Preite, Luca2018-12-042018-12-042017-11-07http://hdl.handle.net/11654/26782In „Learning to Labour: How working class kids get working class jobs“ untersucht Paul Willis (1981), die (männliche) Gegenschulkultur der lads in englischen Arbeiterschulen einerseits, sowie ihr werden eines ungelernten Fabrikarbeiter anderseits. Die Studie wurde vor über 30 Jahren veröffentlicht, kontrovers diskutiert und in diversen Sprachen übersetzt. Nachdem die erste deutsche Übersetzung mit dem Titel „Spass am Widerstand – Gegenkultur in der Arbeiterschule“ (Willis, 1982) vergriffen war, wurde 2013 eine aktualisierte Fassung mit einem Vorwort von Albert Scherr und Frigga Haug herausgebracht (Willis, 2013). Von Willis ursprünglich im Kontext einer „new sociology of education“ am „Center for Contemporary Cultural Studies“ (CCCS) in Birmingham verfasst, um mit Fokus Agents und Agency (Akteure und Handlungsspielräume) entgegen einer marxistisch-deterministischen Sichtweise der bildungssystemischen Benachteiligung von Arbeiterjugendlichen anzuschreiben, entwickelte sich dieses Buch im deutschsprachigen Raum zu einem Klassiker der Jugendsoziologie, verlor dazu aber ebenso seine bildungssoziologische Verortung. Als Cultural Studies handelt es sich bei „Learning to Labour“ um eine ethnographische Untersuchung des Schulalltags einerseits und deren sozio-/ethnologischen Analyse von Ungleichheitsreproduktion anderseits. Im Fokus stehen dabei die „lads“, sprich männliche Schüler, die vor allem durch ihre pauschale Gewalt und Disziplinlosigkeit im Klassenzimmer auffallen. Willis interessiert sich für diese Schüler/-innen, ihre Klassenkameraden/-innen, ihre Eltern und Lehrpersonen. Er möchte mehr darüber erfahren, weshalb die „lads“ den Unterricht stören und wie sie Lehrpersonen, Bildung und Schule wahrnehmen. Seiner Meinung nach sagt ihr widerständiges Verhalten viel über komplexe Lehr-Lern-Verhältnisse in Schulen einerseits, sowie über dialektische Ungleichheitsreproduktionen durch Bildungssystem und ihre Akteure/innen anderseits aus. Seit dem Herbstsemester 2014 lese ich Paul Willis in meinen Lehrtätigkeiten an der PH/FHNW als Lektüreseminar und mache dazu ähnlich positive Erfahrungen, wie diese von Frigga Haug in ihrem Wort zur aktualisierten Fassung beschrieben wird (vgl. Willis, 2013, S. 11ff). Aktuell lasse ich „nur“ noch die ethnographische Beschreibung des Schulalltags lesen, streiche hingegen die soziologische Analyse weg. Dies hat mehrere Gründe. Zu einem erlaubt Paul Willis mit seiner Beschreibung des Schulalltags in Analogie und zeitlicher Distanz über gegenwärtige Verhältnisse in Schulen zu sprechen und dabei einen Fokus auf die in den Erziehungswissenschaften und Fachdidaktiken vielbesprochen (Stichwort: Unterrichtsstörung, Klassenführung), aber kaum zu Wort kommenden, widerständigen Schüler/innen (wie auch Studierende) zu legen. Vor allem aber erlaubt diese ethnographische Beschreibung ohne ihre (sprachlich zum Teil komplexe und veraltete) soziologische Analyse durch Willis eine eigenständige Analyse (avant lettre) seitens der Studierenden selbst, die seitens des Lehrenden mit Wissen über Willis zeitgemäss und aktualisiert begleitet werden kann, für die Studierenden dennoch aber als selbstgemacht wahrgenommen wird. Diesbezüglich können insbesondere (praxeologische und narrative) Dynamiken des labellings (Etikettierung) sogenannter Problemschüler/innen in gegenwärtigen Schul- und Bildungskontexten besprochen werden, ebenso so auch die reziproke Bedingt- und Abhängigkeit von Schüler/innen und ihrer Lehrpersonen in der Reproduktion sozialer Ungleichheiten insbesondere beim Übergang in die nachobligatorische Ausbildung. Willis erlaubt dazu einen „niederschwellig“ wissenschaftlichen Blick indem er den Fokus auf die Handlungen und Bedeutungen der „störenden“ Jugendlichen selbst lenkt, anstatt vorschnell nach Gründen und Erklärungen dieser Störung zu mutmassen.de-CHCultural StudiesPaul WillisBildungssoziologie300 - Sozialwissenschaften, Soziologie, Anthropologie370 - Erziehung, Schul- und BildungswesenCultural Studies und Paul Willis: «vergessen» und «unverbrauchte» soziologische Ansätze an der PH06 - Präsentation