Eine Krise des Ermessens? Auswirkungen technischer Standardisierungen auf den Ermessensspielraum in der Sozialen Arbeit

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DOI der Originalpublikation
Projekttyp
angewandte Forschung
Projektbeginn
01.02.2023
Projektende
31.01.2026
Projektstatus
laufend
Projektkontakt
Projektmanager:in
Beteiligte
Beschreibung
Zusammenfassung
Das professionelle Ermessen ist ein Kernelement professionellen Handelns. Angehörige von Professionen haben aufgrund der Nichtstandardisierbarkeit ihrer Tätigkeit einen teilweise erheblichen Ermessensspielraum bei der Wahl der angemessenen Handlungen und Interventionen. Bei diesen Entscheidungen nehmen sie Bezug auf fachliche Kompetenzen, wissenschaftliche Wissensbestände, erprobte Methoden der Urteils- und Entscheidfindung und praktisch bewährte Routinen. Auch individuell-habituelle Elemente beeinflussen die Nutzung des Ermessensspielraums, bspw. die individuelle Risikobereitschaft der Fachkräfte oder die Fähigkeit, Unsicherheit über den Erfolg der Intervention auszuhalten. Diese individuellen Elemente können bei der Aneignung des professionellen Habitus im Rahmen der Ausbildung teilweise verstärkt oder vermindert werden. Durch Standardisierungen der Tätigkeit kommt es zu Verschiebungen des Ermessensspielraums, da bestimmte Anteile des professionellen Handelns dem Ermessen entzogen werden. Beabsichtigt wird bei Standardisierungen in der Regel neben einer erhöhten Effizienz auch ein Minimieren von Willkürpotenzialen und individuellen Fehlern. In der Literatur wird die Wirkung von Standardisierungen unterschiedlich beurteilt, von einer pauschal deprofessionalisierenden Wirkung ist nicht auszugehen, unter anderem, weil Fachkräfte dazu neigen, die Vorgaben so zu nutzen, dass sie in ihre (professionelle) Handlungslogik integriert werden können. Dennoch kann angenommen werden, dass Standardisierungen und Verregelungstendenzen einerseits den Ermessensspielraum verändern, andererseits durch Dokumentationszwänge und gestiegene Responsabilisierung auch die individuelle Bereitschaft, den Ermessensspielraum zu nutzen, sich verändert. Gerade mit Blick auf die digitale Transformation sind auch im Feld der Sozialen Arbeit – wie in anderen Professionen – künftig vermehrt technische Standardisierungen zu erwarten, deren Auswirkungen auf die Nutzung des Ermessensspielraums in der Schweiz noch weitgehend unerforscht sind. Im geplanten Forschungsvorhaben wird deshalb beabsichtigt, Faktoren für die angemessene und produktive Nutzung des Ermessensspielraums in unterschiedlichen Handlungsfeldern der Sozialen zu identifizieren. Diese Faktoren werden sowohl auf der organisationalen Ebene als auch auf der individuell-habituellen Ebene gesucht. Die analytische Unterscheidung dieser beiden Ebenen erscheint angebracht, weil Fachkräfte der Sozialen Arbeit als Professionsangehörige in der Regel in Organisationen tätig sind, die ihr individuelles Handeln durch eine spezifische Organisations- und Fehlerkultur vorprägen. Die zwei zu untersuchenden Ebenen werden in den Handlungsfeldern Sozialhilfe, Bewährungshilfe sowie Kindes- und Erwachsenenschutz durch objektiv-hermeneutische Auswertung von Dokumenten (Weisungen, Regeln, Arbeitsvorgaben) für die organisationale Ebene und von Interviews mit Fachkräften der Sozialen Arbeit für die individuell-habituellen Ebene erforscht. Zur Erfassung der Auswirkung der Organisationskultur dienen zudem teilnehmende Beobachtungen der Praxis. Die Ergebnisse der Forschungsarbeit ermöglichen ein besseres Verständnis der Nutzung des professionellen Ermessens, was in Hinblick auf künftige technische Standardisierungen im Zuge der digitalen Transformation hoch relevant ist.
Link
Während FHNW Zugehörigkeit erstellt
Yes
Zukunftsfelder FHNW
Hochschule
Hochschule für Soziale Arbeit FHNW
Institut
Institut Professionsforschung und -entwicklung
Finanziert durch
Schweizerischer Nationalfonds (SNF)
Projektpartner
Auftraggeberschaft
SAP Referenz
Schlagwörter
Ermessen
Profession
Standardisierungen
Fachgebiet (DDC)
360 - Soziale Probleme, Sozialdienste, Versicherungen
Publikationen
Vorschaubild
Publikation
Qualität und Standards in der Bewährungshilfe – Überlegungen aus professionstheoretischer Sicht
(Forum Verlag Godesberg, 11/2024) Zoss, Anna; Bischof, Jonas; Neuhaus, Lukas
Mit unserem Beitrag möchten wir das Verhältnis von Qualität und Standards in der Bewährungshilfe aus einer professionstheoretischen Perspektive beleuchten. Wir gehen davon aus, dass es sich bei der Bewährungshilfe um eine Tätigkeit handelt, die aufgrund ihres sozialpädagogischen Charakters einen nicht-standardisierbaren Kern enthält: Die sozialpädagogische Aufgabe, die sich aus der gesetzlichen Bestimmung der sozialen Integration und der Rückfallvermeidung (Art 93 Absatz 1 StGB) ableiten lässt, besteht darin, die lebenspraktische Autonomie der Klientel wiederherzustellen. Diese Wiedererlangung von Autonomie ist ein Bildungsprozess, der nicht technisch herstellbar und nur mit aktiver Beteiligung der ganzen Person möglich ist. Qualität in der Bewährungshilfe kann in unserem Verständnis somit nur dann sichergestellt werden, wenn diese sozialpädagogische Aufgabe in einer professionalisierten Weise bearbeitet wird. Wir argumentieren, dass Standardisierungen in der Sozialen Arbeit die Qualität fördern können, sie aber stets auch das Potenzial einer De-Professionalisierung bergen, etwa wenn durch die Standardisierungen notwendige Ermessensspielräume eingeschränkt wer-den. Der Beitrag legt die theoretische Begründung dieser Überlegungen dar und reichert sie mit Beispielen aus einem aktuellen Forschungsprojekt zu den Auswirkungen technischer Standardisierungen auf den Ermessensspielraum in der Sozialen Arbeit an.
01B - Beitrag in Magazin oder Zeitung
Publikation
Auswirkungen einer «Kultur der Digitalität» in der Bewährungshilfe
(06.09.2024) Neuhaus, Lukas; Zoss, Anna; Bischof, Jonas
06 - Präsentation