MSc FHNW in Virtual Design and Construction Autorinnen: Jasmina Kestic Jana Stoll Thesis Begleiter: Prof. Dr. Hartmut Schulze Thesis- Expertin: Dr. Rébecca Baumann Praxispartnerin: Joana Schön Stressfaktoren und Stressbewältigung im Bauwesen Wie sich unterschiedliche Projektabwicklungsmodelle auf das Stresserleben von Projekt- und Bauleitenden in der Schweizer Bauwirtschaft auswirken Institut Digitales Bauen / Hofackerstrasse 30 msc-vdc.habg@fhnw.ch MSc FHNW VDC 4132 Muttenz www.fhnw.ch/msc-vdc mailto:jasmina.kestic@students.fhnw.ch mailto:jana.stoll@students.fhnw.ch mailto:hartmut.schulze@fhnw.ch Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite I Eigenständigkeitserklärung «Wir erklären hiermit, dass wir die vorliegende Master-Thesis mit dem Titel «Stressfaktoren und Stressbewältigung im Bau- wesen» selbst und selbständig verfasst haben, dass wir sämtliche nicht von uns selbst stammenden Textstellen bzw. Bestandteile eines Werkes (Bil- der, Grafiken, Codes, etc.) gemäss gängigen wissenschaftlichen Zitierregeln korrekt zitiert und die verwendeten Quellen gut sichtbar erwähnt haben; dass wir in einem Verzeichnis alle verwendeten Hilfsmittel (KI-Assistenzsysteme wie Chatbots [z.B. ChatGPT], Übersetzungs- [z.B. Deepl] Paraphrasier- [z.B. Quillbot]) oder Programmierapplikationen [z.B. Github Copilot] deklariert und ihre Art der Verwendung offenlegen und bei den entsprechenden Textstellen angegeben haben, dass wir sämtliche immateriellen Rechte an von uns allfällig verwendeten Materialien wie Bilder oder Grafiken erworben haben oder dass diese Materialien von uns selbst erstellt wurden; dass das Thema, die Arbeit oder Teile davon nicht bei einem Leistungsnachweis eines anderen Moduls verwendet wurden, sofern dies nicht ausdrücklich mit der Dozentin oder dem Dozenten im Voraus vereinbart wurde und in der Arbeit ausgewiesen wird; dass wir uns bewusst sind, dass unsere Arbeit auf Plagiate und auf Drittautorschaft menschlichen oder technischen Ursprungs (künstliche Intelligenz) überprüft werden kann; dass wir uns bewusst sind, dass die Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik einen Verstoss gegen diese Eigenständigkeitserklärung bzw. die ihr zugrundeliegenden Studierendenpflichten der Studien- und Prüfungsordnung der Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik verfolgt und dass daraus disziplinarische (Verweis oder Ausschluss aus dem Studiengang) Folgen resultieren können.» Vorname Nachname: Vorname Nachname: Jasmina Kestic Jana Stoll Ort, Datum: Ort, Datum: Muttenz, 23.05.2025 Muttenz, 23.05.2025 Unterschrift: Unterschrift: Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite II «Es gibt Wichtigeres im Leben, als beständig dessen Ge- schwindigkeit zu erhöhen» Mahatma Ghandi © 2025 CH 4132 Muttenz Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung, Verbreitung und Übersetzung werden vor- behalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung reproduziert oder über elektronische Systeme verbreitet werden. Die Genehmigung ist bei der Abteilung Master of Science FHNW in Virtual Design & Construction einzuholen. Bei gesperrten Arbeiten ist jegliche Art der Weiterverwendung verboten. Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite III Abstract Die Bauwirtschaft ist geprägt von hoher Komplexität, straffen Zeitplänen und zunehmendem Leistungs- druck. Projekt- und Bauleitende stehen im Zentrum dieser Dynamik und sind vielfältigen Stressoren ausgesetzt, die ihre psychische Gesundheit gefährden können. Vor diesem Hintergrund untersucht die vorliegende Masterthesis, wie sich unterschiedliche Projektabwicklungsmodelle, insbesondere konventionelle versus integrierte Ansätze, auf das Stresserleben und die Resilienz von Projekt- und Bauleitenden in der Schweizer Bauwirtschaft auswirken. Ziel der Arbeit war es, zentrale Stressfaktoren zu identifizieren, Bewältigungsstrategien zu analysieren und das Potenzial integrierter Modelle zur Reduktion von Stress fundiert zu bewerten. Dazu wurden 20 qualitative Interviews mit Fachpersonen sowie eine Fokusgruppe mit interdisziplinären Expert*innen durchgeführt und mittels qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet und Handlungsempfehlungen abge- leitet. Die Ergebnisse zeigen, dass konventionelle Modelle durch fragmentierte Verantwortlichkeiten, hierar- chische Organisationsstrukturen, Termin- und Kostendruck erhebliche psychische Belastungen erzeu- gen. Integrierte Modelle wie IPA hingegen fördern durch gemeinsame Zieldefinition, transparente Kom- munikation und geteilte Verantwortung resilienzfördernde Strukturen. Gleichzeitig zeigen sich neue Herausforderungen bei der Implementierung von integrierten Projektabwicklungsmodellen, etwa in Form von erhöhtem Koordinationsaufwand und kulturellem Wandel. Die Arbeit leitet daraus praxisnahe Empfehlungen ab, wie integrierte Modelle erfolgreich eingeführt und mit gezielter Führungskräfteentwicklung, Rollenklarheit und kultureller Begleitung verankert wer- den können. Sie liefert damit einen Beitrag zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und zum lang- fristigen Erhalt der psychischen Gesundheit von Führungspersonen im Bauwesen. Schlagworte Projektabwicklung, Bauwirtschaft, Stressmanagement, Resilienz, konventionell vs. integriert, psychi- sche Gesundheit Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite IV Vorwort Die vorliegende Arbeit bildet den Abschluss des Master-Studiums im Bereich Virtual Design and Construction (VDC) an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). Im Rahmen des Studiums wurde eine intensive Auseinandersetzung mit interdisziplinären Ansätzen im Bauwesen vorgenommen, wodurch wertvolle Erkenntnisse in den Bereichen digitales Planen, kollaborative Arbeitsmethoden und Projektmanagement gewonnen werden konnten. Die Wahl des Forschungsthemas "Stressfaktoren und Stressbewältigung im Bauwesen" wurde durch die zunehmenden Herausforderungen der Branche und die Relevanz nachhaltiger Arbeitsmodelle mo- tiviert. Ein zentraler Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Untersuchung von Stressfaktoren in der Aus- führungsphase von Bauprojekten und integrierter Projektabwicklungsmodelle wie IPA und Allianz, wel- che neue Perspektiven eröffneten. Unser besonderer Dank gilt Prof. Dr. Hartmut Schulze, der uns mit seiner fachlichen Expertise, seinen wertvollen Impulsen und seiner konstruktiven Unterstützung massgeblich begleitet hat. Ebenso danken wir den zahlreichen Expert*innen aus der Bau- und Projektleitung, die sich für Interviews und die Fo- kusgruppe zur Verfügung gestellt haben. Ihre Praxiskenntnisse und persönlichen Erfahrungen trugen wesentlich zur Analyse bei und ermöglichten die Entwicklung fundierter Erkenntnisse und praxisnaher Empfehlungen. Des Weiteren gebührt unser Dank unseren Kommilitoninnen, Praxispartner*innen und Wegbegleiter*in- nen, die uns während des Studiums und der Erstellung dieser Arbeit unterstützt und inspiriert haben. Ein besonderer Dank gilt unseren Familien und Freund*innen, die uns in dieser intensiven Zeit stets motiviert und unterstützt haben. Ihre Geduld und ihr Zuspruch waren von unschätzbarem Wert. Abschliessend sei allen Personen gedankt, die in irgendeiner Form zum Gelingen der Master-Thesis beigetragen haben. Zu nennen sind hier insbesondere jene, die durch ihr Fachwissen, ihre methodi- sche Hilfestellung oder ihre ermutigende Unterstützung zum Erfolg der Arbeit beigetragen haben. Ohne dieses Netzwerk wäre diese Masterthesis nicht in dieser Form entstanden. Muttenz, 23.05.2025 Jasmina Kestic und Jana Stoll Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite V Inhaltsverzeichnis Eigenständigkeitserklärung ..................................................................................................................... I Abstract III Vorwort IV Glossar VII Abkürzungsverzeichnis .......................................................................................................................... X 1 Einleitung ........................................................................................................................... 1 1.1 Ausgangslage und Problemstellung ........................................................................................ 2 1.2 Motivation und Zielsetzung ....................................................................................................... 2 1.3 Fragestellung und Teilfragestellungen ..................................................................................... 3 1.4 Abgrenzung .............................................................................................................................. 5 1.5 Typus der Masterthesis ............................................................................................................ 7 1.6 Gliederung der Arbeit ............................................................................................................... 8 2 Theoretische Grundlagen.................................................................................................. 9 2.1 Stand der Forschung ................................................................................................................ 9 2.2 Entstehung Stress und Stresserleben .................................................................................... 12 2.3 Projektabwicklungen .............................................................................................................. 26 2.4 Unterschiede konventionelle und integrierte Projektabwicklung ........................................... 39 3 Methodik .......................................................................................................................... 41 3.1 Methodisches Vorgehen......................................................................................................... 42 3.2 Methodologische Einordnung ................................................................................................ 43 3.3 Gütekriterien ........................................................................................................................... 71 3.4 Zusammenfassung ................................................................................................................. 71 4 Ergebnisse ...................................................................................................................... 73 4.1 Ergebnisse Interviews ............................................................................................................ 74 4.2 Ergebnisse Fokusgruppe ....................................................................................................... 97 5 Diskussion ..................................................................................................................... 114 Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite VI 5.1 Ergebnisse ........................................................................................................................... 114 5.2 Limitation und Begrenzungen der Untersuchungen ............................................................ 117 5.3 Weiterer Forschungsbedarf .................................................................................................. 118 6 Fazit und Handlungsempfehlungen .............................................................................. 119 6.1 Zentrale Erkenntnisse ........................................................................................................... 119 6.2 Handlungsempfehlungen ..................................................................................................... 120 7 Verzeichnisse ................................................................................................................ 125 7.1 Literaturverzeichnis .............................................................................................................. 125 7.2 Abbildungsverzeichnis ......................................................................................................... 130 7.3 Tabellenverzeichnis .............................................................................................................. 134 8 Anhang .......................................................................................................................... 135 Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite VII Glossar Begriffe Definition Auftraggeber*in «Der/Die Auftraggeber*in ist der/die Vertragspartner*in der Planenden und Dienst- leistenden.» (SIA 101:2020) «Er/Sie ist in der Regel die Bauherrschaft. Als Auftraggeber*in übernimmt die Bau- herrschaft vertragliche Rechte und Pflichten. In den Grenzen der öffentlich-rechtli- chen Rechtsordnung verfügen die Parteien über eine umfangreiche Vertragsfrei- heit.» (SIA 112:2014) Bauführer*in Abschnitts-Leiter*in einer Baustelle, Verantwortliche Person für eine Baustelle und Materialeinsatz. (“Bauführer,” 2024) Bauherr*in «Der/Die Bauherr*in ist der/die oberste Entscheidungsträger*in eines Bauvorha- bens.» (SIA 101:2020) Diese Funktion ist nicht delegierbar. Dabei ist es unerheblich, ob er/sie Eigentü- mer*in und/oder Investor*in ist. Er/Sie ist für die strategische Projektführung verant- wortlich. Er/Sie ist der Gesuchsteller*in in den erforderlichen Bewilligungsverfah- ren. (SIA 112:2014) Bauleitung «Die Bauleitung vertritt die Bauherrschaft oder die Auftraggebenden gegenüber den Unternehmer*innen und Lieferant*innenen. Sie leitet, koordiniert und beauf- sichtigt die Arbeiten auf der Baustelle.» (SIA 112:2014) Baupolier*in Leitung der gewerblichen Mitarbeiter*innen auf der Baustelle. Bindeglied zwischen den auf den tätigen Arbeiter*innen auf der Baustelle und der Bauleitung. (“Polier,” 2024) Best for Project Grundsatz, alle Entscheidungen auf die Erreichung der gemeinsamen Projektziele auszurichten. (IPA Zentrum, 2022a) Besteller*in «Der/die Besteller*in ist die Person oder Organisation, die bei einem Unternehmen ein Werk gegen Vergütung bestellt. Gemäss Art. 363 OR verpflichtet sich der/die Unternehmer*in durch den Werkvertrag zur Herstellung eines Werks und der/die Besteller*in zur Leistung einer Vergütung.» (SIA 101:2020) Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite VIII Code-Matrix- Browser Visualisierungswerkzeug für Zuordnung von Fragen zu den Kategorien und Codie- rungshäufigkeiten in den Interviews. (Kuckartz & Rädiker, 2024) Code-Relations- Browser Darstellung, welche Codes gemeinsam in den Dokumenten vorkommen. (Kuckartz & Rädiker, 2024) Deduktiv Beim deduktiven Vorgehen wird eine bestehende Theorie oder Hypothese zu- grunde gelegt, die anschliessend durch empirische Untersuchungen überprüft wird. Das Ziel besteht darin, bekannte Annahmen systematisch zu bestätigen oder zu widerlegen. Die deduktive Forschung ist in der Regel hypothesenprüfend. (Pfeif- fer, 2018a) Expert*in In dieser Arbeit wird der Begriff „Expert*in“ im Sinne von Bogner et al. (2014) ver- standen, wonach Expert*innen als sachkundige Fachleute mit Spezialwissen gel- ten, das durch Erfahrung und Praxisbewährung geformt wurde. Wie (Bogner et al., 2014, p. 9) beschreiben, „steckt die lateinische Sprachwurzel ‚expertus: erprobt, bewährt“ in diesem Begriff, was verdeutlicht, dass Expertise nicht nur auf theoreti- schem Wissen, sondern auch auf praktischer Erprobung beruht. Fachplaner*in «Als Fachplaner*in werden Planer*innen bezeichnet, die nicht die Gesamtleitung ausüben.» (SIA 112:2014) Gesamtleitung «Die Aufgabe der Gesamtleitung besteht in der Leitung und Koordination des Planerteams sowie in der Gewährleistung der Kommunikation mit der Bauherr- schaft, den Planenden, der Bauleitung, den Behörden, Unternehmer*innen, Liefe- rant*innen und Dritten. Sie unterstützt die Bauherrschaft über alle Phasen treuhän- derisch.» (SIA 101:2020) Induktiv Ein induktiver Forschungsansatz fokussiert sich auf den Einzelfall. Aus Beobach- tungen oder erhobenen Daten werden Muster erkannt, aus denen eine allgemeine Theorie oder Hypothese abgeleitet wird. Dieser Ansatz erweist sich insbesondere dann als geeignet, wenn nur begrenztes Vorwissen oder Literatur zur Verfügung stehen und neue Erkenntnisse generiert werden sollen. (Pfeiffer, 2018a) Lieferant*in «Der/die Lieferant*in liefert den Unternehmern und/oder der Bauherrschaft Pro- dukte. In der Regel ist die Rechtsbeziehung zwischen Lieferanten und Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite IX Unternehmern Bauherrschaft dem Kaufvertrag (im Sinne von Art. 184 ff. OR) unter- stellt.» (SIA 101:2020) Oberbauleitung (OBL) «Die Oberbauleitung ist die oberste allgemeine Leitung der Bauausführung im Tief- bau.» (SIA 101:2020) Planer*in «Der/Die Planer*in übernimmt als Architekt*in oder Ingenieur*in die gestalterische, funktionale und konstruktive Planung eines Werks mit den Leistungen seiner/ihrer Berufsgattung.» (SIA 112:2014) Projektleiter*in «Der/die Projektleiter*in übt die Funktion der Gesamtleitung aus. In der Regel über- nimmt er auch die Planung in den Aspekten der Berufsgattung, die beim betreffen- den Bauwerk dominiert.» (SIA 112:2014) Spezialist*in «Als Spezialist*in wird eine Fachperson bezeichnet, die für das Planerteam spezi- elle Aspekte eines Bauwerkes bearbeitet.» (SIA 112:2014) Unternehmer*in «Der/die Unternehmer*in ist für die vertragskonforme Herstellung des Werks im Sinne von Art. 363 ff. OR verantwortlich.» (SIA 112:2014) Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite X Abkürzungsverzeichnis A_____________________________________________________________________________________ Abb. Abbildung IPD Integrated Project Delivery IPA Integrierte Projektabwicklung B_____________________________________________________________________________________ BIM Building Information Modelling Bzw. beziehungsweise D_____________________________________________________________________________________ d.h. das heisst DB Design-Build DBB Design Bid Build E_____________________________________________________________________________________ ehem. Ehemalig G_____________________________________________________________________________________ GP Generalplaner GU Generalunternehmung I______________________________________________________________________________________ IPA Integrierte Projektabwicklung IPD Integrated Project Delivery Q_____________________________________________________________________________________ QS Qualitätssicherung S SIA Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein Stv. Stellvertreter*in V_____________________________________________________________________________________ vgl vergleiche Z_____________________________________________________________________________________ z.B. zum Beispiel Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite 1 1 Einleitung «Der Druck auf die Bauarbeiter wird immer grösser. Stress, lange Reisezeiten und end- lose Überstunden sind oft an der Tagesordnung.» - Unia, 2024 Die Bauwirtschaft in der Schweiz zeichnet sich durch anspruchsvolle Projekte, straffe Zeitvorgaben und eine hohe Arbeitsbelastung aus. (baublatt, 2024) Laut der Schweizerischen Gesundheitsbefra- gung des Bundesamtes für Statistik (BFS) hat sich der Anteil der gestressten Personen zwischen 2012 und 2022 um 25% erhöht. (Medienmitteilung bfs, 2024) Besonders stark betroffen ist das Baugewerbe. Beschäftigte dieser Branche berichten überdurchschnittlich häufig von enormem Zeitdruck und einem konstant hohen Arbeitstempo während mindestens 75% ihrer Arbeitszeit. (baublatt, 2024) Projekt- und Bauleitende sind dabei zentrale Akteur*innen, die durch die hohe Verantwortung für den Erfolg eines Bauprojekts mit erheblichen Stressfaktoren und einer hohen Arbeitsbelastung konfrontiert sind. Ihre Rolle erfordert die Koordination verschiedener Akteure, das Management von Ressourcen, das Lösen unvorhergesehener Probleme und das Einhalten strenger Zeitpläne. Dies kann zu Überbe- lastung und Erschöpfung führen. (Interview, Expertin Burnout- Prophylaxe und Hypnose) Das Konzept der Resilienz, verstanden als die Fähigkeit, aus belastenden Situationen gestärkt hervor- zugehen und diesen, ohne langfristige psychische oder physische Schäden zu begegnen, rückt in diesem Zusammenhang zunehmend in den Fokus. (“Resilienz,” 2023) Die Förderung der Resilienz wird als entscheidender Faktor gesehen, um das Wohlbefinden sowie die langfristige Leistungsfähig- keit von Projekt- und Bauleitenden in der Bauwirtschaft zu gewährleisten. (Interview, Expertin Training und Coaching) Im Rahmen dieser Masterarbeit wird untersucht, welche Herausforderungen die konventionelle Projek- tabwicklung hat, und wie konventionelle und integrierte Projektabwicklungsmodelle das Stresserleben von Projekt- und Bauleitenden in der Ausführungsphase von Bauprojekten in der Schweiz beeinflussen können. Zudem soll analysiert werden, welche Strategien zur Reduktion von Stress und Erschöpfung beitragen und wie diese in der Praxis umgesetzt werden können. Besonderes Augenmerk wird dabei auf integrierte Projektabwicklungsmodelle gelegt, die eine engere Zusammenarbeit und eine frühzeitige Einbindung aller Projektbeteiligten fördern. Es wird vermutet, dass diese Modelle das Potenzial haben, den Stress der Projektleitenden zu reduzieren – eine An- nahme, die in dieser Arbeit systematisch überprüft wird. Diese Masterthesis zielt darauf ab, einen Bei- trag zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und zur langfristigen Zufriedenheit von Projekt- und Bauleitenden zu leisten. http://www.fhnw.ch/msc-vdc Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite 2 1.1 Ausgangslage und Problemstellung In den letzten Jahren hat die Diskussion um Stress und Burnout in der Schweizer Bauwirtschaft zuneh- mend an Bedeutung gewonnen. Der Schweizerische Baumeisterverband warnte bereits im April 2023 vor den häufig unterschätzten gesundheitlichen Risiken, denen Personen aus der Baubranche ausge- setzt sind. (“Ein unterschätztes Problem,” 2023) Trotz der gestiegenen Sensibilisierung bleiben Schu- lungen und Präventionsmassnahmen, wie sie beispielsweise von der schweizerischen Zentralstelle für Baurationalisierung CRB (Centre suisse d'études pour la rationalisation de la construction) angeboten werden, nur wenig nachgefragt. (“Mit Resilienz zu Effizienz,” 2024) Es zeigt sich, dass viele Projekt- und Bauleitende die Belastungen erst dann ernst nehmen, wenn sie bereits akut betroffen sind (“Mit Resilienz zu Effizienz,” 2024). Diese Problematik ist in der Bauwirtschaft besonders relevant, da die Anforderungen an Projektleitende kontinuierlich steigen, während präventive Massnahmen zur Vermeidung von Stress und Erschöpfung nur unzureichend etabliert sind (Interview, Expertin Training and Coaching, 2024). Vor diesem Hinter- grund stellt sich die Frage, inwieweit unterschiedliche Projektabwicklungsmodelle Einfluss auf die Ar- beitsbedingungen und die psychische Belastung der Projekt- und Bauleitenden ausüben. Während konventionelle Projektabwicklungsmodelle in der Regel durch hierarchische Strukturen, klar definierte Prozesse und häufige Nachtragsforderungen charakterisiert sind, zeichnen sich integrierte Modelle durch eine stärkere Kollaboration und eine frühzeitige Einbindung aller Projektbeteiligten aus (Becker & Roman-Müller, 2022). Der Fokus dieser Untersuchung liegt daher auf der Frage, wie sich diese unterschiedlichen Ansätze auf die Resilienz von Projekt- und Bauleitenden in der Ausführungsphase von Bauprojekten auswirken und welche Massnahmen zur Förderung der psychischen Widerstandskraft implementiert werden kön- nen. Nach dem Kenntnisstand der Autorinnen stellt diese Untersuchung eine der ersten Arbeiten dar, die den Zusammenhang zwischen konventionellen und integrierten Projektabwicklungsmodellen und de- ren Auswirkungen auf Stress und psychische Belastung in der Schweizer Bauwirtschaft systematisch untersucht. 1.2 Motivation und Zielsetzung Das Thema "Mensch" erfährt in der heutigen Arbeitswelt eine stetig wachsende Relevanz, insbeson- dere im Bau- und Projektleitungsbereich. (Gruntz, 2023) Die Auswertung zur Umfrage von Architektur Basen, 2023, «Normalität oder Skandal» zeigt, dass der Stresslevel Bei Leitenden Positionen auf einer Skala von eins bis zehn im Durchschnitt bei 7-8 steht. (Gruntz, 2023) Die Umfrage zeigte ausserdem, Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite 3 dass die Arbeitsbedingungen von geringen Löhnen, eine Unmenge an Überstunden und wenig Wert- schätzung geprägt sind. (Gruntz, 2023) Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung ist es von zentraler Bedeutung, die spezifischen Stress- faktoren und Belastungssituationen zu identifizieren, denen Projekt- und Bauleitende in der Ausfüh- rungsphase besonders ausgesetzt sind. Des Weiteren soll durch einen Vergleich konventioneller und integrierter Projektabwicklungsmodelle eine Identifikation konkreter Ansätze erfolgen, durch welche eine Verringerung von Stress und Erschöpfung sowie eine Stärkung der Resilienz von Führungskräften erreicht werden kann. Die abgeleiteten Handlungsempfehlungen und Strategien bieten einen praktischen Nutzen für Unter- nehmen und Fachkräfte, indem sie wertvolle Tipps zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen sowie zur Optimierung der Projektabwicklung liefern. Dies kann zu einer langfristigen Steigerung der Effizienz und Zufriedenheit in der Bauwirtschaft beitragen. 1.3 Fragestellung und Teilfragestellungen Im Rahmen dieser Masterarbeit werden eine zentrale Forschungsfrage sowie zwei gleichwertige Hauptfragestellungen entwickelt. Ziel ist es, zunächst die Herausforderungen in konventionellen Bau- projekten zu identifizieren, um festzustellen, welche Herausforderungen das grösste Stresspotenzial haben und in welcher SIA-Phase das grösste Stresspotenzial liegt. In einem weiteren Schritt werden die Stressfaktoren und Massnahmen zur Stressreduktion aus Sicht der Bau- und Projektleitenden iden- tifiziert. Im Anschluss wird das Potenzial integrierter Projektabwicklungsmodelle untersucht, um den Stress und die Erschöpfung von Projekt- und Bauleitenden zu verringern. Abschliessend erfolgt die Beantwortung der übergeordneten Fragestellung durch die Entwicklung von Massnahmen und Strate- gien, die in Form von Handlungsempfehlungen präsentiert werden. Übergeordnete Forschungsfrage Inwiefern beeinflussen unterschiedliche Projektabwicklungsmodelle in der Bauwirtschaft das Stresserleben von Projekt- und Bauleitenden in der Ausführungsphase und welche Handlungsempfehlungen lassen sich aus den Erfahrungen mit konventionellen und inte- grierten Modellen zur Stressbewältigung ableiten? Hauptfragestellung 1 Welche Faktoren können in konventionellen Bauprojekten bei Projekt- und Bauleitenden zu Stress und Erschöpfung führen und welche Strategien setzen Projekt- und Bauleiten- den zur Stressbewältigung ein? Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite 4 Teilfragestellungen 1: • Welche Herausforderungen des konventionellen Projektabwicklungsmodell gibt es aus Sicht der Projekt- und Bauleitenden? • Welche typischen Arbeitssituationen sind in der Ausführungsphase von Bauprojekten aus der Perspektive von Projekt- und Bauleitenden (belastend und) stressauslösend? • Welche Massnahmen wählen Projekt- und Bauleitende zu Reduktion von Stress? Hauptfragestellung 2: Welches Potenzial bietet der Ansatz integrierter Projektabwicklungen in der Schweiz, um Stress bei Projekt- und Bauleitenden in der Bauwirtschaft zu verringern, welche zusätzli- chen Stressfaktoren ergeben sich ggfs. und welche Empfehlungen können abgeleitet werden? Teilfragestellungen 2: • Welche integrierten Projektabwicklungsmodelle werden in der Schweiz bei der Durchführung von Bauprojekten angewendet und welche zentralen Gemeinsamkeiten und Unterschiede fin- den sich zwischen diesen und der konventionellen Projektabwicklung? • Welche Elemente der integrierten Projektabwicklung haben das Potenzial, Stress bei Projekt- und Bauleitenden zu senken? • Welche Elemente der integrierten Projektabwicklung können zusätzlichen Stress bei Projekt und Bauleitenden auslösen? • Welche Massnahmen können im Rahmen der integrierten Projektabwicklung zur Senkung des Stresspotenzials von Projekt- und Bauleitenden implementiert werden? Diese Fragestellungen dienen als Leitfaden für die systematische Untersuchung des Stresserlebens und der Resilienz von Projekt- und Bauleitenden und die Entwicklung von Handlungsempfehlungen zur Förderung dieser Resilienz in der Schweizer Bauwirtschaft. Präzisierung der Fragestellung Im Verlauf der Masterthesis erfolgte eine Überarbeitung und Präzisierung der ursprünglichen For- schungsfragen. Die geführten leitfadengestützten Interviews dienten dabei als Grundlage, da sie durch ihre Auswertung neue inhaltliche Schwerpunkte offenbarte. In der Folge wurden sowohl die Hauptfragestellung als auch einige Teilfragen entsprechend präzisiert, um eine bessere Kongruenz mit den im empirischen Material erkennbaren Aspekte zu gewährleisten. Dieses iterative Vorgehen ist charakteristisch für qualitative Forschung, bei der die Forschungsfragen nicht starr vorgegeben sind, sondern sich im Verlauf des Analyseprozesses weiterentwickeln dürfen. Wie Kuckartz und Rädiker Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite 5 (2024, p. 11) betonen, können sich bestimmte Facetten der Fragestellung erst während der Analyse herauskristallisieren und in den Vordergrund treten. Eine Modifizierung und Präzisierung der For- schungsfragen ist daher nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten, um der inhaltlichen Tiefe und Kom- plexität der erhobenen Daten gerecht zu werden. (Kuckartz & Rädiker, 2024, p. 11) 1.4 Abgrenzung In der vorliegenden Masterthesis wird der Fokus auf Stressfaktoren und Massnahmen zur Stressreduk- tion von Personen gelegt, die in der Schweizer Bauwirtschaft tätig sind und eine Leitende Funktion haben sowie Erfahrung in konventionellen und oder integrierten Projektabwicklungen haben. Als Er- gänzung für die Untersuchung werden Expert*innen, welche Erfahrung mit dem IPA-Modell haben ebenfalls zur Validierung der Resultate befragt. Abbildung 1: Übergeordnete Kriterien für die Auswahl der zu befragenden Personen, eigene Darstellung, 2024 Die Untersuchung adres- siert spezifische Zielgrup- pen, darunter Gesamtpro- jektleitende, Projektlei- tende, Bauleitende, Pla- ner*innen und Baufüh- rende, um unterschiedliche Ebenen der Zusammenar- beit und Stressbewältigung einzubeziehen. Für die Aus- wahl der Teilnehmenden wurden Sampling-Kriterien definiert, die Aspekte wie Berufserfahrung (mind. 5 Abbildung 2: Auswahl der zu befragenden Personen aus spezifischen Hierarchie- stufen und Leitungspositionen, eigene Darstellung, 2024 Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite 6 Jahre), Branchenvielfalt, Projektumfang (von kleineren Bauprojekten bis zu Grossprojekten über 1 Mio. CHF), Führungsverantwortung und Unternehmensgrösse (von KMU bis grosse Bauunternehmen) um- fassen. Diese Kriterien gewährleisten eine repräsentative Vielfalt und ermöglichen eine umfassende Analyse der Herausforderungen und Strategien in der Praxis. In der folgenden Abbildung werden alle Sampling-Kriterien dargestellt. Abbildung 3: Sampling-Kriterien für die Auswahl der zu befragenden Personen, eigene Darstellung, 2024, vgl. Anhang U Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite 7 Die Analyse umfasst sowohl konventionelle Projektabwicklungsmodelle als auch integrierte Modelle, zu denen IPA und Allianz-Projekte zählen. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf der Ausfüh- rungsphase von Bauprojekten, wobei auch die Übergänge zur Planungsphase zur Identifikation von der Phase mit den am meisten genannten Herausforderungen und Stressfaktoren, berücksichtigt wer- den. Ziel ist die Entwicklung eines fundierten Verständnisses für die Belastungen und Bewältigungsstrate- gien in der Bauwirtschaft sowie die Ableitung praxisorientierter Handlungsempfehlungen, die zu einer nachhaltigeren und resilienteren Projektabwicklung beitragen können. 1.5 Typus der Masterthesis Die vorliegende Masterthesis wird mit dem Typus B2 verfasst, welcher in der Wegleitung wie folgt definiert ist: «Wissenschaftliche, theoretische Arbeit mit Anteil Entwurfsarbeit: Bearbeiten einer For- schungsfrage, schriftliche Umsetzung. Entwurfsarbeit, abgestützt auf der bearbeiteten These. In Abgrenzung zu Typus A kleiner Anteil Entwurfsarbeit.» -Dainton et al., 2024 Diese Vorgehensweise erscheint sinnvoll, da der Fokus dieser Masterthesis auf einer wissenschaftli- chen Analyse von Stressfaktoren und Massnahmen zur Stressreduktion liegt, jedoch durch praxisori- entierte Handlungsempfehlungen ergänzt wird. Der Anteil der Entwurfsarbeit besteht in der Entwick- lung konkreter Massnahmen und Strategien zur Stressreduktion und Förderung der Resilienz in der Bauwirtschaft. Diese basieren auf den gewonnenen Forschungsergebnissen und werden als praxis- nahe Lösungen präsentiert. Tabelle 1: Typus der Masterthesis, eigene Darstellung in Anlehnung an Dainton et al., 2024 Typus | Teile Praxis (Entwurf, Umsetzung) Theorie & Reflexion Präsentation mit Kolloquium Total B2 Wissenschaftliche, theoreti- sche Arbeit mit Anteil Ent- wurfsarbeit (Forschungsfrage, Schrift. Umsetzung, Entwurfsarbeit) 25% 50% 25% 100% Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite 8 1.6 Gliederung der Arbeit Die vorliegende Masterarbeit folgt einer klar strukturierten Gliederung, um eine umfassende und sys- tematische Untersuchung des Forschungsgegenstands zu gewährleisten. Die Einleitung dient der Darstellung des Hintergrunds und der Relevanz des Themas, der Formulie- rung der Zielsetzung sowie der Darstellung der zentralen Forschungsfragen. Darüber hinaus wird ein Überblick über den Aufbau der Arbeit gegeben, um die Lesenden durch die verschiedenen Kapitel zu führen. Im anschliessenden theoretischen Teil wird zunächst der aktuelle Stand der Forschung im Kontext von Stress und Stressreduktion in der Bauwirtschaft aufgearbeitet. Darauf aufbauend werden die the- oretischen Grundlagen und zentralen Begriffsdefinitionen erörtert, insbesondere im Hinblick auf Stress- bewältigungsstrategien und verschiedene Projektabwicklungsmodelle. Dabei wird zwischen konventi- onellen und integrierten Projektabwicklungsansätzen differenziert. Das Kapitel zur Methodik beschreibt detailliert die gewählte Forschungsstrategie und die methodi- schen Ansätze, die zur Beantwortung der Forschungsfragen herangezogen wurden. Es wird erläutert, welche qualitativen Methoden, insbesondere leitfadengestützte Interviews und Fokusgruppen, zur Da- tenerhebung eingesetzt wurden. Darüber hinaus wird der Prozess der Datenanalyse dargelegt, um die Nachvollziehbarkeit der Auswertung sicherzustellen. Im nachfolgenden Kapitel werden die Ergebnisse der Untersuchungen präsentiert. Es werden die ge- sammelten Daten und Erkenntnisse aus der Literaturrecherche und die Auswertung der Interviews so- wie der Fokusgruppe präsentiert. Dies ermöglicht einen umfassenden Überblick über die gewonnenen Erkenntnisse zur Resilienz von Bau- und Projektleitenden. Die anschliessende Diskussion der Ergebnisse erfolgt im nachfolgenden Kapitel. Im Folgenden erfolgt eine Einordnung der Ergebnisse in den Kontext der bestehenden Theorie und Praxis. Im Anschluss erfolgt eine kritische Reflexion der gewonnenen Erkenntnisse sowie eine Erörterung potenzieller Impli- kationen für die Baubranche und die weitere Forschung. Im abschliessenden Fazit erfolgt eine Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse sowie eine Beantwortung der zu Beginn der Arbeit aufgestellten Forschungsfragen. Darüber hinaus werden die Limitationen der durchgeführten Studie erörtert. Abschliessend wird ein Ausblick auf mögliche zukünf- tige Forschungsarbeiten in diesem Bereich gegeben, um weitere Perspektiven für die Untersuchung von Stressfaktoren und Massnahmen zur Stressreduktion in der Baubranche aufzuzeigen. Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite 9 2 Theoretische Grundlagen In diesem Kapitel werden die zentralen theoretischen Grundlagen bereitgestellt, auf denen die vorlie- gende Masterarbeit aufbaut. Zunächst erfolgt eine Übersicht der Stand der Forschung, dann folgt eine Recherche über die Stressfaktoren und Bewältigungsstrategien im Bau- und Projektmanagement mit damit verbundenen Begriffsdefinition der relevanten Terminologie. Im weiteren Verlauf erfolgt eine sys- tematische Erläuterung konventioneller und integrierter Projektabwicklungsmodelle. Das Ziel besteht darin, den Leserinnen und Lesern ein präzises Verständnis der theoretischen Konzepte zu vermitteln, die für die Analyse der Forschungsfragen essenziell sind. Darüber hinaus wird die Relevanz der ver- schiedenen Ansätze im Forschungskontext aufgezeigt und eine neutrale Reflexion ihrer Stärken und Limitationen ermöglicht. Dies gewährleistet, dass die anschliessende Interpretation der empirischen Ergebnisse auf einer fundierten Basis steht. 2.1 Stand der Forschung Der aktuelle Forschungsstand zeigt, dass es zwar eine Vielzahl an Studien zu den Themen Stress und Burnout in der Schweiz gibt, jedoch keine, die sich explizit auf die Baubranche konzentrieren (Brüneg- ger et al., 2024). In der vorhandenen Literatur und der medialen Berichterstattung wird die Problematik von Burnout, Stress und Erschöpfung in der Bauwirtschaft zwar aufgegriffen, jedoch wurden in diesem Bereich überwiegend explorierende Umfragen durchgeführt, während tiefgehende qualitativ-empiri- sche Untersuchungen fehlen, die sich spezifisch mit den Ursachen von Stress in der Baubranche aus der subjektiven Perspektive betroffener Projekt- und Bauleitender befassen (Brünegger et al., 2024; Galliker, 2019; unia, 2024). Die Christliche Soziale Schweizer (CSS) Gesundheitsstudie 2024 untersucht das gesundheitliche Wohlbefinden der Schweizer Bevölkerung, insbesondere im Zusammenhang mit psychischer Gesund- heit, Erschöpfung und Burnout.(Brünegger et al., 2024) Ein Drittel der jungen Erwachsenen in der Schweiz leidet unter psychischen Problemen, und 70% der Befragten berichten von Müdigkeit und Erschöpfung (Brünegger et al., 2024). Ein Newsletter des AEH-Zentrums für Arbeitsmedizin, Ergonomie und Hygiene thematisiert die hohen Belastungen in der Bauwirtschaft, die durch physische Anstrengungen, Arbeitsbedingungen und Ter- mindruck entstehen. (AEH, 2019) Zu den genannten Stressfaktoren gehören der hohe Termindruck, Projektorganisationen mit einer hohen Komplexität und vielen Akteur*innen, die Arbeit im Freien unter extremen Wetterbedingungen, Gesundheitsbelastungen durch Abgase und Stäube sowie die Unfall- häufigkeit (AEH, 2019). Die AEH hat folgende Stresspräventive und Stressbewältigende Massnahmen im Newsletter beschrieben. (AEH, 2019) Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite 10 Tabelle 2: Massnahmen zur Stressprävention und Stressbewältigung, AEH, 2019 Stressprävention Stressbewältigung Systematische Planung der Arbeit: • Ausreichende Vorlaufzeiten • Frühzeitige Materialbestellungen • Regelmässige geplante Besprechungen auf Baustelle • Optimierung der Abläufe und der Disposition von Mate- rial und Arbeitsmittel • Umsetzung von Kurzpausen • Ergonomie: Umgang mit physischer Belastung üben • Training zu Stressbewältigung o Eigene Stressreaktion erkennen o Methoden zum Abbau von Belastungen kennen o Stressmindernde Einstellung erlernen o Methoden zur Reduktion der Stressreaktion erler- nen • Arbeitsmedizinische Abklärungen oder andere Hilfestel- lungen bei Überbelastung anbieten Verbesserung der Zusammenarbeit • Klare Absprachen • Klare Zuständigkeiten und Befugnisse • Optimierung Informationsflüsse: Planer – Bauleiter – Po- lier Qualifizierung • Ausbau der pers. Kompetenzen mit ausreichenden Ver- weilzeiten in einer Position • Fortbildung zu Kommunikation und Umgang mit Konflik- ten • Training zu Stressprävention und Stressbewältigung Die Umfrage «Normalität oder Skandal» die 2023 von Architektur Basel veröffentlicht wurde, beleuchtet die herausfordernden Arbeitsbedingungen in Architekturbüros in Basel. Die Ergebnisse der Umfrage, an der 446 Personen teilnahmen, zeigen, dass viele Architekten und Architektinnen mit niedrigem Lohn, zahlreichen Überstunden und mangelnder Wertschätzung konfrontiert sind. (Gruntz, 2023) Auch im gesamtwirtschaftlichen Kontext lässt sich diese Belastung erkennen. Laut dem Job-Stress- Index 2022 von Gesundheitsförderung Schweiz fühlen sich über 30% der Erwerbstätigen in der Schweiz emotional erschöpft.(Gesundheitsförderung, 2022) Stress kann demnach zu Produktivitäts- verlusten von durchschnittlich 14.9% der Arbeitszeit führen (Gesundheitsförderung, 2022). Der zunehmende Druck auf Baustellen ist laut der Unia-Studie, welche mit 12`000 Bauarbeitern durch- geführt wurde, ein Grund für die steigende Anzahl an Unfällen und schweren Zwischenfällen in den letzten zehn Jahren (“Studie der Unia - Bauarbeiter leiden unter Stress und Zeitdruck,” 2020). Über 75% der Befragten Personen bestätigen, dass der Termindruck zugenommen hat und 50% geben an, dass die persönliche Gesundheit leidet. (“Studie der Unia - Bauarbeiter leiden unter Stress und Zeit- druck,” 2020) Im Bereich der Unfallverhütung und Gesundheitsprävention in der Schweizer Bauwirtschaf ist die Suva (Schweizerische Unfallversicherungsanstalt) der grösste Träger der obligatorischen Unfallversiche- rung in der Schweiz und setzt sich aktiv für Arbeitssicherheit und Gesundheitsstutz ein. Sie entwickeln Präventionsprogramme zur Förderung der Sicherheit und Gesundheit in der Arbeitswelt. (Suva, 2025a) Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite 11 Im Magazin von 2019 der Suva werden Aus- wirkungen von Stress auf das Unfallrisiko in der Baubranche beschrieben. (Galliker, 2019) Urs Näpflin, Präventionsspezialist der Suva, erklärt im Magazin, dass Stress nicht nur die Leistungsfähigkeit beeinträchtigt, sondern auch die Unfallgefahr erheblich erhöht. In ei- nem Beispiel schildert Näpflin die Situation ei- nes Arbeiters, der aufgrund langer Arbeits- tage, frühem Arbeitsbeginn, Zeitdruck und Multitasking unter Stress steht. Diese Stresso- ren wirken über mehrere Tage oder Wochen auf ihn ein und tragen dazu bei, dass er durch einen Telefonanruf abgelenkt wird und schliesslich abstürzt. (Galliker, 2019) Näpflin betont, dass selbst kurzfristige Stressmo- mente das Unfallrisiko erhöhen können. Bereits ein kurzer Moment der Ablenkung oder Hektik kann gefährliche Situationen provozieren – sei es beim Überqueren einer Strasse, wenn eine Velofahrerin übersehen wird, oder beim hastigen Hinunterlaufen einer Treppe, wo ein verpasster Tritt zu einem Sturz führt. (Galliker, 2019) So entwickelt die Suva ganzheitliche Präventionskonzepte, dass sowohl die physische Sicherheit als auch die psychische Gesundheit berücksichtigt. (Suva, 2025b) Der Fokus liegt dabei auf der Gefähr- dungsbeurteilung zur Ermittlung von Risiken auf der Baustelle, Schulungen und Sensibilisierungsmass- nahmen, Förderung der Zusammenarbeit und Stressmanagement-Workshops und Gesundheitstrai- nings zur Reduktion von Stressfaktoren. (Suva, 2025b) Einordnung der Eigenen Arbeit Die Relevanz der Thematik liegt darin, dass, obwohl Stress und Burnout in den Medien häufig diskutiert werden, bisher jedoch keine empirischen Studien vorliegen, die explizit die Auswirkungen verschiede- ner Projektabwicklungsmodelle auf die Resilienz von Projekt- und Bauleitenden im Schweizer Bauwe- sen untersuchen. Besonders das Potenzial der Integrierten Projektabwicklung (IPD) zur Reduktion von Stress und zur Förderung der Resilienz wurde in der Schweizer Bauwirtschaft noch nicht erforscht. Es besteht daher ein dringender Bedarf an einer qualitativ-empirischen Untersuchung, um gezielte Mas- snahmen zu entwickeln, die in der Praxis Anwendung finden können. Das muss heute fertig sein! Abbildung 4: gestresster Arbeiter auf der Baustelle, eigene Darstellung generiert mit Midjourney, 2025 Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite 12 2.2 Entstehung Stress und Stresserleben Der Begriff "Stresserleben" umfasst sowohl die grundlegenden Definitionen von Stress und Resilienz als auch typische Stressauslöser im Bau- und Projektleitungsumfeld sowie erprobte Bewältigungsstra- tegien. «Das persönliche Stresserleben hängt davon ab, mit welcher Häufigkeit, Vielfalt, Dauer und Intensität Stressoren wirken. Besonders wichtig ist die individuelle Bewertung einer Situation.» - Litzcke et al., 2013, p.8 Diese Einschätzung betont, dass die Ursache von Stress nicht allein in einer objektiven Belastung liegt, sondern insbesondere in der subjektiven Wahrnehmung und Interpretation der Situation. In diesem Kapitel wird die Grundlage dafür geschaffen, individuelle Belastungssituationen einzuordnen und ver- schiedene Ansätze zur Stressreduktion systematisch gegenüberzustellen. 2.2.1 Definition Grundbegriffe Um eine einheitliche und klare Grundlage für die nachfolgende Analyse und Diskussion zu schaffen, ist es von entscheidender Bedeutung, die zentralen Begriffe zu definieren. Die nachfolgenden Defini- tionen beziehen sich auf zentrale Begriffe, die sowohl im theoretischen als auch im praktischen Teil der Arbeit eine tragende Rolle einnehmen. Dadurch wird gewährleistet, dass alle verwendeten Begriffe einheitlich verstanden und angewendet werden, wodurch die Vergleichbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse sichergestellt wird. In einem interdisziplinären Umfeld wie der Baubranche ist es von entscheidender Bedeutung, auf eine präzise Terminologie zu achten, um Missverständnisse zu ver- meiden und eine fundierte Diskussion zu ermöglichen. 2.2.1.1 Stress Stress ist ein vielschichtiges Phänomen, das sowohl positive als auch negative Auswirkungen haben kann. In der Psychologie wird zwischen Eu-Stress (positivem Stress) und Dis-Stress (negativem Stress) unterschieden. (“Stress,” 2024) Eu-Stress ist gekennzeichnet durch Vitalität, Optimismus, Zufriedenheit und eine hohe Konzentrationsfähigkeit. Er kann die Leistungsfähigkeit steigern und wird als produktive, gesunde Form von Stress betrachtet. (Berzbach, 2010, p. 144) Demgegenüber steht Stress als Sammelbegriff für negative Emotionen, die bei unangenehmen oder belastenden Anforderungen auftreten können. Diese äussern sich in Emotionen wie Ärger, Wut, Ag- gressivität, Gereiztheit, Frustration, Enttäuschung, Depressivität und insbesondere Angst. (Rudow, 1995, p. 91) In Berufen, die als belastungsintensiv gelten, kann der Eindruck entstehen, dass Stress omnipräsent ist. So formuliert Rudow (Rudow, 1995, p. 91) in einer überspitzt anmutenden Aussage, dass die Lehrertätigkeit nahezu synonym mit Stress und Angst betrachtet werden könnte. Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite 13 Stress wird gemeinhin als ein Zustand des Ungleichgewichts definiert, der entsteht, wenn die Anfor- derungen der Umwelt die individuellen Leistungsvoraussetzungen, Ziele oder Bedürfnisse überstei- gen. In solchen Momenten aktiviert der Körper eine Art Alarmreaktion, die durch Stressoren – also auslösende Faktoren – hervorgerufen wird. (Deutscher Manager-Verband E.V, 2004, p. 102) Die Etablierung der wissenschaftlichen Stressforschung in den 1950er Jahren ist massgeblich auf die Arbeiten des kanadischen Arztes Hans Selye zurückzuführen. Selye definierte Stress als einen körper- lichen oder emotionalen Zustand, der Spannungen verursacht und zu Gesundheitsstörungen führen kann. Chronischer Stress kann die Energiereserven des Körpers so stark erschöpfen, dass es in ext- remen Fällen zu lebensbedrohlichen Folgen kommen kann. (Deutscher Manager-Verband E.V, 2004, p. 102) Stress wird in der modernen Stressforschung als Prozess betrachtet, der sich in verschiedene Phasen unterteilen lässt. Diese umfassen die kognitive Bewertung der Situation, die individuellen Bewälti- gungsstrategien sowie mögliche kurzzeitige oder chronische Stressphänomene. Langfristig kann eine unangemessene Stressbewältigung zu psychischen oder psychosomatischen Gesundheitsstörungen führen. (Deutscher Manager-Verband E.V, 2004, p. 102) Gleichzeitig beeinflussen persönliche Eigenschaften und berufliche Rahmenbedingungen die Wahr- nehmung und Verarbeitung von Stress, was wiederum Rückwirkungen auf künftige Stresssituationen haben kann. (Rudow, 1995, p. 94) Die Forschung zeigt, dass geistige Funktionen – in ihrer Funktionsweise ähnlich wie Muskeln – durch Beanspruchung aufgebaut werden und bei fehlender Herausforderung an Leistungsfähigkeit verlieren. (Semmer & Udris, 2007) 2.2.1.2 Stress-Entstehung Stress entsteht durch eine Reihe von äusseren und inneren Einflüssen, die als Stressoren bezeichnet werden. Im Alltag sind dies Umweltbelastungen wie Autoabgase und Lärm, aber auch psychosoziale Faktoren wie Zeitdruck und Frustrationserlebnisse. Hinzu kommen ungünstige Lebensgewohnheiten wie „falsche und übermässige Ernährung, Bewegungsmangel und Zigarettenrauchen“, die sich im Zuge der Industrialisierung und des steigenden Wohlstands in immer breiteren Bevölkerungsschichten verbreitet haben. (Deutscher Manager-Verband E.V, 2004, p. 77) Historisch betrachtet ist Stress jedoch kein ausschliesslich modernes Phänomen. Bereits unsere Vor- fahren als Jäger und Sammler waren akuten Bedrohungssituationen ausgesetzt, in denen der so ge- nannte Stressmechanismus eine lebenswichtige Funktion erfüllte. Durch die hierarchisch tief im Gehirn Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite 14 verankerten Urfunktionen (Steuerung von Hunger, Aggression und Abwehr) wurde in Gefahrensituati- onen eine schnelle Reaktionskaskade in Gang gesetzt. (Deutscher Manager-Verband E.V, 2004, p. 77) «Empfindet man ein Ereignis als bedrohlich und damit als relevant, entscheidet die se- kundäre Einschätzung darüber, ob Stress ausgelöst wird oder nicht. Stehen Bewälti- gungsmöglichkeiten zur Verfügung, wird sich der Stress in erträglichem Mass halten. Je weniger Bewältigungsmöglichkeiten man wahrnimmt, desto mehr Stress empfindet man.» - Litzcke et al., 2013, p. 5 Der biochemische Ablauf dieses Mechanismus kann vereinfacht wie folgt skizziert werden: Bei wahr- genommener Gefahr schüttet der Körper Stresshormone aus, die in den tiefen Regionen des Gehirns aktiviert werden. Diese Hormone (z.B. Adrenalin, Cortisol) bewirken eine Erhöhung der Herz- und Atemfrequenz sowie eine Umverteilung der Blutversorgung, um Energie für Flucht oder Kampf bereit- zustellen. (Deutscher Manager-Verband E.V, 2004, p. 78) «Waren Urzeit-Menschen durch diese Reaktionsabfolge in der Lage, sich aus kritischen Situationen zu retten, wendet sich das damals noch lebenswichtige Erbe des Menschen heutzutage nicht selten gegen ihn selbst. … Aber Weglaufen bringt dem Börsenspeku- lant, im Gegensatz zum Urmenschen, nichts. Somit läuft die körperliche Reaktion ins Leere.» - Deutscher Manager-Verband E.V, 2004, p. 78 Kommt es jedoch zu ständigen unterschwelligen Stressreizen ohne ausreichende Erholungsphasen, geraten Körper und Geist in eine Art Daueralarm. In diesem Zustand bleibt der Organismus in ständi- ger Alarmbereitschaft, was auf Dauer keine Schutzfunktion mehr erfüllt, sondern im Gegenteil zu phy- sischen und psychischen Schädigungen führt. (Deutscher Manager-Verband E.V, 2004, p. 79) «Dies ist vor allem der Fall, wenn es sich um konstante, unterschwellige Stress-Reize handelt, und wenn bis zum Auftreten des nächsten Stressors keine Zeit zur Erholung bleibt. […] Das heisst, man befindet sich permanent in einem Zustand der Widerstands- bereitschaft, bis letztendlich keine Entspannung mehr zugelassen wird. An diesem Punkt ist der Unterschied zwischen modernem und urzeitlichen Stress anzusetzen. Die chroni- sche Belastung durch Stress erfüllt keine Schutzfunktion mehr, sondern fügt dem Körper auf Dauer grossen Schaden zu.» - Deutscher Manager-Verband E.V, 2004, p. 79 2.2.1.3 Stressfaktoren Stress entsteht, wenn äussere Anforderungen, sogenannte Stressoren, auf die individuellen Bewälti- gungsressourcen treffen. Wie Berzbach (2010, p.145) erläutert, sind Stressoren „...Einflüsse, auf die reagiert der Organismus, z. B. grosser Lärm, verschmutzte Luft, Hunger oder starke Hitze“. Im berufli- chen Kontext sind darüber hinaus u.a. hohe Arbeitsbelastung, Fremdbestimmung, eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten, Zeitdruck, zwischenmenschliche Konflikte, Arbeitsplatzunsicherheit, Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite 15 mangelnde Unterstützung, Multitasking und ständige Unterbrechungen durch E-Mail oder Telefon zu nennen. (Berzbach, 2010, p. 145) Nach dem Modell des Deutschen Managerverbandes wirken Stressoren auf drei Ebenen: • Mental: Beeinträchtigung von Gedächtnis, Informationsaufnahme und -verarbeitung • Emotional: Veränderungen des Verhaltens, der Emotionen und der Motivation • Physisch: ungünstige Bedingungen am Arbeitsplatz Rudow (1995, p.92) betont darüber hinaus, dass die Wirkung eines Stressors davon abhängt, «welche (individuellen und Umwelt-) Ressourcen zu seiner Bewältigung gegeben sind» (Rudow, 1995, p. 92) Im Folgenden werden die wichtigsten stressrelevanten Merkmale gemäss Rudow (1995) aufgezeigt. Aufgabenkomplexität Aufgabenkomplexität bezeichnet die Qualifikations- und Lernerfordernisse einer Tätigkeit sowie das gleichzeitige oder überlappende Auftreten mehrerer Aufgaben. «Die Aufgabenerfüllung erfolgt häufig nicht sukzessive, sondern viele Aufgaben über- schneiden sich zeitlich bzw. treten sogar simultan auf. Diese hohe Aufgabenkomplexität kann zu einer Stressquelle werden, wenn sie für die Person eine Überforderung ist. Be- sonders stressend wird die Aufgabenkomplexität dann, wenn sie mit einem einge- schränkten Handlungs- und Entscheidungsspielraum verbunden ist.» - (Rudow, 1995, p. 101 Aufgabenvariabilität Variabilität bezieht sich auf die Anzahl und den Inhalt der Arbeitsaufgaben sowie auf die Bedingungen, unter denen diese ausgeführt werden. Ein häufig wechselndes Anforderungsspektrum erschwert die Bildung von Routinen und erhöht die mentale Beanspruchung. (Rudow, 1995, p. 101) Aufgabentransparenz Rudow (1995, p.102) unterscheidet drei Aspekte der Aufgabentransparenz, die stressrelevant sind. • Durchschaubarkeit von Zielen, Aufgaben und Rahmenbedingungen, • Vorhersehbarkeit künftiger Anforderungen. • Rückmeldung über Arbeitsergebnisse und Leistungen. Tätigkeitsspielraum Der Tätigkeitsspielraum beschreibt das Ausmass der eigenständigen Gestaltung von Arbeitsabläufen und Entscheidungen. Laut Rudow (1995, p.104) ist dieser Freiraum in vielen Berufsrollen einge- schränkt, weshalb er differenziert auf einzelne Anforderungen bezogen werden sollte. Ein enger Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite 16 Spielraum erhöht das Stresspotenzial, da Anpassungen und Problemlösungen dann stark fremdge- steuert erfolgen müssen. Soziale Beziehungen Ein Mangel an sozialer Unterstützung sowie eingeschränkte Kommunikations- und Kooperationsmög- lichkeiten am Arbeitsplatz gelten als wesentliche Stressfaktoren. (Rudow, 1995, p. 104) Verantwortlichkeit Die Verantwortlichkeit kann einen signifikanten Einfluss auf die Stressreaktion haben, insbesondere in Fällen, in denen sie als unklar oder überfordernd empfunden wird. Gemäss Rudow (1995, p.104 f.) erfolgt eine Differenzierung in folgende Kategorien: • Die gesellschaftliche Verantwortlichkeit ist ein Konzept, das die Erwartungen externer An- spruchsgruppen berücksichtigt. • Die soziale Verantwortlichkeit umfasst die Verpflichtung, gegenüber Kolleg*innen und Team- mitgliedern Verantwortung zu tragen. • Die materielle Verantwortlichkeit beschreibt die finanziellen Konsequenzen von Entscheidun- gen. Rollenstruktur Rollenerwartungen, die nicht durch entsprechende Regelungen oder Vereinbarungen begrenzt wer- den, können zu Rollenkonflikten führen, wenn die Herangehensweisen der beteiligten Akteure nicht miteinander vereinbar sind. (Rudow, 1995, p. 105) 2.2.1.4 Belastende Arbeitssituationen In der modernen Gesellschaft hat sich der Begriff "Stress" in den letzten Jahrzehnten zu einem positiven Gradmesser für Leistungsfähigkeit und Erfolg entwickelt. Die Annahme, dass Personen, die sich in einer Phase der Entspannung und ohne Verpflichtungen befinden, als inaktiv oder unqualifiziert ange- sehen werden, ist weit verbreitet. Erfolg wird als unabdingbare Grundlage des Lebens betrachtet, so- dass sich viele Menschen einem kontinuierlichen Druck ausgesetzt sehen, sich neuen Belastungen zu stellen. (Deutscher Manager-Verband E.V, 2004) «Viele gehen davon aus, dass, wer keinen Stress, also nichts zu tun hat, faul oder un- qualifiziert sein muss und somit keinen Erfolg haben kann. Da aber Erfolg im Leben des modernen Menschen als Daseinsgrundlage angesehen wird, fühlt sich der eine oder andere oftmals regelrecht gezwungen, sich zu stressen.» - Deutscher Manager-Verband E.V, 2004, p. 75) Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite 17 Erhöhte Leistungserwartungen, eine eingeschränkte Verfügbarkeit von Arbeitskräften in spezifischen Branchen und eine rapide fortschreitende Technologie fordern von Beschäftigten eine kontinuierliche Anpassung und Erweiterung ihrer Leistungsfähigkeit. Es konnte festgestellt werden, dass insbeson- dere moderne Informations- und Kommunikationstechnologien einen signifikanten Einfluss auf die Stei- gerung des Stressniveaus haben. Der Deutsche Manager-Verband zitiert eine britische Umfrage, laut der der Einsatz von Laptops und Mobiltelefonen als neue Stressfaktoren identifiziert wurde. Die Mög- lichkeit, orts- und zeitunabhängig zu arbeiten, führt dazu, dass viele Arbeitnehmer*innen selbst kurze Pausen nicht zur Erholung nutzen, sondern versuchen, auch während einer Zugfahrt oder eines kurzen Wartens möglichst viel Arbeit zu erledigen. (Deutscher Manager-Verband E.V, 2004, p. 80) In Ergänzung zu den bereits beschriebenen Belastungssituationen lassen sich Stressoren im Bau- und Projektleitungsumfeld in sieben Gruppen einteilen. Im Jahr 2013 wurden folgende Faktoren identifiziert, die zu physischen Belastungen führen können: physische Faktoren wie Lärm, extreme Temperaturen oder unergonomische Arbeitsplätze; aufgabenbezogene Faktoren wie Zeitdruck, Überlastung und Mo- notonie; organisatorische Einflüsse durch Schichtdienst und lange Arbeitszeiten; Rollenstressoren bei unklaren oder widersprüchlichen Erwartungen; soziale Spannungen durch Konflikte, Mobbing oder Isolation; wandelbedingte Belastungen bei Fusionen, Personalabbau oder Technikeinführung; sowie traumatische Ereignisse wie Unfälle oder Verletzungen. Diese Systematik veranschaulicht die vielfälti- gen Stressquellen und bildet die Grundlage für Präventions- und Interventionsstrategien, die auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmt sind. (Litzcke et al., 2013, p. 2) Der Arbeitsplatz stellt nach wie vor den primären Schauplatz für körperliche und nervliche Belastungen dar. Internationale Studien zeigen, dass insbesondere folgende Bedingungen als Stressoren wirken: Die vorliegenden Studien zeigen, dass Mobbing, Überforderung, mangelnde Zusammenarbeit und unzureichende Führungskompetenzen signifikante Korrelationen aufweisen. (Deutscher Manager-Ver- band E.V, 2004, p. 100) «Obwohl Stress beinahe alle Lebensbereiche für sich einnimmt, ist Stress am Arbeits- platz noch immer die populärste und häufigste Form von körperlicher und nervlicher Be- lastung. Internationale Studien haben bewiesen, dass Stress im Büro durch verschie- dene Umstände ausgelöst werden kann. Mobbing, Überforderung, Mangel an Koopera- tion und fehlende Führungskompetenzen sind nur einige Stressoren der Arbeitswelt.» - Deutscher Manager-Verband E.V, 2004, p. 100 Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite 18 2.2.1.5 Burnout Das Phänomen des Burnouts ist historisch betrachtet keineswegs neu, vielmehr existieren unterschied- liche Beschreibungen dieses Zustands seit Jahrhunderten. Bereits der mittelalterliche Mystiker Meister Eckhart (1260 – 1327) unterschied zwischen Menschen, «in dem die Dinge stehen, der gleichsam innerlich von den Dingen besetzt ist, treten sie dauernd als Sorge vor Augen und behindern ihn, er ist sorgenvoll.» (Mieth, 1969, p. 202). Die Verwendung des Verbs «to burn out» lässt sich bis in die Werke Shakespeares zurückverfolgen. In der psychologischen Fachliteratur wurde dieses Phänomen vor Jahrzehnten beschrieben (vgl. Burisch, 2024) Der Begriff «Burnout» wurde erstmals in den 1970er Jahren popularisiert: «In Amerika nun erschien 1974 in einer Fachzeitschrift ein Aufsatz des deutschstämmi- gen Psychoanalytikers Herbert J. Freudenberger – etwa gleichzeitig, aber unabhängig entstanden, ein zweiter des Verwaltungswissenschaftlers Sigmund G. Ginsburg – der den Begriff popularisierte, um den es hier gehen soll: Burnout.» - Burisch, 2014, p. 5 Ab 1976 wurde das Phänomen in Sozialberufen insbesondere von Christina Maslach und Ayala Pines in Kalifornien beschrieben, bevor es später auf andere Berufsgruppen und den privaten Lebensbe- reich ausgeweitet wurde. Die internationale Relevanz des Burnout-Begriffs wurde unter anderem durch den ersten europäischen Burnout-Kongress (Professional Burnout: Developments in Theory and Rese- arch) im Jahr 1990 in Krakau deutlich. (Burisch, 2014, p. 6) Gemäss dem Dorsch-Hogrefe-Wörterbuch wird der Begriff «Burnout» wie folgt definiert: «Oberbegriff für best. Typen persönlicher Krisen, die mit eher unauffälligen Frühsympto- men beginnen und in völliger Arbeitsunfähigkeit oder im Suizid enden können.» (Burisch, 2024) Schaufeli und Enzmann (1998) fassen Burnout als ein „langfristiges Ergebnis eines Ungleichgewichts zwischen Investitionen und Ergebnissen“, bei dem „Menschen zu lange zu viel geben und zu wenig zurückbekommen“ […] Eine passende Metapher dafür ist eine leere Autobatterie, die nicht wieder aufgeladen werden kann». (Schaufeli & Enzmann, 1998) In Japan ist ein ähnlich extremer Zustand als «Karoshi» («Überarbeitung bis zum Tode») bekannt, im Westen etablierte sich dagegen ab 1974 der Begriff «Burnout», um einen Zustand körperlicher, geis- tiger und emotionaler Erschöpfung infolge totaler Verausgabung im Job zu beschreiben. Die Folgen zeigen sich in einer Bandbreite von ernsthaften Gesundheitsstörungen bis hin zu Berufsunfähigkeit und Lebensgefahr (vgl. Ammann, 2002) Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite 19 2.2.1.6 Stressbewältigung Der Begriff der Stressbewältigung, auch als Coping bezeichnet, beschreibt den Prozess, mit dem In- dividuen auf belastende Situationen reagieren und versuchen, diese zu meistern oder ihre Auswirkun- gen zu reduzieren. Dieser aktive Anpassungsprozess trägt sowohl kurzfristig zur Reduktion psychi- scher und körperlicher Belastung als auch langfristig zur Stabilisierung des Wohlbefindens bei. (Stei- ger & Lippmann, 1999, p. 146) Wie Steiger & Lippmann (1999) betonen, reagiert jeder Mensch auf Stressoren mit dem Versuch, diese zu bewältigen. «Verschiedene Stresssituationen erfordern verschiedene Methoden der Bewältigung, Patentrezepte gibt es nicht.» (Litzcke et al., 2013, p. 46) Im vorliegenden Kontext werden unterschiedliche Bewältigungsstrategien eingesetzt, die in drei Hauptkategorien unterteilt werden können: die emotionale, die kognitive und die handlungsorientierte Kategorie. Eine emotionale Ausrichtung manifestiert sich in der Auslebung von Wut oder Freude, der Isolation und weiteren Verhaltensweisen. Kognitive Ausrichtungen umfassen beispielsweise die Prob- lemanalyse oder Sinngebung, während eine Handlungsorientierung sich in ablenkendem Zupacken, der Suche nach Hilfskräften und ähnlichen Tätigkeiten äussert. (Steiger & Lippmann, 1999, p. 146) Die letztendliche Auswahl der Strategie ist dabei abhängig von einer Vielzahl von Einflussfaktoren, zu denen unter anderem die Ressourcen des Individuums, die subjektive Wahrnehmung des Stressors sowie der soziale und situative Kontext zählen. Ein signifikanter Einflussfaktor ist insbesondere das Ausmass der empfundenen Kontrollierbarkeit der Situation. Es wurde festgestellt, dass das Ausmass der Unkontrollierbarkeit von Ereignissen als eine wesentliche Determinante der Auslösung von negativ erlebten Stressreaktionen anzusehen ist. Demgegenüber wirkt soziale Unterstützung stressreduzie- rend. Diese Zusammenhänge sind für den Arbeitsbereich eingehend beschrieben. (Steiger & Lipp- mann, 1999, p. 146) Im Rahmen der psychologischen Forschung wurden verschiedene Coping-Kategorien systematisch erfasst. Steiger & Lippmann (1999, p.147) unterscheiden in diesem Zusammenhang acht grundle- gende Strategien: • Konfrontieren • Distanzieren • Selbstkontrolle • Soziale Unterstützung suchen • Übernahme der Verantwortung Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite 20 • Flucht bzw. Vermeidung • Geplante Problemlösung • Positive Neueinschätzung Diese Strategien demonstrieren die Diversität menschlicher Bewältigungsformen – von aktivem Han- deln über reflexive Neubewertung bis hin zum Rückzug. Es sei darauf hingewiesen, dass keine Stra- tegie per se als "besser" oder "schlechter" einzustufen ist, da deren Effektivität in hohem Masse vom jeweiligen Kontext abhängt. (Steiger & Lippmann, 1999, p. 147) Es ist jedoch zu bedenken, dass eine erfolgreiche Bewältigung nicht ohne Folgen bleibt. Der Prozess des Copings, dessen Erfolg oder Misserfolg nicht garantiert werden kann, geht mit Kosten einher, die sich in Anstrengungen äussern, welche den Organismus langfristig überfordern oder schwächen und folglich dessen Verletzlichkeit erhöhen. (vgl. Steiger & Lippmann, 1999, S. 148). Diese Aussage betont die Tatsache, dass die Auseinandersetzung mit Stressoren eine psychische und physische Belastung darstellt, selbst wenn diese erfolgreich bewältigt wird. (Steiger & Lippmann, 1999, p. 148) 2.2.1.7 Resilienz Der Begriff der Resilienz hat sich in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen zu einem zentralen Konzept entwickelt, das in zahlreichen Kontexten von Bedeutung ist. Die vielfältige Verwendung des Begriffs legt nahe, dass neben der Entwicklung der Definition von Resilienz von Interesse ist, sondern auch die fachspezifischen Unterschiede und Bezüge zwischen den Disziplinen von Interesse sind. (Karidi et al., 2018, p. 14) In der Materialwissenschaft bezeichnet der Begriff die Eigenschaft von Materialien, nach einer Verfor- mung in ihren ursprünglichen Zustand zurückzukehren. Dies kann beispielsweise bei einer Feder be- obachtet werden. In der Ökologie bezeichnet der Begriff der Resilienz die Fähigkeit von Ökosystemen, sich nach Umweltveränderungen selbst zu regenerieren und ihre grundlegende Struktur aufrechtzuer- halten. In den Sozialwissenschaften findet das Konzept Anwendung bei der Charakterisierung von Gesellschaften, die in der Lage sind, ihre Identität und Funktionsfähigkeit auch nach externen Störun- gen, wie Konflikten, zu bewahren. In der Ingenieurswissenschaft wird der Begriff der Resilienz verwen- det, um technische Systeme zu beschreiben, die bei Störungen ihre Funktionsfähigkeit bewahren oder wiedererlangen können. (Karidi et al., 2018, p. 15) In der klinischen Psychologie wird der Begriff zur Beschreibung der Fähigkeit von Individuen verwen- det, nach dem Erleben eines Traumas keine psychischen Erkrankungen zu entwickeln. Auch in der Wirtschaftswissenschaft findet das Konzept Anwendung, wenn es um Unternehmen geht, die trotz Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite 21 Krisen bestehen bleiben und wieder zu Wachstumsprozessen zurückkehren können. (Karidi et al., 2018, p. 15) In der Literatur wird Resilienz häufig als dynamischer Prozess beschrieben, der eine positive Anpas- sung trotz erheblicher Widrigkeiten ermöglicht. Dabei ist Resilienz nicht lediglich eine individuelle Ei- genschaft, sondern ein interaktiver Prozess, bei dem sowohl persönliche Fähigkeiten als auch die Un- terstützung durch das soziale und physische Umfeld eine zentrale Rolle spielen. Der hier vorgestellte Ansatz betont, dass insbesondere die Umweltbedingungen – etwa familiäre, gesellschaftliche und öko- nomische Faktoren – massgeblich zur Förderung von Resilienz beitragen, insbesondere wenn Indivi- duen mit starkem Stress konfrontiert sind. (Ungar, 2011) Die Ursprünge des Resilienzkonzepts lassen sich auf die wegweisenden Forschungsarbeiten von Wer- ner und Smith (1982), Garmezy (1983) sowie Rutter (1987) zurückführen. Diese Pioniere der Resilien- zforschung lenkten den Fokus weg von der Annahme eines "unverwundbaren Kindes" hin zu einem Verständnis von Schutzmechanismen und -prozessen, die in herausfordernden Umwelten, wie etwa bei Armut oder psychischen Erkrankungen der Eltern, eine positive Entwicklung ermöglichen. (Ungar, 2011) Sieben Säulen der Resilienz Die sieben Säulen der Resilienz gemäss Reivich und Shatté (2018) basieren auf einem erlernbaren mentalen Training zur Stärkung der psychischen Widerstandskraft. Sie ermöglichen es, Herausforde- rungen mit klarem Denken, emotionaler Stabilität und lösungsorientiertem Handeln zu begegnen. • Die eigenen Gedanken verstehen Ein Schritt zu mehr Resilienz ist, sich der eigenen automatischen Gedanken bewusst zu wer- den. Wer lernt, diese inneren Dialoge zu erkennen und einzuordnen, stärkt seine Selbstregula- tion. (Reivich & Shatté, 2018) • Vermeiden von Denkfallen Menschen neigen dazu, bei Problemen vorschnell zu urteilen. Sei es durch Selbstvorwürfe, Schuldzuweisungen oder indem sie sich in die Gedanken anderer hineinversetzen. Resilienz bedeutet, diese Denkfehler zu erkennen und durch realistischere, ausgewogenere Sichtweisen zu ersetzen. (Reivich & Shatté, 2018) • Versteckte Glaubenssätze erkennen Tief verwurzelte, oft unbewusste Grundüberzeugungen beeinflussen unser Verhalten. Sie kön- nen hilfreich, aber auch hinderlich sein, etwa wenn sie zu Überreaktionen auf scheinbar kleine Probleme führen. Resilienz bedeutet, solche Überzeugungen zu erkennen und zu reflektieren, ob sie in der jeweiligen Situation hilfreich sind. (Reivich & Shatté, 2018) Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite 22 • Überzeugungen in Frage stellen Effektives Problemlösen setzt voraus, die eigenen Denkmuster zu hinterfragen. Resiliente Men- schen hinterfragen, ob ihre Sichtweise eines Problems angemessen ist und korrigieren sie ge- gebenenfalls, um effektivere Lösungen zu finden. (Reivich & Shatté, 2018) • Den Dingen die richtige Perspektive geben Katastrophisches Denken, die Annahme des Schlimmsten, führt oft zu lähmender Angst. Die Fähigkeit, Sorgen auf ihre realistische Wahrscheinlichkeit hin zu überprüfen und den Fokus auf das Wesentliche zu lenken, hilft, handlungsfähig zu bleiben. (Reivich & Shatté, 2018) • Ruhig und konzentriert bleiben Starke Emotionen oder Stress können das Denken blockieren. Resiliente Menschen verfügen über Strategien, sich in solchen Momenten zu beruhigen und konzentriert zu bleiben, zum Bei- spiel durch Atemtechniken oder mentale Fokussierung. (Reivich & Shatté, 2018) • Resilienz in Echtzeit anwenden Wenn negative Gedanken spontan auftauchen, braucht man Werkzeuge, um sie sofort zu stop- pen oder umzulenken. Diese Technik hilft, sich im Moment neu auszurichten und mental hand- lungsfähig zu bleiben. (Reivich & Shatté, 2018) Resilienz bei Unternehmen In einer Welt, die zunehmend von Volatilität, Unsicherheit und Komplexität geprägt ist, ist die Fähigkeit von Unternehmen, resilient zu sein, von entscheidender Bedeutung. Resilienz ermöglicht es Organisa- tionen, Herausforderungen zu meistern, sich anzupassen und gestärkt aus Krisen hervorzugehen. Es gibt verschiedene Modelle welche unterschiedliche Perspektiven auf die Faktoren, die Resilienz för- dern und erhalten, bieten. (Unkrig, 2021) Ein systematisches Resilienzmanagement umfasst strategische Planung, präventive Massnahmen so- wie das Management interner Ressourcen und Infrastrukturen. Es ist wichtig, ein Bewusstsein für po- tenzielle Risiken zu entwickeln und Massnahmen zu ergreifen, um diese zu minimieren. Resilienz kann auf verschiedenen Ebenen betrachtet werden: • Organisatorische Resilienz: Die Fähigkeit einer Organisation, sich an Veränderungen anzu- passen und aus Krisen gestärkt hervorzugehen. (Unkrig, 2021, p. 69) • Interorganisationale Resilienz: Die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Organisationen, um gemeinsame Herausforderungen zu bewältigen. (Unkrig, 2021, p. 70ff.) • Intraorganisationale Resilienz: Die Fähigkeit einer Organisation, interne Herausforderungen zu meistern und sich kontinuierlich zu verbessern. (Unkrig, 2021, p. 77ff.) • Interpersonale Resilienz: die Resilienz innerhalb von Teams und zwischen Mitarbeitern. (Un- krig, 2021, p. 157ff.) Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite 23 • Intrapersonale Resilienz: Die individuelle Fähigkeit, mit Stress und Widrigkeiten umzugehen. (Unkrig, 2021, p. 187ff.) Führung spielt eine zentrale Rolle bei der Förderung von Resilienz. Verschiedene Führungsstile wie zum Beispiel agile Leadership tragen dazu bei, ein unterstützendes und flexibles Arbeitsumfeld zu schaffen. (Unkrig, 2021, p. 247ff.) Das Human Resource Management hat einen signifikanten Einfluss auf die Resilienz einer Organisa- tion. Durch gezielte Massnahmen in den Bereichen Arbeitsgestaltung, Sozialleistungen, Bildung und Training, Feedbacksysteme und zwischenmenschliche Beziehungen kann das Personalwesen die Resilienz der Mitarbeitenden und der Organisation insgesamt stärken. (Unkrig, 2021, p. 52ff.) Nach Unkrig (2021) ist Resilienz ein entscheidender Faktor für den langfristigen Erfolg von Unterneh- men. Mit einem ganzheitlichen Managementkonzept, das strategische Planung, präventive Massnah- men und resilienzfördernde Führung umfasst, können Organisationen ihre Widerstandsfähigkeit stär- ken und sich erfolgreich an eine sich ständig verändernde Umwelt anpassen. 2.2.2 Strategien zur Stressreduktion Die Reduktion von Stress bei Projekt- und Bauleitenden stellt einen zentralen Aspekt zur Förderung der psychischen Gesundheit und langfristigen Leistungsfähigkeit im Bauwesen dar. Unterschiedliche An- sätze adressieren Stress auf verschiedenen Ebenen: individuell, an der Schnittstelle zwischen Indivi- duum und Organisation sowie auf organisationaler Ebene. (vgl. Schaufeli & Enzmann, 1998) 2.2.2.1 Individuelle Intervention Individuelle Massnahmen zielen darauf ab, die betroffene Person mit den notwendigen Fähigkeiten auszustatten, um stressauslösende Situationen besser zu bewältigen und Erschöpfung vorzubeugen. Zu den Massnahmen zählen demnach klassische Stressmanagement-Programme, Achtsamkeitsübun- gen sowie Entspannungstechniken. Ein besonders wirkungsvolles Verfahren stellt das Stressinokulati- onstraining dar, bei dem die Betroffenen lernen, ihre Reaktionen in Belastungssituationen bewusst zu kontrollieren. Das Ziel dieser Ansätze besteht in der Stärkung des individuellen Wohlbefindens sowie dem Aufbau von Resilienz. (vgl. Schaufeli & Enzmann, 1998) Es konnte in der wissenschaftlichen Literatur festgestellt werden, dass mentales Training als effektives Mittel zur Stressbewältigung gilt. Albert Thiele beschreibt verschiedene mentale Techniken, wie etwa die Simulation belastender Situationen: "Die Erfahrung zeigt, dass es leichter fällt, bestimmte Vorsätze umzusetzen, wenn sie das erwünschte Verhalten möglichst oft simulieren" (Thiele, 2015, p. 36). Dar- über hinaus empfiehlt er die Visualisierung eines persönlichen rhetorischen Leitbildes sowie das be- wusste Erinnern an eigene Erfolgserlebnisse. Das angestrebte Ziel besteht demnach darin, einen Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite 24 "Zustand der besten persönlichen Ressourcen" zu erreichen, der in der Literatur als "Flow" bezeichnet wird. (Thiele, 2015, p. 37) Auch die Vorstellung eines virtuellen Schutzschildes, der wie ein psycholo- gischer Puffer wirkt, kann helfen, "überlegt zu reagieren" und sich nicht zu unüberlegten Reaktionen provozieren zu lassen. (Thiele, 2015, p. 38). Ein effektives persönliches Stressmanagement fusst auf der Erkenntnis, dass nicht die Situation an sich, sondern die subjektive Bewertung der Situation für die Entstehung von Stress massgeblich ist. Der renommierte Stressforscher Hans Selye betont, dass es keine objektiv stressauslösenden Situati- onen gibt, sondern dass Stress eine Reaktion auf innere und äussere Reize ist. Die Entscheidung, ob eine Person gelassen oder gestresst reagiert, liegt somit im Ermessen jedes Individuums (Deutscher Manager-Verband E.V, 2004, p. 112). Es lassen sich daraus konkrete Empfehlungen ableiten: • Die Vermeidung unnötiger Sorgen ist zu empfehlen. • Die Vermeidung des Verlusts in Wunschwelten ist zu empfehlen. • Konfrontationen sollten nicht gemieden werden. • Die Schaffung emotionaler Abschlüsse ist zu empfehlen. • Die Akzeptanz von Angst vor dem Scheitern ist zu empfehlen. • Die Akzeptanz von Zufriedenheit als Ziel ist zu empfehlen. (Deutscher Manager-Verband E.V, 2004, p. 114f.) 2.2.2.2 Interventionen an der Schnittstelle von Individuum und Organisation Massnahmen an dieser Schnittstelle vereinen persönliche und strukturelle Perspektiven. Empirische Studien belegen, dass Programme zur Flexibilisierung der Arbeitszeiten, zur Reduktion übermässiger Arbeitsanforderungen oder zur Förderung sozialer Unterstützung im Team einen signifikanten Einfluss auf die Reduktion emotionaler Belastungen haben. Diese Interventionen postulieren, dass Stress nicht ausschliesslich auf individueller Ebene entsteht, sondern auch durch die Arbeitsumgebung beeinflusst wird. (vgl. Schaufeli & Enzmann, 1998) 2.2.2.3 Organisationale Interventionen Langfristig wirksam sind insbesondere Massnahmen, die strukturelle Veränderungen in Organisatio- nen zum Ziel haben. Zu den erforderlichen Massnahmen zählen demnach eine präzise Festlegung der Verantwortlichkeiten, eine Optimierung der internen Kommunikation sowie die Reduzierung von Über- stunden. Diese Ansätze reflektieren, dass Burnout häufig nicht durch persönliche Defizite verursacht wird, sondern auf systemische Probleme innerhalb der Organisation zurückzuführen ist. Es wird als notwendig erachtet, nicht nur die Stärkung des Individuums, sondern auch die Optimierung des Ar- beitsumfelds zu berücksichtigen. (Schaufeli & Enzmann, 1998) Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite 25 2.2.2.4 Strategien gegen akuten und dauerhaften Stress Neben langfristigen Veränderungen sind auch kurzfristig einsetzbare Techniken von Nutzen, um akuten Stress zu begegnen. Als Beispiel kann die Spontanatmung angeführt werden, da "im Stress [...] die Atmung unregelmässig und oberflächlich" wird (Deutscher Manager-Verband E.V, 2004, p. 118). Das sogenannte positive Selbstgespräch, das aus der Problemerkennung, der Ursachenforschung und der gezielten Lenkung der Wahrnehmung besteht, kann akute Belastungen lindern. Ergänzend dazu ist die bewusst Wahrnehmungslenkung hilfreich, um in angespannten Momenten handlungsfähig zu bleiben. (Deutscher Manager-Verband E.V, 2004, p. 118) «Kurzfristig baut man durch Abreaktion – soweit man körperlich aktiv wird – Stresshor- mone ab. Durch Abreagieren fühlt man sich rasch besser, d.h., Abreagieren wird be- lohnt. Langfristig verbaut man sich durch sozial unangemessene Abreaktionen wie bei- spielsweise Wutausbrüche jedoch eher Lösungen, als dass man sie fördert. Man gerät wegen des Belohnungseffekts immer häufiger in Rage, weil man sich an das Ausleben gewöhnt.» (Litzcke et al., 2013, p. 49) Der Deutsche Manager-Verband empfiehlt zur Prävention eines dauerhaften Stresses ein umfassendes Gesundheitskonzept, welches körperliche Aktivität, bewusste Ernährung, Humor und soziale Unter- stützung umfasst. Diese Faktoren fördern sowohl das körperliche als auch das seelische Gleichge- wicht. Ein ganzheitlicher Ansatz, der körperliches Wohlbefinden, seelische Harmonie und geistige Ak- tivität umfasst, kann einen wirkungsvollen Ausgleich zu dauerhaften Belastungen schaffen. (Deutscher Manager-Verband E.V, 2004, p. 123ff). 2.2.2.5 Ausprobieren und Offenheit als Voraussetzung Es ist von entscheidender Relevanz, dass die Stressbewältigung als ein individueller Prozess verstan- den wird, der die Offenheit gegenüber unterschiedlichen Methoden voraussetzt. Der Deutsche Mana- ger-Verband empfiehlt, alle Übungen einmal auszuprobieren, auch wenn sie auf den ersten Blick zum Teil ungewöhnlich erscheinen mögen, um ergründen zu können, welche Methode für das eigene Stressproblem optimal geeignet ist. (Deutscher Manager-Verband E.V, 2004, p. 76) «Um ergründen zu können, welche der Methoden optimal Ihr Stressproblem bekämpft, sollten Sie alle Übungen einmal ausprobieren, auch wenn sie Ihnen auf den ersten Blick zum Teil etwas ungewöhnlich erscheinen mögen – schliesslich assoziieren viele von uns das Wort Mediation unweigerlich mit tief in sich versunkene, im Lotussitz verweilende buddhistische Mönche in orangeroten Kutten» (Deutscher Manager-Verband E.V, 2004, p. 76) Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite 26 2.3 Projektabwicklungen Die Art und Weise, wie Bauprojekte geplant und umgesetzt werden, hat entscheidenden Einfluss auf deren Qualität, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit, aber auch auf die Arbeitsbedingungen der Betei- ligten. In der Schweizer Bauwirtschaft kommen dabei unterschiedliche Projektabwicklungsmodelle zum Einsatz, die sich insbesondere in ihrer organisatorischen und vertraglichen Struktur sowie in der Form der Zusammenarbeit unterscheiden. (Bauen digital Schweiz et al., 2022) Konventionelle Projektabwicklungen dominieren nach wie vor den Markt. Sie sind geprägt durch eine starke Fragmentierung der Projektbeteiligten, eine sequenzielle Abwicklung in getrennten Phasen und klar abgegrenzte Verantwortlichkeiten. Diese Struktur führt häufig zu Reibungsverlusten, ineffizienten Abläufen und einem hohen Koordinationsaufwand. Die Zusammenarbeit wird zusätzlich durch wider- sprüchliche Vertragsverhältnisse erschwert, die vor allem auf die Absicherung individueller Interessen abzielen. In der Praxis zeigt sich dies in einem weit verbreiteten Silodenken: Jede Partei handelt vor- wiegend aus ihrer eigenen Perspektive, was Innovation hemmt und die Projektziele aus dem Blick geraten lässt. Für die Beteiligten resultieren daraus ein hoher Arbeitsdruck, geringe Produktivität, zahl- reiche Konflikte und ein beträchtlicher Verschleiss an Personalressourcen. (Lenherr et al., 2022, p. 25) Als Reaktion auf diese Herausforderungen gewinnen alternative, integrierte Projektabwicklungsmo- delle zunehmend an Bedeutung. Dieses Modell setzt auf frühzeitige Einbindung aller relevanten Ak- teure, transparente Kommunikation, geteilte Verantwortung und eine partnerschaftliche Zusammenar- beit. Ziel ist es, die ökonomischen Interessen aller Beteiligten mit dem gemeinsamen Projekterfolg in Einklang zu bringen. Statt Konkurrenzdenken steht die kollektive Zielerreichung im Vordergrund. Un- ternehmen müssen nicht mehr gegeneinander um Preisvorteile kämpfen, sondern können sich auf Qualität, Innovation und nachhaltige Lösungen konzentrieren – bei gleichzeitiger finanzieller Absiche- rung und möglicher Erfolgsbeteiligung. (Lenherr et al., 2022, p. 26) Im Folgenden wird eine umfassende Recherche zu beiden Ansätzen dokumentiert, um die zentralen Unterschiede und Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Ziel dieser Analyse ist es, die folgende Teilfragestellung zu beantworten: Welche integrierten Projektabwicklungsmodelle werden in der Schweiz bei der Durch- führung von Bauprojekten angewendet und welche zentralen Gemeinsamkeiten und Un- terschiede finden sich zwischen diesen und der konventionellen Projektabwicklung? Dabei sollen nicht nur strukturelle und organisatorische Differenzen, sondern auch die Auswirkungen auf die Zusammenarbeit, Qualität, Kosten und Termine beleuchtet werden. Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite 27 2.3.1 Konventionelle Projektabwicklung in der Schweiz nach dem SIA-Phasenmodell Bei den konventionellen Projektabwicklungsmodellen wird in der Schweiz nach dem SIA-Phasenmodell gearbeitet. (SIA 112, 2014) Das SIA- Phasenmodell bildet den Planungsprozess für Bauvorhabende ab und stellt die Leistungen der Auftraggebenden sowie Auftragnehmenden dar. (SIA 112, 2014, p. 5) Das Konzept umfasst den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks und berücksichtigt dabei alle Pha- sen von der initialen Idee über die Projektierung und Ausführung bis hin zum Betrieb und der Erhaltung. Die Gliederung in Phasen und Teilphasen orientiert sich dabei am Leistungs- und Entscheidungsbe- darf des Bauherrn. Ein Rückbau wird nicht als Teil des Lebenszyklus definiert, sondern als eigenstän- diges Projekt betrachtet, insbesondere im Kontext von Umbauten oder Neubauten. (SIA 112, 2014, p. 5) Abbildung 5: SIA-Phasen nach SIA 112, eigene Darstellung, 2024 Der Planungs- und Bauprozess gliedert sich nach dem Modell der SIA 112 in sechs zentrale Phasen, die jeweils spezifische Ziele verfolgen. In der Strategischen Planung (Phase 1) werden die grundle- genden Bedürfnisse, Ziele und Rahmenbedingungen des Bauvorhabens formuliert und geeignete Lö- sungsstrategien festgelegt. Darauf aufbauend erfolgt in der Vorstudienphase (Phase 2) die Definition des Bauvorhabens sowie die Machbarkeitsprüfung. Hier werden Projektierungsgrundlagen geschaf- fen, die Machbarkeit nachgewiesen sowie Projektdefinition und Projektpflichtenheft erarbeitet. In der anschliessenden Projektierungsphase (Phase 3) wird das Bauvorhaben in drei Schritten konkretisiert: Im Vorprojekt wird die Konzeption optimiert, im Bauprojekt erfolgt die Kosten- und Terminplanung, und im Bewilligungsverfahren werden alle rechtlichen Genehmigungen eingeholt. Die Ausschreibungs- phase (Phase 4) dient der Auswahl geeigneter Anbieter*innen, dem Vergleich der Offerten und dem Abschluss der notwendigen Kauf- und Werkverträge. In der Realisierungsphase (Phase 5) wird das Bauprojekt entsprechend den Vorgaben des Projektpflichtenhefts ausgeführt, das Bauwerk erstellt und schliesslich in Betrieb genommen. Den Abschluss bildet die Bewirtschaftungsphase (Phase 6), in der der Betrieb des Bauwerks sichergestellt, die Wartung gewährleistet und die Instandhaltung zur Siche- rung der Dauerhaftigkeit vorgenommen wird. (SIA 112, 2014, p. 9) Im SIA-Phasenmodell werden die Leistungsbereiche «Organisation, Beschrieb und Visualisierung, sprich Qualitätssicherung, Kosten und Finanzierung, Termine, Administration und Phasenabschluss» pro Phase beschrieben. (SIA 112, 2014, pp. 11–26) Es wird pro Phase festgehalten, welche Ergebnisse Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite 28 erwartet werden und welche Leistungen und Entscheide jeweils Auftraggebende und Auftragneh- mende erbringen. (SIA 112, 2014, pp. 11–26) In der SIA 112 werden ergänzend zwei Organisationsformen für eine Phasen gerechte Abwickelung gezeigt. Einerseits das Organisationsmodell des Einzelleistungsträgers und andererseits das General- planer- Modell. (SIA 112, 2014, p. 8) Im nachfolgenden werden diese Organisationsmodelle detaillierter beschrieben und durch weitere in der Schweiz bekannte Modelle ergänzt. 2.3.1.1 Einzelleistungsträger In diesem Modell führt die Bauherrschaft oder der/die beauftragte Projektsteuer*in die Planung und Ausführung mit individuell vertraglich beauftragten Einzelunternehmer*innen durch. (SIA 112, 2014, p. 8) Dabei liegt die Koordination aller Aktivitäten des Projektabwicklungsprozesses sowie die Termin-, Kosten- und Qualitätssteuerung in der Planung und Ausführung bei der Bauherrschaft oder dem/der beauftragten Projektsteuer*in (Projektleiter*in). (SIA 112, 2014, p. 8) Die Bauherrschaft bestimmt die Planenden sowie Ausführende. Die ausführenden Unternehmen haben dabei keine Gesamtverantwor- tung für das Projekt, sondern sind lediglich für ihre spezifischen Teilleistungen verantwortlich. Der/die Projektsteuer*in übernimmt im Auftrag der Bauherrschaft die Prozessverantwortung für die Gesamtko- ordination, was insbesondere die Abstimmung der verschiedenen Akteure sowie die Überwachung der Einhaltung der Kosten-, Termin- und Qualitätsziele umfasst. (Grimscheid, 2016, p. 435) Die Einzelleistungsträgervergabe zeichnet sich durch eine starke Fragmentierung der Planungs- und Ausführungsaufgaben aus. Die einzelnen Unternehmer*innen erbringen ihre Leistungen separat, was eine intensive Koordination durch den/die Projektsteuer*in erforderlich macht. Diese Fragmentierung führt dazu, dass die verschiedenen Akteure ihren Fokus primär auf die eigene Leistung und weniger auf das Gesamtprojekt richten. (Grimscheid, 2016, pp. 436–437) Vorteile für die Bauherrschaft Die Einzelleistungsträgerprojektabwicklung ermöglicht es der Bauherrschaft, Planung und Ausführung gezielt an jene Planer*innen und Unternehmen zu vergeben, die hinsichtlich Preis, Qualität und Leis- tungsfähigkeit die besten Angebote bieten. Diese fragmentierte Vergabe schafft eine hohe Flexibilität, da Planungsänderungen bis zur sukzessiven Vergabe problemlos umgesetzt werden können. Zudem entsteht ein reiner Preiswettbewerb, der potenzielle Kosteneinsparungen fördert. (Grimscheid, 2016, p. 438) Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite 29 Nachteile für die Bauherrschaft Die Einzelleistungsträgerprojektabwicklung weist für die Bauherrschaft verschiedene Nachteile auf. Der Wettbewerb ist nicht lebenszyklusorientiert, sondern konzentriert sich ausschliesslich auf die Er- stellungskosten. Der/die Gesamtleiter*in sowie die Fachplaner*innen und Architekt*innen haben kaum Kostenverantwortung, was das finanzielle Risiko vollständig bei der Bauherrschaft belässt. Zudem steht die Bauherrschaft in direktem Vertragsverhältnis zu allen Einzelunternehmen und ist für die Koor- dination der zahlreichen Schnittstellen verantwortlich. Die komplexe Vertragsstruktur erschwert die Zu- ordnung von Mängeln, und eine beschränkte Takt- und Fliessfertigung verhindert beschleunigte Bau- prozesse. Zusätzlich trägt die Bauherrschaft das Funktions-, Massen- und Vollständigkeitsrisiko sowie das Betriebs- und Unterhaltsrisiko. (Grimscheid, 2016, p. 438) Abbildung 6: Beispiel Einzelleistungsträger, eigene Darstellung in Anlehnung an SIA 112, 2014 2.3.1.2 Generalplanung Im Generalplanungsmodell übernimmt die Generalplanung für die Bauherrschaft die vollständigen Pla- nungsleistungen sowie die Koordination aller Fachplanungen.(SIA 112, 2014, p. 8) Die Bauherrschaft hat somit nur noch eine zentrale Schnittstelle zu den Planenden. Die Gesamtkoordination der Prozesse und Aktivitäten liegt in der Verantwortung der Generalplanung, der die Fachplanungen phasenorien- tiert entwickelt und optimiert. Durch ein projektspezifisches Qualitätsmanagement steuert die General- planung die Qualitätslenkung und -kontrolle. (Grimscheid, 2016, p. 442) Zur Nutzung von Synergien setzt die Generalplanung auf ein eingespieltes Team, das koordiniert zu- sammenarbeitet. Damit soll verhindert werden, dass die Komplexität der Schnittstellen lediglich von der Bauherrschaft auf die Generalplanung verlagert wird. (Grimscheid, 2016, pp. 442–443) Die Generalplanung trägt die Prozessverantwortung in folgenden Varianten: Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite 30 - Planung, Ausschreibung und Ausführungsplanung - Planung, Ausschreibung und Prüfung der Ausführungsplanung des Generalunternehmers In beiden Fällen umfasst die Verantwortung die detaillierte Ausschreibung inklusive der Einheitspositi- onen, die alle Bauelemente gemäss SIA 112 und SIA 118 klar beschreiben, um eine transparente Kos- ten- und Preisbildung zu gewährleisten. (Grimscheid, 2016, p. 443) Dabei trägt die Generalplanung das Funktions-, Vollständigkeits- und Mengenrisiko für die Ausschreibung und die Ausführungspla- nung. Die detaillierte Ausschreibung muss alle Bauelemente präzise beschreiben, damit die anbieten- den Unternehmen eine robuste Kosten- und Preisbildung vornehmen können. Die ausführenden Un- ternehmen übernehmen im Rahmen der Ausführung das Leistungsrisiko, Kostenrisiko und Terminri- siko, jedoch nicht das Vollständigkeits- oder Mengenrisiko. (Grimscheid, 2016, p. 443) Vorteile für die Bauherrschaft Die Vorteile des Generalplanungsmodells für die Bauherrschaft liegen in der zentralen Projektierung aus einer Hand, klar geregelten Haftungsfragen, einem erfahrenen Projektteam sowie einer optimierten Abstimmung der Schnittstellen in Planung und Ausführung. Zudem ermöglichen eingespielte Planer- teams beschleunigte Abstimmungsprozesse, was zu einer wirtschaftlichen und schnellen Planungs- abwicklung führt. (Grimscheid, 2016, p. 444) Nachteile für die Bauherrschaft Die Nachteile des Generalplanungsmodells für die Bauherrschaft bestehen in der fehlenden Lebens- zyklusorientierung des Wettbewerbs, der geringen Kostenverantwortung der Planer, eingeschränkten Wahlmöglichkeiten bei Fachplanern sowie der Übernahme der terminlichen, finanziellen, Massen- und Vollständigkeitsrisiken bis zur Angebotsabgabe der Unternehmen. (Grimscheid, 2016, p. 444) Abbildung 7: Generalplanungsmodell, eigene Darstellung in Anlehnung an SIA 112 (2014) Masterthesis I Jasmina Kestic I Jana Stoll I 2025 Master-Thesis | MSc FHNW VDC | msc-vdc.habg@fhnw.ch | www.fhnw.ch/msc-vdc Seite 31 2.3.1.3 Totalunternehmen Im Totalunternehmermodell (TU-Modell) übernimmt der Totalunternehmer (TU) für die Bauherrschaft sowohl die vollständigen Planungsleistungen als auch die Ausführung des Bauprojekts. (Bauen digital Schweiz et al., 2022, p. 14) Der TU vereint damit die Funktionen eines Generalplaners und eines Ge- neralunternehmers. Die Bauherrschaft hat lediglich eine zentrale Schnittstelle zum TU, der die Gesamt- koordination aller Planungs- und Bauprozesse übernimmt. Der TU steuert die Qualität der Planungs- und Ausführungsleistungen und trägt dabei das Funktions-, Vollständigkeits- und Mengenrisiko.(Grim- scheid, 2016, p. 437) Der Totalunternehmer trägt die Prozessverantwortung in folgenden Varianten: TU I: Schlüsselfertigbau auf Basis einer Vorstudie mit Raum- und Funktionsprogramm. Der TU erbringt sämtliche Planungs- und Bauausführungsleistungen, die Planung erfolgt funktional und auf Wettbe- werbsbasis. (Grimscheid, 2016, p. 438) TU II: Schlüsselfertigbau auf Basis von Vor-Genehmigungsplänen und einem Raumbuch. Der TU op- timiert technische Teilsysteme durch Value Engineering bereits in der Angebotsphase. (Grimscheid, 2016, p. 438) In beiden Fällen umfasst die Verantwortung die detaillierte Planung, Ausschreibung, Ausführungspla- nung sowie die Ausführung sämtlicher Bauleistungen. Der TU garantiert Kosten und Termine bereits nach der Vorprojektphase und übernimmt sämtliche Risiken bezüglich Planung, Termine, Qualität und Kosten. (Bauen digital Schweiz et al., 2022, p. 14) Vorteile für die Bauherrschaft Das Totalunternehmermodell bietet der Bauherrschaft eine zentrale Projektierung und Koordination aus einer Hand, w