Martina Krieg und Pierre Tulowitzki Das kleine ABC der Netzwerke Rund um Netzwerke kursieren viele Begriffe und "ematiken. Das kleine ABC bietet einen ersten Überblick. Martina Krieg, Leiterin Akteure sind Personen und Organisationen, der Abteilung Schul- die im Netzwerk involviert sind. Es zeigt entwicklung im Amt für sich eine Tendenz in Netzwerken, dass sich gemeindliche Schulen, Lehrpersonen eher mit Personen gleichen Kanton Zug, Schweiz. Geschlechts oder ungefähr gleichen Alters austauschen oder anders ausgedrückt: Gleich und gleich gesellt sich gern (Homophilie, vgl. Laier, 2017, S. 74–75). Ein wesentlicher Ein- fluss auf die Wahl der Austauschpartner stellt in Netzwerken von Lehrpersonen beispiels- weise das Unterrichten gleicher Fachbereiche dar (ebd. S. 230–231). Analysen: (Soziale) Netzwerkanalysen Pierre Tulowitzki, widmen sich der Untersuchung der Beziehun- Professor und Leiter der gen in einem Netzwerk, z.B. wer sich an wen Professur für Bildungs- für Rat wendet oder welche Kontakte zwischen management und Akteuren geknüp% werden (siehe Beitrag von Schulentwicklung an der Kolleck & Schuster in diesem He%). Pädagogischen Hoch- schule der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). Behörden können als Initiatoren oder Impulsgeber von Netzwerken eine wichtige Rolle spielen. Ziel ist zumeist, wissenscha%- liche Erkenntnisse schneller ins Schulfeld zu bringen. Dies gelingt aber nicht immer im 16 – 2/20 journal für schulentwicklung Krieg/Tulowitzki: Das kleine ABC der Netzwerke erwarteten Ausmaß (van Ackeren et al., 2013) Implizit: Unbewusstes Lernen, z.B. durch und wird auch als „Research-Practice-Gap“ Lesen von Erfahrungsberichten. Reaktiv: bezeichnet (Rousseau, 2006, S. 256). Trotzdem Spontanes, bewusstes Lernen aufgrund gibt es Hinweise auf einen Zusammenhang bestimmter Situationen. Deliberativ: Aktive zwischen Netzwerken und einer effektiveren Initiierung durch bewusstes Zeitnehmen, Umsetzung von Reformen (Daly, 2010). um neue Informationen und Erkenntnisse zu sammeln für die berufliche Weiterentwicklung Bildungslandscha#en entstehen durch ein (Eraut, 2004). Zusammenspiel der unterschiedlichen Bil- dungsakteure und -institutionen vor Ort Soziales Kapital wurde im Bereich der Sozial- und der Region in Zusammenarbeit mit der und Bildungswissenscha%en vor allem durch regionalen Bildungsplanung. Ziel und Zweck Bourdieu (1986) und Coleman (1988) geprägt. sind o%mals die Realisierung ganzheitlicher Nach Bourdieu geht es dabei um soziale Bezie- pädagogischer Konzepte, „die sowohl gesell- hungen untereinander und der Teilnahme an scha%lichen Erfordernissen der Bildung und bestimmten sozialen Kreisen bzw. Netzwer- Befähigung der Kinder in ihren persönlichen, ken. Soziales Kapital ist in verschiedenen sozialen, schulischen, familiären, freizeitbezo- Schichten unterschiedlich stark ausgeprägt. genen und sozialräumlichen Orientierungen Bei der Vergabe von Jobs geht es z.B. nicht und Voraussetzungen gerecht werden“ (Poth- nur darum, dass man die passende Qualifika- mann, 2019, S. 538). tion vorweisen kann, sondern auch, dass man einem sozialen Netzwerk zugehörig ist. Rund Funktionen von Netzwerken: Netzwerke um Netzwerke im Bildungssektor bestand bieten die Möglichkeit des vereinfachten immer wieder die Hoffnung, dass diese dabei Informations- und Ressourcenaustauschs der helfen können, fehlendes soziales Kapital aus- beteiligten Akteure. Dabei werden gemein- zugleichen – die Befundlage ist hierzu jedoch same Vorhaben verfolgt, bei denen eine Erfül- bisher unklar (Rürup, Röbken, Emmerich & lung von Kontinuitätserwartungen relevanter Dunkake, 2015). sind als die Ausrichtung an einzelnen Perso- nen (Cleppien & Kosellek, 2019, S. 203). Soziale Netzwerke (Blogs, Twitter etc.): Mit der Ausbreitung zunehmender Möglichkei- Kooperation ist ein uneinheitlich verwende- ten sozialer Netzwerke können Individuen ter Begriff. Im Allgemeinen wird darunter ein schneller miteinander in Austausch treten. gemeinsames, zeitlich befristetes oder dauer- Nebst den allseits bekannten Netzwerken ha%es Handeln zwischen zwei oder mehreren wie z.B. Facebook gewinnen auch berufli- Akteuren bzw. Einrichtungen zur Verfolgung che Austauschportale (z.B. XING, LinkedIn) eines kollektiven Zwecks verstanden (Schlei- an Zulauf (Risser, 2013). Individuen nutzen fenbaum & Walther, 2015, S. 44). Dem gegen- solche „Social Networking Sites“, um gezielt über sind Netzwerke „spezifische, auf einen neueste Entwicklungen in ihrem Fachbereich längeren Zeitraum hin angelegte Kooperatio- zu verfolgen und zu diskutieren und so auf nen von Personen mehrerer Organisationen dem neuesten Stand zu bleiben. Individuen zur Erreichung gemeinsam festgelegter Ziele tendieren hier dazu, sich primär Informatio- und zum Gewinn von ‚Mehrwert‘ für die ein- nen zu suchen, die ihre Entscheidung stützen. zelnen Organisationen“ (Wohlfart, 2006, S. 13). Informationen werden deshalb o% selektiv ausgewählt. Dieses Phänomen, als „confirma- Lernen in Netzwerken geschieht in drei tion bias“ bekannt, tritt besonders dann auf, Dimensionen des informellen Lernens. wenn Akteure unter Druck stehen, wenn aus 2/20 – 17 Thema: Netzwerke und Netzwerken Literatur zahlreichen Informationen ausgewählt werden Aderhold, J. (2009). Selektivitäten des Netzwerks im muss oder wenn finanzielle Ressourcen nur Kontext hybrider Strukturen und systemsicher beschränkt zur Verfügung stehen (Peus et al., Effekte – illustriert an Beispielen regionaler Ko- 2006, S. 376). operation. In: R. Häussling (Hrsg.), Grenzen von Netzwerken. Wiesbaden: Springer. S. 183–208. Sti#ungen können einen wichtigen außer- Baecker, D. (1999). Die Form des Unternehmens. schulischen Kooperationspartner rund um Frankfurt am Main: Suhrkamp. Netzwerkarbeit darstellen. Oftmals sehen Bourdieu, P. (1986). The Forms of Capital. In: J. G. Rich- sie sich als einen wichtigen Ausgangspunkt ardson (Ed.), Handbook of Theory and Research for the Sociology and Education. New York: Green- im Bereich der Weiterentwicklung und Ver- wood, pp. 241–258. besserung des Bildungssystems. Als gesell- Cleppien, G. & Kosellek, T. (2019). Vertrauen in scha%liche Impulsgeber fungieren Sti%ungen Netzwerke(n). In: J. Fischer & T. Kosellek (Hrsg.), häufig auch als vernetzende Instanzen und Netzwerke und Soziale Arbeit. Weinheim, Basel: bringen beispielsweise verschiedene schuli- Beltz Juventa, S. 182–204. sche Akteure oder Schulen miteinander in Coleman, J. S. (1988). Social Capital in the Creation of Kontakt. Des Weiteren werden von Sti%ungen Human Capital. American Journal of Sociology 94, pp. 95–120. Studien durchgeführt oder finanziert, wobei Daly, A. (2010). Social Network Theory and Education- häufig Schulen, Politik und Forschung mit- al Change. Cambridge: Harvard Education Press. einander in Austausch gebracht werden. Eraut, M. (2004). Informal learning in the workplace. Ferner betreiben Sti%ungen Advocacy-Arbeit, In: Studies in Continuing Education 26(2), pp. 247– das heißt, dass durch Aktivitäten versucht 273. wird, sozialen und politischen Wandel her- Laier, B. (2017). Soziale Netzwerke von Lehrerinnen beizuführen. Ein zentrales Element dieser und Lehrern. Erklärungen und Konsequenzen. Baden-Baden: Tectum. Arbeit ist der Austausch mit verschiedenen Ortmann, G. (2003): Organisation und Welterschlie- Gruppen – auch hier geht es also letztlich um ßung. Dekonstruktion. Wiesbaden: Springer. Netzwerkarbeit. Peus, C. Frey, D. & Stöger, H. (2006). Theorie der ko- gnitiven Dissonanz. In: H.-W. Bierhoff & D. Frey Vertrauen ist der Glaube, das Gegenüber (Hrsg.), Handbuch der Sozialpsychologie und möge das entgegengebrachte Vertrauen nicht Kommunikationspsychologie, Band 3. Göttingen- enttäuschen oder ausbeuten (Ortmann, 2003. Bern-Wien-Toronto-Seattle-Oxford-Prag: Hogrefe, S. 216). In Kooperation bildet sich Vertrauen, S. 373–379. Pothmann, J. (2019). Netzwerk Bildungslandschaften. wenn eine Person (Vertrauende), eine „ris- In: J. Fischer & T. Kosellek (Hrsg.), Netzwerke und kante“ Vorleistung gegenüber einer ande- Soziale Arbeit. Weinheim, Basel: Beltz Juventa, ren Person (Vertrauensperson) erbringt und S. 536–545. diese sich an das entgegengebrachte Vertrauen Risser, H. (2013). Virtual induction: A novice teach- bindet und damit den eigenen Verhaltensspiel- er’s use of Twitter to form an informal mentor- raum reduziert (Baecker, 1999). Die soziale ing network. In: Teaching and Teacher Educa- Bewährung als Erbringung einer Gegenleis- tion 35, pp.  25–33. http://doi.org/10.1016/j. tate.2013.05.001 tung ist zentral für das Entstehen von Ver- Rürup, M., Röbken, H., Emmerich, M. & Dunkake, I. trauen. Vertrauen reduziert Komplexität und (2015). Bildungswissenschaftliche Netzwerkfor- ermöglicht Anschlüsse. Eine Stabilisierung schung: Netzwerke als soziales Kapital. In Netz- des Netzwerks tritt ein, wenn es gelingt, trag- werke im Bildungswesen: Eine Einführung in ihre fähige, wechselseitig geteilte Erwartungen aus- Analyse und Gestaltung, S.  43–64). https://doi. zubilden (Aderhold, 2009, S. 204). Vertrauen org/10.1007/978-3-658-06737-3_4 ist der Koordinationsmodus in Netzwerken Rousseau D. (2006). Is There Such a Thing as „Evi- (Wilke, 2001). dence-based Management“? In: Academy of Ma- nagement Review, 31(2), pp. 256–269. 18 – 2/20 journal für schulentwicklung Krieg/Tulowitzki: Das kleine ABC der Netzwerke Schleifenbaum, D. & Walther, V. (2015). Kooperation Wilke, H. (2001). Systemtheorie III. Steuerungstheorie. auf dem Prüfstand. Bielefeld: Bertelsmann. 3. Auflage. Stuttgart: UTB. Van Ackeren, I., Binnewies, C., Clausen, C. Demski, M., Wohlfart, U. (2006). Den aktuellen Trend zu Koopera- Dormann, D., Koch, C., Laier, A. R., Preisendörfer, tion und Vernetzung verstehen. In: Landesinstitut B., Preusse, P., Rosenbusch, D., Schmidt, C., Stump, für Qualifizierung NRW (Hrsg.), Kooperation und U. & Zlatkin-Troitschanskaia, M. (2013). Welche Vernetzung in der Weiterbildung. Bielefeld: Ber- Wissensbestände nutzen Schulen im Kontext telsmann, S. 13–28. von Schulentwicklung? Theoretische Konzepte und erste Befunde des EviS-Verbundprojektes im Kontakte: Überblick. In: I. van Ackeren, M. Heinrich & F. Thiel martina.krieg@zg.ch (Hrsg.), Evidenzbasierte Steuerung im Bildungs- pierre.tulowitzki@fhnw.ch system? Befunde aus dem BMBF-SteBis-Verbund. Münster-New York-München-Berlin: Waxmann, S. 51–73. journal für schulentwicklung 2/20 – 19