Lehrkräftebildung von morgen Beiträge der Naturwissenschaftsdidaktiken zur Förderung überfachlicher Kompetenzen Nicole Graulich, Julia Arnold, Stefan Sorge & Marcus Kubsch (Hrsg.) LITERACY B ILD U N G FU R NACHHALTIGE ENTWICKLUNG KUNSTLICH E IN TE LL IG EN Z D IV ER S IT aT FORSCHENDES LERNEN 19.12.23 11:0819.12.23 11:08 Nicole Graulich, Julia Arnold, Stefan Sorge & Marcus Kubsch (Hrsg.) Lehrkräftebildung von morgen Beiträge der Naturwissenschaftsdidaktiken zur Förderung überfachlicher Kompetenzen Waxmann 2024 Münster • New York Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Print-ISBN 978-3-8309-4796-7 E-Book-ISBN 978-3-8309-9796-2 https://doi.org/10.31244/9783830997962 Waxmann Verlag GmbH, 2024 Steinfurter Straße 555, 48159 Münster www.waxmann.com info@waxmann.com Umschlaggestaltung: Nicole Weber, IPN Umschlagbild: © karpenko_ilia – stock.adobe.com Satz: MTS. Satz & Layout, Münster Gefördert durch die Joachim Herz Stiftung. Dieses E-Book ist unter der Lizenz CC BY-NC-SA 4.0 DE open access verfügbar. Diese Lizenz gilt nur für das Originalmaterial. Alle gekennzeichneten Fremdinhalte (z.B. Abbildungen, Fotos, Zitate etc.) sind von der CC-Lizenz ausgenommen und für deren Wiederverwendung ist es ggf. erforderlich, weitere Nutzungsgenehmigungen beim jeweiligen Rechteinhaber einzuholen. http://dnb.dnb.de https://doi.org/10.31244/9783830997962 https://www.waxmann.com mailto:info@waxmann.com https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/deed.de Inhalt Lehrkräftebildung von morgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Teil I Perspektiven auf die Lehrkräftebildung von morgen Unterrichten in der Klimakrise Klimagefühle und kollektives Handeln als Ressourcen zur Ermächtigung junger Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Johanna Kranz Bildung neu denken in Krisenzeiten Transformatives Lernen und 4FutureLabs an Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Silja Graupe Kompetent mit Wissenschaft im Alltag interagieren können Zum Verhältnis von Wissenschaftsverständnis und informiertem Vertrauen . . . . . . . . 35 Friederike Hendriks Teil II Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) und weitere gesellschaftliche Herausforderungen Kompetent für nachhaltige Entwicklung Studierende als multiperspektivisch Lernende und Lehrende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Eva Freudenmacher & Christoph Thyssen Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) – die eigenen Handlungsmöglichkeiten reflektieren Dialogische Lernsettings für erwägungsorientiertes Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Corinne Ruesch Schweizer & Svantje Schumann Zwei Annäherungen an eine Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Physik-Lehrkräftebildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Kai Bliesmer, Michael Komorek & Jonas Tischer Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Lehrkräftebildung durch digitale Lerneinheiten vermitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Alexandra Budke & Dina Vasiljuk 6 Inhalt UTOPIA Ein interdisziplinäres Lehrprojekt zur Entwicklung einer digital gestützten und inklusiven Lernumgebung im Kontext der Bildung für nachhaltige Entwicklung . . . . 85 Sebastian Becker-Genschow, Silvia Fränkel & Kirsten Schlüter Kreativitätsförderung von Chemie-Lehramtsstudierenden Ein Seminarkonzept zur Gestaltung kreativer Unterrichtseinheiten im Kontext Bildung nachhaltiger Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Swantje Müller BNE-Lehrkräftefortbildung durchgeführt von Lehramtsstudierenden Facetten eines experimentellen Moduls in der Chemiedidaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Krenare Ibraj, Yannick L. Legscha & Markus Prechtl BNE in der interdisziplinären Lehre Ein kooperatives Projektseminar der Biologiedidaktik und Kunstpädagogik . . . . . . . 111 Elvira Schmidt & Jeannette Schnüttgen Summerschool „Nachhaltigkeit in Wissenschaft, Gesellschaft und Technik“ Fächerübergreifende Projekte angehender Lehrkräfte zum Thema Nachhaltigkeit . . . . 119 Daniel Römer, Jan Winkelmann, Lutz Kasper & Daniel Schropp Chemistry for Future Planspiele zu grüner und nachhaltiger Chemie in fachwissenschaftlichen Seminaren im Chemie-Lehramtsstudium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Pascal Liedtke, Leon Richter & Nastja Riemer (Transformative and Serious) Play for Future Chancen der LEGO-SERIOUS-PLAY-Methode zur Anregung transformativer Bildungsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Wanda Möller, Johanna Beutin, Stefan Blumenthal & Nina Dunker Labs4Future Kristallisationskeim für Lehren und Lernen zur Klimakrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Jonathan Grothaus, Markus Elsholz, Katja Weirauch, Sabine Gerstner, Ekkehard Geidel, Martin Hennecke, Hans-Stefan Siller & Thomas Trefzger Gemeinsam globale Herausforderungen angehen Ein Seminarkonzept zur Erstellung digitaler Unterrichtsmaterialien in den Naturwissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Leonard Nauermann, Stefan Sorge, Carola Garrecht, Sascha Bernholt, Marcus Kubsch & Anneke Steegh 7Inhalt Umgang mit einer gesellschaftlich relevanten naturwissenschaftlichen Fragestellung (Socio-Scientific Issue) Vorstellung einer schriftlichen Übung für die Lehrkräftebildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Melanie Basten, Moritz Steube, Eike-Tabea Kröger & Madeleine Domenech An authentischen Problemen Lehren lernen Ein hochschuldidaktischer Ansatz zur Entwicklung (über-)fachlicher Kompetenzen . . 179 Tino Kühne, Maria Mathiszik, Darius Mertlik & Manuela Niethammer Teil III Unterricht in den Naturwissenschaften im 21. Jahrhundert Gesundheitsbildung von morgen Vielfaltssensibel, ganzheitlich und risikokompetent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Christiane Konnemann & Benedikt Heuckmann Interdisziplinäre Hochschullehre für diversitätsbewussten naturwissenschaftlichen Unterricht nach dem Chai-Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Katja Weirauch, Stefanie Schwedler & Christiane Reuter Das Potenzial von Textvignetten zur Förderung der Genderkompetenz angehender Lehrkräfte im Naturwissenschaftsunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Sanja Atanasova, Daniela Schriebl, Nicolas Robin & Dorothee Brovelli Interdisziplinäres Seminarkonzept Inklusion in MINT-Kontexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Hannah Weck, Stefan Brackertz & Clara Laubmeister Die „Vernetzungskarte“ Ein Tool zur Visualisierung des vernetzten Professionswissens im Lehramtsstudium mit Fachrichtung Chemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Dominik Diermann & Jenna Koenen Sprache reflektieren über den Fachunterricht hinaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Andreas Helzel & Miriam Schöps Förderung eines kritischen Umgangs mit (Des-)Informationen durch aktive Inokulation und Debunking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Angelika Bernsteiner, Thomas Schubatzky & Claudia Haagen-Schützenhöfer Science Denial im naturwissenschaftlichen Unterricht begegnen . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Marcus Kubsch & Irene Neumann 8 Inhalt Experimentieren, Modellieren und Forschen als soziale Praxis im naturwissenschaftlichen Anfangsunterricht Förderung angehender Lehrkräfte bei der Nutzung unsicherer Evidenz als Ausgangspunkt für naturwissenschaftliche Aushandlungsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Jens Klinghammer & Olaf Krey Citizen Science (Mit-)Forschen in Lehrkräftebildung und Schulpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Julia Lorke, Till Bruckermann, Isabell Helbing, Eva Tchekov & Martin Scheuch Erkenntnisgewinnungskompetenzen im naturwissenschaftlichen Unterricht fördern Empfehlungen und Praxisbeispiele für fachdidaktische Lernangebote in der Lehrkräftebildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Richard Sannert, Verena Petermann, Tobias Lieberei, Virginia Deborah Elaine Welter & Moritz Krell Die Klassenraumsimulation SKRBio im Biologie-Lehramtsstudium Fähigkeiten zur Diagnose von Argumenten messen und fördern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Daniela Fiedler, David Baer & Ute Harms Computational Thinking und Modellieren im naturwissenschaftlichen Unterricht . . . 301 Kevin Kärcher, Jan Winkelmann, Lutz Kasper, Hans-Dieter Körner AI in Teacher Education KI-kompetente Lehramtsstudierende für die Gestaltung modernen Unterrichts . . . . 309 Sascha Schanze & Patricia Kühne https://doi.org/10.31244/9783830997962.01 CC BY-NC-SA 4.0 Lehrkräftebildung von morgen Mit dem Ziel, innovative Lehrkonzepte und -ansätze in der Lehrkräftebildung zu bün- deln und über Standortgrenzen bekannt und nutzbar zu machen, haben wir vor zwei Jahren gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus den Naturwissenschaftsdidakti- ken den Band „Lehrkräftebildung neu gedacht“ veröffentlicht. Diese erste Sammlung an Konzepten für die Lehrkräftebildung der Naturwissenschaften sowie die dazu aus- gerichtete Tagung und das Interesse am Podcast haben nicht nur den Bedarf an Aus- tauschformaten deutlich gemacht, sondern auch gezeigt, wie vielfältig und innovativ die zukünftigen Lehrkräfte in den Naturwissenschaften und deren Didaktiken schon heute professionalisiert werden. Zum Podcast Bereits beim ersten Band wurde deutlich, dass es viel mehr interessante Ansätze gibt, als es eine einzige Ausgabe leisten kann. Darüber hinaus steht die Schullandschaft nach der Covid-Pandemie durch die Digitalisierung und den aktuell diskutierten Lehrkräftemangel vor großen Herausforderungen. Gleichzeitig muss Schule den ge- sellschaftlichen und globalen Entwicklungen gerecht werden, die ein Weiterdenken der Inhalte für den naturwissenschaftlichen Unterricht erfordern, um die Lehrkräfte von morgen zu befähigen, die Schülerinnen und Schüler von morgen auf ein Morgen oder gar Übermorgen vorzubereiten. Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), die Auseinandersetzung mit dem Klimawandel und seinen Folgen, der Bedarf der Förde- rung von Scientific Literacy, aber auch ein diversitätssensibler Unterricht erfordern neue Konzepte für den Unterricht sowie auch für die Lehrkräftebildung. Diesen aktu- ellen und zukunftsbezogenen Themen widmen wir uns nun in diesem zweiten Band „Lehrkräftebildung von morgen“. Insgesamt 32 Beiträge aus den Fachdidaktiken der Chemie, Biologie, Physik und Geographie, aus Deutschland, der Schweiz und Öster- 10 Lehrkräftebildung von morgen reich (siehe Abb. 1. Standorte) zeigen, wie Lehrkräftebildung von morgen aussehen kann. Eingeleitet wird das Buch durch drei Essays von Vertreterinnen außerhalb der Naturwissenschaftsdidaktik. Johanna Kranz vom rheinland-pfälzischen Kompetenz- zentrum für Klimawandelfolgen lädt uns ein, darüber zu reflektieren, wie sich Schule, Lehrkräfte und Lehrkräftebildung in Zeiten der Klimakrise verändern müssen. Silja Graupe, Präsidentin der Hochschule für Gesellschaftsgestaltung, setzt hier an: Wie gelingt es, diesen Wandel zu gestalten? Friederike Hendriks vom Institut für Kom- munikationswissenschaft und Institut für Pädagogische Psychologie der Technischen Universität Braunschweig stellt die Frage danach, wie wir einen informierten Umgang mit Wissenschaft im Alltag erreichen können. Es folgen Beiträge aus der naturwissen- schaftsdidaktischen Praxis in der Lehrkräftebildung. Im ersten thematischen Abschnitt stehen verschiedene Konzepte zur Thematisie- rung von BNE im Vordergrund; es wird gezeigt, wie sich diese Thematik in Lehramts- modulen umsetzen lässt. Hier reicht das Spektrum der Beiträge von interdisziplinär organisierten Kursen über die digitale Umsetzung von BNE-Konzepten bis hin zu ga- mifizierten Ansätzen. Im zweiten thematischen Abschnitt stehen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts im Vordergrund der Beiträge, d. h. Themen wie Diversitätssensi- bilität und Inklusion sowie ein kritisch reflektierter Umgang mit Informationen. Über Genderkompetenz, Citizen-Science-Projekte und Computational Thinking wird auch hier die Interdisziplinarität der Beiträge deutlich. Diese braucht es, um den globalen Herausforderungen und Zielsetzungen für eine moderne Lehrkräfteprofessionalisie- rung begegnen zu können. Abb. 1: Mit Beiträgen vertretene Hochschulstandorte. 11Lehrkräftebildung von morgen In allen Themenabschnitten finden sich Beiträge im Lang- oder Kurzformat. Kurzbeiträge fokussieren stärker auf einzelne Innovationen, während Langbeiträge ganze Konzeptionen von Lehrveranstaltungen beschreiben. Bei einigen Beiträgen steht Open-Access-Material auf der Website zur Verfügung. Dieses reicht von einzel- nen Tools hin zu Konzeptionen von Seminaren und soll dazu beitragen, die Lehre am eigenen Standort weiterzuentwickeln. Zum E-Book Abschließend möchten wir der Joachim Herz Stiftung unseren Dank für die groß- zügige Unterstützung bei der Finanzierung dieses Projektes aussprechen. Weiterhin gilt unser Dank allen Autorinnen und Autoren, die eine zeitnahe und reibungslose Zusammenarbeit und diesen Blick in die Zukunft über Fächer- und Landesgrenzen hinweg möglich gemacht haben. Wir hoffen, dass dieses Buch Dozierende in den Naturwissenschaften und deren Didaktiken anregt, neue Wege zu gehen, Konzepte auszuprobieren, zu adaptieren und weiterzuentwickeln, um angehende Lehrkräfte auf ein Morgen vorzubereiten. Die Herausgebenden Nicole Graulich, Julia Arnold, Stefan Sorge, Marcus Kubsch Teil I Perspektiven auf die Lehrkräftebildung von morgen https://doi.org/10.31244/9783830997962.02 CC BY-NC-SA 4.0 Unterrichten in der Klimakrise Klimagefühle und kollektives Handeln als Ressourcen zur Ermächtigung junger Menschen Johanna Kranz In was für einer Welt werden Lehrkräfte von morgen unterrichten? Eine Welt, die maßgeblich von Entscheidungen und Maßnahmen abhängig ist, die wir dieses Jahr- zehnt treffen und umsetzen. Entscheidungen und Maßnahmen, die sich auf tausende von Jahren auswirken werden (IPCC, 2023). Dabei bleiben nur noch wenige Jahre, um eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft zu gewährleisten (IPCC, 2023). Müsste angesichts der Tragweite und der Dringlichkeit das Klima im Unterricht nicht nur häufiger, sondern auch auf andere Art und Weise behandelt werden? Das Klima im physikalischen Sinne, aber auch das Klima in unserer Gesellschaft? Während das eine System, das Klima auf der Erde, derzeit ins Kippen gerät und uns unumkehr- bare Klimawandelfolgen bevorstehen, bleibt die Dynamik in unserer Gesellschaft aus, um genau diese katastrophalen Auswirkungen noch abzuwenden (Engels et al., 2023). Während Ökosysteme zusammenbrechen, Wälder sterben und Seen austrocknen, steigen Treibhausgasemissionen weiter und erreichen nie dagewesene Rekordwerte (IPCC, 2023). Wir sind dabei, unsere Lebensgrundlagen zu zerstören. Das ist die phy- sikalische Realität. Ohne sofortige, drastische Klimaschutzmaßnahmen erleben Kinder und Jugend- liche, die heute noch in die Schule gehen, zum Ende des Jahrhunderts eine drei Grad heißere Erde (IPCC, 2023). Drei Grad global bedeutet für Deutschland rund sechs Grad Erwärmung. Das ist sehr viel. Damit wäre Berlin wärmer als Madrid heute (Ramstorf, 2022). Eine solche Welt hätte fortwährende drastische Auswirkungen, zum Beispiel auf die Verfügbarkeit von Wasser und unsere Ernährungssicherheit, während viele Orte der Erde, insbesondere im globalen Süden, unbewohnbar wären (IPCC, 2023). Bereits heute gibt es zahlreiche Vorzeichen, wohin sich das alles entwickelt: das überflutete Ahrtal, 4.500 Hitzetote in Deutschland allein im letzten Sommer 2022, bereits im Frühjahr 2023 Wasserrationierungen in Frankreich, noch nie dagewesene Ozeantemperaturen mit bisher unabsehbaren Folgen, Ernteausfälle in der Landwirt- schaft, New York – gehüllt in eine gesundheitsgefährdende Rauchwolke aufgrund von 16 Johanna Kranz Waldbränden in Kanada, Millionen Menschen, die ihre Heimat verlieren. Wir sind schon längst mittendrin in der Klimakrise und dennoch: Das ist erst der Anfang. Wie eine Drei-Grad-Welt genau aussehen würde, das kann niemand genau sagen, nicht mal die Klimawissenschaft, - „[…] zu weit wäre sie außerhalb der gesamten Er- fahrung der Menschheitsgeschichte“ (Ramstorf, 2022; S. 29). Aber warum muss es so weit überhaupt kommen? Wieso soll das der Lauf der Welt sein? Der Ausgang ist kein besiegeltes Schicksal, sondern eine Entscheidung. Zu lange wurde gewartet, weshalb jetzt Umsetzungen in hoher Schlagzahl ausstehen. Dabei fordern die jungen Men- schen von Fridays for Future genau das ein, was die Klimawissenschaft seit mehr als 50 Jahren erklärt: Klimaschutz und Anpassung an Klimawandelfolgen müssen höchste Priorität haben (Ramstorf, 2022). Doch welche Rolle spielt Bildung, um eine lebens- werte Zukunft zu sichern? 1. Klimabildung schafft Klimabildung schafft Klimabildung In vielen – häufig politischen – Dokumenten wird Bildung große Bedeutung beige- messen, nicht nur um Gesellschaften und Volkswirtschaften klimaneutral und wider- standsfähig gegenüber den Folgen der Klimakrise zu machen (IPCC, 2023). Es geht auch darum, junge Menschen darüber aufzuklären, was auf sie zukommt, wie sie mit den Herausforderungen umgehen und wie sie zum Teil der Lösung werden. Otto et al. (2020) bekräftigten diese Aussage, indem sie das Bildungssystem – parallel zu den ‚Kipppunkten des Klimasystems‘ – als einen möglichen positiven ‚gesellschaftlichen Kipppunkt‘ identifizieren. Nach dieser Metapher bietet Bildung das Potential, soziale Dominoeffekte anzustoßen, um das Klima der Erde bis 2050 zu stabilisieren. Lehr- kräfte und auch Schülerinnen und Schüler sind in diesem Prozess wichtige Multi- plikatorinnen und Multiplikatoren für den sozialen Wandel und damit sogenannte ‚CHANGE AGENTS‘ (Winter et al., 2022). Lehrkräfte können zum Beispiel als Vor- bilder wichtige Antriebspunkte sein, sodass andere ebenfalls Maßnahmen gegen den Klimawandel ergreifen oder auch, um auf Schulebene wichtige Netzwerkstrukturen oder auch systemische Veränderungen zu etablieren (z. B. Klassenfernreisen mit ÖPNV). Schülerinnen und Schüler sind ebenfalls in der Lage, anderen Bewusstsein für den Klimawandel zu vermitteln (Kuthe et al., 2019) oder das Energiesparverhal- ten ihrer Familien positiv zu beeinflussen. Wenn so das Gelernte weitergegeben wird, profitieren nicht nur Schülerinnen und Schüler, sondern auch Familien und Gemein- schaften. Dieses ökologische Potential gilt es, den jeweiligen CHANGE AGENTS im Bildungskontext zu vermitteln, ihnen ihren Möglichkeitsspielraum bewusst werden zu lassen, sodass ökologisches Potential zum ökologischen Mehrwert werden kann. 17Unterrichten in der Klimakrise 2. Bildung muss für die Bewältigung der Klimakrise Bedeutung haben Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sind am stärksten vom Klimawandel und seinen Auswirkungen betroffen, weswegen ihre frühzeitige Ermutigung zum Erkennen von klimabedingten Risiken und Handlungsmöglichkeiten besonders ins Gewicht fällt. Vor diesem Hintergrund finden in immer mehr Schulen Aktionen im Rahmen von Nachhaltigkeitsbildung statt, um Kompetenzen aus den Bereichen Er- kennen, Bewerten und Handeln von jungen Menschen als entscheidendes Element von ‚CLIMATE LITERACY‘ (zu dt. etwa Klimagrundbildung; z. B. Kuthe et al., 2019) zu fördern. Gleichzeitig bleiben die derzeitigen bildungspolitischen Anstrengungen hinter dem Anspruch und der eindrücklichen Empfehlung durch UNESCO oder auch die Vereinten Nationen zurück, Grundsätze, Werte und Praktiken der nachhalti- gen Entwicklung in allen Bereichen der Bildung und des Lernens systematisch zu ver- ankern, sodass Bildungseinrichtungen zu Orten des gelebten Wandels werden (Brock & Holst, 2022). Doch um das vierte Nachhaltigkeitsziel, ‚Hochwertige Bildung‘, der ‚SUSTAINABLE DEVELOPMENT GOALS‘ erreichen zu können, bedarf es abseits politischer Zielsetzungen auch personeller Ressourcen. Wer, wenn nicht Lehrkräfte, bringen Nachhaltigkeitsbildung in die Schulen? Um Lehrkräfte bestmöglich dabei zu unterstützen, Klimabildungsunterricht durchzuführen, unabhängig von ihrer fachlichen Ausbildung und ihrer Schulformzu- gehörigkeit, ist eine übergreifende Verankerung von Klimabildung im Bildungssystem Voraussetzung und das in allen Bereichen: im Rahmen der verschiedenen Phasen der Lehrkräfteausbildung über Klimabildung an Schulen bis hin zu Lehrkräfteaus- und -fortbildungen. Dezidierter Raum und festgelegte Zeitkontingente für Klimathemen im Bildungskontext sind nicht nur elementar wichtiges, sondern auch wirksames Mit- tel, um Kapazitäten zur Bewältigung der Klimakrise im Bildungsbereich freizusetzen (Brock & Holst, 2022; Winter et al., 2022). Das Bildungssystem hat aber auch auf anderer Ebene eine Kernfunktion, um die Klimakrise einzudämmen. So zeigen Modellierungen des Arbeitsmarktes in Abhän- gigkeit der Klimakrise beispielsweise, dass Bildung und damit einhergehender Kapa- zitätsaufbau von Fachkräften zentrale Grundlage – in diesem Fall – für die Anpas- sungsfähigkeit Deutschlands im Kontext der Klimakrise sein wird (Hoffmann et al., 2023). Bis 2040 werden demnach deutlich mehr Erwerbstätige, insbesondere in der Land- und Forstwirtschaft, im Gartenbau, im Baugewerbe sowie in der Bildung und Wissenschaft, notwendig werden. Es geht also auch darum, in der Bildungsbiographie von Schülerinnen und Schülern sowie Studierenden Kenntnisse aufzubauen, Interes- sen zu wecken und Möglichkeiten der beruflichen Bildung im Klimaschutz und der Anpassung an Klimawandelfolgen aufzuzeigen, um letztlich notwendige Maßnahmen zum Erhalt einer lebenswerten Zukunft umzusetzen. Das kann nicht allein über zu- sätzliche Bildungs- oder Informationsangebote zur Nachwuchsgewinnung abgedeckt werden, sondern bedarf gezielter politischer Entscheidungen und Weichenstellungen. 18 Johanna Kranz 3. Die physikalische Realität ist keine Meinung Soziale Medien zählen für Schülerinnen und Schüler zu den wichtigsten Informa- tionsquellen und haben massiv dazu beigetragen, dass der Schulstreik einer einzelnen Schülerin in eine weltweite Klimagerechtigkeitsbewegung mündete. Jedoch bergen soziale Medien auch Risiken: Von einer unkuratierten Informationsverbreitung über intransparente Quellen bis hin zur Verbreitung von Falsch- und Desinformationen können soziale Medien Fehlvorstellungen fördern. Auch der Weltklimarat räumte 2022 erstmals ein, dass Fehlinformationen, Populismus und eine absichtliche Unter- grabung der Wissenschaft zu einer falschen Wahrnehmung des wissenschaftlichen Konsenses führen, was Verunsicherung und die Verzögerung von dringlichst notwen- digen Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen zur Folge hat (IPCC, 2023). Dabei ist die Anzahl an Klimawandelleugnern zwar weltweit gesunken, jedoch kursieren nun vermehrt Unwahrheiten über mögliche Lösungsansätze (Lamb et al., 2020). Eine Zeitenwende von Leugnern hin zu Untergangspropheten, so beschreiben es manche. Die gezielte Verbreitung von Angst, Unsicherheit und Zweifel bietet aber keine Lö- sungen für die Herausforderungen unserer Zeit, sie schadet nicht nur der Debatten- kultur, sondern verhindert letztlich dringend notwendige klimagerechte Leitplanken auf allen Entscheidungsebenen. Anhaltende öffentliche Kontroversen entstehen auch deswegen, weil viele Menschen über wissenschaftliche Fakten falsch informiert sind oder nicht zwischen wissenschaftlichen und nicht wissenschaftlichen Informationen unterscheiden können (Lamb et al., 2020). Doch gerade in Zeiten multipler Krisen und großer Umbrüche braucht es einen lösungs- und handlungsorientierten und vor allen Dingen faktenbasierten Diskurs. Das ist im Kontext der Klimakrise besonders wichtig. Einerseits, weil klimapolitische Entscheidungen nur dann wirksam sein kön- nen, wenn sie auf wissenschaftlichen Erkenntnissen fußen. Andererseits, weil auch ein gewisses Maß an Zustimmung oder Konsens in der Gesellschaft notwendig ist, um klimabezogene Maßnahmen umzusetzen, die in naher und ferner Zukunft auch persönliche Lebensumstände von Individuen und ganzen Gesellschaften beeinflussen werden (Kranz et al., 2022). Klimabildung kann Fehlinformationen entgegenwirken und wertvolle, zuverlässi- ge Klimainformationen vermitteln und Lernende in die Lage versetzen, ihr entwickel- tes Verständnis von Wissenschaft zu nutzen, um zur öffentlichen Debatte beizutragen und sich eine fundierte Meinung zu wissenschaftsbasierten Fragen zu bilden. Es geht darum, die Berücksichtigung der Wissensqualität stärker in den Blick zu nehmen und Kompetenzen zu fördern, die dabei helfen, kritisches Denken zu fördern. Zu unter- scheiden, was gesichertes Wissen, was Halbwissen, was Erfahrung und was Meinung oder gar Verschwörungsmythos ist, insbesondere im digitalen Zeitalter, gewährleistet letztlich evidenzbasierte Aushandlungs- und damit Veränderungsprozesse in der Ge- sellschaft. Insbesondere der naturwissenschaftliche Unterricht gilt in diesem Zusam- menhang als bedeutend, um Lernende dabei zu unterstützen, herausfordernde und komplexe ‚SOCIO-SCIENTIFIC-ISSUES‘, wie die Klimakrise, zu verstehen. Dazu müssen jedoch auch Lehrkräfte in die Lage versetzt werden, diese Kompetenzen zu 19Unterrichten in der Klimakrise vermitteln (Lenzer et al., 2022). Wirksame Klimabildung beginnt also nicht erst im Unterricht, sondern weitaus früher (Möller et al., 2021). 4. Vom Klimawandel zu Klimapolitik Bildung an sich, aber auch Bildung für Nachhaltige Entwicklung und Klimabildung zeichnen sich durch einen Fokus auf Wissen und Verständnis als Mittel zur Verände- rung aus. Vielen dieser Bildungskonzepte liegt die implizite Annahme zugrunde, dass mehr Informationen zu mehr Handeln führen, dass also Faktenwissen über die Kli- makrise zu Verhaltensänderungen führt, was auch als ‚Informations-Defizit-Modell‘ der Kommunikation beschrieben wird (Kollmuss & Agyeman, 2002). Eine solche Fo- kussierung auf den Erwerb von Wissen über den Klimawandel hat sich in Bildungs- prozessen, die sich auf Klimahandeln oder umweltfreundliches Handeln beziehen, jedoch als unzureichend erwiesen (Höhle & Bengtsson, 2023; Kollmuss & Agyeman, 2002). Neben dem Wissen über den Klimawandel werden häufig auch Einstellungen und Wahrnehmung des Klimawandels als relevant für Klimahandeln diskutiert. Mitt- lerweile zeigen internationale Studien zu Einstellungen von Schülerinnen und Schü- lern und auch Erwachsenen ein ausgeprägtes Klimabewusstsein von Menschen auf der ganzen Welt: ein Großteil der Bevölkerung sieht die Welt in einem Klimanotstand, sie haben umwelt- und nachhaltigkeitsfreundliche Einstellungen, Menschen erwarten sich entschlossenes klimapolitisches Handeln, sie sind sich der ökologischen Heraus- forderung bewusst (z. B. UNDP, 2021). Metaanalysen zeigen jedoch, dass umweltge- rechte Einstellungen und umweltbezogenes Verhalten nur mäßig positiv korrelieren (z. B. Bamberg & Möser, 2007). Stern (2000) stellte in diesem Zusammenhang fest, dass ein Verhalten umso weniger von Einstellungsvariablen abhängt, einschließlich der Sorge um die Umwelt, je wichtiger es in Bezug auf seine Umweltauswirkungen ist. Es genügt also nicht länger, nur mehr Wissen über die Klimakrise zu vermitteln oder umwelt- und nachhaltigkeitsfreundliche Einstellungen zu fördern. Insbesondere wenn es darum geht, Veränderungsprozesse anzustoßen. Die Fähigkeit der Gesellschaft, grundlegende Veränderungen vorzunehmen (‚HU- MAN AGENCY‘) ist laut einer aktuellen Studie des Exzellenzclusters ‚CLIMATE, CLIMATIC CHANGE AND SOCIETY‘ der Universität Hamburg (Engels et al., 2023) die größte Hoffnung für die Gestaltung einer lebenswerten Klimazukunft. So kön- nen – im Vergleich zu Einzelverhalten – systemische Veränderungen vor allen Dingen dann erreicht werden, wenn sich nichtstaatliche Akteure weiterhin für den Klima- schutz einsetzen und Proteste den Druck auf die Politik aufrechterhalten. Die Bedeu- tung politischer Maßnahmen zur Bekämpfung und Anpassung an den Klimawandel ist in der Klimaforschung genauso Konsens wie die Existenz des menschengemachten Klimawandels. Im Gegensatz dazu wurde im Bildungssektor die Verantwortung für Klimaschutz immer wieder den einzelnen Menschen zugeschrieben, indem private Handlungen, wie etwa Mülltrennung, umweltschonende Konsumgewohnheiten, Wasser- und Energiesparen, propagiert werden. Dabei ist die Verschiebung der Ver- antwortung auf individuelle Änderungen des eigenen Verhaltens eine irreführende 20 Johanna Kranz Verantwortungsverschiebung in den privaten Bereich und lenkt von tatsächlich hoch wirksamen systemischen Handlungen ab (beispielsweise Mitgliedschaft in Umwelt- gruppen, Initiierung oder Unterzeichnung von Petitionen, Teilnahme an Demonstra- tionen; Kranz et al., 2022). Zu diesem Zeitpunkt in der Erdgeschichte reicht es nicht mehr aus, absichtsvoll zu handeln und über diese Handlungen zu reflektieren. Wenn sich Menschen darüber bewusst werden, dass sie politische Wesen sind, dass sie selbst in der Lage sind, Antworten zu geben, die Veränderungen in der Welt bewirken, dann geht damit eine Sichtweise von Handlungsfähigkeit einher, die eine ‚Fähigkeit‘ be- schreibt, die nicht nur im eigenen Zuhause, sondern in der Welt Veränderung bewirkt (Toivonen, 2022). Insbesondere naturwissenschaftliche Bildung muss die Instrumente dafür bieten, indem sie die wissenschaftlichen Fakten erklärt, aber auch die effektivs- ten kollektiven Klimahandlungen aufzeigt, um klimakompetente Bürgerinnen und Bürger auszubilden, die eine klimagerechte Transformation vorantreiben. Die Adressierung der politischen Perspektive im Rahmen von Klimabildung il- lustriert, dass zunehmend weitere Dimensionen der Bildung Beachtung finden, die sich von einer alleinigen Konzentration auf die Wissensvermittlung entfernen. Die aktive Beteiligung der Lernenden an Veränderungsprozessen, ohne sich dabei in ers- ter Linie auf klimawissenschaftliche Kenntnisse zu konzentrieren, verlagert die Rolle der Lernenden von passiven Wissensempfängerinnen und -empfängern zu aktiven Mitwirkenden an Veränderungsprozessen (Höhle & Bengtsson, 2023). 5. Von Ohnmacht zur Ermächtigung Zunehmend zeigen umweltpsychologische wie auch didaktische Studien, dass der Prozess des Lernens über den Klimawandel keine rein kognitive, sondern vielmehr auch eine emotionale Begegnung ist, die dauerhafte Auswirkungen auf Lernende haben kann (Jones & Davison, 2021). Jugendliche, aber auch Erwachsene, weltweit sind immer häufiger von psychischen und emotionalen Belastungen im Zusammen- hang mit Umwelt- und Klimathemen betroffen. 60 % junger Menschen (16–25 Jah- re; N = 10.000; Hickman et al., 2021) aus 10 Ländern weltweit sind äußerst oder sehr besorgt über den Klimawandel, über 50 % erleben jedes der folgenden Gefühle zum Klimawandel: Schuldgefühl, Hilflosigkeit, Ohnmacht, Angst, Trauer, Wut. Über 45 % der Befragten gaben an, dass ihre Gefühle über den Klimawandel ihr Alltagsleben beeinträchtigen. Gleichzeitig stimmten rund 59 % zu, sich um die eigene Zukunft bzw. die der zukünftigen Generationen betrogen zu fühlen, und circa 65 % gaben an, dass Regierungen gegenüber den jungen Menschen versagen. Es besteht hier nicht nur ein Risiko für die mentale Gesundheit, fehlendes Vertrauen kann auch gesellschaftlichen Zusammenhalt erodieren. In Bezug auf Klimabildung im schulischen Kontext zeigen Jones und Davison (2021) in einer Interviewstudie auf, dass die pädagogische Ausei- nandersetzung mit der Klimakrise im Unterricht bei jungen Menschen (18–24 Jahre) zu drei zentralen affektiven Erfahrungen führt. Die jungen Erwachsenen fühlten sich nach ihrem Klimakrisenunterricht insbesondere „entmachtet“, „gestrandet durch die Generationenkluft“ und „entmutigt durch die Zukunft“. Die Teilnehmenden berich- 21Unterrichten in der Klimakrise teten, dass sie sich ohnmächtig fühlten und beschrieben, dass sie durch die Erfahrung begrenzter Handlungsfähigkeit und Macht überwältigt wurden. Sie wiesen auch auf einen Generationsunterschied hin, durch den sie sich von älteren Erwachsenen im Stich gelassen fühlten, was mit Gefühlen von Wut und Verrat einherging. Schließlich hatten die affektiven Erfahrungen mit dem Klimawandel in der Schule eine anhal- tende Bedeutung für die Lernenden, da sie versuchten, im Schatten einer beängsti- genden Zukunft Lebensentscheidungen zu treffen (Jones & Davison, 2021). Vor dem Angesicht der Klimakrise, deren Folgen und Gefahren werden diese Reaktionen auf die Klimakrise aus psychologischer Sicht als emotional angemessen eingeordnet und sollten als emotionale Reaktion auf den Klimawandelunterricht nicht verhindert, vermieden oder gar ignoriert werden, auch wenn sie belastend sind. Vielmehr sind sie Teil der Bewusstwerdung und Bewältigung (Meininger et al., 2023). Möglicher- weise kann Handlungsmotivation bei Ohnmachts- oder Hilflosigkeitsgefühlen auch dadurch zurückgewonnen werden, wenn Menschen ihr eigenes Handeln als Teil einer kollektiven Handlung oder einer Bewegung wahrnehmen und damit kollektive Wirksamkeit erfahren (Fritsche et al., 2021). Die Anerkennung und Einbindung der affektiven Dimension in Lehr-Lern-Konzepte, die Synergieeffekte zur politischen Di- mension anbietet, ermöglicht Belastungssituationen aufzugreifen, ernst zu nehmen und angemessen darauf zu reagieren. 6. Lehrkräfte von Heute für eine lebenswerte Welt von Morgen Wir brauchen eine mutige, engagierte, selbstwusste, aufgeweckte und auch wider- standsfähige Zivilgesellschaft, um das 1,5-Grad-Limit am Leben zu halten. Bildung vermag es, über die Einbindung der affektiven und politischen Dimension dazu bei- zutragen. Ein globales Problem in lokales Engagement umzuwandeln, sodass Wege aufgezeigt werden, um sich an der Zivilgesellschaft zu beteiligen und Entscheidungs- findungen mitzugestalten, kann eine nachhaltige Quelle für soziale Veränderungen und Lösungen sein. Eine andere Welt ist möglich. Das müssen wir den jungen Men- schen mitgeben, damit diese Vision relevant wird, damit sie Kraft hat, damit sie Reali- tät wird. Literatur Bamberg, S. & Möser, G. (2007). Twenty years after Hines, Hungerford, and Tomera: A new meta-analysis of psycho-social determinants of pro-environmental behaviour. Journal of Environmental Psychology, 27(1), 14–25. https://doi.org/10.1016/j.jenvp.2006.12.002 Brock, A. & Holst, J. (2022). Schlüssel zu Nachhaltigkeit und BNE in der Schule: Ausbildung von Lehrenden, Verankerung in der Breite des Fächerkanons und jenseits der Vorworte: Kurzbericht des Nationalen Monitorings zu Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). 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Sustainability, 14(10), 6081. https://doi.org/10.3390/su14106081 Johanna Kranz, Rheinland-Pfalz Kompetenzzentrum für Klimawandelfolgen, Hauptstra- ße 16, 67705 Trippstadt johanna.kranz@klimawandel-rlp.de https://orcid.org/0000-0002-6165-8004 https://doi.org/10.1073/pnas.1900577117 https://doi.org/10.1111/0022-4537.00175 https://doi.org/10.31244/9783830997962.03 CC BY-NC-SA 4.0 Bildung neu denken in Krisenzeiten Transformatives Lernen und 4FutureLabs an Schulen Silja Graupe Dieser Beitrag begründet und entwickelt vor dem Hintergrund der komplexen Krisen und ungewissen Zukünfte unserer heutigen Gesellschaft ein neues Verständnis von transformativem Lernen. Dieses soll Lernenden ermöglichen, sich als Persönlichkeiten zu stärken sowie kritische und kreative Kräfte in sich zu wecken, um sich für eine leben- dige und vielfältige Natur, eine solidarische und demokratische Gesellschaft sowie eine gerechte und lebensdienliche Wirtschaft einsetzen zu können. Es werden die Spirale transformativen Lernens als pädagogisches Konzept für diesen neuen Bildungsansatz skizziert und die 4FutureLabs der Hochschule für Gesellschaftsgestaltung in Koblenz als ein praktisches Beispiel zu deren Anwendung im Schulunterricht vorgestellt. 1. Ausgangslage Inmitten diverser und multipler Krisen – Kriege, Armut, Inflation, Pandemien sowie Umweltzerstörung und Klimawandel, um nur einige zu nennen – stellt sich die Frage nach der Bedeutung der Lehre sowohl in Hochschulen als auch Schulen neu. Denn junge Menschen wachsen nicht nur inmitten sich bereits entfaltender Krisen auf; sie werden auch morgen eine Welt voll von Umbrüchen, Komplexität und Ungewissheit aktiv und verantwortungsvoll zu gestalten haben. Jugendstudien besagen, dass sich mehr als drei Viertel aller jungen Menschen Sorgen um die Zukunft machen (vgl. etwa Vodafone, 2022). Das gilt schwerpunktmäßig für Umwelt- und Klimakrisen, aber auch für soziale Krisen (vgl. etwa BMU, 2020). Ein besonderes Problem liegt dabei in einem „Zukunftsvakuum“, wie es das Rheingold-Institut (2021) nennt: Es herrschen dystopische Zukunftsbilder vor, ohne dass diese Bilder reflektiert oder gar revidiert werden könnten. Dennoch glaubt eine Mehrheit der jungen Generation – es sind nach einer Studie des BMU (2021) sogar bis zu 86 Prozent –, dass ein umfassen- der gesellschaftlicher Wandel notwendig sei, um die Krisen aufzuhalten. Hochschulen und Schulen haben es also mit einer verunsicherten, zugleich aber grundsätzlich veränderungsbereiten jungen Generation zu tun. In dieser droht, um es mit einem von der UNECSO geprägten Begriff zu sagen, eine „futures illiteracy“ vor- 26 Silja Graupe zuherrschen (Miller, 2018). Gemeint ist damit die Unmöglichkeit, bewusst konstruk- tive Zukunftsvisionen zu schaffen und Schritte zu deren Verwirklichung einzuleiten. Zugleich aber dominiert unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Einsicht in die Notwendigkeiten gesellschaftlicher Veränderungen, und viele junge Menschen engagieren sich auch aktiv. Was aber benötigen sie, damit dieses Engagement tatsäch- lich erblühen kann? 2. Ein neues paradigmatisches Verständnis der Gesellschaft Meines Erachtens rufen die Krisen der heutigen Welt und die damit verbundenen Fragen nach einer nachhaltigen Gesellschaftsgestaltung nach grundsätzlichen Wand- lungsprozessen in der Bildung. Diese erschöpfen sich dabei nicht in der bloßen Hin- zunahme einzelner weiterer Kompetenzen, die Lernenden vermittelt werden sollten. Sie sollten stattdessen mit einem grundsätzlichen Paradigmenwechsel in unserem Verständnis sozialer Institutionen und der Rolle menschlicher Gestaltungskraft darin einhergehen. Dieser Wechsel sei in diesem Abschnitt zunächst näher skizziert. Zunächst möchte ich es mit Hilfe einer Metapher formulieren: Vor ungefähr hun- dert Jahren wurden die Geowissenschaften von einem neuen Verständnis der Erde erschüttert. Es kam zu einem Paradigmenwechsel, der mitunter als Wandel vom „Fi- xismus“ zum „Mobilismus“ beschrieben wird. Vor den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts hatte man gedacht, nicht nur die Erdkruste, sondern auch das Innere der Erde sei im Wesentlichen so fest, dass die Kontinente sicher mit ihm verbunden und damit ortsfest sein könnten. Alfred Wegener erteilte dieser Vorstellung eine Ab- sage. Er zeigte, dass die Kontinente wie auf einem Meer aus flüssigem, beweglichem Gestein schwimmen und deswegen beständig in Bewegung sind. Und mehr noch: Die damals noch unbekannt, heute aber gültige Theorie der Plattentektonik besagt, dass Kontinente nicht nur driften, sondern auch in einen ständigen Kreislauf der Ge- steine einbezogen sind: An der Oberfläche einst Erstarrtes und Verkrustetes sinkt ab, wird in der Tiefe auf- und umgeschmolzen und verflüssigt sich. Das Verflüssigte steigt dann wieder auf, um erneut zu vorübergehend festen Strukturen zu erstarren. Es gibt nichts, das sich in diesem Kreislauf nicht irgendwann veränderte, also dem ständigen Wandel entzogen wäre. Ich schlage vor, dass wir uns soziale Institutionen fortan mit Hilfe dieser Metapher ebenso als in beständiger Veränderung begriffen vorstellen. Dies bedeutet nicht, alles soziale Leben mit einem Male als flüssig und veränderlich zu begreifen. Institutionen im Sinne von Normen und Gesetzen ebenso wie von Werten und Gewohnheiten so- wie von kollektiven Mindsets sind selbstverständlich in unserer Gesellschaft oftmals erstarrt. Sie sind – ebenso wie die Erdplatten – verkrustet und gewähren damit Stabi- lität und Vorhersehbarkeit. Doch sollte dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie lediglich aus alten und überkommenen Strukturen bestehen, die wenig Verbindung mehr zur aktueller sozialen (und ökologischen!) Dynamik unseres Lebens aufweisen. Jeder Institution, so hat es bereits Cornelius Castoriadis (1975) formuliert, gehen ins- tituierende, schöpferische Tätigkeiten von Menschen voraus, die sie ins Leben rufen, 27Bildung neu denken in Krisenzeiten und diese Tätigkeiten lassen sich durch diese Institution weder erklären noch regu- lieren. Sie stellen vielmehr im Sinne eines „sozialen Magmas“ (ebd.) die Geburtsstätte neuer Institutionen dar und verfügen als solche zumindest potentiell über eruptive ebenso wie tektonische Kräfte: Sie vermögen bestehende Institutionen entweder auf- zusprengen oder aber in einen ständigen Prozess des Aufschmelzens (soziale Exno- vation) und Neustrukturierens (soziale Innovation) zu erneuern (vgl. für genauere Ausführungen Graupe, 2020). Mit ‚Institutionen‘ meine ich hier allgemein „jegliche Form bewusst gestalteter oder ungeplant entstandener stabiler, dauerhafter Muster menschlicher Beziehun- gen, die in einer Gesellschaft erzwungen oder durch die allseits als legitim geltenden Ordnungsvorstellungen getragen und tatsächlich ‚gelebt‘ werden“ (Hillmann, 2007, 381). Es lassen sich nun verschiedene Schichten dieser Institutionen ausmachen, die sich nach dem Grad ihrer Festigkeit und Dauer unterscheiden lassen (vgl. Abbil- dung 1).1 So gibt es zunächst die am meisten erstarrten, weil unabhängig von jeglicher konkreten Lebenswirklichkeit geltenden „regulativen Institutionen“. Diese bestehen aus formalen Regeln und kodifizierten Normen, die ggf. mit Sanktionen und Ge- walt durchgesetzt werden können. Zweitens sind es die „normativen Institutionen“, die Werte und Normen umfassen, die das soziale Miteinander durch Vorstellungen von Wünschen- und Erstrebenswerten koordinieren. Diese beiden institutionellen Schichten bilden gleichsam die „Lithosphäre“ unserer Gesellschaft, das heißt eine ‚er- starrte Hülle‘ an etablierten Praktiken und Artefakten, die sich kaum dynamischen Veränderungen anzupassen versteht, sondern allenfalls unter starkem Veränderungs- druck zerbrechen kann. Unterhalb dieser Lithosphäre lassen sich zwei weitere Schichten imaginieren: jene der kognitiven und der imaginativen Institutionen. Diese bestehen aus Denkweisen 1 Drei der im folgenden genannten „Schichten“ lassen sich angelehnt an den Neo-Institu- tionalismus verstehen (vgl. Sandhu, 2012). Die Schicht der „imaginativen Institutionen“ füge ich selbst hinzu. Systemwissen (Was gestalten?) Transformationswissen (Wie gestalten?) Zielwissen (Warum gestalten?) Imagination und Zukunftsvisionen Sinnstiftendes Handeln und soziale Partizipation Bereiche Trans- formativen Lernens: A b b ild u n g d es E rd in n re n , a u s: w w w .d ie p re ss e. co m /6 0 97 19 5/ in n er er -e rd ke rn -is t- w ei ch er -a ls -g ed ac h t Gesellschaftliche Erneuerung und Transformatives Lernen Regulative Institutionen Kognitive Institutionen Normative Institutionen Imaginative Institutionen Imaginierende, tätig-kreative Veränderungskräfte Abb. 1: Ein neues Gesellschaftsbild und Lernverständnis (eigene Abbildung) 28 Silja Graupe und Weltsichten, die im Sinne von Denkstilen, Mindsets oder auch Paradigmen nicht nur darüber bestimmen, wie Menschen die Welt wahrnehmen, sondern auch, aus welchen Gründen sie handeln und welche Vorlieben, Normen Weltanschauungen etc. sie ausbilden. Dabei reichen die imaginativen Institutionen bis weit in implizite Vor- stellungsbilder hinein, die eher mit unartikulierbaren Gefühlen und Intuitionen ver- bunden sind und über keinen klaren sprachlichen Ausdruck verfügen, dabei aber – wie die anderen Institutionen auch – nicht rein individueller, sondern sozialer Natur sind. Die kognitiven und imaginativen Institutionen lassen sich als etwas beweglicher und plastisch verformbarer als jene der regulativen und normativen Institutionen vorstellen. Ähnlich wie die Asthenosphäre in der Geologie sind sie es, die die letz- teren in Bewegung versetzen und zum Aufbrechen ebenso wie zum Aufschmelzen veranlassen können. Für ein Verständnis von grundsätzlichem institutionellem Wandel ist nun das „soziale Magma“ zentral. Gemeint sind damit, allgemein gesagt, Aktivitäten des Menschen, die seine kognitiven und imaginativen Institutionen ihrerseits in Bewe- gung und Veränderung versetzen können. Allem Imaginierten geht, so Castoriadis (1975), ein Imaginierendes, also Akte kreativer Vorstellungskraft voraus, die es mög- lich machen, sinnlich nicht Gegenwärtiges zu erschaffen und somit insbesondere Zukunftsbilder zu entwerfen, die sodann handlungsleitend werden können. Diesen Akten wiederum liegen soziale Interaktionen im Sinne der communities of practice nach Etienne Wagner (2000) oder der socialization im Sinne Ikujiro Nonakas et al. (2008) zugrunde: menschliches Engagement in informaler sozialer Praxis, aus dem neues Wissen und Vorstellungskraft entspringen kann, ohne umgekehrt durch dieses Wissen oder durch diese Kraft vollständig erfassbar zu sein. Menschen lernen hier, dergestalt praktisch tätig zu werden, dass sie in konkreten Erfahrungen die ansonsten herrschenden Stereotype, Paradigma etc. außer Kraft setzen und spontan genuin neue Handlungsweisen vor jeder reflexiven Bewertung und Beurteilung schaffen können (vgl. erneut Graupe, 2020). 3. Ein neues Bildungsverständnis Legen wir ein solch dynamischen Verständnis unserer Gesellschaft zugrunde, so wandeln sich die Schwerpunkte von Bildung. Zunächst entsteht ein Fokus, der den Blick weniger auf das Erlernen von Bestehendem oder Vergangenem, denn auf die Er- möglichung von Zukünftigem lenkt. Es geht, um einen heutzutage häufig gebrauchten Begriff zu nutzen, um den Erwerb von „Future Skills“ (etwa Stifterverband, 2021). Ich meine damit allerdings ausdrücklich nicht die bloße Vermittlung von technolo- gischen und digitalen Kompetenzen, damit Lernende sich an den technologischen Wandel besser anpassen könnten. Stattdessen steht hier die Befähigung zur sinnstif- tenden Gestaltung einer komplexen Gegenwart und ungewissen Zukunft im Vorder- grund. Diese lässt sich am ehesten im Bereich der „transformativen Kompetenzen“ verorten, wie er ebenfalls Teil der Diskussion um die Future Skills sind: Geht es hier doch tatsächlich darum, „die großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer 29Bildung neu denken in Krisenzeiten Zeit wie zum Beispiel den Klimawandel oder die COVID-19-Krise angehen und lösen zu können. Im Zentrum stehen dabei Kompetenzen wie Missionsorientierung und Innovationskompetenz, die helfen, viele Menschen hinter einem gemeinsamen Ziel zu vereinen und so gänzlich neue Kräfte zu entfesseln.“ (ebd., 5). Doch reicht auch ein solches Verständnis nicht, da es etwa voraussetzt, dass Hand- lungsziele bereits bestehen. Genau dies aber ist heutzutage nicht mehr der Fall. U. a. deswegen ist ein neuartiges und umfassendes Konzept transformativen Lernens zu schaffen, das die Reflexion und Neuschaffung gerade auch gesellschaftlicher Zie- le ausdrücklich in Bildungsprozesse zu integrieren verspricht. Ein solches Konzept kann seinen Ausgangspunkt etwa bei Mezirow (2000) nehmen. Mit Hilfe der Ab- bildung 2 sei hier kurz skizziert, was damit nun weitergehend gemeint ist: Statt auf einfaches Faktenwissen zu setzen, geht es darum, dass Lernende sich auf drei Ebenen Wissen aneignen können (vgl. etwa Singer-Brodowski & Schneidewind, 2014): auf der Ebene der imaginativen und kognitiven Institutionen ein Zielwissen (Was wollen wir wirklich erreichen? Wofür setzen wir uns ein? Wofür lohnt es sich zu leben, zu arbeiten etc.?), auf der Ebene der normativen Institutionen ein Transformationswis- sen, das gerade auch ein praktisches Know-how darstellt (Wie leben und wollen wir zukünftig zusammenleben und welche Werte und Normen sollen uns dabei leiten und welche sind zu verändern?) sowie auf der Ebene der regulativen Institutionen ein Systemwissen über die aktuell geltenden regulativen Institutionen und ihre möglichen Alternativen. Nochmals weiter- bzw. tiefergehend meint transformatives Lernen nun auch, Formen imaginierender Kreativität ausbilden und lernen zu dürfen, mit denen sich aktiv bestehende Mindsets, Weltbilder etc. reflektieren und neue schaffen lassen. Zudem bedarf es (Frei-)Räume für das Lernen im Sinne von Prozessen spontaner sozialer Partizipation, in denen Lernende in und mit der Welt so interagieren dürfen, dass ihr Handeln weniger von festen Mindsets bestimmt wird, als dass sie diese Mind- sets inmitten praktischer Lebensvollzüge auflösen und neu hervorzubringen lernen. 1. Desorientierung aushalten 2. sich neuem Sinn öffnen 3. neuen Handlungs- kompass ausbilden 4. alte Paradigmen dekonstruieren 5. plurales Wissen generieren 6. Visionen und Strategien schaffen 7. Interagieren in einer komplexen Welt 8. Transitionspfade ausprobieren 9. verantwortlich handeln Abb. 2: Die Spirale transformativen Lernens (Quelle: Graupe/Bäuerle 2022) 30 Silja Graupe 4. Die Spirale transformativen Lernens Die „Spirale transformativen Lernens“ zeigt, wie sich dieses neue Bildungsverständ- nis als pädagogisches Konzept fassen lässt (Graupe & Bäuerle, 2022, 2023, vgl. Abbil- dung 2). Das Innerste dieser Spirale symbolisiert, dass Lernprozesse in der heutigen ungewissen Welt von einem Dreiklang aus „erschüttern“, „öffnen“ und „neu ausrich- ten“ geprägt sein sollten. Damit wird der tektonische Wandel von Denk- und Hand- lungsgewohnheiten nicht allein als Gegenstand, sondern als aktiv nachzuvollziehen- der Prozess ins Lernen eingebracht: Institutionen werden in all ihren vier Schichten in ihren historischen Gewordenheiten, Fragwürdigkeiten und Erschütterbarkeiten ins Licht kritischen Bewusstseins und Reflexion gehoben. Zugleich werden Ausdrucks- möglichkeiten für Ängste, Unbehagen ebenso wie für Wünsche nach Veränderung geschaffen, so dass Raum für soziale Exnovationen entsteht („erschüttern“). Sodann können Freiräume im Lernprozess geschaffen werden, um eine Vielfalt an Perspekti- ven auf und Möglichkeiten für alternative Institutionen zu erarbeiten („öffnen“, sozia- le Innovation). In einem dritten Schritt werden die Lernenden ermutigt und befähigt, sich inmitten dieser Vielfalt reflektiert und eigenständig für bestimmte Institutionen zu entscheiden und ihnen verantwortlich zur Etablierung und Stabilisierung zu ver- helfen („neu ausrichten“, soziale Innovation). Alle drei genannten Schritte (erschüttern, öffnen, neu ausrichten) vollziehen sich im transformativen Lernen wiederum in drei Bereichen. Der Bereich des „neu Denken“ zielt dabei vor allem auf das Verstehen der vier genannten starren bis zäh- flüssigen institutionellen Schichten und ihrer Wandelbarkeiten im Sinne eines neu verstandenen Systemwissens und Transformationswissens ab. Der Bereich „neu Sein“ umfasst vor allem Aspekte der Persönlichkeitsbildung, wie sie sich im Bereich zwi- schen Zielwissen und imaginierender Kreativität vollziehen, damit Lernende neue Ziele imaginieren und die damit einhergehenden Transformationen tiefsitzender Weltanschauung und kultureller Prägungen des eigenen Lebens aktiv vollziehen ler- nen. Der Bereich „neu handeln“ meint schließlich weniger, sich innerhalb fest etab- lierter Institutionen bewegen zu lernen oder sich an sie anzupassen, sondern im Sinne genannten sinnstiftenden Handelns und sozialer Partizipation inmitten praktischer Handlungsvollzüge und Communities of Practices und damit aus unmittelbarer Er- fahrung neue Formen der Sinngebung zu entdecken und daraus Visionen für das zu- künftig Mögliche entwerfen zu lernen. 5. Ein praktisches Beispiel: 4Future Labs Gewiss stellt die Integration der Befähigung zur Imagination und kreativer Vorstel- lungskräfte im Bereich „neu Sein“ eine große Herausforderung für die Anwendung der Spirale transformativen Lernens im heutigen Schulunterricht dar. Statt weitere theoretische Überlegungen anzustellen, möchte ich hierfür im Folgenden eine prak- tische Möglichkeit skizzieren. Die Rede ist von „4FutureLabs“, die wir an der Hoch- 31Bildung neu denken in Krisenzeiten schule für Gesellschaftsgestaltung für Hochschulen und Schulen entwickeln und die wir bislang in der Sekundarstufe II erproben. Aufbauend auf und angelehnt etwa an Konzepte der „Futures Literacy“ der UNESCO (vgl. erneut Miller, 2018), der Causal Layered Analysis (Inayatullah, 2004) und des Learnings in Doing (Wagner, 2000) ermöglichen diese Schülerinnen und Schülern, sich ihres kreativ-imaginierenden Potentials und seiner Bedeutungen für individuelle und soziale Zielvorstellungen und damit ihrer Teilhabe am „sozialen Magma“ bewusst zu werden. Ganz im Sinne der Spirale transformativen Lernens voll- ziehen die Lernenden dabei eine Bewegung von der Erschütterung über die Öffnung bis hin zu einer neuen Ausrichtung. Dabei dürfen sie vor allem ihre Persönlichkeits- bildung fokussieren, wobei diese nicht abgetrennt von, sondern inmitten der heutigen Krisen angeregt wird. Die 4FutureLabs, die etwa über vier halbe Tage reichen und damit eine fächer- übergreifende Projektwoche füllen können, ermöglichen es Lernenden in einem ers- ten Schritt, ihre Vision für einen bestimmten Lebensbereich, der sie selbst betrifft, in 15 bis 20 Jahren zu entwerfen (etwa im Hinblick auf die Arbeit der Zukunft, auf ein zukunftsfähiges Wirtschaften oder auf das morgige Leben in Städten). Dabei bieten ihnen die Lehrenden vielfältige Hilfestellungen gerade auch kreativer Natur, um ein solch zukunftsbezogenes Denken anzuregen und zugleich mögliche Zukunftsängste aktiv aufzugreifen und anzusprechen. Diese Visionen werden dann auf ihre (bis da- hin eher stillschweigenden) Voraussetzungen hin überprüft. Welche Wandel halten die Schülerinnen und Schüler für realistisch und möglich, welcher ist für sie über- haupt vorstellbar? Welche Ängste und welche Hoffnungen verbinden sie damit und wie äußert sich dies? Ziel in dieser Phase ist, existierende Weltsichten und ihre Aus- wirkungen auf individuelle und gesellschaftliche Zukunftsvorstellungen offenzulegen und damit der Reflexion und (potentiellen) Erschütterbarkeit zugänglich zu machen. In einem zweiten Schritt werden alternative, plurale Zukunftsentwürfe mit den Lernenden entworfen. Im Sinne etwa der Causal Layered Analysis wird dabei mit den Schülerinnen und Schülern beginnend bei möglichen neuen Weltsichten, Metaphern und Litaneien gearbeitet und sodann Szenarien entworfen, wie sich aus diesen kreati- ven und ausdrücklich auch zum Träumen anregenden Umbrüchen neue imaginative, kognitive, normative und regulative Institutionen entwickeln lassen. Was wären etwa Unterschiede, wenn das zukünftige Leben in Städten vom Ideal kooperativen Zusam- menlebens bestimmt wäre? Was wäre, wenn es keinen Individualverkehr mehr gäbe? Wie sähe Lebensqualität aus, wenn die Temperaturen auf den Straßen über 50° stie- gen? Was wäre jeweils das eigene Leben darin und für was würden sich die Lernenden wie engagieren wollen? Welche institutionellen Umfelder bräuchten sie jeweils dafür und wie könnten diese entstehen oder erhalten werden? Flankiert von Wissensinputs und kreativen Übungen geht es in dieser Phase vor allem darum, Öffnungen auf der Ebene imaginierender Gestaltungskraft zu ermöglichen. In einem dritten und letzten Schritt werden den Lernenden sodann Räume eröff- net, sich neu ausrichten zu können. Welche Zukunft ist die für sie am meisten wün- schenswerte? Da Zukunft per Definition niemals vorhanden ist (dann wäre sie ja die 32 Silja Graupe Gegenwart), erfahren die Schülerinnen und Schüler nun, wie Zukunftsvorstellungen Teil ihrer gegenwärtigen Imaginationskraft sind und wie sie sie zur wichtigen Ge- staltungskraft ihres Alltags machen können. Fragen an die Schülerinnen und Schüler können hier sein: Wenn sie eine bestimmte Zukunft in 15 oder 20 Jahren verwirk- lichen möchten, was sind hier und heute die ersten Schritte, die sie unternehmen können und sollten? Was können sie konkret tun? Was können sie lassen? Wie sich engagieren? Wie ihren weiteren Bildungsweg gestalten? 6. Abschluss In diesem Beitrag habe ich Notwendigkeiten ebenso wie Möglichkeiten eines grund- legend neuen Bildungsverständnisses skizziert, das die Krisenhaftigkeit unserer Welt ernstnimmt und jungen Menschen zugleich Hoffnungen ebenso wie Fähigkeiten ver- mittelt, in dieser Welt nicht nur zu überleben, sondern aktiv Zukunft zu gestalten. Da- bei habe ich argumentiert, dass Bildungsverantwortliche sich zunächst tie fergehender Fragen nach gesellschaftlichem Wandel stellen sollten, und sich daraus ein neues Ver- ständnis transformativen Lernens entwickelt. Ein erstes Beispiel, wie dieses Lernen konkret in den Schulunterricht integriert werden kann, habe ich anhand der 4Futu- reLabs skizziert. Es bleibt eine wesentliche Frage: Welchen institutionellen Wandel wird das Schul- system selbst brauchen, um das in diesem Beitrag aufgezeigte transformative Lernen möglich zu machen? Ohne hierauf fertige Antworten geben zu können, schiene mir ein möglicher Weg, eine adaptierte Form der 4FutureLabs unmittelbar in die Lehr- kräftebildung selbst zu etablieren. Nicht allein, um zu lernen, wie sich diese Labs mit Schülerinnen und Schülern durchführen lassen, sondern um einen offenen Ort sozia- ler Interaktion zu schaffen, an dem angehende Lehrkräfte selbst lernen dürfen, wie sie jene Schule imaginieren und gestalten wollen, an der sie die junge Generation tatsäch- lich befähigen werden, in einer fundamental ungewissen Welt lebenswerte Zukünfte für alle zu schaffen. Literatur Bäuerle, L. &Pühringer, S. & Ötsch, W. (2020). Wirtschaft(lich) Studieren Erfahrungsräume von Studierenden der Wirtschaftswissenschaften. SpringerVS. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (2019). Ausgewählte Ergebnisse der Jugendstudie „Zukunft? Jugend fragen!“. https://www.bmu.de/fileadmin/ Daten_BMU/Download_PDF/Klimaschutz/ergebnisse_bmu_jugendstudie_neu_bf.pdf, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (2021). Naturbewusst- sein 2021. Bevölkerungsumfrage zu Natur und biologischer Vielfalt. https://www.bmuv.de/ publikation/naturbewusstsein-2021 Castoriadis, C. (1984). Gesellschaft als imaginäre Institution. Entwurf einer politischen Philo- sophie. Suhrkamp. https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Klimaschutz/ergebnisse_bmu_jugendstudie_neu_bf.pdf https://www.bmuv.de/publikation/naturbewusstsein-2021 33Bildung neu denken in Krisenzeiten Graupe, S. (2020). Die Biodiversität des Erkennens. Visionäre Zukunftsgestaltung braucht reflexive Freiheit. In L. Hochmann (Hrsg.), Economists for Future. Verantwortung über- nehmen für eine bessere Welt. Murmann Verlag. Graupe, S. & Bäuerle, L. (2022). Bildung in fragilen Zeiten. Die Spirale transformativen Ler- nens. Koblenz: Working Paper der Hochschule für Gesellschaftsgestaltung Nr. 70. https:// hfgg.de/wp-content/uploads/2023/05/70_WP_Graupe-Baeuerle_Bildung-in-fragilen- Zeiten.pdf Graupe, S. & Bäuerle, L. (2023. In Erscheinung). Die Spirale transformativen Lernens. In M. A. Heidelmann, V. Storozenko & S. Wieners (Hrsg.), Forschungsdiskurs und Etablie- rungsprozess der Organisationspädagogik. SpringerVS. Hillmann, K. H. (2007). Wörterbuch der Soziologie Kröner 1994. Inayatullah, S (Hrsg.) (2004). The Causal Layered Analysis (CLA) Reader. Theory and Case Studies of an Integrative and Transformative Methodology. Tamkang University Press. Miller, R. (2018). Transforming the future: anticipation in the 21st century. UNESCO. https:// unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000264644. Mezirow, J. 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Silja Graupe, Cusanus Hochschule für Gesellschaftsgestaltung, Kornpfortstr. 15, 56068 Kob- lenz https://orcid.org/0000-0002-9896-4849 https://www.rheingold-marktforschung.de/wp-content/uploads/2022/09/Ergebnisse-Zukunftsstudie_final.pdf https://www.vodafone-stiftung.de/jugendstudie-2022/ https://doi.org/10.31244/9783830997962.04 CC BY-NC-SA 4.0 Kompetent mit Wissenschaft im Alltag interagieren können Zum Verhältnis von Wissenschaftsverständnis und informiertem Vertrauen Friederike Hendriks Socio-scientific issues wie Corona-Pandemie und Klimakrise sind kontroverse The- men, die gesellschaftlich von hoher Relevanz sind und auf wissenschaftliches Begrün- dungswissen zurückgreifen. In Folge ist wissenschaftliches Wissen relevant für per- sönliche Meinungsbildung (Ist der Klimawandel verantwortlich für die Zunahme an Starkregenereignissen? Kann eine mRNA-Impfung das Genom verändern?) und Ent- scheidungsfindung (Soll ich mit dem Flugzeug in den Urlaub fliegen? Soll ich mich impfen lassen?). Im Kontext von socio-scientific issues sind solche Fragen aber schwer zu lösen: relevantes wissenschaftliches Wissen ist aber oft vorläufig oder unsicher, etwa weil komplexe Systeme Untersuchungsgegenstand sind, oder weil fortlaufend neue Forschung zum Thema entsteht. Das Internet ist inzwischen der bedeutendste Kanal für Informationen über Wis- senschaft (Wissenschaft im Dialog, 2021); und auch Jugendliche informieren sich on- line über Themen wie Klimawandel oder Corona-Pandemie (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, 2021). Digitale Medienumgebungen verstärken die An- forderungen, die wissenschaftliches Wissen mitbringt, noch (Hendriks et al., 2020), nicht zuletzt durch „post-truth“-Phänomene wie Fake News (Chinn et al., 2021). Was müssen Schülerinnen und Schüler also wissen und können, um im 21. Jahrhundert mit wissenschaftsbezogenen Fragen in digitalen Medienumgebungen kompetent um- zugehen? Feinstein (2011) antwortet mit dem Bild des competent outsider: Ziel solle sein, dass Personen die Relevanz von Wissenschaft für ihren Alltag erkennen und ihr Wis- senschaftsverständnis produktiv nutzen können. Damit stellt Feinstein die Wichtig- keit der Wissensvermittlung in der naturwissenschaftlichen Bildung zugunsten der Übung ihrer Anwendung zurück: „science education can help people solve personally meaningful problems in their lives, directly affect their material and social circumstances, shape their behavior, and inform their most significant practical and political decisions“ (Feinstein, 2011, S. 169). 36 Friederike Hendriks In diesem Essay möchte ich mit Bezug auf Feinsteins competent outsider das Konzept des informierten Vertrauens (Bromme, 2020, 2022) vorstellen –, denn es zeigt eine Möglichkeit auf, wie Personen trotz eines begrenzten Verständnisses von Wissen- schaft kompetent über wissenschaftliche Informationen urteilen können. 1. Informiertes Vertrauen Die kritische Beurteilung wissenschaftlicher Geltungsbehauptungen ist ein heraus- forderndes Unterfangen, weil unser Verständnis von Wissenschaft notwendigerweise begrenzt ist (Bromme & Goldman, 2014). Dies ist Folge der kognitiven Arbeitsteilung in modernen Wissensgesellschaften: Aufgrund der Komplexität wissenschaftlichen Wissens ist für eine einzelne Person nurmehr möglich in einer oder wenigen Speziali- sierungen Expertise zu erreichen, in den meisten anderen Wissensbereichen bleibt sie Laie oder Laiin. Entsprechend ist ihr eine direkte Glaubwürdigkeitsbewertung (Was kann man glauben?) wissenschaftlicher Informationen mithilfe eigenen Hintergrund- wissens, logischer Konsistenzprüfung, oder kritischer Auseinandersetzung meist schwer bzw. unmöglich. Sie kann aber auf eine indirekte Glaubwürdigkeitsbewertung (Wem kann man vertrauen?) ausweichen: So kann sie über die Bewertung der Ver- trauenswürdigkeit einer Informationsquelle auf den Wahrheitsgehalt einer Informa- tion schließen (Bromme, 2022). Das bedeutet nicht, dass Informationen blind vertraut wird. Zwar besteht eine grundsätzliche Bereitschaft, sich für Informationen auf Andere zu verlassen – schließ- lich beziehen wir einen Großteil unseres Wissens von Anderen (z. B. Eltern, Lehr- kräften, Journalistinnen und Journalisten) –, Menschen sind aber auch epistemisch vigilant gegenüber Fehlinformation (Sperber et al., 2010). So präferieren schon Kin- der im Alter von 3 Jahren Informantinnen und Informanten, die ihnen kompetent und wohlwollend erscheinen, zum Beispiel, weil sie in der Vergangenheit korrekte Informationen gegeben hatten oder als hilfreich beschrieben worden waren, gegen- über Informantinnen und Informanten, die Fehler machen oder eigennützig agieren (Harris, 2012; Shafto et al., 2012). Im Kontext wissenschaftlicher Informationen konnten wir zeigen, dass Personen die Expertise (relevantes Fachwissen, Erfahrung), Integrität (Ehrlichkeit, Regeltreue) und das Wohlwollen (Uneigennützigkeit, Handeln im Interesse Anderer) einer Wis- senschaftlerin oder eines Wissenschaftlers abschätzen, um Vertrauensurteile zu tref- fen (Hendriks et al., 2015). Personen ziehen nicht nur konkrete Eigenschaften von Personen (z. B. Doktortitel, Beruf) heran, um einzuschätzen, ob eine Informations- quelle Expertin oder Experte für ein Thema und somit vertrauenswürdig ist (Thon & Jucks, 2017; Winter & Krämer, 2012). Sie beobachten auch das kommunikative Verhalten, um Schlussfolgerungen über die kommunikative Intention der Expertin oder des Experten zu machen. In zwei Studien fanden wir, dass wenn ein (fiktiver) Wissenschaftler in Kommentaren zu seinem eigenen Blog-Artikel selbst eine über- zogene Schlussfolgerung eingestand (Hendriks et al., 2016a), bzw. ethische Aspekte ansprach (Hendriks et al., 2016b), dies zu positiveren Einschätzungen von Integrität 37Kompetent mit Wissenschaft im Alltag interagieren können und Wohlwollen führte. Dies lässt sich mit dem „Stealing Thunder Effekt“ erklären (Guyer et al., 2022): Wenn ein Kommunikator selbst Gegenargumente oder negative Informationen über sich selbst preisgibt, und zwar bevor Andere das tun können, wird dieser Kommunikator als vertrauenswürdiger beurteilt. Altenmüller et al. (2021) konnten zeigen, dass nicht nur positiv auf die zugeschriebene Vertrauenswürdigkeit wirkt, wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Kritik gegenüber ihren eige- nen früheren Forschungsergebnissen äußern, sondern dass es ihnen sogar negativ ausgelegt wird, wenn sie zu wenig selbstkritisch agieren. Auch scheint sich die Kommunikation wissenschaftlicher Unsicherheit nicht nega- tiv auf die Bewertung der Vertrauenswürdigkeit auszuwirken. Im Mai 2020, also kurz nach Einführung der Maskenpflicht in Deutschland als Maßnahme gegen die Corona- Pandemie, führten wir zwei Studien durch. Wir zeigten den Versuchspersonen Texte zur Maskenpflicht, in denen wissenschaftliche Unsicherheit entweder enthalten war oder nicht (als Quelle wurde entweder ein Wissenschaftler oder ein Politiker ausgege- ben). Während sprachliche Unsicherheitsmarkierungen keine Auswirkungen auf die Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit hatten (Janssen et al., 2021), hatte die Erwäh- nung von sowohl Pro- als auch Contra-Argumenten zur Maskenpflicht (verglichen mit der ausschließlichen Erwähnung von Pro-Argumenten) zur Folge, dass die Ex- pertise der Informationsquelle höher eingeschätzt wurde (Hendriks et al., 2022). Dies könnte möglicherweise dadurch erklärt werden, dass Menschen Informationsquellen mit informativer Intention solchen mit persuasiver Intention vorziehen (Flanagin et al., 2018). Auch andere Studien finden selten negative Effekte der Kommunikation von Unsicherheit auf Vertrauenswürdigkeit (van der Bles et al., 2019). Personen scheinen also Erwartungen an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft- ler richten, die von ihrem Wissenschaftsverständnis informiert sind, etwa dass Wis- senschaft selbst-korrektiv ist (Jamieson et al., 2019) oder Unsicherheiten enthält. 2. Wissenschaftsverständnis als Basis informierten Vertrauens Vertrauensurteile können und sollen wissensbasierte Urteile und Entscheidungen über wissenschaftliche Themen nicht ersetzen. Das Konzept des informierten Ver- trauens trägt der Tatsache Rechnung, dass kritisches Vertrauen auch auf dem Wissen über (relevante und grundlegende) wissenschaftliche Inhalte und wissenschaftliche Prozesse fußt (Bromme, 2020). Es gibt inzwischen einige Vorschläge dafür, wie das Wissenschaftsverständnis aussehen sollte, das Schülerinnen und Schüler zum Ende ihrer Schullaufbahn besitzen (z. B. National Research Council, 2012; OECD, 2017). Für den competent outsider ist jedoch vor allem das Inhalts- und Prozesswissen wichtig, welches relevant für die Lösung aktueller Probleme erachtet wird. So kann etwa die Frage „Soll ich mit einem mRNA-Impfstoff impfen lassen?“ kaum auf rele- vantes Inhaltswissen zurückgreifen, weil mRNA-Impfstoffe erst seit kurzem klinische Anwendung finden (erst 2015 gab es die erste klinische Studie mit einem mRNA- Impfstoff). Welches Wissen über wissenschaftliche Prozesse benötigt also ein com- 38 Friederike Hendriks petent outsider, um trotz begrenztem Inshaltswissen informierte Vertrauensurteile zu treffen? Es bedarf erstens eines Verständnisses davon, dass Wissenschaft nicht nur ein kognitives, sondern auch ein soziales Unterfangen ist (Hendriks et al., 2016c). Wis- senschaftliche Konventionen  – auf die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich disziplinär verständigt haben – sorgen für epistemische Verlässlichkeit (Wilholt, 2013). Beispielsweise bestimmt das Signifikanzniveau, unter welcher Fehlerwahr- scheinlichkeit eine Nullhypothese angenommen wird. Wenn die Entscheidung zur Annahme einer Nullhypothese (etwa, dass mRNA-Impfstoffe ungefährlich sind) aber unter hohem Risiko getroffen wird (etwa, weil schädliche Konsequenzen für Indi- viduen drohen; zum Beispiel, weil Nebenwirkungen eines Impfstoffs doch eintreten können), können strengere Regeln festgelegt werden. Im Falle der Zulassung von mRNA-Impfoffen im Rolling-Review-Verfahren ist also wichtig zu verstehen, dass trotz der zeitlichen Verkürzung des Verfahrens keine Abstriche bei der Bewertung von Risiken gemacht werden. Solche Werturteile sind Teil wissenschaftlicher Praxis (Douglas, 2009) – wichtig ist, dass relevante Werte gesellschaftlich geteilt werden und das Interesse der Allgemeinheit priorisieren (Wilholt, 2013). Wissenschaft beinhaltet nicht nur kognitive Prozesse der Generierung aussage- kräftiger und qualitativ hochwertiger Evidenz, sondern auch soziale Prozesse, zum Beispiel kollaborative Evidenzsynthese und Konsensfindung (die Weltklimaberichten des IPCC sind dafür ein gutes Beispiel). Zu verstehen, dass alle diese Prozesse zum aktuell bestmöglichen verfügbaren Wissen beitragen, ist Grundlage einer evaluativis- tischen epistemischen Überzeugung (Kuhn & Weinstock, 2002), nämlich dass Wissen weder faktisch festgelegt (Absolutismus) noch beliebige Meinung ist (Multiplizismus), sondern dass auf Grundlage der Evaluation von Evidenz und mit Argumentation eine begründetet Annahme über „Wahrheit“ getroffen werden kann (Evaluativismus). Zweitens sind für Vertrauensurteile eines competent outsider nicht nur Überzeu- gungen über extern verfügbares (also z. B. durch Wissenschaft bereitgestellten) Wis- sen wichtig, sondern auch Überzeugungen über das eigene Wissen. Motivationen und Emotionen – etwa die grundsätzliche Bereitschaft, sich epistemische Ziele zu setzen, sowie aktive Offenheit im Denken und intellektuelle Bescheidenheit (Chinn et al., 2021; Taylor, 2016) – spielen eine wichtige Rolle für erfolgreiche Auseinandersetzung mit Wissensfragen, insbesondere im Umgang mit Desinformationen und Fake News (Chinn et al., 2021; Sharon & Baram‐Tsabari, 2020). Intellektuelle Bescheidenheit be- inhaltet im Kern die Anerkennung einer kognitiven Arbeitsteilung: Das Eingeständ- nis, dass Personen  – inklusive man selbst  – nicht über absolutes Wissen verfügen (können), verlangt danach, Informationsquellen zu identifizieren, die hohe Expertise und Zuständigkeit zu einem Thema besitzen und diesen zu vertrauen. Tatsächlich scheint intellektuelle Bescheidenheit auch ein Prädiktor von Vertrauen in Wissen- schaft zu sein (Plohl & Musil, 2023). 39Kompetent mit Wissenschaft im Alltag interagieren können 3. Ausblick Feinstein (2011) hat in seiner Beschreibung des competent outsider eine wichtige Be- obachtung geteilt: Anstatt anzunehmen, dass ein Wissenschaftsverständnis präskrip- tiv festzulegen ist, hat er Forschung dazu konsultiert, wie Menschen im Alltag oder zu bestimmten für sie selbst relevanten Themen mit Wissenschaft interagieren. Wie der competent outsider dann aber mit einem notwendigerweise begrenzten Wissen- schaftsverständnis mit wissenschaftlichem Wissen  – und seiner Vorläufigkeit, Un- sicherheit, Konflikthaftigkeit und Komplexität  – umgehen und kompetente Urteile fällen kann, das kann durch Forschung zum informierten Vertrauen näher informiert werden (Bromme, 2020, 2022). Die normative Frage nach dem „richtigen und nütz- lichen“ Wissenschaftsverständnis kann schließlich besser beantwortet werden, wenn es uns gelingt, Forschung zur Nachturwissenschaftsbildung und zur Wissenschafts- kommunikation noch besser zu verknüpfen (Baram-Tsabari & Osborne, 2015). Literatur Altenmüller, M. S., Nuding, S. & Gollwitzer, M. (2021). No harm in being self-corrective: Self- criticism and reform intentions increase researchers’ epistemic trustworthiness and cre- dibility in the eyes of the public. Public Understanding of Science, 30(8), 962–976. https:// doi.org/10.1177/09636625211022181 Baram-Tsabari, A. & Osborne, J. (2015). Bridging science education and science communica- tion research. Journal of Research in Science Teaching, 52(2), 135–144. https://doi.org/10.1002/ tea.21202 Bromme, R. (2020). Informiertes Vertrauen: Eine psychologische Perspektive auf Vertrau- en in Wissenschaft. In M. Jungert, A. Frewer & E. Mayr (Hrsg.), Wissenschaftsreflexion. Interdisziplinäre Perspektiven zwischen Philosophie und Praxis (S. 1–25). Mentis Verlag. Bromme, R. (2022). Informiertes Vertrauen in Wissenschaft: Lehren aus der COVID-19 Pan- demie für das Verständnis naturwissenschaftlicher Grundbildung (scientific literacy). 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Für die Implementierung dieses Leitmotivs sind gesamtgesell- schaftliche Einstellungsänderungen notwendig. Effizienter als bereits etablierte, unter Umständen wenig nachhaltige, Einstellungen zu beeinflussen, scheint jedoch der An- satz, die Einstellungsbildung bei jungen Menschen im Sinne der Nachhaltigkeit zu begleiten. Entsprechende Bildungsangebote können sowohl in der Schule als auch in außerschulischen Bildungssettings angeboten werden (UNESCO, 2020). Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) wird deshalb als ein Schlüsselfaktor nachhaltiger Entwicklung gesehen (ebd.). Um BNE in Schulen verankern zu können, müssen Lehrkräfte als Multiplikato- rinnen und Multiplikatoren Kompetenzen in den Bereichen BNE und Nachhaltigkeit erlangen. Diesbezüglich kann in allen drei Phasen der Lehrkräftebildung, d. h. sowohl im Studium und Referendariat als auch in der Weiterbildung von aktiven Lehrkräften, angesetzt werden (Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2019). Im Folgen- den wird ein Lehrkonzept für die Hochschule vorgestellt, welches eine Kompetenz- erweiterung in den Bereichen BNE und Nachhaltigkeit, über eine von Studierenden geplante und durchgeführte Fortbildung, sowohl bei Lehramtsstudierenden als auch im Bereich der Weiterbildung aktiver Lehrkräfte, bewirken soll. Entsprechend der zu adressierenden Kompetenzbereiche wird sich im Folgenden mit den Begriffen Nach- haltigkeit sowie BNE auseinandergesetzt. Neben der allgemeinen Strukturierung der Lehrveranstaltung inklusive zugrundeliegender methodischer und didaktischer Entscheidungen, soll auch die Wahl des inhaltlichen Schwerpunkts, der nachhaltigen naturnahen Forstwirtschaft, dargelegt und begründet werden. Abschließend soll ein Ausblick für eine geplante Skalierung gegeben werden, die auch einen Umgang mit erfahrenen Schwierigkeiten der Lehrveranstaltung darstellt. 46 Eva Freudenmacher & Christoph Thyssen 1. Nachhaltige Entwicklung und BNE– Eine Begriffsklärung 1.1 Nachhaltige Entwicklung – Ziele für eine gerechte Zukunft Eine gerechte Gesellschaft zwischen den Menschen auf der ganzen Welt, auch über Generationsgrenzen hinaus, steht im Mittelpunkt des Nachhaltigkeitsverständnis- ses der UN (UN, 2015). Daran anknüpfend wurden 2015 die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (englisch Sustainable Development Goals kurz: SDGs) ausgerufen. Sie definieren Inhaltsbereiche in Bezug auf Nachhaltigkeit, die bis 2030 erreicht werden sollen (ebd.). Neben der Gesellschaft werden durch die unterschiedlichen Schwerpunkte der SDGs auch die Bereiche Umwelt und Wirtschaft erfasst. Umwelt und Wirtschaft sind dabei als Systeme anzusehen, die, im Falle einer nachhaltigen Ausgestaltung, eine ge- rechte Gesellschaft erst erreichbar machen. Die drei Bereiche werden im Vorrangmo- dell (Abbildung 1 a), welches die theoretische Grundlage dieses Projekts bildet, nicht als gleichwertig betrachtet (Zimmermann, 2016): Der Umwelt wird als unserer Le- bensgrundlage die höchste Priorität zugeschrieben, im Mittelpunkt steht die Gesell- schaft mit dem an die UN angelehnten Gerechtigkeitsverständnis. Diese wird dabei durch eine Wirtschaft gestützt, die zur Aufrechterhaltung der Gerechtigkeit beiträgt und eine Verstärkung von Ungleichheiten verhindert, ohne die Umwelt zu gefährden (ebd). Vorrangmodell und SDGs sind kompatibel. Mit ihnen kann Nachhaltigkeit abhängig von der jeweiligen Anforderungssituation unterschiedlich differenziert be- trachtet werden (im Kontinuum zwischen drei Dimensionen und 17 SDGs, die jeweils selbst weiter ausdifferenziert werden können). Mit dem Weddingcake-Modell (Ab- bildung 1 c) kann diese Kompatibilität verdeutlicht werden. Die Größe der Etagen des Modells symbolisiert dabei die Prioritäten, die den Bereichen zugeschrieben werden. Abb. 1: Beziehung (b) zwischen Vorrangmodell (a)- und Weddingcake-Modell (c) (Rock- ström & Sukhdev, 2016; Zimmermann, 2016) 47Kompetent für nachhaltige Entwicklung Zusätzlich wird dadurch, dass die Gesellschaft über mehr Ziele repräsentiert wird als die anderen beiden Bereiche deutlich, dass die soziale Gerechtigkeit das eigentliche Ziel von nachhaltiger Entwicklung darstellt (Obrecht et al., 2021). Abbildung 1 stellt neben dem a) Vorrangmodell und dem c) Weddingcake-Modell auch b) die Bezie- hung der beiden Modelle dar. 1.2 Bildung für nachhaltige Entwicklung – Lehre für ein Lernen, die Welt zu verändern BNE gilt als wichtiger Schlüssel zur Erreichung der SDGs. Außerdem ist BNE selbst Teil von „SDG4: Hochwertige Bildung“ (UN, 2015). Jedes Ziel beinhaltet zusätzlich Unterziele, wobei Unterziel 4.7 unmittelbar die Implementierung von BNE in der Schule adressiert (ebd). BNE wird als ganzheitliches, normatives Bildungskonzept verstanden, das Lernende in die Lage versetzen soll, informierte Entscheidungen im Sinne der nachhaltigen Entwicklung zu treffen (Holfelder, 2017). Dabei sollen die Fol- gen von Entscheidungen auf unterschiedlichen Ebenen und aus mehreren Perspek- tiven mit einbezogen werden. Der ganzheitliche Charakter der Konzeption der BNE zeigt sich darin, dass nicht nur einzelne Unterrichtseinheiten in den Blick genommen werden. Vielmehr soll nach dem „Whole System Approach“ der gesamte Schulalltag, auch außerhalb des Unterrichts, nach Kriterien der nachhaltigen Entwicklung, ge- staltet werden (UNESCO, 2020). 2. Eine Lehrveranstaltung im Kontext BNE – „Ökosystem Wald“ 2.1 Ziele der Lehrveranstaltung Die Lehrveranstaltung wurde entwickelt, um angehende Lehrkräfte als Multiplika- torinnen und Multiplikatoren für nachhaltige Entwicklung auszubilden und BNE in die Lehrkräftebildung der Hochschule zu integrieren. Durch die konkrete Ausgestal- tung des hier vorgestellten Konzepts werden die Nachhaltigkeitskompetenzen von sowohl Studierenden als auch von Schülerinnen und Schülern sowie von Lehrkräften im Schuldienst erweitert. Die Studierenden sollen durch Teilnahme an der Lehrver- anstaltung einerseits in der Lage sein, Unterricht im Sinne der BNE zu gestalten. An- dererseits sollen sie auch ein Verständnis für den ganzheitlichen Ansatz von BNE erlangen. Dies soll sie in die Lage versetzen, als Lehrkräfte an ihren Schulen zu einer Verankerung von BNE im Schulalltag (vgl. Whole System Approach) beizutragen und Veränderungsprozesse in diese Richtung anzustoßen. Die Studierenden werden somit zu Multiplikatorinnen und Multiplikatoren der BNE ausgebildet, die später die Nachhaltigkeitskompetenzen ihrer Schülerinnen und Schüler erweitern und den Schulalltag mitgestalten können, d. h., so aktiv zu einer nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft beitragen können. 48 Eva Freudenmacher & Christoph Thyssen 2.2 Warum naturnahe nachhaltige Forstwirtschaft als Kontext? Inhaltlich befasst sich das Konzept mit der naturnahen nachhaltigen Forstwirtschaft. Zum einen kommt der Forstwirtschaft regional (bezogen auf die RPTU) eine wich- tige wirtschaftliche, ökologische und gesellschaftliche Bedeutung zu. Zum anderen erfüllt der Wald für die Gesellschaft auch überregional mit seinen drei Funktionen (Schutz-, Nutz- und Erholungsfunktion) wichtige Aufgaben, die sich gut auf die drei Teilbereiche nachhaltiger Entwicklung (Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft) über- tragen lassen. Die wirtschaftliche Nutzfunktion bezieht sich in erster Linie auf die Produktion von Holz, welches in der naturnahen nachhaltigen Forstwirtschaft kon- tinuierlich, aber in für die Natur verträglichen Mengen, aus dem Wald entnommen wird. Die Erholungsfunktion bedient die gesellschaftliche Ebene von Nachhaltigkeit, indem der Wald zur Gesunderhaltung und der Bildung der Bevölkerung beiträgt. Die Schutzfunktion umfasst zum einen gesellschaftlich wichtige Aspekte, wie z. B. den Hochwasserschutz oder den Klimaschutz über die CO2-Bindung der Bäume. Zum anderen umfasst die Schutzfunktion des Waldes auch die Aufrechterhaltung des Öko- systems und somit die Sicherung des Lebensraums Wald, was den Bereich der Um- welt abdeckt. Ein wichtiger Faktor, der im Zuge der Veranstaltung besondere Beachtung findet, ist der Waldboden. Boden im Allgemeinen ist ein System, welches aufgrund seiner Eigenschaften hohe Relevanz im Bereich der Nachhaltigkeit hat. So ist der Boden beispielsweise die Grundlage der menschlichen Ernährung und stellt außerdem einen großen CO2-Speicher dar (Grüneberg, 2016). Boden wird in „SDG15 – Leben an Land“ als endliche Ressource mit einer Schlüsselfunktion im Bereich Umwelt angesehen. Bei der Wahl des inhaltlichen Schwerpunkts für eine Veranstaltung im Bereich der BNE sollte, entsprechend unserer Planungsgedanken, darauf geachtet werden, dass ein Lerngegenstand regional bedeutend ist, eine wichtige Rolle in den drei Nachhaltig- keitsbereichen spielt und aus vielen unterschiedlichen (Fach-)Perspektiven betrachtet werden kann und sollte. So wird zum einen eine persönliche Betroffenheit mit dem Inhalt initiiert und zum anderen können die bereits dargelegten grundlegenden Ziele der BNE (vgl. Kapitel 1.2) adressiert werden. 2.3 Organisation und Struktur der Lehrveranstaltung Die Lehrveranstaltung ist in Form einer drei Sitzungen umfassenden Vorlesung mit anschließendem Seminar strukturiert. Die Studierenden planen im Seminarteil eine Unterrichtsreihe für Schülerinnen und Schüler sowie eine Lehrkräftefortbildung mit dem Schwerpunkt Forstwirtschaft im Kontext von BNE und führen beide Konzepte weitestgehend eigenverantwortlich durch. Die von den Studierenden geplante und durchgeführte Unterrichtsreihe dient dabei als Beispiel für die Umsetzung eines Kon- zepts mit BNE-Bezug in der Schule und wird den an der Fortbildung teilnehmen- den Lehrkräften von den Studierenden vorgestellt. Die Studierenden erlangen ihre Kompetenzen so auf vielfältige Weise. Zum einen werden die Kompetenzen durch die Konzeption und Durchführung der Unterrichtsreihe, zum anderen aber auch 49Kompetent für nachh