis zur Niveaustufe 2 erreicht. Im Vergleich mit neueren Untersuchungen im Rahmen des PISA Programms (Reiss, Weis, Klieme & Köller, 2018) zeigt sich, dass der Aufb au naturwissenschaft licher Kompetenz, insbesondere jenseits des gymnasialen Bildungsgangs, weiterhin erheblicher Anstrengungen bedarf. Zur Qualitätsentwicklung im naturwissenschaft lichen Fachunterricht ist es daher von besonderer Bedeutung, das fachmethodische Wissen von Lehrkräf- ten zu stärken, um ein Gegengewicht zu einem fragend-entwickelnden, weit- gehend an der Fachsystematik orientierten Unterricht zu etablieren. Bislang werden bei der fachdidaktisch begründeten Anlage von Lernprozessen fächer- übergreifende und anwendungsbezogene Ansätze zu wenig genutzt, um das Interesse am naturwissenschaft lichen Unterricht und ein tiefergehendes Ver- ständnis zu fördern (Mayer, 2004, 2007, 2013). Der Erwerb von Kenntnissen und Fertigkeiten zum wissenschaft lichen Denken und der Aufb au eines Wissenschaft sverständnisses wird von den Lehr- kräft en im Hinblick auf deren Stellenwert im standardorientierten Biologie- unterricht schwächer eingeschätzt und somit noch nicht umfassend berück- sichtigt. Diese Befunde weisen darauf hin, dass von einem systematischen und kumulativen Aufb au von Kenntnissen und Fertigkeiten in den Kompetenz- konstrukten und Standards der Erkenntnisgewinnung in der Qualifi zierung von Lehrkräft en ein wesentlicher Beitrag zu einer anschlussfähigen Lehrerbil- dung zu erwarten ist. Damit einher geht die Erwartung, dass die fachmetho- dischen Kenntnisse der Lehrenden auf einer höheren Niveaustufe präsentiert sind und umfassender bei der Anlage von Lehr- und Lernsituationen im na- turwissenschaft lichen Unterricht wirksam werden und somit eine naturwis- senschaft liche Grundbildung weitreichender aufgebaut werden kann (Wolow- ski & Kunz, 2018). 2 Fragestellung Bisher gibt es nur wenige Studien, die sich auf den Erwerb von fachmetho- dischen Kompetenzen zum wissenschaft lichen Denken während des Lehr- amtsstudiums im Fach Biologie beziehen (Hartmann et al., 2015; Lederman & Abell, 2014). Das vorliegende Forschungsprojekt an der Universität Siegen greift diesen Umstand auf, indem das fachmethodische Wissen in den Stan- Wissenschaft liches Denken und Arbeiten 193 dards der Erkenntnisgewinnung in den Lehramtsstudiengängen im Fach Bio- logie untersucht wird. Zum einen wird der Frage nachgegangen, wie das wis- senschaft liche Denken von Studierenden in der Einstiegsphase repräsentiert ist (F1). Zum anderen wird die Entwicklung von Kompetenzen zum wissenschaft - lichen Denken im Verlauf der fachdidaktischen Qualifi zierung studienbeglei- tend betrachtet (F2). 3 Design der Studie Die Genese wissenschaft lichen Denkens bei Lehramtsstudierenden der Bio- logie wurde in einer Interventionsstudie im klassischen Pre-Post-Design mit anschließender Follow-up-Untersuchung geprüft (Hager, 2000) (Abb.  1). Die Untersuchung wurde mit drei Jahrgängen (WS 15/16, 16/17, 17/18) durchge- führt und erstreckte sich somit über einen Zeitraum von dreieinhalb Jahren. Insgesamt wurden in dieser Zeit 204 Studierende getestet. Für diesen Artikel wurden jedoch nur die Personen berücksichtigt, die tatsächlich an allen drei Testzeitpunkten getestet werden konnten. Der Stichprobenumfang reduziert sich damit auf 24 Studierende (♀ = 67 %, ein naturwissenschaft liches Fach im Lehramt  =  66 %). Als Testinstrument wurde zu allen Testzeitpunkten ein Pa- per-Pencil-Test mit 8 Items eingesetzt. Die Intervention verlief im Umfang von einem Semester. Getestet wurde in der ersten Seminarsitzung (Pre-Erhebung) und in der letzten Seminarsitzung nach der Intervention (Post-Erhebung) im ersten Semester. Die Studierenden besuchten im zweiten Semester das Modul „Grundlagen der Didaktik und Me- dien der Biologie“. Hierbei beschäft igten sie sich in ersten Versuchen mit Lern- zielformulierungen, der Konzeption von Arbeitsmaterialien und dem Einsatz von Medien. In dem sich daran anschließenden dritten Semester sind keine fachdidaktischen Modulelemente vorgesehen. Die Follow-Up-Erhebung wur- de im vierten Bachelorsemester vorgenommen. Die Zeitspanne zwischen dem Post- und Follow-up-Test betrug somit circa ein Jahr. 194 Hagen Kunz & Julia Wolowski Abbildung 1: Design der Interventionsstudie 4 Intervention: Forschendes Lernen als fachdidaktisches Konzept zur Weiterentwicklung wissenschaft lichen Denkens Direkt zu Beginn der fachdidaktischen Qualifi zierung (1. Bachelorsemester) im Fach Biologie an der Universität Siegen ist mit der Vorlesung „Grundlagen der Didaktik und Methodik des Biologieunterrichts“ und dem zugeordneten Seminar „Biologie und ihre fachgemäßen Arbeitsweisen“ eine grundständige Qualifi zierung zum fachmethodischen Wissen in den Lehramtsstudiengängen vorgesehen. Bei diesem einsemestrigen Seminar handelt es sich um die kon- trollierte Intervention, die Gegenstand der Untersuchung ist. Im Mittelpunkt dieses vier Semesterwochenstunden umfassenden Lehrangebots steht der Er- werb von Teilkompetenzen zum Kompetenzkonstrukt des wissenschaft lichen Denkens (Mayer, 2007). Studierende werden angeregt und aufgefordert, eigen- ständig naturwissenschaft liche Untersuchungen zu unterrichtsrelevanten Th e- men zu planen, durchzuführen und auszuwerten. Dies zeigen sie, indem sie (1) eine Untersuchung zu schulrelevanten Th emen der Humanbiologie planen und durchführen, (2) eine Langzeituntersuchung mit lebenden Organismen konzi- pieren und umsetzen und (3) eine naturwissenschaft liche Untersuchungsme- Wissenschaft liches Denken und Arbeiten 195 thode (Betrachten, Beobachten, Experimentieren, Mikroskopieren) zu einer im Biologieunterricht relevanten Th emenstellung in einem unterrichtsbezoge- nen Setting im Mikroteaching anleiten. Sie erwerben Kenntnisse und Fertigkei- ten des wissenschaft lichen Denkens, indem sie sich professionell und aktiv mit den Methoden und Prozessen der naturwissenschaft lichen Erkenntnisgewin- nung auseinandersetzen (Mayer, 2013; Wellnitz et al., 2017). Zur Entwicklung der Kompetenzen zum fachmethodischen Wissen im Kompetenzkonstrukt des naturwissenschaft lichen Denkens eignet sich das fachdidaktische Konzept des Forschenden Lernens nach Mayer und Ziemek (2006). Hierbei helfen die Schritte naturwissenschaft licher Erkenntnisgewin- nung, Lehr-Lern-Prozesse in den Seminaren aufzubauen (Hof & Mayer, 2008). Die Elemente des Forschendes Lernens, a) Lernen in Kontexten, b) kooperati- ve Lernformen, c) problemorientiertes Lernen und d) eigenständiges, off enes Lernen, unterstützen dabei die Entwicklung problemlösenden Denkens (Ar- nold, Kremer & Mayer, 2016; Gijbels, Dochy, van den Bossche & Segers, 2005; Hmelo-Silver, Duncan & Chinn, 2007; Hof & Mayer, 2008; Mayer & Ziemek, 2006). Die Studierenden eignen sich damit neue Lösungsstrategien und Routi- nen an, die eine strukturierte Bearbeitung naturwissenschaft licher Problem- stellungen im Prozess naturwissenschaft licher Erkenntnisgewinnung ermögli- chen (Mayer, 2013). 5 Erhebungsinstrument und Datenanalyse Die Konzeption des Paper-Pencil-Tests erfolgte hypothesengeleitet und bilde- te – angelehnt an den Prozess naturwissenschaft licher Erkenntnisgewinnung (Duschl & Grandy, 2008; Grube, 2010; Klahr & Dunbar, 1988; Wellnitz et al., 2017) – das wissenschaft liche Denken in vier Teilkompetenzen (Frage, Hypo- these, Planung, Auswertung) ab. Zu jeder Teilkompetenz galt es, zwei off ene Items (u. a. Grube, Möller & Mayer, 2007) zu bearbeiten. Die Antworten wur- den niveaubezogen von zwei Ratern codiert (Niveaustufe 1–5) und ausgewer- tet (Möller, Grube, Hartmann & Mayer, 2009; Wolowski & Kunz, 2018). Um die zufallsbedingte Übereinstimmung zu berücksichtigen, wurde der gewich- tete Koeffi zient Cohens Kappa berechnet. Die entsprechenden Werte für die Übereinstimmung lagen (außer bei einem Item) über .62. Laut Landis und Koch (1977) handelt es sich damit um ein stabiles Maß an Übereinstimmung. Das so gebildete Testinstrument weist interne Konsistenzen von Cronbachs α = .45 bis .52 auf. 196 Hagen Kunz & Julia Wolowski 6 Ergebnisse Um die Entwicklungen von wissenschaft lichem Denken zu den Testzeitpunk- ten zu prüfen, wurden t-Tests für verbundene Stichproben durchgeführt. Die Varianzanalysen zeigen, dass die Intervention bei den 24 längsschnittlich ge- testeten Studierenden dazu führte, dass sie ihre Kompetenzen im Bereich des wissenschaft lichen Denkens signifi kant verbessern konnten (p  ≤  .001; Abb.  2). Belegten die Studierenden vor der Intervention (T1) im Mittel die Niveaustufe 1.41 (SD T1 = 0.26), so war es im Posttest (T2) die Niveaustufe 2.05 (SD  T2 =  0.35). Der Zuwachs an Kompetenzen im Bereich wissenschaft lichen Denkens vom Beginn der Intervention bis zu deren Ende (T1–T2) ist statis- tisch signifi kant (t = - 8.96; p ≤  .001; d = 1.80). Wird die Entwicklung dieser Kompetenzen im Verlauf des Testzeitraums (T1–T3) betrachtet, so zeigt sich, dass das in der Intervention erreichte Niveau (T2) bis zur Follow-up-Erhebung (T3) zwar leicht rückläufi g ist (MT3 = 1.70, SDT3 = 0.47, Δ T3 – T2 = - 0.35), aber dennoch das im Pretest (T1) festgestellte Niveau signifi kant und mit einem großen Eff ekt übersteigt (t = -3.46; p = .001; d = .71). Abbildung 2: Entwicklung wissenschaft lichen Denkens. Gruppenmittelwerte von längsschnittlich getesteten Lehramtsstudierenden (*** p ≤ .001, t-Test für verbundene Stichproben, n = 24). Wissenschaft liches Denken und Arbeiten 197 7 Diskussion Mit Blick auf die gestellten Forschungsfragen ist festzustellen, dass die Kompe- tenzen der Lehramtsstudierenden im Bereich wissenschaft lichen Denkens zu Beginn des Studiums (T1) auf einem niedrigen Niveau vorhanden sind. Das hier festgestellte Niveau gibt einen Einblick in die Ausprägung der im Verlauf der schulischen Qualifi zierung erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten. Das vorliegende Ergebnis steht im Einklang mit Befunden aus der Lehr- und Lern- forschung (Grube, 2010; Möller et al., 2009). Sowohl Lernende als auch Studie- rende pendeln zwischen Niveaustufe 1 und 2. Überraschend ist die Verteilung der Varianz zu Testzeitpunkt 1. Das Ergebnis des Shapiro-Wilk-Tests und die optische Prüfung mittels Q-Q-Diagramm deuten auf eine weitestgehend Nor- malverteilung hin. Bislang liegen jedoch noch keine gesicherten Indizien vor, die in Zusammenhang zur vorliegenden Verteilung stehen. Zur Beantwortung der Forschungsfrage 2 werden die folgenden Testzeit- punkte mit einbezogen. Im Verlauf der Intervention über ein Semester konnte zum Testzeitpunkt T2 im Mittel ein signifi kanter Zuwachs um über eine hal- be Niveaustufe erreicht werden. Die wissenschaft smethodischen Kompetenzen wurden in der fachdidaktischen Qualifi zierung durch die Intervention gezielt aufgebaut. Die Struktur der Intervention ist wirksam – sie unterstützt den Er- werb von wissenschaft lichem Denken. Verglichen mit Befunden aus der fach- didaktischen Forschung bei Lehrenden (Kunz, 2012) zeigt sich, dass die gezielt ausgerichtete Intervention bei Studierenden zwar in einem ähnlichen Umfang wirksam ist (Wolowski & Kunz, 2018). Jedoch scheint diese Wirksamkeit im Vergleich zur Qualifi zierung von Lehrkräft en etwas schwächer zu sein. Die Ursache hierfür könnte im geringeren Umfang und in der kürzeren Dauer der Intervention liegen. Die Lehrkräft e wurden in einem Zeitraum von eineinhalb Jahren systematisch zum fachmethodischen Wissen qualifi ziert. Dieser Unter- schied deutet darauf hin, dass für den Erwerb von Kompetenzen wissenschaft - lichen Denkens eine explizite und kontinuierliche Qualifi zierung zielführend ist, deren Wirksamkeit durch eine Ausweitung über den Rahmen der Interven- tion bei Studierenden (4 SWS, 1 Semester) gesteigert werden kann. Des Wei- teren könnte das durch den höheren Abschluss (zweites Staatsexamen) um- fassender vorhandene Professionswissen der Lehrkräft e einen vermeintlich positiven Einfl uss auf den Erwerb fachmethodischer Kompetenzen zum wis- senschaft lichen Denken und dessen Ausprägung haben. Dieser mögliche Zu- sammenhang erfordert noch eine weitergehende Prüfung. Wird das Follow-up-Testergebnis (T3) mit in die Betrachtung einbezogen, so wird deutlich, dass die Intervention auch im weiteren Studienverlauf wirk- sam ist. Grundsätzlich scheinen die Kompetenzen wissenschaft lichen Denkens 198 Hagen Kunz & Julia Wolowski bei einer nicht explizit ausgerichteten fachdidaktischen Qualifi zierung, wie sie die Studierenden nach der Intervention absolvierten, stabilisiert zu werden, wenngleich das Niveau im Mittel leicht rückläufi g ist. Auff allend sind die Än- derungen in der Streuung zum Zeitpunkt des Follow-Up-Tests, wie die asym- metrischen Verschiebungen im oberen Leistungsbereich (25 % der Studieren- den liegen über dem Median von 1.69) zeigen. Dies kann ein Hinweis darauf sein, dass gerade die stärkeren Studierenden von einer kontinuierlichen und kumulativen Anlage einer fachmethodischen Qualifi zierung zum wissenschaft - lichen Denken stärker profi tieren. Abschließend kann festgestellt werden, dass eine kontinuierliche und sys- tematische Qualifi zierung zum fachmethodischen Wissen die Kompetenzen wissenschaft lichen Denkens bei angehenden Lehrkräft en aufb auen und erwei- tern kann. Die erworbenen Kompetenzen wissenschaft lichen Denkens schaf- fen eine wesentliche Voraussetzung, standardbezogenen Unterricht im Kom- petenzbereich der Erkenntnisgewinnung konzipieren zu können (Kremer, Möller, Arnold & Mayer, 2019; Wolowski & Kunz, 2018). Wie die vorliegen- den Ergebnisse zudem zeigen, sollten die Anstrengungen in der fachdidakti- schen Lehramtsausbildung weiterhin darauf ausgerichtet sein, die Kompeten- zen im Bereich wissenschaft lichen Denkens explizit und kumulativ im Verlauf der Qualifi zierung von angehenden Lehrenden aufzubauen. Literatur Abell, S.K. (2007). Research on science teacher knowledge. In S.K. Abell & N.G. Le- dermann (Hrsg.), Handbook of Research on Science Education (S. 1105–1149). Mahwah, NJ: Lawrence Erlbaum Associates. Arnold, J., Kremer, K. & Mayer, J. (2014). Schüler als Forscher – Experimentie- ren kompetenzorientiert unterrichten und beurteilen. Der mathematische und naturwissenschaft liche Unterricht, 67(2), 83–91. 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Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass er auch im Projekt PRONET den Impuls dazu gege- ben hat, die Vernetzungsansätze der verschiedenen Teilprojekte zu sichten, gegenei- nander abzugrenzen und in Form von Modellen zu beschreiben. Die von uns in der Handlungsfeldleitung und -koordination entwickelten Vernetzungsmodelle haben im Projektverlauf eine wichtige Rolle gespielt. Sie waren beispielsweise eines von mehre- ren Leitmotiven für die teilprojektübergreifende Publikation, die von uns gemeinsam mit Jürgen Mayer herausgegeben wurde. Die Vernetzungsmodelle hatten aber auch selbst eine vernetzende Wirkung. Sie stellten einen Einstieg in den hochschulübergrei- fenden Austausch mit anderen an der Qualitätsoff ensive beteiligten Projekten dar, der in der Entwicklung und Veröff entlichung eines übergreifenden Modells münde- te. In der Zusammenarbeit mit Jürgen Mayer im Rahmen von PRONET, in regelmä- ßigen „PRONET-intern-Sitzungen“ und in unseren fachgebietsinternen „PRONET- AGs“ haben wir über die systematische Herangehensweise hinaus noch viele andere Dinge in den Blick genommen. Dabei wurde von Jürgen Mayer auch immer wieder die Suche nach gemeinsamen theoretischen und konzeptionellen Grundlagen für die Zusammenarbeit und nach innovativen Möglichkeiten für den Austausch zwischen allen Projektbeteiligten angeregt. Diese kooperativen und konstruktiven Forschungs- und Kommunikationsstrukturen werden auch zukünft ig unseren wissenschaft lichen Weg begleiten, sodass der Zusammenarbeit mit Jürgen Mayer auch in der Zukunft eine besondere Bedeutung zukommt. Das Lehramtsstudium ist mit seinen mehr als 40 verschiedenen Studiengän- gen/Fächern ein „wichtiges Standbein der Universität Kassel“ (Universität Kas- sel, 2020, S. 9), was sich auch daran zeigt, dass die Lehramtsstudierenden rund ein Fünft el der Gesamtstudierendenschaft ausmachen (Universität Kassel, 2020). Die Stärkung einer praxisnahen, qualitativ hochwertigen Lehrerausbil- dung der 1. Phase durch die Vernetzung von Inhalten aus den Bildungs- und Fachwissenschaft en sowie den Fachdidaktiken in horizontaler (innerhalb einer Ausbildungsphase) und vertikaler Richtung (über die Phasen der Lehreraus- bildung hinweg) ist das Ziel der Kasseler Qualitätsoff ensive-Projekte PRONET (Professionalisierung durch Vernetzung) und PRONET2 (Professionalisierung durch Vernetzung – Fortführung und Potenzierung). In Teilprojekten, die in 204 Kathrin Ziepprecht & Monique Meier den unterschiedlichen lehrerbildenden (Fach-)Bereichen und Disziplinen an- gesiedelt sind, wird das Ziel verfolgt, durch intrainstitutionelle Vernetzung der dort fokussierten Professionsbereiche Synergien auf- und Dissonanzen abzu- bauen (Mayer, Ziepprecht & Meier, 2018). In drei Handlungsfeldern widme- ten sich in PRONET 33 Projektbeteiligte aus 19 Fachdisziplinen unter dem Leitbild der Vernetzung der Kooperation zwischen dem bildungs- und gesell- schaft swissenschaft lichen Kernstudium, den Fachdidaktiken und den Fachwis- senschaft en (Bosse & Lipowsky, 2017), wobei die Verstetigung stets von An- fang an mitgedacht und als Gedanke auch in PRONET2 hineingetragen wurde. Die Fortführung und Potenzierung in PRONET2 geht mit einer Erweiterung und Anpassung der drei Handlungsfelder einher. Im Handlungsfeld I Refl exi- ve Praxisstudien steht die wissenschaft sbasierte Refl exion schulpraktischer Er- fahrungen im Fokus. Ziel des Handlungsfelds II Diversität und Inklusion ist es, das entsprechende Lehrangebot zu diesen Lehr- und Handlungsbereichen im Kontext Schule weiter auszubauen. Während Vernetzung in diesen Hand- lungsfeldern als ein (ergänzendes) Werkzeug in der inhaltlichen Arbeit genutzt wird, stellt die Vernetzung von Professionsbereichen in Handlungsfeld III einen expliziten Schwerpunkt dar. In diesem Handlungsfeld wurden drei Maßnah- men defi niert und, mit spezifi schen Zielsetzungen verbunden, konkretisiert. Mithilfe der Maßnahme Kohärente Lehrerbildung durch Vernetzung von und in Lernumgebungen soll die Professionsentwicklung über die Phasen der Lehrer- bildung hinweg durch die Vernetzung der Studienelemente Fachwissenschaft , Fachdidaktik und Bildungswissenschaft gefördert werden. Erreicht werden sol- len hierdurch eine höhere Studienmotivation sowie ein gesteigerter Lernerfolg und eine intensivere Nutzung der sich bietenden Lerngelegenheiten. Teilpro- jekte, die die Professionsentwicklung in trans- und interdisziplinären Th emenbe- reichen wie z. B. Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) oder digitale Me- dien vorantreiben wollen, sind darauf ausgerichtet, die Studierenden für die fächerübergreifenden Handlungsfelder des Lehrerberufs vorzubereiten. Beim Erwerb professioneller Handlungskompetenz in praxisnahen Lehr-Lern-Situatio- nen stehen die Studienwerkstätten im Fokus, die zu Lehr-Lern-Laboren weiter- entwickelt werden sollen. Dort sollen Studierende und Lehrkräft e Schülerin- nen und Schüler instruieren, ihren Kompetenzerwerb fördern, sie beobachten und Lernstände diagnostizieren. Der vorliegende Artikel beschreibt die konzeptionell-theoretische Arbeit im Bereich Vernetzung über die Entwicklung von Vernetzungsmodellen und deren hochschulübergreifenden Diskurs. Zudem wird ein ausgewählter spezi- fi scher Blick auf die Umsetzung eines der Vernetzungsmodelle in einer hoch- schuldidaktischen Lernumgebung sowie auf eine daran angebundene Begleit- studie geworfen. Umsetzung und Weiterentwicklung von Modellen 205 1 Systematisierung von Vernetzungsansätzen durch Modelle Zu Beginn der ersten Förderphase lag der Fokus der Teilprojekte im Hand- lungsfeld III auf der Entwicklung von vernetzten Lernumgebungen. Die- se wurden im Rahmen von verschiedenen Projekttreff en präsentiert und dis- kutiert, um Synergien zu generieren und eine Zusammenarbeit zwischen den Teilprojekten anzubahnen. Hierdurch wurde deutlich, dass diese die Vernet- zung der drei Studienelemente unterschiedlich umsetzten und dabei verschie- dene Zielsetzungen verfolgen. Um die Vernetzungsansätze systematisch zu be- schreiben, sie gleichzeitig auszuschärfen und einer Untersuchung zugänglich zu machen, wurden in der Folge Vernetzungsmodelle beschrieben. 1.1 Beschreibung und Zielsetzungen der Vernetzungsmodelle Je nach umgesetzten Vernetzungsmodell werden in einer Lernumgebung spe- zifi sche Zielsetzungen verfolgt. In Tabelle 1 sind diese zusätzlich zur Modellbe- schreibung aufgeführt. Tabelle 1: Vernetzungsmodelle und Zielsetzungen (Mayer, Ziepprecht & Meier, 2018) Name Beschreibung Zielsetzung Integrations- In einer Lernumgebung zu einem Professions- modell wissensbereich wird Wissen aus einem anderen Professionsbereich aufgegriff en und systematisch integriert. Synergetische Kooperations- Lernumgebungen zu mindestens zwei Lernwirkung und ko- modell Professionswissensbereichen werden inhaltlich härentes Wissen durch durch Kooperation der Lehrpersonen miteinan- die Integration von der vernetzt, z. B. indem diese die Inhalte syste- Wissensbereichen matisch aufeinander abstimmen. Teamteaching- Die Lernumgebung wird teilweise oder ganz Modell durch zwei Lehrende aus zwei Professions- Bessere Anwendbarkeit wissensbereichen im Teamteaching durchgeführt. von Wissen durch den stärkeren Professionsbezug Tandem-/ Lernumgebungen zu mindestens zwei Brücken- Professionswissensbereichen werden in einem modell Modul, d. h. mit gemeinsamen Kompetenzzielen und gemeinsamer Modulprüf ung kombiniert. Trans diszi- Gleiche oder unterschiedliche Stärkung der fä- plinäres Professionswissensbereiche werden durch cherübergreifenden Modell die Th ematisierung eines transdisziplinären Kompetenzen durch die Professionsaspekts ü ber verschiedene Fächer Vernetzung verschiede- miteinander vernetzt. ner Perspektiven 206 Kathrin Ziepprecht & Monique Meier Name Beschreibung Zielsetzung Praxismodell Mehrere Professionsbereiche werden in eine Verringerung der schulpraktisch orientierte Lehr-Lern-Situation Diskontinuität von wie beispielsweise in die Arbeit in den Schule, Universität und Studienwerkstätten oder Lehr-Lern-Laboren oder Berufspraxis durch den die Unterrichtstätigkeit im Rahmen der schul- systematischen Einbezug praktischen Studien eingebunden. von Praxissituationen Kumulatives In diesem Modell werden mehrere auf- Modell einander aufb auende Aspekte eines Erzeugung von ver- Professionswissensbereichs in nacheinander ge- tieft em Wissen durch schalteten Lernumgebungen systematisch und ku- den kumulativen mulativ miteinander vernetzt werden. Das Modell Wissensaufb au über die schließt auch die Vernetzung ü ber die Universität, Phasen hinweg die 2. Phase sowie Fortbildungen mit ein. Anhand der beschriebenen Zielsetzungen wird deutlich, dass sich das Trans- disziplinäre Modell, das Praxismodell und das Kumulative Modell in ihrer Aus- richtung von den anderen Modellen unterscheiden. Den vier übrigen Model- len liegt eine gleiche Zielausrichtung zugrunde, wobei sich auch Unterschiede z. B. im Ausmaß der Kooperation zwischen Kolleginnen und Kollegen ver- schiedener Disziplinen beschreiben lassen. Während beim Integrationsmodell in vielen Fällen fachliche Aspekte von einer Dozentin oder einem Dozenten einer fachdidaktischen Veranstaltung mit vermittelt werden oder an spezifi - schen Punkten (Fach-)Expertinnen und (Fach-)Experten eingebunden wer- den, erfordern das Kooperationsmodell und das Teamteaching-Modell eine kontinuierliche interpersonelle Zusammenarbeit über die gesamte Lehrveran- staltungsdauer. Das Tandem-/Brückenmodell unterscheidet sich von den ersten drei genannten Modellen durch seine dauerhaft e Verstetigung in der Modul- prüfungsordnung. 1.2 Umsetzung der Vernetzungsmodelle in PRONET Mithilfe der Modelle konnte im PRONET-Gesamtprojekt untersucht werden, in welcher Art und Weise und mit welchem Ziel die Vernetzung schwerpunkt- mäßig stattfi ndet und welche Potenziale bisher zu wenig ausgeschöpft werden. Die auf diesem Weg generierten Daten sind auf der einen Seite wichtig für die projektbeteiligten Akteurinnen und Akteure. Auf der anderen Seite bieten sie, ebenso wie die Modelle, selbst auch einen Anknüpfungspunkt für den Aus- tausch mit anderen Qualitätsoff ensive-Projekten. Um Erkenntnisse über die Umsetzung der Vernetzungsmodelle zu gewin- nen, wurden die Lehrenden im Rahmen der Beschäft igtenbefragung im letz- Umsetzung und Weiterentwicklung von Modellen 207 ten Drittel der ersten Förderphase gebeten, anzugeben, ob sie eine vernetzte Lernumgebung durchführen. Wenn sie dies bejahten, wurden sie gebeten, die- se einem Vernetzungsmodell (Tab.  1) zuzuordnen. In dem hier untersuchten Zeitraum (SoSe 2017) wurden 31 Lernumgebungen umgesetzt, von denen von den Lehrenden ungefähr die Hälft e einem Vernetzungsmodell (N  =  61) zu- geordnet wurden. Platz  1 belegte das Integrationsmodell, gefolgt vom Koope- rationsmodell und vom Teamteaching-Modell. Deutlich seltener wurden das Transdisziplinäre Modell und das Praxismodell als Grundlage für die Konzep- tion einer Lehrveranstaltung genutzt (Ziepprecht & Gimbel, 2018). Der Be- fund aus der Mitte der ersten Projektphase, dass häufi g das Integrationsmodell genutzt wurde, kann unter anderem vor dem Hintergrund diskutiert werden, dass in vielen Fällen Lehrende zu diesem Zeitpunkt noch auf die Mitvermitt- lung anderer Professionsbereiche setzten. Ein Vergleich mit Daten aus der ak- tuellen Projektphase würde interessante Hinweise darauf geben, inwiefern ein Ausbau von Kooperationen stattgefunden hat. 1.3 Einbettung und Weiterentwicklung der Vernetzungsmodelle im hochschulübergreifenden Diskurs Die Vernetzungsmodelle wurden im Rahmen einer standortübergreifenden Arbeitsgruppe von Wissenschaft lerinnen und Wissenschaft lern aus verschie- denen Projekten der Qualitätsoff ensive Lehrerbildung diskutiert. In einem gemeinsamen Beitrag (Hellmann et al., angenommen) wurden die Konzepte „Kohärenz als übergeordnetes Leitmotiv“, „Verzahnung auf Seiten der Lern- umgebungen“ und „Vernetzung auf der kognitiven Ebene“ ausdiff erenziert. Die Kasseler Vernetzungsmodelle wurden in den Bereich der Verzahnung einge- ordnet, sodass die Begriff snutzung hier vom ursprünglichen Ansatz abweicht. Das entwickelte Angebots-Nutzungs-Modell der Kohärenzbildung (Hellmann et al., angenommen) beschreibt diese als einen Prozess, in dem Hochschulleh- rende ein curricular verzahntes Angebot anbieten (z. B. ein Seminar zur An- regung von Vernetzung von Wissen aus Fachdidaktik und Fachwissenschaft ), das durch ihre Einstellungen, Kompetenzen und Vorerfahrungen beeinfl usst ist. Diese verzahnte Lernumgebung bietet den Studierenden die Möglichkeit zur Vernetzung von Wissen aus unterschiedlichen Professionswissensberei- chen. Wird diese Möglichkeit zur Wissensvernetzung von den Studierenden wahrgenommen, und als sinnhaft und relevant für Studium und Berufspraxis interpretiert, wird sie mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit genutzt. Die Nutzung schließt eine aktive Wissensverarbeitung und Elaboration sowie eine Refl exion der Inhalte ein. Positive Wirkungen der Verzahnung und anschlie- 208 Kathrin Ziepprecht & Monique Meier ßenden Wissensvernetzung zeigen sich möglicherweise in veränderten Einstel- lungen der Studierenden (z. B. hinsichtlich bestimmter fachwissenschaft licher Veranstaltungen), einer erhöhten Studienmotivation, einem vernetzten Pro- fessionswissen oder, auf lange Sicht, in einer erhöhten professionellen Hand- lungskompetenz. Die Resultate dieses Prozesses werden von den Eingangsvo- raussetzungen der Studierenden (z. B. Erwartungen hinsichtlich des Studiums, Vorwissen) und dem Professionalisierungskontext (z. B. institutionelle Rah- menbedingungen, personelle Ausstattung der Hochschule) beeinfl usst. Das Modell beschreibt einen möglichen Weg der Kohärenzbildung, benennt Ein- fl ussfaktoren und Wirkketten und kann sowohl eine Grundlage für die Gestal- tung einer kohärenten Lehrerbildung im Ganzen als auch für die empirische Prüfung von Zusammenhängen sein. 2 Umsetzung und Weiterentwicklung des Integrationsmodells im Teilprojekt „Weiterentwicklung der Experimentier- Werkstatt Biologie (FLOX) als integratives Lehr-Lernlabor in der Lehramtsausbildung zur Verbesserung der Praxis- und Forschungsorientierung des Lehramtsstudiums“ Die konkreten Wege der methodischen und personellen Umsetzung der Ver- netzung im Sinne eines der angeführten Modelle (Tab. 1) in hochschuldidakti- schen Lernumgebungen sehen zuweilen sehr unterschiedlich aus (Lehrbeispie- le in Meier, Ziepprecht & Mayer, 2018; s. Beitrag von Gimbel, Grospietsch & Ziepprecht in diesem Band). Bedingt durch die Merkmale des jeweiligen Mo- dells und den gewählten inhaltlichen Schwerpunkt rücken Fach, Fachdidak- tik oder Bildungswissenschaft sowie externe Kooperationen mehr oder weni- ger stark in den Vordergrund des Lehr-Lerngeschehens. Im Folgenden wird das Integrationsmodell am Beispiel einer konkreten Lernumgebung mit Fokus auf den Ergebnissen einer dort verorteten Studie vorgestellt und seine Weiter- entwicklung in der zweiten Projektphase skizziert. 2.1 Die Umsetzung und Einbettung des Integrationsmodells Inhaltstragendes Element der hier beschriebenen Lernumgebung zur Inte- gration von Fach- und Bildungswissenschaft in eine fachdidaktische Lehrver- anstaltung ist die Förderung und Festigung von Diagnosekompetenz. Die Be- deutung des diagnosegeprägten Aufgabengebiets im Lehrerberuf wird durch die gesetzten Standards für die Lehrerbildung – Bildungswissenschaft und An- Umsetzung und Weiterentwicklung von Modellen 209 forderungen für die Fachwissenschaft en und Fachdidaktiken (KMK, 2019a, b) untermauert. In beiden Dokumenten und damit in allen drei Wissensberei- chen der professionellen Handlungskompetenz (Baumert & Kunter, 2006) wird Diagnostik als inhaltlicher Schwerpunkt (der Bildungswissenschaft ) und Ele- ment eines (fachspezifi schen) Kompetenzprofi ls angeführt (KMK, 2019a, b). Die zu diesem Zweck gestaltete Lernumgebung wurde durch die Integration des Lehr-Lern-Labors FLOX entscheidend geprägt. In beiden Förderzeiträu- men von PRONET und PRONET2 unterlag die Experimentier-Werkstatt Bio- logie (FLOX) einer Weiterentwicklung von der ursprünglichen Ausrichtung eines Schülerlabors hin zu einem curricular eingebundenen Lehr-Lern-Labor. Konzeptionell richtet sich das Angebot von FLOX an drei in der Lehrerbildung beteiligten Institutionen und ihre Akteurinnen und Akteure (Meier & Wulff , 2013). In der Hochschule ist FLOX integrativer Teil von Lehrveranstaltungen und Forschungsprojekten, deren Ergebnisse dann wiederum in die Lehramts- ausbildung einfl ießen. Letzteres wurde im Rahmen der Qualitätsoff ensive Leh- rerbildung maßgeblich vorangetrieben mit einem besonderen Schwerpunkt auf der Förderung von Diagnosekompetenz im naturwissenschaft lichen Expe- rimentalunterricht. Mit dem Ziel der Förderung eines fach-/diagnosebezogenen Professions- wissens zum Experimentieren wurde auf Basis der curricularen Anforderun- gen eine vernetzte Lernumgebung „Experimentieren diagnostizieren“ ent- wickelt und empirisch geprüft . Integriert in eine fachdidaktische (Pfl icht-) Lehrveranstaltung wurden pädagogisch-psychologische Inhalte zur Diagnos- tik, wie die Objektivität diagnostischer Urteile (u. a. Spinath, 2005), zunächst allgemeinpädagogisch erläutert und im zweiten Schritt fachspezifi sch ange- wendet. In dieser Anwendung wurde das fachmethodische Wissen zum Ex- perimentieren in der Diagnose von Schülerhürden beim Experimentieren (in FLOX-Modulen) fachdidaktisch zusammengeführt (nähere Ausführungen zur Lernumgebung fi nden sich in Meier, Grospietsch & Mayer, 2018). Das von den Studierenden im ersten Abschnitt zur Lernumgebung erworbene diagnostische Wissen und eine aufgebaute Experimentierkompetenz wurden anschließend angewendet, zum einen in Diagnoseübungen mit Vignetten mit realen Schü- lerszenarien zu einem FLOX-angebundenen Experimentiermodul sowie zum anderen im Zuge einer realen Hospitation und Mitbetreuung von Kleingrup- pen von Schülerinnen und Schülern in einem FLOX-Modul. Mit der explizi- ten Einbindung der Experimentier-Werkstatt Biologie in das Projektvorhaben wird das Lehr-Lern-Laboren zugesprochene Potenzial zur Ausrichtung einer praxisorientierten und anwendungsbezogenen Lehramtsausbildung metho- disch unterschiedlich genutzt bzw. umgesetzt (Bosse, Meier, Trefzger & Ziep- precht, 2020). 210 Kathrin Ziepprecht & Monique Meier 2.2 Empirische Untersuchung zur vernetzten Lernumgebung „Experimentieren diagnostizieren“ Der Fokus der Begleitforschung lag auf dem Inhalts- und Wissensbereich Dia- gnostik in der fachspezifi schen Lehramtsausbildung. In diesem Zusammen- hang wurde u. a. die Sichtweise der Studierenden sowie die Wirkung von ver- schiedenen Ansätzen zur Förderung der Diagnosekompetenz in den Blick genommen. Folgende Forschungsfragen waren hierbei leitend1: (F1) Welchen Stellenwert messen die Studierenden der Diagnosekompe- tenz bei? (F2) Wie beurteilen die Studierenden den Wert verschiedener Ansätze (reale Hospitation, Video, Vignetten) zur Förderung der Diagnose- kompetenz für ihre eigene berufl iche Ausbildung sowie deren Au- thentizität? (F3) Inwiefern gelingt die Förderung von Kompetenzen im Bereich der fachbezogenen Statusdiagnostik mithilfe von verschiedenen Vignet- tenformaten (Text, Cartoon, Video)? (F1) Zum Stellenwert der Diagnostik wurden die Studierende in der Eingangs- befragung gebeten, auf einer Likert-Skala von 1 (niedrig) bis 5 (sehr hoch) diesen, bezogen auf ihr Lehramtsstudium, einzuschätzen und eine Begrün- dung dazu anzuführen (off enes Antwortformat). Die Ergebnisse zeigen, dass der Stellenwert der Diagnostik im Lehramtsstudium durch die Studierenden vom Projektbeginn bis in die zweite Förderphase mehrheitlich als hoch einge- stuft wird (69 % von n = 88 über drei Semesterkohorten: WS 16/17, SoSe 17, WS 17/18; 58 % von n = 55 im SoSe 2020). In den Begründungen der Studie- renden, die bei dieser Eingangsfrage zur Lehrveranstaltung keine Positionie- rung vornehmen wollten (Antwortkategorie: Kann ich nicht beurteilen) oder die der Diagnostik einen niedrigen Stellenwert beimaßen, wurde vornehmlich die fehlende Erfahrung und die geringe Th ematisierung im Studium angeführt („Kam mit dem Th ema so selten in Kontakt, dass ich darüber kaum urteilen kann.“ Studentin im 3.  FS im WS  17/18; „Das Th ema wird in Veranstaltun- gen meistens nicht sehr ausführlich angesprochen, [...].“ Studentin im 6.  FS im SoSe  2020). Das Th ema ist insbesondere für das Fach fortwährend aktu- ell, auch weil die eigene Kompetenz im Bereich Diagnostik zumeist als nied- rig eingeschätzt wird (Dübbelde, 2013). Inwieweit sich hier eine positive Ent- 1 Die Zusammensetzung der Stichprobe aus PRONET (N = 98 Lehramtsstudierende, 82 % weiblich, 33 % Lehramt an Real- und Hauptschulen, 67 % Lehramt an Gym- nasien) variiert je nach Forschungsfrage, sodass die entsprechenden Angaben bei den Ergebnissen angeführt sind. Umsetzung und Weiterentwicklung von Modellen 211 wicklung über die vernetzte Lernumgebung zeigt, bedarf weiterer Analysen in der 2. Förderphase. (F2) In der Lernumgebung wurden unterschiedliche methodische und media- le Zugänge zur Förderung der Diagnosekompetenz umgesetzt (Meier, Gro- spietsch & Mayer, 2018). Zentral für die hier beschriebene Untersuchung wa- ren der Einsatz von Vignetten, die Ausschnitte der Praxis zeigen, sowie die Einbindung realer Schulklassen in der Durchführung eines Experimentier- moduls. In der Abschlussbefragung zur Lernumgebung wurden von den Stu- dierenden diese konzeptionellen Elemente bezogen auf ihre Authentizität und Lernförderlichkeit mit insgesamt sieben Items auf einer 5-stufi gen Likert-Ska- la vergleichend beurteilt. Im Vergleich von realer Hospitation und Videos als Diagnosevignetten schneidet das reale Unterrichtssetting in FLOX bei 79 % der Studierenden, bezogen auf die Erweiterung ihrer diagnostischen Fähigkeiten, besser ab (1 Item, n = 34 im SoSe 2017, WS 2017/18). Ähnlich wie in anderen Studien mit Praxis-Vignetten-Vergleich, nehmen die Studierenden einen deut- lichen Mehrwert der realen Arbeit mit Schülerinnen und Schülern für ihre be- rufl iche Ausbildung wahr (u. a. Ihn-Huber & Oldenburg, 2017). Insbesondere das Sammeln von Praxiserfahrungen, die Beobachtung mehrerer Gruppen und das Erleben der Klassen-Atmosphäre werden hier als Begründungen (off enes Antwortformat) angeführt. Daneben wird von den Studierenden aber auch das Potenzial von Videos als Lerninstrument erkannt bzw. angemerkt, da sie punktuell zum Einstieg, zur Analyse ausgewählter Prozesse und zur Vorberei- tung auf den Klassenbesuch eingesetzt werden können. Auch Videovignetten- basierten Veranstaltungsformen wird damit ein positiver Wert zugesprochen (Ihn-Huber & Oldenburg, 2017), der sich auch empirisch in der Möglichkeit zur Fokussierung auf die Diagnosetätigkeit zeigt (Meister, Nitz, Schwanewedel & Upmeier zu Belzen, 2020). Der Einsatz von Vignetten als authentischem, fokussiertem und ökonomi- schem Zugang zum schulpraktischen Feld bildet ein weiteres methodisches Werkzeug zur Vernetzung aller drei Professionswissensbereiche über das ver- bindende Element der Diagnostik in der Lernumgebung. Dargestellt in unter- schiedlichen Formaten (Video, Cartoon und Text/Transkript) wurden Teams von Schülerinnen und Schülern beim Experimentieren von den Studierenden in ihren Fähigkeiten und Schwächen diagnostiziert und beurteilt. In diesen Diagnoseübungen arbeiteten die Studierenden in den Phasen Hypothesenfor- mulierung, Planung und Deutung des naturwissenschaft lichen Erkenntnispro- zesses mit den Vignetten nacheinander mit je einem Format. Die Einschätzung der Authentizität/Realitätsnähe und Relevanz im Vergleich der unterschiedli- chen Formate ist sehr eindeutig und hebt das Video aus Sicht der Studieren- 212 Kathrin Ziepprecht & Monique Meier den auf Platz eins (Dannemann et al., 2018; Bartel & Roth, 2020). Mehr als zwei Drittel der Studierenden in dieser Studie beurteilen das Video im di- rekten Vergleich mit Cartoon und Text/Transkript als authentischer (n  =  48, SoSe  2017, WS  2017/18). Hinsichtlich der Eignung des jeweiligen Vignetten- formates zur Förderung der Diagnosefähigkeiten zum Experimentieren zeich- nete sich ein weniger eindeutiges Bild ab. Beim Vergleich des Videos mit dem Format Text/Transkript sprechen 47 % der Studierenden beiden Formaten eine hohe Lernförderlichkeit zu, im Vergleich von Video und Cartoon sind es noch 38 %, die sich für beide Formate aussprechen. Auch wenn das Format Video hinsichtlich der Förderung von Diagnosekompetenz von etwa der Hälft e der Studierenden (n = 48, SoSe 2017, WS 2017/18) als am besten geeignet einge- schätzt wird, zeigen die Befunde eine Tendenz hin zu einem diff erenzierten Einsatz von verschiedenen Vignettenformaten. (F3) Um die Wirkung des Vignetteneinsatzes und -formates für die Förderung von Diagnosekompetenz zu überprüfen, wurde zu fünf Messzeitpunkten ein Kompetenztest zur Erfassung von fachbezogenen Fähigkeiten im Bereich der Statusdiagnostik2 (erweitert nach Dübbelde, 2013) eingesetzt. Auf Basis der hierbei gewonnenen Erkenntnisse in PRONET lassen sich jedoch noch keine empirisch eindeutigen Aussagen treff en. Ein Kompetenzzuwachs im Bereich Statusdiagnostik konnte über alle drei Phasen des naturwissenschaft lichen Er- kenntnisprozesses (unabhängig vom Vignettenformat) nicht nachgewiesen werden (Dannemann et al., 2018). Jedoch zeigt sich in der Analyse der Leis- tung in den einzelnen Phasen ein diff erenzierteres Bild. Während die Studie- renden in der Einstufung von Hypothesenformulierungen der Schülerinnen und Schüler nach der jeweiligen Vignette signifi kant besser werden (t = -5.943, p = .000, n = 92), fällt das Leistungsniveau bei der Bearbeitung der Vignetten zur Planung eines Experimentes signifi kant ab (t  =  2.993, p  =  .004, n  =  92), bei der Phase der Deutung zeigt sich kein signifi kantes Ergebnis. Auch bei der Analyse der einzelnen Vignettenformate zeichnen sich Unterschiede ab, die sich in eine bereits bestehende noch wenig ausgeprägte und zudem divergente Befundlage zur Wirksamkeit unterschiedlicher Vignettenformate/Fallmedien im Kontext von Diagnostik einordnen lassen (u. a. Hoppe, Renkl & Rieß, 2020: keine Leistungsunterschiede im Vergleich Text und Videovignette; Reuter, Zu- cker & Leuchter, 2019: spezifi sche Unterschiede zwischen den Formaten ohne direkten Vergleich). In der hier vorliegenden Studie haben die Studierenden 2 In der Statusdiagnostik richtete sich das Augenmerk auf summativ erfassba- re und relativ stabile Merkmalsausprägungen/Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler, die zu Beginn und/oder am Ende abgrenzbarer Arbeitsphasen oder des Lernprozesses beobachtet bzw. diagnostiziert werden (Aufschnaiter et al., 2015, s. Beitrag von Dübbelde & Aufschnaiter in diesem Band). Umsetzung und Weiterentwicklung von Modellen 213 mit der Cartoon-Vignette in den Phasen zur Hypothesenformulierung besser gelernt (t = -3.31, p =  .003, n = 28) bzw. wurden in ihren diagnostischen Fä- higkeiten stärker geschult als mit dem Video. Das Vignettenformat kann auch hier Einfl uss auf das Leistungsbild haben und damit für eine Diff erenzierung im hochschuldidaktischen Einsatz sprechen. Zudem liegt die weiter zu unter- suchende Hypothese nahe, dass das Vignettenformat ebenso wie die Ausprä- gung der diagnostischen Fähigkeiten in seiner Wirkung vom Fach bzw. dem gewählten fachlichen und fachdidaktischen Kontext beeinfl usst wird. 2.3 Weiterentwicklung in der zweiten Förderphase Sowohl bezogen auf die angestrebte Vernetzung von Fach, Fachdidaktik und Bildungswissenschaft als auch in den skizzierten methodischen Wegen der Einbindung eines Lehr-Lern-Labors in die Lehramtsausbildung konnten aus den Erfahrungen und Befunden in PRONET wichtige Fragen und weiterfüh- rende Schritte zur Qualitätsverbesserung der Lehramtsausbildung in PRO- NET2 auf Teilprojektebene abgeleitet werden: – In den Fähigkeiten zur Statusdiagnostik lässt sich keine aussagekräft ige Förderung durch den Vignetteneinsatz verzeichnen. Die Vernetzung von fachmethodischem Wissen zur Durchführung naturwissenschaft licher Ex- perimente mit diagnostischen Grundlagen greift mehr als eine punktge- naue Erfassung von ausgewählten Kompetenzen bei den Studierende ab. Wie dem Erkenntnisprozess zum Experimentieren selbst, liegt auch der Diagnostik von Fähigkeiten in diesem Bereich ein Prozesscharakter zu- grunde, den es über andere Verfahren zu erfassen sowie im Kontext der an- visierten Vernetzung zu interpretieren gilt. Inwieweit werden Studieren- de über den Einsatz von Vignetten und/oder einer realen Schülerbetreuung beim Experimentieren in ihrer Kompetenz im Bereich Prozessdiagnostik ge- fördert? Welchen Einfl uss haben der wahrgenommene Vernetzungsgrad und die damit einhergehenden kognitiven Hürden auf die Ausprägung der Kom- petenzen im Bereich Status- und Prozessdiagnostik? – Hinsichtlich der eingesetzten Vignettenformate kann auf Formatebene keine abschließende Aussage bezüglich der Überlegenheit eines Forma- tes getroff en werden. Tendenzen sind absehbar und müssen zukünft ig im Kontext der Fachspezifi tät weiterführend geprüft werden. Auf der Rele- vanz- und Gestaltungsebene wurde deutlich, dass das Video auch in dieser Studie als authentischstes Format wahrgenommen wird, obwohl es mehr Anforderungen an die Studierenden in der Diagnostik in sich birgt. Letzte- 214 Kathrin Ziepprecht & Monique Meier res bedarf einer Weiterentwicklung in der Fokussierung von Videovignet- ten auf ein diagnostisches Blickfeld und deren Ausschärfung für die Nutze- rinnen und Nutzer. Wie können Videovignetten inhaltlich fokussierter aufb ereitet und methodisch eff ektiver eingebettet werden, um zu einem sig- nifi kanten Kompetenzzuwachs zu führen? (s. Beitrag von Meyer-Odewald et al. in diesem Band; Horn & Meier, im Druck) 3 Fazit Auf Basis der konzeptionellen Überlegungen, Lehrbeispiele und empirischen Befunde stellt sich abschließend die Frage nach den Schwierigkeiten und den Potenzialen, die sich im Zusammenhang mit dem Einsatz, der Diskussion und der Weiterentwicklung der Vernetzungsmodelle ergeben. Bezogen auf das Ge- samtprojekt und die Fokussierung auf Vernetzung im Handlungsfeld III fan- den insbesondere in der 1. Förderphase intensive und konstruktive Diskussio- nen mit den Teilprojekten statt. In diesen wurde an einigen Stellen deutlich, dass andere, in ihrer Fachspezifi tät geprägte Formen der Vernetzung über die beschriebenen Modelle hinaus, existent sind, so dass sich nicht alle Akteurin- nen und Akteure in der vorgestellten Konzeption verorten konnten. Trotzdem entfalteten die Modelle auf Projektebene ihr Potenzial zur Systematisierung und zur Schaff ung eines verallgemeinerbaren, fachübergreifenden Überblicks über die in den Lernumgebungen umgesetzten Vernetzungsansätze. Im Prozess des hochschulübergreifenden Diskurses ergaben sich Abwei- chungen von der ursprünglichen Konzeption, beispielsweise im Bereich der Begriffl ichkeiten. Schlussendlich wurde jedoch ein Austausch über die eige- nen Begriffl ichkeiten, die zugrunde liegenden Konzepte und die Modelle er- reicht. Dies erhöhte auch die Rezeption der hier vorgestellten Arbeiten. In der Betrachtung von Teilprojekten (s. auch Beitrag von Gimbel, Grospietsch & Ziepprecht in diesem Band) zeigt sich, dass die Integration der verschiede- nen Lernumgebungselemente mit dem Ziel der Umsetzung von Vernetzung, im hier dargestellten Beispiel Lernen im Lehr-Lern-Labor, Experimentieren und Diagnostik nach dem Integrationsmodell, eine Herausforderung darstellt. Die Modelle bieten jedoch in jedem Fall eine Orientierung bei der Fokussie- rung der zu vernetzenden Professionswissensbereiche und für die Art der Ver- netzung. Schlussendlich konnten auf hochschulübergreifender Ebene eine gute Pas- sung der Modelle der verschiedenen Standorte und eine höhere Sichtbarkeit der standortspezifi schen und der gemeinsamen Arbeiten erreicht werden. Für die Projekte PRONET und PRONET2 und das darin verortete Handlungsfeld Umsetzung und Weiterentwicklung von Modellen 215 III stellten und stellen die Modelle eine Diskussionsgrundlage mit Erweite- rungspotenzial dar. Auf Teilprojektebene bieten sie einen Rahmen für die Ver- netzungsaktivitäten. Anmerkung Das diesem Artikel zugrundeliegende Vorhaben wurde im Rahmen der ge- meinsamen „Qualitätsoff ensive Lehrerbildung“ von Bund und Ländern mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter den Förder- kennzeichen 01JA1505 und 01JA1805 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröff entlichung liegt bei den Autorinnen. Literatur Aufschnaiter, C. v., Cappell, J., Dübbelde, G., Ennemoser, M., Mayer, J., Stiensmei- er-Pelster, J., Sträßer, R. & Wolgast, A. (2015). Diagnostische Kompetenz. Zeit- schrift für Pädagogik, 61(5), 738–759. Bartel, M.-E. & Roth, J. (2020). Video- und Transkriptvignetten aus dem Lehr-Lern- Labor – die Wahrnehmung von Studierenden. In B. Priemer & J. Roth (Hrsg.), Lehr-Lern-Labore. Konzepte und deren Wirksamkeit in der MINT-Lehrpersonen- bildung (S. 299–315). Berlin: Springer. Baumert, J. & Kunter, M. (2006). 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Vernetzte Lernumgebungen – empirische Be- funde zu Präferenzen von Studierenden und zur Umsetzung im Lehrangebot. In M. Meier, K. Ziepprecht & J. Mayer (Hrsg.), Lehrerausbildung in vernetzten Lernumgebungen (S. 21–34). Münster: Waxmann. Katharina Gimbel, Finja Grospietsch & Kathrin Ziepprecht Aspekte professioneller Handlungskompetenz fach- und inhaltsspezifi sch ausdiff erenzieren und theoriebasiert fördern Das Kasseler Qualitätsoff ensive-Projekt „Professionalisierung durch Vernetzung (PRONET)“ begann für mich, Kathrin Ziepprecht, damit, dass ich einen Projektzeit- plan erstellen sollte. Jürgen Mayer hatte mich kurz vor der Abgabe meiner Disser- tation in die Vorbereitung des Kasseler Antrags einbezogen und schon nach kurzer Zeit war klar, dass dieses Projekt die Arbeit in der Abteilung in den nächsten Jah- ren prägen würde. In den dort angesiedelten Teilprojekten „Contemporary Science“ und „Kognitionspsychologische Konzepte“ wurden Katharina Gimbel und Finja Gros- pietsch als wissenschaft liche Mitarbeiterinnen eingestellt. Von Anfang an war es Jür- gen Mayer ein besonderes Anliegen, dass die biologiedidaktischen Teilprojekte einen regen Austausch pfl egen, um neben den eigenen Projektzielen auch gemeinsame For- schungsstränge zu verfolgen. Ein Herzstück der konstruktiven Zusammenarbeit bilde- te dabei die PRONET-AG und über das Projekt PRONET hinaus die Forschungs-AG. „Es geht immer auch um eine Ausdiff erenzierung und Weiterentwicklung von Model- len“ bzw. „Die Entwicklung von Lernumgebungen muss theoriebasiert erfolgen“ sind Sätze, die Jürgen Mayer seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Rahmen der AGs immer wieder in Erinnerung gerufen hat und die die Arbeit in beiden Teilpro- jekten geprägt haben. Mit seinen visionären Ideen und Anregungen, immer ein mög- liches gemeinsames Endprodukt, den nächsten Forschungsantrag und die zukünft ige Arbeit im Blick zu haben, hat Jürgen Mayer die PRONET-Teilprojekte zu dem ge- macht, was sie geworden sind. 1 Einleitung Mit dem Ziel, Hochschulen in ihren Bemühungen zu unterstützen, die Lehr- kräft eausbildung zu reformieren sowie ihre Qualität nachhaltig zu verbessern, startete in Deutschland 2015 die von Bund und Ländern gemeinsam beschlos- sene Qualitätsoff ensive Lehrerbildung. Der vorliegende Beitrag steht im Kontext des zugehörigen Kasseler Projekts Professionalisierung durch Vernetzung (PRO- NET). Zwei Teilprojekte, unter Beteiligung der Didaktik der Biologie, die sich mit der Förderung ausgewählter Aspekte professioneller Handlungskompetenz angehender Biologielehrkräft e beschäft igten, sind Contemporary Science in der Lehrerbildung (Contemporary Science) und Kognitionspsychologische Konzepte zur Förderung von nachhaltigem Lernen und Transfer in Biologie und Mathema- tik (Kognitionspsychologische Konzepte). Das Teilprojekt Contemporary Science, 220 Katharina Gimbel, Finja Grospietsch & Kathrin Ziepprecht in dem die drei Naturwissenschaft sdidaktiken der Universität Kassel koope- rierten, verfolgte das Ziel, die Professionsentwicklung angehender Lehrkräft e der Biologie, Chemie und Physik durch eine gezielte Verzahnung fachwissen- schaft licher und fachdidaktischer Inhalte am Beispiel aktueller Fachforschung zu fördern (Mayer et al., 2017). Das Kooperationsprojekt Kognitionspsycholo- gische Konzepte der Didaktik der Biologie und der Didaktik der Mathematik nahm sich der Einbettung kognitionspsychologischer Konzepte in die Lehr- kräft eausbildung an. Im biologiedidaktischen Schwerpunkt des Teilprojekts wurde das Th ema Nachhaltiges Lernen aus Perspektive dreier Disziplinen be- leuchtet: Biologiedidaktik, Kognitionspsychologie und Neurowissenschaft . Durch die Verzahnung spezifi scher Inhalte dieser für gewöhnlich fragmentiert gelehrten Studienelemente sollte ein Ertrag für die professionelle Handlungs- kompetenz angehender Biologielehrkräft e erzielt werden (Mayer, Borromeo Ferri, Grospietsch & Sch äfer, 2017). Untersuchungsgegenstand beider Teilprojekte stellten das Professionswis- sen und die professionellen Überzeugungen (vgl. Baumert & Kunter, 2006) dar. Dabei wurde insbesondere auf das fachliche und fachdidaktische Wissen sowie die subjektiven Th eorien und epistemologischen Überzeugungen fokus- siert und in jedem Teilprojekt ein spezifi scher Inhaltsbereich der Biologie in den Blick genommen. Das Teilprojekt Contemporary Science fokussierte auf Inhalte des Th emenbereichs Genetik. Im Teilprojekt Kognitionspsychologische Konzepte stand das Th ema Gehirn und Lernen mit neurobiologischen Inhalten im Mittelpunkt. Im Rahmen dieses Beitrags wird anhand der zwei Projektbei- spiele dargestellt, wie das Modell professioneller Handlungskompetenz (Bau- mert & Kunter, 2006) fach- bzw. inhaltsspezifi sch ausdiff erenziert wurde und wie sich auf dieser Basis theoriebasiert verzahnte Lehrveranstaltungen nach dem sogenannten Integrationsmodell (Mayer, Ziepprecht & Meier, 2018) kon- zipieren ließen. 2 Fach- und inhaltsspezifi sche Ausdiff erenzierung von Professionswissen und Überzeugungen angehender Biologielehrkräft e Professionswissen und professionelle Überzeugungen sind Aspekte profes- sioneller Handlungskompetenz (Baumert & Kunter, 2006), denen eine be- sondere Relevanz für das berufl iche Handeln von Lehrkräft en zugesprochen wird (Kunter & Pohlmann, 2015). Das Professionswissen kann u. a. in fach- liches (FW), fachdidaktisches (FDW) und pädagogisch-psychologisches Wis- sen (PPW) unterteilt werden. Das PPW umfasst Facetten des bildungswis- senschaft lichen Wissens sowie des allgemeinen pädagogischen Wissens und Aspekte professioneller Handlungskompetenz 221 Könnens (Voss & Kunter, 2011). FW und FDW stellen fachspezifi sche Bereiche des Professionswissens dar (Kunter & Pohlmann, 2015), d. h., Lehrkräft e unter- schiedlicher Fächer benötigen unterschiedliches Professionswissen. Eine Bio- logielehrkraft benötigt z. B. FW zu Genetik und Neurobiologie. Um dieses FW adressatengerecht zu vermitteln, benötigt sie wiederum FDW zu entsprechen- den Schülervorstellungen und Instruktionsstrategien. Professionelle Überzeugungen können in subjektive Th eorien sowie epis- temologische Überzeugungen zur Struktur, Genese und Validierung von Wissensbeständen (Baumert & Kunter, 2006) unterschieden werden. Fach- spezifi sch betrachtet können letztere in den Naturwissenschaft en als Nature-of- Science-Überzeugungen bezeichnet werden (Neumann & Kremer, 2013). In- haltliche Schwerpunkte der Nature-of-Science-Überzeugungen bilden z. B. die Rollen der Forschenden als Personen, die Bedeutung des Experiments bei der Erkenntnisgewinnung sowie die (natur-)wissenschaft liche Wissensproduktion (Lederman, 1992; Urhahne, Kremer & Mayer, 2008). In Bezug auf die subjek- tiven Th eorien zum Lehren und Lernen werden z. B. konstruktivistische und transmissive Lehr-Lernüberzeugungen unterschieden. Im Sinne der konstruk- tivistischen Lehr-Lernüberzeugungen ist das Lernen ein aktiver und selbstge- steuerter Prozess, wohingegen die Auff assung, dass Wissen und Informationen von der Lehrkraft auf die Lernenden übertragen werden können, das Kern- element der transmissiven Lehr-Lernüberzeugungen ist (Staub & Stern, 2002). Während FW und FDW immer auf einen konkreten Fachinhalt bezogen sind, können Überzeugungen auf verschiedenen Ebenen betrachtet und ge- messen werden (Gimbel, Ziepprecht & Mayer, 2018; Ziepprecht, Gimbel, Mo- tyka & Mayer, 2019). Lehr-Lernüberzeugungen können s ich beispielsweise sowohl auf das Lernen im schulischen Kontext allgemein als auch auf ein spe- zielles Unterrichtsfach beziehen. Studien deuten darauf hin, dass die Proban- dinnen und Probanden hier über unterschiedlich ausgeprägte Überzeugun- gen verfügen (Bryan & Atwater, 2002; Eichler, 2011; Girnat & Eichler, 2011; Kleickmann, 2008; Woolfolk Hoy, Davis & Pape, 2006). Für das Fach Biolo- gie und exemplarisch für die Fachinhalte Genetik und Evolution konnte ge- zeigt werden, dass angehende Lehrkräft e hinsichtlich des Fachs Biologie und der angesprochenen Fachinhalte über unterschiedlich ausgeprägte Nature-of- Science- und Lehr-Lernüberzeugungen verfügen. Hierbei waren die allgemein auf das Fach Biologie bezogenen konstruktivistischen Lehr-Lernüberzeugun- gen und Nature-of-Science-Überzeugungen höher und die transmissiven Lehr- Lernüberzeugungen niedriger ausgeprägt als die jeweiligen Überzeugungen auf Ebene der Fachinhalte Genetik und Evolution. Unterschiede in der Aus- prägung der beiden Fachinhalte konnten nicht gefunden werden (Gimbel et al., 2018). Die Ergebnisse zeigen, dass es Konsequenzen hat, auf welcher Ebene man Überzeugungen misst und diese zudem Auswirkungen auf die Gestaltung 222 Katharina Gimbel, Finja Grospietsch & Kathrin Ziepprecht Abbildung 1: Ausdiff erenzierung des Modells der professionellen Handlungskompetenz nach Baumert und Kunter (2006) für das Fach Biologie sowie die Fachinhalte Genetik und Neurobiologie Aspekte professioneller Handlungskompetenz 223 und Evaluation von Lernumgebungen hat. Sollen in einer Lernumgebung, die einen bestimmten biologischen Fachinhalt (z. B. Genetik) thematisiert, Über- zeugungen von angehenden Lehrkräft en verändert werden, sollten diese ent- sprechend auf der inhaltsspezifi schen Ebene fokussiert und gemessen werden. Im Gegensatz dazu empfi ehlt es sich auf allgemein-fachlicher Ebene zu blei- ben, wenn ein übergeordnetes Th ema (z. B. das Th ema Lernen) Gegenstand einer Lernumgebung ist. Abbildung  1 zeigt, wie Professionswissen, Lehr-Lern- und Nature-of-Sci- ence-Überzeugungen in den Projekten Contemporary Science und Kognitions- psychologische Konzepte ausdiff erenziert wurden. Im Projekt Contemporary Science wurden FW und FDW auf den Inhalt Genetik bezogen. Im Projekt Ko- gnitionspsychologische Konzepte wurde auf den Inhalt Neurobiologie fokussiert. Die Lehr-Lernüberzeugungen und die Nature-of-Science-Überzeugungen wur- den sowohl auf Ebene der Biologie als auch auf Ebene der Fachinhalte Genetik und Neurobiologie ausdiff erenziert. 3 Th eoriebasierte Förderung von Professionswissen durch das Integrationsmodell Die inhaltsspezifi sche Ausdiff erenzierung von Professionswissen wurde in den Projekten Contemporary Science und Kognitionspsychologische Konzep- te als Grundlage verwendet, um die für die professionelle Handlungskompe- tenz angehender Biologielehrkräft e relevanten Studieninhalte zu identifi zieren und im Rahmen von Lehrveranstaltungen systematisch miteinander zu ver- zahnen. Gestaltet wurden diese Lernangebote theoriebasiert nach einem Ver- zahnungsmodell, das von Jürgen Mayer und Kolleginnen (Mayer et al., 2018) entwickelt wurde: dem sogenannten Integrationsmodell. Es zeichnet sich da- durch aus, dass in eine Lehrveranstaltung mit Schwerpunkt auf einem Profes- sionswissensbereich Inhalte weiterer Wissensbereiche integriert werden (z. B. fachwissenschaft liche und/oder pädagogisch-psychologische Wissensinhalte in eine fachdidaktische Lehrveranstaltung) (Mayer et al., 2018). Ziel der Um- setzung des Integrationsmodells in den Projekten Contemporary Science und Kognitionspsychologische Konzepte zu den Th emen Genetik bzw. Nachhaltiges Lernen war es, die Studierenden zu einer stärkeren Vernetzung ihres Profes- sionswissens anzuregen. 224 Katharina Gimbel, Finja Grospietsch & Kathrin Ziepprecht 3.1 Förderung von Professionswissen zu Genetik im Projekt Contemporary Science Im Teilprojekt Contemporary Science wurde die inhaltliche Verzahnung von Studienelementen über das Integrationsmodell im Seminar Aktuelle Th emen der Genetik im Unterricht (Kooperationsseminar mit Science Bridge) vorgenom- men (Gimbel, Ziepprecht & Mayer, 2017; Gimbel & Ziepprecht, 2018). Dazu wurden fachliche und fachdidaktische Lerninhalte der Genetik mit dem Ziel verzahnt, angehende Biologielehrkräft e auf eine adressatengerechte Vermitt- lung aktueller biologischer Forschungsgegenstände und Inhalte sowie mole- kularbiologischer Arbeitsweisen vorzubereiten. Dies ist insofern relevant, als dass Lernenden eine mündige und informierte Teilhabe an den stetig zuneh- menden gesellschaft lichen Diskursen über aktuelle biologische Forschung (z. B. zu den Th emen personalisierte Medizin oder Gentechnik) ermöglicht werden soll. Fachliche und fachdidaktische Inhalte wurden in der Lehrveranstaltung anhand der beiden Kontexte Genetischer Fingerabdruck und Restriktionsana- lyse erarbeitet, wobei zu jedem Kontext fachliche und fachdidaktische Veran- staltungen durchgeführt wurden. Tabelle 1 fasst zusammen, welche Studienele- mente, Professionswissensfacetten und Th emen im Seminar Aktuelle Th emen der Genetik im Unterricht (Kooperationsseminar mit Science Bridge) behandelt wurden. Tabelle 1: Studienelemente, Profi ssionswissensfacetten und Th emen des Seminars Aktuelle Th emen der Genetik im Unterricht (Kooperationsseminar mit Science Bridge) Studienelement Professionswissensfacette Exemplarische Seminarthemen Fachwissenschaft FW zu Genetik –– Aufb au von DNS und Proteinen– Ablauf einer PCR, Gelelektrophorese, – RestriktionsanalyseErbgänge im VergleichPopulationsgenetik Fachdidaktik FDW zu Schülerv orstel- ––– Genetischer Determinismuslungen und Instruktions- ‚Merkmalsvererbung‘strategien zum Th ema monogene vs. polygene Erbgänge Genetik Die fachlichen Inhalte und molekularbiologischen Arbeitsweisen eines jeden Kontextes wurden an einem Labortag in Kooperation mit Science Bridge e.V. (einem mobilen Schüler- und Öff entlichkeitslabor) im Rahmen von schulprak- tikablen Versuchen erarbeitet. Am ersten Labortag zum Th ema Genetischer Fingerabdruck wurden u. a. verschiedene Vorgehensweisen der Gewinnung ge- Aspekte professioneller Handlungskompetenz 225 nomischer Desoxyribonukleinsäure (DNS) erarbeitet, die Polymerasekettenre- aktion als Verfahren der in vitro Vervielfältigung von DNS diskutiert und die Agarose-Gelelektrophorese mit der Polyacrylamid-Gelelektrophorese vergli- chen. Diese Inhalte stellten sowohl für den ersten Labortag mit dem Schwer- punkt Genetischer Fingerabdruck als auch für den zweiten Labortag mit dem Schwerpunkt Restriktionsanalyse relevantes Fachwissen dar. Die fachdidaktischen Schwerpunkte der Lehrveranstaltung lagen auf Schü- lervorstellungen und Instruktionsstrategien zum Th ema Genetik sowie Nature of Science im Unterricht (für Letzteres s. Abschnitt 4.1). Hierzu wurden be- kannte Schülervorstellungen, beispielsweise zur Merkmalsvererbung (Gleich- setzung von Merkmalen und Genen) (Hammann & Asshoff , 2014) und gen- deterministische Schülervorstellungen (Dar-Nimrod & Heine, 2011) und deren Bedeutung für den Unterricht besprochen. Auf Ebene der Instruktions- strategien wurden z. B. Maßnahmen für die Vermeidung gendeterministischer Vorstellungen im Genetikunterricht, wie beispielsweise die vermehrte Behand- lung der Rolle der Umwelt und von polygenen Erbgängen (im Vergleich zu den deutlich seltener vorkommenden, aber weitaus häufi ger besprochenen monogenen Erbgängen) thematisiert (Hammann & Asshoff , 2014). Die Verzahnung zwischen den Professionswissensbereichen wurde bei- spielsweise erreicht, indem Schülervorstellungen fachlich refl ektiert und ihre Bedeutung für das praktische Arbeiten und die Implementierung aktueller Forschungsthemen in den Unterricht diskutiert wurden. Zuletzt bündelten die Studierenden nach vollständigem Abschluss der Lernumgebung beide Wis- sensbereiche in der Ausarbeitung einer kurzen Unterrichtseinheit zu einem selbstgewählten aktuellen Forschungsbezug. Im Rahmen der Begleitforschung (Gimbel & Ziepprecht, 2018) wurde mit- tels einer experimentellen Studie im Within-Subject-Design geprüft , inwiefern diese verzahnte Vermittlung der fachlichen und fachdidaktischen Lerninhal- te einer nicht verzahnten Vermittlung überlegen ist. Die Ergebnisse einer Ko- horte (N = 11) zeigen u. a., dass das FW zu Genetik gleichermaßen in der ver- zahnten und nicht verzahnten Lernbedingung gefördert wurde. Für das FDW zu Genetik zeigt sich hingegen eine Überlegenheit der verzahnten Bedingung. Es weist in dieser Bedingung eine signifi kant höhere Ausprägung auf als in der nicht-verzahnten. Es deutet sich an, dass besonders die Entwicklung des fach- didaktischen Wissens von einer verzahnten Lerninhaltsvermittlung profi tiert. 226 Katharina Gimbel, Finja Grospietsch & Kathrin Ziepprecht 3.2 Förderung von Professionswissen zum Th ema Nachhaltiges Lernen im Projekt Kognitionspsychologische Konzepte Auch das Projekt Kognitionspsychologische Konzepte nahm sich der inhalt- lichen Verzahnung von Studienelementen über das Integrationsmodell an (Grospietsch & Mayer, 2018a, 2018b). Dazu wurde eine biologiedidaktische Lehrveranstaltung zum Th ema Nachhaltiges Lernen entwickelt, die – unter Berücksichtigung der Doppelfunktion von Biologielehrkräft en als Lerncoach und Vermittler für Th emen wie Bau und Funktion des Gehirns oder Langzeit- potenzierung – neben biologiedidaktischen auch kognitionspsychologische und neurowissenschaft liche Inhalte vermittelt. Es entstand das Seminar Gehirnge- rechtes Lernen – Konzept oder Mythos?, das die Studienelemente Fachdidaktik, Bildungswissenschaft und Fachwissenschaft zusammenbringt. Exemplarische Seminarthemen, die sich auf Basis der inhaltsspezifi schen Ausdiff erenzierung des Professionswissens ergaben, sind in Tabelle 2 aufgeführt. Tabelle 2: Studienelemente, Profi ssionswissensfacetten und Th emen des Seminars Gehirngerechtes Lernen – Konzept oder Mythos? Studienelement Professionswissensfacette E– xemplarische SeminarthemenFachdidaktik FDW zu Instruktions- Schülervorstellungen zum Gehirn strategien nachhaltigen – Selbstreguliertes Lernen im Lernens – BiologieunterrichtInstruktionsstrategien nachhaltigen Lernens Bildungswissenschaft PPW zur Psychologie des –– Mehrspeichermodell des menschlichen Lernens – GedächtnissesLernstrategien/LernorientierungenProzessmodell der – GedächtnisbildungFachwissenschaft FW zu neurowissen- –– Bau und Funktion des Gehirnsschaft lichem Schulwissen Gedächtnissysteme/WissensartenZelluläre Mechanismen von Lernen Das Seminar wurde so gestaltet, dass je drei biologiedidaktische, kognitions- psychologische und neurowissenschaft liche Seminarthemen vermittelt werden. Im Sinne der Verzahnung sollten diese drei unterschiedlichen Fokusse auf das Th ema Nachhaltiges Lernen nicht nach Studienelementen geblockt, sondern die Th emen unterschiedlicher Studienelemente miteinander verschachtelt gelehrt werden. Konkret heißt dies z. B., dass in Sitzung eins aus kognitionspsycholo- gischer Perspektive das Mehrspeichermodell des Gedächtnisses (PPW) behan- delt wird. In der zweiten Sitzung folgen dann mit neurowissenschaft lichem Fo- kus der Bau und die Funktion des Gehirns (FW). In der dritten Sitzung wird Aspekte professioneller Handlungskompetenz 227 sich aus biologiedidaktischer Perspektive mit Schülervorstellungen zum Ge- hirn (FDW) beschäft igt und in einer vierten und letzten Sitzung dieser ersten Einheit sollen die Wissensbereiche bei der Gestaltung von Unterrichtsmaterial aufeinander bezogen werden. Auch die zweite und die dritte Einheit wurden nach diesem verschachtelten Prinzip strukturiert, was in Anlehnung an Block und Hazelip (1995) eine systematische Integration des Professionswissens in das semantische Netzwerk der Lernenden anregen soll. Als Unterrichtmate- rialien, die von den Studierenden zwecks Vernetzung ihres Professionswis- sens hergestellt werden sollen, wurden Konzeptwechseltexte zu Schülervorstel- lungen (Grospietsch, 2021), ein Lernstrategiefächer für das Lesen biologischer Sachtexte (Ziepprecht, Grospietsch & Wulff , 2018) und gehirngerechte1 Arbeits- blätter (Grospietsch & Mayer, im Druck) festgelegt. Die Begleitforschung mit 40 Studierenden in einem Prä- Post-Design (Gros- pietsch & Mayer, 2018a) zeigt zusammengefasst, dass sowohl FDW zu Instruk- tionsstrategien nachhaltigen Lernens, PPW zur Psychologie des menschlichen Lernens als auch FW zu neurowissenschaft lichem Schulwissen zwischen den zwei Messzeitpunkten höchst signifi kant und mit hohen Eff ektstärken (d = 1,7 bei FDW bzw. 1,3 bei PPW und FW) anstiegen. Weiterhin nahmen die Zu- sammenhänge zwischen diesen drei Professionswissensfacetten zum Th ema Nachhaltiges Lernen vom Prä- zum Post-Messzeitpunkt zu. Zwischen PPW zur Psychologie des menschlichen Lernens und FDW zu Instruktionsstrate- gien nachhaltigen Lernens zeigte sich im Prä-Test nur ein kleiner Zusammen- hang, der nach dem Seminar eine mittlere Ausprägung aufwies. Die Zusam- menhänge zwischen FW zu neurowissenschaft lichem Schulwissen und PPW zur Psychologie menschlichen Lernens bzw. FDW zu Instruktionsstrategien nachhaltigen Lernens wurden nur im Post-Test signifi kant, was in Anlehnung an Krauss et al. (2 008) als zunehmende kognitive Vernetzung seitens der Stu- dierenden interpretiert werden kann. 4 Th eoriebasierte Förderung von professionellen Überzeugungen angehender Biologielehrkräft e durch explizite Th ematisierung und Widerlegung Überzeugungen gelten gemeinhin als schwerer veränderbar als Professionswis- sen (Woolfolk Hoy et al., 2006; Pajares, 1992). In Be zug auf Lehr-Lernüber- zeugungen ist bekannt, dass diese zu Beginn des Studiums eher transmissiv ausgeprägt sind (Da-Silva, Mellando, Rui z & Porlán, 2007), wobei dies im Ver- 1 Meint: in Anlehnung an die im Seminar thematisierten neurodidaktischen Prinzipien gestaltet. 228 Katharina Gimbel, Finja Grospietsch & Kathrin Ziepprecht lauf des Studiums meist rückläufi g ist und konstruktivistische Lehr-Lernüber- zeugungen einen Anstieg verzeichnen (Buelens, Clement & Clarebo ut, 2002). Studien wie beispielsweise von Drechsel (2001) zeigen, das s sich Lernkonzepte bei etwa einem Drittel der Lehramtsstudierenden über das Studium hinweg als veränderungsresistent erweisen und sich nicht ausreichend in Richtung päda- gogisch-erwünschter Konzepte erweitern lassen. Transmissive Lehr-Lernüber- zeugungen sind bis in die pädagogische Praxis hinein verbreitet (Duit, Widodo & Wodzinski, 2007). Hinzu kommen Befunde, dass angehende und praktizie- rende Lehrkräft e über resistente Fehlvorstellungen (falsche Einzelüberzeugun- gen) zum Th ema Gehirn und Lernen (z. B. Dekker, Lee, Howard-Jones & Jolles, 2 012; Grospietsch & Mayer, 2019) und unzurei chende Nature-of-Science-Über- zeugungen (im Sinne eines nicht adäquaten Wissenschaft sverständnisses) ver- fügen (Lederman & Lederman, 2014). Oft herrschen z. B. Neuromythen wie Man nutzt nur 10 % seines Gehirns (Dekker et al., 2012) oder alltagsnahe Über- zeugungen dazu vor, dass Th eorien aus eigenen Ideen und Vorstellungen ent- sprängen und nicht das Produkt empirischer Untersuchungen seien (Leder- man & Lederman, 2014). Die Projekte Contemporary Science und Kognitionspsychologische Konzepte hatten hinsichtlich der Überzeugungen zwei unterschiedliche Professionalisie- rungsziele, was in zwei Instruktionsansätzen mündete: Contemporary Science fokussierte auf die Förderung professioneller Nature-of-Science-Überzeugun- gen. Im Projekt Kognitionspsychologische Konzepte stand hingegen die Redu- zierung transmissiver Lehr-Lernüberzeugungen sowie falscher Einzelüberzeu- gungen im Zentrum. 4.1 Förderung professioneller Nature-of-Science-Überzeugungen im Projekt Contemporary Science Als wirkungsvolle Ansätze, um Nature-of-Science-Überzeugungen zu professio- nalisieren, haben sich der Kontakt mit aktueller Forschung (Samarapungavan, Westby & Bodner, 2006) sowie eine expli zite Th ematisierung korrespondie- render Aspekte (Khishfe & Abd-El-Khalick, 2002) erwiesen. Diesen empiri- schen Befunden folgend soll den Studierenden in der Lehrveranstaltung zum einen eine Beschäft igung mit aktuellen Forschungsthemen der Genetik ermög- licht und zum anderen das Th ema Nature of Science explizit adressiert werden. Dazu werden mit den Studierenden Aspekte von Nature of Science in einem ersten Schritt diskutiert und anschließend Bezüge zu den Bildungsstandards und der darin enthaltenen Forderung nach einer naturwissenschaft lichen Grundbildung hergestellt, in einem zweiten Schritt deren Umsetzung in den Aspekte professioneller Handlungskompetenz 229 geplanten Unterrichtseinheiten herausgearbeitet und letztlich die Relevanz von Nature of Science für das Lehren und Lernen diskutiert (z. B. inwiefern Lernen- den vermittelt werden sollte, dass das Wissen der Genetik nicht eindeutig be- weisbar ist und sich im Laufe der Zeit ändern kann). Inwiefern sich die Nature-of-Science-Überzeugungen zur Genetik im Laufe der Lernumgebung entwickeln, wurde im Prä-Post-Vergleich evaluiert (Gim- bel & Ziepprecht, 2018). Für diese Überzeugungen zeigen sich im Prä-Post- Vergleich vergleichsweise hohe, stabile Ausprägungen. Sowohl zu Beginn als auch am Ende der Lehrveranstaltung verfügten die Studierenden über ein aus- geprägtes Naturwissenschaft sverständnis, was sich z. B. dadurch auszeichnet, dass sie wissenschaft lichen Erkenntnissen der Genetik keine uneingeschränk- te Gültigkeit zusprechen. Ein Unterschied im Prä-Post-Vergleich zeigt sich bei solchen Überzeugungen, die die Relevanz und Bedeutung von Nature of Sci- ence für den Genetikunterricht betreff en. Diese waren zum Ende der Lehrver- anstaltung signifi kant stärker ausgeprägt (mit großem Eff ekt), was bedeutet, dass die Studierenden Aspekten von Nature of Science eine höhere Relevanz für das Lehren und Lernen des Th emas Genetik zusprechen. Beispielsweise er- achteten sie es am Ende der Lehrveranstaltung als deutlich wichtiger, Lernen- den zu verdeutlichen, dass wissenschaft liche Erkenntnisse der Genetik nie rein objektiv sind und auch von der individuellen Interpretation der Forschenden abhängig sein können, als noch zu Beginn der Lehrveranstaltung. Somit zeich- net sich theoriekonform ab, dass solche Überzeugungen, zu denen korrespon- dierende Inhalte explizit im Seminar thematisiert werden, wie beispielsweise die Einbettung von Nature-of-Science-Aspekten in den Unterricht, eine Ent- wicklung erfahren können. 4.2 Reduzierung von transmissiven Lehr-Lernüberzeugungen und falschen Einzelüberzeugungen im Projekt Kognitionspsychologische Konzepte Im Projekt Kognitionspsychologische Konzepte wurden zwei Konzeptwechsel- theorien herangezogen, um transmissive Überzeugungen zum Lehren und Lernen im Biologieunterricht sowie falsche Einzelüberzeugungen zum Th ema Gehirn und Lernen (Neuromythen) theoretisch einordnen und Bedingungsfak- toren für ihre Veränderung beschreiben zu können: der Rahmentheorieansatz von Vosniadou (2013) sowie der Kategorisierungsansatz von Chi (2013). Zur theoriebasierten Ableit ung und Gestaltung wirksamer Lehrveranstaltungsele- men te wurden die Kernaussagen dieser Th eorien identifi ziert, Zielvorstellun- gen festgelegt und konzeptionelle Ziele abgeleitet (Grospietsch & Mayer, im 230 Katharina Gimbel, Finja Grospietsch & Kathrin Ziepprecht Druck). Um durch die eigene Schulzeit biografi sch verankerte transmissive Lehr-Lernüberzeugungen zum Biologieunterricht nicht nur synthetisch durch lerntheoretisch angemessene Überzeugungen zu ergänzen, sondern nachhaltig zu verändern, sollten im konzipierten Seminar persönliche Erfahrungen mit Lernangeboten ermöglicht werden, die auf Basis konstruktivistischer Grund- gedanken gestaltet wurden. Um Lernende bzgl. ihrer Fehlvorstellungen zum Th ema Gehirn und Lernen – betrachtet als falsche Einzelüberzeugungen – zu einer Überzeugungsrevision anzuleiten, sollten weit verbreitete Neuromythen explizit thematisiert und durch wissenschaft liche Argumentation widerlegt werden (Grospietsch & Mayer, 2018a, 2018b). Tabelle 3 gibt einen Überblick über Konzeptwechseltheorien, konzeptionelle Ziele und ihre didaktische Um- setzung. Tabelle 3: Konzeptwechseltheorien, abgeleitete konzeptionelle Ziele und ihre didaktische Umsetzung im Seminar Gehirngerechtes Lernen – Konzept oder Mythos? Konzeptwechseltheorie Konzeptionelles Ziel Didaktische Umsetzung Rahmentheorieansatz Persönliche Erfahrungen mit Erfahrungen stift en mit konstruktivistischen Lernversuchen und Methoden Lernangeboten ermöglichen nachhaltigen Lernens Kategorisierungsansatz Widerlegen von falschen Einsatz von Einzelüberzeugungen Konzeptwechseltexten Durch das aus dem Rahmentheorieansatz von Vosniadou (2013) abgeleitete Lehrveranstaltungselement Erfahrungen stift en mit Lernversuchen und Metho- den nachhaltigen Lernens sollte in seiner didaktischen Umsetzung der Forde- rung von Schnotz (2006) nachgekommen werden, mehr Raum dafür zu geben, bisherige Erfahrungen im Licht neuer theoretischer Annahmen zu interpretie- ren. Dabei sollten Erfahrungen mit konstruktivistischen Methoden und Ma- terialien für den Biologieunterricht in das kognitive Netzwerk transmissiver Lehr-Lernüberzeugungen integriert werden, um sie bei den Studierenden zu reduzieren (Grospietsch & Mayer, 2018a, 2018b). Auch Konzeptwechseltexte (Wang & Andre, 1991), die im Seminar eingesetzt wurden, können als kon- struktivistisches Lehr-Lernmaterial angesehen werden, da Lernende gezielt zu einer Erweiterung ihrer bisherigen Vorstellungen angeleitet werden und infol- gedessen einen Konzeptwechsel2 durchlaufen (können) (Grospietsch & Mayer, angenommen). Die in das Seminar integrierten Konzeptwechseltexte bestan- den aus drei Elementen: einem Arbeitsauft rag, der die Lernenden dazu auff or- 2 Der Begriff Konzeptwechsel wird im Sinne einer Modifi zierung, Bereicherung und Diff erenzierung der vorunterrichtlichen Vorstellungen und nicht als ihr Austausch verstanden und verwendet. Aspekte professioneller Handlungskompetenz 231 dert, ihre bisherigen Vorstellungen zu aktivieren, einem Textelement, das naive Vorstellungen explizit aufgreift und anschließend durch Widerlegungsimpul- se (z. B. Doch das stimmt so nicht!) und das systematische Hervorheben von Unterschieden zwischen naiver und fachlich angemessener Vorstellung wider- legt, und einem Arbeitsauft rag, durch den die bisherigen Vorstellungen erwei- tert werden sollen. Das so konzipierte Lehr-Lernmaterial hatte das Ziel, falsche Einzelüberzeugungen explizit zu thematisieren und zu widerlegen. Die Begleitforschung (Grospietsch & Mayer, 2018a) mit 40 Studieren- den zeigt, dass die Ausprägung von transmissiven Überzeugungen zum Leh- ren und Lernen im Biologieunterricht sowie die Zustimmung zu Neuromy- then signifi kant abnahmen (kleine bzw. hohe Eff ektstärke). Die Ergebnisse zur Zustimmung zu Neuromythen bei der Interventions- und Vergleichsgruppe (Konzeptwechseltexte vs. Refl exionsauft räge zum Seminarwissen) zeigen die Überlegenheit von explizitem Widerlegen gegenüber der reinen Vermittlung und Wiederholung von Professionswissen. Daraus lässt sich schließen, dass beide theoriebasiert abgeleiteten Seminarelemente positive Wirkungen zeigen. 5 Zusammenfassung und Ausblick Im vorliegenden Beitrag wurde dargestellt, wie das Modell professioneller Handlungskompetenz für das Fach Biologie und dessen Fachinhalte Genetik und Neurobiologie ausdiff erenziert werden kann. Mit Blick auf die PRONET- Teilprojekte Contemporary Science und Kognitionspsychologische Konzepte zeigt sich, dass diese Ausdiff erenzierung genutzt werden kann, um theoriebasiert verzahnte Lehrveranstaltungen zu konstruieren, die sich positiv auf die Aus- prägung und Vernetzung von Professionswissen angehender Biologielehrkräf- te auswirken. Für die Unterstützung Studierender bei der Konstruktion pro- fessioneller Überzeugungen stellt dieser Beitrag drei unterschiedliche Wege vor: (1)  die Förderung von professionellen Nature-of-Science-Überzeugungen im Lehr-Lernkontext durch explizite Th ematisierung, (2) die Reduzierung von transmissiven Lehr-Lernüberzeugung durch das Ermöglichen persönlicher Er- fahrungen mit konstruktivistischen Lernangeboten und (3) die Revision fal- scher Einzelüberzeugungen durch den Einsatz von Konzeptwechseltexten. Die Teilprojekte Contemporary Science und Kognitionspsychologische Konzep- te konnten die Wirksamkeit aller drei theoriebasiert gestalteten Instruktions- ansätze herausstellen. Somit wurden nicht nur Lernumgebungen entwickelt, durchgeführt und evaluiert, in denen das Professionswissen angehender Lehr- kräft e gefördert werden kann, sondern zugleich Möglichkeiten geschaff en, Überzeugungen in eine professionelle Richtung zu verändern. Im Rahmen der 232 Katharina Gimbel, Finja Grospietsch & Kathrin Ziepprecht zweiten Förderphase der Qualitätsoff ensive Lehrerbildung und dem zugehöri- gen Kasseler Projekt Professionalisierung durch Vernetzung – Fortführung und Potenzierung (PRONET²) werden die im Rahmen dieses Beitrags vorgestell- ten Projekte als Contemporary Science @ school bzw. Professioneller Konzept- wechsel zum Th ema Nachhaltiges Lernen in der Lehrerbildung weitergeführt. Dabei wird das Ziel verfolgt, die theoriebasiert konzipierten universitären Lehrveranstaltungskonzepte und Ergebnisse in Schule, Lehrerfortbildung und Hochschullehre zu transferieren (u.a. Grospietsch, Lins, Gimbel & Meier, im Druck). Anmerkung Das diesem Artikel zugrundeliegende Vorhaben wurde im Rahmen der ge- meinsamen „Qualitätsoff ensive Lehrerbildung“ von Bund und Ländern mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter den Förder- kennzeichen 01JA1505 und 01JA1805 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröff entlichung liegt bei den Autorinnen. Literatur Baumert, J. & Kunter, M. (2006). Stichwort: Professionelle Kompetenz von Lehr- kräft en. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft , 9(4), 469–520. https://doi.org/10. 1007/s11618-006-0165-2 Block, J.H. & Hazelip, K. (1995). Teachers’ beliefs and belief systems (Resources in education). In L.W. Anderson (Hrsg.), International encyclopedia of teaching and teacher education (S. 25–28). Oxford: Pergamon. Bryan, L.A. & Atwater, M.M. (2002). Teacher beliefs and cultural models: A chal- lenge for science teacher preparation programs. Science Teacher Education, 86, 821–839. https://doi.org/10.1002/sce.10043 Buelens, H., Clement, M. & Clarebout, G. (2002). University assistants’ concep- tions of knowledge, learning and instruction. Research in Education, 67, 44–57. https://doi.org/10.7227/RIE.67.5 Chi, M.T.H. (2013). 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Phase der Lehrerbildung am Beispiel der Ausbildung von Biologielehrkräft en an der Universität Kassel Über die Lehrerbildungsforen, früher Didaktische Foren, heute Forum für Ausbil- dungskräft e Biologie und Treff en des Arbeitskreises hessischer Biologiedidaktiker und Biologiedidaktikerinnen, gibt es eine langjährige, gute, kollegiale und persönliche Be- ziehung zwischen dem Fachgebiet Didaktik der Biologie der Universität Kassel in Per- son von Jürgen Mayer und den Ausbildenden aus der zweiten Phase der Lehrerbil- dung der Studienseminare. Als im Sommer 2015 das Praxissemester in Hessen als Modellversuch startete und die Universität Kassel mit dessen Durchführung in den Schulformen L1 (Primarstufe) und L2 (Sekundarstufe I) beauft ragt wurde, bot sich so die Gelegenheit, endlich auch ein gemeinsames Arbeitsfeld zu eröff nen. Das Wis- sen um die fachliche Kompetenz und die menschlichen Qualitäten von Jürgen Mayer machten die Entscheidung für eine Abordnung an die Didaktik der Biologie für die Ausbildungsleiterinnen und Ausbildungsleiter für das Fach Biologe der Studiensemi- nare GHRF Kassel, Fritzlar und Fulda leicht und so erfolgte eine, nun bereits mehr- jährige, erfolgreiche Zusammenarbeit. Die folgenden Ausführungen geben an drei Beispielen einen Einblick in die schul- bzw. unterrichtsorientierten Ausbildungsele- mente von Biologielehrkräft en der Universität Kassel. 1 Das Praxissemester Das Praktikum über die Dauer von mindestens 250 Stunden in den Schulen, das sind ca. 15 Wochen, und die damit verbundene, intensive Betreuung der Studierenden durch engagierte Mentorinnen und Mentoren im Fach Biologie hat sich erfolgreich in der Kasseler Schullandschaft etabliert. Die Studierenden erleben sich, durch den Einsatz über ein komplettes Halbjahr, als akzeptierter Teil des Jahrgangsteams eines Kollegiums, als Personen wahrgenommen und entsprechend wertgeschätzt. Die Praktikantinnen und Praktikanten werden in den Kollegien fast im- mer als Bereicherung erlebt, da die Mentorinnen und Mentoren so Gelegen- heit haben, mit jungen, interessierten Menschen gemeinsam Unterricht zu pla- nen, durchzuführen und nachzubesprechen. Für diesen intensiven Austausch über Unterrichtsqualität ist im hektischen Schulalltag ansonsten häufi g kein Raum. Viele der Mentorinnen und Mentoren sind deshalb bereit, immer wie- der neue Studierende aufzunehmen und betrachten dies als eine wichtige, dienstliche Aufgabe. Es soll hier nicht verschwiegen werden, dass durchaus hin 238 Martina Sutter, Sandra Textor & Stefan Weber und wieder Verhaltensweisen einiger Studierender in Bezug auf Pünktlichkeit und Arbeitshaltung bei den Mentorinnen und Mentoren Verwunderung aus- lösten, aber fast immer nach intensiven Gesprächen eine positive Veränderung des Verhaltens der Praktikantinnen und Praktikanten eintrat. Die Besprechung und Refl exion der überfachlichen Kompetenzen für den Lehrerberuf, wie Kommunikations- und Konfl iktfähigkeit, Selbstorganisation, Sozialkompetenz, Motivations- und Kooperationsfähigkeit im Verlauf des Praktikums, aber auch die Th ematisierung von Fachwissen und fachdidaktischem Wissen nach den vier Unterrichtsversuchen werden mit großer Ernsthaft igkeit aller Beteiligten durchgeführt und lösen einen erstaunlichen Reifungsprozess aus. Die Studie- renden entwickeln sich rasant und schildern dies auch in den Refl exionsge- sprächen am Ende des Praxissemesters immer wieder eindrucksvoll. Hierzu Zitate aus „Ratgebern“ von Studierenden nach Beendigung ihres Praxissemes- ters an die, die gerade starten: „Geht mit Spaß und Neugierde an die neuen Sachen heran, aber vergesst auch nicht, dass dies ein wichtiger Teil eures Studiums ist. Das, was ihr in den nächs- ten paar Monaten lernen werdet, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit lehrreicher als die letzten Semester, welche ihr schon hinter euch habt.“ „Nachdem ich nun mein Praxissemester absolviert habe, hoff e ich, dass die nächsten Praktikanten vielleicht von meinen Erfahrungen profi tieren können. Zunächst muss gesagt werden, dass man keine Panik vor dem Praktikum ha- ben muss. Es ist eine schöne, aber auch anstrengende Zeit gewesen, in der ich viel gelernt habe und meine Lehrerpersönlichkeit weiterentwickeln konnte.“ „Insgesamt bietet das Praxissemester eine einmalige Möglichkeit, vielseitig Er- fahrungen zu sammeln und den Alltag einer Lehrperson näher kennen zu ler- nen.“ „Zum Schluss kann ich dir zur Einstellung sagen, dass du dich auf diese Er- fahrung und Zeit in der Schule freuen kannst. Du wirst viele neue und vor al- lem andere Eindrücke von dem Geschehen in der Schule erhalten und dadurch auch selbst an den Erfahrungen wachsen.“ Das Praxissemester bietet also die Chance, einen veränderten Blick für den schulischen Alltag und die Aufgaben von Lehrerinnen und Lehrern zu entwi- ckeln, als man aus der Schülerperspektive hatte. Die Studierenden sollen im Praxissemester ihre Eignung für den Lehrerberuf refl ektieren sowie das Be- rufsfeld und die Institution Schule erkunden. Im Begleitseminar zum Praxisse- mester werden parallel dazu die zentralen Th emenfelder – Beobachten von Unterricht – Eignungsrefl exion und (Selbst-)Professionalisierung, Arbeiten mit Ent- wicklungszielen Erfolgreiche Kooperation der 1. und 2. Phase der Lehrerbildung 239 – Erkunden und Entdecken von Diversität in der Schule – Rollenwechsel, Lehrerolle refl ektieren und entwickeln – Unterricht planen, durchführen und refl ektieren theoretisch erschlossen und in Übungen praktisch bearbeitet. Zudem wird in der Seminarzeit immer auch Raum für Erfahrungsaustausch untereinander ge- geben. Die Begleitung des Praxissemesters im Fach Biologie durch eine Fachleite- rin des Studienseminars GHRF Kassel ermöglicht zum einen eine problemlo- se Rekrutierung von qualifi zierten Mentorinnen und Mentoren aus den Rei- hen der ehemaligen Biologie-Referendare und -Referendarinnen, als auch zum anderen eine professionelle Beratungssituation nach den Unterrichtsversuchen. Zudem wird in der kooperativen und kollegial-konstruktiven Atmosphäre im Fachgebiet Didaktik der Biologie an der Universität Kassel ein curricularer, in- haltlicher Austausch zwischen erster und zweiter Phase der Lehrerbildung be- wusst gefördert und erfolgreich umgesetzt. Hiervon profi tieren beide Seiten durch Abgleich, Ergänzung und Inspiration in berufl ichen Feldern. Das Praxissemester ist trotzdem keinesfalls als „Mini-Referendariat“ ange- legt oder wird so durchgeführt, wie vielfach vermutet wurde, da der Fokus, anders als im Vorbereitungsdienst, auf der Klärung des Berufswunsches liegt. Die Platzierung des Praxissemesters im 2. Studienjahr und damit sehr früh im Studium, ist hierfür richtig gewählt, wenn eine Änderung des Berufswunsches eintritt. Schwierigkeiten bereitet allerdings häufi g das junge Alter der Studie- renden und die damit einhergehende mangelnde Lebenserfahrung und der Rollenwechsel durch die zeitliche Nähe zur deren eigener Schulzeit. 2 Die Schulpraktischen Studien [SPS] Neben der als Modellversuch in der Erprobungsphase durchgeführten L2-Aus- bildung im Praxissemester, erfolgt die Praxisausbildung der L3 (Gymnasialstu- fe)-Studierenden derzeit weiterhin (noch) im ‚alten‘ System der Schulprakti- schen Studien [SPS], die sich für die Biologie in zwei aufeinanderfolgenden Praktikumsphasen konkretisieren: 2.1 Schulpraktische Studien 1 (Blockpraktikum) Zunächst haben die Studierenden in einem ersten allgemeinpädagogisch orientierten, fünfwöchigen Praktikum am Anfang ihrer Ausbildung die Mög- lichkeit, erste Erfahrungen mit dem System Schule aus Sicht einer Lehrkraft zu 240 Martina Sutter, Sandra Textor & Stefan Weber sammeln und die eigene Berufswahlentscheidung vor diesem Hintergrund zu refl ektieren. Darüber hinaus entwickeln sie auf Grundlage ihrer Praxiserfah- rungen aber auch schon zu diesem frühen Zeitpunkt ihrer Ausbildung eine erste Arbeitstheorie, die sie im weiteren Verlauf ihres Studiums weiter diff eren- zieren und ergänzen. Die refl exive Auseinandersetzung mit diesen subjektiven Th eorien ist essentieller Bestandteil der Konkretisierung der Schulpraktischen Studien der Didaktik der Biologie in Kassel und legt somit einen Grundstein für die Entwicklung eines Selbstverständnisses als refl ektierende Praktiker. In der Didaktik der Biologie wird das über zwei Semester in drei Phasen (vorbereitendes Seminar, 5-wöchige Praktikumsphase, Nachbereitungssemi- nar) organisierte Praktikum fachorientiert akzentuiert, was sowohl die koope- rative Erarbeitung der Th eorieinhalte im Seminar als auch die Kooperation und Kommunikation mit den Praktikumsschulen bei Unterrichtsbesuchen in hohem Maße erleichtert. Die zentralen Seminarinhalte beschäft igen sich neben den genannten refl exiven Schwerpunkten vor allem mit der Grundlegung von Kompetenzen im Kontext der Planung einer (Biologie-)Stunde. 2.2 Schulpraktische Studien 2 (Fachpraktikum) In den sich anschließenden Schulpraktischen Studien 2, die im weiteren Ver- lauf des Studiums absolviert werden, zeigen die Studierenden im Vergleich mit den SPS1 schon einen substanziell refl ektierteren Blick auf ihre Ausbildung und schulische Fragestellungen, was eine intensivere Vernetzung theoretischer und praktischer Fachaspekte ermöglicht. Durch die semesterbegleitende Struk- tur werden im Wechsel zwischen Th eorieelementen und Praxiserprobungen in Lerntandems an Schulen unterrichtspraktische Entwicklungsvorhaben geplant, durchgeführt und refl ektiert. Alle genannten Phasen werden dabei von zwei Dozierenden und schulischen Mentorinnen und Mentoren intensiv begleitet. Im Fachgebiet Didaktik der Biologie gelang es, ein Team aus zwei ganz unterschiedlichen Personen für die Betreuung der SPS1- und SPS2-Praktika zu gewinnen, welches sich derzeit aus einer Studienrätin eines Kasseler Gym- nasiums und einem Kollegen aus dem Studienseminar GHRF Fulda zusam- mensetzt (Stand bis 2020). Die hierdurch angelegte personelle Verbindung aller drei Phasen der Lehrerbildung ist im Hinblick auf eine umfassende Ver- zahnung universitärer, fachspezifi scher Inhalte mit schulformspezifi schen An- forderungsbedarfen besonders hilfreich, da die Zusammenarbeit und Kommu- nikation aller beteiligten Personen und Institutionen eine wesentlich frühere Anpassung der jeweiligen Phase an die individuellen Entwicklungsbedürfnis- se angehender Lehrender ermöglicht. Trotz der Ausrichtung der SPS auf Stu- Erfolgreiche Kooperation der 1. und 2. Phase der Lehrerbildung 241 dierende des gymnasialen Lehramtes werden – insbesondere in den SPS2 – nicht selten fachdidaktische Fragestellungen mit Blick auf alle Schulformen auf fachlicher, pädagogischer, schulorganisatorischer und schulrechtlicher Ebene konkretisiert und auch aktuelle Fragestellungen – bspw. der Arbeit in inklu- siven Lehr-/Lern-Situationen – intensiv diskutiert und fachlich konkretisiert. Das sich hierdurch eröff nende Feld bietet den Studierenden ein hohes Maß an Orientierung auf einen langfristigen Lernprozess hin und kommende Lern- und Entwicklungsherausforderungen für das Studium, Referendariat und die Tätigkeit als Lehrkraft . Neben der refl exiven Auseinandersetzung und Weiterentwicklung der eige- nen Konzeptionierung von Biologieunterricht werden, in Ergänzung zum vo- rangehenden Blockpraktikum, in dem eher einzelne Stunden im Fokus stan- den, nun vor allem die umfassendere Planung von Unterrichtseinheiten sowie der Blick auf längerfristige Bildungsaufgaben des Biologieunterrichtes thema- tisiert. Dies bietet gute Grundlagen für die im Referendariat geforderten Jah- resplanungen. 2.3 Entwicklungsherausforderungen Trotz der besonders positiven Rückmeldungen der Studierenden zu diesen An- geboten, die in vielen Fällen sinnstift ende Wirkungen auf das gesamte Studium haben, gibt es dennoch Möglichkeiten der weiteren Optimierung: Für die ziel- führende Ausbildung zukünft iger Lehrkräft e wäre es günstig, wenn die ange- sprochenen Teamstrukturen, die sich aus der Vernetzung verschiedener Lehr- ämter ergeben, weiter auch institutionell verankert werden könnten. Hierdurch würden neben einer vertiefenden Diskussion fachdidaktischer Konzepte vor allem auch Teamteaching-Kompetenzen erworben werden, die für die zukünf- tig schulische Arbeit und die Kooperation in multiprofessionellen Teams un- erlässlich sind. 3 Praxissimulationen „So, wie in der Biodidaktik müsste ich auch in meinem zweiten Fach ausgebil- det werden!“ „In Bio fühle ich mich gut auf die Schule vorbereitet.“ Solche Äußerungen oder so ähnlich, hört man oft von Studierenden, die Kur- se in der Didaktik der Biologie an der Universität Kassel besuchen. Die Zi- 242 Martina Sutter, Sandra Textor & Stefan Weber tate verdeutlichen, dass Studierende die Nähe des Fachgebiets zum Praxisfeld Schule zu schätzen wissen. Sie decken aber auch das Bedürfnis nach Praxis- orientierung von Lehramtsstudierenden in der Universität auf, durch die sie sich besser auf das anschließende Referendariat und das spätere Berufsle- ben vorbereitet fühlen. Im Folgenden sollen zwei Kurse des Fachgebiets vor- gestellt werden, die den Studentinnen und Studenten die Möglichkeit bieten, in einer Laborsituation unterrichtliches Handeln zu planen, auszuprobieren und zu refl ektieren. Auf der Basis von naturwissenschaft lich und kerncurri- cular legitimierten Th emenkatalogen werden biologische Lerninhalte entwe- der für eine 45-minütige oder eine 90-minütige Unterrichtssimulation unter mehr oder weniger intensiver Anleitung unterrichtlich entwickelt. Beide Kur- se werden aktuell von einer Fachleiterin der Biologie des Studienseminars für GHRF durchgeführt, so dass eine maximale Anschlussfähigkeit angestrebt wird (Stand bis 2020). Bei dem Kurs Methoden und Medien des Biologieunterrichts handelt es sich zum einen um eine fl ankierende Veranstaltung für alle Lehramtsstudie- renden des Praxissemesters für die Sekundarstufe 1, zum anderen ist sie Teil der universitären Ausbildung für L3-Studierende. Der zweite Kurs Th emen und Konzepte des Biologieunterrichts ist eine Grundlagenveranstaltung für alle Lehramtsstudierenden. Die Absicht, sich als zukünft ige Biologielehrerin- nen und -lehrer in einem begleiteten Setting gemeinsam mit Kommilitonin- nen und Kommilitonen auszuprobieren und eigenes Handeln refl ektierend in den Blick zu nehmen, stellt einen wesentlichen Beitrag zur Th eorie- Praxis- Verschränkung in der Universität Kassel dar. Während im Kurs Methoden und Medien des Biologieunterrichts primär kooperative und kommunikative Un- terrichtsmethoden in Kombination mit fachspezifi schen Arbeitsweisen und Medien (digitale Medien eingeschlossen) im Vordergrund stehen, bilden bi- ologische Th emen und Inhaltsfelder der Mittelstufe des hessischen Kerncur- riculums den Schwerpunkt des Th emen-und-Konzepte-Kurses. Im Sinne des kummulativen Lernens sollen die im ersten Kurs erworbenen methodisch-me- dialen Kenntnisse im zweiten Kurs in biologische Kontexte sinnvoll einge- bettet und vertieft werden. Wiederkehrende Planungs- und Refl exionsschleifen durch Vorbesprechungen, Umsetzung, Peergroup- und Kursleitungsfeedbacks (mündlich und schrift lich), die in einem abschließenden Seminarskript Aus- druck in einer Verschrift lichung von Planungs- und Umsetzungsgedanken durch die Studierenden fi nden, unterstützen diese auf ihrem Weg zum refl ek- tierten Praktiker. Auf diese Grundlagen kann im anschließenden Referenda- riat zurückgegriff en und aufgebaut werden, indem die im geschützten Rah- men der Universität intensiv entwickelten biologischen Unterrichtskonzepte in Erfolgreiche Kooperation der 1. und 2. Phase der Lehrerbildung 243 die Schulpraxis hineingetragen, praktisch erprobt und weiterentwickelt werden können. 4 Abschließende Worte Wir als Ausbildungsleiterinnen und Ausbildungsleiter für das Fach Biolo- gie der umliegenden Studienseminare GHRF zur Universität Kassel bedanken uns herzlich bei Jürgen Mayer für die intensive Zusammenarbeit und über- aus wertvolle Verschränkung der universitären Biologieausbildung mit dem Referendariat. In dieser Zeit haben wir einen tiefen Einblick in die qualita- tiv ex trem hochwertige Arbeit der Didaktik der Biologie gewonnen, aufgrund dessen wir im Referendariat zielgenauer anknüpfen können. Wir konnten unsererseits die Anschlussfähigkeit der praxisorientierten Veranstaltungen des Fachgebiets mit der Expertise des Referendariats weiter verdichten. Die unter der Leitung von Jürgen Mayer entstandene Kooperation zwi- schen Universität und den Studienseminaren ist beispielhaft für eine ganzheit- lich gedachte Lehrkräft eausbildung. Gedanken zur Zukunft der Biologiedidaktik Ute Harms Bedeutung und Aufgaben einer universitären Didaktik der Biologie – Wo stehen wir und wo soll es hingehen? Jürgen Mayer war zur Zeit der empirischen Wende in den Bildungswissenschaft en in den 1990er Jahren Mitarbeiter am Leibniz-Institut für die Pädagogik der Natur- wissenschaft en und Mathematik (IPN) und Stellvertretender Abteilungsleiter. Ich habe ihn 1995, als ich als Postdoktorandin an das IPN kam, kennengelernt. Ende der neunziger Jahre erhielt Jürgen Mayer einen Ruf auf eine Professur an der Univer- sität Gießen, ich kurz danach einen Ruf an die Ludwig-Maximilians-Universität in München. Trotz der örtlichen Trennung blieb unser kollegialer und schließlich auch freundschaft licher Kontakt immer erhalten. Durch gemeinsame Publikationen, Gre- mienarbeit und nicht zuletzt durch die gemeinsame Leitung der FDdB-IPN-Nach- wuchsakademie kam es kontinuierlich zu Begegnungen und fachlichen Diskussionen. Über viele Jahre hatten wir im ESNaS-Projekt („Evaluation der Standards in den Na- turwissenschaft en für die Sekundarstufe I“) engen Kontakt. Eine wichtige Rolle spielt Jürgen Mayer für mich als Mitautor des von mir in Ko-Autorenschaft mit Harald Gropengießer und Ulrich Kattmann herausgegebenen Standardwerks für die Lehrer- bildung „Fachdidaktik Biologie“, für das er seit mehreren Aufl agen wichtige Arbeit als Autor leistet. Eine sehr schöne persönliche Erinnerung ist ein gemeinsames Wochen- ende mit der gesamten Familie Mayer bei uns in Scheuring in Oberbayern und einer Wanderung zum Kloster Andechs an einem sonnigen Herbsttag mit fachlichen und unfachlichen Gesprächen. 1 Didaktik der Biologie – ein kurzer Rückblick Woher kommt unser Fach? – In einem kurzen Rückblick möchte ich zunächst auf die jüngere Geschichte der Didaktik der Biologie eingehen, bevor ich mei- nen Blick auf ihre Bedeutung und Aufgaben heute und in der nahen Zukunft richte. Die Didaktik der Biologie (DdB) ist eine junge Disziplin an deutschen Universitäten. Sie etablierte sich hier im Zuge der Integration der Pädagogi- schen Hochschulen (PH) in die Universitäten. Diese erfolgte – außer in Ba- den-Württemberg, wo es bis heute die PH noch gibt, die aber durch Promo- tions- und Habilitationsrecht den Status einer Universität besitzt – ungefähr ab den 1970er Jahren über einen langen Zeitraum hinweg. So ging beispielsweise die PH Kiel erst 1994 in der Christian-Albrechts-Universität auf. Die Pädago- gischen Hochschulen waren ursprünglich nach 1945 in den Ländern aus ver- schiedenen Formen von Lehrerbildungsanstalten hervorgegangen. Ihr Schwer- 248 Ute Harms punkt lag entsprechend ihrer Vorgeschichte zunächst auch weiterhin auf der Ausbildung von Lehrkräft en. Dies setzte sich auch nach Aufnahme der DdB in die Universitäten zum großen Teil fort. Ein klares wissenschaft liches Profi l hatte die DdB zu diesem Zeitpunkt nicht. Mehr oder weniger beliebig wurde sie daher auch an manchen Standorten beispielsweise der Mathematisch-Na- turwissenschaft lichen, an anderen der Erziehungswissenschaft lichen Fakultät zugeordnet. Auch politisch gab es in der Folge ihrer Aufnahme in die Hoch- schulen eine klare Tendenz, die gesamten Fachdidaktiken nicht als forschen- de Wissenschaft en auszustatten. In einem vorläufi gen Positionspapier der Hochschulrektorenkonferenz aus dem Jahr 1995 zu den Erwartungen an die Studierfähigkeit von Abiturientinnen und Abiturienten wird bezüglich einer Reform der Lehrerbildung gefordert, „daß die Fachdidaktiken nicht durch Pro- fessuren auf Lebenszeit vertreten werden, sondern wissenschaft lich qualifi zier- te, d. h. promovierte, Schulpraktiker nach Ausschreibung und Auswahl durch die Hochschulen für Lehre und Forschung in der Fachdidaktik zeitlich befristet in die Hochschule wechseln“. (KVFF, 1995, S. 13). Die zentrale – wenn nicht gar ein- zige – Aufgabe der Fachdidakti ken lag zu diesem Zeitpunkt aus Sicht der Bil- dungspolitik in der Aus- und Fortbildung von Lehrkräft en. Daher war eine stärkere Anbindung der Fachdidaktiken an die Schulpraxis nur konsequent, hätte zugleich aber auch das Ende einer wissenschaft lichen Lehrerbildung und einer wissenschaft lichen Fachdidaktik bedeutet. Ausgehend vom IPN konnte diese Entwicklung abgewendet werden. Allerdings erwies es sich in dieser Zeit als schwierig, freiwerdende Professuren in der Didaktik der Biologie zu beset- zen, denn erfolgreiche Kandidatinnen und Kandidaten mussten neben ihrer wissenschaft lichen Qualifi kation in der Biologie mindestens drei Jahre prak- tische Unterrichtserfahrung in der Schule mitbringen. Diese Voraussetzung wurde erst nach und nach in den einzelnen Bundesländern aufgehoben. Forschungsarbeiten in der DdB waren zu diesem Zeitpunkt vorwiegend stoff didaktisch und hinsichtlich der Methodik geisteswissenschaft lich ausge- richtet. In den 1990er Jahren begann – ausgehend vom IPN – die Entwicklung der DdB als eine empirisch ausgerichtete, bildungswissenschaft liche Disziplin. Diese Entwicklung wird heute auch als die „empirische Wende“ in den Bil- dungswissenschaft en bezeichnet. Die Lehr-Lern-Forschung rückte in den Mit- telpunkt. In der zweiten Hälft e der 1990er Jahre reüssierten zum ersten Mal einzelne Kolleginnen und Kollegen (darunter auch Jürgen Mayer) mit Anträ- gen bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Damit hatte die DdB den „Goldstandard“ in der deutschen Wissenschaft slandschaft erreicht. Der Schwerpunkt in dieser Periode war die Lehr-Lern-Forschung, die sich insbe- sondere auf die qualitative Untersuchung von Schülervorstellungen zu unter- schiedlichsten biologischen Inhalten sowie auf Interessenstudien konzentrier- te. Darüber hinaus stand die Umweltbildung im Fokus, die jetzt aus der DdB Bedeutung und Aufgaben einer universitären Didaktik der Biologie 249 heraus durch den Einsatz standardisierter empirischer Methoden und theore- tischer Fundierung durch psychologische Modelle einen deutlichen Qualitäts- sprung erfuhr (Jürgen Mayer spielte hierbei eine wesentliche Rolle). Betrachtet man die Forschungsarbeiten der letzten zwanzig Jahre in der DdB, so stechen vier Forschungsschwerpunkte bis heute heraus, die meist angetrieben wur- den durch allgemeine bildungswissenschaft liche und bildungspolitische Ent- wicklungen. Dies ist zunächst die Einführung der Kompetenzorientierung des Unterrichts im Zusammenhang mit der Etablierung länderübergreifender Bil- dungsstandards (vgl. Klieme et al., 2004). Es folgten die Diskussion um den Umgang mit Heterogenität in Bildungskontexten und die Professionsforschung im (Biologie-)Lehramt. Die Digitalisierung von Hochschule und Schule stellt den jüngsten Forschungsschwerpunkt dar. Neben der Lehr-Lern-Forschung kamen im Laufe der Zeit vermehrt auch Projekte im Bereich der Unterrichts- forschung hinzu. Die Etablierung des ersten Rahmenprogramms Empirische Bildungsfor- schung des BMBF im Jahr 2007 eröff nete den Fachdidaktiken und damit auch der DdB schließlich einen leichteren Zugang zu Drittmitteln, was wiederum die Möglichkeiten, (Post-)Doktorandinnen und -Doktoranden einzustellen, erleichterte. Durch die vermehrte Durchführung von Fortbildungen, insbe- sondere zu quantitativen sozialwissenschaft lichen Methoden durch die Sek- tion Fachdidaktik im VBIO und andere Fachgesellschaft en, wurden komforta- ble Bedingungen für Nachwuchswissenschaft lerinnen und -wissenschaft ler der DdB geschaff en, um sich für die empirische biologiedidaktische Forschung zu qualifi zieren. Bereits im Jahr 1998 war durch die Einrichtung der Früh- jahrsschule für den Nachwuchs in der DdB (durch den Vorgänger von Jürgen Mayer in der Biologiedidaktik der Universität Kassel, Helmut Vogt), ein wich- tiges Instrument zur Nachwuchsförderung – auf Ebene des Doktorandensta- tus – geschaff en worden. Durch die Gründung zweier europäischer Fachgrup- pen, der European Science Education Research Association (gegründet 1995) und der European Researchers in Didactics of Biology (gegründet 1996), eben- so wie durch eine zunehmende Beteiligung deutscher Biologiedidaktikerinnen und -didaktiker an Tagungen der National Association of Research in Science Education in den USA wurde ab der zweiten Hälft e der 1990er Jahre ein erster Schritt zur Internationalisierung der deutschsprachigen DdB getan. 250 Ute Harms 2 Didaktik der Biologie – Wo wir stehen? Welche Bedeutung hat die DdB heute und welche Aufgaben resultieren hieraus für sie? Dieser Frage soll im Folgenden an zwei der oben genannten Haupt- forschungssträngen der DdB in jüngerer Zeit nachgegangen werden: der Pro- fessionsforschung und der Kompetenzforschung. Nach wie vor ergibt sich die Bedeutung der DdB an den Universitäten – und an den Pädagogischen Hoch- schulen sowieso – traditionell aus ihrer Beteiligung an der ersten Bildungs- phase zukünft iger Biologielehrkräft e. An manchen Standorten übernehmen Kolleginnen und Kollegen aus der DdB darüber hinaus Lehre im Bereich der Hochschuldidaktik. Durch die Etablierung des Forschungs- und Entwicklungs- programms „Qualitätsoff ensive Lehrerbildung“ des BMBF (2014–2018; 2019– 2023) eröff nete sich den Fachdidaktiken insgesamt ein neues Arbeitsfeld in engem Zusammenhang mit ihrer originären Aufgabe der Lehre und zugleich auch ein Zugang zu weiteren fi nanziellen Ressourcen. Zahlreiche Kolleginnen und Kollegen aus vielen Universitäten verschiedenster Bundesländer arbeiten in dieser Off ensive, die jetzt bereits in ihrem zweiten Förderzeitraum liegt. Da- bei sind die inhaltlichen Schwerpunkte ausgerichtet auf die Vernetzung inner- halb der Lehrerbildung (über die Bereiche der Lehrerbildung Fach, Fachdi- daktik, Pädagogik und Psychologie sowie über die verschiedenen Phasen der Lehrerbildung hinweg), auf den Umgang mit Heterogenität, die – fachüber- greifende – Bildung für nachhaltige Entwicklung, die Digitalisierung und das Lehramt an berufl ichen Schulen. Die wissenschaft lich begründete Weiterent- wicklung der Lehrerbildung in ihren drei Phasen ist die zentrale Aufgabe der Fachdidaktiken und damit auch der DdB. In diesem Zusammenhang ist aller- dings die Frage zu stellen, inwieweit innerhalb der Qualitätsinitiative die For- schung über eine Evaluation hinausgeht. Werden unter lokalen Bedingungen Einsichten über die Wirkung unterschiedlicher Modulkonzeptionen im Stu- dium (beispielsweise eine engere inhaltliche Verzahnung von DdB und Biolo- gie oder DdB und Pädagogik) erarbeitet, so ist off en, inwieweit diese auf an- dere Standorte übertragbar und generalisierbar auch für andere Fächer sind. Ergänzend sind hier kontrollierte Studien unter experimentellen Bedingungen notwendig, die beispielsweise das Zusammenspiel der drei Professionswissens- bereiche von Lehrkräft en – fachliches, fachdidaktisches und pädagogisch-psy- chologisches Wissen – analysieren. Ein anschauliches Beispiel, das diese Frage- stellung adressiert, ist die T-Knox-Studie zum Professionswissen angehender Lehrkräft e des Fachs Mathematik (Tröbst et al., 2018; Tröbst, Kleickmann, De- paepe, Heinze & Kunter, 2019). Die Professionsforschung im Lehramt wurde in den Naturwissenschaft sdi- daktiken insbesondere angestoßen durch die COACTIV-Studie zum Fach Ma- Bedeutung und Aufgaben einer universitären Didaktik der Biologie 251 thematik. Zwischenzeitlich wurden für das Fach Biologie – meist im Verbund mit der Didaktik der Chemie und der Didaktik der Physik sowie Kolleginnen und Kollegen aus der Pädagogischen Psychologie – Projekte angestoßen (u. a. KoWADiS, ProwiN, KiL / KeiLa), in denen zunächst Tests zur Erfassung fach- bezogenen und teilweise auch pädagogisch-psychologischen Professionswis- sens entwickelt wurden (Hartmann, Upmeier zu Belzen, Krüger & Pant 2015; Jüttner & Neuhaus, 2013; Großschedl, Welter & Harms, 2019). Damit stehen den Wissenschaft lerinnen und Wissenschaft lern der DdB jetzt valide Instru- mente zur Erhebung biologiedidaktischen und biologischen Professionswis- sens für Quer- und Längsschnittstudien zur Verfügung. Trotz der im Zusam- menhang mit diesen Testentwicklungen stehenden Modellierungsansätzen des Pedagogical Content Knowledge (PCK) ist dieses Konstrukt nach wie vor nicht ausreichend geklärt, was sicherlich nicht zuletzt seiner „Zwischenstellung“ zwischen dem fachlichen, biologischen Wissen und dem allgemeinen, päda- gogisch-psychologischen Wissen geschuldet ist. Darüber hinaus werden aktu- ell weitere Dimensionen von PCK diskutiert, die für die Biologie bisher so gut wie noch gar nicht untersucht wurden, für die Weiterentwicklung des Kon- strukts ebenso wie für die Unterrichtsforschung in der Biologie aber hoch re- levant sind. Hierunter fällt beispielsweise dessen Diff erenzierung in das kollek- tive, das persönliche und das sich in einer Handlung de facto manifestierende fachdidaktische Wissen (Carlson & Daehler, 2019). Mit der Einführung der Bildungsstandards und der damit verbundenen Festlegung bestimmter Kompetenzbereiche und Kompetenzen für (u. a.) die naturwissenschaft lichen Schulfächer begann (als Folge der mediokren PISA- Ergebnisse in Deutschland im Jahr 2000) eine umfangreiche Bewegung in der gesamten Bildungsforschung, einschließlich der DdB. Ausgehend vom In stitut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen, dem IQB in Berlin, wurde das Projekt ESNaS etabliert, in dem Tests zur Messung der Kompetenzen in den Fächern Biologie, Chemie und Physik in der Sekundarstufe I entwickelt wur- den. Für das Fach Biologie fand diese umfangreiche Arbeit unter der Leitung von Jürgen Mayer statt. Gleichzeitig entwickelte sich die Modellierung von Kompetenzen, die in den Standards für die Biologie festgelegt worden waren, zu einem Schwerpunkt der Forschung in der DdB. Dies betraf die vier Kom- petenzbereiche Umgang mit Fachwissen, Erkenntnisgewinnung, Kommunikation und Bewertung. Während für die prozessbezogenen Kompetenzbereiche heute bereits verschiedene, gründlich validierte Modelle vorliegen (u. a. Eggert & Bö- geholz, 2006; Hammann, Phan & Bayrhuber, 2007; Reitschert & Hößle, 2007; Upmeier zu Belzen & Krüger, 2010; Ziepprecht et al., 2017), zeigt sich eine sehr deutliche Lücke im Bereich des inhaltsbezogenen Kompetenzbereichs „Umgang mit Fachwissen“. Allerdings zeichnet sich dieser – nach meiner Auf- 252 Ute Harms fassung als einziger – durch eine klare Biologie-Spezifi tät aus. Erste Ansätze im deutschsprachigen Raum fi nden sich zum Evolutionskonzept (Tibell & Harms, 2017). Um in der Modellierung fachkonzeptbezogener Kompetenzen weiterzu- kommen, wäre beispielsweise ein verstärkter Anschluss an die in der US-ame- rikanischen Science Education Community geführte Diskussion um Learning Progressions (z. B. Furtak, 2012) sinnvoll. 3 Didaktik der Biologie – Wo sollte es hingehen? Die vorangegangenen Ausführungen stellen Ausschnitte der Geschichte und des aktuellen Forschungsstandes der DdB in Deutschland dar. Im Folgenden möchte ich an diese anknüpfend erläutern, was – aus meiner ganz persönli- chen Sicht – in unserer Disziplin auf den Prüfstand gehört, und versuchen zu skizzieren, welche Maßnahmen mir für die Weiterentwicklung und Existenz- sicherung einer wissenschaft lichen DdB an Universitäten in Deutschland not- wendig erscheinen. In seinem Aufsatz Blick zurück nach vorn: Trend der Lehr-Lernforschung schreibt Detlev Leutner (Lehrstuhl für Lehr-Lernpsychologie an der Univer- sität Duisburg-Essen) im Jahr 2000 in der Zeitschrift Unterrichtswissenschaft : „Zukünft ige Untersuchungen werden aber zeigen müssen, ob die von der DFG in den 90er Jahren in den Fachdidaktiken angeschobene Lehr-Lernforschung tatsächlich auch zu Veröff entlichungen führt, die über den engen Bereich der jeweiligen Fachdidaktik hinaus zur Kenntnis genommen werden. Eine zentra- le Voraussetzung dafür scheint zu sein, daß die derzeit zu beobachtende Veröf- fentlichungspraxis sich grundlegend ändert (…).“ (ebd., S. 36). Eine Sichtung der DFG-Jahresberichte sowie eine Umfrage unter Sachbeihilfeempfängern do- mänenbezogener Lehr-Lernforschungsprojekte hatte ergeben, dass domänen- bezogene Projekte in der Mitte der 1990er Jahre einen hohen Anteil an allen von der DFG im sogenannten Normalverfahren im Fachgebiet Lehr-Lernfor- schung geförderten Projekten ausmachten. Leutner stellt aber fest, dass die von den Antragstellenden aus den Projekten heraus entstandenen fünf wichtigsten angegebenen Veröff entlichungen zum überwiegenden Teil in Sammelbänden erschienen und die an den Forschungsprojekten beteiligten Fachdidaktiker insbesondere in primär praktisch orientierten fachdidaktischen Zeitschrift en publizierten. Detlev Leutner fügt hinzu: „Es gibt zu wenige englischsprachige Veröff entlichungen und Veröff entlichungen in solchen Zeitschrift en, die regel- mäßig von fachgebietsübergreifenden Literaturdatenbanken ausgewertet wer- den.“ (ebd., S. 36). Hat sich die von Detlev Leutner beschriebene Situation in den letzten zwanzig Jahren nennenswert verändert? In diesem Zeitraum ha- Bedeutung und Aufgaben einer universitären Didaktik der Biologie 253 ben die Vielfalt der Fördermöglichkeiten (durch das BMBF, die Länder, die EU, Stift ungen) und damit das Fördervolumen für die DdB deutlich zugenom- men. Dies führte erfreulicherweise dazu, dass an den Universitäten die abso- lute Zahl der Mitarbeitenden in unserem Fach gestiegen ist. Spiegelt man dies jedoch an der Zahl und der Qualität der Publikationen, so ist mein Eindruck, dass es in dieser Hinsicht nur marginale Verbesserungen gibt. Überfl iegt man die Publikationsangaben auf den Internetseiten der Professuren für die DdB in Deutschland, so bleibt in der Breite ein ähnlicher Eindruck auch heute zu- rück, wie ihn Detlev Leutner bereits vor zwanzig Jahren konstatierte: Veröf- fentlichungen vorwiegend in Sammelbänden, deutlich weniger in Zeitschrift en mit „Double-Blind-Review“-Verfahren und wenige in englischsprachigen Pu- blikationsorganen. Ein Unterschied besteht zur damaligen Situation jedoch da- rin, dass es heute eine Handvoll Standorte gibt, die aus dieser Masse hervorste- chen und sogar bereits DFG-erfolgreichen Nachwuchs hervorgebracht haben. Aber dies sind, um die wissenschaft liche Reputation der DdB in den Fachbe- reichen der Universitäten zu verbessern, deutlich zu wenig. Um nicht falsch verstanden zu werden: Es geht nicht um mangelnde Produktivität, sondern um die Ausrichtung (im ersten Schritt für die Erkenntnis, im zweiten erst für die Anwendung) und um die wissenschaft liche Qualität der Produktivität. Fachdi- daktikerinnen und Fachdidaktiker der Biologie an Universitäten bespielen ein breites Feld: Sie schreiben Schulbücher und entwerfen Arbeitsmaterialien für den Biologieunterricht. Sie verfassen Beiträge für Biologielehrkräft e und Papie- re für die Bildungspolitik, und sie betätigen sich in der Öff entlichkeitsarbeit zu lebenswissenschaft lichen Th emen. Doch was davon ist Wissenschaft ? Eine wissenschaft liche DdB – und wissenschaft lich muss sie ja sein, erhebt sie den Anspruch, durch Professuren an Universitäten und Pädagogischen Hochschu- len vertreten zu sein – hat neben den Aufgaben in der Lehre zunächst geord- netes, begründetes und als gesichert erachtetes Wissen zu schaff en, das – ent- sprechend dem Charakter einer angewandten Wissenschaft – die Grundlage für ihre Anwendungsbereiche, in unserem Fall die Vermittlung von Biologie an verschiedenste Adressatengruppen in unterschiedlichsten Bildungsformaten (formale, informelle) bildet. Eine sich anschließende wissenschaft liche Aufga- be ist dann beispielsweise die kontrollierte empirische Untersuchung der Wir- kung dieser Formate, die aber über die reine Evaluation spezieller Program- me hinausgeht. Wissenschaft bedeutet immer auch Dialog zwischen Experten. Dieser setzt die Veröff entlichung neuen Wissens, der mit geisteswissenschaft - lichen oder empirischen Methoden erzeugten Erkenntnisse (in unserem Fall zum Beispiel über das Lernen und Lehren der Biologie, ihre Methoden und ihre Bewertung) voraus. Daher ist die Publikation dieser Arbeit ein dem wis- senschaft lichen Prozess immer inhärentes Merkmal. In diesem Punkt bedarf 254 Ute Harms es einer massiven Weiterentwicklung unserer Disziplin insbesondere auch im internationalen Feld in hochrangigen Fachzeitschrift en. Mit der defi zitären wissenschaft lichen Publikationslage der DdB eng ver- knüpft ist die geringe Zahl der erfolgreichen DFG-Projekte. Eine Förderung durch die DFG ist aus wissenschaft licher Sicht ein Kennzeichen für hohe wis- senschaft liche Qualität und sollte für die DdB (nicht das einzige, aber) ein prioritäres Ziel darstellen. Zwar nimmt die Zahl der Anträge im Einzelverfah- ren allmählich zu, aber die Antragstellung bzw. die Beteiligung an der Antrag- stellung für Graduiertenkollegs, Forschergruppen und Schwerpunktprogram- me durch Kolleginnen und Kollegen der DdB ist nach wie vor äußerst gering. Auch hier ist Nachholbedarf angezeigt. Die FDdB-IPN-Nachwuchsakademie kann hier mittelfristig eine Unterstützung bieten, die notwendige Publikations- vorleistung jedoch ist eine conditio sine qua non für eine erfolgreiche Förde- rung durch die DFG und muss von jedem Einzelnen, jeder Einzelnen selbst geleistet werden. Eine Strategie, die Beteiligung der Kolleginnen und Kollegen an koordinierten Programmen der DFG zu verbessern, ist eine stärkere Ver- netzung untereinander, also innerhalb der Gruppe der Kolleginnen und Kol- legen der DdB, aber auch darüber hinaus mit Vertreterinnen und Vertretern anderer fachbezogener Bildungswissenschaft en und mit Kolleginnen und Kol- legen aus den allgemeinen Bildungswissenschaft en und auch den Lebenswis- senschaft en notwendig. Entsprechende funktionierende Netzwerke zu bilden, benötigt Zeit. Daher ist dies insbesondere für den wissenschaft lichen Nach- wuchs der DdB zentral. Jenseits der beschriebenen Herausforderungen zu Publikationstätigkeit und DFG-Förderung sehe ich auch auf der inhaltlichen Ebene seit vielen Jahren eine bedenkliche Entwicklung, die ich als „Ent-Biologiesierung“ der DdB be- zeichnen möchte. Originär biologische Konzepte und Inhalte treten vermehrt in den Hintergrund. Aktuelle Fragestellungen beziehen sich eher auf Formate (z. B. Forschendes Lernen) oder mediale Fragen des Lernens (z. B. Repräsen- tationsformen), die gleichermaßen in der Physik oder der Chemie, teilweise sogar darüberhinausgehend in nicht-naturwissenschaft lichen Fächern, ebenso bearbeitet werden könnten. Hier bildet Biologie lediglich ein Beispiel für allge- meinere Fragen des Lehrens und Lernens. Diese Fragen sind relevant und lie- fern wichtige Erkenntnisse auch für das Lehren und Lernen der Biologie und den Biologieunterricht. Nach meiner Auff assung aber sollten Fragestellungen der Bildungswissenschaft Biologie1 vor allem aus den erkannten Defi ziten des Lernens und Lehrens der „Wissenschaft des Lebens“ (Mayr, 1998) hervorge- 1 Hier ist der wissenschaft liche Bereich der Didaktik der Biologie gemeint. Die Be- zeichnung Didaktik der Biologie ist sehr breit und umfasst zahlreiche, insbesondere auch nicht wissenschaft liche Aufgaben, weshalb hier die Bezeichnung Bildungswis- senschaft Biologie verwendet wird. Bedeutung und Aufgaben einer universitären Didaktik der Biologie 255 hen. Ein wichtiger Ausgangspunkt hierfür sind beispielsweise die umfangrei- chen nationalen und internationalen Ergebnisse der Schülervorstellungsfor- schung in der Biologie, aus denen sich wichtige Fragen und Hypothesen für die weitere Forschung ableiten ließen. Dies würde gleichzeitig wegführen von den derzeit noch immer dominierenden eher beschreibenden Studien hin zu Interventionsstudien, deren Ziel es sein sollte, theoriegeleitet und empirisch überprüft e lernförderliche Maßnahmen für das Lernen der Biologie herauszu- arbeiten. Ein vertieft es biologisches Verständnis ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass die tiefgreifenden globalen Probleme, vor denen die Menschheit heute steht, begriff en werden können. So müssen beispielsweise evolutionäre Prinzi- pien verstanden werden, um die Gefahr der Entwicklung von Antibiotikaresis- tenzen nachzuvollziehen; die Bedeutung der Biodiversität ebenso wie ökologi- sche Zusammenhänge müssen begriff en werden, um die existenzielle Gefahr durch Prozesse im Kontext des Klimawandels und die Bedrohung der Ernäh- rungsgrundlagen des Menschen nachzuvollziehen. Nach meiner Auff assung ist die vorderste Aufgabe der DdB heute, aufb auend auf der Grundlage gefestig- ter psychologischer und teilweise auch sozialwissenschaft licher Th eorien, em- pirisch gesichertes Wissen dazu zu erarbeiten, welches biologische Wissen und welche Kompetenzen notwendig sind, um zukünft ige Generationen auf diese Herausforderungen vorzubereiten, und wie diese erfolgreich vermittelt werden können. In diesem Zusammenhang ist auch ein Zusammenwachsen der For- schungsaktivitäten im Bereich der Bildung für nachhaltige Entwicklung, die noch vorwiegend in der Umweltpädagogik verortet ist, und denjenigen in der Bildungswissenschaft Biologie dringend erforderlich. Literatur Carlson, J. & Daehler, K.R. (2019). Th e refi ned consensus model of pedagogical content knowledge in science education. In A. Hume, R. Cooper, & A. Borows- ki (Hrsg.), Repositioning pedagogical content knowledge in teachers’ knowledge for science teaching (S. 77–92). Singapore: Springer. Eggert, S. & Bögeholz, S. (2006). Göttinger Modell der Bewertungskompetenz. Teil- kompetenz Bewerten, Entscheiden und Refl ektieren für Gestaltungsaufgaben Nachhaltiger Entwicklung. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaft en, 12, 199–217. Furtak, E.M. (2012). Linking a Learning Progression for Natural Selection to Teach- ers’ Enactment of Formative Assessment. 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Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaft en, 13, 125–143. Tibell, L.A.E. & Harms, U. (2017). Biological principles and threshold concepts for understanding natural selection – implications for developing visualizations as a pedagogic tool. Science & Education (SCED), 26(7), 953–973. https://doi. org/10.1007/s11191-017-9935-x Tröb st, S., Kleickmann, T., Depaepe, F., Heinze, A. & Kunter, M. (2019). Eff ects of instruction on pedagogical content knowledge about fractions in sixth-grade mathematics on content knowledge and pedagogical knowledge. Unterrichts- wissenschaft , 47, 79–97. https://doi.org/10.1007/s42010-019-00041-y Trö bst, S., Kleickmann, T., Heinze, A., Anschüt z, A., Rink, R. & Kunter, M. (2018). Teacher knowledge experiment: Testing mechanisms underlying the formation of preservice elementary school teachers’ pedagogical content knowledge con- cerning fractions and fractional arithmetic. 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Seit 2017 wissenschaft liche Mitarbeiterin im ZNTD – Zentrum Naturwissen- schaft s- und Technikdidaktik der Pädagogischen Hochschule Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). Anne Cohonner Promotionsstipendiatin von 2014–2017 in der Didaktik der Biologie an der Uni- versität Kassel. Seit 2019 Lehrkraft an der Oberschule Uplengen. Dr. Gabi Dübbelde Promovendin und Projektmitarbeiterin von 2009–2012 im BMBF-Verbund- projekt „Professionsorientierte Lehrerbildung – Horizontale und vertikale Ver- netzung fachdidaktischer, pädagogisch-psychologischer und schulpraktischer Ausbildungsanteile zum Aufb au diagnostischer Kompetenzen“ im Institut für Biologiedidaktik an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Seit 2012 hochschul- didaktische Referentin am Hochschuldidaktischen Kompetenzzentrum (HDK) im Zentrum für fremdsprachliche und berufsfeldorientierte Kompetenzen (Zfb K) an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Dr. Vanessa Fischer Zusammenarbeit mit Jürgen Mayer im DFG-Projekt „Leistungsunterschiede in Kompetenztests in den Fächern Biologie und Chemie – die Rolle von Interesse und Motivation (IMBLiCK)“ von 2013–2016. Seit 2013 wissenschaft liche Mit- arbeiterin in der Didaktik der Chemie an der Universität Duisburg-Essen. Katharina Gimbel Seit 2016 Promovendin und wissenschaft liche Mitarbeiterin im BMBF-Projekt „Contemporary Science“ in der Didaktik der Biologie an der Universität Kassel. 1 Kursiv gesetzt wurden die Zeiten der Zusammenarbeit mit Jürgen Mayer. 260 Autorinnen und Autoren Prof. Dr. Dittmar Graf Als Studienrat im Hochschuldienst am Institut für Biologiedidaktik der Justus- Liebig-Universität Gießen zwischen 1999 und 2001. Seit 2012 Professor für Bio- logiedidaktik am Institut für Biologiedidaktik der Justus-Liebig-Universität Gießen. Dr. Finja Grospietsch Promovendin von 2016–2020 im BMBF-Projekt „Kognitionspsychologische Kon- zepte zur Förderung von nachhaltigem Lernen und Transfer in Biologie und Ma- thematik“ in der Didaktik der Biologie der Universität Kassel. Seit 2020 wis- senschaft liche Mitarbeiterin in der Didaktik der Biologie und Leiterin eines Handlungsfeldes im BMBF-Projekt PRONET2 an der Universität Kassel. Prof. Dr. Marcus Hammann Zusammenarbeit mit Jürgen Mayer im Rahmen von: Kerncurriculum und Stan- dards für die Oberstufe Biologie (2004), BMBF-Verbundprojekt Biologie im Kon- text (BIK), Vorstandsarbeit der Fachsektion Didaktik der Biologie (FDdB) im VBIO, Bildungsstandards im Fach Biologie (2020). Seit 2005 Professor der Di- daktik der Biologie und Leiter des Zentrums für Didaktik der Biologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster sowie von 2011 bis 2017 Vorsit- zender der Fachsektion Didaktik der Biologie. Prof. Dr. Ute Harms Seit den 1990er Jahren des letzten Jahrhunderts kontinuierliche kollegiale und freundschaft liche Zusammenarbeit mit Jürgen Mayer, u. a. am IPN in Kiel, im ESNaS-Projekt am IQB in Berlin sowie in der gemeinsamen Leitung der FDdB- IPN-Nachwuchsakademie. Seit 2007 Direktorin am IPN – Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaft en und Mathematik sowie Professorin für Didaktik der Biologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. 2007 bis 2011 Vorsitzende der Fachsektion Didaktik der Biologie im VBIO und bis 2013 Mitglied des Vorstands. Daniel Horn Seit 2019 wissenschaft licher Mitarbeiter und Promovend im BMBF-Projekt „Life Science Labor – Vernetztes Lehren und Lernen in der Biologie“ in der Didaktik der Biologie an der Universität Kassel. Seit 2021 Handlungsfeldkoordinator des Handlungsfelds III im BMBF-Projekt PRONET2 an der Universität Kassel. Autorinnen und Autoren 261 Marit Kastaun Seit 2017 wissenschaft liche Mitarbeiterin und seit 2018 Promovendin in der AG „Digitales Lehren und Lernen im Biologieunterricht“ in der Didaktik der Biolo- gie an der Universität Kassel. Prof. Dr. Kerstin Kremer Studienrätin und Akademische Rätin von 2006–2014 in der Didaktik der Biolo- gie an den Universitäten Gießen und Kassel. Seit 2019 Professorin des Fachge- bietes Didaktik der Biologie des IDN – Institut für Didaktik der Naturwissen- schaft en an der Leibniz Universität Hannover. Dr. Hagen Kunz Pädagogischer Mitarbeiter von 2004–2012 am Institut für Biologiedidaktik der Justus-Liebig-Universität Gießen und Zusammenarbeit mit Jürgen Mayer im Lehrerbildungsprojekt „Kompetenzorientiert Unterrichten in Mathematik und Naturwissenschaft en“ von 2008–2011. Seit 2013 Leitung der Didaktik der Bio- logie der Universität Siegen. Prof. Dr. Armin Lude Wissenschaft ler am IPN – Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissen- schaft en (1996–2001); wie Jürgen Mayer in der Abteilung Biologie. Beratung durch Jürgen Mayer bei der Suche nach einem Promotionsthema und in der Pro- motion. Seit 2008 Professor für Biologie und ihre Didaktik an der Pädagogi- schen Hochschule Ludwigsburg, Institut für Biologie. Dr. Monique Meier Promotionsstipendiatin von 2009–2012 an der Justus-Liebig Universität Gießen im Institut für Biologiedidaktik und externem Arbeitsplatz in der Didaktik der Biologie an der Universität Kassel. Seit 2015 wissenschaft liche Mitarbeiterin, Leiterin der Experimentier-Werkstatt Biologie (FLOX) und Arbeitsgruppenlei- tung zum „Digitalen Lehren und Lernen im Biologieunterricht“ in der Didak- tik der Biologie an der Universität Kassel . Lars Meyer-Odewald Zusammenarbeit mit Jürgen Mayer im Projekt „Kontrastieren und Vergleichen in der Lehrerbildung“ von 2019–2020. Seit 2019 wissenschaft licher Mitarbeiter in der Didaktik der Physik an der Universität Kassel. 262 Autorinnen und Autoren Dr. Mariella Rothe Promovendin und Projektmitarbeiterin von 2013–2017 im DFG-Projekt „Leis- tungsunterschiede in Kompetenztests in den Fächern Biologie und Chemie – die Rolle von Interesse und Motivation (IMBLiCK)“ in der Didaktik der Biologie an der Universität Kassel. Von 2017–2019 als Lehrkraft im Vorbereitungsdienst an der Jacob-Grimm Schule sowie an der Heinrich-Schütz-Schule in Kassel und seit 2020 als Lehrkraft an der Sekundarschule Warburg tätig. Prof. Dr. Philipp Schmiemann Erste Zusammenarbeit mit Jürgen Mayer als Doktorand an der Universität Duis- burg-Essen im Rahmen des BMBF-Projekts „Biologie im Kontext“ von 2005– 2008 sowie später im Vorstand der Fachsektion Didaktik der Biologie (FDdB) im VBIO. Seit 2012 Professor für Didaktik der Biologie an der Universität Duis- burg-Essen sowie seit 2017 Vorsitzender der Fachsektion Didaktik der Biolo- gie (FDdB) im VBIO. Prof. Dr. Julia Schwanewedel Wissenschaft liche Mitarbeiterin und Projektmitarbeiterin von 2010–2013 im Verbundprojekt „Evaluation der Bildungsstandards für den mittleren Schulab- schluss in den Naturwissenschaft en (ESNaS)“ in der Didaktik der Biologie an der Universität Kassel. Seit 2020 Professorin für Didaktik der Biologie an der Uni- versität Hamburg. Dr. Christiane Specht Wissenschaft liche Mitarbeiterin von 2005–2009 u. a. im BMBF-Projekt „Biolo- gie im Kontext“ im Institut für Biologiedidaktik an der Justus-Liebig-Universi- tät Gießen. Seit 2015 wissenschaft liche Mitarbeiterin in der Geschäft sstelle des Niedersächsischen Verbundes zur Lehrerbildung. Prof. Dr. Sandra Sprenger Studentische Hilfskraft (2000–2004) und nach dem Referendariat Promotions- stipendiatin von 2006–2009 im Institut für Biologiedidaktik an der Justus-Lie- big Universität Gießen. Seit 2014 Professorin für Erziehungswissenschaft unter besonderer Berücksichtigung der Didaktik der Geographie an der Universität Hamburg. Irina Streich Promovendin und Projektmitarbeiterin von 2015–2020 im Teilprojekt im Rah- men des interdisziplinären LOEWE-Schwerpunkts der Universität Kassel „Wün- schenswerte Erschwernisse beim Lernen: Kognitive Mechanismen, Entwick- lungsvoraussetzungen und eff ektive Umsetzung im Unterricht“ in der Didaktik Autorinnen und Autoren 263 der Biologie an der Universität Kassel. Seit August 2020 Studienrätin an der Melanch thon-Schule Steinatal in Willingshausen. Prof. Dr. Elke Sumfl eth Zusammenarbeit mit Jürgen Mayer von 2007–2014 im Verbundprojekt „Evalua- tion der Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss in den Naturwissen- schaft en (ESNaS)“ und der Entwicklung der Bildungsstandards für das Abitur in den Naturwissenschaft en seit 2018 sowie von 2013–2015 in dem DFG-Projekt „Leistungsunterschiede in Kompetenztests in den Fächern Biologie und Chemie – die Rolle von Interesse und Motivation (IMBLiCK)“. Seit 2018 Senior-Professo- rin für Didaktik der Chemie an der Universität Duisburg-Essen. Martina Sutter Pädagogische Mitarbeiterin von 2015 bis 2020 in der Didaktik der Biologie an der Universität Kassel. Seit 2006 Rektorin als Ausbildungsleiterin an der Hessi- schen Lehrkräft eakademie im Studienseminar für Grund-, Haupt-, Real- und Förderschulen in Fritzlar. Sandra Textor Seit 2001 Zusammenarbeit mit Jürgen Mayer bei den Lehrerbildungsforen Biolo- gie (heute Forum der Ausbildungskräft e-Biologie) und an gemeinsamen Publika- tionen. Seit 2006 Rektorin als Ausbildungsleiterin an der Hessischen Lehrkräf- teakademie im Studienseminar für Grund-, Haupt-, Real- und Förderschulen in Kassel mit Außenstelle Eschwege. Seit 2015 Pädagogische Mitarbeiterin in der Didaktik der Biologie an der Universität Kassel. Prof. Dr. Detlef Urhahne Jürgen Mayer war 2008 Gutachter meiner Habilitation zum Th ema „Lernmoti- vation, epistemologische Überzeugungen und forschendes Lernen in den Natur- wissenschaft en“. Seit 2013 Professor für Psychologie mit Schwerpunkt Pädago- gische Psychologie an der Universität Passau. Prof. Dr. Claudia von Aufschnaiter Zusammenarbeit mit Jürgen Mayer und anderen Kolleginnen und Kollegen im BMBF-Verbundprojekt „Professionsorientierte Lehrerbildung – Horizontale und vertikale Vernetzung fachdidaktischer, pädagogisch-psychologischer und schul- praktischer Ausbildungsanteile zum Aufb au diagnostischer Kompetenzen“ von 2008–2012. Seit 2007 Professorin für Didaktik der Physik an der Justus-Liebig- Universität Gießen. 264 Autorinnen und Autoren Prof. Dr. Maik Walpuski Zusammenarbeit mit Jürgen Mayer von 2007–2014 im Verbundprojekt „Evalua- tion der Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss in den Naturwissen- schaft en (ESNaS)“ und der Entwicklung der Bildungsstandards für das Abitur in den Naturwissenschaft en seit 2018 sowie von 2013–2015 in dem DFG-Projekt „Leistungsunterschiede in Kompetenztests in den Fächern Biologie und Chemie – die Rolle von Interesse und Motivation (IMBLiCK)“. Seit 2011 Professor für Di- daktik der Chemie an der Universität Duisburg-Essen. Stefan Weber Seit 2016 Pädagogischer Mitarbeiter in der Didaktik der Biologie an der Univer- sität Kassel. Seit 2004 Rektor als Ausbildungsleiter an der Hessischen Lehrkräf- teakademie im Studienseminar für Grund-, Haupt-, Real- und Förderschulen in Fulda mit Außenstelle in Bad Hersfeld. Dr. Nicole Wellnitz Wissenschaft liche Mitarbeiterin von 2007–2014 im Verbundprojekt „Evalua- tion der Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss in den Naturwis- senschaft en (ESNaS)“ im Institut für Biologiedidaktik an der Justus-Liebig Uni- versität Gießen und in der Didaktik der Biologie an der Universität Kassel. Bis 2016 Arbeitsgruppenleiterin des Projekts „Individualisierung von Unterricht“ in der Didaktik der Biologie der Universität Kassel. Seit 2016 Lehrkraft an der An- nedore-Leber-Grundschule Berlin. Prof. Dr. Rita Wodzinski Zusammenarbeit mit Jürgen Mayer in der Lehre im Bereich des Sachunterrichts von 2009–2020, in der Forschung seit 2015 im Rahmen der Kasseler Projekte PRONET und PRONET2 der Qualitätsoff ensive Lehrerbildung und des Projekts „Kontrastieren und Vergleichen in der Lehrerbildung“. Seit 2000 Professorin für Didaktik der Physik an der Universität Kassel. Julia Wolowski Seit 2019 wissenschaft liche Kooperation mit Jürgen Mayer zur Promotion. Seit 2014 wissenschaft liche Mitarbeiterin und Mitarbeiterin in der Lehre in der Di- daktik der Biologie an der Universität Siegen. Autorinnen und Autoren 265 Dr. Claudia Wulff Seit 2008 wissenschaft liche Mitarbeiterin in der Didaktik der Biologie an der Universität Kassel. Von 2010–2015 beteiligt am Aufb au und in der Leitung der Experimentier-Werkstatt Biologie (FLOX). Stellvertretungsprofessur in der Di- daktik der Biologie der Universität Kassel im WS 20/21. Dr. Kathrin Ziepprecht Promotionsstipendiatin und Mitarbeiterin von 2011–2014 im Projekt „Evalua- tion der Standards in den Naturwissenschaft en für die Sekundarstufe I“ in der Didaktik der Biologie an der Universität Kassel. Seit 2020 Teil der Projektleitung und Projektmanagerin im Projekt „PRONET-D – Professionalisierung im Kas- seler Digitalisierungsnetzwerk“ an der Universität Kassel. Dr. Gundula Zubke Seit 1999 wissenschaft liche Mitarbeiterin an der Justus-Liebig-Universität Gießen und bis 2005 Doktorandin von Jürgen Mayer. Seit 2006 Studienrätin im Hoch- schuldienst im Institut für Biologiedidaktik der Justus-Liebig-Universität Gie- ßen.