2022-11-112022-11-11https://irf.fhnw.ch/handle/11654/34017Das professionelle Ermessen ist ein Kernelement professionellen Handelns. Angehörige von Professionen haben aufgrund der Nichtstandardisierbarkeit ihrer Tätigkeit einen teilweise erheblichen Ermessensspielraum bei der Wahl der angemessenen Handlungen und Interventionen. Bei diesen Entscheidungen nehmen sie Bezug auf fachliche Kompetenzen, wissenschaftliche Wissensbestände, erprobte Methoden der Urteils- und Entscheidfindung und praktisch bewährte Routinen. Auch individuell-habituelle Elemente beeinflussen die Nutzung des Ermessensspielraums, bspw. die individuelle Risikobereitschaft der Fachkräfte oder die Fähigkeit, Unsicherheit über den Erfolg der Intervention auszuhalten. Diese individuellen Elemente können bei der Aneignung des professionellen Habitus im Rahmen der Ausbildung teilweise verstärkt oder vermindert werden. Durch Standardisierungen der Tätigkeit kommt es zu Verschiebungen des Ermessensspielraums, da bestimmte Anteile des professionellen Handelns dem Ermessen entzogen werden. Beabsichtigt wird bei Standardisierungen in der Regel neben einer erhöhten Effizienz auch ein Minimieren von Willkürpotenzialen und individuellen Fehlern. In der Literatur wird die Wirkung von Standardisierungen unterschiedlich beurteilt, von einer pauschal deprofessionalisierenden Wirkung ist nicht auszugehen, unter anderem, weil Fachkräfte dazu neigen, die Vorgaben so zu nutzen, dass sie in ihre (professionelle) Handlungslogik integriert werden können. Dennoch kann angenommen werden, dass Standardisierungen und Verregelungstendenzen einerseits den Ermessensspielraum verändern, andererseits durch Dokumentationszwänge und gestiegene Responsabilisierung auch die individuelle Bereitschaft, den Ermessensspielraum zu nutzen, sich verändert. Gerade mit Blick auf die digitale Transformation sind auch im Feld der Sozialen Arbeit – wie in anderen Professionen – künftig vermehrt technische Standardisierungen zu erwarten, deren Auswirkungen auf die Nutzung des Ermessensspielraums in der Schweiz noch weitgehend unerforscht sind. Im geplanten Forschungsvorhaben wird deshalb beabsichtigt, Faktoren für die angemessene und produktive Nutzung des Ermessensspielraums in unterschiedlichen Handlungsfeldern der Sozialen zu identifizieren. Diese Faktoren werden sowohl auf der organisationalen Ebene als auch auf der individuell-habituellen Ebene gesucht. Die analytische Unterscheidung dieser beiden Ebenen erscheint angebracht, weil Fachkräfte der Sozialen Arbeit als Professionsangehörige in der Regel in Organisationen tätig sind, die ihr individuelles Handeln durch eine spezifische Organisations- und Fehlerkultur vorprägen. Die zwei zu untersuchenden Ebenen werden in den Handlungsfeldern Sozialhilfe, Bewährungshilfe sowie Kindes- und Erwachsenenschutz durch objektiv-hermeneutische Auswertung von Dokumenten (Weisungen, Regeln, Arbeitsvorgaben) für die organisationale Ebene und von Interviews mit Fachkräften der Sozialen Arbeit für die individuell-habituellen Ebene erforscht. Zur Erfassung der Auswirkung der Organisationskultur dienen zudem teilnehmende Beobachtungen der Praxis. Die Ergebnisse der Forschungsarbeit ermöglichen ein besseres Verständnis der Nutzung des professionellen Ermessens, was in Hinblick auf künftige technische Standardisierungen im Zuge der digitalen Transformation hoch relevant ist.ErmessenProfessionStandardisierungen360 - Soziale Probleme, Sozialdienste, VersicherungenEine Krise des Ermessens? Auswirkungen technischer Standardisierungen auf den Ermessensspielraum in der Sozialen Arbeit00 - Projekt