Widmer Beierlein, SandraVorwerg, Constanze2016-09-202016-09-202015-11http://hdl.handle.net/11654/23321Einleitung Die Ziele einer Aphasiediagnostik bestehen darin entscheiden zu können, ob eine Aphasie vorliegt, die individuellen Probleme des Patienten zu erfassen und seine Ressourcen zu erkennen (Steiner, 2008:43). In der Sprachtherapie der deutschsprachigen Schweiz stehen Therapeuten nur standardisierte Verfahren aus Deutschland zur Verfügung. Es ist bisher ungeklärt, ob die deutschen Tests, die sich am dortigen Standard orientieren, die Sprachrealität Schweizer PatientInnen ausreichend abbilden. Die deutschschweizer Sprachsituation unterscheidet sich von derjenigen Deutschlands auf verschiedenen Ebenen: 1. In der deutschsprachigen Schweiz werden Dialekt und Hochdeutsch in unterschiedlichen Kontexten mit unterschiedlichen Funktionen verwendet (Rash, 2002). 2. Zwischen Hochdeutsch und den Schweizer Dialekten bestehen je nach linguistischer Ebene grosse sprachstrukturelle Unterschiede. 3. Der Dialekt geniesst in der Schweiz hohes Prestige und wird unabhängig vom sozialen Status des Sprechers verwendet. Dies zeigt sich auch in der eidgenössischen Volkszählung 2000: Dort geben 99% der Deutsch sprechenden Bevölkerung der Deutschschweiz an, mit ihren Angehörigen Dialekt zu sprechen (Werlen, 2004). Bisher existieren keine Daten darüber, welche Testverfahren von Schweizer LogopädInnen zur Diagnostik von Aphasien eingesetzt und welche Rolle der Dialekt im Umgang mit PatientInnen spielt. Für die vorliegende Studie ergeben sich draus folgende Fragestellungen: a) Wie häufig werden Dialekt und Hochdeutsch im Alltag mit den PatientInnen verwendet? b) Welche Tests werden in der Deutschschweiz für die Diagnostik bei Aphasie am häufigsten eingesetzt? c) Sehen Therapeuten die Notwendigkeit für Testanpassungen an die Schweizer Sprachsituation? Methodik Es wurde ein Onlinefragebogen mit 22 Fragen zu vier Themenkomplexen entwickelt. Die Fragen bezogen sich auf die allgemeine Berufssituation, den Sprachgebrauch im Alltag, die Testsituation bei Aphasie und demographische Daten. Der Link zur Umfrage wurde an LogopädInnen in der deutschsprachigen Schweiz verschickt, die in Spitälern, Rehakliniken und privaten Praxen arbeiten. An der Befragung nahmen 82 LogopädInnen aus 17 Kantonen teil. Ergebnisse Die Ergebnisse zeigen, dass der Dialekt die am häufigsten verwendete Sprache im Alltag mit PatientInnen darstellt. So verwenden fast alle Teilnehmenden (80/82) mit PatientInnen regelmässig Dialekt. Hochdeutsch hingegen wird nur von 64 der Befragten verwendet. Der mit Abstand am häufigsten verwendete Test in der deutschsprachigen Schweiz ist der AAT (Aachener Aphasie Test). Er wird von 65 Personen am häufigsten für die Diagnostik eingesetzt, gefolgt vom Bias (Bielefelder Aphasiescreening) (16), der ACL (Aphasie-Checkliste) (15), dem BMTDA (Basel Minnesota Test) (12) und einem eigenen Screening (6). Eine große Mehrheit der Befragten (63) hält ausserdem dialektale Anpassungen bei der Diagnostik von Aphasien in der Schweiz für notwendig. Diese betreffen vor allem den Wortschatz und die Grammatik. Diskussion und Ausblick Die Befragung zeigt, dass in der deutschschweizer Sprachtherapie eine Diskrepanz besteht zwischen Sprachgebrauch und Testrealität. Der Dialekt dominiert in der Kommunikation mit den PatientInnen, während der AAT Hochdeutsch als Testsprache vorschreibt. Es stellt sich deshalb die Frage, ob die Anforderungen an eine Aphasiediagnostik unter diesen Umständen erfüllt werden können und ob dem sprachstrukturellen Abstand zwischen Hochdeutsch (Test) und Schweizerdeutsch (Alltag) genügend Rechnung getragen wird. Eine weiterführende Studie soll mit Videodaten klären, wie Therapeutinnen und PatientInnen in der Testsituation mit diesem Dilemma umgehen. Daraus sollen Empfehlungen für den Umgang mit deutschen Tests in der Schweiz abgeleitet werden.de-CHTestverfahren und Sprachgebrauch bei Aphasie in der deutschsprachigen Schweiz06 - Präsentation