Gonon, AnnaJohn, AnnaHübscher, Robin2021-11-102021-11-10https://irf.fhnw.ch/handle/11654/29637Fehlende oder geringe formale Qualifikation ist mit einem hohen Risiko der Arbeitslosigkeit, Armut und Prekarität verbunden. Das Label „unqualifiziert“ impliziert eine gesellschaftliche Abwertung und wird als Stigma zu einem Arbeitsmarkthemmnis eigener Art. In der Logik der aktivierenden Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik erscheint Ausbildungslosigkeit als Problem von individueller Beschäftigungsfähigkeit angesichts steigender Anforderungen im Arbeitsmarkt. Beschäftigungsfähigkeit ist jedoch ein unscharfer Begriff. Neben persönlichen Kompetenzen spielen soziale, institutionelle und betriebliche Voraussetzungen eine Rolle, vor allem aber auch die gesellschaftliche Bewertung von Fähigkeiten. Vor diesem Hintergrund untersuchte das vom Schweizerischen Nationalfonds geförderte Forschungsprojekt, wie sich Beschäfti-gungsfähigkeit bei Personen ohne berufliche Ausbildung konstituiert. Diese Frage wurde kon-ventionentheoretisch als doppelter Qualifizierungsprozess gefasst: als Kompetenzerwerb und als Prozess der Wertzuschreibung. Unter welchen Bedingungen erwerben oder verlieren un-qualifizierte Arbeitskräfte arbeitsmarktrelevante Fähigkeiten? Unter welchen Bedingungen werden sie als beschäftigungsfähig bewertet und wie werden ihre Fähigkeiten im Arbeits-markt verwertet? Die qualitative Studie analysierte die Entwicklung und Verwertung von Beschäftigungsfähig-keit aus drei Perspektiven: Arbeitskräfte, Unternehmen und Vermittlungsinstitutionen. Zur Erfassung der Dynamik von Beschäftigungsfähigkeit wurde ein Sample von 39 geringqualifi-zierten Arbeitskräften im Zeitraum von drei Jahren mehrfach zu ihren Orientierungen und Strategien im Erwerbsleben befragt. 24 Personen gaben ein zweites Interview; 14 Personen konnten dreimal befragt werden. Auf Seite der Unternehmen interessierte, nach welchen Kri-terien und auf welchen Wegen unqualifizierte Jobs besetzt werden und inwiefern in Erhalt und Weiterentwicklung der Beschäftigungsfähigkeit der betreffenden Mitarbeitenden investiert wird. Das Sample umfasste 27 Unternehmen aus fünf Branchen mit einem hohen Anteil an unqualifizierten Jobs: Bauhauptgewerbe, Detailhandel, Gastgewerbe, Industrie und Reini-gung. In den ausgewählten Betrieben wurden 33 Interviews mit Personalfachleuten und Vor-gesetzten von Geringqualifizierten geführt. Schliesslich wurde die Rolle von Arbeitsmarktin-termediären analysiert: welchen Einfluss haben private und öffentliche Personalvermittler auf die Zuschreibung von Beschäftigungsfähigkeit und die Selektion von Arbeitskräften? Das Sample umfasste hier 10 Fachleute aus drei Personalvermittlungsfirmen, einem RAV (regio-nales Arbeitsvermittlungszentrum der Arbeitslosenversicherung) und zwei Programmen zur Vermittlung von Erwerbslosen in den ersten Arbeitsmarkt. Die Ergebnisse machen deutlich, dass sich Beschäftigungsfähigkeit nicht auf einen Katalog von erlernbaren Kompetenzen reduzieren lässt. Ausbildungslose werden von Unternehmen durch-aus als ‘wertvolle’ Arbeitskräfte geschätzt, aber die für die Ausübung der jeweiligen Jobs not-wendigen Fähigkeiten werden nicht als berufliche Kompetenzen anerkannt und nicht in formale Qualifikationen übersetzt. Damit können die Betroffenen weiterhin zu tiefen Löhnen und oft prekären Beschäftigungsbedingungen in Jobs eingesetzt werden, die sich nicht automatisieren lassen bzw. für die sich keine Fachkräfte finden. Veränderungen von Rekrutierungsformen wie der zunehmende Einsatz von befristeten Anstellungen über Personalverleiher oder die wach-sende Bedeutung von Online-Kanälen erhöhen die Zugangsbarrieren zum Arbeitsmarkt.unqualifizierte ArbeitskräfteBeschäftigungsfähigkeitArbeitsvermögenPersonalselektionqualitative LangzeitstudieKonventionensoziologie300 - Sozialwissenschaften360 - Soziale Probleme, Sozialdienste, Versicherungen«Unqualifiziert»: zur Konstitution und Verwertung der Beschäftigungsfähigkeit von Arbeitskräften ohne berufliche Ausbilundung00 - Projekt