Bericht Evaluation des Projekts «malreden». Projekt zur sozialen Integration und zur Gesundheitsförderung. Verein Silbernetz Schweiz. Nicole Bachmann Carlo Fabian Institut für Soziale Arbeit und Gesundheit Hochschule für Soziale Arbeit Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW Riggenbachstrasse 16 4600 Olten Olten, 10. Januar 2023 Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten Inhaltsverzeichnis Management Summary ............................................................................................................................ I 1. Einleitung ......................................................................................................................................... 1 2. Gegenstand, Ziele und Fragestellungen der Evaluation .................................................................. 2 3. Methodik ......................................................................................................................................... 6 4. Ergebnisse ....................................................................................................................................... 8 4.1 Input ................................................................................................................................................ 8 4.2 Umsetzung ..................................................................................................................................... 10 Entwicklung des Projekt-Konzepts ......................................................................................... 10 Organisation ........................................................................................................................... 13 Freiwillige Mitarbeitende ....................................................................................................... 16 Marketing und Werbung für das Projekt ............................................................................... 21 4.3 Output ........................................................................................................................................... 22 4.4 Outcome ........................................................................................................................................ 24 Erreichen der definierten Zielgruppe..................................................................................... 24 Nutzung der «Hotline» ........................................................................................................... 25 Nutzung des Angebots «Tandem» ......................................................................................... 27 Vermittlung von Informationen und Veränderung des Verhaltens ....................................... 28 Erreichen der intendierten Wirkungen: die Sicht von Nutzer*innen .................................... 29 5. Schlussfolgerungen und Empfehlungen ........................................................................................ 32 5.1 Schlussfolgerungen ........................................................................................................................ 32 5.2 Empfehlungen................................................................................................................................ 33 5.3 Ausblick .......................................................................................................................................... 34 6. Literatur ......................................................................................................................................... 35 Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten I Management Summary Das Projekt «malreden» zielt darauf ab, über einen Telefondienst älteren Menschen eine nieder- schwellige Möglichkeit anzubieten, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten und damit Einsam- keitsgefühle zu reduzieren und das Wohlbefinden zu stärken. Das Projekt wird von verschiedenen Stiftungen (Gesundheitsförderung Schweiz, Beisheim Stiftung, Walder Stiftung, Die Mobiliar, Migros Kulturprozent, Ernst Göhner Stiftung, Fonds Stadt Bern, Burgergemeinde Bern und Lotterie Fonds Bern) sowie den zwei Kantonen Bern und Zürich finanziert. Die Pilotphase dauerte vom 1. April 2021 bis 31. Dezember 2022. Das Angebot von «malreden» setzt sich aus drei Elementen zusammen: 1. «malreden Hotline»: anonyme Telefonhotline unter der Gratisnummer 0800 890 890; 2. «malreden Tandem»: Bilden von festen Telefonpartnerschaften zwischen Freiwilligen und Nutzer*innen, die gegenseitig anonym bleiben; 3. «malreden Info»: Vermittlung von Informationen in Bezug auf Angebote zur Vernetzung und zur Unterstützung bei Bedarf. Die Pilotphase wurde evaluiert, wobei der Fokus auf Fragestellungen im Zusammenhang mit Input, Output und Outcome des Projekts gelegt wurde. Dabei stützte sich die Evaluation auf die Logik des Wirkungsmodells ab, welches im Rahmen des Projekts entwickelt wurde. Angesichts der beschränk- ten finanziellen Möglichkeiten musste darauf verzichtet werden, den Impact des Projekts auf gesell- schaftlicher Ebene zu untersuchen. Das Wirkungsmodell geht zusammenfassend davon aus, dass bei der Bereitstellung von ausreichend Ressourcen (Input), genügend Freiwillige gefunden und geschult werden können (Umsetzung), damit das geplante Angebot in ausreichender Menge und Qualität etabliert werden kann (Output). Sind diese Bedingungen gegeben, kann die Zielgruppe über Multiplikator*innen und Medienarbeit informiert werden, damit sie das Angebot in Anspruch nimmt, sich dadurch weniger einsam fühlt und ihr Verhal- ten ändert (Outcome). Schliesslich wird postuliert, dass bei einer Ausweitung des Angebots die Ein- samkeit von älteren Menschen in der Schweiz insgesamt abnimmt (Impact). Die aus diesem Modell abgeleiteten Zielsetzungen entsprechen grösstenteils den SMART-Prinzipien1. Die wissenschaftliche Evidenz dieses Wirkungsmodells kann am besten anhand der Erfahrungen der zwei Modellprojekte in UK und Deutschland diskutiert werden, da sich die Interventionsmethoden von «malreden» stark an diesen orientieren. Aus dem Evaluationsbericht von «The Silver Line» lässt sich u. a. schliessen, dass dieses Angebot bei den Nutzer*innen die Linderung von Einsamkeitsgefühlen verringern kann. Hinge- gen wurde durch «The Silver Line» kaum eine Wirkung auf eine weitergehende Verhaltensänderung zur Überwindung von sozialer Isolation erreicht. Dieser Aspekt des Wirkungsmodells von «malreden» ist demnach durch die bisherigen wissenschaftlichen Befunde nicht belegt. Im Zusammenhang mit dem Input des Projekts «malreden» stellen sich primär Fragen zu den vorhan- denen finanziellen und personellen Ressourcen, die dem Projekt während der Pilotphase zur 1 SMART ist die Abkürzung für ein Kriterienraster für die Definition von Zielen: Dementsprechend müssen Ziele specific, measurable, achievable, realistic und timely definiert sein. Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten II Verfügung standen und ob diese auch für eine nachhaltige Realisierung des Projekts ausreichend er- scheinen. Im ersten Betriebsjahr (2021) standen «malreden» folgende finanzielle Ressourcen zur Ver- fügung: Bei einem Gesamtaufwand von CHF 165'185.- betrug der Lohnaufwand netto CHF 96'623.-. Der gesamte Ertrag im Jahr 2021 betrug CHF 166'961.-, davon waren CHF 146'000.- durch Spenden und Subventionen der öffentlichen Hand gedeckt. Im Verlauf des Jahres 2021 wurden zusätzlich frei- willige Leistungen im Umfang von 2'550 Arbeitsstunden geleistet (malreden, 2022a). Für das zweite Betriebsjahr standen beim Erarbeiten des Evaluationsberichts (Stand 31. Oktober 2022) noch keine abschliessenden Finanzzahlen zur Verfügung. Gemäss Einschätzung des Vereinsvorstands und der Projektleitung konnte mit den während der Pi- lotphase zur Verfügung stehen Mitteln die Geschäftsstelle nicht ausreichend finanziert werden. Die beiden Leiterinnen der Geschäftsstelle leisteten einen Teil der Arbeit in unbezahlter Überzeit, was aus ihrer Sicht für diese Phase akzeptabel war. Für die zukünftige Weiterführung und Ausweitung des Projekts stellt dies aber einen kritischen Punkt dar. Die vorliegenden Informationen lassen den Schluss zu, dass während der Pilotphase ausreichend qualifizierte und kompetente Mitarbeitende am Projekt beteiligt waren. Den Geschäftsleiterinnen gelang es, auch kompetente, ehrenamtlich Mitar- beitende für bestimmte Aufgaben der erweiterten Projektleitung zu gewinnen. Diese ermöglichten eine Entlastung der Leiterinnen von bestimmten Aufgaben. Die Zusammenarbeit innerhalb der Pro- jektleitung und mit dem Vereinsvorstand wurde von den befragten Personen als zweckmässig und effizient beschrieben. Die Organisationsstruktur des Projekts wird vom Mitglied des Vereinsvorstands wie der Geschäfts- leitung selbst als effizient beurteilt. Auch die Befragung der Freiwilligen zeigt eine hohe Zufriedenheit mit der Art, wie das Projekt organisiert ist. Gleichzeitig zeigt sich aber auch eine starke Konzentration aller Prozesse bei der Geschäftsleitung: Sie leitet das Projekt, initiiert und kontrolliert die meisten Prozesse und steht im Zentrum des Kommunikationsflusses. Sie hat Kontakt mit allen Akteuren des Projekts, vom Vorstand des Vereins über die Mitarbeitenden, den Pool der Freiwilligen bis zu den Ad- ressat*innen. Aus Sicht der Geschäftsleitung hat dies vor allem in der ersten Phase des Projekts zu einer hohen Arbeitsbelastung geführt, wenn beispielsweise Ersatz für notfallmässig ausfallende Frei- willige im Telefoneinsatz gesucht werden musste. Es ist deshalb wichtig, dass die Geschäftsstelle bei einer Weiterführung und Ausweitung des Projekts personell aufgestockt werden kann, auch um all- fällige ungeplante Fluktuationen bewältigen zu können. Die Sicherung der Qualität des Angebots beruht auf der Grund-Schulung der Freiwilligen, der Weiter- bildung und der regelmässigen Supervision der Freiwilligen. Die Freiwilligen beurteilen diese Instru- mente mehrheitlich positiv und fühlen sich insgesamt sehr gut betreut durch die Projektleitung. Al- lerdings wird die Schulung von einigen Freiwilligen als etwas zu theoretisch wahrgenommen und ei- nige wünschen sich mehr praktische Übungen für schwierige und belastende Gespräche. Aus Sicht der Geschäftsleitung wäre es sinnvoll, dass sie mehr Einblick in die Qualität der Gespräche erhalten würden. Sie möchten dies bei der Weiterführung des Projekts realisieren, indem unter fachlicher An- leitung ein «Praxis-Refreshing» im Sinne des praktischen Übens der Gesprächsführung in kleinen Gruppen durchgeführt wird. Die Geschäftsleitung führte ausserdem während des Projektverlaufs ein differenziertes Monitoring von verschiedenen Indikatoren der Nutzung und der Qualität des Ange- bots, welches ihnen erlaubte, frühzeitig auf problematische Entwicklungen zu reagieren und Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten III Verbesserungen vorzunehmen. Der Selbstevaluationsbericht, der sich u. a. auf die Monitoring Daten stützt, wurde entsprechend der Planung abgeschlossen (Silbernetz Schweiz, Geschäftsleitung, 2022). Ein zentral wichtiger Aspekt der Umsetzung des Projekts ist die Frage, ob genügend Freiwillige für die Telefondienste «Hotline» und «Tandem» gewonnen und ausreichend geschult werden konnten. Seit April 2021 bis Ende August 2022 wurden vier Schulungen durchgeführt und insgesamt 48 Freiwillige für das Projekt gewonnen. Davon haben 13 Personen (27 %) in der Zwischenzeit ihr Engagement wie- der aufgegeben. Die Freiwilligen geben in einer Online-Befragung mit einer Teilnahmequote von 65 % an, dass sie insgesamt zufrieden bis sehr zufrieden sind mit der Unterstützung durch die Pro- jektleitung, mit der Qualität der Schulung und mit der Organisation insgesamt. Etwas kritischer er- weist sich der Umstand, dass ein Teil der Freiwilligen die Gespräche teils als belastend empfindet, teils als nicht zufriedenstellend, da sich keine Entwicklung bei den Anrufenden abzeichnet, sondern immer wieder dasselbe erzählt wird oder sie sich wünschen, dass die Gespräche sich nicht nur um Alltägliches drehen würden. 74 % der Freiwilligen würden ihren Freund*innen ein Engagement bei diesem Projekt «eher» oder «sicher» empfehlen, knapp 7 % würden dies «eher nicht» tun, 19 % sind unentschlossen in dieser Frage. Bei der Weiterführung des Projekts empfiehlt sich aus unserer Sicht bei der Grund-Schulung, Weiterbildung und Supervision der Belastung der Freiwilligen hohe Auf- merksamkeit zu schenken. Medienarbeit. Das Projekt wurde in der Pilotphase intensiv beworben (Flyer, grosse E-Mail-Versände an Gemeinden und über Gemeinden, Beiträge in Zeitungen, Fernsehen und Radio sowie Social Me- dia-Beiträge. Es zeigte sich, dass vor allem die traditionellen Medien mit grosser Reichweite (Gratis- Zeitungen, Fernseh- und Radiobeiträge) wirkungsvoll waren, um diese Zielgruppe direkt ansprechen zu können, was jeweils zu einer deutlich gesteigerten Nachfrage führte. Die Erreichung der Zielgruppe über Multiplikator*innen erwies sich zu Beginn als aufwändig und zeigte erst gegen Ende der Pilotphase Wirkung. Das Projekt «malreden» konnte in Bezug auf den Betrieb der «Hotline» wie geplant umgesetzt wer- den, respektive die Entwicklung übertraf die zu Beginn geplante Nachfrage. Dies führte dazu, dass die Geschäftsleitung mehr Freiwillige für die «Hotline» rekrutieren musste, dies auch konnte und, früher als geplant, eine Erweiterung der Betriebszeiten einführte. Die technische Lösung, die für das Projekt entwickelt wurde, um einen anonymen, dezentral organisierten Telefondienst anbieten zu können, hat sich gut bewährt, wenn auch ab und zu die Qualität der Verbindung (Störgeräusche und plötzli- che Abbrüche) problematisch war. Die «Hotline» von «malreden» wurde im Verlauf der Beobachtungszeit vom 1. April 2021 bis 31. Ok- tober 2022 gut 12'000 Mal angerufen und es wurden rund 4'700 Gespräche geführt. Damit ist die an- gestrebte Zielsetzung von Total 2'710 Gesprächen bis 30. Juni 2022 sicher übertroffen worden. Die grosse Differenz zwischen der Anzahl Anrufe und der Anzahl geführter Gespräche ist auf den Um- stand zurückzuführen, dass die Leitungen zu gewissen Tageszeiten überlastet waren und die Nut- zer*innen wiederholt versucht haben, durchzukommen. Die Anzahl der Anrufe hat sich im Verlauf der Projektdauer stark erhöht, insbesondere jeweils nach Berichten in Fernsehen, Radio oder Gratis- Zeitungen. Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten IV Der Betrieb des Angebots «Tandem» musste aus technischen Gründen mit Verzögerung starten und wurde zu Beginn, möglicherweise auch wegen geringer Medienpräsenz, kaum nachgefragt. In den letzten Monaten der Pilotphase nahm die Nachfrage aber zu und die Zielsetzung von 18 gebildeten Tandems konnte noch erreicht werden. Ein Drittel der Tandems haben sich in der Zwischenzeit wie- der aufgelöst, vier davon wurden frühzeitig abgebrochen. Das dritte Standbein, die Vermittlung von Informationen zu lokalen Organisationen und Begeg- nungsmöglichkeiten, hätte angeboten werden können, da die Freiwilligen angaben, dass sie sich kompetent und gut dokumentiert fühlten, um diese Aufgabe zu erfüllen. Allerdings wurde dieses An- gebot von den Anrufenden kaum genutzt und die angestrebte Zielsetzung von insgesamt 145 Ver- mittlungen bis 30. Juni 2022 konnte wahrscheinlich nicht erreicht werden. Es ist auf Basis der vorhan- denen Daten allerdings nicht eindeutig zu beurteilen, ob die quantitative Zielsetzung während der Pilotphase erreicht worden ist, da nicht für die gesamte Projektdauer Informationen vorliegen. Charakteristika der erreichten Nutzer*innen. Aus den vorliegenden Informationen kann man vorläu- fig schliessen, dass die erreichten Personen der angestrebten Zielgruppe bezüglich Alter und Einsam- keitsgefühlen mehrheitlich entsprechen. Die typische Nutzerin ist demnach weiblich, zwischen 65 und 84 Jahren alt, lebt allein und selbstständig in einem Haushalt, leidet an Einsamkeitsgefühlen und möchte gerne ein Alltagsgespräch führen. Wie bereits erwähnt, übertraf die Nachfrage zur Nutzung der «Hotline» die Erwartungen und gesetzten Zielsetzungen und es zeigte sich auch, dass dieses An- gebot die angestrebte Wirkung zur Linderung von Einsamkeitsgefühlen bei den Nutzer*innen klar erreichen kann. Hingegen zeigt sich kaum eine Wirkung in Bezug auf eine weitergehende Verhal- tensänderung: Die Vermittlung von Informationen über lokale Organisationen und Begegnungsmög- lichkeiten werden von den Anrufenden nur sehr selten gewünscht und exemplarische Interviews mit Nutzer*innen zeigen, dass diese eine Veränderung ihres Verhaltens im Sinn von weitergehenden Schritten aus der eigenen Isolation weder anstreben, noch als machbar wahrnehmen. Dieses Ergeb- nis zeigte sich auch beim Modellprojekt «The Silver Line» in Grossbritannien. Möglicherweise ist dies auch darauf zurückzuführen, dass ein relevanter Teil der Nutzer*innen der «Hotline» unter psychi- schen Problemen leidet. Aus Sicht der Nutzer*innen zeigt sich insgesamt eine grosse Zufriedenheit mit dem Angebot, wobei vor allem geschätzt wird, dass man selbst bestimmen kann, wann man ein Gespräch führen will, dass die Gesprächspartner*innen empathisch und freundlich reagieren, man emotionale Unterstützung in Krisensituationen erhält (und zwar immer dann, wenn man sie benötigt) und auch Ratschläge zur Lö- sung von Problemen. Für einige Personen ist die «Hotline» ein Ersatz für ein vollständig fehlendes so- ziales Netz, für andere eine Ergänzung in Bezug auf bestimmte Funktionen von Beziehungen (v. a. emotionale Unterstützung), welche durch die eigenen Bezugspersonen nicht abgedeckt werden. Die Anonymität der «Hotline» wird geschätzt und gleichzeitig als störend empfunden von Personen, die das Bedürfnis nach vertieften Kontakten unter Gleichgestellten haben, die sich in dieser Bezie- hung eine Balance zwischen Geben und Nehmen wünschen und auch die Möglichkeit, die Gesprächs- partner*innen «face to face» kennenzulernen und zu treffen. Dies weist auf einen Widerspruch hin zwischen dem bei einigen Nutzer*innen starken Bedürfnis nach Begegnungen und dem Aufbau von «echten» Beziehungen einerseits und dem fehlenden Wunsch oder der mangelnden Fähigkeit ande- rerseits, dies im lokalen Umfeld mit den bestehenden Angeboten selbst anzugehen. Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten V Empfehlungen • Die Medienarbeit von «malreden» sollte kontinuierlich weitergeführt werden, um immer wieder auf das Angebot aufmerksam zu machen und um einen Beitrag zur Verringerung der Stigmatisierung von Einsamkeit zu leisten; • Es sollten frühzeitig und regelmässig Freiwillige gesucht und geschult werden, da davon aus- zugehen ist, dass ein relevanter Teil der Freiwilligen aufgrund der Belastung das Engagement beenden wird und da verhindert werden muss, dass zu viele Anrufende wegen der Überlas- tung der Linie nicht durchkommen und allenfalls ihre Bemühung Hilfe zu erhalten, aufgeben; • Möglicherweise könnte die Einführung eines Mentorats für neue Freiwillige im Projekt hilf- reich sein, so dass ältere, erfahrene Freiwillige Unterstützung leisten; • Die Belastung und Unzufriedenheit der Freiwilligen durch mangelnde Entwicklung bei den Anrufenden sollten weiterhin bei der Selektion, in der Grund-Schulung und Weiterbildung berücksichtigt werden; • Das Angebot «Tandem» sollte kritisch begleitet werden, im Sinne des Abwägens von Nutzen und Aufwand. Allenfalls könnte eine Beendigung und Nutzung der freiwerdenden Ressourcen für andere Zwecke in Betracht gezogen werden; • Die Geschäftsstelle sollte ausreichend finanziert werden, damit genügend finanzielle Res- sourcen für die Bewältigung der anstehenden Aufgaben bereitstehen und die Geschäftsstelle personell aufgestockt werden kann. So kann auch die Problematik eines ungeplanten perso- nellen Ausfalls entschärft werden. • Langfristig wäre es wünschenswert, die Bedürfnisse von alten Menschen mit multiplen Beein- trächtigungen, die von Einsamkeit betroffen sind, vertieft zu untersuchen, um in einem parti- zipativen Verfahren niederschwellige Angebote zu entwickeln, welche auch das Bedürfnis nach «face to face»-Kontakten und reziproken Beziehungen decken können. Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 1 1. Einleitung Das Institut für Soziale Arbeit und Gesundheit ISAGE der Hochschule für Soziale Arbeit, FHNW wurde beauftragt, die Evaluation des Projekts «malreden», Silbernetz Schweiz durchzuführen. Die Auftrag- nehmer orientieren sich bei der Konzeption und Durchführung der Evaluation an den SEVAL-Standards der Schweizerischen Evaluationsgesellschaft2. Das Projekt «malreden» des Vereins Silbernetz Schweiz, welches am 1. April 2021 gestartet ist, zielt darauf ab, über einen Telefondienst älteren Menschen eine niederschwellige Möglichkeit anzubieten, um mit anderen Menschen in Kontakt zu treten und damit Einsamkeitsgefühle zu reduzieren und das Wohlbefinden zu stärken. Das Angebot soll die Personen, die anrufen, auch dazu ermuntern, weitere Schritte aus der Einsamkeit zu machen und andere Begegnungs- und Vernetzungsmöglichkeiten zu nutzen. Das Projekt orientiert sich bei der Ausgestaltung an bereits bestehenden Projekten in Deutsch- land (Silbernetz Berlin)3 und England (The Silverline)4. Das Projekt in England wurde 2013 evaluiert (The Centre for Social Justice, 2013). Die Leitung der Geschäftsstelle (GS) des Projekts «malreden» ist mit Eve Bino und Sylviane Darbellay besetzt, welche das Projekt in der Schweiz lanciert haben und seit Beginn leiten. Das Projekt wird von verschiedenen Stiftungen (Gesundheitsförderung Schweiz, Beisheim Stiftung, Walder Stiftung, Die Mo- biliar, Migros Kulturprozent, Ernst Göhner Stiftung, Fonds Stadt Bern, Burgergemeinde Bern und Lot- terie Fonds Bern) unterstützt. Mit den zwei Kantonen Bern und Zürich konnten Leistungsvereinbarun- gen abgeschlossen werden. Das Angebot kann aber prinzipiell von allen deutschsprechenden Personen in der Schweiz genutzt werden. Die Menschen, welche das Angebot nutzen wie auch die Freiwilligen, welche die Anrufe beantworten, bleiben anonym. Das Angebot von «malreden» setzt sich aus drei Elementen zusammen: 4. «malreden Hotline»: Telefonhotline unter der Gratisnummer 0800 890 890 (1. April 2021 bis 28. Februar 2022: täglich von 14 Uhr bis 20 Uhr; ab 1. März 2022: täglich von 9 Uhr bis 20 Uhr); 5. «malreden Tandem»: Bilden von festen Telefonpartnerschaften zwischen Freiwilligen und Nutzenden; 6. «malreden Info»: Vermittlung von Informationen in Bezug auf Angebote zur Vernetzung und zur Unterstützung bei Bedarf. Damit will Silbernetz Schweiz ein Angebot lancieren, das in diesem Sinn einzigartig ist und sich von den bisher existierenden Angeboten (z. B. Beratungstelefone der Pro Senectute; Die Dargebotene Hand Tel 143) für ältere Menschen abgrenzt. Ältere Menschen sollen, ohne einen bestimmten Grund angeben zu müssen, anrufen und mit jemandem reden dürfen, der ihnen zuhört, sie respektiert und auf sie eingeht. Das Angebot ist kostenlos, vertraulich und anonym. Auf Wunsch der Anrufenden werden Tan- dems gebildet, die zu einer grösseren Vertrautheit und Verbindlichkeit führen können (fixe 2 https://www.seval.ch/standards-kompetenzen/standards/ 3 https://www.silbernetz.org/ 4 https://www.thesilverline.org.uk/ Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 2 Gesprächspartner*innen, die ältere Person wird wöchentlich zu einem bestimmten Zeitpunkt angeru- fen). Die Nutzung des «Tandems» setzt deshalb Verlässlichkeit beim Einhalten der abgemachten Zeit voraus. Beim dritten Standbein des Angebots «malreden Info» geht es darum, bei Bedarf Informatio- nen über andere Organisationen und Beratungsstellen (z. B. Die Dargebotene Hand Tel 143, Pro Senec- tute Bern, Graue Panther, etc.) zu vermitteln. Ziel dieser Informationsvermittlung ist es, einsame Men- schen darin zu unterstützen, Kontakt mit anderen Personen und Organisationen aufzunehmen, Ange- bote zur Vernetzung kennenzulernen und diese wahrzunehmen. Der Telefondienst wird mit Hilfe von freiwilligen Mitarbeitenden betrieben, die zuvor eine spezifische Schulung besuchen (vgl. Kapitel 4.2 Qualitätssicherung). Als Instrumente zur Qualitätssicherung der Tätigkeit der Freiwilligen wurden von der GS ein Handbuch zur Art der Gesprächsführung ausgearbeitet sowie, nebst der initialen Schulung, ein Angebot für Intervision, Supervision, Weiterbildungen und Mit- arbeitergespräche aufgebaut. Die Pilotphase mit einem Fokus auf die Region Bern hat am 1. April 2021 begonnen und wird am 31. Dezember 2022 abgeschlossen. In der Zwischenzeit hat Gesundheitsförderung Schweiz entschieden, das Projekt auch nach der Pilotphase im Förderbereich «Multiplikation» finanziell zu unterstützen. Weitere wichtige Geldgeber haben ebenfalls eine weitere Unterstützung zugesagt (Beisheim-Stiftung und Walder Stiftung). Dabei ist eine geografische Erweiterung des Projekts auf die gesamte deutsch- sprachige Schweiz vorgesehen. Träger des Projekts ist der Verein Silbernetz Schweiz, dessen Vorstand aus zunächst drei, heute vier Personen besteht und von Prof. em. Pasqualina Perrig-Chiello geleitet wird. Die Projektorganisation besteht aus der GS des Projekts (Eve Bino und Sylviane Darbellay), dem Vorstand des Vereins Silbernetz Schweiz, den Mitarbeitenden der Projektleitung, die auf Mandatsbasis beigezogen werden und je nach ihrem Aufgabenvolumen ehrenamtlich oder entlöhnt für das Projekt tätig sind sowie den Freiwilligen, welche den Telefondienst abdecken. Es existieren verschiedene etablierte (z. B. Tel 143 – Die Dargebotene Hand) und neu gegründete Or- ganisationen (z. B. Verein Mein Ohr für Dich – einfach mal reden!), die ein ähnliches Angebot aufwei- sen. Im Rahmen der Evaluation wird der Kontext des Projektes genauer analysiert und darauf einge- gangen, inwiefern es sich dabei um ein neues Angebot für ältere Menschen handelt, das nicht bereits durch andere Organisationen im Feld abgedeckt wird. 2. Gegenstand, Ziele und Fragestellungen der Evaluation Gegenstand dieser Evaluation ist das Projekt «malreden» mit seinen drei Angeboten «Hotline», «Tan- dem» und «Info» während seiner Pilotphase, die bis Ende 2022 gedauert hat. Die Evaluation des Pro- jekts stützte sich unter anderem auf die Selbstevaluation inklusive Monitoring Daten, welche von der GS erhoben und verantwortet wurde. Auf der Basis des vorliegenden Evaluationsberichts sollen Mas- snahmen zur Verbesserung des Projekts abgeleitet und in der nächsten Phase von «malreden» umge- setzt werden. Gleichzeitig soll die Evaluation auch wissenschaftliche Informationen bereitstellen, um gegenüber den finanzierenden Akteuren sowie weiteren Beteiligten und Betroffenen Rechenschaft über die Umsetzung, die Nützlichkeit, Wirksamkeit und Effizienz des Projekts ablegen zu können. Ad- ressat*innen der Evaluationsergebnisse sind die finanzierenden Organisationen, die GS des Projekts, Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 3 der Vorstand des Trägervereins Silbernetz Schweiz, die Beteiligten des Projekts und weitere interes- sierte Kreise. Der Evaluationsbericht ist öffentlich zugänglich, um das Wissen über "good practice" in diesem Interventionsfeld der Gesundheitsförderung anzureichern. Die wichtigsten Rahmenbedingungen des Evaluationsauftrags betreffen die zeitlichen und finanziellen Möglichkeiten der Evaluationsstudie, die Leistungen der GS im Bereich der Selbstevaluation sowie die vorab definierten Erwartungen von Gesundheitsförderung Schweiz und der Beisheim-Stiftung an die Evaluation. In Übereinstimmung mit den Standards der Schweizerischen Evaluationsgesellschaft (SEVAL-Standards) der Nützlichkeit und der Angemessenheit des Aufwands einer Evaluationsstudie be- deutet dies, dass in Relation zum Budgetrahmen pragmatisch und schlank vorgegangen werden muss. Die GS hat ein Wirkungsmodell erarbeitet (vgl. Abbildung 1). Innerhalb des linearen Wirkungsmodells wird davon ausgegangen, dass bei der Bereitstellung von ausreichend Ressourcen (Input), genügend Freiwillige gefunden und geschult werden können (Umsetzung), damit das geplante Angebot («Hot- line», «Tandem» und «malreden» «Info») in ausreichender Menge und Qualität etabliert werden kann (Output). Sind diese Bedingungen gegeben, kann die Zielgruppe über Multiplikator*innen und Medi- enarbeit informiert werden, damit sie das Angebot in Anspruch nimmt, sich dadurch weniger einsam fühlt und ihr Verhalten ändert (Outcome). Schliesslich wird postuliert, dass bei einer Ausweitung des Angebots und der Nutzung eine generalisierbare Wirkung auf die adressierte Bevölkerung in der Schweiz insgesamt (wenig ältere Menschen in der Schweiz fühlen sich einsam) sichtbar wird (Impact). In Anlehnung an dieses Wirkungsmodell wurde mit der Geschäftsleitung vereinbart, dass sich die Evaluation auf die Bereiche Input, Umsetzung und Output des Projekts sowie Outcome bei den Nut- zerinnen und Nutzern von «malreden» begrenzt (vgl. Abbildung 2). Es muss insbesondere auf eine Erfassung des Impacts bei der Zielgruppe sowie auf repräsentative Erhebungen bei Multiplikator*in- nen und Non-Usern der Zielgruppe (ältere Personen, welche das Angebot nicht in Anspruch nehmen) verzichtet werden. Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 4 Abbildung 1: Lineares Wirkungsmodell des Projekts «malreden» Abbildung 2: Übergeordnete Fragestellungen der Evaluation des Projektes «malreden» Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 5 Wir haben uns entschieden, dieses Wirkmodell auch als Struktur für den Aufbau des Evaluationsbe- richts zu verwenden, auch wenn die Zuordnung einzelner Leistungen zu anderen Kategorien denkbar wären (z. B. die Zuordnung bestimmter Leistungen zur Umsetzung oder zum Output des Projekts). 1 Input Ist die GS ausreichend finanziell dotiert und qualifiziert? Stehen ausreichend qualifiziertes Personal und Finanzen zur Verfügung für die weiteren Mitarbeitenden in der Projektleitung (PL) (Schulungen, Informatik, Betreuung Freiwillige, etc.) Ist die Zusammenarbeit innerhalb der erweiterten Projektleitung zweckmässig (Träger- verein, GS, weitere Mitarbeitende PL)? Zeigen sich Probleme in Bezug auf eine längerfristige Etablierung des Projekts? 2 Umsetzung 2.1 Entwicklung des Projekt-Konzepts Wurden im Konzept die Zielsetzungen des Projekts definiert? Entsprechen diese den SMART-Vorgaben? Wurde ein Wirkungsmodell erarbeitet, welches die Hypothesen des Projekts erläutert? Wie gut sind diese durch wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt? Wurde auf die Kontextbedingungen eingegangen, in welchen sich das Projekt entwickeln soll (z .B. Konkurrenzsituation zu anderen Angeboten)? 2.2 Organisation Wurde das Projekt entsprechend der Planung umgesetzt? Musste es angepasst werden? Wie gut eignen sich die Umsetzungsstrukturen für die Erreichung der Zielsetzungen? Bewährt sich die Telefonie-Infrastruktur? Wurden Methoden der Qualitätssicherung entwickelt und wie zweckmässig sind diese? Wurde die Selbstevaluation entwickelt, angewandt und ausgewertet? Eignet sich die gewählte Lösung für eine nachhaltige Realisierung des Projekts? 2.3 Freiwillige Mitarbeitende Wie viele Schulungskurse wurden durchgeführt? Wie viele Freiwillige konnten geschult werden? Wie kann die Qualität der Schulung beurteilt werden? Zeigen sich Probleme in Bezug auf den Einsatz der Freiwilligen? Wie zufrieden sind die Freiwilligen mit ihrem Einsatz? Welche Erfahrungen machen die Freiwilligen mit ihrer Aufgabe? 2.4 Marketing / Werbung Welche Marketingleistungen wurden erbracht? Sind diese zweckmässig und ausreichend, um die Zielsetzungen zu erreichen? Tabelle 1: Fragestellungen der Evaluation Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 6 3 Output K o n n t e d a s A n g e b o t « H o t l i n e » e n t s p rechend der Planung angeboten werden? Reichte die Anzahl der Freiwilligen, um das Ziel bezüglich Stundenabdeckung zu errei- chen? Konnte das Angebot «Tandem» entsprechend der Planung angeboten werden? Reichte die Anzahl der Freiwilligen, um das Ziel zu erreichen? Konnte das Angebot der Informationsvermittlung entsprechend der Planung angeboten werden? 4 Outcome Entsprachen die Nutzer*innen von «malreden» der definierten Zielgruppe? Werden Informationen zur Vernetzung vermittelt? Führen diese Informationen zu einer Veränderung des Verhaltens? Wurde die intendierte Wirkung bei den NutzerInnen erreicht? Tabelle 1: Fragestellungen der Evaluation (Fortsetzung) 3. Methodik Die Evaluation der Pilotphase des Projekts malreden» besteht aus Elementen der Selbst- und Frem- devaluation. Als Forschungsmethoden wurde ein mixed-method-Konzept mit qualitativen und quan- titativen Elementen eingesetzt. Die Datenquellen sind: • Online-Fragebogenerhebung bei den im Jahr 2022 aktiven Freiwilligen im September 2022 (quantitative Daten) • 2 leitfadengestützte Interviews mit der erweiterten Projektleitung (qualitative Daten) • 5 leitfadengestützte Interviews mit den Nutzer*innen des Angebots (qualitative Daten) • Analyse von Sekundärdaten (Daten der Selbstevaluation und schriftliche Dokumente der GS) (quantitative und qualitative Daten). Als Sekundärdaten stehen folgende Informationen zur Verfügung: • schriftliche Dokumente der GS (Geschäftsberichte, Ergebnisse der Selbstevaluation) • Monitoring der Telefonie-Daten der «Hotline»; • Anrufprotokolle der «Hotline»; von den Freiwilligen nach jedem Gespräch eingeschätzt Infor- mationen; • Monitoring der Tandems; • Statistik der Schulungen (Anzahl Schulungen, Anzahl Teilnehmende); • Befragung der Freiwilligen zur Qualität der Schulungen (standardisierter Fragebogen). Im Rahmen dieser Evaluation sollte die Sicht der Nutzer*innen des Projekts selbst einbezogen wer- den. Zu diesem Zweck hat eine Freiwillige im Verlauf der Monate Juli und August 2022 bei allen Anru- fenden angefragt, ob sie bereit wären, an einem Interview teilzunehmen bis die angestrebte Zahl von fünf Interviewpartner*innen erreicht war. Die Interessierten wurden über die Bedingungen der Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 7 Teilnahme mündlich informiert (siehe Anhang) und konnten ihre Telefonnummer und eine passende Interview-Zeit angeben. Es wurde ihnen eine kleine Entschädigung in Form eines Einkaufsgutscheins in Aussicht gestellt. Die Gespräche wurden mittels Interviewleitfaden (siehe Anhang) per Telefon durch die Erstautorin dieses Berichts durchgeführt und anschliessend zusammenfassend protokol- liert. Die Interview-Leitfragen betreffen die Dauer und Frequenz der Nutzung, die Zufriedenheit mit den Gesprächen, den wichtigsten Grund für die Nutzung, die Wirkung der Gespräche («Helfen Ihnen die Gespräche, dass Sie sich besser fühlen?»), die Veränderung des Verhaltens, die Nutzung des In- formations- und Kontaktvermittlungsangebots, die Zufriedenheit mit der technischen Lösung, die Nutzung von anderen Angeboten für alte Menschen, die Frage, ob es einen Aspekt gibt, der «malre- den» zu etwas ganz besonderem macht und schliesslich die Frage, ob irgendeine Veränderung am Angebot gewünscht wird. Ziel dieser Interwies war einen ergänzenden und exemplarischen Einblick in die Sichtweise von Nutzer*innen der «Hotline» zu erlangen. Diese Sichtweise ist in einigen Punk- ten durchaus heterogen, was die Beurteilung des Angebots, die Veränderungswünsche, die eigenen Bedürfnisse und die persönliche Ausgangslage betrifft. Zur Erhebung der Zufriedenheit der freiwilligen Mitarbeitenden mit ihrer Schulung, der Betreuung durch die GS, der Qualität der Infrastruktur und den positiven und negativen Erfahrungen im Kontakt mit der Zielgruppe wurden alle im Verlauf des Projekts aktiven Freiwilligen angeschrieben (inklusive den ausgeschiedenen) und eingeladen an einer Online-Befragung teilzunehmen, welche anfangs Sep- tember 2022 stattfand (Fragebogen siehe Anhang). Zwei Wochen nach der ersten Einladung wurde ein Reminder versandt. 31 Personen nahmen an der Befragung teil, was einer Rücklaufquote von 64,6 % entspricht. Die Freiwilligen wurden in der Befragung zu ihrer Einschätzung der Organisation und Infrastruktur, zu Qualität und Inhalt der Schulungen, die sie erhalten haben, zu ihren persönli- chen Erfahrungen mit dem Telefondienst und zu ihrem Engagement für «malreden» befragt. Zwei Teilnehmende gaben an, sich ausschliesslich im Angebot «Tandem» zu engagieren, so dass einige der Fragen für sie nicht zutreffend waren. Die Personen aus der Projektleitung, welche sich als Interviewpartner*innen zur Verfügung gestellt haben, wurden schriftlich darüber informiert, dass sie namentlich im Bericht erwähnt werden und haben ihr Einverständnis dazu gegeben. Sie haben die Zusammenfassung ihres Interviews zum Ge- genlesen erhalten. Die Nutzer*innen des Telefonangebots, welche interviewt werden, bleiben ano- nym. Die leitfadengestützten Interviews mit Personen aus der Projektleitung und mit den Nutzer*innen des Angebots wurden mittels einer zusammenfassenden Inhaltsanalyse analysiert (Baur & Blasius, 2019). Die quantitativen Daten des Online-Fragebogens für die Freiwilligen wurde ausschliesslich de- skriptiv ausgewertet. Zur Qualitätssicherung des Evaluationsverfahrens wurden die Erhebungsinstru- mente der Evaluation (Leitfaden für Interviews und Online-Fragebogen) mit der GS diskutiert und ihr Feedback in Bezug auf die Nützlichkeit des Vorgehens berücksichtigt. Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 8 4. Ergebnisse Im Folgenden werden die Ergebnisse, die sich auf die Informationen aus den verschiedenen Daten- quellen und Analysemethoden stützen, vorgestellt. 4.1 Input Wie in der Tabelle 1 festgehalten, werden im Zusammenhang mit dem Input die finanziellen und per- sonellen Ressourcen des Projekts diskutiert. • Ist die GS ausreichend finanziell dotiert und qualifiziert? Eine zentrale Ressource des Projekts besteht in der finanziellen Dotierung der Geschäftsstelle und der Qualifikation der beiden Leiterinnen der Geschäftsstelle. Gemäss Jahresbericht 20215 und inter- nen Dokumenten wurden im Jahr 2021 bei einem Gesamtaufwand von CHF 165'185 Lohnkosten von CHF 96'623 ausbezahlt, wobei die Leiterinnen zu je 50 Stellenprozenten angestellt waren. Der ge- samte Ertrag im Jahr 2021 betrug CHF 166'961, davon waren CHF 146'000 durch Spenden und Sub- ventionen der öffentlichen Hand gedeckt. Im Verlauf dieses Jahres wurden zusätzlich freiwillige Leis- tungen im Umfang von 2'550 Arbeitsstunden geleistet (malreden, 2022a). Für das zweite Betriebsjahr standen zum Zeitpunkt des Erarbeitens des Evaluationsberichts (Stand 31. Oktober 2022) noch keine abschliessenden Finanzzahlen zur Verfügung. Gemäss Einschätzung des befragten Mitglieds des Vorstands und der beiden Leiterinnen selbst war die Dotierung mit 100 Stellenprozenten für die Erfüllung der sich stellenden Aufgaben der Geschäfts- stelle nicht ausreichend. Die Leiterinnen haben in der Pilotphase des Projekts eine hohe Zahl von Überstunden geleistet. Gemäss Angaben im Selbstevaluationsbericht (Silbernetz Schweiz, Geschäfts- leitung, 2022) betrug der Aufwand insgesamt 140 Stellenprozente. Dieser Zusatzaufwand konnte nicht finanziell honoriert werden. Aus Sicht der Leiterinnen war die finanzielle Situation für eine be- fristete Zeit tragbar, stellt aber keine langfristige Lösung für das Projekt dar. • Stehen ausreichend qualifiziertes Personal und Finanzen zur Verfügung für die weiteren Mit- arbeitenden in der Projektleitung (Schulungen, Informatik, Betreuung Freiwillige, Administra- tion, etc.)? Die Qualifikation der beiden Leiterinnen wird vom Vorstandsmitglied als ausgezeichnet beschrieben, die Qualität ihrer Arbeit wird sowohl von den Freiwilligen wie auch von den befragten Nutzerinnen der «Hotline» sehr positiv beurteilt. Eve Bino ist Physiotherapeutin und verfügt über eine Weiterbil- dung in Interkultureller Kommunikation und Management (MAS, ikf Luzern). Sylviane Darbellaye ist Dipl. Betriebsökonomin und hat einen CAS in Corporate Social Responsability an der HSLU abge- schlossen. 5 Malreden (März 2022). Jahresbericht 2021 (unveröffentlichtes Dokument; auf Nachfrage erhältlich). Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 9 «Neben der hohen Motivation zeichnen sich die beiden Geschäftsführerinnen durch eine hohe professionelle Kompetenz aus.» (Perrig-Chiello, Mitglied Vorstand Silbernetz Schweiz, 2022). Eine weitere Ressource des Projekts stellt der Vereinsvorstand dar, der zur Zeit der Erstellung dieses Berichts aus den folgenden vier Personen besteht: - Urs Gfeller, Präsident gerontologie.ch - Pasqualina Perrig-Chiello, Prof. Dr., em. Universität Bern - Andrea Waldegger, Vorstandsmitglied und Angestellte für die Schulung der Freiwilligen - Eva Zwahlen, Kommunikationsstudio.ch, neu zuständig für Werbung, Kommunikation Eine weitere Frage betrifft die Ressourcen der weiteren Mitarbeitenden in der Projektleitung, die für die Schulung und Betreuung der Freiwilligen, die Informatik etc. zuständig sind. Es handelt sich einer- seits um Mitarbeitende im Mandat (Schulung der Freiwilligen und Supervision des Projekts) und eh- renamtlich tätige Mitarbeitende (Telefonie, juristische Beratung, Social Media-Auftritte, Betreuung der Freiwilligen). Andrea Waldegg, welche die Schulungen durchführt, hat nach der Ausbildung zur Physiotherapeutin unter anderem einen CAS Systemische Beratung an der Hochschule für Soziale Ar- beit, BFH, absolviert. Die Schulung wurde von Andrea Waldegg konzipiert, wobei sie in der Anfangs- phase von Dr. phil. Hilde Schäffler (Sozialanthropologin mit CAS Gesundheitsförderung und Präven- tion) unterstützt wurde. Die Supervision wird von Barbara Wüthrich durchgeführt, welche nach ei- nem Abschluss als klinische Heil- und Sozialpädagogin an der Uni Freiburg folgende Weiterbildungen absolviert hat: MAS als systemische Beraterin am ZSB Bern und ZAHW Zürich und eine Ausbildung als Klärungshelferin am IfK Köln. Sie ist ausserdem in Ausbildung zur systemischen Supervisorin an der BFH Bern. Aus Sicht der Leiterinnen hat sich die Zusammenarbeit mit diesen Mitarbeitenden gut bewährt, die Aufgaben konnten in hoher Qualität umgesetzt werden. Hilfreich war, dass es der Projektleitung ge- lungen ist, für die Entwicklung und den Unterhalt der Telefonie-Lösung den bereits für das Projekt «Silbernetz Berlin» Verantwortlichen als ehrenamtlich tätigen Fachmann zu gewinnen. Die Qualität der Schulungen aus Sicht der Freiwilligen wird weiter unten diskutiert (vgl. Kapitel 4.2), auf die Aktivitäten in Sachen Werbung und Social Media wird ebenfalls weiter unten eingegangen (vgl. Kapitel 4.2). Die alltägliche Betreuung der Freiwilligen (z. B. Einsatzplan erstellen und bei Bedarf updaten, auf technische Probleme reagieren etc.) wurde zu Beginn der Pilotphase vollständig von den Leiterinnen der Geschäftsstelle geleistet. Da dies stark zu der zeitlichen Überforderung beitrug, wurden im zweiten Betriebsjahr zwei zusätzliche ehrenamtlich tätige Mitarbeitende gesucht, damit die Einsatzplanung und die Tandemvermittlung delegiert werden konnten. Wie die Freiwilligen die Qualität der Betreuung durch die Geschäftsleitung beurteilen, wird im Kapitel 4.2 dargestellt. • Ist die Zusammenarbeit innerhalb der erweiterten Projektleitung zweckmässig (Trägerverein, GS, weitere Mitarbeitende PL)? Die Zusammenarbeit innerhalb der erweiterten Projektleitung, das heisst zwischen Geschäftsställe, Trägerverein und erweiterter Projektleitung, wird von den befragten Beteiligten als zweckmässig, ef- fizient und transparent beschrieben (vgl. Interviewprotokolle im Anhang). Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 10 • Zeigen sich Probleme in Bezug auf eine langfristige Etablierung des Projekts? Sowohl aus Sicht der Leitung der Geschäftsstelle wie auch des befragten Mitglieds des Vorstands liegt der kritische Punkt bei der finanziellen Dotierung der Leitung der Geschäftsstelle. Aus Sicht des Vorstands wäre es wünschenswert, wenn die Geschäftsstelle personell erweitert werden könnte, um eine langfristig sichere Weiterführung des Projekts ermöglichen und Fluktuationen oder Ausfälle in der Leitung bewältigen zu können. Im Selbstevaluationsbericht wird als Fazit der Pilotphase ein Handlungsbedarf gesehen in Bezug auf die Aufstockung der Geschäftsstelle um 50 Stellenprozente kombiniert mit der Einstellung einer zusätzlichen dritten Person (Silbernetz Schweiz, Geschäftslei- tung, 2022). 4.2 Umsetzung In Bezug auf die Umsetzung des Projekts befasst sich die Evaluation mit dem Konzept, das durch die Geschäftsleitung entwickelt wurde. Dann auch mit der Organisation und Infrastruktur des Projekts, mit der Gewinnung und Betreuung der notwendigen freiwilligen Mitarbeitenden und schliesslich mit den Werbe-Strategien und -Massnahmen, die im Verlauf der Pilotphase realisiert wurden. Entwicklung des Projekt-Konzepts Im Zusammenhang mit der Projektentwicklung stellen sich die im Folgenden diskutierten Fragen. • Wurden im Konzept die Zielsetzungen des Projekts definiert? Entsprechen diese den SMART- Vorgaben? Im Projektbeschrieb (Bino & Darbellay, 2021) wurden die Zielsetzungen des Projekts festgehalten. Die Ziele sind spezifisch definiert, sie sind mit einigen Ausnahmen messbar, sie sind theoretisch um- setzbar, realistisch und zeitlich terminiert, entsprechen also den SMART-Vorgaben. Aus Gründen des knappen finanziellen Rahmens des Projekts war es allerdings nicht möglich, die angestrebten Wirkun- gen auf die Nutzer*innen (Vertrauen wird hergestellt, Stress wird reduziert, die Nutzung ermöglicht einen ersten Schritt aus der Einsamkeit und durch die Vermittlung von Informationen können die An- rufenden auch physische Kontakte aufbauen), mit einer adäquaten wissenschaftlichen Methode di- rekt zu analysieren. Dies wäre beispielsweise möglich, indem in einem Prä-Post-Design mit Kontroll- gruppe die Veränderungen der psychischen Befindlichkeit oder der Kontakthäufigkeit untersucht würden. • Wurde ein Wirkungsmodell erarbeitet, welche die Hypothesen des Projektes erläutert? Wie gut sind diese durch wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt? Das lineare Wirkungsmodell, das von der Geschäftsleitung entwickelt wurde, ist bereits weiter oben vorgestellt worden. Zur Beurteilung der wissenschaftlichen Evidenz des Wirkungsmodell stützen wir uns auf den Evaluationsbericht des Modellprojekts aus England «The Silver Line», welcher durch das Centre for Social Justice, London, erarbeitet wurde (The Centre for Social Justice, 2013). Das Modell- projekt in Deutschland wurde hingegen bisher nicht evaluiert. «The Silver Line» wurde im November 2012 in Nordwesten Grossbritanniens und der Isle of Man gestartet. Es hat – wie «malreden» – drei Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 11 Angebote: (a) Helpline, welche 24 Stunden 7 Tage die Woche zur Verfügung steht; (b) Silver Line Friend, Vermittlung eines festen Gesprächspartners, der einmal pro Woche anruft, analog des «Tan- dem»-Angebots von «malreden»; (c) Vermittlung von lokalen Organisationen und Hilfsangeboten über die Helpline. Die Zielsetzungen von «The Silver Line» waren: 1. Ältere Personen an lokale Organisationen vermitteln, damit sie den Zugang zu «face-to face»-Kontakten finden und sich dadurch ihre Isolation und Einsamkeitsgefühle verringern. 2. Einen Telefondienst anbieten, der rund um die Uhr zur Verfügung steht, um akute Gefühle der Einsamkeit zu verringern und das alltägliche Bedürfnis nach Gesprächsmöglichkeiten zu decken. 3. Über diesen Telefondienst bei Interesse auch fixe Telefonfreundschaften zu vermitteln, wel- che auch lange Gespräche erlauben und ein wechselseitiges Kennenlernen und Vertiefen der Beziehung ermöglichen. 4. Eine Ansprechstelle anzubieten für alte Menschen, die Opfer von Missbrauch und Vernach- lässigung sind und Hilfe beim Finden von professioneller Unterstützung benötigen. Die Resultate der Evaluation zeigen, dass das erste Ziel kaum oder gar nicht erreicht werden konnte. Die Personen, welche die Helpline anrufen, gaben zwar oft an, dass sie auf der Suche nach Informati- onen seien. Dies scheint aber meist ein Vorwand zu sein, weil es (insbesondere für Männer) schwie- rig und stigmatisierend ist, zu äussern, dass sie sich einsam fühlen und anrufen, weil sie einfach mit jemanden reden wollen. «It is not immediately clear that they simply want to talk about the football, alt- hough that is how calls often panned out. Some advisers concluded that requests for information were often actually useful excuses for them to ring in the first place when having a chat was the goal, conscious or otherwise. When discussing this lack of clarity around people’s purpose for accessing the service with the CEO her opinion, after having listened to a very large number of actual calls, was that offering information provided important cover for people who might find it too hard to phone for a chat or to ask for a friend.» (The Centre for Social Justice, 2013, p. 33). Die Nutzer*innen der Helpline gaben in Interviews an, dass sie an diesen Organisationen resp. an face-to-face-Kontakten nicht interessiert sind, sie sich nicht fähig und motiviert genug fühlen, diese aufzusuchen oder sie gar nicht die Absicht oder Interesse für so etwas haben. Sie wollen einfach je- manden haben, mit dem sie reden können. Die Befragung der Freiwilligen von «The Silver Line» hat gezeigt, dass die meisten Personen, die bei ihnen nach Informationen fragen, die genannten Telefon- nummern oder weiteren Informationen nicht nutzen oder gar nicht notieren wollen. Eine Befragung der im Raum der Pilotphase existierenden lokalen Organisationen für alte Menschen ergab zudem, dass nach Inbetriebnahme von «The Silver Line» keine Zunahme an Personen festgestellt werden konnte, welche nun die Angebote für alte Menschen nutzen. Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 12 Die zweite Zielsetzung (der Telefondienst rund um die Uhr zur Verringerung von akuten Einsamkeits- gefühlen) konnte hingegen gemäss dem Evaluationsbericht sehr gut erfüllt werden. Das Angebot wurde stark genutzt und von den Anrufenden sehr geschätzt, insbesondere auch weil es so nied- rigschwellig ist. Die Anonymität des Angebots wurde als sehr wichtig erachtet, was vor allem mit der Stigmatisierung von Einsamkeit erklärt wird. Auch, dass die Helpline immer zur Verfügung steht, wenn akute Gefühle der Einsamkeit gerade stark vorhanden sind, ist ein wichtiger Pluspunkt. Für viele Nutzer*Innen stellt die Helpline einen sicheren Anker dar im alltäglichen Bestreben um ihr psy- chisches Gleichgewicht unter schwierigen Lebensumständen und zunehmender sozialer Isolation. Auch die dritte Zielsetzung, das Angebot der Vermittlung von «Silver Line Friends», wurde gut ge- nutzt und sehr geschätzt. Viele Nutzer*innen gaben an, dass sie beides gleichzeitig benötigen: die einmal wöchentlichen Gespräche, die teils sehr lange dauern und oft dazu führen, dass sich die «Friends» trotz Anonymität gegenseitig gut kennenlernen und ein Gespräch auf Augenhöhe und mit Geben und Nehmen entstehen kann und andererseits die Möglichkeit, jederzeit auch die Helpline an- rufen zu können, da Einsamkeitsgefühle nicht nur einmal wöchentlich zu einer fixen Zeit auftreten. Die vierte Zielsetzung, eine Kontaktstelle anzubieten für alte Menschen, die Opfer von Missbrauch werden und die Triage zu Fachstellen herstellen zu können, wurde in der Pilotphase ebenfalls nicht erreicht, da sich kaum Personen mit diesem Problem bei der Helpline gemeldet oder diese Problema- tik nicht angesprochen haben. Weitere wichtige Schlussfolgerungen aus der Evaluation von «The Silver Line» waren: - Die Helpline stellt ein wichtiges Angebot dar, da es den alten Menschen erlaubt, die volle Kontrolle und Selbstbestimmung zu behalten, auch wenn Hilfe gesucht wird. Andere Ange- bote für alte Menschen werden im Gegensatz dazu von den Nutzer*innen der Helpline als «übergriffig» wahrgenommen. - Ein grosser Teil der Nutzer*innen der Helpline hat psychische Probleme, meist depressive Verstimmungen bis hin zu starker Suizidalität. Die Helpline versucht die Personen, welche akut gefährdet sind, an Fachstellen zu vermitteln oder Hilfe zu organisieren, stellt aber auch in akuten Krisen eine wertvolle niedrigschwellige Hilfe dar. - Die Helpline wird als ein wichtiger «middle space» zwischen spezialisierten Hilfsangeboten für akut psychisch kranke Menschen und keiner sozialen Unterstützung wahrgenommen und beurteilt. - Ein Teil der Nutzer*innen äussern das Bedürfnis nach der Entwicklung von «face-to-face»- Kontakten und Begegnungen ausserhalb der üblichen Organisationen für ältere Menschen. Sie wünschen sich in ihrem lokalen Raum einen sicheren Ort («safe space»), in dem zwanglos Begegnungen stattfinden können. Diese Evaluationsergebnisse des Projekts in England zeigen zusammenfassend, dass sich das Wir- kungsmodell von «malreden» nur teilweise auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützen kann. • Wurde auf die Kontextbedingungen eingegangen, in welchen sich das Projekt entwickeln soll (z .B. Konkurrenzsituation zu anderen Angeboten)? Bei der Ausarbeitung des Konzepts von «malreden» wurde auf den schweizerischen Kontext respek- tive die Angebotslandschaft für ältere Menschen in der Schweiz eingegangen. Gemäss Einschätzung Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 13 des Vorstands und der Geschäftsleitung stellt «malreden» ein bisher nicht existierendes Nischenan- gebot dar: «Die Dargebotene Hand Tel 143» würde sich primär an Menschen in akuten Notlagen richten; die Angebote von «Pro Senectute» seien hingegen meist zu wenig niedrigschwellig für die Zielgruppe von «malreden». Organisation • Wurde das Projekt entsprechend der Planung umgesetzt? Musste es angepasst werden? Der Start des Projekts musste wegen der Covid-Pandemie um einige Wochen verschoben werden. Ausserdem zeigten sich zu Beginn technische Probleme, welche eine zusätzliche Verzögerung des Starts für das «Tandem»-Angebot verursachten. Die «Hotline» wurde im Verlauf der Pilotphase so stark genutzt, so dass die Ausweitung des Angebots früher als geplant umgesetzt wurde und die Nut- zung seither nochmals gesteigert werden konnte. Aus Sicht der Evaluation zeigt sich die Geschäftslei- tung des Projekts als lernende Organisation und reagiert umsichtig und flexibel auf sich verändernde Bedingungen, um das Projekt möglichst wirkungsvoll umsetzen zu können. • Wie gut eignen sich die Umsetzungsstrukturen für die Erreichung der Zielsetzungen? Die Leitung der Geschäftsstelle stellt den Drehpunkt des Projekts dar (vgl. Abbildung 3). Sie leitet das Projekt und steht im Zentrum des Kommunikationsflusses zwischen den verschiedenen weiteren Be- teiligten. Sie hat Kontakt mit allen Akteuren des Projekts vom Vorstand des Vereins über die Mitar- beitenden, den Pool der Freiwilligen bis zu den Adressat*innen. Dies macht Sinn, da die beiden Leite- rinnen so immer einen Einblick in alle Facetten des Projekts behalten und frühzeitig auf Probleme re- agieren können. So stehen sie beispielsweise auch als Anlaufstelle den Nutzer*innen zur Verfügung, wenn die Telefongespräche aus deren Sicht konflikthaft oder unbefriedigend verlaufen sind. Diese starke Vernetzung mit allen Beteiligten des Projekts ist mit einem grossen zeitlichen Aufwand ver- bunden. Auch die Notwendigkeit, einen Pikett-Dienst einzuhalten, um auf technische Probleme der Freiwilligen sofort reagieren und Ersatz organisieren zu können, hat sich als zusätzliche Belastung für die Leiterinnen erwiesen. Im Verlauf der bisherigen Projektdauer konnten sie sich nun von gewissen Aufgaben entlasten, indem sie diese an weitere ehrenamtliche Mitarbeitende delegieren konnten. Dies betrifft die Aufgabe des Einsatzplans und dessen Support für die Freiwilligen. Auch für die Wer- bemassnahmen auf Social Media konnte eine ehrenamtlich tätige Mitarbeitende gewonnen werden. Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 14 Abbildung 3: Projektstruktur «malreden», Stand August 2022; eigene Darstellung • Bewährt sich die Telefonie-Infrastruktur? Es konnte dieselbe technische Lösung implementiert werden, die auch beim Modellprojekt in Deutschland angewandt wird, wobei der freiwillige Mitarbeitende des deutschen Projekts diese Lö- sung für die Schweiz angepasst hat und sie weiterhin pflegt. Es handelt sich um das dezentral funktio- nierende System virtufon der deutschen Firma Inopla, so dass die freiwilligen Mitarbeitenden die «Hotline» privat von zu Hause aus bedienen können und kein Callcenter betrieben werden muss. Die Lösung bewährt sich aus Sicht der Geschäftsleitung insgesamt gut (Silbernetz Schweiz, Geschäftslei- tung, 2022). Ab und zu zeigen sich Probleme, wenn die Internetverbindungen bei den Freiwilligen zu Hause nicht stabil sind oder ihre privaten Computer vorübergehend nicht funktionieren. Zu Beginn zeigten sich technische Probleme bei der Lancierung des «Tandem»-Angebots, welche dazu führten, dass Freiwillige sich wegen der langen Wartezeit zurückzogen und neue Personen ge- sucht werden mussten. Im Verlauf der Pilotphase konnten diese Probleme gelöst werden. Die an der Online-Befragung teilnehmenden Freiwilligen bestätigen dies aus ihrer Sicht. Knapp 97 % stimmen der Aussage «völlig zu» oder «eher zu», dass die Telefonie aus ihrer Sicht einwandfrei funk- tioniert (vgl. Tabelle 2, weiter unten). Die Mehrheit beurteilt die Telefonie-Lösung ebenfalls als un- kompliziert. Einige Freiwillige haben erwähnt, dass sie sich kabellose Kopfhörer wünschen würden, um sich während der mehrstündigen Telefondienste bewegen zu können. Einige der befragten Nut- zerinnen weisen darauf hin, dass es ab und zu Probleme mit der Verbindungsqualität gäbe. Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 15 • Wurden Methoden der Qualitätssicherung entwickelt und wie zweckmässig sind diese? Um die Qualität der Arbeit der Freiwilligen zu sichern, wurden eine Grund-Schulung und Weiterbil- dungen entwickelt und regelmässige Supervisionen angeboten. Alle drei Angebote sind obligatorisch für ein Engagement als Freiwillige*r im Telefondienst des Projekts und werden auf Mandatsbasis von projektexternen Fachpersonen verantwortet. Bisher wurden vier Schulungen durchgeführt, die auf 2 oder 2,5 Tage verteilt waren. Die Schulung wurde von Andrea Waldegg (Physiotherapeutin, CAS Systemische Beratung, HSA BFH) durchgeführt. Es werden Grundkenntnisse in ressourcenorientierter Gesprächsführung unterrichtet und in die The- matik Altern und Einsamkeit eingeführt sowie Kenntnisse zur Technik und Administration der Tele- fondienste vermittelt (malreden, 2022b). Direkt nach der Schulung im März und Mai 2021 gaben 61 % der Teilnehmenden (N=31) an, dass sie sich «sehr gut», weitere 36 %, dass sie sich «genügend» für ihre Tätigkeit vorbereitet fühlen. Niemand antwortete, dass er oder sie sich ungenügend vorbe- reitet fühle. Eine Person beantwortete die Frage nicht. Die Inhalte der Schulung wurden von den Teil- nehmenden als «sehr anschaulich» oder «genügend verständlich» vermittelt beurteilt. Der Schwie- rigkeitsgrad der Schulung wird von 81 % der Teilnehmenden als genau richtig beurteilt, 3 % fühlen sich überfordert, ebenfalls 3 % unterfordert (siehe Abbildung 4). Mit dem Schwierigkeitsgrad war ich… (N=31) 3% 3% 13% Keine Angabe Genau richtig gefordert Überfordert Unterfordert 81% Abbildung 4: Beurteilung des Schwierigkeitsgrads der Grund-Schulung in der Befragung direkt nach den Schulungen im Mai und Juni 2021 im Rahmen der Selbstevaluation (N=31) (Quelle: Selbstevaluation Schulung «malreden») Im September 2022 wurde im Rahmen der Online-Befragung aller bisher im Projekt aktiven Freiwilli- gen (N=48) ein zweites Mal nach der Qualität der Schulung gefragt, und zwar diesmal aus einer retro- spektiven Perspektive, auf dem Hintergrund der bisherigen konkreten Erfahrungen mit dem Telefon- dienst. Diese zweite Befragung ergab eine etwas weniger gute Beurteilung der Schulungsqualität durch die Freiwilligen. Unter anderem zeigte sich ein Bedürfnis nach einer verbesserten, vor allem praktischen Vorbereitung zum Führen von Gesprächen mit psychisch beeinträchtigten Menschen (vgl. Kapitel 4.2). Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 16 Weiterbildungen wurden bisher zweimal durchgeführt, wobei auf die Bedürfnisse und Rückmeldun- gen der Freiwilligen eingegangen werden konnte. Die Supervision findet in Gruppen von maximal zehn Personen alle drei Monate statt. Ausserdem wird monatlich ein einstündiger Teamaustausch angeboten, der freiwillig ist, aber aus Sicht der Geschäftsleitung nicht von allen regelmässig genug in Anspruch genommen wird. Intervision war als weiteres Instrument geplant, wurde aber von den Frei- willigen nicht genutzt und wieder aufgegeben. Als weiteres Mittel der Qualitätssicherung wurde ein Verhaltenskodex für den Telefondienst definiert. Es fanden Mitarbeitendengespräche statt und die Freiwilligen hatten die Möglichkeit, sich jederzeit an die Geschäftsleitung zu wenden, falls sie Unter- stützung benötigten oder Fragen hatten. Dieses Angebot wurde gut genutzt. In der Online-Befragung stimmten 88 % der Freiwilligen der Aussage «völlig zu» und die restlichen 12 % «eher zu», dass sie rasch Unterstützung von der Geschäftsleitung erhalten, falls sie dies benötigen. Diese Frage wurde von sechs Personen nicht beantwortet (vgl. Kapitel 4.2). Die Geschäftsleitung hält im Selbstevaluati- onsbericht allerdings fest, dass sie aus ihrer Sicht zu wenig Einblick in die effektive Tätigkeit der Frei- willigen habe und deshalb zu wenig wisse, wie die Qualität der Gesprächsführung ausfalle. Auch ob der Verhaltenskodex eingehalten werde oder nicht, ist nicht bekannt (Silbernetz Schweiz, Geschäfts- leitung, 2022). Sie schlagen für eine Fortführung des Projekts deshalb vor, dass neu ein «Praxisrefres- her» eingeführt wird. An diesem Anlass sollen die Freiwilligen die Gesprächsführung in kleinen Grup- pen und unter fachlicher Anleitung praktisch üben. Damit wären auch mehr Möglichkeiten zum Erfas- sen und Verbessern der Gesprächsqualität gegeben. • Wurde die Selbstevaluation entwickelt, angewandt und ausgewertet? Die Selbstevaluation durch die Geschäftsleitung des Projekts wurde, unterstützt von den Verantwort- lichen für die externe Evaluation, entwickelt, der Outcome des Projekts regelmässig durch die Moni- toring Daten reflektiert und die Selbstevaluation wie geplant umgesetzt. Am 31. Oktober 2022 wurde der Selbstevaluationsbericht publiziert (Silbernetz Schweiz, Geschäftsleitung, 2022). • Eignet sich die gewählte Lösung für eine langfristige Realisierung des Projekts? Die Organisationsstruktur und die Prozesse zur Führung und Sicherung der Qualität des Projekts ha- ben sich grundsätzlich bewährt. Sie wurden im Verlauf des Projekts angepasst, um mit beobachteten Schwierigkeiten wie beispielsweise der hohen Arbeitslast der Projektleitung umgehen zu können. Freiwillige Mitarbeitende Die Freiwilligen, welche sich in ihrer Freizeit für dieses Projekt engagieren, sich schulen und weiterbil- den lassen, die «Hotline» bedienen oder als Tandempartner zur Verfügung stehen, sind absolut zent- ral für die Realisierung von «malreden». • Wie viele Schulungskurse wurden durchgeführt? Wie viele Freiwillige konnten geschult wer- den? Seit Beginn des Projekts am 1. April 2021 bis Ende August 2022 wurden vier Grund-Schulungen durchgeführt und insgesamt 48 Freiwillige für das Projekt gewonnen. Von den 48 Personen haben 13 Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 17 (27 %) in der Zwischenzeit ihr Engagement wieder aufgegeben, was teils mit persönlichen Gründen, teils mit Unzufriedenheit mit dem Engagement begründet wurde. Alle Freiwilligen haben die Schu- lung besucht. • Zeigen sich Probleme in Bezug auf den Einsatz der Freiwilligen? Die im Folgenden dargestellten Ergebnisse stützen sich auf die Ergebnisse der Online-Befragung der Freiwilligen, welche anfangs September 2022 durchgeführt wurde. Von den 48 angeschriebenen Per- sonen, nahmen 31 an der Befragung teil, was einer Rücklaufquote von 64,6 % entspricht. Von den 31 an der Befragung teilnehmenden Freiwilligen waren 26 weiblich, fünf männliche Personen; die jüngste Person war 20 Jahre alt, die älteste 82, der Altersmittelwert beträgt 61, der Median 64 Jahre. 20 Personen (64,5 %) haben ihr Engagement im Jahr 2021 begonnen, 10 Personen (32,3 %) im Jahr 2022, bei einer Person fehlt dies Angabe. Von den Personen, die im Jahr 2021 ihr Engagement im Projekt aufgenommen haben, sind vier Personen (25 %) im folgenden Jahr ausgeschieden und 75 % sind weiterhin für das Projekt tätig. Antworten in % stimme stimme gar nicht eher weder stimme stimme zu nicht zu noch eher zu völlig zu Mwert N Ich nehme die Organisation des Projekts «malreden» als zweckmässig wahr. 0.0 0.0 0.0 31.0 69.0 4.7 29 Falls ich Unterstützung von den Verantwort- lichen von malreden benötige, erhalte ich diese rasch. 0.0 0.0 0.0 10.3 89.7 4.9 29 Meine Anliegen werden von den Verant- wortlichen von «malreden» nicht genug ernst genommen. * 84.0 12.0 4.0 0.0 0.0 4.8 25 Die technische Lösung der Telefonie funktio- niert einwandfrei. 0.0 0.0 3.4 48.3 48.3 4.5 29 Die Art, wie die Telefonie funktioniert, ist mir zu kompliziert. * 79.3 10.3 6.9 3.4 0.0 4.7 29 Die Einsatzplanung bewährt sich. 0.0 0.0 0.0 35.7 64.3 4.6 29 Tabelle 2: Beurteilung von Organisation und Infrastruktur des Projekts durch die Freiwilligen von «malreden»: Antworten in %, Mittelwert, N; Antwortskala: 1 «stimme gar nicht zu» bis 5 «stimme völlig zu»; * zur Berechnung des Mittelwerts wurden die zwei negativ formulierten Items rekodiert, so dass der Wert 1 neu dem Wert 5 entspricht und um- gekehrt. Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 18 Von den Personen, die erst 2022 mit ihrem Engagement begonnen haben, sind noch alle im Projekt aktiv. Im Durchschnitt investieren die Freiwilligen gemäss ihrer Einschätzung 13 Stunden pro Monat (Median 12 Stunden); das Minimum beträgt vier Stunden, das Maximum 23 Stunden. Organisation und Einsatzplanung des Projekts werden von den Freiwilligen als «gut» bis «sehr gut» beurteilt, ein- zig die technische Lösung der Telefonie wird etwas weniger gut bewertet. Auf die offene Frage, ob es weitere Kommentare zu diesem Thema gäbe, wurde von zwei Personen der Wunsch geäussert, mit kabellosen Kopfhörern ausgestattet zu werden, was die Bewegungsfrei- heit während den Diensten verbessern würde. Eine Person moniert die mangelnde akustische Quali- tät der Verbindung, ein Punkt, der auch von einzelnen Nutzer*innen des Dienstes erwähnt wurde. Drei Personen erwähnen, dass sie mit der Organisation des Projekts und dem Leitungsteam rundum zufrieden sind. • Wie kann die Qualität der Schulung beurteilt werden? Die Inhalte der Schulungen wurden in Bezug auf Verständlichkeit und Schwierigkeitsgrad der Inhalte sehr gut beurteilt; etwas weniger gut in Bezug auf die Frage, ob die Inhalte der Schulung eine gute Vorbereitung für die Tätigkeit im Projekt dargestellt hätten. Gut 10 % der Freiwilligen hätte sich, ge- stützt auf die gemachten Erfahrungen, noch zusätzliche Schulungsthemen gewünscht (vgl. Tabelle 5). In den offenen Kommentaren zur Schulung wird erwähnt, dass überraschend viele Anrufende offen- sichtlich an psychischen Problemen leiden und dies in der Grund-Schulung zu wenig thematisiert worden sei, danach aber auf Wunsch der Freiwilligen in den Fortbildungen aufgegriffen worden sei. «Viele Anrufende haben psychische Probleme. In diesem Ausmass hatte ich das nach der Schulung nicht erwartet. In den begleitenden Foren […] ist das aber dann rasch thematisiert worden und ich konnte mich darauf einstellen.» (zit. aus Online- Befragung Freiwillige). • Wie zufrieden sind die Freiwilligen mit ihrem Einsatz? Welche Erfahrungen machen die Frei- willigen mit ihrer Aufgabe? Die Befragungsergebnisse zeigen, dass die Freiwilligen ihren persönlichen Gewinn und ihre Belastung durch dieses Engagement sehr unterschiedlich erleben. Verglichen mit den anderen Fragethemen wird hier bei einigen Fragen die gesamte Antwortskala benutzt (vgl. Tabelle 6). Die Freiwilligen erle- ben insgesamt eher eine hohe Belastung in ihrem Engagement. Niemand möchte sich zeitlich mehr engagieren. Knapp 45 % geben an, dass sie der Aussage «Ich würde gerne häufiger für den Telefon- dienst eingeteilt werden» gar nicht zustimmen Dies kommt vereinzelt auch bei den offenen Antwort- möglichkeiten zum Ausdruck (zu hoher Druck in Bezug auf die Anzahl zu leistender Einsätze). Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 19 Antworten in % stimme stimme gar nicht eher weder stimme stimme zu nicht zu noch eher zu völlig zu Mwert N Die Inhalte der Schulung wurden so vermit- telt, dass ich sie gut verstanden habe. 0.0 0.0 0.0 19.4 80.6 4.8 31 Die Inhalte der Schulung waren eine gute Vorbereitung für mein Engagement im Pro- jekt «malreden». 0.0 0.0 6.5 38.7 54.8 4.5 31 Ich habe die Schulung als zu schwierig in Er- innerung. * 87.1 12.9 0.0 0.0 0.0 4.9 31 Ich habe die Schulung als zu theoretisch in Erinnerung. * 53.3 23.3 20.0 3.3 0.0 4.3 30 Wenn ich auf meine bisherigen Erfahrungen zurückblicke, dann hätte ich gerne zusätzli- che Themen in der Schulung gehabt. 13.8 55.2 20.7 3.4 6.9 2.3 29 Tabelle 3: Ergebnisse der Beurteilung der Schulungen durch die Freiwilligen von «malreden»: Antworten in %, Mittelwert, N; Antwortskala: 1 «stimme gar nicht zu» bis 5 «stimme völlig zu»; * zur Berechnung des Mittelwerts wurden die zwei negativ formulierten Items rekodiert, so dass der Wert 1 neu dem Wert 5 entspricht und umgekehrt. Die Mehrheit nimmt hingegen die Gespräche in der Regel als angenehm wahr und 94 % geben an, dass sie nach dem Telefondienst das Gefühl haben, etwas Sinnvolles geleistet zu haben. Dies wird auch in den offenen Kommentaren immer wieder erwähnt: «Stehe voll hinter diesem sinnvollen, wertvollen Projekt. Einsamkeit ist in der heu- tigen Zeit weitverbreitet. Ein offenes Ohr und Reden ist gefragt.» (zit. aus Online-Befragung Freiwillige). Ebenfalls 94 % der Befragten fühlen sich kompetent und sicher in der Gesprächsführung. Gleichzeitig empfindet eine Mehrheit der Freiwilligen die Gespräche immer wieder mal als anstrengend und 30 % stimmen der Aussage zu, dass sie sich in der Regel nach dem Telefondienst erschöpft fühlen. Etwa 42 % haben schon Gespräche geführt, die sie psychisch belastet haben, etwa gleich viele (45 %) ha- ben das noch nie erlebt. Der Anteil der Personen, die sich ab und zu nach einem Telefondienst mit jemandem austauschen möchte, ist denn auch recht hoch (37 %). In den offenen Kommentaren äussern viele der Freiwilligen, dass sie sich zwar durch die Gespräche belastet fühlen, sie aber durch das Team und die Geschäftsleitung gute Unterstützung erhalten, um mit dieser Belastung umzugehen. «Ich fühle mich in dieser anspruchsvollen Aufgabe sehr gut begleitet und auch wertgeschätzt.» (zit. aus Online-Befragung Freiwillige). Von verschiedenen Freiwilligen wird der Punkt angesprochen, dass sie Mühe haben und sich dadurch belastet fühlen, dass aus ihrer Sicht kein Fortschritt durch die Gespräche erzielt werden kann. Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 20 «Ich habe mit meinem Engagement aufgehört, da mir mit den Dauer-Anrufenden (teilweise mehrfach pro Tag) eine Entwicklung fehlte: Ich erlebe es nicht als sinn- haft, dass solche Gespräche aufgrund der Anonymität jedes Mal wieder bei Null anfangen.» (zit. aus Online-Befragung Freiwillige). Eine andere freiwillig tätige Person hat dies so formuliert: sie wünsche sich in den Schulungen […] «mehr praxisnahe Übungen, respektive Gesprächs-Gruppenübungen, Bewusst- werden des Leidensdrucks der Anrufenden erkennen und Zielsetzungen definie- ren, um ihnen etwas Erleichterung zu verschaffen (mal reden: sicher, doch nicht oberflächlicher Waschküchentratsch!)» (zit. aus Online-Befragung Freiwillige). Antworten in % stimme stimme gar nicht eher weder stimme stimme zu nicht zu noch eher zu völlig zu Mwert N Ich würde gerne häufiger für den Telefon- dienst eingeteilt werden. 44.8 24.1 31.0 0.0 0.0 1.9 29 Die Gespräche, die ich führe, sind im Allge- meinen angenehm für mich. 0.0 10.0 6.7 60.0 23.3 4.0 30 Es kommt immer wieder mal vor, dass Ge- spräche sehr anstrengend sind. 0.0 12.9 16.1 54.8 16.1 3.7 31 Ich fühle mich kompetent und sicher in den Gesprächen, die ich für das Projekt «malre- den» führe. 0.0 0.0 6.5 74.2 19.4 4.1 31 Ich habe nach dem Telefondienst meist das Gefühl, etwas Sinnvolles getan zu haben. 0.0 0.0 6.5 41.9 51.6 4.5 31 Ich habe mich persönlich weiterentwickelt durch die Erfahrungen, die ich bei «malre- den» gemacht habe. 3.2 6.5 16.1 45.2 29.0 3.9 31 Ich habe auch schon Gespräche geführt, die mich psychisch belastet haben. 12.9 32.3 12.9 29.0 12.9 3.0 31 Ich fühle mich nach dem Telefondienst in der Regel erschöpft. 30.0 13.3 26.7 30.0 0.0 2.6 30 Ich möchte mich ab und zu nach dem Tele- fondienst mit jemandem austauschen kön- nen. 6.7 26.7 30.0 36.7 0.0 3.0 30 Tabelle 4: Ergebnisse zu den Erfahrungen mit dem Telefondienst durch die Freiwilligen von «malreden»: Antworten in %, Mittelwert, N; Antwortskala: 1 «stimme gar nicht zu» bis 5 «stimme völlig zu» Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 21 Mit einer letzten Frage wurde im Online-Fragebogen danach gefragt, ob die Freiwilligen ihren Freund*innen ein Engagement beim Projekt «malreden» empfehlen würden. Knapp 7 % würden dies eher nicht tun, 19 % sind unentschlossen und die übrigen 74 % würden dies eher oder sicher tun. Marketing und Werbung für das Projekt • Welche Marketingleistungen wurden erbracht? Sind diese zweckmässig und ausreichend, um die Zielsetzungen zu erreichen? Das Projekt «malreden» wurde in der Pilotphase über ganz unterschiedliche Kanäle und mit grosser Intensität beworben (Silbernetz Schweiz, Geschäftsleitung, 2022): - Verteilung von 22'000 Flyern an Multiplikator*innen wie Spitex-Organisationen, Pro Senec- tute; - Versand von Informationen an 340 Gemeinden; mindestens 22 Gemeinden haben die Infor- mationen über ihre eigenen Kommunikationskanäle weitergeleitet; - Regelmässige Teilnahme der GS an Tagungen und Anlässen von relevanten Organisationen und Vorstellung des Projekts - Auftritte und Beiträge in verschiedenen öffentlichen und privaten Medien (Fernsehen, Radio, Zeitungen und Zeitschriften). Es wurden bis Ende 2022 vier Pressemitteilungen versandt. Am wirksamsten für das Gewinnen von Nutzer*innen von «malreden» waren die Auftritte und Bei- träge in traditionellen Medien mit hoher Auflage oder Verbreitungsgrad (z. B. Fernsehen und Radio SRF; Gratis-Zeitungen wie Migros Magazin). Dies bestätigt sich durch den zeitlichen Verlauf der An- zahl Anrufenden gemäss Statistik der Anrufenden (vgl. Abbildung 7 weiter unten) und die Angaben der Erstanrufenden (Abbildung 5). Alle Nutzer*innen des Telefondienstes wurden bei ihrem ersten Anruf gefragt, wie sie von diesem Angebot erfahren haben. Die Angaben wurden im Anrufprotokoll erfasst (Silbernetz Schweiz, Ge- schäftsleitung, 2022). Diese Angaben bestätigen, dass für das Ansprechen der Zielgruppe von «malre- den» bisher für die Hälfte der Nutzenden die grossen traditionellen Medien (Radio, Fernsehen, ge- druckte Zeitungen) wirksame Kanäle zur Bewerbung darstellten. Danach folgen Personen aus dem professionellen und privaten sozialen Netz, welche die Nutzer*innen auf das Angebot aufmerksam machen und dieses empfehlen. Das Auflegen und Verteilen von Flyern scheint für die direkte Anspra- che der Zielgruppe weniger relevant zu sein, und am wenigsten Personen aus dieser Zielgruppe ge- ben an, direkt über Online-Medien auf das Angebot gestossen zu sein. Gemäss Einschätzung der Geschäftsleitung war die geplante Bewerbung von «malreden» über Multi- plikator*innen mit grossem Aufwand verbunden und zeigte nach einer längeren Aufbauphase eine Wirkung: Erst gegen Ende der Pilotphase scheint das Projekt nun bei wichtigen Multiplikator*innen und Verbänden bekannt zu werden. Aus Sicht des befragten Vorstandsmitglieds von «malreden» kann dies damit zusammenhängen, dass das Angebot zunächst von wichtigen Akteuren als Konkur- renz wahrgenommen wurde und erst nach einiger Zeit als Bereicherung und Ergänzung des beste- henden Angebots für alte Menschen (Quelle: Interview-Protokoll der Evaluation). Eine Problematik bestehe aber immer noch darin, dass nun zwar die landesweiten oder kantonalen Verbände und Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 22 Organisationen das Projekt mehrheitlich unterstützen und gutheissen, diese Erkenntnis aber noch nicht unbedingt bei den lokalen Praxisorganisationen umgesetzt wird (Quelle: Interviewprotokoll Ge- schäftsleitung malreden). Wie sind Sie auf malreden aufmerksam geworden? (N=350) 4% 3% 13% 13% 50% 18% Medien (Zeitungen, Radio, Fernsehen) über eine Person aus dem professionellen Umfeld über eine Person aus dem privaten Umfeld Flyer Social Media Website des Projekts Abbildung 5: Prozentualer Anteil der Kommunikationskanäle, über die Erstanrufende auf das Pro- jekt aufmerksam geworden sind (N=350); Quelle: Selbstevaluation (Silbernetz Schweiz, Geschäftsleitung, 2022) 4.3 Output In Zusammenhang mit dem Output stellen sich Fragen zu den erbrachten Leistungen des Projekts, ob beispielsweise die «Hotline» entsprechend der Planung betrieben werden konnte und genug Freiwil- lige gefunden werden konnten, um die Betriebszeiten abdecken zu können. • Konnte das Angebot «Hotline» entsprechend der Planung angeboten werden? Die «Hotline« von «malreden» wird seit dem 1. April 2021 auf der Gratisnummer 0800 890 890 in deutscher Sprache angeboten und kann von der ganzen Schweiz aus genutzt werden. Die Gespräche sollen maximal 20 Minuten dauern und sind für beide Seiten anonym. Bis Februar 2022 wurde die «Hotline» täglich von 14 Uhr bis 20 Uhr betreut; ab März 2022 wurden die Betriebszeiten erhöht auf täglich von 9 Uhr bis 20 Uhr. Gemäss Auskunft der Geschäftsleitung konnte die «Hotline» von Anfang an wie geplant angeboten werden, und die Erweiterung der Betriebszeiten konnte früher als geplant umgesetzt werden, da genügend Freiwillige gewonnen werden konnten und die Nachfrage nach dem Angebot stark gestiegen ist. Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 23 Die für das Projekt «malreden» eingesetzte Telefonie-Lösung virtufon stellt eine Auswertung der An- rufstatistiken zur Verfügung, wobei die Telefonnummern der Anrufenden als Identifikator benutzt wird, ohne die Identität gegenüber den Projektmitarbeitenden preiszugeben. Auf diese Weise kann unterschieden werden, ob eine Person einmal oder mehrmals anruft und auch, ob es Personen gibt, die mehrmals vergeblich versuchen anzurufen, aber der Anruf nie beantwortet werden kann. Die Gratisnummer von «malreden» wurde im Verlauf der Betriebszeit des Projekts bis Ende Oktober 2022 insgesamt 12'043 Mal angerufen. Davon wurde knapp die Hälfte (46 %) respektive 5'592 Anrufe beantwortet. Der hohe Anteil nicht beantworteter Anrufe ist damit zu erklären, dass die Linie oftmals besetzt war und ein Teil der Anrufenden in diesem Fall die Nummer immer wieder wählte, bis das Gespräch angenommen werden konnte. Aus der Anrufstatistik kann entnommen werden, dass zwi- schen Oktober 2021 und September 2022 pro Monat zwischen minimal 12 und maximal 34 Personen vergeblich versucht haben, die Hotline zu erreichen aber nicht durchgekommen sind. Die meisten dieser vergeblich Anrufenden, haben ein einziges Mal die Nummer gewählt, einige aber auch meh- rere Male. So haben im März 2022 15 Personen vergeblich versucht, die Nummer zu erreichen und haben im Schnitt pro Person drei Mal die Nummer gewählt (Quelle: Selbstevaluationsdaten, An- rufstatistik). Bei 83 % der angenommenen Anrufe entwickelte sich ein Gespräch, das länger als eine Minute dau- erte (vgl. Abbildung 6). Bei den Kürzest-Anrufen unter einer Minute handelt es sich gemäss Einschät- zung der Freiwilligen teils um Jux-Anrufe oder um Anrufe von Personen, die nicht zu sprechen wag- ten. Die Auswertung der Telefonstatistik zeigt, dass es bestimmte Tageszeiten sind, die stark genutzt werden: zwischen 14 Uhr und 15 Uhr sowie ab 18 Uhr. Die Geschäftsleitung plant bei der Weiterfüh- rung des Projekts, diese Zeitfenster personell zu verstärken (Silbernetz Schweiz, Geschäftsleitung, 2022). 12'043 • Anrufversuche 5'592 • Anrufe beantwortet 4'672 • Gespräche geführt Abbildung 6: Kaskade der Anzahl Anrufe auf die Nummer von «malreden», die Anzahl der beant- worteten Anrufe und die Anzahl der Gespräche, die mindestens eine Minute dauerten; Beginn des Projekts bis Ende Oktober 2022; Quelle: Selbstevaluation (Silbernetz Schweiz, Geschäftsleitung, 2022) Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 24 • Konnte das Angebot «Tandem», das fixe Telefonpartnerschaften zwischen Freiwilligen und Nutzenden vermittelt, entsprechend der Planung angeboten werden? In Bezug auf das Angebot «Tandem» startete das Projekt mit drei Monaten Verzögerung aufgrund technischer Probleme. Ausserdem wurde das Angebot zu Beginn wenig nachgefragt, was aus Sicht der Geschäftsleitung vor allem auf die geringere Berichterstattung in den Medien und einen fehlen- den Hinweis auf dem Flyer des Projekts zurückzuführen war. • Konnte das Angebot der Informationsvermittlung entsprechend der Planung angeboten wer- den? Als drittes Standbein von «malreden» ist vorgesehen, dass die Freiwilligen den Anrufenden bei Be- darf konkrete Informationen über Kontaktmöglichkeiten und Organisationen im lokalen Umfeld ver- mitteln können. Damit soll den Anrufenden geholfen werden, einen ersten Schritt zu machen, um sich aus ihrer sozialen Isolation zu befreien und Begegnungen «face to face» zu ermöglichen. In Be- zug auf den Output stellt sich die Frage, ob die Freiwilligen sich durch die Schulung und Dokumenta- tion ausreichend informiert und dokumentiert fühlen, solche Vernetzungsangebote etc. zu vermit- teln. In der Online-Umfrage gaben knapp Dreiviertel der teilnehmenden Freiwilligen an, dass dies der Fall sei (vgl. Tabelle 5, weiter unten). Damit wären die Bedingungen gegeben, um diese Dienstleis- tung zu erbringen, allerdings wurde dieses Angebot von den Nutzer*innen kaum nachgefragt (vgl. Kapitel 4.4). 4.4 Outcome In Bezug auf die Beurteilung des Outcome des Projekts «malreden» wurde untersucht, ob die Nut- zer*innen von «malreden» der definierten Zielgruppe entsprachen und ob die verschiedenen Ange- bote tatsächlich genutzt wurden. Im Rahmen der vorhandenen Daten wurde ebenfalls der Frage nachgegangen, ob die intendierte Wirkung bei den Nutzer*innen erreicht werden konnte. Erreichen der definierten Zielgruppe • Entsprachen die Nutzer*innen von «malreden» der definierten Zielgruppe? Als Zielgruppe wurden alte Menschen ab 60 Jahren, die sich oft einsam fühlen und in ihren Möglich- keiten, Beziehungen zu pflegen eingeschränkt sind, definiert. Um ein möglichst vertrauensvolles Ge- sprächsklima zu erreichen und um den Anrufenden die Sicherheit der Anonymität zu vermitteln, wur- den bei den Nutzer*innen keine demografischen Informationen erfragt. Die Freiwilligen führten aber für jedes Gespräch ein Anrufprotokoll, in welchem eine Information direkt erfragt wurde (Erstanruf oder wiederholter Anruf) und weitere Informationen aus Stimme und Gesprächsinhalt eingeschätzt wurden (Geschlecht und Altersgruppe, alleine wohnend, Pflegebedürftigkeit, Grund des Anrufs). Die- ses Protokoll wurde im Verlauf des Projekts adaptiert. Die erhobenen Daten können deshalb nur von August 2021 bis Oktober 2022 für diese Evaluation genutzt werden. Die Validität und Reliabilität des Ratings von Informationen wie Alter, Pflegebedürftigkeit, Grund des Anrufs, etc. durch die Freiwilli- gen wurde nicht wissenschaftlich überprüft. Diese Ergebnisse sind daher als Annäherungswerte zu betrachten und möglicherweise mit Bias behaftet. Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 25 Gemäss diesen Anrufprotokollen schätzten die Freiwilligen, dass von den 3’667 Anrufen zwischen Au- gust 2021 und Oktober 2022 27 % der Anrufe durch Personen unter 65 Jahren getätigt wurden, 32 % durch Personen zwischen 65 bis 74 Jahren, 32 % zwischen 75 bis 84 Jahren, 3 % waren über 85 Jahre alt und bei 6 % konnte das Alter nicht geschätzt werden. 96 % der Anrufenden wurden als weiblich, 4 % als männlich eingeschätzt. 72 % der Anrufe wurden Personen zugeordnet, die als vital, selbst- ständig lebend geratet wurden, 22 % fragilen, aber noch zu Hause lebenden Personen (pflegebedürf- tig oder eingeschränkt in der Mobilität), 2 % Personen, die in einem Pflegeheim wohnen und bei 6 % konnte dies nicht beurteilt werden. 88 % lebten allein in einem Haushalt, 7 % lebten mit anderen Per- sonen zusammen, bei 5 % konnte dies nicht beurteilt werden. Die Freiwilligen gaben auch an, was aus ihrer Sicht der primäre Grund des Anrufs war: 61 % der Anrufe wurden demgemäss so einge- schätzt, dass die Anrufenden in erster Linie ein Alltagsgespräch führen wollten («einfach mal reden»), bei 34 % der Gespräche ging es um Probleme und Sorgen der Anrufenden, bei 2 % wurden Informati- onen erfragt, bei 2 % konnte der Grund nicht eindeutig beurteilt werden. Bei keinem der Anrufe wurde von den Freiwilligen vermerkt, dass ein akuter Notfall vorliege, der ein sofortiges Handeln er- forderlich machen würde. Die Freiwilligen schätzten, dass bei 74 % der Gespräche die Anrufenden unter Einsamkeitsgefühlen leiden würden, bei den übrigen 26 % war dies aus ihrer Sicht nicht wahr- nehmbar. Nutzung der «Hotline» • Nutzt die Zielgruppe die verschiedenen Angebote? Wie hat sich die Nutzung des Angebots seit Beginn der «Hotline «entwickelt? In der folgenden Abbil- dung ist die Anzahl der geführten Gespräche mit einer Dauer von mehr als einer Minute pro Monat dargestellt. Um die einzelnen Monate unabhängig von der Anzahl Kalendertage (28, 30 oder 31 Tage) miteinan- der vergleichbar und damit die Entwicklung über die Zeit besser interpretierbar zu machen, wurde die Anzahl der Gespräche auf einen Monat mit 30.5 Tagen umgerechnet (standardisiert). Ebenfalls dargestellt ist der Zeitpunkt der grossen Werbemassnahmen für das Projekt (rote Pfeile) und der Zeitpunkt, an dem die Betriebszeiten erhöht wurden. Die Abbildung zeigt eine im Jahr 2021 noch etwas zögerliche Zunahme, im folgenden Jahr deutliche Zunahme der Anrufe pro Monat. Am Ende der Beobachtungsphase (Oktober 2022) wurden über die «Hotline» mehr als 500 Gespräche pro Monat geführt. Man sieht an dieser Darstellung ebenfalls die Wirkung einzelner grosser Kommunikationsmassnahmen (v. a. Fernseh- und Radiobeiträge). Insge- samt konnte die angestrebte Anzahl Gespräche übertroffen werden. So wurde als Zielsetzung per Juni 2022 acht Gespräche pro Tag als Zielgrösse definiert, was unter dem Wert liegt, der erreicht wurde (10,2 Gespräche). Im letzten Monat der Beobachtungsphase steigerte sich dieser Wert noch- mals deutlich auf 17 Gespräche pro Tag. Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 26 Abbildung 7: Anzahl Gespräche mit einer Dauer von mehr als einer Minute pro Monat (korrigiert auf 30.5 Tage / Monat); Zeitpunkt von grossen Werbemassnahmen (rote Pfeile) und Verlängerung der Betriebszeiten (grüner Pfeil) während der Pilotphase von «malre- den» (Quelle: Daten Telefonie; Selbstevaluation «malreden»). Es stellt sich auch die Frage, ob die Anrufe von Personen getätigt werden, die nur ein einziges Mal anrufen und dann auf das Angebot verzichten oder ob es Personen sind, die regelmässige Nutzer*in- nen sind. Gemäss der Anrufstatistik, welche als Teil der Selbstevaluation erhoben wurde, zeigt sich, dass die Mehrheit der Nutzer*innen die Hotline regelmässig nutzt und zwar im Schnitt pro Person zwischen knapp fünf Mal und 15 Mal pro Monat (vgl. Tabelle 5). Weitere Hinweise auf die Art der Nutzung und die Bedürfnisse, die dadurch befriedigt werden können, lassen sich aus den Interviews ableiten, welche im Rahmen dieser Evaluation mit fünf Nutzer*innen durchgeführt wurden (vgl. Kapi- tel 4.4: Erreichen der intendierten Wirkungen). Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 27 Monat Anzahl Mwert Anrufe Personen pro Person Okt 21 48 6.3 Nov 21 48 8.0 Dez 21 87 5.8 Jan 22 98 4.7 Feb 22 82 5.3 Mär 22 72 8.7 Apr 22 74 9.0 Mai 22 85 7.5 Jun 22 98 7.4 Jul 22 131 9.5 Aug 22 142 8.7 Sep 22 103 15.0 Tabelle 5: Anzahl Personen, die bei der «Hotline» anrufen und Mittelwert der Anzahl pro Person getätigten Anrufe (Quelle: Daten Selbstevaluation, Anrufstatistik). Nutzung des Angebots «Tandem» Wie bereits weiter oben erwähnt, haben technische Probleme den Beginn des Angebots «Tandem» erschwert. Bis Ende Oktober 2022 waren zwölf Tandems aktiv, so dass das angestrebte Ziel von 18 Tandems in dieser Zeit nicht erreicht werden konnte. Zwei der zwölf Tandems haben sich nach einer Laufzeit von einem Jahr aufgelöst; vier Tandems wurden frühzeitig abgebrochen. Die Gründe für frühzeitige Abbrüche wurden in der ersten Zeit des Projekts nicht systematisch erfasst. Gemäss Einschätzung der Geschäftsleitung ist das Angebot «Tandem» für die Nutzer*innen deutlich weniger niederschwellig als die «Hotline» und auch anspruchsvoll in Bezug auf das «Matching» pas- sender Gesprächspartner*innen. Als Reaktion auf die beobachteten Probleme wurde ein systemati- sches Abschlussgespräch für Tandems als Teil der Selbstevaluation eingeführt. Die frühzeitigen Ab- brüche sind gemäss Wahrnehmung der Geschäftsleitung und bisher vorliegender Protokolle von Ab- schlussgesprächen auf Unstimmigkeiten und Unzufriedenheit auf beiden Seiten (Freiwillige und Nut- zende) zurückzuführen und lassen sich Themen wie ‘mangelnde Verlässlichkeit’, ‘Bedürfnis nach Ano- nymität versus Offenheit der Tandempartner*innen’, ‘fehlende Passung der Gesprächspartner*innen in Bezug auf Interessen und Gesprächsthemen’ und ‘nicht erfülltes Bedürfnis nach einer Beziehung auf Augenhöhe respektive als Gleichgestellte’ zuordnen (Silbernetz Schweiz, Geschäftsleitung, 2022). Es liegen aber bisher zu wenig gesicherte Informationen vor, um die Qualität des Angebots und die Passung der Bedürfnisse im Rahmen dieser Evaluation ganzheitlich beurteilen zu können. Die von der GS ausgewerteten Gespräche mit den Nutzer*innen (Standortgespräche) und Freiwilligen (Mitarbei- tergespräche) zeigen immerhin, dass dieses Angebot von den aktiven Tandem-Nutzer*innen mehr- heitlich sehr geschätzt wird und als Bereicherung wahrgenommen wird. Was die Nachfrage nach die- sem Angebot angeht, zeigte sich gemäss Auskunft der Geschäftsleitung vom 16.12.2022 gerade in den letzten Monaten der Pilotphase (seit Oktober 2002) eine starke Zunahme. Es konnten weitere sechs Tandems gebildet werden, so dass die Zielsetzung von 18 Tandems bis Ende der Pilotphase er- reicht werden konnte. Da der Beginn des Angebots durch technische Probleme und geringe Kommu- nikationsmassnahmen erschwert war, kann vermutet werden, dass im weiteren Verlauf des Projekts die Nachfrage und Nutzung zunehmen werden. Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 28 Vermittlung von Informationen und Veränderung des Verhaltens • Werden Informationen zur Vernetzung vermittelt und führen diese Informationen zu einer Veränderung des Verhaltens? Zur Beurteilung, ob das dritte Angebot, genannt «malreden Info» die definierten Zielsetzungen errei- chen konnte, sind zwei Datenquellen nützlich: das von den Freiwilligen für jedes «Hotline»-Gespräch ausgefüllte Anrufprotokoll und die Online-Befragung der Freiwilligen. Gemäss der Statistik der Anruf- protokolle wurde bei 4 % der 3’183 protokollierten Gespräche eine Adresse oder ein Angebot vermit- telt, was 127 Vermittlungen von August 2021 bis Oktober 2022 (14 Monate) entspricht. Dies ist et- was geringer als die von April 2021 bis Juni 2022 (15 Monate) angestrebte Zielsetzung von insgesamt 145 Vermittlungen. Es ist nicht eindeutig zu beurteilen, ob die quantitative Zielsetzung erreicht wor- den ist, da sich die Beobachtungsdauer um einen Monat unterscheidet und gleichzeitig die Phasen des Projekts, die beurteilt werden sollten, nicht identisch sind. Die Online-Befragung der Freiwilligen ergab ebenfalls, dass es eher selten vorkommt, dass Anrufende nach Informationen fragen (vgl. Tabelle 5). Dieses Ergebnis wird verstärkt durch offene Kommentare, die einige der Freiwilligen zu diesem Thema machten. Sie wünschen sich, dass vermehrt eine kon- krete Entwicklung, eine Änderung des Verhaltens bei den Anrufenden stattfinden würde und empfin- den es als wenig sinnvoll oder und für sie auch wenig zufriedenstellend, wenn die Anrufenden immer wieder dasselbe Leid mitteilen oder nur «unverbindlichen Smalltalk» machen wollen. Antworten in % stimme stimme gar nicht eher weder stimme stimme zu nicht zu noch eher zu völlig zu Mwert N Es kommt oft vor, dass ich in den Gesprä- chen nach konkreten Informationen gefragt werde. 16.7 63.3 6.7 10.0 3.3 2.2 30 Wenn ich bisher nach konkreten Informatio- nen gefragt wurde, konnte ich immer eine hilfreiche Antwort geben. 0.0 6.7 20.0 46.7 26.7 3.9 30 Tabelle 5: Ergebnisse zu den Erfahrungen in Bezug auf die Vermittlung von Angeboten durch die Freiwilligen von «malreden»: prozentuale Verteilung und Anzahl Antwortende (Ant- wortskala: 1 «stimme gar nicht zu» bis 5 «stimme völlig zu») Dieses Spannungsfeld wird auch durch die Leiterinnen der Geschäftsstelle erwähnt. Sie nehmen wahr, dass die typischen Nutzer*innen von «malreden» oft in einer passiven Haltung verharren und primär ihre Probleme mit jemandem teilen wollen, aber nicht bereit oder fähig sind, die soziale Isola- tion mit weiteren Schritten anzugehen. Dies auszuhalten sei eine anspruchsvolle Aufgabe für die Frei- willigen. Das befragte Mitglied des Vereinsvorstands bestätigt diese Sichtweise, betont aber, dass be- reits die regelmässige Nutzung der «Hotline» als eine Verhaltensänderung per se bezeichnet werden muss. Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 29 «Bereits dieser erste, vielleicht einzige Schritt, Kontakt mit anderen Menschen auf- zunehmen und zu telefonieren, regelmässig mit jemandem reden können, wird eine Wirkung zur Linderung der Einsamkeit und Förderung der psychischen Ge- sundheit haben und stellt auch bereits eine Verhaltensänderung dar.» (Perrig-Chiello, 2022; zit. aus Interview-Protokoll der Evaluation). Erreichen der intendierten Wirkungen: die Sicht von Nutzer*innen • Wurde die intendierte Wirkung bei den Nutzer*innen erreicht? Die folgenden Ergebnisse stützen sich auf die telefonischen Interviews mit den Nutzer*innen von «malreden». Die fünf Interviewten sind alle weiblich, zwischen 70 und 85 Jahre alt, vier leben allein, eine Person wohnt mit ihrem Ehepartner zusammen. Zwei der fünf Frauen erwähnen ihre einge- schränkte Mobilität, welche ein Verlassen der Wohnung schwierig macht und drei der fünf Frauen weisen auf ihre finanzielle Prekarität hin, die sie belastet und die Pflege von sozialen Kontakten er- schwert. Die Interviews dauerten zwischen 20 und 45 Minuten. Alle befragten Frauen rufen regel- mässig bei der «Hotline» von «malreden» an, wobei die Frequenz zwischen einmal wöchentlich bis täglich variiert. Mit Ausnahme einer Frau nutzen alle Interviewten «malreden» seit dem Beginn. Alle Interviewten äussern sich grundsätzlich zufrieden mit den Gesprächen. Die Gespräche werden u. a. als «toll», «einfühlsam», «interessant» und als «menschliche Begegnungen» bezeichnet, die Ge- sprächspartner*innen als «nett», «immer freundlich», als «tolle Frauen». Vier der Frauen erwähnen, dass sie sich freuen, wenn sie mit «Bekannten» sprechen können, die sie über die Stimme erkennen, wenn sich trotz der Anonymität eine Beziehung entwickeln kann und die Gesprächspartner*innen auch von sich selbst erzählen. «Es ist auch schön, wenn man immer wieder dieselben Leute als Gesprächspartner hat, aber alle sind sehr nett, einfühlsam und liebevoll. Sie geben mir das Gefühl, verstanden zu werden, es sich ehrliche Gespräche, echte Gesprächspartner. Sie er- zählen auch ein wenig von sich selbst.» (Nutzerin 3, lebt zusammen mit Ehepart- ner). «Was mich stört oder was ich sehr schade finde, ist die Anonymität. Ich möchte die Frauen, mit denen ich mich unterhalten kann, kennenlernen, Telefonnummern austauschen und vielleicht auch treffen. Ich möchte ihnen gerne helfen und dass sie mir auch helfen.» (Nutzerin 5, allein wohnend). Drei der fünf befragten Nutzerinnen wünschen sich längere Gesprächsdauern als die maximalen 20 Minuten, für zwei ist die Gesprächsdauer gut, wie sie ist. Als wichtigsten Grund für die Nutzung der «Hotline» wird von fast allen Personen erwähnt, dass sie seit vielen Jahren allein seien und sie das Bedürfnis haben, mit jemandem zu reden. «Ich rufe an, weil ich jemandem ‘brichten’ möchte. Ganz normale Dinge. Über das Wetter reden, den Einkauf, das Kochen.» (Nutzerin 1, allein wohnend). Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 30 «Reden können. Ich habe schon auch Leute zum Telefonieren, Bekannte, aber dann mache ich es manchmal doch nicht. Sie haben vielleicht keine Zeit oder ich habe schon angerufen.» (Nutzerin 4, allein wohnend). «Ich habe keine Eltern und keine Geschwister. Da ist niemand, mit dem ich Prob- leme besprechen kann». (Nutzerin 5, allein wohnend). Die Einsamkeit kann auch bestehen, obwohl die Befragte mit einem Lebenspartner zusammen wohnt. «Ich habe meinen Mann noch, aber er redet nicht viel, hat nie viel geredet. […] Ich bin von der Wohnlage her vereinsamt, meine beste Nachbarin ist gerade gestor- ben, das ist sehr hart. Im Alter ist es schwierig, Begegnungen gehen verloren.» (Nutzerin 3, mit Ehepartner wohnend) Eine befragte Nutzerin erwähnt, dass sie immer wieder akute Momente von starker Einsamkeit emp- findet und dann genau in diesem Moment jemanden braucht, der mit ihr spricht. «Wenn es dreht in meinem Kopf, dann brauche ich Ablenkung und Aufmunterung. Ich habe dann eine ganz negative Haltung, erwarte immer das Schlimmste. Durch das Gespräch kann ich Zuversicht finden.» (Nutzerin 3, mit Ehepartner wohnend). Eine weitere Nutzerin gibt an, dass sie sich nicht einsam fühlt, aber das spezifische Bedürfnis hat, mit jemandem ihre Probleme durchzusprechen, um nach Lösungen zu suchen. Dies sei etwas, das sie mit ihren Freunden und Bekannten nicht könne und auch nicht wolle. «Ich will meine Probleme lösen können. Wenn mir jemand zuhört und mitdenkt, dann finde ich immer neue Einsichten, kann Knoten lösen, die sich in meinem Le- ben angehäuft haben.» (Nutzerin 2, allein wohnend). Alle fünf Befragten bestätigen, dass sie sich nach den Gesprächen immer oder fast immer besser füh- len. Sie erwähnen u. a., dass sie sich nach dem Gespräch getröstet fühlen, es gut tut, wenn man auch einmal weinen darf, aber auch, dass sie über ihre Probleme nachdenken konnten und manchmal auch Ratschläge erhalten haben und sich dadurch zuversichtlicher fühlen. «Es ist auch schon vorgekommen, dass ich danach verärgert war, aber fast immer sind es ganz gute, tolle Gespräche und ich fühle mich gut danach, erleichtert, auf- gemuntert und bestärkt.» (Nutzerin 5, allein wohnend). Eine Person erwähnt, dass es gut sei, dass durch die Gesprächspartner kein Druck auf sie ausgeübt werde, wenn es ihr schlecht gehe. «Manche Leute wollen mir immer Ratschläge geben, wenn es mir schlecht geht. Sie machen mir Druck. Das hilft mir nicht. Bei «malreden ist es auch kein Problem, wenn ich mal wein.» (Nutzerin 3, mit Ehepartner). Drei der fünf befragten Frauen beantworten die Frage, ob sie den Eindruck haben, dass die Gesprä- che schon mal dazu geführt haben, dass sie etwas anders machen als früher, z. B. mehr telefonieren Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 31 oder nach draussen gehen oder mehr mit den Nachbarn reden, mit «Nein». Eine Nutzerin antwortet, dass sie ab und zu durch die Gespräche einen Impuls erhält, einen Schritt auf andere Menschen hin zu tun und die fünfte Nutzerin, dass sie Ratschläge bekommen hat, wie sie sich kompetenter in einer Konfliktsituation verhalten könne. Drei der interviewten Frauen erwähnen technische Probleme (schlechte Akustik respektive «Chräschelen» in der Leitung, ab und zu Abbruch der Verbindung und lange Wartezeiten, wenn alle Leitungen besetzt sind). Die Wartezeiten bei besetzten Leitungen werden aber von keiner der Frauen als wirklich störend wahrgenommen. «Es gibt lange Wartezeiten, wenn alle Leitungen besetzt sind, aber ich kann das verstehen. Es hat ja auch andere Leute, die anrufen wollen.» (Nutzerin 1, allein wohnend). Im Verlauf des Interviews wurde auch die Frage gestellt, ob die Anruferinnen ausschliesslich «malre- den» oder auch andere Angebote für ältere Menschen nutzen und ob es aus ihrer Sicht ein Alleinstel- lungsmerkmal von «malreden» gibt, das dieses Angebot von anderen unterscheidet und einmalig macht. Die befragten Frauen haben mit einer Ausnahme alle auch schon andere Angebote für ältere Menschen oder für Menschen mit psychosozialem Unterstützungsbedarf genutzt oder nutzen diese auch parallel zu den Anrufen bei der «Hotline» von «malreden». Genannt werden: Pro Senectute, Pro Infirmis, Zeitbörse in der Siedlung, Benevol Bern und die Dargebotene Hand Tel 143. Zwei Frauen ge- ben an, dass sie früher andere Angebote genutzt haben, sich aber enttäuscht zurückgezogen haben, weil diese nicht ihren Bedürfnissen entsprachen. Zwei Frauen nutzen weiterhin Angebote von Pro Senectute (für praktische Probleme und Kurse). Als Alleinstellungsmerkmal («Gibt es etwas, das «malreden» für Sie ganz besonders macht? Was an- dere Angebote nicht können?») wird von vier der Frauen der Umstand angesprochen, dass man spontan mit jemandem sprechen kann und immer dann, wenn man es benötigt. «Dass man nicht warten muss, bis man reden kann. Ich weiss, wenn es einem schlecht geht, dann ist da jemand, der nicht schimpft.» (Nutzerin 3, mit Ehepart- ner wohnend). «Dass man ganz spontan anrufen kann, gerade dann, wenn man Lust oder Bedürf- nis hat.» (Nutzerin 4, allein wohnend). Auch die gute Beziehungsqualität, die Empathie, die während der Gespräche wahrgenommen wird, wird mehrmals als spezielles Merkmal erwähnt, von einer Nutzerin auch als Unterschied zu den Ge- sprächen, die mit anderen Telefondiensten geführt wurden. Im Verlauf der Interviews wurden verschiedene Wünsche zur Verbesserung des Angebots von «mal- reden» genannt; daraus stechen drei Aspekte hervor: der Wunsch nach längerer Gesprächsdauer als die maximal 20 Minuten, der Wunsch nach einer Ausweitung der Betriebszeiten in den Abend hinein und der Wunsch nach der Möglichkeit, die Anonymität aufzugeben und einige Gesprächspartner*in- nen vertieft kennenzulernen und sich zu treffen. Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 32 Insgesamt äussern sich die fünf interviewten Frauen sehr zufrieden mit dem Angebot. Sie fühlen sich damit verbunden, teilweisen auch davon abhängig. «Das Angebot ist auf sehr hohem Niveau. Ich fühle mich damit verbunden.» (Nutzerin 3, mit Ehepartner wohnend). «Insgesamt ist «malreden» eine sehr gute Sache.» (Nutzerin 5, allein wohnend). Die Ergebnisse aus den fünf Interviews zeigen, dass für einige der Nutzer*innen das Angebot ein Sub- stitut des vollständig fehlenden sozialen Netzes darstellt. Für andere Nutzer*innen hingegen steht eher eine komplementäre Funktion zu einem bestehenden sozialen Netz im Vordergrund. Es handelt sich um Personen mit bestehenden sozialen Kontakten, die aber die benötigte soziale Unterstützung nicht (mehr) erhalten. Dies betrifft beispielsweise Personen, die mit den bestehenden Kontakten nicht über ihre persönlichen Probleme sprechen wollen oder ihr soziales Umfeld nicht belasten wol- len oder durch diese keine adäquate Unterstützung erhalten, wenn sie an einer depressiven Verstim- mung leiden. 5. Schlussfolgerungen und Empfehlungen 5.1 Schlussfolgerungen Die für diese Evaluation vorliegenden Informationen lassen folgende Schlussfolgerungen zu: Das Pro- jekt «malreden» hat mit begrenzten Mitteln innerhalb der Pilotphase sehr viel erreicht. Es zeigt sich eine starke Steigerung der Inanspruchnahme des wichtigsten Standbeins des Angebots, der «Hot- line». Am Ende der Beobachtungszeit (Oktober 2022) wurden pro Monat gegen 500 Gespräche ge- führt, die Mehrheit der Nutzer*innen ruft die «Hotline» regelmässig mehrere Male pro Woche an. Die nach einigen Monaten und intensiven Medienarbeiten starke Zunahme an Anrufen hat zu einer Überlastung der Linie geführt, so dass insgesamt nur knapp die Hälfte der insgesamt 12'043 Anrufe auf die Gratisnummer beantwortet werden konnte. Das Angebot «Tandem» hat sich u. E. als weniger erfolgreich erwiesen. Es konnten bisher erst 18 «Tandems» gebildet werden und ein relevanter Teil hat die Telefon-Partnerschaft frühzeitig wieder abgebrochen. Die erreichten Personen entsprechen der angestrebten Zielgruppe bezüglich Alter und Einsamkeits- gefühlen mehrheitlich. Die typische Nutzerin ist demnach weiblich, zwischen 65 und 84 Jahren alt, lebt allein und selbstständig in einem Haushalt, leidet an Einsamkeitsgefühlen und möchte gerne ein Alltagsgespräch führen. Ein Teil der Anrufenden nutzt auch andere Angebote für Senior*innen oder das Telefon «Die Dargebotene Hand Tel 143». «malreden» wird aber als etwas Spezielles wahrge- nommen, da man auch ohne besonderen Grund anrufen und genau dann Kontakt aufnehmen kann, wenn man das möchte und benötigt. Es zeigt sich auch, dass ein beträchtlicher Teil der Anrufenden von psychischen Beeinträchtigungen betroffen ist. In dem Sinn stellt «malreden» einen Mittelweg und eine Nische dar zwischen professioneller Betreuung und Behandlung einerseits und keiner sozia- ler Unterstützung andererseits. Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 33 Die Gespräche sind wirksam, um eine Linderung des akuten Leidens, das durch Einsamkeit ausgelöst wird, zu erreichen. Die regelmässige Nutzung dieses Angebots kann in diesem Sinn bereits als eine Verhaltensänderung betrachtet werden. Hingegen kann der postulierte Effekt auf das Verhalten – im Sinne der Kontaktnahme mit lokalen Organisationen oder Begegnungsorten durch «malreden» – nicht erreicht werden. Dieses Ergebnis deckt sich mit den Erkenntnissen aus der Evaluation des Vor- gängerprojekts in UK. Ein Teil der Nutzer*innen wünscht sich eine Vertiefung der Beziehungen, möchte Begegnungen «face to face» auf Augenhöhe und mit der Möglichkeit eines reziproken Ge- bens und Nehmens in diesen Beziehungen. Lediglich 6 % der Anrufenden sind Männer. Der grosse Geschlechtsunterschied bei den Anrufenden spiegelt einerseits die demografische Altersstruktur in der Schweiz wider, mit einem deutlich höhe- ren Anteil an alten Frauen als alten Männern und auch die Tatsache, dass viel mehr alte Frauen allein in einem Haushalt wohnen als dies bei alten Männern der Fall ist. Ausserdem zeigt sich auch generell ein Geschlechtsunterschied im Ausmass der Einsamkeit: Männer leiden weniger oft darunter als Frauen (Bachmann, 2014). Es stellt sich aber auch die Frage, ob sozial isolierte und einsame Männer sich von dem Angebot «malreden» weniger angesprochen fühlen oder sich mehr vor Stigmatisierung fürchten, wenn sie darüber sprechen, dass sie sich einsam fühlen und deshalb dieses Angebot nut- zen. Für das Projekt konnten bisher knapp 50 Freiwillige gefunden und geschult werden, von denen die meisten sehr zufrieden sind mit ihrem Engagement und sich gut vorbereitet und begleitet fühlen. Es zeigt sich, dass viele der Freiwilligen den Telefondienst gleichzeitig als wichtigen gesellschaftlichen Beitrag, als sinnstiftend, aber auch als belastend wahrnehmen. Die Belastung und teilweise auch Un- zufriedenheit scheint vor allem mit zwei Aspekten verbunden: Es zeigt sich einerseits keine Entwick- lung in der Problematik vieler Anrufenden, sie erzählen also immer wieder dasselbe und andererseits sind die Freiwilligen mit der hohen Problemlast (psychische Probleme, finanzielle Prekarität, soziale Isolation) der Anrufenden konfrontiert. Die Freiwilligen erachten die Begleitung durch die Geschäfts- stelle als sehr gut, ihre Schulung als hochstehend, wünschen sich aber mehr praktische Übungen, um schwierige Gespräche gut führen zu können. Ein solches Angebot soll zukünftig mit dem Instrument «Praxis-Refresher» angeboten werden. 5.2 Empfehlungen • Die Medienarbeit sollte kontinuierlich weitergeführt werden, um immer wieder auf das An- gebot aufmerksam zu machen und um einen Beitrag zur Verringerung der Stigmatisierung von Einsamkeit zu leisten; • Es sollten frühzeitig und regelmässig Freiwillige gesucht und geschult werden, da davon aus- zugehen ist, dass ein relevanter Teil der Freiwilligen aufgrund der Belastung das Engagement beenden wird und da verhindert werden muss, dass zu viele Anrufende wegen der Überlas- tung der Linie nicht durchkommen und allenfalls ihre Bemühung, Hilfe zu erhalten, aufgeben; • Möglicherweise könnte die Einführung eines Mentorats für neue Freiwillige im Projekt hilf- reich sein, so dass ältere, erfahrene Freiwillige Unterstützung leisten; Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 34 • Die Belastung und Unzufriedenheit der Freiwilligen durch mangelnde Entwicklung bei den Anrufenden sollten weiterhin bei der Selektion, in der Grund-Schulung und Weiterbildung berücksichtigt werden; • Das Angebot «Tandem» sollte kritisch begleitet werden, im Sinne des Abwägens von Nutzen und Aufwand. Allenfalls könnte eine Beendigung und Nutzung der freiwerdenden Ressourcen für andere Zwecke in Betracht gezogen werden; • Die Geschäftsstelle sollte ausreichend finanziert werden, damit genügend finanzielle Res- sourcen für die Bewältigung der anstehenden Aufgaben bereitstehen und die Geschäftsstelle personell aufgestockt werden kann. So kann auch die Problematik eines ungeplanten perso- nellen Ausfalls entschärft werden. 5.3 Ausblick Der bisherige Verlauf von «malreden» zeigt den grossen Bedarf nach niederschwelligen Begegnungs- möglichkeiten von alten Menschen, die auf verschiedene und oft multiple Weise in ihren Chancen zum Pflegen von sozialen Kontakten beeinträchtigt sind. Sie sind oft in ihrer Mobilität eingeschränkt, haben wichtige Bezugspersonen verloren, leben alleine, leiden unter psychischen Problemen und Ar- mut. Es wäre wünschenswert, dass die Bedürfnisse von alten Menschen in prekärer Lage und sozialer Isolation genauer untersucht werden, um entsprechende Angebote entwickeln zu können, die nie- derschwellig genug sind und allenfalls auch den Wunsch nach «face to face»-Kontakten trotz psychi- schen und körperlichen Einschränkungen befriedigen können. Damit könnte auch dem Bedürfnis nach Reziprozität in Beziehungen, also dem Bedürfnis, auch für andere Sorge tragen zu können, das bis ins hohe Alter gegeben ist, Rechnung getragen werden. Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten 35 6. Literatur Bachmann, N. (2014). Soziale Ressourcen als Gesundheitsschutz: Wirkungsweise und Verbreitung in der Schweizer Bevölkerung und in Europa (Obsan Dossier 27). Schweizerisches Gesund- heitsobservatorium. https://www.obsan.admin.ch//sites/default/files/publica- tions/2015/obsan_dossier_27.pdf Baur, N., & Blasius, J. (Eds.). (2019). Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung (2., voll- ständig überarbeitete und erweiterte Auflage). Springer VS. Bino, E., & Darbellay, S. (2021, April). malreden. Projekt zur sozialen Integration und zur Gesundheits- förderung. Unv. Bericht; auf Anfrage bei der Geschäftsstelle "malreden" erhältlich. malreden. (2022a). Jahresbericht 2021. malreden. Verein Silbernetz Schweiz. Unv. Bericht; auf An- frage bei der Geschäftsstelle "malreden" erhältlich. malreden. (2022b). Zwischenbericht 2022. Stand August. malreden. Verein Silbernetz Schweiz. Unv. Bericht; auf Anfrage bei der Geschäftsstelle "malreden" erhältlich. Silbernetz Schweiz, Geschäftsleitung. (2022). Selbstevaluation. Pilotprojekt malreden—Der erste Schritt aus der Einsamkeit. Verein Silbernetz Schweiz. Unv. Bericht; auf Anfrage bei der Ge- schäftsstelle "malreden" erhältlich. The Centre for Social Justice. (2013). ‘When I get off the phone I feel like I belong to the human race.’ Evaluation of The Silver Line Helpline pilots. The Centre for Social Justice. Institut Soziale Arbeit und Gesundheit Riggenbachstrasse 16 T +41 62 957 2772 nicole.bachmann@fhnw.ch 4600 Olten